11.

Die beiden Anwälte hatten sich hastig erhoben, als Oberrichter Pendarvis eintrat; er nickte beiden höflich zu und setzte sich an seinen Tisch, griff nach seiner silbernen Zigarrenkiste und holte eine Panatella heraus. Gustavos Adolphus Brannhard hob seine Zigarre wieder auf, die er beiseite gelegt hatte und machte ein paar Züge. Leslie Coombes fischte eine Zigarette aus seinem Etui. Beide sahen dann den Oberrichter an, abwartend wie zwei gezückte Waffen — eine Streitaxt und ein Rapier.

»Nun, meine Herren, wie Sie wissen, haben wir hier zwei Mordfälle, in denen uns für jeden ein Anklagevertreter fehlt«, begann Pendarvis.

»Aber wieso, Euer Ehren?« fragte Coombes. »In beiden Fällen handelt es sich um Geringfügigkeit. Ein Mann hat ein wildes Tier getötet, und ein anderer tötete einen Menschen, der versuchte, ihn umzubringen.«

»Nun, Euer Ehren, ich glaube nicht, daß meinen Mandanten juristisch oder moralisch irgendeine Schuld trifft«, sagte Brannhard. »Ich möchte, daß das durch einen Freispruch bestätigt wird.« Er sah zu Coombes. »Ich nehme weiter an, daß Mr. Coombes ebenso daran interessiert ist, daß sein Mandant von jeder Spur einer Mordanklage reingewaschen wird.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung. Leute, denen man ein Verbrechen vorgeworfen hat, sollten, wenn sie unschuldig sind, dies auch öffentlich bestätigt bekommen. Aber jetzt zur Sache — ich hatte vor, den Fall Kellogg zuerst und dann den Fall Holloway zu verhandeln. Sind Sie beide damit einverstanden?«

»Absolut nicht, Euer Ehren«, erwiderte Brannhard prompt. »Die Grundlage unserer Verteidigung ist, daß dieser Borch im Zusammenhang mit der Ausübung eines ungesetzlichen Aktes getötet wurde. Wir sind bereit, das zu beweisen, aber wir wollen nicht, daß unser Fall durch eine vorhergehende Verhandlung präjudiziert wird.«

Coombes lachte. »Mr. Brannhard möchte seinen Mandanten reinwaschen, indem er den meinen von vornherein verurteilt. Damit können wir uns natürlich nicht einverstanden erklären.«

»Ja, und er bringt denselben Einwand gegen Sie vor. Nun, ich werde beide Einwände aus der Welt schaffen. Ich werde veranlassen, daß man beide Fälle zusammenlegt und beide Angeklagten zusammen vor Gericht stellt.«

Gus Brannhards Augen leuchteten kurz erfreut auf; Coombes dagegen war gar nicht einverstanden.

»Euer Ehren, ich gehe davon aus, daß dieser Vorschlag scherzhaft gemeint war«, sagte er.

»Das war er nicht, Mr. Coombes.«

»Dann, Euer Ehren, wenn ich das mit allem Respekt sagen darf, muß ich schon sagen, daß dies höchst ungewöhnlich ist — ganz zu schweigen davon, daß es inkorrekt ist, soweit ich mich mit Verfahrensvorschriften auskenne. Wir haben es hier nicht mit einem Fall von zwei Komplizen zu tun, denen man dasselbe Verbrechen vorwirft. Es handelt sich um zwei verschiedene Männer, die zweier verschiedener krimineller Akte bezichtigt werden, und die Verurteilung des einen würde beinahe automatisch den Freispruch des anderen bedeuten. Ich weiß nicht, wer anstelle von Mohammed O’Brien die Anklage vertreten soll, aber ich bedauere den armen Kerl jetzt schon zutiefst. Ja, Mr. Brannhard und ich könnten auch irgendwo Poker spielen, während der Ankläger den Fall allein löst.«

»Nun, wir werden nicht nur einen Anklagevertreter haben, Mr. Coombes, sondern zwei. Ich werde Sie und Mr. Brannhard als Anklagevertreter vereidigen, und Sie können Mr. Brannhards Mandanten und er den Ihren unter Anklage stellen. Ich denke, damit wären alle Schwierigkeiten beseitigt.«

Nur mit großer Mühe gelang es ihm, auf seinem Gesicht die Würde aufrechtzuerhalten, die seinem Amt angemessen war. Brannhard dagegen schnurrte wie ein Tiger, der gerade einen jungen Bock gerissen hatte. Leslie Coombes’ Gelassenheit bröckelte dagegen immer stärker ab.

