5.

Victor Grego drückte seine Zigarette langsam aus.

»Ja, Leonhard«, sagte er geduldig. »Das ist sehr interessant und zweifellos eine bedeutsame Entdeckung, aber ich begreife nicht, warum Sie darum so einen Wirbel veranstalten. Befürchten Sie, daß ich Ihnen vorwerfe, daß Leute, die nicht zur Gesellschaft gehören, Ihnen zuvorgekommen sind? Oder haben Sie einfach den Verdacht, daß alles, womit Bennet Rainsford zu tun hat, automatisch eine teuflische Verschwörung gegen die Gesellschaft ist?«

Leonhard Kellogg verzog schmerzhaft das Gesicht. »Worauf ich hinauswollte, Victor, ist, daß dieser Rainsford und dieser Holloway überzeugt sind, daß diese Fuzzys, wie sie sie nennen, keine Tiere, sondern vernunftbegabte Wesen sind.«

»Aber… das würde Zarathustra ja zu einem Planeten der Klasse IV machen!«

»Und die Gesellschaft hat nur einen Vertrag für die Klasse III«, fügte Kellogg hinzu. »Für einen unbewohnten Planeten.«

Der ebenfalls automatisch ungültig wird, wenn auf Zarathustra vernunftbegabte Lebewesen entdeckt werden.

»Sie wissen doch, was geschehen würde, wenn das stimmte?«

»Nun, ich denke mir, daß die Verträge neu ausgehandelt werden müßten, und da das Kolonialbüro jetzt weiß, was für ein Planet das ist, würde man mit der Gesellschaft nicht gerade großzügig sein…«

»Man würde überhaupt nicht mit uns verhandeln, Leonhard. Die Föderationsregierung würde einfach die Stellung einnehmen, daß die Gesellschaft bereits ausreichende Profite aus ihren ursprünglichen Investitionen gezogen hat, und würde uns — das hoffe ich wenigstens — im Wert unserer gegenwärtigen Besitztümer entschädigen. Der Rest verfiele dann an den Fiskus.«

Alle Veldtierherden auf Beta und Delta, die nicht das Brandzeichen der Gesellschaft trugen. Alle noch ungehobenen Mineralienschätze, alles bebaubare Land. Es würde jahrelange Verhandlungen bedeuten, um den Anspruch wenigstens auf Big Blackwater durchzusetzen. Die Terra-Baldur-Marduk-Spacelines würden die Gesellschaft verklagen, weil sie ihr Vorstimmrecht verlöre, und auf jeden Fall würde das Import-Export-Monopol der Gesellschaft sich zur Luftschleuse hinaus verflüchtigen.

Und Nick Emmert, guter Freund und wichtiger Aktionär der Gesellschaft, würde verschwinden. Dafür würde ein Generalgouverneur des Kolonialbüros mitsamt seinen Truppen und einer komplizierten Bürokratie an seine Stelle treten. Das bedeutete freie Wahlen, ein parlamentarisches System, und Hinz und Kunz würden der Gesellschaft Gesetze vorsetzen — und eine Kommission für Eingeborenenangelegenheiten, die ihre Nase in alles steckte.

»Aber sie können uns doch nicht einfach alle Verträge aufkündigen«, beharrte Kellogg. »Das wäre ungerecht!« Und, als gäbe das den Ausschlag, fügte er hinzu: »Es ist doch nicht unsere Schuld!«

Grego zwang sich, seine Ungeduld nicht zu zeigen. »Leonhard, bitte, versuchen Sie sich doch darüber klar zu werden, daß die Terraföderation sich einen Teufel darum schert, ob es gerecht ist oder nicht oder wessen Schuld es ist. Die Föderationsregierung bedauert die Verträge, die sie mit der Gesellschaft abgeschlossen hat, und zwar seit dem Zeitpunkt, seit sie gemerkt hat, was sie damit weggegeben hat. Denn dieser Planet ist mehr wert als Terra, selbst vor den Atomkriegen. Wenn sie jetzt also eine Gelegenheit bekommen, ihn zurückzuerhalten — dazu noch mit Verbesserungen — glauben Sie dann etwa, daß sie ihn nicht nehmen? Und was soll sie hindern? Wenn diese Geschöpfe auf dem Beta-Kontinent vernunftbegabte Wesen sind, dann ist unser Vertrag nicht das Papier wert, auf das er geschrieben wurde, und damit ist alles aus.« Er schwieg einen Augenblick. »Sie haben doch das Band gehört, das Rainsford Jimenez überspielt hat. Hat er oder Holloway denn ausdrücklich behauptet, daß diese Wesen wirklich vernunftbegabt sind?«

