3.

Skar konnte hinterher nicht sagen, wie lange sie brauchten, um zur Erdoberfläche zurückzukehren. Aber die Sonne ging bereits unter, als sie aus einem schmalen Spalt im Fels traten und Elay vor ihnen lag; nur ein Steinwurf entfernt, aber leider auf der falschen Seite. Sie mußten die Stadt völlig umrunden, um zu den Pferden zurückzukommen, und als sie es geschafft hatten, war es völlig dunkel geworden. Und als hätten sie noch nicht genug Schwierigkeiten, dachte er ärgerlich, war die Nacht fast sternenlos. Es regnete noch immer, und die dichtgeschlossene Wolkendecke verschluckte auch noch das bißchen Licht, das der Mond spendete. Die Felsen, hinter denen Titchs Quorrl lagerte, waren nicht mehr zu erkennen. Selbst Elays Mauern waren zu formloser Schwärze geworden, deren Nähe man eher spürte als sah.

Er half Kiina, in den Sattel zu steigen, und sie war erschöpft genug, seine ausgestreckte Hand zu ergreifen. Skar konnte ihr Gesicht in der herrschenden Dunkelheit nicht erkennen, aber er ersparte sich die Frage, wie sie sich fühlte; ihr schneller, flacher Atem und die müde, weit über den Hals des Pferdes nach vorne gebeugte Haltung, in der ihr Schatten im Sattel saß, erzählte ihm genug über Kiinas Zustand. Der Rückweg war anstrengend gewesen, selbst für ihn, und es war genau das geschehen, was er nicht nur erwartet, sondern Kiina sogar prophezeit hatte: Sie hatte ihre Kräfte überschätzt und nicht einmal versucht, sie einzuteilen. Die letzten zwei-, dreihundert Meter auf dem Wege nach oben war sie mehr gekrochen als gegangen.

Er band die beiden Pferde los, schwang sich auf den Rücken seines eigenen Reittieres und wischte sich mit einer beiläufigen Bewegung den Regen aus dem Gesicht, während sein Blick die Nacht im Westen absuchte. Die Wolkendecke war so dicht, daß er selbst das Meer nur hörte und roch, nicht sah. Sie würden aufpassen müssen, der Steilküste nicht zu nahe zu kommen. Elay lag zwar nur fünfzig Schritte vom Meer entfernt, dafür aber fünfhundert Fuß über ihm. Seufzend griff er nach Kiinas Zügel, knotete sie auf und hielt die Lederriemen lose in der linken Hand, während er mit der anderen sein eigenes Tier lenkte. Kiina ließ es widerspruchslos geschehen, als wäre sie niemals das trotzige Kind gewesen, als das er sie in den letzten drei Wochen kennen und gleichermaßen lieben wie hassen gelernt hatte. Vielleicht würde sie es nie mehr sein, nach dem, was sie in der Höhle der Drachen erlebt hatte.

Er verscheuchte den Gedanken und konzentrierte all seine Sinne darauf, den Weg vor ihnen zu beobachten. Er konnte wenige Schritte weit sehen, nicht besonders gut, und wirklich nicht weit, aber weit genug, um nicht Gefahr zu laufen, sich unversehens auf der falschen Seite der Steilküste wiederzufinden und herauszufinden, wie lange ein Pferd samt Reiter brauchte, um fünfhundert Fuß weit in die Tiefe zu stürzen. Trotzdem fühlte er sich nicht sicher. Der Gedanke, in fast völliger Finsternis zu den wartenden Quorrl zurückreiten zu müssen, behagte ihm nicht, aber es dauerte eine Weile, bis ihm klar wurde, daß seine Furcht andere Gründe hatte. Er hatte die Worte der Margoi nicht vergessen: der Sturm, der den tödlichen Staub nach Elay getragen hatte, war vom Meer her gekommen.

Für eine geraume Weile ritten sie schweigend nebeneinander her. Die einzigen Geräusche waren das rhythmische Klatschen der Wellen eine Turmhöhe unter ihnen und das gleichmäßige Prasseln des Regens, der den Boden unter den Hufen ihrer Pferde in Morast verwandelte. Im nachhinein kam es Skar fast absurd vor, daß dieser Regen, unter dem sie alle seit Tagen ritten und auf den jeder von ihnen schon aus Leibeskräften geflucht hatte, ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben gerettet hatte. Hätte er nicht den allergrößten Teil des tödlichen Staubes aus der Stadt gespült... Das entstellte Gesicht der sterbenden Margoi tauchte vor ihm auf, und er schauderte. Allein dafür würde er sie vernichten, das schwor er sich. Nicht dafür, daß sie sie getötet hatten, sondern für die Art und Weise, wie es geschehen war. Der Tod war ein Teil der Natur, den Skar schon immer akzeptiert hatte, selbst als er noch kein Krieger und später Satai war. Und auch der gewaltsame Tod war ihm nicht fremd; er hatte ihn oft genug selbst gebracht. Aber dieser Staub, der Tausende von Menschenleben in einer Sekunde auslöschte und die, die ihm entkamen, bei lebendigem Leibe verfaulen ließ, das war - Nur konsequent, Bruder, flüsterte eine lautlose Stimme in ihm. Sie kämpfen mit den Waffen, die sie beherrschen, so wie du mit deinen. Was ist falsch daran?

Aber es war etwas Falsches an diesem Gedanken, etwas entsetzlich Falsches und Böses. Skar wußte noch nicht genau, was - oder vielleicht doch, er wußte es, aber es war ihm - noch - nicht möglich, es in Worte zu fassen - aber er dachte auch nicht daran, jetzt auch noch mit dieser lautlosen Stimme in seinem Inneren zu diskutieren, die ihn seit seiner Geburt quälte und ihn manchmal zwang, Dinge zu tun, die er nicht tun wollte. Seinen Dunklen Bruder hatte er sie genannt, verjähren, in einem anderen Leben und einem Anflug von Spott und bitterer Selbstironie und lange, bevor er auch nur ahnte, was das böse Flüstern in seinen Gedanken wirklich zu bedeuten hatte. Damals hatte er nicht gewußt, wie entsetzlich richtig dieser Name war.

Seit zwei Wochen wußte er es.

Und manchmal fragte er sich, wie er mit diesem Wissen überhaupt noch leben konnte.

»Skar?« Kiinas Stimme drang nur undeutlich durch das Prasseln des Regens, obwohl sie so dicht neben ihm ritt, daß sein Bein manchmal ihren Sattel berührte. Skar sah sie an, behielt aber dabei trotzdem den Weg im Auge, obwohl er wußte, daß seine Angst unbegründet war: die Pferde würden sehr viel besser als er darauf achten, der Steilküste nicht zu nahe zu kommen.

»Ja?«

»Die Quorrl!« sagte Kiina zögernd. »Wohin gehen sie?«

Skar runzelte die Stirn. Was sollte diese Frage? Kiina wußte die Antwort so gut wie er. Trotzdem sagte er laut: »Nach Norden.«

»Und du gehst mit ihnen? Du wirst tun, was... die Margoi dir gesagt hat?«

»Ich hätte es sowieso getan«, antwortete Skar. »Aber jetzt erst recht.« Er ahnte, warum Kiina Fragen stellte, deren Antworten sie seit zwei Wochen kannte. Besorgt fragte er sich, was er sagen sollte, wenn sie die Frage stellte, die er befürchtete.

