10.

Kolonial-Marshal Max Fane war genauso schwer wie Gus Brannhard, aber erheblich kleiner. Zwischen die beiden auf dem Rücksitz des Wagens des Marshals eingeklemmt, betrachtete Jack Holloway die Rücken der beiden uniformierten Beamten auf dem Vordersitz, während sich in seinem Innern Zufriedenheit und freudige Erwartung ausbreiteten. Gleich würde er seine Fuzzys zurückbekommen. Little Fuzzy und Ko-Ko, Mike und Mama Fuzzy, Mitzi und Cinderella; immer wieder sagte er sich diese Namen in Gedanken auf und stellte sich vor, wie sie sich um ihn drängten und glücklich waren, wieder bei Pappi Jack sein zu dürfen.

Der Gleiter senkte sich auf die Landeplattform des Wissenschaftszentrums der Gesellschaft, und im gleichen Augenblick kam ein Polizist der Gesellschaft herübergelaufen. Gus öffnete die Tür, und Jack kletterte nach ihm hinaus.

»He, hier können Sie nicht landen!« schrie der Beamte. »Das ist hier nur für die Direktoren der Gesellschaft!«

Max Fane stieg hinter ihnen aus dem Gleiter, die beiden Beamten kletterten vom Vordersitz aus heraus.

»Was Sie nicht sagen«, meinte Fane. »Mit einem Gerichtsbeschluß lande ich überall. Nehmt ihn gleich mit, Leute, damit er nicht irgendwo über ein Visifon stolpert.«

Der Mann wollte protestieren, ließ sich dann aber widerstandslos mitnehmen. Vielleicht wurde ihm langsam klar, daß die Gerichte der Föderation doch etwas mächtiger als die Gesellschaft waren. Vielleicht glaubte er aber auch, daß eine Revolution ausgebrochen sei.

Leonhard Kelloggs — im Augenblick Ernst Mallins — Büro befand sich im ersten Stock des Penthouses, von der Landeplattform nach unten gezählt. Als sie den Fahrstuhl verließen, wimmelte es in der Halle von Leuten, die aufgeregt in Gruppen diskutierten. Alle verstummten, als sie sahen, wer und was da kam. Fane scheuchte wenige Sekunden später die vier Sekretärinnen aus dem Vorzimmer. Dann nahm er seine Dienstmarke in die Hand und stieß die Tür auf. Kelloggs — im Augenblick Mallins — Sekretärin schien ihnen einige Sekunden zuvorgekommen zu sein, denn sie stand aufgeregt gestikulierend vor Kelloggs — Mallins — Schreibtisch. Mallin erhob sich, erstarrte in der Bewegung. Juan Jimenez stand an der Seite des Raumes und schien nach einem Ausweg Ausschau zu halten. Fane schob auch diese Sekretärin beiseite und hielt Mallin seine Plakette unter die Nase. Dann überreichte er ihm die Dokumente. Mallin starrte ihn erschrocken an.

»Aber wir bewahren diese Fuzzys für Mr. O’Brien, den Staatsanwalt auf«, sagte er. »Ohne seine Genehmigung können wir sie nicht herausgeben.«

»Dies ist eine Anweisung des Gerichts«, sagte Max Fane sanft. »Sie ist von Oberrichter Pendarvis erlassen worden. Was Mr. O’Brien betrifft, so bezweifle ich, daß er noch Staatsanwalt ist. Offen gestanden, ich fürchte sogar, daß er im Gefängnis sitzt. Und dahin«, schrie er plötzlich, während er sich vorbeugte und auf den Tisch schlug, »werde ich auch Sie bringen, wenn Sie die Fuzzys nicht unverzüglich an uns übergeben!«

Wenn Fane sich plötzlich in einen Löwen verwandelt hätte, hätte das Mallin nicht mehr erschüttern können. Unwillkürlich zuckte er vor dem Marshal zurück.

»Aber das kann ich nicht«, protestierte er. »Wir wissen nicht genau, wo sie sich im Augenblick befinden.«

»Sie wissen es nicht.« Fane flüsterte die Worte fast. »Sie geben zu, daß Sie sie hier festhalten, aber Sie… wissen… nicht… wo… sie sind. Noch einmal von vorn, und zwar die Wahrheit diesmal!«

In diesem Moment summte das Visifon. Ruth Ortheris, gekleidet in ein blaues Kostüm, erschien auf dem Bildschirm.