»Nein, so ausdrücklich nicht. Holloway bezog sich ständig als Leute auf sie, aber er ist schließlich nur ein unwissender alter Prospektor. Rainsford hat sich natürlich nicht festgelegt, nach keiner Seite; aber er ließ sich alle Wege offen.«

»Gehen wir einmal davon aus, daß ihr Bericht stimmt — könnten diese Fuzzys denn vernunftbegabt sein?«

»Wenn wir das unterstellen, ja«, sagte Kellogg unwillig. »Ohne weiteres.«

An Hand der vorliegenden Beweise blieb Kellogg kaum ein anderer Schluß übrig.

»Ich werde Ernst Mallin mitnehmen«, sagte Kellogg schließlich. »Dieser Rainsford hat keine Ahnung von Psychowissenschaften. Vielleicht kann er noch auf Ruth Ortheris Eindruck machen, nicht aber auf Ernst Mallin — wenigstens nicht, nachdem ich zuvor mit Mallin gesprochen habe.« Er überlegte kurz. »Wir müssen diesem Holloway die Fuzzys wegnehmen, dann veröffentlichen wir einen Bericht über ihre Entdeckung, wobei wir sorgfältig darauf achten müssen, daß Rainsford und Holloway auch alle Entdeckerehren zugesprochen bekommen. Wir werden sogar die Bezeichnung übernehmen, die sie für sie geprägt haben. Aber wir werden auch darauf hinweisen, daß diese Fuzzys, obgleich sehr intelligent, auf keinen Fall vernunftbegabte Wesen sind. Wenn Rainsford an dieser Behauptung festhält, werden wir das Ganze als einen ausgemachten Schwindel bezeichnen.«

»Glauben Sie, daß er schon einen Bericht an das Institut für Xeno-Wissenschaften geschickt hat?«

Kellogg schüttelte den Kopf.

»Ich glaube, er wird versuchen, einige von unseren Kollegen auf seine Seite zu bringen; zumindest aber, daß sie seine und Holloways Beobachtungen bestätigen.«

»Er wird damit bald beginnen, wenn man ihn nicht daran hindert. Und in spätestens einem Jahr wird hier eine kleine Armee von Schnüfflern auftauchen. Bis dahin müssen Rainsford und Holloway gründlich diskreditiert sein. Leonhard, Sie müssen Holloway diese Fuzzys wegnehmen, und dann werde ich persönlich garantieren, daß sie für eine Untersuchung nicht zur Verfügung stehen werden. Fuzzys«, sagte er nachdenklich. »Es handelt sich doch um Pelztiere, nicht wahr?«

»Holloway erzählte auf dem Band von ihrem weichen, seidigen Pelz.«

»Gut. Darauf müssen Sie in Ihrem Bericht besonders hinweisen. Sobald er veröffentlich ist, wird die Gesellschaft zweitausend Sol pro Stück für Fuzzypelze bieten. Bis Rainsfords Bericht uns jemanden von Terra hergelockt hat, sind diese Biester vielleicht schon alle ausgerottet.«

Kellogg musterte ihn bestürzt.

»Aber, Victor, das wäre ja Völkermord!«

»Unsinn! Unter Völkermord versteht man die Ausrottung einer Rasse vernunftbegabter Wesen. Das hier sind Pelztiere. Es ist an Ihnen und Ernst Mallin, das zu beweisen.«


Die Fuzzys, die auf dem Rasen vor dem Lager spielten, erstarrten und blickten nach Westen. Dann rannten sie alle zu der Bank neben der Küchentür und kletterten hastig hinauf.

»Was ist los?« fragte Jack Holloway.

