John Norman Der Leibwächter von Gor

1

Die meisten goreanischen Schiffe besitzen einen konkav geformten Bug, der anmutig geschwungen im Wasser verschwindet. Eine solche Bauweise erleichtert das Anbringen der Rammhalterung mitsamt der Rammspitze.

Beinahe starr vor Angst sah ich zu, wie die erste der grauen Galeeren in schneller Fahrt aus dem Nebel herbeiglitt und wie ein Lebewesen gegen die Kette anrannte.

Ringsum ertönten die Kriegshörner. Ihr Klang wurde weiter entfernt aufgegriffen, zuerst auf der Mira, dann auch auf der Talender.

Ein mächtiger Laut war zu hören, der Aufprall des Schiffs auf die schwere Kette, gefolgt von einem durchdringenden Knirschen und Scharren, denn die Galeere hob die Kette nun aus dem Wasser. Fasziniert sah ich die tropfenden schwarzen Metallglieder, die am Bug entlangglitten, Holz splittern ließen und Farbe abschabten. Und schon schwang die ganze Galeere, von der Kette zurückprallend, zur Seite. Ruder brachen.

»Die Kette hält!« rief Callimachus begeistert.

Irgend etwas zuckte an mir vorbei, so schnell, daß ich es kaum bemerkte.

»Zündet das Pech an!« rief Callimachus. »Spannt die Katapulte! Bindet die Wurfspieße los! Alle Bogenschützen auf ihre Posten!«

Auf dem feindlichen Schiff bemerkte ich mittschiffs zwei Bogenschützen. Sie waren mit kräftigen kurzen Schiffsbögen bewaffnet. Die Entfernung betrug etwa vierzig Meter.

Gebannt starrte ich sie an.

»Runter!« brüllte Callimachus. »Nimm Deckung!«

Ich duckte mich hinter die Bordwand. Zweimal hörte ich das seltsame Sirren in der Luft, von dem ich jetzt wußte, daß es von einem dahinrasenden langen schmalen Holzstück verursacht wurde. Der Pfeil bohrte sich links hinter mir in das Vorderkastell. Der andere prallte funkensprühend auf eine Klampe und schwirrte zur Seite fort.

Nun ertönte auch auf meinem Schiff das Schnappen von Bogensehnen. »Noch nicht schießen!« rief Callimachus.

Ich hob den Kopf und sah die feindliche Galeere auf der Backbordseite rückwärtsrudern, bis sie wieder richtig lag, woraufhin sich das Schiff dann von der Kette zurückzog.

Etwa fünfzig Meter prallte eine andere Galeere gegen die Kette; der Stoß war nur zu hören. Jubelgeschrei hallte über das Wasser. Offenbar hatte das metallene Flußhindernis wieder gehalten.

Auf der anderen Seite der Kette gellten Signalhörner.

Callimachus hatte das Vorderkastell erstiegen. »Löscht das Pech!« rief er.

Ich versuchte im Nebel etwas zu erkennen. Es sah nicht so aus, als befänden sich noch feindliche Schiffe an der Kette.

Callimachus, der zwanzig Fuß über mir die Hände auf die Reling des Bughauses gestemmt hatte, starrte in den Nebel hinaus. »Kurs halten!« rief er den beiden Rudergängern am Heck zu. Plötzlich kam Wind auf und begann am Nebel zu zerren. Die Steuerruder knirschten in ihren Halterungen. Der Rudermeister ließ die Ruder ausfahren.

»Seht!« rief Callimachus und deutete nach Steuerbord, wo der Wind eine große Lücke in die Nebelschwaden gerissen hatte.

Hinter mir ertönte Jubelgeschrei. Sich ins Wasser senkend, den konkaven Bug erhoben, das Heck überflutet, lag eine Piratengaleere an der Kette. Schon waren Männer ins Wasser gesprungen. Weiter hinten lag ein zweites beschädigtes Piratenschiff und zeigte Schlagseite.

»Sie werden es wieder versuchen!« rief Callimachus.