»Dr. Mallin, was geht hier vor?« wollte sie wissen. »Ich bin gerade vom Mittagessen zurückgekommen und finde in meinem Büro eine Horde Männer vor, die alles auf den Kopf stellt. Haben Sie die Fuzzys noch nicht gefunden?«

»Was?« schrie Jack. Im gleichen Augenblick schrie auch Mallin beinah. »Ruth, schweigen Sie! Schalten Sie ab und verschwinden Sie!«

Mit einer für einen Menschen seines Umfangs erstaunlichen Geschwindigkeit fuhr Fane herum und baute sich vor dem Bildschirm auf.

»Ich bin Kolonial-Marshal Fane. Junge Frau, ich möchte, daß Sie unverzüglich hier erscheinen. Und zwingen Sie mich nicht, jemanden nach Ihnen zu schicken, denn das würde weder mir noch Ihnen helfen.«

»Ich komme sofort, Marshal.« Sie schaltete ab.

Fane wandte sich wieder an Mallin. »So — werden Sie mir jetzt endlich die Wahrheit sagen, oder muß ich Sie mitnehmen und unter den Lügendetektor setzen? Wo sind diese Fuzzys?«

»Aber ich weiß es nicht!« jammerte Mallin. »Juan, sagen Sie es ihm; Sie waren für sie verantwortlich. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie hierhergebracht wurden.«

Jack hatte Mühe, den Kloß in seinem Hals herunterzuschlucken und ruhig zu sagen: »Wenn den Fuzzys irgend etwas zugestoßen ist, werden Sie noch Kurt Borch beneiden, bevor ich mit Ihnen fertig bin.«

»Nun, wir haben sie hergebracht. Ich hatte ein paar Käfige herrichten lassen…«

Jimenez sprach nicht zu Ende, denn jetzt trat Ruth Ortheris ein. Sie wich Jacks Blick nicht aus, war aber auch nicht fixiert auf ihn. Sie nickte ihm zu, als hätte sie ihn irgendwo einmal kennengelernt, und setzte sich.

»Was ist vorgefallen, Marshal?« fragte sie. »Warum sind Sie mit diesen Herren hier?«

»Das Gericht hat angeordnet, daß die Fuzzys wieder an Mr. Holloway zurückgegeben werden.« Mallin war völlig aufgelöst. »Er hat hier irgendein Dokument, und wir wissen nicht, wo sie sind.«

»Oh, nicht das!« Auf Ruths Gesicht zeigte sich Entsetzen. »Was kann…« Dann verstummte sie.

»Ich kam gegen sieben Uhr hier an«, sagte Jimenez, »wollte ihnen Nahrung und Wasser geben, und sie waren aus ihren Käfigen ausgebrochen. An einem Käfig war das Gitter locker, und der Fuzzy hatte sich daraus befreit und dann die anderen herausgelassen. Sie kamen in mein Büro — und haben dort ein Chaos hinterlassen — und gelangten dann durch die Tür in die Halle. Jetzt wissen wir nicht, wo sie sind. Und mir ist auch völlig unklar, wie sie das geschafft haben.«

Vermutlich deshalb, weil diejenigen, die sie in diese Käfige gesperrt hatten, immer noch davon ausgegangen waren, es mit dummen kleinen Tieren zu tun zu haben, dachte Jack.

»Jetzt wollen wir die Käfige sehen«, sagte er.


»Sie sagten, einer von ihnen sei aus seinem Käfig ausgebrochen und hätte dann die anderen freigelassen«, sagte Jack zu Jimenez, als sie kurz darauf mit dem Lift hinunterfuhren. »Wissen Sie, welcher es war?«

Jimenez schüttelte den Kopf. »Wir nahmen sie einfach aus den Säcken und steckten sie in die Käfige.«

Wahrscheinlich war es Little Fuzzy gewesen; er war immer das Gehirn der Gruppe gewesen. Unter seiner Führung hatten sie vielleicht eine Chance. Die Schwierigkeit war nur, daß das ganze Haus von Gefahren wimmelte und die Fuzzys keine davon kannten — weder Strahlen noch Gifte und elektrische Drähte oder derlei Dinge. Falls sie überhaupt geflohen waren.

