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Zum Zeichen unseres Sieges hatten wir Lola und Shirley an den Bug der Tuka und der Tina gehängt, die sich, langsam hintereinander fahrend, durch den Kanal der Festung des Policrates näherten. Die Tais, von der wir fürchteten, daß sie erkannt werden könnte, bildete die Nachhut.

»An deiner Stelle würde ich mich im Hintergrund halten«, sagte Callimachus.

Ich befolgte seinen Rat. Es wäre nicht gut gewesen, wenn man mich erkannt hätte. Unter meiner Tunika hielt ich eine Maske aus purpurnem Stoff verborgen. Ich hatte sie in Victoria angefertigt, ehe ich nach Westen fuhr, um mich der Tina vor der Kette anzuschließen. Sie glich dem Gesichtsschutz jenes maskierten Mannes, der mir in Victoria den Topas hatte abnehmen wollen. Ich war davon überzeugt, daß er der echte Kurier Ragnar Voskjards war. So hatte ich mir die Maske vorsichtshalber angefertigt; sie mochte mir unter gewissen Umständen gute Dienste leisten. Allerdings hatte ich sie noch nicht angelegt, denn ich wußte nicht, ob man damit rechnete, daß der Kurier Voskjards Flotte begleitete.

Die Ruderer der Tuka hatten ein fröhliches Lied angestimmt. Ihre Kleidung war bunt zusammengewürfelt. Sämtliche Insignien waren abgerissen worden, Ordenzeichen hatte man von Helmen entfernt, Erkennungsmerkmale von konkaven Schildflächen. Sie sangen nicht etwa ein Lied aus Ar, sondern eine Flußballade, in der Raufbolde und Piraten vorkamen.

Am Heck der Tuka sah ich Flaggen aufsteigen. Die Signale entstammten den Dokumenten, die ich Reginald abgenommen hatte.

Über den Mauern des Policrates stiegen Antwortsignale auf.

»Bleib im Hintergrund!« drängte Callimachus.

Ich trat weiter zurück und suchte mir eine Stelle, von der ich unbemerkt verfolgen konnte, wie sich die Dinge entwickelten.

Die Tuka, die unter Aemilianus’ Kommando stand, verhielt vor dem mächtigen eisernen Flußtor. Die Ruderer schwiegen.

Auf dem Vorderkastell der Tuka stand Miles aus Vonda, ein Mann, der nicht aus einer Flußstadt stammte und den Bewohnern der Festung daher unbekannt sein mußte. Nach seiner Befreiung hatte er zunächst den Wunsch geäußert, an Land abgesetzt zu werden, um nach Turmus zurückzukehren. Als er aber erfuhr, daß eine gewisse Sklavin namens Florence in den hohen Mauern von Policrates’ Festung festgehalten wurde, hatte er um ein Schwert und einen Platz auf unseren Ruderbänken gebeten. Beides war ihm gewährt worden. Seither hatte er auf eine Rasur verzichtet und sich darüber hinaus mit einer Augenklappe unkenntlich gemacht. Anders standen die Dinge mit seinem Kampfsklaven Krondar. Wer diesen Mann einmal gesehen hatte, vergaß die narbigen, entstellten Züge so schnell nicht wieder, die Spuren zahlreicher Kämpfe mit dem Nagelleder und den Klingenhandschuhen in Ar. So hockte nun Krondar, das Schwert in der Hand, mit zahlreichen Kämpfern aus Ar-Station in einem Laderaum der Tuka.

Mein Herz machte einen Sprung. Auf der Mauer erschien die Gestalt Kliomenes’.

In der Nacht unserer Flucht aus der Umzingelung auf dem Fluß hatten wir die Olivia, unser behäbigstes, langsamstes Schiff, angesteckt und in östlicher Richtung gegen die Formation unserer Gegner geschickt, die verwirrt waren, weil die Tamira ihren Posten verlassen hatte. Damit hatten wir die Piraten ablenken und bei ihnen den Eindruck erzeugen wollen, wir würden nach Osten fliehen, und die Olivia sei durch sie in Brand geschossen worden. Statt dessen hatten wir im Durcheinander der Schiffe beigedreht und Voskjard-Wimpel gesetzt, für den Fall, daß wir in den Lichtschein vorbeifahrender Schiffe geraten sollten. Anschließend hatten wir uns nach Westen zur Kette zurückgezogen und dort die Tuka wieder fahrtüchtig gemacht. Dabei hatte die Tamira angegriffen, die uns unauffällig verfolgt hatte, und war unserer schnellen Tais zum Opfer gefallen. Zweimal getroffen, war sie schnell gesunken.