Ich vermutete allerdings, daß die Piraten keinen Direktangriff mehr wagen würden. Vermutlich würden sie die Kette durchschneiden wollen. Und daran mußten sie gehindert werden. Wir mußten ihnen an der Kette Widerstand bieten.

»Rationen für die Männer!« rief Callimachus. »Eßt tüchtig, Leute! Es wird heute noch lebendig!«

Ich steckte mein Schwert ein. Ragnar Voskjard hatte die Kette nicht durchbrechen können. Vielleicht gelang es uns tatsächlich, ihn westlich der Kette zu halten. Ich hatte Hunger.


»Leute, sie kommen!« rief Callimachus vom Bugkastell.

Ich ging nach vorn. Wir schrieben die achte Stunde, und der Nebel hatte sich weitgehend verflüchtigt.

»Kampfbereitschaft!« ordnete Callimachus an.

Ich entdeckte zwei Galeeren, die zwei- bis dreihundert Meter entfernt lagen und sich der Kette näherten. Ein Katapult, das neu eingestellt wurde, knirschte. Bogenschützen gingen hinter geflochtenen Schilden in Stellung. Hier und dort wurden Eimer mit Sand auf dem Deck bereitgestellt. Irgendwo sirrte ein Wetzstein über eine Axtklinge.

Ich sah Callimachus die Hand heben. Ein Offizier hinter ihm würde das Signal weitergeben. Der Rudermeister stand am Aufgang zum Heckkastell und schaute zum Bug herüber. Die Ruder waren bereits ausgefahren. Sicher war keine der feindlichen Galeeren so töricht, sich seitlich an die Kette heranzuwagen. Aber es geschah doch … konnte ich meinen Augen trauen?

Ich sah Callimachus’ Hand herunterzucken. Gleich darauf setzte sich die Tina ruckhaft in Bewegung. Es dauerte keine Ehn, dann war die Kette erreicht. Knirschend glitt die eisenverkleidete Ramme über die Metallglieder und traf den Gegner mittschiffs. Die Schiffshülle knickte splitternd ein. Männer schrien. Der Aufprall hatte mich von den Füßen gerissen. Wieder brach Holz, als wir uns rückwärtsrudernd von dem anderen Schiff lösten. Wasser brauste in das Leck, ein tosendes, schweres Geräusch. Der Gegner war tödlich angeschlagen. Dicht neben mir durchschlug ein schwerer Stein, von einem Katapult geschleudert, das Deck. Ein flammensprühender Wurfspieß bohrte sich dumpf dröhnend in die Heckaufbauten. Pfeile sirrten hin und her. Aber schon hatten wir uns fünfundsiebzig Fuß von der Kette entfernt, an der sich einige Männer festklammerten. Hinter mir stöhnte jemand. Ich riß den Wurfspieß aus der Holzwand und schleuderte ihn, noch immer brennend, über Bord.

Hier und dort gingen andere Galeeren längsseits zur Kette und setzten in kleinen Booten Männer aus, die mit Werkzeugen an den starken Gliedern sägten.

Und wieder gab Callimachus das Zeichen zum Angriff, und wieder bohrte sich die Ramme tief in die Flanke eines feindlichen Schiffes. Und wieder zogen wir uns zurück.

Eine Tonkugel mit brennendem Pech zerplatzte auf unserem Deck. Ein zweites Geschoß fiel an Steuerbord zischend ins Wasser. Unsere Katapulte erwiderten den Beschuß mit Pech und Steinen. Die aufflackernden Brände wurden mit Sand gelöscht.

»Ab jetzt werden sie auf Abstand achten«, sagte Callimachus zu dem Offizier neben sich. »Dann kommen wir mit der Ramme nicht mehr heran.«

Noch während er diese Worte äußerte, begannen sich mehrere Piratenschiffe zurückzuziehen. Die kleinen Boote aber blieben wie Kletten an der Kette hängen.

Langsam rückten wir vor. Ein Pfeilhagel bestrich unser Deck, viele Geschosse blieben im Bugkastell stecken.

»Bogenschützen!« rief Callimachus.

Wir beschossen das nächst erreichbare Beiboot, und zwei Männer stürzten ins Wasser. Andere sprangen freiwillig über Bord und suchten schwimmend die Deckung des nächsten größeren Piratenschiffes.

