12.

Es wurde wieder Tag, bis die Quorrl erwachten, und wie Skar erwartet hatte, war es Titch, der die betäubende Wirkung des grünen Feuers als erster überwand. Das Erwachen schien sehr schmerzhaft zu sein; Titch begann zu stöhnen, als das erste Grau der Dämmerung in die Höhle kroch, aber es verging noch fast eine Stunde, bis er soweit war, die Augen aufzuschlagen und sich in die Höhe zu stemmen. Seine Augen waren verschleiert, und obwohl sein Gesicht eine ausdruckslose Maske aus Schuppen und Horn blieb, spürte Skar genau, daß er sich im ersten Moment nicht zurechtfand. Dann fiel der Blick an Skar vorüber auf die reglos daliegenden Krieger.

»Sie leben«, sagte Skar rasch. »Genau wie du.«

Titch stemmte sich vollends in die Höhe. Er sagte kein Wort, sondern ging mit raschen Schritten an Skar vorbei und kniete neben dem Krieger nieder, der vor dem Eingang lag. Skar sah, daß er ihn rasch, aber sehr gründlich untersuchte, ehe er sich wieder aufrichtete und ihn fragend ansah. »Jarr ist fort.«

»Nein«, antwortete Skar. »Sie haben Titch mitgenommen.« Titch sah ihn verwirrt an, und Skar fügte mit einer erklärenden Geste hinzu: »Den Quorrl in der goldenen Rüstung.« Er lächelte flüchtig, als Titch überrascht zusammenfuhr und an sich herabsah. Offensichtlich war ihm bisher nicht einmal aufgefallen, daß er nackt war.

»Was ist passiert?«

Skar sah nach draußen, ehe er antwortete. Der Morgen war so ruhig, wie die zweite Hälfte der Nacht gewesen war. Er hatte damit gerechnet, daß die Errish nicht nur die Höhle, sondern den gesamten Berg Zentimeter für Zentimeter untersuchen und nötigenfalls jeden Stein umdrehen würden, wenn sie endgültig begriffen, daß er nicht mehr da war. Aber das Gegenteil war der Fall gewesen: vier von Anschis Mädchen waren gekommen und hatten den Quorrl in Titchs Rüstung ächzend davongeschleppt, und das war alles.

»Was ist passiert?« fragte Titch noch einmal. Skar sah auf und erkannte, daß er ein herumliegendes Kleidungsstück aufgehoben und flüchtig um die Hüften geschlungen hatte. Er sah lächerlich darin aus.

Skar hob die Hand und streckte Zeige- und Mittelfinger aus. »Du schuldest mir jetzt zwei Leben.« Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht richtig. Beinahe verlegen stand er auf, ging zum Ausgang und blinzelte aus tränenden Augen hinaus. Er war müde, denn natürlich hatte er es nicht gewagt, in seinem Versteck im Stein zu schlafen; ganz davon abgesehen, daß er auch kaum Schlaf gefunden hätte.

»Was... ist... geschehen?« fragte Titch zum dritten Mal und in völlig verändertem Tonfall. Seine Stimme klang herrisch, fordernd, fast drohend. Es war nichts Unterwürfiges oder auch nur Trotziges darin. Der Quorrl, der jetzt zu ihm sprach, war wieder der alte Titch, der Fürst seines Volkes, der es gewohnt war, zu befehlen, und ganz bestimmt nicht, einen Menschen um irgend etwas zu bitten. Er hörte Titchs Schritte hinter sich, und eine Sekunde später legte sich Titchs gesunde Hand auf seine Schulter, so fest, daß er um ein Haar vor Schmerz aufgestöhnt hätte.

Bevor Titch ihn herumreißen konnte, drehte sich Skar mit einer erzwungen ruhigen Bewegung zu ihm um. Titch stand ganz dicht hinter ihm und starrte auf ihn herab, und für einen Moment, das spürte Skar ganz deutlich, waren sie wieder Feinde; nicht mehr Skar, der Satai, der längst kein Satai mehr war, und Titch, der Quorrl, der längst kein Quorrl mehr war, sondern nurmehr Mensch und Quorrl, Sternengeborener und rechtmäßiger Herrscher dieses Planeten, Feinde von Geburt an, die so verschieden waren, daß ein Zusammenleben einfach nicht möglich war, so wenig, wie Feuer und Wasser gemeinsam existieren konnten. Er spürte genau, daß Titch ihn in diesem Moment haßte, und auch er haßte den Quorrl, fühlte für eine einzige, aber fürchterliche Sekunde nichts anderes als den Wunsch, seine Pranke beiseite zu schlagen und das Schwert zu ziehen, um ihn zu (Töte! wisperten seine Gedanken. Vernichte ihn! Töte! Töte! Tötet) zu schlagen, ihn niederzuwerfen und diesem verdammten Tier zu zeigen, wer der wahre Herr hier war, wie wenig - Seine Hand packte Titchs Klaue und umklammerte sie mit aller Macht, aber er merkte es nicht einmal. Die Panzerschuppen des Quorrl knirschten unter seinem Griff. Blut quoll unter Skars Fingernägeln hervor, und die Kraft seiner Finger mußten selbst Titch Schmerzen zufügen, denn die Augen des Quorrl zogen sich überrascht zusammen, aber Skar registrierte von alledem kaum etwas. Töte! schrien seine Gedanken. Vernichte ihn! Zerstöre! Töte! »Nein!« stöhnte Skar. Er wankte. Titchs Finger lösten sich von seiner Schulter, aber Skar ließ seine Hand nicht los, sondern drückte im Gegenteil noch fester zu, bis der Schmerz in seinen eigenen Fingern schier unerträglich wurde.