»Sie hören einen Gleiter«, erklärte Rainsford. »So haben sie sich gestern auch verhalten, als du mit deinem Gleiter herankamst.« Er sah zu dem Picknick-Tisch, den sie unter dem Federblattbaum gedeckt hatten. »Alles fertig?«

»Alles, außer dem Mittagessen. Das ist frühestens in einer Stunde fertig. Jetzt sehe ich sie.«

»Du hast bessere Augen als ich, Jack. Oh, jetzt erkenne ich sie auch. Hoffentlich ziehen die Kleinen eine gute Schau für sie ab«, fügte er besorgt hinzu.

Rainsford war aufgeregt gewesen, seit er angekommen war. Nicht, daß diese Leute aus Mallorys Port so bedeutend waren: in Wissenschafts-Kreisen hatte Ben einen besseren Namen als irgend jemand der Mitarbeiter der Gesellschaft. Er war einfach wegen der Fuzzys erregt.

Der Gleiter war zuerst ein kaum sichtbarer Fleck am Himmel, aber jetzt wurde er immer größer und landete schließlich auf der Lichtung. Als der Antigrav-Antrieb abgeschaltet war, gingen Holloway und Rainsford, begleitet von den Fuzzys, die von ihrer Bank heruntergesprungen waren, auf das Fahrzeug zu.

Die drei Besucher kletterten aus dem Gleiter. Ruth Ortheris trug lange Hosen und einen Pullover; die Hosen waren in knöchelhohen Stiefeln gesteckt. Gerd van Riebeek hatte offensichtlich viel Außendienst geleistet: Er trug robuste Stiefel, einen alten, verwaschenen Khakianzug und eine respektheischende Waffe, die zeigte, daß er sehr wohl wußte, was er hier im Piedmont zu erwarten hatte. Juan Jimenez war in den selben Sportanzug gekleidet, den er gestern am Bildschirm getragen hatte. Alle drei trugen sie fotografische Geräte bei sich. Sie schüttelten reihum die Hände, als sie sich begrüßten, und dann forderten die Fuzzys Aufmerksamkeit und tobten herum. Schließlich begaben sich alle, Fuzzys und Menschen, zu dem Tisch unter den Bäumen.

Ruth Ortheris setzte sich mit Mama und Baby ins Gras; sofort interessierte sich Baby für ein silbernes Amulett, das sie an einer Kette um den Hals trug. Dann versuchte es, sich auf ihren Kopf zu setzen. Sanft aber bestimmt verwehrte sie ihm das. Juan Jimenez hockte zwischen Mike und Mitzi und untersuchte die beiden abwechselnd, wobei er leise in ein Mikrofon sprach, das zu einem Tonbandgerät auf seiner Brust gehörte. Überwiegend benutzte er lateinische Worte. Gerd van Riebeek hatte sich in einen Klappstuhl gesetzt und beschäftigte sich mit Little Fuzzy, der auf seinem Schoß saß.

»Wissen Sie, das ist irgendwie erstaunlich«, sagte er. »Nicht nur, daß man nach fünfundzwanzig Jahren so etwas entdeckt, sondern daß es auch etwas so Eigenartiges gibt. Hier, er hat nicht die geringsten Rudimente eines Schwanzes, und auf dem ganzen Planeten gibt es keine schwanzlosen Tiere. Außerdem: Auf dem ganzen Planeten gibt es kein Säugetier, das auch nur im geringsten mit ihm verwandt wäre. Nehmen wir doch unsere Rasse — wir gehören zu einer recht großen Familie, etwa fünfzig Gattungen von Primaten. Aber dieser kleine Kerl hat überhaupt keine Verwandten.«

»Quiek?«

»Und das ist ihm auch völlig egal, nicht wahr?« Van Riebeek strich Little Fuzzy sanft über den Flaum. »He, was ist denn da los?«

Ko-Ko, der auf Rainsfords Schoß gesessen hatte, war plötzlich zu Boden gesprungen, hatte sich seine Schwert-Schaufel gegriffen und schlich jetzt durchs Gras. Alle Menschen sprangen auf, griffen zu ihren Kameras. Die Fuzzys schienen über eine solche Aufregung verwundert zu sein. Schließlich ging es doch nur um eine Landgarnele.

Jetzt stand Ko-Ko vor ihr, klopfte ihr auf die Nase, um sie zum Stehen zu bringen, dann stellte er sich in dramatischer Pose auf, ließ seine Waffe wirbeln und ließ sie auf den Hals der Garnele heruntersausen. Sekunden später hatte er sie umgedreht, den Panzer aufgeschlagen und begonnen, sie auszunehmen.