In jedem Korridor, den sie passierten, an jeder Abzweigung konnte er Angestellte der Gesellschaft sehen, die mit Netzen, Keschern und anderem Fanggerät herumrannten. Jimenez führte sie schließlich einen Gang hinunter, an dessen Ende eine Tür offenstand. In dem kleinen Raum dahinter herrschte ein bläulich-weißes Licht von einer Nachtlampe; hinter der Tür stand ein Drehstuhl. Jimenez deutete hinauf.

»Auf den müssen sie gestiegen sein, um die Klinke niederzudrücken und die Tür zu öffnen«, sagte er.

Es war eine Klinke wie an den Türen im Lager, ein Schnappschloß mit einem festen Griff statt einem Knopf. Sie mußten gelernt haben, damit umzugehen. Fane drückte die Klinke versuchsweise nieder.

»Nicht besonders schwierig«, sagte er. »Sind ihre kleinen Freunde kräftig genug, sie zu betätigen?«

Jack probierte es ebenfalls und nickte dann. »Sicher. Und sie sind auch klug genug dazu. Selbst Baby Fuzzy, den einer Ihrer Leute nicht mitnehmen konnte, hätte das geschafft.«

»Und sehen Sie nur, was sie in meinem Büro angestellt haben«, warf Jimenez ein.

»Das kann man ihnen kaum vorwerfen«, sagte Fane. »Jetzt wollen wir doch mal sehen, was sie mit den Käfigen angestellt haben.«

Die Käfige hatten sich in einem Hinterzimmer, in dem alles mögliche gelagert wurde, befunden. Auch dieser Raum hatte ein Schnappschloß mit einer Klinke, und die Fuzzys hatten einen Käfig herübergeschleppt und sich darauf gestellt, um die Tür zu öffnen. Die Käfige selbst waren etwa einen Meter fünfzig lang und einen Meter breit und hatten einen Sperrholzboden, hölzerne Rahmen und ein viertelzölliges Netz an den Seiten und oben. Die Oberseiten besaßen Scharniere und waren mit Haspen, durchgesteckten Bolzen und aufgeschraubten Muttern befestigt. Von fünf Käfigen waren die Muttern abgeschraubt worden, während der sechste von innen heraus aufgebrochen war. Bei diesem war das Netz an einer Ecke vom Rahmen gelöst und dann in einem Dreieck zurückgebogen worden. Die so entstandene Öffnung war groß genug, um einen Fuzzy hindurchzulassen.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Jimenez. »Dieser Draht sieht gerade so aus, als wäre er abgeschnitten worden.«

»Das wurde er auch; Marshal, ich würde einigen Ihrer Leute mal die Hosen strammziehen. Ihre Leute sind bei der Durchsuchung von Gefangenen nicht besonders sorgfältig. Einer der Fuzzys hatte ein Messer.« Er erinnerte sich daran, wie Little Fuzzy und Ko-Ko in den Betten herumgewühlt hatten, und berichtete von den kleinen Messern aus Federstahl, die er angefertigt hatte. »Ich nehme an, er preßte eines an sich, rollte sich zusammen, als ob er furchtbare Angst habe, und ließ sich dann in einen Sack stecken.«

»Und hat dann abgewartet, bis er ganz sicher war, daß er nicht dabei erwischt wurde, als er es benutzte«, sagte der Marshal. »Dieser Draht ist weich genug, um leicht zerschnitten zu werden.« Er wandte sich an Jimenez. »Sie sollten eigentlich froh sein, daß ich nicht zum Geschworenen bestimmt werden kann. Warum geben Sie denn nicht auf und lassen Kellogg ein Gnadengesuch stellen?«


Die Suite im Hotel Mallory war überfüllt, als Jack Holloway mit Gerd van Riebeek zurückkam; lautes Stimmengewirr herrschte, und die Ventilatoren mühten sich redlich, den Tabakrauch hinauszupumpen. Gus Brannhard, Ben Rainsford und Baby Fuzzy hielten eine Pressekonferenz ab.

»Oh, Mr. Holloway, haben Sie sie schon gefunden?« rief jemand, als sie eintraten.