Vielleicht war er es, der ihn rettete. Skar hatte gelernt, selbst Schmerz zu etwas Positivem zu machen, ihn zu nutzen, sich an ihn zu klammern wie an ein Rettungsseil, statt vor ihm zu fliehen, wie ihm seine Instinkte befehlen wollten. Es war nicht das erste Mal, daß er sich wie an einer Nabelschnur aus Agonie in die Wirklichkeit zurückhangelte, nur, daß er jetzt nicht gegen Bewußtlosigkeit oder ihren dunklen Bruder Tod ankämpfte, sondern gegen etwas Schlimmeres, gegen den Wahnsinn, mit dem die Magie der Sternengeborenen seinen Geist in etwas Fremdes, unsagbar Fremdes und Mörderisches verwandeln wollte.

Er taumelte, fiel auf die Knie und preßte die blutende Hand gegen den Leib. Titch wollte abermals nach ihm greifen, und Skar schlug seine Hand beiseite, obwohl er spürte, daß der Quorrl ihm nur helfen wollte. »Nicht«, stöhnte er. »Faß mich... nicht an.«

»Was ist mit dir?« fragte er alarmiert.

Der Schmerz in Skars Hand ebbte ganz allmählich ab, und im gleichen Maße wurden die Wogen aus roter Wut flacher, die seinen Geist zu verschlingen drohten. Trotzdem blieb er minutenlang am Boden hocken, die Hand zur Faust geballt, so fest er konnte, so daß das Blut weiter aus seinen zerbrochenen Fingernägeln lief und der Schmerz immer wieder neu aufloderte, bis er es wagte, sich ganz allmählich zu entspannen; aber vorsichtig, behutsam und jederzeit auf einen neuen, heimtückischen Angriff seiner eigenen Gedanken gefaßt.

Titch sah ihn voller Mißtrauen an, als er sich nach einer Weile aufrichtete und gleich darauf erschöpft gegen die Wand sinken ließ. Wie fast immer in letzter Zeit, wenn er sich einer großen körperlichen Anstrengung ausgesetzt hatte, wurde ihm erst schwindelig und dann schlecht, aber diesmal wehrte Skar sich nicht dagegen, denn die Übelkeit erstickte auch gleichzeitig die Wut, die noch immer wie ein kleines rotes Raubtier in einer Ecke seiner Gedanken nistete.

»Was war das?« fragte Titch.

Skar zuckte mit den Schultern und wollte einfach den Kopf schütteln, aber dann tat er es nicht. »Nichts«, sagte er spöttisch. »Ich hatte nur Lust, dich ein bißchen umzubringen.«

Titchs Stirnrunzeln vertiefte sich, aber der Quorrl schwieg. »Es sind... die Träume«, fuhr Skar fort, stockend, mit trockener Zunge, die seinem Willen nicht mehr richtig gehorchte, als gäbe es da eine Macht in seinem Inneren, die verhindern wollte, daß er dem Quorrl alles erzählte. Aber er mußte es. Vielleicht war der Moment nicht mehr fern, in dem er Hilfe brauchte, um mit dem Ungeheuer fertig zu werden, dessen Embryo die Sternengeborenen in seinen Geist gepflanzt hatten. »Es ist dasselbe, was Anschi passiert ist«, sagte er. »Und Kiina und den Errish in Elay - und vermutlich auch dem Rest der Welt, Titch. Es wird... stärker.«

»Du meinst, du spürst es jetzt auch schon, wenn du wach bist.« Skar nickte. Die ungeheure Tragweite dessen, was er gerade selbst ausgesprochen hatte, ließ ihn schaudern. Wie lange noch? dachte er. Wie lange würde es noch dauern, bis ganz Enwor in einem gewaltigen Taumel aus Blut und zielloser Gewalt versank? »Es ist ein Teil von alledem, nicht wahr?« Titch machte eine weit ausholende Handbewegung, und Skar nickte abermals, zuckte dann mit den Schultern und schüttelte schließlich hilflos den Kopf. »Ich weiß es nicht«, flüsterte er. »Aber ich fürchte es. Wahrscheinlich. Vielleicht wird es nur stärker, weil wir uns ihrer Heimat nähern. Aber vielleicht gehört es auch dazu.«

Es gab kein vielleicht. Skar wußte, daß Titch hundertprozentig recht hatte. Was ihre Gedanken vergiftete, das war genauso Teil jenes unvorstellbaren Verteidigungsmechanismus, den ihre Vorfahren erschaffen hatten, wie der Dronte, das Netz und die Ultha und alle anderen Schrecken, die noch auf sie warten mochten. Eine Waffe, die nicht greifbar, dafür aber um so fürchterlicher war, denn sie zerstörte ihre Seelen. Vielleicht war es ihr letzter, verzweifelter Versuch gewesen, damals in ihrem unerbitterlichen Kampf gegen die wahren Herrscher dieser Welt: eine Waffe, die Krieger aus Männern und Frauen und Kindern machte.

»Aber das ergibt keinen Sinn«, sagte Titch auf seine gewohnte, pragmatische Art. »Es vernichtet euch, nicht uns.«

Skar antwortete nicht, aber er wußte, daß Titch die Antwort so gut kannte wie er. Es ergab sehr wohl Sinn, denn es brachte sie dazu, die Quorrl zu hassen.