Was sie in genau diesem Moment tat. »Nimmst du mich mit?« Er seufzte. »Jetzt nicht, Kiina - bitte. Laß uns später darüber reden. Ich... will nicht denken.« Das entsprach sogar der Wahrheit. Sie hatten auf dem Weg durch das unterirdische Labyrinth kein Wort miteinander gewechselt, und nicht nur aus Schwäche. Er wollte nicht wissen, was die Vernichtung Elays und der Errish für ihre weiteren Pläne bedeutete, nicht jetzt. Er war einfach erschöpft; auf eine Art, die Kiina nicht verstehen würde. Er wollte für ein paar Augenblicke so tun, als hätte sich nichts geändert. »Aber ich muß es wissen«, beharrte Kiina. »Bevor wir die Quorrl erreichen.«

»Du weißt, daß es nicht geht«, antwortete Skar ausweichend. »Titch würde es nicht zulassen. Ganz davon abgesehen, daß es zu gefährlich ist -«

»Für ein kleines Mädchen wie mich?« unterbrach ihn Kiina aufgebracht.

Skar dachte nicht daran, auf ihren aggressiven Ton einzugehen oder sich mit ihr zu streiten.

»Auch für einen alten Satai wie mich«, antwortete er ungerührt. »Meine Chancen, zurückzukommen, sind nicht sehr gut. Kein Mensch hat jemals das Land der Quorrl betreten. Jedenfalls keiner, der zurückgekommen wäre, um davon zu berichten.« Was nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber er war viel zu müde, um sich auf langatmige Erklärungen einzulassen.

»Es gibt keinen sicheren Ort mehr auf Enwor«, antwortete Kiina. »Das hast du selbst gesagt.«

Skar resignierte. Er hätte hundert passende Ausreden gehabt, aber er wußte auch, daß Kiina keine von ihnen gelten lassen würde. Sie erwachte langsam aus ihrem Schock, aber sie war noch lange nicht in dem Zustand, vernünftig mit ihm zu diskutieren. So wählte er die einfachste Lösung und sagte noch einmal: »Titch läßt es nicht zu.«

»Titch läßt es nicht zu!« äffte Kiina ihn nach. »Und was wird er zulassen, dein famoser fischgesichtiger Freund? Daß ich hier zurückbleibe und wie die anderen sterbe?«

»Unsinn. Der Weg in den Norden ist weit. Wir werden einen Ort finden, an dem du bleiben kannst. Ich bin sicher -«

»Ich begleite dich«, beharrte Kiina.

»Ja«, sagte Skar gelassen. »Bis zur nächsten Stadt. Oder zur nächsten Errish, auf die wir stoßen. Ende der Diskussion«, fügte er mürrisch hinzu.

Kiina widersprach tatsächlich nicht, aber nur, um nach einer Weile mit veränderter Stimme und einer anderen Taktik fortzufahren: »Du hast es der Margoi versprochen.«

»Habe ich das?«

Kiina nickte heftig. »Du hast ihr dein Wort gegeben, auf mich aufzupassen«, erklärte sie mit jener falschen, aber schwer zu widerlegenden Logik, mit der sich Kinder schon immer gegen Erwachsene zu behaupten gewußt haben. »Wie kannst du das, wenn du nicht in meiner Nähe bist?«

Skar antwortete gar nicht darauf. Sie führten diesen Streit in der einen oder anderen Form seit zwei Wochen, seit sie Del und das Heer verlassen hatten. Alle Argumente waren längst gesagt und hundertmal wiederholt worden, ohne dadurch besser oder schlechter zu werden.

»Und der Ring?« fuhr Kiina fort. »Du hast versprochen, ihn mir zu geben, wenn es soweit ist!«

Skar zog den winzigen Silberring vom kleinen Finger - dem einzigen Glied, auf das er paßte - und hielt ihn ihr hin. »Willst du ihn haben?«

Kiinas Reaktion überraschte ihn. Er hatte nicht damit gerechnet, daß sie nach dem Ring greifen würde, und das tat sie auch nicht - aber er hatte auch nicht damit gerechnet, daß sie erschrocken zurückfuhr und nur noch mit Mühe einen Schrei unterdrückte.

»Nein!« sagte sie hastig. »Ich will ihn nicht. Noch nicht. Vielleicht nie.«

Skar war verwirrt. Zögernd steckte er den Ring wieder ein, nahm ihn fast in der gleichen Bewegung noch einmal hervor und ließ ihn ein paarmal auf der Handfläche hin und her rollen. Es war eine wunderbare Arbeit, ein Schmuckstück, das trotz seiner Schlichtheit der Führerin der Errish würdig war - jede einzelne Schuppe des Schlangendrachens, als der er gestaltet war, war mit großer Kunstfertigkeit ausgearbeitet, und die beiden winzigen Rubine, die die Augen bildeten, funkelten in einem geheimnisvollen inneren Licht, als würden sie wirklich leben. Plötzlich erfüllte ihn die Vorstellung, ihn wieder anzulegen, mit Unbehagen. Skar schloß die Faust um den Ring und schob ihn nach kurzem Zögern in eine Tasche seines Gürtels.

»Was bedeutet dieser Ring?« fragte er. »Ich meine - hat er Zauberkräfte, oder birgt er ein Geheimnis? Kann man einen Dämonen damit beschwören?« Er lachte bei diesen Worten, aber selbst Kiina mußte merken, daß sich hinter ihrem scherzhaften Klang mehr Furcht verbarg, als Skar recht war.

Sie schüttelte den Kopf. »Nichts von alledem. Er ist nur ein Stück Silber. Aber er ist das Symbol ihrer Macht. Wer ihn trägt, der kann den Thron Elays besteigen. Wer ihn rechtmäßig trägt«, fügte sie mit bewußt boshafter Betonung hinzu.

»Wenn du glaubst, ein größeres Anrecht auf ihn zu haben...« Skar bewegte die Hand zum Gürtel, und wieder registrierte er, daß Kiinas Kopfschütteln eindeutig erschrocken war.

»Nein!« sagte sie. »Ich will ihn nicht. Er -«

Ein grellweißer Lichtblitz zerriß die Nacht, gefolgt von einem hellen, peitschenden Kreischen, in das sich nach Sekunden ein dumpfes Brüllen mischte, weit entfernt, aber so machtvoll wie der Laut zusammenstürzender Berge. Kiina schrie auf und stürzte vor Schrecken um ein Haar aus dem Sattel, und auch Skar fuhr herum und blickte entsetzt in die Richtung, aus der das Tosen erklungen war. Fast in der gleichen Sekunde flammten ein zweiter und ein dritter Blitz auf und sengten feurige Spuren in die Nacht, diesmal aber in völliger Stille.

Kiina begriff einen Sekundenbruchteil vor ihm, was das lautlose Lichtgewitter zu bedeuten hatte. »Scanner!« keuchte sie. »Das... das sind Errish, Skar! Sie schießen!«

Ja, dachte Skar. Und ich glaube, ich weiß sogar, worauf. »Du bleibst hier!« sagte er. Er warf Kiina die Zügel zu, rammte seinem Pferd die Absätze in die Flanken und sprengte los, so schnell, daß sie gar keine Chance hatte, ihm zu folgen, selbst wenn sie es versuchte. Sein Pferd versuchte auszubrechen und schlug im vollen Galopp mit den Hinterläufen aus, halb wahnsinnig vor Angst, aber Skar trieb es unbarmherzig weiter. Wieder zerriß ein Blitz die Nacht, und wieder, und wieder. Rücksichtslos trieb er sein Pferd zu noch größerer Schnelligkeit an, beugte sich tief über seinen Hals und versuchte zu erkennen, wohin der rasende Galopp führte. Der Regen stach wie mit Nadeln in seine Haut und seine Augen, jetzt, als er ihm direkt entgegensprengte, und alles, was weiter als drei oder vier Schritte vor ihm lag, war hinter einer silbernen Wand aus fast waagerecht fallenden Schleiern verborgen, in die er direkt hineingaloppierte. Dazu kamen die grellen Blitze der Scanner, die farbige Nachbilder auf seiner Netzhaut hinterließen und ihn so fast völlig blind machten.

