Kreischend trat ich das Gesicht zurück, das sich über die Bordwand schob. Mit der Klinge durchtrennte ich das straff gespannte Tau, das von dem Enterhaken abwärts führte. Einer meiner Füße stand auf der Tina, der andere auf der Reling des Piratenschiffes. Auf ähnliche Weise schwebten auch andere Verteidiger zwischen den Schiffen und kämpften, so wie auch auf den Decks beider Boote gestritten wurde. Die Männer der Tina versuchten mit Hilfe der Ruder die beiden Schiffe auseinanderzuschieben. Das Metall von Scherblättern knirschte unter dem Druck der gegeneinander reibenden Schiffskörper. Das Backbord-Scherblatt des Piraten war abgerissen; an seiner Stelle klaffte ein aufgesplittertes Loch in den Planken. Unser Steuerbord-Scherblatt, eine mächtige Sichel aus Metall, etwa sieben Fuß lang und fünf Fuß breit, war verbogen, als bestünde es aus Blech. Neben mir stürzte ein Mann, von einem Pfeil getroffen, in den Abgrund zwischen die Schiffe.
Um mich hauend, sprang ich auf das Deck des Piratenschiffes. Ein von hinten gestoßener Speer durchdrang seitlich meine Tunika. Das Schwert schwingend, wich ich aus und fuhr herum. Piraten drängten vor, und ich spürte, wie sie mich umringten. Sie wogten zur Reling, und mir ging auf, daß sie in der Hitze des Kampfes gar nicht erkannten, daß ich nicht zu ihnen gehörte. Aus Versehen hätte ich beinahe einen Ruderer der Tina niedergestreckt, der sich ebenfalls zu den Piraten vorgewagt hatte. So schlugen wir von hinten auf sie ein. Ich sah, wie der Bursche, den ich beinahe niedergestreckt hätte, mit den Piraten auf die Tina schwärmte, nach außen hin Pirat. Er wehrte den Pikenstoß eines Verteidigers ab und hieb dann auf die Piraten links und rechts von sich ein. Gleich darauf stand er wieder auf dem Deck der Tina, machte kehrt und kämpfte nun wieder offen gegen die Piraten. Ich hörte Holz splittern. Piraten waren auf das Heckkastell der Tina vorgedrungen. Etwa zehn Männer von uns kämpften auf dem Piratenschiff, in der Nähe des erhöhten Vorderdecks. Wieder durchschnitt ich Enterseile. »Schurke!« rief ein Mann, und ich stellte mich ihm zum Kampf. Fünfmal kreuzten wir die Schwerter, ehe sein Blut meine Klinge benetzte. Die Schiffe trieben wieder auseinander; nur am Heck wurden sie noch zusammengehalten. Ich roch Feuer. Auf der Tina hob ein Mann die Hand an die Stirn, aus der ein Pfeil ragte, und stürzte ins Meer. Mit zwei Schritten hatte ich die Plattform des Bogenschützen erreicht und war hinter seine Deckung getaucht. Der Bursche machte mir keine Mühe. Die Pfeile aus seinem Köcher prasselten an Deck. Ein Pirat sprang auf mich zu, und ich hieb ihn von der Plattform. Zwei Pfeile sirrten auf mich zu und verfingen sich im Schutzgeflecht. Weiter hinten ragte ein anderes Piratenschiff auf. Am Bugkastell setzten sich einige meiner Mitstreiter gegen die Piraten durch. Brennendes Pech loderte über das Deck.
»Hier entlang, Jungs!« rief ich und sprang von der Plattform des Bogenschützen. Dicht vor meinen Füßen bohrte sich ein Pfeil ins Holz.
Wir liefen das Deck entlang. Das Schiff erschauderte, als das schwere Katapult ein Steingeschoß abfeuerte, das die Backbord-Rudereinrichtung der Tina traf.
Gleich darauf gelang es uns – mir und sieben anderen Männern –, die Haltetaue zwischen den beiden Schiffen zu kappen, die sich voneinander lösten. Wir sprangen auf das Heck der Tina hinüber und rückten gegen einige Piraten vor, die um ihr Leben kämpfen mußten. Wir zwangen sie über die Reling.
»Sind es nicht mehr?« fragte ich.
»Bist du enttäuscht?« fragte ein Mann.
»Wir haben unser Deck von den Sleen gesäubert!« rief jemand.
»Gut gekämpft haben sie!«
»Es sind ja auch Voskjards Männer«, bemerkte ein Mann.
Unser Deck war beschädigt und blutverschmiert. Pfeile steckten tief im Holz. Wir waren bereits mit beschädigtem Heckkastell in diesen Kampf gegangen. Das Steuerbord-Scherblatt zeigte sich verbogen.