»Es ergibt auch keinen besonderen Sinn, wenn wir weiter hier bleiben«, sagte er, nur um das Thema zu wechseln. »Besorg' dir etwas zum Anziehen, und dann weck' diese Schlafmützen auf. Ich habe keine Lust, noch eine Nacht in diesem Loch zu verbringen.« Titch lächelte pflichtschuldig, und er versuchte sogar, seine grobschlächtigen Gesichtszüge zu etwas zu verziehen, das den Eindruck erweckte, daß er auf Skars scherzhaften Ton einging. Aber sein Blick blieb ernst, fast - nein, dachte Skar, nicht nur fast, sondern ganz eindeutig - besorgt. Trotzdem wandte er sich nach einer Weile gehorsam um und bückte sich nach den Kleidern, die Skar Jarr am vergangenen Abend ausgezogen hatte.

Skar sah ihm einen Moment schweigend zu, dann wandte er sich um und ging wieder zum Ausgang der Höhle zurück. Sein Blick suchte das Lager der Errish, und er begriff mit schmerzhafter Deutlichkeit, daß sie noch andere Feinde hatten als seine Gedanken. Ganz konkrete und sehr faßbare Feinde, von denen zwei wie riesige schwarze Vögel mit zusammengefalteten Schwingen auf den Felsen unter ihnen saßen, so nahe, daß er sich zum wiederholten Male fragte, wieso sie nicht längst auf den Gedanken gekommen waren, die Höhle noch einmal und gründlicher zu durchsuchen.

Er fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht, blinzelte ein paarmal, um die Tränen fortzubekommen, die ihm das ungewohnt grelle Tageslicht in die Augen trieb, und spähte konzentriert nach unten. Bis auf die beiden schlafenden Daktylen schien das Lager der Errish verlassen zu sein. Er konnte das grob geformte Oval aus Felsen nur zur Hälfte einsehen, aber das Feuer war heruntergebrannt und erloschen, und von Anschis Mädchen war keine Spur mehr zu erblicken. Während der letzten Stunden der vergangenen Nacht hatte die Luft über den Bergen von den Flügelschlägen der Daktylen nur so geschwirrt, denn Anschis Reiterinnen waren mit dem ersten Grau der Dämmerung in alle Richtungen ausgeschwärmt, um ihn zu suchen. Jetzt war es fast unheimlich still. Die beiden riesigen Drachenvögel dort unten schienen zu schlafen. Aber ihre Reiterinnen sonderbarerweise auch.

Skars Blick tastete über das Gewirr von Schatten und bizarren Felsformen, die das Lager der Errish umgaben. Wäre er dort unten gewesen, dann hätte er sich eine Deckung gesucht und in aller Ruhe abgewartet; das Vorgebirge bot ausreichend Verstecke, um eine ganze Armee zu verbergen. Aber gleichzeitig spürte er, daß es nicht so war. Skar wußte stets, wenn er beobachtet wurde. Es war ein Teil seiner Ausbildung gewesen, Blicke einfach zu spüren, und er hatte diese Fähigkeit im Laufe der Jahre sorgsam weiterentwickelt. Sie hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet. Jetzt fühlte er... nichts.

Nach einer Weile trat Titch wieder neben ihn. Sekundenlang blickte er genau wie Skar konzentriert auf das verlassene Lager der Errish herab, dann machte er eine auffordernde Handbewegung. »Vielleicht verrätst du mir jetzt, was passiert ist?«

»Warum erzählst du mir nicht einfach, was los war - und ich steuere den Rest bei?« schlug Skar vor.

Titch seufzte. »Ihr Menschen redet zu viel, weißt du das ?« fragte er. Er machte eine unwillige Geste, als Skar antworten wollte. »Aber gut - es ist ohnehin nicht viel. Du warst nicht lange fort, gestern abend, als der Posten ein verdächtiges Geräusch hörte. Ich wollte hingehen, aber ich kam nicht einmal einen Schritt weit. Etwas ... traf meine Krieger und dann mich. Ich weiß nicht was. Ich habe nicht einmal richtig begriffen, daß wir angegriffen wurden.« Er zog eine Grimasse. »Ich werde leugnen, es jemals zugegeben zu haben, solltest du es vor Fremden wiederholen, aber ich bin noch niemals so übertölpelt worden wie gestern.«

»Ich auch nicht«, sagte Skar. »Es war kein Zufall, weißt du? Kiina ist aus dem einzigen Grund gekommen, mich fortzulocken. Sie schlug mich nieder, als ich zu euch zurückkehren wollte.« Titchs Gesicht verfinsterte sich, und Skar fügte fast hastig hinzu: »Es war nicht ihre Schuld. Sie wußte nicht, was sie tat.«

»Sagst du das, weil du es glaubst oder weil du es glauben möchtest?«

Skar lächelte. »Beides. Ich habe gesehen, was danach geschah. Kiina schlug mich nieder, aber sie beging den Fehler, sich nicht davon zu überzeugen, daß ich auch wirklich ausgeschaltet war.« Er hatte das absurde Gefühl, daß Titch die Lüge mühelos durchschauen mußte, und sprach schneller und deutlich unsicherer weiter, als ihm selbst lieb war. Mit wenigen, knappen Sätzen berichtete er Titch, was er beobachtet hatte, wobei er nur zweierlei wegließ : seine neuerliche Begegnung mit dem Daij-Djan und seine Beobachtung, die Zauberpriester fliegen zu sehen. Das eine, fand er, ging Titch einfach nichts an. Und das andere hätte er ihm wahrscheinlich nicht geglaubt.