In dem entstehenden Durcheinander hatte ich Miles aus Vonda und seinen Sklaven Krondar retten können. Unserem weiteren Plan folgend, fuhr die Tina mit der Tuka und der Tais in südlicher Richtung an der Kette entlang, bis wir die Lücke fanden, die von der dritten Flotte Voskjards, die wir zuerst für Callisthenes’ Entsatz gehalten hatten, in die Kette gerissen worden war. Hier erwies sich nun, daß die Piraten, die offenbar von Callisthenes nicht behindert wurden, den Weg durch die Kette gewählt hatten und nicht etwa mit ihren Schiffen mühselig zwei- oder dreihundert Meter weit über Land gerollt waren.

Durch die Lücke fuhren wir auf die westliche Seite der Kette. Vor unserem Aufbruch nach dem Zusammenstoß zwischen der Tais und der Tamira hatte ich noch laut gerufen: »Callimachus, wir haben’s geschafft! Fahren wir jetzt sofort nach Tetrapoli, wo wir sicher sind!« Und unsere Besatzung hatte gejubelt. Natürlich handelte es sich um eine List; die Männer, die ringsum noch im Wasser schwammen oder sich an Wrackteilen festhielten, sollten dies hören und den Gegner weiter in die Irre führen. Dabei war Tetrapoli tatsächlich die erste größere Stadt westlich der Kette.

Unsere eigentliche Absicht, davon waren wir überzeugt, ließ sich aus dieser Situation nicht erraten. Aus Reginalds Sicht mußte es uns darum gehen, eine große Streitmacht zusammenzustellen, die in der Lage war, den Vorteil, der uns durch die von der Tamira gestohlenen Dokumente zufiel, auch richtig zu nutzen. Bis es soweit war, mußte Voskjards Armada längst vor der Festung des Policrates stehen, sie stärken und bei der Entwicklung neuer Sicherheitslosungen mitgewirkt haben. Außerdem konnte ich mir vorstellen, daß Reginald es nicht eilig hatte, den Diebstahl der Dokumente zu melden, der ja eingetreten war, ehe sein Schiff von der Tais versenkt wurde. Wenn er den Untergang überlebt hatte, konnte er immer behaupten, die Papiere seien mit der Tamira verlorengegangen, mit der er unsere Flucht verhindern wollte. Vermutlich zog er es vor, wegen seines Mutes gelobt statt wegen einer Nachlässigkeit getötet zu werden.

Natürlich waren wir nicht nach Tetrapoli oder in eine andere Flußstadt gefahren. Statt uns nach Nordwesten zu wenden, waren wir mit Segel- und Ruderkraft nordwärts an der Kette entlanggefahren. Im Morgengrauen hatten wir das nördliche Loch der Kette erreicht, das von Voskjards zweiter Flotte gerissen worden war. Durch diese Öffnung wandten wir uns nach Ostsüdost. Wir waren sicher, daß man uns zunächst vergeblich in nordwestlicher Richtung, nach Tetrapoli hin, suchen würde. Während die Gegner unserem angeblichen Kurs folgten und der Rest der Piratenflotte sich neu formierte, Reparaturen vornahm und auf die Rückkehr der anderen wartete, rasten wir in Wechselschicht, Tag und Nacht fahrend, zur Festung des Policrates. Mein ursprünglicher Plan, davon war ich überzeugt, hätte uns in die Festung gebracht, wäre er nicht verraten worden.

Ich verstand die Worte nicht, die zwischen Kliomenes und Miles aus Vonda gewechselt wurden, doch ich hatte sie mehr als einmal gelesen.