Männern unserer Seite, die noch im Wasser schwammen, warfen wir Taue zu. »Aii!« rief ich plötzlich.
»Was ist?« fragte jemand.
»Das Schiff da!« rief ich und deutete auf eine Galeere, die knapp hundert Meter entfernt in einen Kampf verwickelt war. »Das ist die Tamira!« Diesen Schriftzug hatte ich am Steuerbordbug ausgemacht.
»Na und?« fragte ein Mann.
»Sie gehört nicht zu uns«, bemerkte ein anderer.
»Sie hat Voskjards Fahne gesetzt«, sagte ein dritter.
»Die Tamira hat östlich der Kette auf dem Vosk die Blume von Siba aufgebracht, und zwar zusammen mit der Telia, die unter dem Kommando Sirnaks stand, eines Vasallen von Policrates.« Davon hatte ich als Gefangener in der Festung des Policrates erfahren.
»Na und?«
»Die Tamira steht unter dem Kommando Reginalds, der von Ragnar Voskjard bezahlt wird!« rief ich. »Sie ist Ragnar Voskjards Kundschafterschiff!«
»Wieso ist das wichtig?« wollte jemand wissen.
»Sie kam, um Voskjard den Weg nach Osten zu bereiten«, erklärte ich. »Aber hat sie sich mit Voskjards Flotte im Hafen getroffen oder auf dem Fluß?«
»Was macht das für einen Unterschied?« wollte ein Mann wissen und warf einem unserer Genossen eine Rettungsleine zu.
»Vielleicht gar keinen«, sagte ich.
»Würdest du gegen sie kämpfen wollen?« fragte ein Mann lachend.
»Sie wird von schweren Galeeren begleitet«, sagte ein anderer.
»In der Tat!« rief ich lachend.
»Das freut dich?«
»Es scheint darauf hinzudeuten, daß das Zusammentreffen wirklich auf dem Fluß stattfand und nicht in Ragnars Festung.«
»Und wäre das gut?«
»Es könnte vorzüglich sein«, antwortete ich. »Aber vielleicht machte es auch keinen Unterschied!«
»Du bist ja verrückt!« rief der Mann lachend.
Und wieder gellten Signalhörner. Eilig half ich dabei, zwei Überlebende der Claudia aus Kap Alfred aus dem Wasser zu ziehen.
Fünfzig Meter heckwärts rammte die notdürftig ausgerüstete Sita, ein Handelsschiff aus Horts Furt, ein Piratenschiff ins Heck.
»Auf die Bänke!« rief ein Offizier. Ich folgte dem Kommando ebenfalls und bemächtigte mich eines Ruders.
Hinter uns ertönte ein lautes Knacken und Knirschen. Die Sita die sich eben vor ihrem Opfer löste, wurde ihrerseits auf beiden Seiten von Rammschiffen Voskjards getroffen.
»Wo sind die Schiffe von Callisthenes?« rief ein Mann.
»Durchziehen! Durchziehen!« brüllte der Rudermeister.
»Hart Steuerbord!« forderte ein Offizier.
Die Steuerleute stemmten sich gegen die Ruder.
»Ruder einziehen!« rief der Rudermeister. Scharrend wurden die schweren Holzstämme eingeholt.
Ein Rammschiff Voskjards, dessen spitzer Bug uns an Backbord nur knapp verfehlte, glitt in schneller Fahrt vorbei. Die Ruder des Gegners zerbrachen an unserer Flanke, dann gab es am Heck ein lautes krachendes und reißendes Geräusch, und der Feind nahm unser Backbordruder mit.
»Ruder nach draußen!« rief der Rudermeister, und wir ließen das Holz durch die Ruderluken gleiten.
Die Daphne aus Port Cos stand in Flammen. Die Andromache und Aspasia waren untergegangen. Steuerbord voraus sahen wir ein Schiff auf uns zurasen und dann plötzlich abdrehen, obwohl es uns hätte treffen können.
»Eines von Voskjards Schiffen!« rief jemand.
»Nein!« antwortete ein Mann. »Es zeigte die Wimpel von Ar-Station!«
»Ar-Station besitzt solche Schiffe nicht!« rief eine Männerstimme.
»Aber es hat uns nicht gerammt!« bemerkte jemand.
Als das Schiff an uns vorbeirauschte, sahen wir, daß die Männer an Bord tatsächlich Helme aus Ar-Station trugen.
»Wie ist das möglich?« fragte ein Mann.
»Verstärkung!« rief jemand begeistert.