»Sie werden Jarr töten«, sagte Titch ruhig, als er mit seinem Bericht zu Ende gekommen war. »Sie werden den Betrug durchschauen und ihn umbringen.«

Skar wich seinem Blick aus. »Vielleicht«, antwortete er. »Vielleicht auch nicht. Anschi ist keine Mörderin.«

Titch lachte rauh. »Du verteidigst sie immer noch - nach allem?«

»Der Zauberpriester gab ihr den Befehl, deine Leute zu fesseln, damit die Raubtiere sie töteten«, sagte Skar scharf. »Sie hat es nicht getan, oder?«

»Richtig«, bestätigte Titch. »Erinnere mich daran, daß ich mich bei ihr bedanke, wenn wir uns das nächste Mal sehen.«

Der Spott des Quorrl schürte Skars Wut schon wieder - aber es war nur ganz normaler Zorn, aus Unsicherheit und Müdigkeit geboren, nicht das verzehrende Feuer der flüsternden Träume. Er kämpfte nicht dagegen an. »Was hätte ich tun sollen?« fragte er gereizt. »Zusehen, wie sie dich wegbringen? Oder ganz allein gegen sie alle kämpfen? Verdammt noch mal, soll ich mich vielleicht bei dir dafür entschuldigen, daß ich dir das Leben gerettet habe?« Und vielleicht war es genau das, was er hätte tun sollen, dachte er. Es waren Momente wie diese, die Skar immer wieder schmerzhaft daran erinnerten, daß Titch ein Todgeweihter war, so wie jeder einzelne Krieger in seiner Begleitung. Nach den komplizierten Ehrenregeln seines Volkes hätte der Quorrl seinem Leben schon vor Wochen ein Ende setzen müssen, und er hätte es getan, hätte Skar ihn nicht mit Gewalt daran gehindert. Das Leben, das er seither lebte, hatte Skar ihm abgetrotzt. Aber irgendwann, das wußte er, war sein Kredit bei dem Quorrl aufgebraucht.

»Entschuldige«, murmelte er. »Das wollte ich nicht sagen.«

»Warum hast du es dann getan?«

Statt zu antworten, deutete Skar mit einer Kopfbewegung auf die vier Quorrl hinter Titch. »Was ist mit ihnen?« fragte er in absichtlich ruppigem Ton. »Kannst du sie aufwecken?«

Titch nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Ich könnte es«, sagte er. »Aber es ist nicht nötig. Sie werden von selbst erwachen, in kurzer Zeit. Vielleicht sollten wir diese Frist nutzen, einen Fluchtplan auszuarbeiten.« Er deutete zur Höhlendecke. »Du hast es selbst gesagt: es hat sehr wenig Sinn, noch einen Tag in diesem Loch zu verbringen.« Er beugte sich mit absichtlich übertriebener Gestik vor und verdrehte den Kopf, um in den Himmel hinaufzublicken. »Wo sind deine geflügelten Freundinnen?« fragte er. »Ich wünschte, ich wüßte es«, antwortete Skar. Er deutete auf die Umrisse der beiden Daktylen, hundert Schritte unter ihnen. Sie hatten sich während der ganzen Zeit nicht einmal bewegt. »Die beiden da sind die einzigen, die zurückgeblieben sind. Die anderen...« Er hob die Schultern. »Vielleicht suchen sie nach mir.« Titchs Blick machte deutlich, was er von dieser Erklärung hielt, aber er ging mit keinem Wort darauf ein. »Wo Daktylen sind, sind auch Errish nicht weit. Vielleicht sollten wir hinuntergehen und sie fragen«, schlug er vor.

»Ich«, verbesserte ihn Skar. »Nicht wir.« Titch wollte widersprechen, aber Skar schnitt ihm mit einer entschiedenen Geste das Wort ab. »Ich«, sagte er betont, »traue mir durchaus zu, dort hinunterzukommen, ohne gesehen zu werden. Du auch?«

»Nein«, antwortete Titch. »Aber ich komme trotzdem mit.« Skar resignierte. Er hatte einfach keine Lust, schon wieder mit dem Quorrl zu streiten - und er sah im Grunde sehr wohl ein, daß Titch recht hatte. Während der letzten acht oder zehn Stunden hatte er mehr Glück gehabt, als selbst mit dem Wort Zufall noch zu erklären war, und vielleicht war es besser, es nicht über die Maßen zu strapazieren. Und außerdem hatte er schlicht und einfach Angst, allein zu sein. Das Ding in ihm war nicht besiegt. Es schlief nicht einmal, sondern wartete ab. Skar wußte nicht, was geschehen würde, wenn er allein einer Errish gegenübertrat. Ohne ein weiteres Wort hob er seinen Mantel vom Boden auf, hüllte sich in den schwarzen Stoff und trat aus der Höhle heraus.

Es gab auf den ersten Metern nicht besonders viel Deckung, aber die frühe Stunde kam ihnen zugute. Die Sonne stand noch tief, und selbst kleine Felsen warfen Schatten, die lang und tief genug waren, sie notdürftig zu verbergen. Und der Quorrl legte trotz seiner Größe und Massigkeit ein erstaunliches Geschick an den Tag: Titch huschte fast lautlos neben ihm her, und mehr als nur einmal fiel es selbst Skar schwer, seinen schuppigen Körper zwischen den Felsen auszumachen, durch die sie sich hindurchschlängelten. Skar beobachtete scharf die Umrisse der beiden Daktylen, während sie sich den Hang hinunterarbeiteten. Die beiden riesigen Flugechsen rührten sich noch immer nicht, und Skars Vermutung, daß irgend etwas mit ihnen nicht stimmte, wurde fast zur Gewißheit. Er wußte, wie scharf die Sinne dieser geflügelten Reptilien waren. Die Daktylen hätten sie einfach gewittert, wenn schon nicht gehört.