Während des Essens sprachen sie einzig und allein über die Fuzzys. Die Objekte ihrer Unterhaltung knabberten derweil an Leckerbissen, die man ihnen gab, und unterhielten sich quiekend. Gerd van Riebeek vermutete, daß sie sich über die seltsamen Angewohnheiten der menschenartigen Wesen unterhielten. Juan Jimenez musterte ihn daraufhin verstört, als fragte er sich, wie ernst Riebeek diese Bemerkung gemeint hatte.

»Wissen Sie, was mich in dem Bandbericht am meisten beeindruckte, war der Zwischenfall mit dem Scheusal«, sagte Ruth Ortheris. »Jedes Tier, daß sich auf eine Verbindung mit Menschen einläßt, wird versuchen, seine Aufmerksamkeit zu erregen, wenn etwas nicht stimmt, aber ich habe noch nie von einem gehört, nicht mal einem freyanischen Kholph oder einem terranischen Schimpansen, das dazu die Pantomime benutzen würde. Little Fuzzy hat aber tatsächlich Symbole benutzt, indem der die hervorstechenden Merkmale eines Scheusals abstrahierte.«

»Sie glauben, diese Geste mit dem steifen Arm und das Bellen sollten ein Gewehr darstellen?« fragte Gerd van Riebeek. »Er hat Sie schon vorher schießen sehen, nicht wahr?«

»Ich glaube nicht, daß es etwas anderes hätte sein sollen. Er wollte mir sagen: ›Großes häßliches Ding draußen. Schieß es wie die Harpyie‹. Und wenn er nicht an mir vorbeigerannt wäre und es mir gezeigt hätte, hätte mich das Scheusal umgebracht.«

Zögernd meldete sich Jimenez zu Wort. »Ich weiß, daß ich davon nichts verstehe — Sie sind der Fuzzy-Experte. Aber wäre es nicht möglich, daß Sie hier zu einfach menschliche Maßstäbe übertragen? Daß Sie sie mit Ihren eigenen Merkmalen und gedanklichen Strukturen versehen?«

»Juan, das werde ich nicht sofort beantworten. Ich glaube, ich werde es überhaupt nicht beantworten. Warten Sie ab, bis Sie etwas länger in Gesellschaft der Fuzzys sind, und dann fragen Sie noch einmal — aber am besten sich selbst.«


»Sie sehen also, Ernst, das ist das Problem.«

Leonhard Kellogg legte diese Worte noch auf das bisher Gesagte drauf, um ihm das rechte Gewicht zu verleihen. Dann wartete er. Ernst Mallin saß reglos da, die Ellbogen auf den Tisch und das Kinn in die Hände gestützt. Feine Runzeln erschienen an seinen Lippenrändern.

»Ja. Ich bin natürlich kein Anwalt, aber…«

»Das ist keine rechtliche Frage. Es ist ein Problem für einen Psychologen.«

Damit lag es wieder bei Ernst Mallin, wie er wußte.

»Ich müßte sie schon selbst sehen, bevor ich meine Meinung dazu sagen kann. Sie haben Holloways Band bei sich?« Als Kellogg nickte, fuhr Mallin fort: »Hat einer von ihnen ausdrücklich behauptet, es handle sich um vernunftbegabte Wesen?«

Kellogg gab die gleiche Antwort, die er Victor Grego gegeben hatte, fügte dann noch hinzu:

»Der Bericht besteht beinahe ausschließlich aus Holloways unbestätigten Behauptungen über Dinge, von denen er angibt, der einzige Augenzeuge gewesen zu sein.«

»Ah.« Mallin gestattete sich ein kleines Lächeln. »Und er ist kein qualifizierter Beobachter. Was das betrifft, ist das auch Rainsford nicht, unabhängig davon, welche Position er als Xeno-Wissenschaftler einnimmt. In den Psychowissenschaften ist er ein völliger Laie. Er hat einfach die Angaben eines anderen unkritisch übernommen. Und was die Beobachtungen betrifft, die er behauptet, selbst gemacht zu haben — woher wissen wir denn, daß darin nicht eine Menge falscher Eindrücke enthalten sind?«