»Euer Ehren, das ist ein ausgezeichneter Vorschlag«, ließ Brannhard sich vernehmen. »Ich werde mit dem größten Vergnügen die Anklage gegen Mr. Coombes Mandanten vertreten.«

»Nun, alles, was ich sagen kann, Euer Ehren, ist, daß dieser Vorschlag Ihren ersten um Längen schlägt, wenn es darum geht, welcher ungewöhnlicher ist.«

»Nun, Mr. Coombes, ich habe das Gesetz und die Vorschriften der Jurisprudenz sehr sorgfältig überprüft, und ich habe nirgendwo eine Vorschrift gefunden, die einem solchen Vorgehen widerspräche!«

»Ich wette, Sie finden aber auch keinen Präzedenzfall in dieser Richtung!«

Leslie Coombes hätte das eigentlich besser wissen müssen, denn in der kolonialen Rechtssprechung fand sich beinahe für alles ein Präzedenzfall.

»Aber gut«, gestand er dann ein. »Ich hoffe nur, Sie wissen, was Sie tun. Auf jeden Fall bekommen diese beiden Verfahren eine Bedeutung, die über ihre eigentliche weit hinausgeht.«

Gus Brannhard lachte. »Natürlich. Es geht um die Freunde der kleinen Fuzzys gegen die große Zarathustragesellschaft. Ich will beweisen, daß die Fuzzys intelligent, vernunftbegabt sind, und Mr. Coombes möchte im Interesse der Gesellschaft dieses auf jeden Fall verhindern, um der Gesellschaft ihren Vertrag zu erhalten. Um nicht mehr und nicht weniger geht es doch.«

Das war unhöflich von Gus. Leslie Coombes hatte bis zum Schluß genau diesen Eindruck verhindern wollen.


Von jetzt an gab es einen nicht endenwollenden Strom von Berichten, wonach hier oder dort Fuzzys gesehen worden waren, oftmals sogar gleichzeitig in weit auseinanderliegenden Teilen der Stadt. Einige stammten von publicitysüchtigen Menschen oder pathologischen Lügnern und Verrückten, andere waren das Ergebnis ausschweifender Phantasie. Es bestand auch Grund zur Annahme, daß eine nicht geringe Zahl davon ihren Ursprung in der Gesellschaft hatte und nur dazu bestimmt war, die Sucharbeiten zu erschweren. Ein Umstand aber machte Jack Holloway Mut: Die Firmenpolizei der Zarathustragesellschaft führte eine gründliche, wenn auch geheime Suchaktion durch, und gleichzeitig beschäftigte sich die Polizei von Mallorys Port, die unter Kontrolle der Gesellschaft stand, mit der Suche nach den Fuzzys.

Max Fane widmete sich beinahe ausschließlich der Suche. Das hing nicht damit zusammen, daß er der Gesellschaft schlecht gesinnt war, obwohl das zutraf, oder weil der Oberrichter ihn dazu drängte. Der Kolonial-Marshal war einfach für die Fuzzys. Das gleiche galt für die Kolonial-Polizisten, über die Nick Emmerts Verwaltung praktisch keine Autorität besaß. Colonel Jan Ferguson, der Kommandant, unterstand direkt dem Kolonialbüro auf der Erde. Er hatte über Visifon seine Mithilfe angeboten, und George Lunt, drüben auf dem Beta-Kontinent, rief täglich an, um sich nach den Fortschritten zu erkundigen, die die Suchaktion machte.