Unbehelligt erreichten sie das Ende des Geröllhanges und tauchten zwischen den Felsen unter, die Anschis Lager umgaben. Skar blieb stehen, lauschte. Nichts. Die einzigen Laute, die er hörte, waren das Rascheln des Windes und seine und Titchs gedämpfte Atemzüge. Titch warf ihm einen fragenden Blick zu und machte eine Bewegung, weiter zu gehen, aber Skar schüttelte den Kopf. Lautlos zog er sein Schwert, deutete mit der freien Hand in die dem Talkessel abgewandte Richtung und lief los, ehe der Quorrl Gelegenheit bekam, zu widersprechen. Überflüssig oder nicht, er zog es schon aus reiner Gewohnheit vor, sich dem Lager aus der entgegengesetzten Richtung zu nähern. In weitem Bogen umrundete er die Felsen, auf denen am Abend zuvor Anschis Drachen gesessen hatten, näherte sich der Ebene und hielt wieder an. Ein eisiger Schauer lief über seinen Rücken, als er die gewaltigen Spuren im Sand sah, die die Drachen hinterlassen hatten: Abdrücke riesiger, vierzehiger Klauen, so lang wie ein Mann, der mit ausgestreckten Armen und Beinen dalag, und tief genug, daß er sich bequem darin hätte verbergen können. Titch würde...

Titch würde gar nichts, denn Titch war nicht da.

Skar sah erschrocken hoch, blickte nach rechts und links und hinter sich und blinzelte sogar zu den Felsen über seinem Kopf hoch, ehe er sich eingestand, daß er allein war. Er hatte ganz automatisch angenommen, daß der Quorrl ihm folgen würde, aber Titch hatte es nicht getan. Skar unterdrückte einen Fluch, fuhr herum und rannte zu den Felsen zurück, so schnell er konnte. Trotzdem kam er zu spät.

Titch stand auf der anderen Seite des Tales, als er in das steinerne Oval stürmte, breitbeinig, mit gezogenem Schwert und leicht nach vorne gebeugt, und für einen Moment kam er Skar auch ohne seine goldene Rüstung wie ein schimmernder Racheengel vor, der wie ein Sturmwind über die beiden Errish hereingebrochen sein mußte, die vor ihm lagen.

Skar fluchte, ließ auch den letzten Rest von Vorsicht fallen und rannte mit weit ausgreifenden Schritten auf den Quorrl zu, »Titch!« brüllte er. »Du verdammter Narr! Was -«

Titch sah auf, als er seine Stimme hörte, und im gleichen Moment, in dem Skar in sein Gesicht blickte, erkannte er seinen Irrtum. Auf den Zügen des Quorrl stand nichts als Verblüffung und Schrecken. Der Sand unter den beiden reglosen Gestalten zu seinen Füßen hatte sich dunkel gefärbt, aber die Klinge seines Schwertes war sauber. Titch hatte die beiden Errish nicht getötet. Verwirrt blieb Skar neben ihm stehen, sah erst Titch, dann die beiden Errish und dann wieder Titch an und blinzelte schließlich zu den Daktylen hinauf. Die Sonne stand genau hinter ihnen, so daß er sie nur als schwarze Schatten erkannte, aber er wußte mit unerschütterlicher Sicherheit, daß auch sie tot waren, ausgelöscht von derselben, gnadenlosen Kreatur, die auch die beiden jungen Frauen getötet hatte.

»Du bist völlig sicher, daß du heute nacht nicht einen kleinen Spaziergang unternommen hast, von dem ich nichts weiß?« fragte Titch. Der Klang seiner Stimme strafte die bewußt lockere Wahl seiner Worte Lügen. Sie klang belegt, auf eine Art und Weise betroffen, die Skar dem Quorrl bisher gar nicht zugetraut hatte. Stumm schüttelte er den Kopf, schob sein Schwert in den Gürtel zurück und sah sich genauer um, wobei er es fast krampfhaft vermied, die beiden toten Errish zu seinen Füßen anzublicken. Aber das nutzte ihm nichts. Er mußte die Toten nicht untersuchen, um zu wissen, was sie umgebracht hatte. Er hatte die Antwort in Titchs Augen gelesen, als er sich zu ihm herumgedreht und ihn angesehen hatte, das stumme, lodernde Entsetzen, das er schon einmal in den Blicken des Quorrl gesehen hatte. Titch kannte die entsetzlichen Wunden, die der Daij-Djan schlug, so gut wie er. Und selbst, wenn es nicht so gewesen wäre: die Spuren des Kampfes, der hier stattgefunden hatte, waren überdeutlich, und der logische Teil von Skars Bewußtsein lieferte ihm die wenigen restlichen Teile, die nötig waren, das Mosaik vollends zusammenzusetzen. Anschi und ihre Mädchen waren wohl tatsächlich aufgebrochen, um in den Bergen nach ihm zu suchen, aber sie war zumindest klug genug gewesen, eine Wache zurückzulassen; und sei es nur, weil sie vielleicht angenommen hatte, er könnte zurückkehren, um nach den Quorrl zu sehen. Vielleicht war das der Grund, aus dem niemand sich die Mühe gemacht hatte, ihn oben in der Höhle zu suchen, ja, möglicherweise hatte Anschi den Betrug sogar durchschaut und genau gewußt, wo er war, war aber davor zurückgeschreckt, ihn gewaltsam aus dem Berg herauszuholen. Und wozu auch? Es reichte, eine Wache zurückzulassen, die den Höhleneingang im Auge behielt.