Dann hörte er die erste Schreie: das dumpfe, wütende Brüllen der Quorrl, die spitzen Kampf schreie von Menschen (Menschen? Er hoffte, daß es Menschen waren, aber er war ganz und gar nicht sicher), und ein machtvolles, wütendes Knurren, das ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Und schließlich geschah das, was bei einem Wahnsinnsritt wie diesem fast unausweichlich war: sein Pferd stolperte. Skar konnte hören, wie sein Bein brach, als es im Morast ausglitt und stürzte. Instinktiv rollte er sich ab, federte den Schwung seines eigenen Sturzes ausnutzend, wieder in die Höhe und fiel vornüber mit dem Gesicht in den Schlamm, als auch er auf dem morastigen Untergrund das Gleichgewicht verlor. Der Sturz rettete ihm das Leben.

Eine weiße Linie aus Feuer schnitt zwei Handbreit über ihm durch die Luft, und fünfzig Fuß hinter ihm schoß ein brüllender Geysir aus Glut und verdampftem Schlamm in die Höhe. Skar wälzte sich zwei-, dreimal zur Seite, sprang auf die Füße und schrie vor Schmerz auf, als kochender Morast und glühendheißer Dampf auf seinen Rücken herabregneten. Ein zweiter Lichtblitz stach nach ihm. Skar sprang blitzschnell zur Seite, stürzte erneut und robbte mit verzweifelter Kraft in den Schutz eines Felsens. Das Scannerfeuer hörte auf. Fünf, zehn Atemzüge lang lag Skar einfach da und wartete auf den letzten, vernichtenden Lichtblitz, der den lächerlichen Felsen einfach pulverisieren mußte, dann hob er behutsam den Kopf und spähte über den Rand seiner Deckung hervor.

Er sah nichts als den strömenden Regen und den Widerschein des Strahlengewitters auf der anderen Seite der Felsgruppe, hinter der Titchs Quorrl lagerten. Ein Stück vor sich glaubte er einen Schatten wahrzunehmen, war sich aber nicht sicher genug, sein Leben auf diese Vermutung zu setzen. Angestrengt starrte er in die silbrigen Schleier hinaus und versuchte den Schatten wiederzufinden. Es gelang ihm, aber er war auch diesmal nicht sicher, ob es sich wirklich um einen Angreifer handelte, oder etwa nur den Umriß eines Felsens, dem der strömende Regen nur die Illusion von Bewegung verlieh. Aber immerhin wurde nicht mehr auf ihn geschossen.

Skar war auch klar, warum. Der Angreifer hatte ihn ebenso aus den Augen verloren wie er umgekehrt ihn. Einen Scanner zu benutzen, bedeutete nicht zwangsläufig, vor der Blendwirkung seiner sengenden Lichtblitze gefeit zu sein.

Skar ließ weitere fünf, zehn schwere Herzschläge verstreichen, ehe er sich vorsichtig bewegte. Der Morast war so tief, daß er bis über die Ellbogen einsank und kaum von der Stelle kam, aber er schützte ihn auch gleichzeitig: selbst wenn der Angreifer genau in seine Richtung sah, würde er ihn höchstens durch Zufall entdecken, denn auch Skars Kleidung war mittlerweile über und über mit dem schwarzbraunen Schlamm bedeckt.

Dann sah er die Bewegung zum dritten Mal, und diesmal erkannte er, womit er es zu tun hatte. Es war eine Errish, die nur wenige Schritte entfernt auf einem Felsbuckel hockte und angestrengt in den Regen hinaussah. Für einen Moment richtete sich ihr Blick - und der Scanner in ihrer Hand, der der Bewegung ihrer Augen getreulich folgte! - direkt auf ihn, aber Skars Vermutung bestätigte sich: der Regen machte sie so blind wie ihn. Die tödliche Strahlenwaffe schwenkte weiter und richtete sich dorthin, wo sein Pferd in der Dunkelheit lag.

Skar erwog blitzschnell seine Chancen, sich unbemerkt an die Gestalt heranschleichen zu können. Besonders gut waren sie nicht. Die Sicht war schlecht genug, sich bis auf vier, fünf Schritte an einen normalen Gegner heranpirschen zu können, aber er wußte, wie scharf die Sinne einer Errish waren; und zudem war sie nervös und würde garantiert auf alles schießen, was ihr verdächtig vorkam.

Es war die Errish selbst, die die Entscheidung herbeiführte, denn sie erhob sich plötzlich von ihrem Felsen und watete mit kleinen, vorsichtigen Schritten durch den Morast auf ihn zu.

Skar preßte sich tiefer in den Schlamm, der mittlerweile fast so dünnflüssig wie Wasser war. Mit angehaltenem Atem wartete er, daß sie näher kam. Als sie es tat, konnte er unter der weit nach vorn gezogenen Kapuze ihres Mantels für einen Moment ihr Gesicht erkennen und erschrak. Sie war noch ein halbes Kind, kaum älter als Kiina. Skar verwarf den ohnehin nicht sehr ernsthaft erwogenen Gedanken, seinen Dolch zu ziehen und sie durch einen gezielten Wurf auszuschalten. Statt dessen preßte er sich noch tiefer in den Schlamm, konzentrierte sich, um all seine Kräfte zu sammeln - und stieß sich ab.

Seine Hände und Knie fanden auf dem rutschigen Untergrund keinen richtigen Halt. Sein Sprung war viel zu kurz. Ungeschickt flog er auf die Errish zu, sah, wie sie herumfuhr und ihn aus erschrocken geweiteten Augen anstarrte, gleichzeitig aber auch den Scanner hob, unbeschadet der Tatsache, daß die Wirkung der Strahlenwaffe auch sie verletzen, wenn nicht töten mußte, wenn sie aus einer so geringen Entfernung auf ihn schoß. Skar warf sich verzweifelt zur Seite, streckte die Arme aus - und bekam ihr Fußgelenk zu fassen.

Er mußte sie nicht einmal niederringen. Die pure Wucht seines Sturzes riß die Errish von den Füßen. Sie schrie auf, kippte in einer fast grotesken Bewegung nach hinten und feuerte noch im Sturz ihre Waffe ab. Der Scanner sengte einen blauweißen Halbkreis aus Licht in den Himmel und erlosch, als die Waffe ihren Fingern entglitt und im Morast versank. In der nächsten Sekunde war Skar über der Errish und preßte ihre Schultern gegen den Boden. Jedenfalls wollte er es.

Aber die Frau mit dem Gesicht eines Kindes reagierte ganz anders, als er erwartet hatte. Statt sich zu wehren oder gegen seine Hände zu stemmen, warf sie sich im Gegenteil zurück, zog plötzlich die Knie an und streckte dann blitzartig die Beine aus. Skar fühlte sich mit einem Male gewichtslos. Im hohen Bogen flog er über den Kopf der Errish hinweg, schlug einen halben Salto in der Luft und klatschte in den Schlamm. Der Aufprall war weich, fast federnd, aber er blieb trotzdem eine Sekunde lang benommen liegen. Die Technik, mit der ihn die Errish abgeschüttelt hatte, war ihm bekannt, und nicht einmal besonders schwer zu erlernen. Aber er hatte einfach nicht damit gerechnet. Die Errish waren Frauen, die Wissen und die Heilung von Krankheiten und Wunden brachten; niemand, der auf Satai-Art zu kämpfen gelernt hatte.