Binnen einer Woche waren die in Holloways Lager gemachten Filme so oft im Fernsehen gezeigt worden, daß das Interesse an ihnen langsam nachließ. Baby Fuzzy jedoch stand immer noch für neue Aufnahmen zur Verfügung, und es dauerte nur ein paar Tage, bis eine Sekretärin eingestellt werden mußte, um seine Verehrerpost zu beantworten. Einmal, als Jack eine Bar betrat, glaubte er, Baby auf dem Kopf einer Frau sitzen zu sehen. Ein zweiter Blick verriet ihm aber, daß es sich um eine lebensgroße Fuzzy-Puppe handelte, die mit einem Kunststoffband festgehalten wurde. Nach einer weiteren Woche sah er in der ganzen Stadt Baby-Fuzzy-Hüte, und in den Schaufenstern der Geschäfte wimmelte es von lebensgroßen Fuzzy-Puppen.

Zwei Wochen nach dem Verschwinden der Fuzzys, an einem Spätnachmittag, setzte Marshal Max Fane Jack im Hotel ab. Sie blieben noch eine Weile im Wagen sitzen, und Fane sagte:

»Ich denke, wir sind am Ende, Jack. Wir haben alle Meldungen von Verrückten und Gewinnsüchtigen überprüft. Keiner hat sie wirklich gesehen, was ja an sich nicht so schlimm ist. Schlimmer ist, daß es keinerlei Spuren von ihnen gibt. Es wimmelt überall von Landgarnelen, aber nirgendwo wurde ein geknackter Panzer gefunden. Und sechs aktive, verspielte Fuzzys müßten eigentlich eine Menge anstellen. Normalerweise sollten sie versuchen, Obststände zu plündern oder anderen Unfug zu treiben. Aber nichts dergleichen. Die Polizei der Gesellschaft hat die Suche bereits aufgegeben.«

»Nun, ich werde nicht aufgeben.« Jack schüttelte Fanes Hand und stieg aus dem Wagen. »Sie waren eine große Hilfe, Max. Ich möchte Ihnen von Herzen danken.«


Gus Brannhard war nicht da, als er die Zimmerflucht betrat; Ben Rainsford saß an einem Lesegerät und studierte einen Psychologietext, während Gerd an einem Schreibtisch arbeitete, den sie sich hatten hereinstellen lassen. Baby spielte am Boden mit hübschen neuen Spielsachen, die man ihm gebracht hatte. Als Pappi Jack hereinkam, ließ er sie fallen und rannte auf ihn zu, um sich aufheben zu lassen.

»George hat angerufen«, sagte Gerd. »Sie haben auf ihrer Station jetzt eine Fuzzyfamilie.«

»Oh, das ist ja großartig.« Jack war bemüht, ehrliche Begeisterung zu zeigen. »Wieviele?«

»Fünf, drei Männchen und zwei Weibchen. Sie nennen sie Dr. Crippen, Dillinger, Ned Kelly, Lizzie Borden und Calamity Jane.«

Typisch für einen Haufen Polizisten, unschuldigen Fuzzys solche Namen anzuhängen!

»Warum rufst du die Station nicht mal an und sagst guten Tag?« fragte Ben. »Baby mag sie; es hat ihm Spaß gemacht, wieder mit ihnen zu sprechen.«

Jack ließ sich dazu überreden und stellte die Verbindung her. Es waren recht nette Fuzzys, wenn auch nicht ganz so wie seine Familie.

»Wenn Ihre Familie nicht rechzeitig zur Verhandlung auftaucht, kann Gus ja unsere vorladen«, schlug Lunt ihm vor. »Irgend etwas muß vor Gericht vorgewiesen werden. In spätestens zwei Wochen kann diese Bande hier alle möglichen Dinge ausführen. Ihr solltet sie jetzt mal sehen — und dabei sind sie erst seit gestern nachmittag bei uns.«

Jack sagte, daß er hoffe, daß seine Fuzzys rechtzeitig zurück sein würden — aber er wußte selbst, daß er dabei wenig überzeugt klang.

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