Ja, dachte er schaudernd - so mußte es gewesen sein. Anschi hatte sich taktisch klüger verhalten, als er es ihr bisher zugebilligt hatte. Nur eines hatte sie nicht vorausahnen können.

Daß er nicht allein war.

Etwas hatte die beiden jungen Frauen getötet; gnadenlos und mit großer Grausamkeit, aber keineswegs schnell: eine dunkle, entsetzlich breite Blutspur zog sich über eine Strecke von fast zwanzig Schritten zu einem der erstarrten Körper, und in die Felsen unterhalb der Daktylen waren glasierte schwarze Blitze eingebrannt. Zumindest eine der beiden Errish war noch dazu gekommen, ihre Scannerwaffe zu ziehen und sich zu verteidigen. Skar fragte sich, ob sie noch Zeit gefunden hatte, zu begreifen, daß sie gegen eine Kreatur kämpfte, die man nicht töten konnte.

»Sie... werden wiederkommen«, sagte Titch stockend. Seine Stimme zitterte. Skar spürte, daß er nur sprach, um überhaupt etwas zu sagen und das entsetzliche Schweigen zu durchbrechen. Der Blick des Quorrl irrte unstet durch das Tal, wie der Skars krampfhaft darum bemüht, nicht die beiden toten Errish zu streifen, als hätte er Angst, sich mit etwas von dem zu besudeln, was sie umgebracht hatte.

Aber er wich auch ihm aus.

Und plötzlich war Skar gar nicht mehr so sicher, ob er wirklich wußte, wovor der Quorrl Angst hatte.

»Laß uns gehen, Titch«, sagte er.

Der Quorrl rührte sich nicht, aber er sah ihn auch jetzt noch nicht an, sondern starrte aus weit aufgerissenen Augen auf einen imaginären Punkt irgendwo zwischen ihm und den Felsen auf der anderen Seite des Tales.

»Titch.«

»Sie haben unsere Pferde mitgenommen. Und fast unsere ganze Ausrüstung.« Natürlich war es nicht das, was der Quorrl wirklich fühlte. Er klammerte sich einfach an ein paar scheinbar praktische Probleme, um die andere Frage nicht stellen zu müssen, deren Antwort vor ihm lag.

»Sie haben Kiina mitgenommen«, erinnerte Skar. »Ich muß sie suchen.«

»Suchen? Und wo?«

»Das weißt du so gut wie ich«, antwortete Skar, plötzlich wieder zornig. »Aber du mußt nicht mitkommen, wenn du nicht willst.«

»Du gibst mich frei?« Titch lachte leise, aber es klang überhaupt nicht amüsiert, sondern nur bitter, fast wie ein Schrei. »Du verlangst nicht mehr, daß ich lebe?«

»Meinetwegen schneid dir doch die Kehle durch, du blödes Fischgesicht«, fauchte Skar. »Ich kann dieses endlose Gerede vom Tod und Sterben und Ehre nicht mehr hören. Nimm deine Krötenkrieger und stürz dich ins Meer, wenn es dir Spaß macht!« Er wollte das nicht sagen, aber etwas trieb ihn dazu, es zu tun, eine Kraft, die stärker war als sein Wille. Brodelnde Wut überschwemmte seine Gedanken wie Lava, blitzschnell und so warnungslos, daß er nicht einmal mehr Zeit fand, zu begreifen, daß er dem Angriff diesmal erlegen war. Er schrie auf, stürzte sich auf den Quorrl und riß gleichzeitig das Schwert aus dem Gürtel.

Titch schlug ihn nieder.

Der Hieb war weder besonders schnell noch besonders hart, aber die Wut machte Skar blind. Er dachte nur noch daran, den Quorrl zu verletzen, ihn zu schlagen und zu töten, nicht mehr daran, sich selbst zu schützen. Titchs Handkante traf seinen Nacken und ließ seinen Ansturm zu einem ungeschickten Stolpern werden, dem der Quorrl mit einer fast spielerischen Bewegung auswich. Dann trat er nach seinem Bein, aber auch jetzt eher sanft, so daß er ihn nur zu Fall brachte und nicht den Knochen brach. Skar stürzte, verlor sein Schwert und griff instinktiv um sich. Seine Finger tasteten über rauhen Stoff und Leder, glitten über kalte Haut und klebriges, erst halb geronnenes Blut und bekamen etwas Kaltes, Stahlhartes zu fassen.

Titch und das Ungeheuer in ihm selbst schrien zur gleichen Zeit auf, als Skar herumfuhr und den Scanner der toten Errish in die Höhe riß. Der Quorrl bewegte sich, aber Skar wußte, daß er zu langsam sein würde. Der Lauf des Scanners folgte seiner Gestalt unerbittlich, während Skars Finger nach dem Auslöser der höllischen Waffe tastete und...

Nicht weit hinter Titch stand ein Schatten: klein, schlank wie ein Kind und ohne Gesicht und trotzdem höhnisch grinsend, als er eine seiner dürren Spinnenarme hob und auf den Quorrl deutete. Töte ihn. Vernichte ihn, Skar. Töte ihn für mich, so wie ich diese hier für dich getötet habe.