»Woher wollen wir wissen, daß er nicht einen gewollten Betrug veranstaltet?«

»Aber, Leonhard, das ist doch eine schwerwiegende Anschuldigung.«

»Das ist alles schon dagewesen. Wie etwa der Kerl, der eine Marsianische Hochland-Inschrift in einer Höhle in Kenia angebracht hat, zum Beispiel. Oder Hellermans Behauptung, eine terranische Maus mit einem thoranischen Tilbras gekreuzt zu haben. Oder der Piltdown-Mensch im ersten präatomaren Jahrhundert?«

Mallin nickte. »Keiner von uns wünscht sich so etwas, aber Sie haben recht, es ist schon vorgekommen.«

»Dann ist es unsere Pflicht, diese Geschichte zu verhindern, bevor daraus ein Skandal in Hellermans’schen Dimensionen wird.«

»Zuerst müssen wir das Band überprüfen, damit wir wissen, womit wir es genau zu tun haben. Dann müssen wir diese Tiere gründlich und unvoreingenommen überprüfen und Rainsford und seinem Komplizen klarmachen, daß man der wissenschaftlichen Welt nicht ungestraft solche lächerlichen Behauptungen auftischen kann. Wenn wir sie nicht im Guten überzeugen können, bleibt uns nichts anderes übrig, als das in aller Öffentlichkeit zu tun.«

»Ich habe das Band schon gehört, aber wir können es ja noch einmal abspielen. Wir wollen diese Tricks analysieren, die dieser Holloway den Tieren beigebracht hat, und sehen, was sie beweisen.«

»Ja, natürlich, das müssen wir sofort tun«, sagte Mallin. »Dann werden wir überlegen müssen, was für eine Erklärung wir herausgeben und welche Art Beweismaterial wir zu ihrer Unterstützung benötigen.«


Nach dem Abendessen durften die Fuzzys auf dem Rasen herumtollen. Als aber dann die Dämmerung aufkam, gingen sie alle ins Haus, und jeder bekam eins der neuen Spielzeuge aus Mallorys Port — eine große Kiste mit vielfarbigen Bällen und kurze Stäbe aus durchsichtigem Plaste. Sie wußten nicht, daß es sich um einen Molekülmodellbaukasten handelte, stellten aber schnell fest, daß die Stäbe in die Löcher in den Bällen paßten und daß man auf diese Weise dreidimensionale Gebilde bauen konnte.

Das machte viel mehr Spaß als die bunten Steine. Sie bauten sich einige kleinere Gebilde, zerlegten sie dann aber wieder und begannen mit einem einzigen großen Stück. Ein paarmal rissen sie es wieder ab und begannen von vorn, gewöhnlich von erheblichem Quieken und Gestikulieren begleitet.

»Sie haben eine künstlerische Ader«, sagte van Riebeek. »Ich habe schon viele abstrakte Skulpturen gesehen, die nicht halb so gut waren wie das, was sie hier tun.«

»Gute Ingenieure sind sie auch«, fügte Jack hinzu. »Sie verstehen etwas von Gleichgewicht und vom Schwerpunkt. Sie stützen das Ganze gut ab und achten darauf, daß es nicht kopflastig wird.«

»Jack, ich habe über die Frage nachgedacht, die ich mir selbst stellen sollte«, sagte Jimenez. »Wissen Sie, ich kam voller Mißtrauen hierher. Nicht, daß ich an Ihrer Ehrlichkeit zweifelte; ich hatte nur gedacht, daß Sie Ihre Zuneigung, die Sie offenbar zu den Fuzzys verspüren, so weit gehen lassen, daß Sie ihnen mehr Intelligenz zuschreiben, als sie wirklich besitzen. Jetzt dagegen meine ich, daß Sie sie sogar unterschätzen. Abgesehen von tatsächlicher Vernunft habe ich noch nie etwas Ähnliches gesehen.«

»Warum abgesehen?« fragte van Riebeek. »Ruth, Sie waren den ganzen Abend so ruhig — was meinen Sie?«

Ruth Ortheris schien unschlüssig zu sein. »Gerd, es ist noch zu früh, um sich eine Meinung zu bilden. Ich weiß, daß die Art, wie sie zusammenarbeiten, nach zweckvoller Tätigkeit auf ein vereinbartes Ziel hindeutet, aber ich kann dieses Quieken einfach nicht als Sprache erkennen.«

»Lassen wir doch einmal die Sprache und die Feuer-Regel beiseite«, sagte van Riebeek. »Wenn sie an einem gemeinsamen Projekt arbeiten, müssen sie doch irgendwie kommunizieren.«

»Das ist keine Kommunikation, das ist Symbolisieren. Man kann einfach nicht vernunftbegabt denken, ausgenommen in verbalen Symbolen.«

»Ich beharre darauf, daß eine Sprache nicht entwickelt werden kann, wenn nicht vorher Vernunft existiert«, sagte Jack.