»Nein, wir haben das Wissenschaftszentrum vom Boden bis zum Keller durchsucht. Wir wissen, daß sie ein paar Stockwerke tiefer gegangen sind, aber das ist alles. Ich glaube nicht, daß sie das Haus verlassen konnten, denn der einzige Ausgang auf Straßenhöhe führt durch einen Raum, in dem ein Portier Dienst tut. Und sie sind ganz sicher nicht von einer Landeplattform oder einer Terrasse heruntergeklettert.«

»Ich denke, daß dieser Gedanke sehr unerfreulich ist«, sagte jemand, »aber könnten sie sich nicht in einem Abfallkorb versteckt haben und sind dann in den Massen-Energie-Konverter geworfen worden?«

»Wir haben auch daran gedacht, aber der Konverter befindet sich in einem Kellerraum, dessen einziger Zugang verschlossen war. Außerdem ist in der fraglichen Zeit kein Abfall abtransportiert worden.«

»Nun, das ist gut zu hören, Mr. Holloway. Sie haben die Suche noch nicht aufgegeben?«

»Sprechen wir jetzt über den Sender? Nein, ich habe nicht aufgegeben. Ich werde hier in Mallorys Port bleiben, bis sie gefunden worden sind oder ich sicher sein kann, daß sie sich nicht mehr in der Stadt aufhalten. Ich setze einen Finderlohn von zweitausend Sols für jeden Fuzzy aus, der zu mir zurückgebracht wird. In Kürze werde ich Ihnen genaue Beschreibungen geben…«


Victor Grego öffnete die eisgekühlte Cocktailflasche.

»Noch etwas?« fragte er Leslie Coombes.

»Ja, danke.« Coombes hielt sein Glas hin, bis es gefüllt war. »Wie Sie sagen, Victor, Sie haben die Entscheidung getroffen, aber das taten Sie auf meinen Rat hin, und der Rat war schlecht.«

Er hoffte nur, daß sich der Schaden in Grenzen hielt. Auf jeden Fall versuchte Leslie Coombes nicht, irgendwem den Schwarzen Peter zuzuschieben, und wenn man bedachte, wie ungeschickt O’Brien sich verhalten hatte, hätte er das guten Gewissens tun können.

»Ich bin von falschen Voraussetzungen ausgegangen«, sagte Coombes leidenschaftslos, als diskutiere er einen Fehler, den Hitler oder Napoleon begangen hatte. »Ich hatte gedacht, daß O’Brien nicht eine dieser Blankovollmachten benutzen würde, und ich hatte darüber hinaus nicht angenommen, daß Pendarvis öffentlich zugeben würde, daß er solche Gerichtsbeschlüsse blanko unterzeichnet. Er ist deshalb von der Presse stark kritisiert worden.«

Und er hatte nicht damit gerechnet, daß Holloway und Brannhard vor Gericht ziehen würden. Aber die Irrtümer hatten schon früher eingesetzt. Kellogg hatte nicht erwartet, daß Holloway ihn von seinem Grund und Boden jagen würde. Kurt Borch hatte angenommen, es reiche aus, wenn er mit einer Waffe herumfuchtelte. Und Jimenez hatte erwartet, daß die Fuzzys still in ihren Käfigen sitzen würden. Aber all das sprach er jetzt nicht aus.

»Ich frage mich«, sagte Coombes statt dessen, »wohin sie entkommen sind. Soweit ich weiß, wurden sie im gesamten Gebäude nicht gefunden.«

»Ruth Ortheris hat eine Idee geäußert — sie und ein Assistent mußten Geräte aus dem Zentrum abtransportieren, und sie vermutet, daß die Fuzzys als blinde Passagiere auf dem dazu benutzten LKW mitgefahren sind. Das klingt unglaubwürdig, aber in diesem Fall klingt alles so. Vielleicht können wir sie finden, bevor Holloway es tut. Auf jeden Fall sind sie nicht mehr im Wissenschaftscenter, das ist sicher.« Er füllte sich sein eigenes Glas wieder auf. »O’Brien ist also völlig erledigt?« fragte er dann.

»Völlig. Pendarvis hat ihn vor die Alternative gestellt, zurückzutreten oder eine Anzeige wegen Amtsmißbrauch über sich ergehen zu lassen.«

»Aber sie könnten ihn doch niemals deshalb verurteilen, oder? Vielleicht noch wegen Amtsmißbrauch, aber…«

»Sie könnten ihn verklagen, und dann käme er unter den Lügendetektor, und Sie wissen, was dann so alles herauskommen würde«, sagte Coombes. »Jedenfalls hat diese Geschichte Pendarvis gegen uns gebracht. Ich weiß, daß er völlig objektiv urteilt, aber das ändert nichts daran, daß er im Unterbewußtsein gegen uns sein wird. Für morgen nachmittag hat er eine Konferenz mit Brannhard und mir einberufen. Ich weiß nicht, wie die ausgehen wird.«

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