Diese hier hatte es, wie Skar in der nächsten Sekunde auf äußerst schmerzhafte Art erfahren mußte. Er stand auf, aber wieder war die Errish schneller. Sie war bereits auf den Füßen, und sie beging nicht etwa den Fehler, entscheidende Sekunden damit zu verschwenden, nach ihrer Waffe zu suchen, sondern griff ihn sofort an. Ihre Hände krallten sich in sein Haar, rissen seinen Kopf zurück und fast unmittelbar wieder nach vorne, so daß er erneut das Gleichgewicht verlor, und eine halbe Sekunde später traf ihr hochgerissenes Knie seine Kiefer.

Skar keuchte vor Schmerz, stürzte rücklings und mit hilflos pendelnden Armen in den Schlamm und versuchte die Benommenheit abzuschütteln. Ein Fußtritt traf seinen Hals und verfehlte die Kehle nur um Millimeter. Skar riß instinktiv die Arme hoch, spürte, daß er etwas traf und hörte einen spitzen, schmerzerfüllten Schrei, dem der sonderbar weiche Aufprall eines Körpers im Schlamm folgte.

Stöhnend wälzte er sich herum, stemmte sich auf Hände und Knie hoch und versuchte Morast und Regen fortzublinzeln, die ihm in die Augen liefen. Sein Schädel dröhnte, und er hatte Mühe, zu atmen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich die Errish neben ihm taumelnd erhob. Er trat nach ihr, verfehlte sie, zwang sie aber zumindest, einen Schritt zurückzuweichen, so daß auch ihm Zeit blieb, vollends aufzustehen.

Die Errish schlug nun eine andere Taktik ein. Sie mußte begriffen haben, daß er entschieden zu kräftig war, als daß sie sich auf ein Handgemenge mit ihm einlassen konnte, und begann ihn zu umkreisen, auf eine Art, die Skar nur zu gut kannte, langsam, mit gespreizten, in den Knien leicht eingeknickten Beinen und vorgebeugtem Oberkörper, die linke Hand zur Faust geballt vor dem Magen, die andere lose pendelnd an der Hüfte. Skar wußte jetzt, daß es ein Satai gewesen sein mußte, der ihr diese Art zu kämpfen beigebracht hatte.

»Hör auf!« sagte er schweratmend. »Ich will dich nicht um -« Die Errish sprang mit einem spitzen Schrei auf ihn zu, täuschte einen Fausthieb vor und vollführte dann eine blitzartige Drehung, aus der heraus sie mit aller Kraft zutrat. Skar fing den Tritt mit dem Handballen ab und fegte sie seinerseits mit einem Tritt gegen ihr Standbein von den Füßen. Und diesmal war er gewarnt. Blitzschnell war er über ihr, preßte sie gegen den Boden und drückte ihr Gesicht für zwei, drei Sekunden in den Schlamm, ehe er sie losließ. Die Errish riß den Kopf in die Höhe und rang keuchend nach Atem. Gleichzeitig versuchte sie mit den Händen sein Gesicht zu erreichen, um ihm die Augen auszukratzen. Ihre Kapuze verrutschte, und Skar grub die Hand in ihr langes, schwarzes Haar und drückte ihr Gesicht ein zweites Mal in den Morast. Und er ließ sie erst los, als ihre verzweifelte Gegenwehr schwächer wurde.

»Bist du jetzt vernünftig?« fragte er.

Die Errish hustete qualvoll und machte eine Bewegung, von der er wenigstens annahm, daß sie ein Nicken sein sollte. Skar ließ sie vollends los und richtete sich auf. Er sah ihre Bewegung einen Sekundenbruchteil zu spät. Ihre Faust schoß vor, traf seinen linken Rippenbogen und brach ihn.

Skar brüllte vor Schmerz, brach abermals in die Knie und riß die Errish noch im Fallen mit und begrub sie halb unter sich. Sie wehrte sich mit aller Kraft und schrie vor Zorn und Angst, aber Skar ließ ihr keine Chance mehr. Seine Hand glitt an ihrem Nacken empor, suchte eine bestimmte Stelle und drückte kurz und hart zu. Ein krampfhaftes Zucken lief durch den Körper der Errish, dann erschlaffte sie.

Sekundenlang blieb Skar mit geschlossenen Augen einfach über ihr liegen. Seine - zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit! - gebrochene Rippe schmerzte höllisch, und jedes Luftholen tat so weh, als versuche er gemahlenes Glas einzuatmen. Mit aller Macht kämpfte er den Schmerz nieder, stemmte sich in eine halb sitzende Position hoch und preßte die Hand auf die pochende Rippe. Die Verletzung war nicht lebensgefährlich; nicht einmal besonders schlimm, aber sie tat doppelt weh, als Skar die Augen öffnete und auf den schmalen Mädchenkörper vor sich herabstarrte. Verdammt, wer war er, daß er sich von einem Kind halb tot schlagen ließ?

Mühsam arbeitete er sich in die Höhe, schob die Hände unter die Achselhöhlen der Bewußtlosen und schleifte sie stöhnend zu dem Felsen zurück, auf dem sie gesessen hatte, als er sie entdeckte. Sie würde für mindestens eine Stunde bewußtlos sein, vielleicht länger, und er wollte nicht, daß sie im Morast ertrank. Sorgfältig überzeugte er sich davon, daß sie nicht von dem Felsen herunterrutschen konnte, falls sie sich im Schlaf bewegen sollte, dann richtete er sich auf und blickte wieder nach Süden.

Das Lichtgewitter und Schreien auf der anderen Seite der Felsen hielt an. Das wütende Brüllen von Quorrl drang durch den Regen zu ihm, das Klirren aufeinanderprallender Schwerter, aber auch immer wieder die peitschenden Entladungen der Scanner und das Knurren von mindestens einem Drachen.

Skar rannte los.

Als er zusammen mit Kiina nach Elay aufgebrochen war, war ihm der Weg nicht sehr weit vorgekommen. Jetzt erschien er ihm endlos. Skar rannte, so schnell es in der fast undurchdringlichen Dunkelheit überhaupt möglich war. Der Felsgrat, hinter dem Titchs Lagerplatz war, tauchte in fast regelmäßigen Abständen als scharf abgegrenzter schwarzer Schattenriß aus der Nacht auf, aus der Dunkelheit herausgestanzt vom grellen Widerschein der Scannerschüsse, deren Peitschen jetzt immer lauter und schneller erklang, und einmal glaubte er einen Schatten neben sich durch den Regen taumeln zu sehen, war aber zu schnell vorbei, um sicher zu sein.

Er erreichte die Felsen und begann wie besessen zu klettern. Zehn, fünfzehn Fuß, höher war die Wand nicht; aber sie stieg fast senkrecht auf, und der Regen hatte den Stein glitschig werden lassen, so daß er immer wieder den Halt zu verlieren drohte und nur mit äußerster Vorsicht klettern konnte. Als er den Grat der schmalen Felsbarriere erreichte, war er völlig erschöpft. Seine Finger bluteten, und seine gebrochene Rippe schickte weißglühende Pfeile aus Schmerz in seinen Brustkorb und machte es ihm fast unmöglich, zu atmen.

Skar preßte sich gegen den Felsen, so eng er konnte, und blickte in die Senke vor sich herab. Am Morgen, als sie sie erreicht hatten, war sie nicht nur ihm, sondern auch Titch und seinen Kriegern wie ein perfektes Versteck vorgekommen, groß genug, selbst fünfzig Quorrl samt der gleichen Anzahl Packpferde aufzunehmen und ihnen gleichermaßen Schutz vor dem Regen wie vor einer zufälligen Entdeckung zu gewähren; und eine natürliche Festung dazu, denn sie war bis auf einen schmalen Durchschlupf an drei Seiten von Felsen umschlossen; die vierte, offene Seite bildete die Steilküste, die kein Angreifer überwinden konnte, der nicht über Flügel verfügte.