»Nein«, sagte ein anderer. »Das ist kein Schiff aus Ar-Station. Die besitzen solche Schiffe nicht. Es ist ein Schiff Voskjards, das als Prise genommen wurde!«
»Wie sollte das angehen?« fragte ein Mann. »Ar-Station kennt sich auf dem Fluß nicht aus. Die Bemannung der Schiffe reicht nicht aus!«
Und tatsächlich hatten wir schon die Wracks von mindestens vier Schiffen aus Ar-Station gesehen, darunter zwei schwerer Galeeren, der Tullia und der Publia. So schien es durchaus möglich, daß andere Galeeren dieser Flotte ein ähnliches Schicksal erlitten hatten. Mir war nicht klar, warum Ar-Station ausgerechnet auf solche Schiffe zurückgriff. Sie waren viel zu gedrungen und unbeweglich; sie hatten zu große Laderäume, reagierten zu langsam auf die Steuerruder und schienen zum Kampf weniger geeignet als zum Transport schwerer Ladungen. Glaubte Ar-Station mit diesen breiten, unförmigen Frachtern gegen Voskjards schnittige, schnelle Schiffe eine Chance zu haben? Darüber hinaus schienen die Schiffe aus Ar-Station viel zu knapp bemannt zu sein. Wie verlockend mußte es für den Gegner sein, nach solchen Früchten zu greifen!
Kaum zehn Fuß von meiner Bank entfernt stürzte plötzlich ein riesiger Fels herab und durchschlug das Deck. Holz brach, wurde explosionsartig nach oben gedrückt und ergoß einen Schauer spitzer Splitter über uns. Wir wußten nicht einmal, woher das Geschoß kam.
»Durchziehen!« rief der Rudermeister.
Langsam fuhren wir durch das Gewirr brennender und zerstörter Schiffe. Unsere Bank erbebte beim Abschuß des großen Katapults. Es roch intensiv nach brennendem Pech. Ich hörte Männer im Wasser schreien.
»Wir müssen unsere Schwersterschiffe suchen und mit ihnen kämpfen!« rief der Rudermeister. »Das ist Callimachus’ Befehl!«
»Steuerbord voraus liegt die Portia!« rief ein Offizier. »Sie ist in Bedrängnis!«
»Zwei Schiffe greifen sie an!« rief ein Mann. »Sie werden längsseits gehen! Sie soll geentert und erobert werden!«
»Hilfe für die Portia!« rief der Offizier auf dem Bugkastell. »Zwei Strich Steuerbord! Durchziehen!«
»Durchziehen!« rief der Rudermeister, dann aber berichtigte er sich sofort: »Halt! Ruder rückwärts!« Die Entfernung hätte nicht ausgereicht, um rechtzeitig auf Angriffskurs herumzuschwenken. Außerdem hatte sich bereits ein Piratenschiff zwischen uns und die Portia geschoben. Ramme gegen Ramme lagen wir voreinander, etwa fünfzig Meter voneinander getrennt. Langsam ruderten wir rückwärts. Die Tina reagierte nicht gut auf ihr verbliebenes Steuerruder, und so brauchten wir mehr Platz zum Manövrieren. Voskjards Schiff verharrte auf der Stelle und griff nicht an. Vielleicht vermochte es aus der Richtung nicht zu erkennen, daß uns das Backbordruder fehlte. Vielleicht wartete es aber auch nur auf Unterstützung.
»Wollen wir nicht angreifen?« fragte ein Mann.
»Das würde der Portia kaum helfen«, meinte ein zweiter.
Während die Tina auf der Stelle verhielt, stiegen einige von uns auf die Bänke, um das Schicksal der Portia zu verfolgen.
»Können wir nicht durchbrechen, um ihr zu helfen?« fragte jemand.
»Wenn wir das tun«, wurde ihm geantwortet, »würde uns die andere Galeere mühelos auf die Hörner nehmen.«
»Dann ist die Portia verloren«, jammerte ein Mann.
Niedergeschlagen verfolgten wir die geschickte Annäherung der Piratenschiffe: Eins kam von Backbord, das andere von Steuerbord auf die Portia zu. Auf dem Deck der Portia schienen sich keine fünfzehn oder zwanzig Personen aufzuhalten.
»Was tun die da?« fragte jemand.
»Keine Ahnung«, sagte ich.
Gestalten waren in die Masten der Portia gestiegen und lösten die Taue, die die Oberseiten der langen schweren Holzplankenkonstruktionen hochgeklappt hielten. Diese Gebilde ruhten auf Plattformen, die von den Füßen der Masten auswärts gerollt wurden, ein Gebilde nach Steuerbord, das andere nach Backbord, um dort festgezurrt zu werden.