Ruth lachte. »Das erinnert mich an mein College. Es war die bedeutsamste Frage der Studenten im ersten Jahr. Im zweiten bereits wurde uns aber klar, daß es die alte Huhn-oder-Ei-Geschichte ist.«

»Nun, vielleicht sind sie nur geringfügig vernunftbegabt«, warf Jimenez ein.

Ruth Ortheris lacht wieder. »Das wäre dasselbe, als spreche man davon, daß jemand geringfügig tot ist oder nur ein wenig schwanger«, sagte sie dann. »Man ist es, oder man ist es eben nicht.«

»Vernunft«, versuchte van Riebeek zu erklären, »ist das Ergebnis der natürlichen Selektion in der Evolution, genauso, wie es bei körperlichen Merkmalen abläuft, und es ist ein äußerst wichtiger Schritt in der Evolution jeder Rasse, eingeschlossen unsere eigene.«

»Moment mal, Ruth«, meldete sich Rainsford. »Soll das heißen, daß es in bezug auf Vernunft keine graduellen Unterschiede gibt?«

»Nein. Es gibt Grade der geistigen Entwicklung — Intelligenz, wenn Sie so wollen —, genauso wie es Temperaturgrade gibt. Aber Vernunft ist eben fundamental unterschiedlich zu Nicht-Vernunft. Man könnte es so ausdrücken, daß eine Entwicklung der Intelligenz sich so steigert, daß sie schließlich einen Siedepunkt erreicht, von dem an man von Vernunft sprechen kann.«

»Ich halte das für eine sehr gute Analogie«, gestand Rainsford ein. »Aber was geschieht, wenn dieser Siedepunkt erreicht ist?«

»Genau das müssen wir herausfinden«, sagte van Riebeek ihm. »Wir wissen heute genausowenig, wann Vernunft aufgetreten ist, wie im Jahre Null oder im Jahr 654 der präatomaren Ära.«

»Einen Augenblick«, unterbrach Jack. »Bevor wir weiterreden, sollten wir einmal den Begriff ›Vernunft‹ definieren.«

Van Riebeek lachte. »Haben Sie schon einmal versucht, von einem Biologen eine Definition des Begriffs ›Leben‹ zu bekommen?« fragte er. »Oder von einem Mathematiker die Definition des Begriffs ›Zahl‹?«

»Das ist es ja gerade«, sagte Ruth Ortheris. Mit einem Blick zu den Fuzzys versuchte sie, eine Definition zu geben. »Ich würde sagen, ein gewisses Niveau geistiger Aktivität, das sich qualitativ von der Nicht-Vernunft darin unterscheidet, daß es die Fähigkeit einschließt, Ideen zu symbolisieren, aufzuspeichern und weiterzuleiten, ebenso wie die Fähigkeit zu Verallgemeinern und die Fähigkeit, abstrakte Ideen zu bilden. Da — jetzt habe ich kein Wort von Sprache und Feuermachen gesagt.«

»Little Fuzzy symbolisiert und verallgemeinert«, sagte Jack. »Er symbolisiert ein Scheusal mit drei Hörnern, und er symbolisiert ein Gewehr als ein langes Etwas, das Lärm macht. Gewehre töten Tiere. Harpyien und Scheusale sind Tiere. Wenn ein Gewehr eine Harpyie tötet, wird es auch ein Scheusal umbringen.«

Bevor irgend jemand weitersprechen konnte, begann das Visif on zu summen. Die Fuzzys rannten alle hinüber zu dem Gerät, und Jack schaltete es ein. Der Anrufer war ein Mann im grauen Anzug mit welligem Haar und einem Gesicht, das aussah wie das von Juan Jimenez in zwanzig Jahren von heute.