Jetzt war sie zur Falle geworden, denn die Angreifer hatten Flügel. Unweit des wie mit einem Messer gezogenen Felsabbruches der Steilküste schwebten vier oder fünf gigantische Daktylen in der Luft, häßlichen übergroßen Fledermäusen mit absurden Hammerköpfen gleich, und unter ihnen tobte eine entsetzliche Schlacht.

Skar konnte trotz seiner erhöhten Position nicht viel erkennen. Von den Rücken der Drachenvögel aus zuckten immer wieder grelle Strahlenblitze in die Felsschüssel hinab und verwandelte die Nacht in ein stroboskopisches Flackern tiefster Schwärze und blendendweißen Lichts, aber der rasende Wechsel von Hell und Dunkel blendete ihn fast mehr, als es die Nacht und der Regen getan hatten. Aber immerhin konnte er genug sehen, um zu erkennen, daß sich Titchs Quorrl nicht mehr sehr lange würden halten können. Die, die noch am Leben waren, hieß das.

Die Daktylen und ihre Reiter waren nicht die einzigen Angreifer. Kaum zwei Armeslängen von Skar entfernt erhob sich die massige, grüngeschuppte Gestalt eines gewaltigen Drachen, in dessen Nacken ein schlanker schwarzer Schatten saß, und auch unter ihm bewegten sich Errish; dazu andere, im flackernden Licht nur unscharf zu identifizierende Wesen, die zu wuchtig aussahen, um Menschen zu sein, aber zu klein für Drachen. Gut die Hälfte des kleinen Quorrl-Heeres lag tot oder verwundet am Boden, niedergestreckt von den unablässig aufzuckenden Lichtpfeilen der Scanner oder den schrecklichen Krallen der Daktylen, die immer wieder auf das kleine Tal herabstießen und mit Klauen und Schnäbeln nach ihren Feinden hackten, und was von Titchs Heer noch am Leben war, das hatte sich zwischen das Gewirr von Felstrümmern und -brocken zurückgezogen, das das hintere Drittel des Tales ausfüllte. Wahrscheinlich war diese natürliche Deckung der einzige Grund, aus dem der Kampf nicht längst zu Ende war, denn nicht einmal der riesige Drache der Errish wagte es, sich ihr zu nähern: aus den Spalten und Winkeln, in denen die Quorrl Schutz gesucht hatten, schlug ihm ein unablässiger Strom von Pfeilen und Bolzen entgegen, und selbst, wenn er ihn überwunden hätte, hätte er sich an den messerscharfen Kanten und Graten des Lavagesteins höchstwahrscheinlich den Bauch aufgeschlitzt. Skar sah, daß es den kleineren Drachenwesen nicht besser erging. Die Quorrl hatten eine große Zahl von ihnen mit Pfeilschüssen niedergestreckt und hielten die anderen mit ihren Speeren auf Distanz.

Trotzdem gab es keinen Zweifel am Ausgang des Kampfes. Von den Rücken der kreisenden Daktylen aus stießen immer wieder grelle Lichtblitze nach den Quorrl, und die Errish im Nacken des großen Drachen feuerte mit einer anderen, sehr viel wirkungsvolleren Waffe auf die verschanzten Schuppenkrieger: Skar konnte nicht erkennen, was sie in den Händen hielt, aber es war groß und silberfarben und wuchtig, und es schleuderte armdicke Blitze auf die Felsen herab, der von dem peitschenden, schmerzhaft lauten Geräusch begleitet wurde, das er gehört hatte. Selbst diese entsetzliche Waffe reichte nicht aus, die Deckung der Quorrl zu durchbrechen, aber wo ihre Blitze die Felsen trafen, glühten diese in dunklem Rot auf, und die Hitze trieb Titchs Männer schreiend aus ihrer Deckung. Direkt in das Scannerfeuer der anderen Errish oder die zupackenden Klauen der Drachen hinein.

Skar hatte genug gesehen. Seine Rippen pochten noch immer, aber er hatte sich jetzt weit genug in der Gewalt, den Schmerz an den Rand seines Bewußtseins zu drängen, wo er ihn nicht beeinträchtigen würde. Vorsichtig richtete er sich auf, kroch bis zu einer Stelle, die ihm günstig erschien - und sprang.

Diesmal hatte er sich nicht verschätzt. Er landete so dicht neben der Flanke des riesigen grauen Drachen, daß er sich an seinen rauhen Schuppen die Haut aufriß, nutzte den Schwung seines Aufpralles aus, um sich sofort wieder abzustoßen, und grub Finger und Zehen in den glitzernden Schuppenpanzer des Drachen. Die Bestie brüllte zornig auf, als sie die Berührung spürte. Ihr Schwanz peitschte und ließ den Felsen hinter ihr bersten, aber ihre Reiterin begriff die Bedeutung dieser Bewegung zu spät. Sekundenlang kämpfte sie in dem schmalen Sattel hinter ihrem Schädel verzweifelt um ihr Gleichgewicht, ehe sie endlich auf den Gedanken kam, sich herumzudrehen. Eine Sekunde lang starrte sie Skar fassungslos an, dann versuchte sie sich herumzudrehen und ihre Waffe zu heben.

Sie schaffte es nicht mehr. Skar hatte den Rücken des Drachen erreicht und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen nach vorne. Für einen unendlich kurzen, aber entsetzlichen Moment glaubte er, sich verrechnet zu haben und ins Leere zu greifen, aber dann bekam er den linken Arm und den Gürtel der Drachenreiterin zu fassen, packte mit aller Kraft zu und riß sie mit sich. Aneinandergeklammert fielen sie in die Tiefe. Skar versuchte sich noch im Fallen herumzudrehen, um den Sturz mit seinem eigenen Körper aufzufangen, aber es gelang ihm nicht mehr ganz. Sein Rücken schrammte am Vorderlauf des Drachen entlang, dann prallte er auf und spürte, wie in dem schmalen Frauenkörper in seinen Armen irgend etwas zerbrach. Skar wußte, daß sie tot war, noch ehe sie in seiner Umklammerung erschlaffte.

Fluchend sprang er auf, brachte sich mit einem Satz aus der unmittelbaren Reichweite des Drachen und machte sofort einen zweiten, entsetzten Hüpfer, als etwas Großes, Muskelbepacktes auf ihn zuschoß, das nur aus Panzerplatten und Klauen und einem weit aufgerissenen Maul voller scharfer Zähne zu bestehen schien. Er fiel, trat noch im Sturz nach dem Bein des Angreifers und keuchte vor Schmerz, ohne den Vormarsch des Ungeheuers dadurch auch nur zu verlangsamen. Das Ding - eines der sonderbaren Echsenwesen, das er vom Felsen aus beobachtet hatte, raste auf ihn zu, verfehlte ihn und prallte ungeschickt gegen die Flanke des großen Drachen, vom Schwung seiner eigenen Bewegung nach vorne gerissen, und der Drache wiederum reagierte so, wie Drachen es im allgemeinen zu tun pflegten, wenn sie sich angegriffen fühlten: sein Schwanz zuckte, traf den winzigen Gegner in einer fast beiläufigen Bewegung und zerschmetterte ihn.