»Was wird eine Einheit, wenn Steine sich zusammenfinden?«

»Das Schiff, welches das Topas-Meer befährt.«

»Wo findet sich ein Topas-Meer?«

»Innerhalb von vier Felsmauern.«

»Und wo befinden sich diese Felswände?«

»Rings um ein Topas-Meer.«

»Wem gehört der Vosk?«

»Jenen, denen das Schiff gehört, welches das Topas-Meer befährt.«

Die Piraten auf den Mauern begannen zu jubeln. Kliomenes sagte etwas zu einem Mann neben sich. Dieser Mann gab ein Zeichen an eine Gestalt in der Nähe des westlichen Torturms. Dieser gab den Befehl akustisch an einen Wächter weiter, der sich anscheinend im Innern des Turms befand. Meine Nackenhaare sträubten sich. Ich hörte das Ächzen und Knirschen des schweren Torgitters. Die Ketten strafften sich und hoben widerstrebend das mächtige Metallgeflecht, naß und funkelnd, aus dem Wasser.

Callimachus, der neben mir stand, griff nach seinem Schwert, hob es ein kurzes Stück aus der Scheide und ließ es wieder zurückfallen. Es war die Geste eines Kriegers. Vielleicht wußte er gar nicht, daß er seine Waffe bewegt hatte, so natürlich war diese Geste vor einem Kampf.

»Laß das!« flüsterte mir Callimachus zu.

»Was denn?«

»Dein Schwert zu lockern«, sagte er. »Das läßt erkennen, daß du damit rechnest, es zu gebrauchen.«

»Ach, habe ich das getan?« fragte ich.

»Ja.«

»Tut mir leid.« Ich mußte lächeln.

Gleich darauf fragte ich mich, wie viele Ruderer, die zumeist aus Ar-Station kamen, in diesem Moment wohl die Entfernung zu ihren Waffen berechneten, die unter den Sitzbänken versteckt waren.

Das Flußtor hob sich. Ich wußte sehr gut, welche Kraft dazu erforderlich war.

Aus der Festung drang der Klang von Flöten, Trommeln und Kalikas; es war eine langsame, getragene Melodie.

Miles aus Vonda hatte uns natürlich als Vorausschiffe der Voskjardschen Flotte angekündigt.

Als wir langsam unter das mächtige Tor glitten, blickte ich auf. Ein Gefühl der Beklemmung ließ sich nicht vertreiben, mußte ich doch daran denken, wie dieses Tor beim letzten Mal herabgesaust war. Es hatte das Schiff, auf dem ich mich befand, in zwei Teile zerschmettert.

Nach kurzer Zeit befanden sich die Tuka, die Tais und die Tina im inneren Hafenbecken der Festung. Kliomenes war von der Mauer heruntergestiegen und wartete auf dem breiten Steg unweit des eisernen Zugangs zur Festung auf Miles aus Vonda. Die Tuka warf Leinen über, die von hilfsbereiten Händen aufgefangen wurden.

Gut fünfzig Sklavinnen in knappen Gewändern erschienen und tanzten einen Blütentanz; sie trugen Körbe voller Blumen. Beverly oder Florence entdeckte ich nicht in der Gruppe. Zweifellos waren sie, wie viele andere Mädchen, damit beschäftigt, das Festmahl vorzubereiten.

Nicht ohne Mühe löste ich den Blick von den aufregenden Mädchen. Die Tür, die in das Innere der Festung führte, und die Außenmauern mußten so schnell wie möglich erobert werden.

Die Tuka glitt nun an den Innensteg. Die Leinen wurden festgemacht. Miles aus Vonda traf Anstalten, an Land zu gehen. Kliomenes erwartete ihn. Die Mädchen hörten auf zu tanzen; sie griffen in ihre Körbe und streuten Blüten vor Miles aus Vonda und den anderen Männern der Tuka, die nun auf die Reling traten und an Land sprangen.

»Ein Willkommensgruß den Herren!« sangen die Mädchen.

Kliomenes schüttelte Miles aus Vonda die Hand. Aemilianus und seine Männer mußten zur Tür vorrücken und die Festung besetzen.

Nun näherte sich auch die Tina dem Steg. Wir warfen die Leinen über. Kaum lagen wir still, sprangen Callimachus, ich und viele andere über die Reling. Callimachus und seine Männer waren für die Außenmauern eingeteilt worden.