»Guten Abend, hier ist Holloway.«

»Oh, Mr. Holloway, guten Abend.« Der Anrufer schüttelte sich die Hand und lächelte. »Ich bin Leonhard Kellogg, Leiter der wissenschaftlichen Abteilung der Gesellschaft. Ich habe mir das Band angehört, das Sie über die… die Fuzzys besprochen haben.« Er blickte auf den Boden. »Sind das einige von diesen Tieren?«

»Das sind die Fuzzys.« Jack Holloway hoffte, daß der andere diese Korrektur verstanden hatte. »Dr. Bennett Rainsford ist hier bei mir, zusammen mit Dr. van Riebeek und Dr. Ortheris.« Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, daß Jimenez sich wand, als würde er von Ameisen gebissen, während van Riebeek mit undurchdringlicher Miene auf den Bildschirm starrte und Ben Rainsford ein Grinsen unterdrückte. »Einige von uns sind außer Sichtweite, und ich bin sicher, daß Sie viele Fragen stellen wollen. Entschuldigen Sie uns einen Moment, während wir näherrücken.«

Er achtete nicht auf Kelloggs Protest, daß das doch nicht nötig sei, bis die Stühle alle vor den Bildschirm gerückt waren. Dann reichte er noch Fuzzys herum, wobei Ben Little Fuzzy erhielt, Gerd Ko-Ko, Ruth Mitzi und Jimenez Mike; Mama und Baby nahm er selbst auf den Schoß.

Baby begann sofort, ihm auf den Kopf zu klettern, wie er es erwartet hatte. Das schien Kellogg, ebenfalls wie erwartet, aus dem Konzept zu bringen. Er beschloß, Baby zu einem späteren Zeitpunkt beizubringen, eine lange Nase zu machen, sobald er ein entsprechendes Zeichen gab.

»So, und jetzt zu dem Band, das ich gestern abend besprochen habe«, begann er.

»Ja. Mr. Holloway.« Kelloggs Lächeln wurde von Minute zu Minute mechanischer. Er hatte Schwierigkeiten, seinen Blick von Baby abzuwenden. »Ich muß sagen, daß es mich sehr erstaunt hat, welche hohe Intelligenzstufe diesen Tieren zugeschrieben wird.«

»Und jetzt wollen Sie sehen, was für ein großer Lügner ich bin. Ich nehme Ihnen das nicht übel; es fiel mir selbst schwer, es zu glauben.«

Kellogg lachte breit und melodisch.

»Oh nein, Mr. Holloway; bitte mißverstehen Sie mich nicht. Ich habe nie dergleichen gedacht.«

»Hoffentlich nicht«, warf Ben Rainsford nicht gerade freundlich ein. »Wenn Sie sich erinnern — ich habe mich für Mr. Holloways Angaben verbürgt.«

»Natürlich, Bennett, das steht außer Zweifel. Gestatten Sie mir, Ihnen zu dieser außergewöhnlichen wissenschaftlichen Entdeckung zu gratulieren. Eine völlig neue Säugetierart…«

»Bei der es sich um die neunte extrasolare vernunftbegabte Rasse handeln könnte«, ergänzte Rainsford.

»Guter Gott, Bennett!« Kellogg mimte verhaltene Überraschung. »Das ist doch nicht Ihr Ernst?« Wie der sah er zu den Fuzzys, lächelte erneut und lachte ein wenig.

»Ich dachte, Sie hätten das Band gehört«, meinte Rainsford.

»Natürlich, und was da berichtet wird, ist äußerst bemerkenswert. Aber Vernunft! Nur weil man ihnen ein paar Tricks beigebracht hat und sie Stöcke und Steine als Waffen benutzen…« Jetzt zeigte er wieder ein ernstes Gesicht. »Solch eine weitreichende Behauptung kann man doch erst nach sorgfältigen Untersuchungen aufstellen.«

»Nun, ich möchte nicht behaupten, daß sie vernunftbegabt sind«, erklärte Ruth Ortheris ihm. »Das ginge frühestens übermorgen. Aber es könnte sehr leicht der Fall sein. Sie besitzen eine Lern- und Entscheidungsfähigkeit, die etwa der eines achtjährigen terranischen Kindes entspricht und die durchaus über der von erwachsenen Angehörigen anderer Rassen, die als vernunftbegabt anerkannt sind, liegt. Und man hat ihnen keine Tricks beigebracht; sie haben durch Beobachtungen und Versuche gelernt.«