Skar sprang auf die Füße, sah sich wild um. Es kam ihm selbst fast unglaublich vor - aber bisher schien niemand auch nur Notiz von ihm genommen zu haben! Die Errish und ihre reptilienhaften Verbündeten konzentrierten sich so auf die Quorrl, daß sie seinen Angriff nicht einmal bemerkt hatten! Vielleicht hatte er doch noch eine Chance.

Er entdeckte, wonach er suchte: die Waffe der Errish. Sie lag nur wenige Schritte von ihm entfernt, halb im Schlamm versunken, aber deutlich zu erkennen. An ihrer Seite leuchtete in regelmäßigen Abständen ein winziges rotes Licht auf, wie ein kleines funkelndes Auge. Hastig lief er hin, bückte sich danach und hörte ein dumpfes Knurren über sich. Der Drache versuchte nach ihm zu beißen, aber es fiel Skar nicht schwer, seinem Angriff auszuweichen. Jetzt, wo er der telepathischen Führung seiner Reiterin beraubt war, war er wieder nichts als ein Tier, ein riesiges, gefährliches Tier, das aber gottlob ebenso dumm wie stark war. Er machte ein paar Schritte zur Seite, hob die Waffe hoch und versuchte, ihre Handhabung zu ergründen.

Eine der Errish sah direkt in seine Richtung. Skar erstarrte - und die Errish drehte sich wieder herum und zielte mit ihrem Scanner auf die Quorrl! Und dann begriff Skar: niemand hatte seinen Angriff beobachtet, und in seinem schwarzen Mantel und über und über mit Schlamm bedeckt, wie er war, hielten sie ihn in der Dunkelheit für eine der Ihren!

Skar wich einen weiteren Schritt zurück, versuchte in den Schatten der Felsen zu kommen und sah abermals die Waffe an. Sie ähnelte in nichts den Scannern, wie er sie von Kiina und den anderen Errish kannte, sondern bestand eigentlich nur aus einem dicken, mit zahllosen Wülsten und Ausbuchtungen übersäten Rohr und einem Schulterstück, aber ihre Handhabung war ihm sofort klar. Es gab einen kleinen Abzug, wie den einer Armbrust, und als er das offene Ende des Rohres berührte, fuhr er schmerzhaft zusammen. Es war glühend heiß.

Skar schob sich vorsichtig an der Felswand entlang. Der Drache knurrte wieder, versuchte aber nicht noch einmal, ihn anzugreifen, sondern verfolgte nur jede seiner Bewegungen aus kleinen, mißtrauischen Augen. Der Verlust seiner Reiterin hatte das Tier verwirrt, aber gottlob nicht rasend gemacht, wie es manchmal bei Drachen vorkam, die lange Zeit mit einer Errish zusammengewesen waren.

Trotzdem umging Skar ihn in respektvollem Abstand, ehe er wieder aus den Schatten der Felsen heraustrat und sich einer Gruppe von drei Errish näherte. Sie mußten seine Schritte hören, aber auch sie schienen ihn für eine der Ihren zu halten, denn keine von ihnen drehte sich auch nur herum - und als sie ihren Irrtum bemerkten, war es zu spät. Skar schlug der ersten die geballte Faust zwischen die Schulterblätter, brachte die zweite mit einem Kolbenhieb der Strahlenwaffe zu Fall und riß die dritte Errish so grob herum, daß sie vor lauter Schrecken ihre Waffe fallenließ und nicht einmal auf den Gedanken kam, sich zu wehren. Skar packte sie, legte den Arm von hinten um ihren Hals und drückte zu; nicht so fest, daß sie keine Luft mehr bekam, aber hart genug, ihr zu verdeutlichen, wie wenig Sinn irgendein Widerstand haben mußte. Dann hob er die Waffe, richtete sie schräg in den Himmel über dem Meer und drückte ab.

Ein brüllender Strom aus gleißendem, unerträglich hellem Licht brach aus dem silbernen Rohr und verwandelte die kreisenden Daktylen in schwarze flatternde Scherenschnitte. Skar sah, daß er keine von ihnen getroffen hatte; trotzdem spritzte ihre Formation in heller Panik auseinander, so daß eine oder zwei Errish nur noch mit Mühe ihr Gleichgewicht auf den Rücken der Drachenvögel halten konnten. Ein Chor überraschter Schreie gellte auf, und die Gesichter der meisten Errish wandten sich in seine Richtung. Unangenehmerweise auch die meisten ihrer Waffen.

»Aufhören!« brüllte Skar. »Hört sofort mit diesem Wahnsinn auf!«

Sein Schrei wäre nicht einmal nötig gewesen. Das Scannerfeuer hatte aufgehört, und auch die Reptilienwesen stellten ihre Angriffe auf die verschanzten Quorrl ein, was Skars Vermutung bestätigte, daß sie von den Errish telepathisch gelenkt wurden; der Kampf erlahmte binnen einer Sekunde, und Skar konnte beinahe körperlich fühlen, wie sich aller Aufmerksamkeit auf ihn konzentrierte. Eine der schwarzgekleideten Gestalten vor ihm hob ihre Waffe, schoß aber nicht, und über der Steilküste erschien wieder der flatternde Schatten einer Daktyle.

»Hört auf!« rief Skar noch einmal, »ihr wißt nicht, was ihr tut!«

»Du weißt nicht, was du tust!« Eine der Errish kam näher. Skar konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber allein der Klang ihrer Stimme verriet ihm, daß er es mit einer Frau zu tun hatte, die es gewohnt war, Befehle zu erteilen. »Laß Rani los, oder du bist tot!« Sie hob ihren Scanner, um ihre Worte zu unterstreichen. Skar verstärkte den Druck auf die schmale Gestalt in seinem Arm noch ein wenig, und die Errish stöhnte vor Schmerz.

»Keinen Schritt weiter!« drohte er. »Oder deine Schwester stirbt! Ich bin nicht euer Feind! Ich will nur mit euch reden!« Die Errish kam zögernd näher. Die Waffe in ihrer Hand blieb unverändert auf Skars Gesicht gerichtet, aber er spürte, daß sie nicht abdrücken würde. Die Gefahr, auch die Errish zu töten, die er wie einen lebenden Schutzschild vor sich hielt, war zu groß. »Nur reden? Wer bist du? Wo ist Mira? Sie -« Die Errish brach ab, als sie die reglose Gestalt neben dem Drachen erblickte. »Du hast sie umgebracht!« Sie hob ihre Waffe. »Dafür stirbst du!« Skar wich zurück und machte gleichzeitig zwei, drei rasche Schritte zur Seite. Hinter seinem Rücken erklang abermals das drohende Knurren des Drachen, und er konnte den scharfen Reptiliengestank spüren, den das Ungeheuer ausstieß. »Dann solltest du aber verdammt gut zielen«, sagte er. »Wenn du den Drachen triffst und er anfängt zu toben, dann überlebt in diesem Tal niemand.«

»Was willst du?« fragte die Errish aufgebracht. »Gehörst du zu diesen verdammten Zauberpriestern? Du täuschst dich, wenn du glaubst, daß wir tatenlos zusehen, wie deine verdammte Quorrl-Bande und du -«

»Verdammt, ich stehe auf eurer Seite!« brüllte Skar. »Und die Quorrl auch!«

Für ein paar Sekunden wurde es still. Vollkommen still. Selbst das Prasseln der Flammen, die sich hier und da noch gegen den Regen wehrten, schien gedämpft. Auf den Zügen der Errish machte sich ein fassungsloser, fast entsetzter Ausdruck breit, aber nur für einen Moment. Dann schüttelte sie heftig und mehrmals hintereinander den Kopf und verzog abfällig das Gesicht.

»Du lügst!« sagte sie.