»Willkommen, ihr Herren!« sangen die Mädchen.

Aemilianus und seine Leute eilten an verblüfften Piraten vorbei auf die Eisentür zu.

»Halt, halt mal!« rief Kliomenes plötzlich. Er hatte Callimachus und mich entdeckt. »Ihr habt Verräter in euren Reihen!« rief er. Im nächsten Moment lag schon Miles’ Schwert an seiner Kehle.

»Befiehl deinen Leuten, die Waffen niederzulegen!« forderte Miles aus Vonda. Schon war auch mein Schwert auf Kliomenes gerichtet, während zwei von unseren Männern seine Arme festhielten. Sklavinnen schrien durcheinander. Blütenkörbe fielen auf das Holz des Stegs. »Werft die Waffen fort!« rief Miles aus Vonda den Piraten auf dem Steg zu, »sonst seid ihr so gut wie tot!«

»Legt die Waffen nieder!« befahl Kliomenes heiser. Gefolgt von einer ganzen Horde, verschwand Aemilianus hinter der Eisentür. Gleich darauf war Gebrüll zu hören, das Klirren von Stahl, das Getrappel von Stiefeln. Callimachus eilte die Treppen zu den Mauern empor. Zwei Piraten stürzten von einem Wehrgang ins Wasser des Innenbeckens. Ein Pirat sprang an mir vorbei und hastete den Steg entlang. Ich folgte ihm. Doch schon legte vor ihm ein weiteres Schiff am Rand des Steges an.

»Die Tais!« rief der Pirat. Vor ihm sprangen Männer über die Reling, und er warf sein Schwert fort. Ich eilte an der Gruppe vorbei auf die Mauertreppe zu. Kein Pirat durfte entkommen. Ich hastete die Stufen empor. Oben auf der Mauer wurde heftig gekämpft. Ich stieß einen Gegner in die Tiefe und erledigte einen zweiten, der eben durch eine Schießscharte nach draußen klettern wollte.

Besorgt entdeckte ich Männer im Wasser, im Innenbecken. Sie schwammen auf das große Tor zu. Ich kämpfte mich zum westlichen Torturm vor, schlug dem dort wachestehenden Piraten das Schwert aus der Hand, nahm ihn in den Schwitzkasten und legte ihm die Klinge vor die Kehle. Dann schob ich ihn auf den Innenbalkon, der sich über dem großen Raum der Torwinde befand.

»Du befiehlst jetzt, daß das Tor geschlossen wird, und zwar im Schnellgang!«

»Laßt das Tor herab!« schrie er. »Gebt es frei, gebt es frei!« Rufe der Bestürzung hallten unten im Wasser auf. Mit einem ohrenbetäubenden Rasseln und Dröhnen knallte das schwere Tor ins Wasser, und die dicken Gitterstäbe bohrten sich in die unter dem Wasser liegenden Öffnungen.

»Wir ergeben uns!« riefen die Piraten auf der Mauer. Schwerter wurden zu Boden geworfen. Ich brachte meinen Gefangenen zu den anderen. Aus der Höhe der Mauer erblickte ich das Gedränge unserer Männer auf dem Steg, die aus den Laderäumen der Tuka und der Tina hervorquollen. Die Flotte des Policrates, etwa vierzig Schiffe, war im Osten unterwegs, um eine Verstärkung der Ketten-Verteidiger durch Städte aus dem Osten zu verhindern. Dementsprechend war nur eine kleine Streitmacht unter Kliomenes’ Kommando in der Festung zurückgeblieben, zweihundert bis zweihundertfünfzig Mann. Sie hätten die Festung gegen einen frontalen Angriff halten können, doch war der Feind in solcher Zahl erst einmal im Innern, hatten die Verteidiger keine Chance mehr.

Von der Mauerkrone sahen Callimachus und ich Aemilianus aus der Festung kommen. Er blickte zu uns empor und hob das Schwert.

»Wir haben gewonnen«, sagte Callimachus.

»Diese Schlacht«, schränkte ich ein.

»Ja.«

Natürlich gedachten wir über der Festung nicht die Flaggen von Port Cos, Victoria oder Ar-Station wehen zu lassen.

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