»Laßt sie nicht in die Nähe der Kette!« rief Callimachus seinen Bogenschützen zu. Mit einem Fernglas der Häuserbauer suchte er anschließend die Kette ab. »Seht doch, Jungs, wie wenig Respekt man vor euch hat!«

Fünf kleine Ruderboote kamen über die Kette. Die Männer darin waren mit Schwertern und Enterhaken bewaffnet. Wollten sie tatsächlich gegen uns kämpfen? Wie die meisten goreanischen Schiffe dieser Type war unsere Galeere flach gebaut; trotzdem mußte ihre Reling hoch über der Bordwand der kleinen Boote liegen.

Die Tina raste auf die Kette zu. Wir überfuhren das erste kleine Boot und zerschmetterten es; Bug und Heck ruckten empor, während die Insassen schreiend ins Wasser sprangen. Ein zweites Boot fiel unseren Steuerbordrudern zum Opfer und kenterte. Die anderen drei flohen zur Kette zurück.

Nun bemerkte ich, daß der Vorstoß zur Ablenkung gedient hatte. Man wollte uns beschäftigen, während andere Ruderboote, mit dicken Flechtschilden geschützt, zur Kette vorrückten. Hinter diesen Schilden waren die Umrisse von Männern auszumachen, die sich mit Sägen an der Kette zu schaffen machten.

Wir waren aber nicht lange genug abgelenkt worden.

Wieder näherte sich die Tina der Kette und schwang breitseits herum. »Feuer!« schrie Callimachus.

Pfeile bohrten sich in das dichte Geflecht, richteten aber keinen großen Schaden an, obwohl manche Spitzen bis zu einem Fuß weit hindurchdrangen. Die Pfeile steckten in der starken Schutzwand fest. Außerdem gab es von den Piratengaleeren heftiges Gegenfeuer zum Schutz der kleinen Boote. Die Flechtschilde unserer Bogenschützen waren im Nu gespickt mit Federn und Holz.

Ein schwerer Katapultstein ließ die Reling unserer Heckaufbauten zersplittern.

»Dichter heran! Dichter heran!« rief Callimachus.

Auf kurze Entfernung wurde brennendes Pech durch die Luft geschleudert. Pfeile suchten sich rasend ihr Ziel. Plötzlich erschien ein Arm über der Reling dann kletterte ein tropfnasser Mann an Bord. Ich begegnete ihm mit dem Schwert und zwang ihn ins Wasser zurück. Deutlich sah ich die schimmernden Augen von Piraten, nur wenige Fuß entfernt, durch ein wenig Wasser und die Kette voneinander getrennt.

Hinter der Reling des gegnerischen Schiffes tauchte ein Mann auf und hob seinen Bogen. Doch in der nächsten Sekunde traf ihn ein Pfeil in die Brust und ließ ihn zurücktorkeln.

Ich hörte die Kette an der Außenwandung der Tina entlangschaben, dann traf das Steuerbord-Scherblatt gegen das Holz eines Langbootes. Gleich darauf glitten wir an der Kette entlang, und unsere Steuerbord-Ruder schlugen die geflochtene Deckung eines anderen Ruderbootes locker, das sich der Kette zu sehr genähert hatte.

Auf der gegenüberliegenden Galeere wurden Fäuste geschüttelt.

Die Tina wendete bereits wieder. Die Überreste zweier Langboote schwammen im Wasser.

»Ruder zurück!« rief Callimachus. Die Tina entfernte sich rückwärts, den Bug auf die Kette gerichtet.

Die Piratenschiffe waren ebenfalls auf Abstand gegangen. Die zehnte Ahn, die goreanische Mittagsstunde, stand bevor.

Callimachus übergab seinem Offizier das Kommando und verließ das Vorderkastell.

»Glaubst du, Voskjard wird sich zurückziehen?« fragte ich.

»Nein.«

»Wann wird er es wieder versuchen?« wollte ich wissen.

»Wann rechnest du damit?«

»Heute abend.«

»Natürlich.«

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