»Ich bin ein Satai«, antwortete Skar. »Schau mich an. Hast du jemals gehört, daß ein Satai lügt? Ich kam hierher, weil ich mir Hilfe von den Errish versprach!«

»Und die Quorrl?«

»Sie begleiten mich«, antwortete Skar. »Ich ließ sie zurück, damit niemand in Elay bei ihrem Anblick die Nerven verliert und einen Fehler macht - nicht, damit deine Leute sie abschlachten!« Und dann tat er etwas, was die Errish vollkommen verblüffte - mit einer wütenden Bewegung stieß er seine Gefangene von sich, trat auf die Gestalt im schwarzen Mantel zu und senkte seine Waffe, »Und jetzt erschieß mich, wenn es dir Spaß macht, du Närrin!« Die Errish starrte ihn an. Ihre Waffe blieb weiter auf Skar gerichtet, aber auf ihren Zügen kämpften widerstrebende Empfindungen miteinander; sie war verunsichert und auf eine Weise entsetzt, die er nur zu gut nachempfinden konnte. Aber er spürte, daß er gewonnen hatte, wenn er nicht im letzten Moment noch einen Fehler beging.

»Du... du gehörst nicht zu den Zauberpriestern?« fragte die Errish stockend.

Skar verneinte. »Und Titchs Krieger ebensowenig. Sie gehören zu dem Heer, das uns die Quorrl sandten, um Ikne und die südlichen Länder zu befreien.«

Die Lippen der Errish begannen zu zittern. »Wer... wer bist du?« fragte sie.

»Mein Name ist Skar«, antwortete Skar. »Ich bin ein Satai. Ein Hoher Satai, wenn du es genau wissen willst, du dummes Weib! Del, der Kriegsherr der Satai, sandte mich nach Elay, um mit der Margoi Kontakt aufzunehmen.« Plötzlich wurde er zornig. Sein Entsetzen über dieses neuerliche, sinnlose Töten machte sich in Wut Luft, die er nicht mehr zu beherrschen imstande war. »Er wußte nicht, daß ich auch einen Haufen blindwütiger Amazonen treffen würde, die erst schießen und dann denken! Wer führt euch an ?«

»Ich... ich glaube dir nicht!« antwortete die Errish. Ihre Stimme war schrill. Sie schrie mehr, als sie sprach. »Du lügst! Die Margoi ist tot, wie alle anderen, und... und...« Sie verlor den Faden, begann zu stammeln und schien plötzlich alle Mühe zu haben, die Tränen zurückzuhalten.

Skar sah sie genauer an. Er war ihr jetzt nahe genug, um ihr Gesicht erkennen zu können, und er sah, daß sie ebenso jung war wie das Mädchen, das ihn draußen zwischen den Felsen angegriffen hatte; nur ein paar Jahre älter als Kiina, wenn überhaupt. Und auch die Gesichter der anderen, die nach und nach näher gekommen waren, erschienen ihm nicht wesentlich älter. Großer Gott - hatten sich Titchs Quorrl eine Schlacht mit Kindern geliefert? Aber selbst dieser Gedanke vermochte seine Wut nicht völlig zu besänftigen. Zornig hob er die Waffe, schleuderte sie der Errish vor die Füße und starrte sie an. »Dann erschießt mich meinetwegen!« fauchte er. »Oder ruf deine Schwestern zurück und geh aus dem Weg!«

Ohne die Antwort der Errish abzuwarten, fuhr er herum, ging an ihr vorbei und näherte sich den Felsen, zwischen denen sich Titchs Quorrl verschanzt hatten. Die Errish, denen er begegnete, traten zögernd beiseite. Skar versuchte, in den Schatten vor sich Einzelheiten zu erkennen. Hier und da glühte der Felsen noch, wo er von den Schüssen der fürchtlichen Lichtwaffe getroffen worden war; dumpfes Stöhnen und Schmerzlaute drangen zwischen den Felsen hervor, und überall lagen die massigen Gestalten verletzter oder toter Quorrl.

Skar blieb stehen, als er sich den Felsen bis auf zehn Schritte genähert hatte, und hob die Arme. »Ich bin es, Skar!« rief er, so laut er konnte. »Nicht schießen!«

Er bekam keine Antwort, blieb ein paar Sekunden reglos stehen und ging dann vorsichtig weiter. Die Schatten zwischen den Lavafelsen bewegten sich; Metall klirrte. Skar blieb abermals stehen, ließ die Arme wieder sinken und drehte den Kopf von rechts nach links. »Ist Titch noch am Leben?« rief er.

Nicht weit von ihm bewegte sich etwas. Ein dumpfes Kollern erscholl, und ein verirrter Lichtstrahl brach sich auf Metall und ließ es golden auffunkeln.

»Den Göttern sei Dank, du lebst!« sagte Skar. »Es ist alles in -«

»Ich habe gehört, was ihr geredet habt«, unterbrach ihn der Quorrl, während er sich vollends hinter seiner Deckung aufrichtete. Etwas in seiner Stimme warnte Skar. »Was wolltest du sagen, Mensch?« Er sprach das Wort wie eine Beschimpfung aus. »Daß alles in Ordnung ist? Die Hälfte meiner Männer sind tot, aber es war alles nur ein Irrtum, wie? Ein bedauerliches Mißverständnis?« Er kam näher, und zum ersten Mal seit Wochen wieder kam Skar wirklich zu Bewußtsein, wie groß und unglaublich stark Titch war, selbst für einen Quorrl. Zum ersten Mal seit Wochen hatte er wieder Angst vor ihm.

»Dann können wir ja jetzt unsere Wunden lecken und weiterziehen, wie?« fuhr Titch fort: kalt, gefühllos, als versuche ein Stein zu reden. »Es war ja alles nicht so gemeint. Und es tut mir auch wirklich leid, Satai, wenn wir eine oder zwei deiner Errish verletzt haben sollten, bei dem Versuch, unser Leben zu retten.«

»Bitte, Titch«, sagte Skar. »Ich verstehe ja, daß du -«

Titchs Hand zuckte vor, packte Skar und riß ihn mit brutaler Kraft in die Höhe. Skar verlor den Boden unter den Füßen, keuchte vor Schrecken und unterdrückte im letzten Moment den Impuls, sich losreißen zu wollen. Titchs Augen funkelten ihn durch den dünnern Sehschlitz des schweren goldenen Helmes an wie glitzernde Diamanten, und er sah Haß darin, einen brennenden, unbezwingbaren Haß, der ihn schaudern ließ. Er wollte etwas sagen, aber er bekam keine Luft; Titchs Faust schnürte ihm den Hals zu.

»Du«, knurrte der Quorrl, »verstehst gar nichts, Satai. Du bist auch nur -« Er brach ab, starrte Skar eine weitere, quälende Sekunde lang aus brennenden Augen an und öffnete warnungslos die Faust. Skar taumelte zurück, konnte einen Sturz nicht mehr ganz verhindern und fiel auf ein Knie herab.

Als er sich wieder aufrichtete, hatte der Quorrl sich herumgedreht und die gesunde Hand zur Faust geballt. Er stand vollkommen reglos da, breitbeinig, die gewaltigen Schultern gebeugt wie unter einer unsichtbaren Zentnerlast, und trotzdem überragte er Skar noch immer um mehr als Haupteslänge.

»Titch, ich -«

»Schweig«, sagte der Quorrl. »Bitte.«

»Kein Kampf mehr?« fragte Skar leise.

Sekundenlang antwortete Titch nicht. Dann schüttelte er kaum merklich den Kopf. »Nein. Geh, Satai. Geh zu deinen Freunden.« Skar wollte weiterreden, aber dann spürte er, daß Worte jetzt sinnlos waren. Was immer er sagen konnte, es würde alles nur noch schlimmer machen. Niedergeschlagen drehte er sich um und ging zu den Errish zurück.