»Wenn ich auch etwas dazu sagen darf, Dr. Kellogg«, mischte Jimenez sich ein. »Sie besitzen alle körperlichen Merkmale, die wir bei anderen vernunftbegabten Rassen auch kennen: Untere Gliedmaßen zur Fortbewegung und obere zum Hantieren. Sie gehen aufrecht, sehen zweidimensional, erkennen Farben, die Daumen der Hände liegen sich gegenüber — all das sind Charakteristika, die wir als erforderlich für die Entwicklung von Vernunft ansehen.«

»Das ist ja wunderbar!« sagte Kellogg begeistert. »Das wird Wissenschaftsgeschichte machen. Jetzt wird Ihnen allen ja klar sein, wie unendlich wertvoll diese Fuzzys sind. Sie müssen umgehend nach Mallorys Port gebracht werden, wo sie unter Laborbedingungen von qualifizierten Psychologen untersucht werden können.«

»Nein.«

Jack nahm Baby Fuzzy von seinem Kopf und gab ihn Mama, setzte dann beide auf den Fußboden. Das war eine reine Reflexhandlung, denn er wußte sehr wohl, daß er nicht die Hände frei zu haben brauchte, wenn er mit dem elektronischen Bild eines Mannes ins Streiten geriet, der zweitausend Meilen entfernt war.

»Vergessen Sie, was Sie gesagt haben, und fangen Sie noch einmal von vorn an«, riet er Kellogg.

Kellogg ignorierte ihn. »Gerd, Sie haben doch einen Gleiter dort. Richten Sie ein paar hübsche bequeme Käfige her…«

»Kellogg!«

Der Mann auf dem Bildschirm verstummte und starrte sein Gegenüber indigniert an. Das war das erstemal seit Jahren, daß ihn jemand einfach bei seinem Nachnamen genannt hatte. Nicht Mr. Kellogg oder Sir — und vielleicht zum erstenmal in seinem Leben war er angeschrien worden.

»Haben Sie mich beim erstenmal nicht verstanden, Kellogg? Dann reden Sie keinen Unsinn von Käfigen. Diese Fuzzys werden nirgendwohin gebracht.«

»Aber, Mr. Holloway! Verstehen Sie denn nicht, daß diese kleinen Wesen sorgfältig studiert werden müssen? Wollen Sie denn nicht, daß man ihnen ihren rechtmäßigen Platz in der Natur zuweist?«

»Wenn Sie sie untersuchen wollen, kommen Sie hier heraus und tun Sie es. Das heißt, solange Sie weder sie noch mich belästigen. Und was das Studieren betrifft, so geschieht das hier bereits — Dr. Rainsford untersucht sie, zusammen mit drei von Ihren Leuten. Und wenn man es so bezeichnen kann, dann untersuche ich sie auch.«

»Und ich möchte auch diese Bemerkung betreffs qualifizierter Psychologen klarstellen«, fügte Ruth Ortheris mit einer Stimme zu, die fast den absoluten Nullgrad der Kelvin-Skala erreicht hatte. »Sie werden doch nicht meine berufliche Qualifikation anzweifeln, oder?«

»Oh, Ruth, Sie wissen genau, daß ich nichts dergleichen tun wollte. Bitte mißverstehen Sie mich nicht«, bat Kellogg. »Aber hier handelt es sich um hochspezialisierte Arbeit…«

»Wieviele Fuzzyspezialisten haben Sie denn im Wissenschaftszentrum, Leonhard?« wollte Rainsford wissen. »Der einzige, den ich mir vorstellen kann, ist Jack Holloway hier.«

»Nun, ich hatte an Dr. Mallin gedacht, den Chefpsychologen der Gesellschaft.«

»Der kann auch herkommen, solange er anerkennt, daß er meine Genehmigung für alles braucht, was er mit den Fuzzys anfangen möchte«, erklärte Jack. »Wann dürfen wir Sie erwarten?«

Kellogg meinte, vielleicht am nächsten Nachmittag. Nach einigen kläglichen Versuchen, die Unterhaltung wieder etwas fröhlicher zu gestalten, was ihm aber nicht gelang, schaltete er schließlich ab.

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