Piraten drängten sich an der Reling ihrer Schiffe. Wurfanker an langen Leinen wurden zur Portia hinüber geworfen. Doch beinahe im gleichen Moment klappten die seltsamen Plankengebilde, von Seilen gezogen, abwärts. Diese beinahe fünfundzwanzig Fuß langen und sieben Fuß breiten Flächen stürzten herab und veranlaßten die Piraten, hastig auszuweichen. Die langen Spitzen bohrten sich krachend in das Deck der Piratengaleeren. Auf diese Weise wurden die Schiffe fest miteinander verbunden, allerdings in einem Abstand von etwa acht Fuß.
Im gleichen Moment ertönte das Kampfsignal Ars auf der Galeere. Luken wurden geöffnet.
Verblüfft starrten die Piraten über ihre Reling – sie kamen plötzlich nicht mehr an das andere Schiff heran.
»Infanteristen aus Ar!« rief ein Mann auf der Tina.
Aus den offenen Luken strömten Ar-Krieger, die mit ihren Metallhelmen furchteinflößend aussahen. Sie trugen große runde Schilde und schwere Speere mit Bronzespitzen.
Piraten eilten zu der Plankenstraße, die den Zugang zu ihrem Schiff bildete, doch sofort wurde ein Dutzend Speere geworfen und schlug den Widerstand nieder, und schon kamen die Männer aus Ar im Laufschritt über die künstliche Brücke, die Schwerter gezogen, mit den Schilden zahlreiche Pfeile abfangend, und drängten und hieben die Gegner ins Wasser. Eine Hälfte wandte sich zum Bug des feindlichen Schiffes, die andere zum Heck. Die Kette der Piraten, die sich zum Entern über die ganze Schiffsseite verteilt hatte, wurde sofort durchbrochen. Rücksichtslos und schnell, sauber, genau – so traf der Stahl der Berufskrieger. Innerhalb weniger Sekunden waren die Decks beider Piratenschiffe gesäubert. Und immer neue Soldaten kamen aus dem Lagerraum. Ich hatte den Eindruck, daß sie den Piraten zahlenmäßig um gut das Zehnfache überlegen waren. Die weiten Laderäume der Portia waren voller Kämpfer gewesen.
»Eine Infanterieschlacht«, sagte ein Mann neben mir ehrfürchtig.
»Die aber zur See ausgefochten wurde«, bemerkte sein Nachbar.
Die breiten Plankengebilde wurden vorsichtig von den Decks der Piratenschiffe gelöst und wieder hochgezogen. An den Bugleinen beider Schiffe stieg die Flagge von Ar-Station auf.
»Ar weiß schon, worauf es sich am besten versteht«, sagte jemand.
»Ja«, wurde geantwortet.
Das Schiff Voskjards, das uns belauert und daran gehindert hatte, an dem Kampf teilzunehmen, zog sich nun langsam zurück.
Ich glaube wir alle, Freund oder Feind, sahen die Schiffe aus Ar-Station plötzlich mit ganz anderen Augen. Auf jeden Fall hatten sie unseren Respekt verdient.
»Kehren wir zu unseren Schwesterschiffen zurück!« rief Callimachus.
Langsam näherten wir uns der Portia und ihren Prisen.
»Es wird bald dunkel sein«, sagte jemand.
»Im Schutze der Dunkelheit können wir uns davonschleichen«, meinte eine Männerstimme.
»Callimachus wird Callisthenes auf keinen Fall im Stich lassen«, sagte ich.
»Wo aber ist Callisthenes?« wurde ich gefragt.
»Keine Ahnung.«
»Einen weiteren Tag halten wir auf keinen Fall durch.«
»Nicht ohne Unterstützung durch Callisthenes.«
»Es wäre der dritte Kampftag.«
»Callisthenes ist bestimmt vor dem Morgengrauen hier«, meinte jemand.
»Woher willst du das wissen?« fragte ihn sein Nachbar.
»Er muß hier sein«, meinte der erste Mann achselzuckend.
»Wir müssen uns ein neues Backbordruder zurechtmachen«, sagte ich. »Die Wracks liefern uns dafür das Material.«
»Ich helfe dabei!« rief ein Mann.
»Ich auch!« meldete sich ein zweiter.
Plötzlich mußte ich an die Tamira denken. Ich war heute schon bis auf hundert Meter an sie heran gewesen.
»Ich hole die Erlaubnis ein, das Beiboot zu Wasser zu lassen«, sagte einer meiner Genossen.
»Ja«, sagte ich.
Ich mußte auch an die Tuka denken. Sie war das führende Schiff in Voskjards erstem Angriffskeil gewesen. Jetzt lag sie beschädigt und verlassen auf einer Sandbank unweit der Kette, knapp einen Pasang entfernt. Angeblich war sie eine sehr bekannte Galeere Voskjards. Und sie besaß einen sehr großen Laderaum. »Woran denkst du?« fragte ein Mann. »An nichts«, antwortete ich. »An nichts.«