Er sah jetzt, daß es nicht sehr viele waren; zusammengenommen mit den dreien, die er niedergeschlagen hatte, nicht viel mehr als ein Dutzend, die zwischen den knorrigen Gestalten der Reptilienwesen sonderbar klein und verwundbar wirkten. Und sie waren wirklich alle so jung, wie er geglaubt hatte. Die Gesichter, die ihn schreckensbleich unter den schwarzen Kapuzen hervor anstarrten, waren die von Kindern, die nicht einmal begreifen konnten, was sie getan hatten.

Er trat wieder auf die Errish zu, mit der er gesprochen hatte. »Sie legen die Waffen nieder«, sagte er bitter. »Der Kampf ist vorbei.«

»Du meinst, sie ergeben sich?« fragte die Errish.

Skar ohrfeigte sie.

Er wollte es nicht, aber seine Hand bewegte sich einfach ohne sein Zutun und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige, die sie meterweit zurücktaumeln ließ. Eines der Mädchen neben ihr sog scharf die Luft ein und hob seine Waffe. Skar starrte sie an, und der Scanner senkte sich wieder. Wütend eilte er der Errish nach, packte sie bei den Schultern und riß sie herum. »Nein!« sagte er. »Sie ergeben sich nicht! Sie beenden den Kampf, falls du den Unterschied begreifst! Sie wissen nämlich, wer ihre Feinde sind!«

Die junge Errish hob erschrocken die Hand vor das Gesicht, als hätte sie Angst, noch einmal geschlagen zu werden, und plötzlich sah Skar Tränen in ihren Augen. »Es... es tut mir leid, Satai!« stammelte sie.

»Leid?« Skar lachte böse. »So? Dort drüben liegen zwanzig tote Männer, Kleines! Warum gehst du nicht zu Titch hinüber und entschuldigst dich bei ihm?« Er versetzte ihr einen Stoß, der sie abermals zurück - und in die Arme einer ihrer Schwestern taumeln ließ. Zorn packte ihn, ein furchtbarer, hilfloser Zorn, der vielleicht um so schlimmer war, als er gleichzeitig begriff, daß diese Kinder nicht einmal verstanden, was er überhaupt meinte. Wütend drehte er sich herum, machte ein paar Schritte zurück in Richtung auf die Felsen, zwischen denen sich die Quorrl allmählich aufrichteten, und blieb wieder stehen.

Warum? dachte er. Warum mußte alles, was er begann, so enden? War es wirklich so, wie er einmal zu Kiina gesagt hatte: daß ein Fluch auf ihm lastete, der alle verdarb, die in seine Nähe kamen?

Er hob den Kopf und starrte zu den Felsen empor, darauf gefaßt - fast in Erwartung -, den Daij-Djan zu sehen, seinen finsteren Schatten, der gekommen war, um sein Werk zu betrachten und ihn höhnisch anzugrinsen. Aber er war nicht da. Vielleicht hatte er ihn besiegt, in Drasks Burg, vielleicht hatte er sich auch nur zurückgezogen und beobachtete ihn, wartete auf einen Moment, in dem er ihn noch härter treffen konnte.

Schritte drangen in seine Gedanken. Er sah auf, blickte in das Gesicht der jungen Errish, dessen linke Seite sich bereits rötete, und wollte sich umdrehen, ehe er begriff, daß er sich damit nicht weniger närrisch benehmen würde als sie.

»Skar, es... es tut mir leid«, murmelte die Errish. »Du... du mußt mir glauben, daß ich wirklich dachte, ihr... ihr wärt...« Sie sprach nicht weiter, sondern blickte ihn flehend an, und Skar glaubte zu spüren, was in ihr vorging. In ihr und allen anderen. Aber er tat ihr nicht den Gefallen, irgendeine dumme Bemerkung zu machen, die sowieso nichts ändern würde. Dieses dumme Kind hatte genug Schmerz ausgeteilt, um ein wenig davon zurückzubekommen.

»Du dachtest?« fragte er hart. »Was dachtest du?«

»Wir haben nur die Quorrl gesehen«, antwortete die Errish mit zitternder Stimme. Ihr Blick irrte über Skars Gesicht, suchte nach einem Zeichen von Verständnis oder Vergebung und fand keines von beiden. »Nicht dich! Sie... sie näherten sich Elay, und... und wir dachten, sie wären gekommen, um... um die Stadt zu besetzen, oder -«

»Die Stadt besetzen?« unterbrach sie Skar. »Fünfzig Quorrl? Eine Stadt wie Elay?«

»Sie haben sie vernichtet!« sagte das Mädchen. Plötzlich konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Sie haben... ganz Elay zerstört. Sie sind alle tot, Satai. Alle!« Das letzte Wort schrie sie. »Ich weiß«, antwortete Skar. »Ich war dort.«

»Wir dachten, ihr... ihr gehört zu ihnen«, fuhr die Errish fort, die gar keine Errish war, sondern nur ein dummes Kind, das sich einen Mantel übergestreift hatte, der ihm zu groß war. Und entschieden zu schwer. »Sie haben die Stadt zerstört, aber... aber niemand kam, um nachzusehen. Niemand kam, um... um etwas zu tun oder... oder...« Sie atmete tief ein und raffte all ihre Kraft zusammen, um mit gefaßterer Stimme und jetzt wieder fast trotzig weiterzusprechen: »Wir dachten, sie kämen im Auftrag der Zauberpriester, um sich davon zu überzeugen, daß Elay auch wirklich vernichtet ist.«

Skar glaubte ihr. Was sie erzählte, war das, was er erwartet hatte. Und was hätten sie auch tun sollen? Sie waren keine Kriegerinnen, und schon gar keine Errish, sondern Kinder. Ein schwarzer Mantel und ein paar telepathische Kunststücke und eine Handvoll einer Million Jahre alter Zauberwaffen machten keine Erwachsenen aus ihnen. Skar konnte sie sogar verstehen. Es waren Mädchen wie Kiina; Kinder, die zu unwichtig gewesen waren, als daß die Sternenbestie sich für sie interessierte, die vielleicht nur durch Zufall dem Tod entronnen waren. Sie hatten hilflos mit ansehen müssen, wie ihre Heimat und all ihre Freunde und Familienmitglieder getötet worden waren, umgebracht von einem Feind, den sie nicht einmal kannten. Sie hatten gar nicht anders gekonnt, als die Quorrl anzugreifen. In seinen Zorn mischte sich Mitleid. Aber er vermochte keines von beiden auszudrücken; nicht in diesem Moment. »Wie ist dein Name, Kind?« fragte er.

»Anschi«, antwortete die Errish.

»Anschi, so.« Skar dachte an Titch, und er fragte sich, was der Quorrl nun tun würde. Sie waren keine Freunde, das würden sie niemals werden, so sehr es sich Skar insgeheim wünschte, aber sie waren zumindest Verbündete gewesen, als sie den langen Weg in den Norden antraten. Jetzt... er wußte es einfach nicht. Aber die Vorstellung, daß das, was hier geschehen war, daß dieses lächerliche Mißverständnis vielleicht das Schicksal ganz Enwors verändern konnte, trieb ihn fast in den Wahnsinn.

»Habt ihr von euren Müttern auch die Heilkunst geerbt, oder nur ihre Waffen?« fragte er.

»Ein wenig«, antwortete Anschi zögernd.

»Dann nimm deine Schwestern und geh zu Titch«, sagte Skar leise. »Seine Männer werden eure Hilfe brauchen. Falls sie sie annehmen, heißt das.«

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