Titch führte seine Bewegung zu Ende und sprang auf ihn zu, aber Skar regte sich nicht. Sein Blick saugte sich an der schwarzen Silhouette des Daij-Djan fest, und für den Bruchteil einer Sekunde spürte er, wie sein Widerstand zerbrach. Sein Finger preßte den Feuerknopf des Scanners nieder.

Aber der nadeldünne Stab aus Licht traf nicht den Quorrl, sondern den dürren Insektenschatten hinter ihm.

Der Daij-Djan flammte auf wie unter einem unheimlichen inneren Feuer, und für einen Moment hatte er ein Gesicht, Skars eigene Züge, aus dessen Augen ihm lodernde rote Glut entgegenstrahlte. Dann verschwand er, so lautlos und schnell, wie er es stets tat. Skar schleuderte die Waffe in hohem Bogen von sich, blieb sekundenlang mit geschlossenen Augen liegen und krallte die Hände in den lockeren Sand. Es war noch nicht vorbei, aber plötzlich hatte er die Kraft, dagegen zu kämpfen. Er bildete sich ein, daß es der Quorrl wäre, Titchs Gesicht, in das er die Finger grub, um es zu zermalmen, und diese Vorstellung half: das rote Ungeheuer in seinen Gedanken zog sich zurück, langsam, widerwillig, aber für den Moment noch einmal geschlagen.

Als Skar sich mühsam auf den Rücken wälzte, stand Titch breitbeinig über ihm, ohne Waffe, aber mit geballten Fäusten und mißtrauisch zusammengepreßten Augen. Aber er wirkte eher verwirrt als zornig.

»Es ist gut«, murmelte Skar. »Alles in Ordnung, Titch. Ich... habe es wieder in der Gewalt.«

Titch blickte fragend, und Skar antwortete mit einem ebenso wortlosen Nicken. Es war schlimmer, als sie beide geglaubt hatten. Und ihnen blieb sehr viel weniger Zeit.

Skar bückte sich zum zweiten Mal nach dem Scanner der Errish, als sie das Lager verlassen wollten. Aber er nahm die Waffe nicht mit, sondern wog sie nur einen Moment nachdenklich in der Hand und schleuderte sie dann mit einer fast angewiderten Geste davon. Er wußte, daß er seinen Entschluß spätestens in ein paar Tagen bitter bereuen würde, aber er brachte es einfach nicht über sich, die Waffe einzustecken.

Titch sah ihm schweigend zu, und auch sein Gesicht verriet keine Regung; trotzdem war Skar klar, daß der Quorrl seine Handlung mißbilligen mußte. Die Scanner waren äußerst wirkungsvolle Waffen. Sie hätten sie gebraucht, dort, wo sie hingingen.

Als er sich umwenden wollte, um das Tal endgültig zu verlassen, hielt Titch ihn zurück und deutete auf die beiden toten Errish. »Was geschieht mit ihnen?«

Skar sah ihn unverstehend an, und der Quorrl fügte hinzu: »Wir sollten sie begraben.«

Skar schwieg noch immer, jetzt aber aus Betroffenheit, daß es der Quorrl gewesen war, der diese Frage aussprach, nicht er. Er tat so, als überlege er, dann schüttelte er den Kopf. »Der Boden ist zu hart. Und wir haben keine Zeit. Die anderen werden zurückkommen, wenn sie nichts von ihren Schwestern hören.«

Titch zuckte mit den Schultern und drehte sich wortlos um, aber Skar spürte genau, daß er die Worte als das erkannt hatte, was sie waren: eine Ausrede. Sie hatten mehr als genug Zeit, bis Titchs Krieger sich weit genug erholt hatten, den Weitermarsch anzutreten, und mehr als genug lose Steine und Felsbrocken, die sie über die Leichen häufen konnten. Schweigend verließen sie das steinerne Grab und machten sich auf den Rückweg zur Felsenhöhle. Die Daktylen tauchten auf, als sie den halben Weg hinter sich gebracht hatten. Skar bemerkte sie nicht einmal. Es war Titch, der plötzlich seinen Arm ergriff und ihn in die Deckung eines Felsbrockens zerrte, so grob, daß Skar ungeschickt auf die Knie herabfiel und sich die Hand verzerrte, bei dem Versuch, den Sturz abzufangen. Er fluchte.

»Was zum -«

Titch schnitt ihm mit einer zornigen Geste das Wort ab und deutete mit der anderen Hand in den Himmel hinauf. Skars Blick folgte der Bewegung.

Über dem Berggipfel waren zwei winzige, dreieckige Schatten erschienen, zu denen sich Augenblicke später ein dritter Drachenvogel gesellte. Dicht hintereinander, aber in unterschiedlicher Höhe, glitten die drei Daktylen durch die Luft, schwenkten plötzlich nach Westen ab und begannen mit schwerfälligen Flügelschlägen über dem Tal zu kreisen, wobei sie langsam, aber sehr gleichmäßig an Höhe verloren, so daß ihr Flug zu einer enger werdenden Spirale wurde, deren Mittelpunkt sich fast genau über Skar und dem Quorrl befand.

»Errish!« sagte Skar überflüssigerweise. »Verdammt, das ist doch kein Zufall mehr!«

»Natürlich nicht«, knurrte Titch. »Sie haben den Scannerblitz gesehen. Glaubst du, sie sind blind?«

Skar verschluckte die scharfe Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Titch hatte recht, auch wenn er es nur ungern zugab, denn diese Erklärung bedeutete nichts anderes, als daß er selbst für das plötzliche Auftauchen dieser drei Errish verantwortlich war. »Weg hier!« sagte Titch. »Wenn sie noch ein Stück tiefer gehen, sehen sie uns.« Er wollte aufstehen, um den Hang weiter hinaufzuhuschen, aber Skar hielt ihn zurück, denn in diesem Moment löste sich eine der drei Daktylen aus dem kleinen Verband und jagte wie eine riesige schwarze Speerspitze auf den Eingang der Quorrl-Höhle zu und begann dicht davor zu kreisen. Die beiden anderen Daktylen näherten sich dem Tal mit den beiden toten Errish und setzten ungeschickt auf den Felsen zur Landung an.

Skar deutete stumm nach links. Die Felswand ragte dort fast lotrecht in die Höhe, aber die Sonne stand noch immer günstig. Auf eine Höhe von vier oder fünf Metern lag der Fuß der Steilwand noch im Schatten. Für eine gute Stunde, wenn nicht länger, würden sie dort fast völlig unsichtbar sein. Titch signalisierte ihm mit einem Nicken, daß er einverstanden war. Jeden Schatten und jeden Felsen als Deckung nutzend, schlichen sie los und erreichten nach wenigen Minuten unbehelligt den Fuß der zyklopischen Felswand. Skar preßte sich flach gegen den Boden und breitete seinen Mantel über sich aus, während Titch einfach zur Reglosigkeit erstarrte und sich voll und ganz auf den Schutz des Schattens und seiner geschuppten dunklen Haut verließ.

Die Zeit verstrich quälend langsam. Skar war sich darüber im klaren, daß in Wahrheit nur Minuten vergangen sein konnten, bis die beiden Errish wieder aus dem Tal auftauchten und in die Sättel der Daktylen kletterten, aber ihm kam es vor, als wären Stunden vergangen, bis die beiden Drachenvögel sich ungeschickt abstießen und in gefährlich tiefem Gleitflug über die Felsen glitten, ehe es ihnen gelang, Höhe zu gewinnen. Auch die dritte Daktyle hörte auf, vor dem Höhleneingang zu kreisen und schaufelte sich mit kraftvollen Schlägen ihrer ledrigen Schwingen in die Höhe. Für einen Moment hoffte Skar schon, die Errish würden einfach abziehen, aber der logische Teil seines Bewußtseins sagte ihm, daß sie das ganz bestimmt nicht tun würden. Schließlich wußte er, was sie hinter den Felsen gefunden hatten.

Die drei Daktylen schwebten einen Moment lang fast reglos über dem Tal, und Skar glaubte, die forschenden Blicke der drei Errish auf ihren Rücken wie die Berührung einer eisigen Hand zu fühlen. Dann zerbrach der Formationsflug der drei Drachenvögel wieder. Diesmal näherten sich zwei Daktylen der Höhle und begannen, vor ihrem Eingang zu kreisen. Skar sah aus den Augenwinkeln, wie sich Titch spannte. Er warf dem Quorrl einen mahnenden Blick zu, aber er war nicht einmal sicher, ob er ihn überhaupt bemerkte.

»Skar!«

Die Stimme kam direkt vom Himmel, und sie war so laut und durchdringend wie die eines Gottes. Skar sah erschrocken auf, darauf gefaßt, die Daktyle direkt auf ihr Versteck zuschießen zu sehen, aber die Echse kreiste weiter über dem Tal, der Kopf ihrer Reiterin bewegte sich suchend hin und her. Schwarzes Haar wehte wie ein Schleier im Flugwind. Die Errish über ihnen war Anschi.

»Satai!« schrie sie noch einmal. »Ich weiß, daß du mich hörst! Du bist hier irgendwo! Ich kann dich nicht sehen, aber ich weiß, daß du mich siehst. Hör mir genau zu!«

Die Daktyle verlor an Höhe, und Anschi schwieg ein paar Sekunden, um ihren bockenden Drachenvogel wieder unter Kontrolle zu bekommen. Skar tauschte einen erschrockenen Blick mit Titch. Der Quorrl beobachtete Anschi scharf, sah aber zwischendurch immer wieder zu den beiden anderen Daktylen hinauf. Die Errish hatten sich der Höhle noch weiter genähert und kreisten so dicht vor ihrem Eingang, daß ihre Daktylen sich nur noch mit Mühe in der Luft halten konnten. Ihre Flügel peitschten wie rasend.

»Satai!« schrie Anschi. »Hör mir genau zu, du verdammter Mörder! Du hattest deine Chance, mehr als einmal! Aber du hast es nicht anders gewollt! Jetzt spielen wir nach meinen Regeln, hörst du? Wir haben Kiina, und wir haben deinen Quorrl-Freund! Den Quorrl werden wir löten, und wenn du Kiina wiedersehen willst, dann komm und hole sie dir! Du weißt, wo du uns findest! Und jetzt sieh genau hin, Satai. Eine Errish bezahlt immer ihre Schuld! Sieh ganz genau hin!« Anschi hob die Hand und gab ihren beiden Schwestern ein Zeichen, und Titch schrie gellend auf und sprang hoch.

Aber diesmal war er nicht schnell genug. Skar sprang ihn an und ließ die gefalteten Fäuste mit aller Gewalt in seinen Nacken krachen. Der Quorrl taumelte, fiel auf Hände und Knie zurück und brach vollends zusammen, als Skar noch einmal und mit noch größerer Kraft zuschlug.

Und in der gleichen Sekunde begannen grellweiße Lanzen aus Licht aus den Händen der Errish zu zucken und fuhren in die Höhle. Immer und immer und immer wieder.

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