8

Weder Raeker noch sein Assistent achteten darauf, daß Jim und seine Begleiterin verschwanden, weil sie zu sehr damit beschäftigt waren, die Berichte der anderen Mitglieder der Gruppe entgegenzunehmen. Easy und ›Mina‹ konnten die Eingeborenen zwar ebenfalls beobachten, aber beide wußten zu wenig über ihre Gewohnheiten, um die Veränderung wahrzunehmen. Zudem achteten sie lieber auf die Berichte, weil sie hofften, einen Teil der beschriebenen Gegend wiederzuerkennen.

Der Bathyskaph lag jetzt völlig auf dem Trockenen, denn der Fluß war verdunstet und hatte das Schiff am Fuß eines Hügels zurückgelassen, den Easy prompt Mount Ararat taufte. Die beiden Kinder waren ziemlich aufgeregt, weil sie zum erstenmal gleichzeitig Nicks Gruppe auf dem Bildschirm und die wirkliche Oberfläche von Tenebra aus den Bullaugen beobachten konnten. Easy saß vor dem Bildschirm, während Aminadorneldo an einem Bullauge stand; aber beide versuchten, dem anderen zu beschreiben, was sie sahen.

Ihre Stimmen waren in dem Kontrollraum der Vindemiatrix deutlich zu hören und trugen ihren Teil zu der allgemeinen Verwirrung bei, doch Raeker wollte die Verbindung nicht unterbrechen, solange Hoffnung bestand, daß die Kinder unter Umständen einen wertvollen Hinweis geben konnten.

Jane hatte unterdessen ihre Karte erläutert und einige Fragen beantwortet, die Raeker ihr zusätzlich gestellt hatte. Dann trat sie zurück, damit Oliver Bericht erstatten konnte. Die Karte wurde zunächst fotografiert, während Raeker sich davon überzeugte, daß das Tonbandgerät einwandfrei funktionierte. Eine Minute später war der Biologe fast davon überzeugt, daß seine Anwesenheit eigentlich nicht mehr unbedingt nötig war.

Allerdings hatte er noch nichts davon gesagt, als der Höhlenbewohner Jim entdeckte. Drei Sekunden später war Raeker wieder hellwach und hatte völlig vergessen, wie müde er gewesen war.

Swifts Späher reagierte augenblicklich; er sprang auf und suchte sein Heil in der Flucht. Jim befand sich südwestlich von ihm, Fagin und die restliche Gruppe versperrten ihm den Weg nach Südosten; deshalb wandte er sich nach Norden. In diesem Augenblick tauchte Betsey vor ihm auf. Nick, der den Höhlenbewohner nicht aus den Augen gelassen hatte, deutete dessen Zögern richtig, obwohl er weder Jim noch Betsey sehen konnte. Er unterbrach Oliver ohne weitere Formalitäten und begann seine Anweisungen zu geben.

Die anderen waren einen Augenblick lang überrascht, aber dann rannten sie so rasch wie möglich in die angegebene Richtung. Als Raeker erkannte, daß niemand in der Aufregung auf seine Fragen antworten würde, setzte er den Roboter ebenfalls in Bewegung und gebrauchte dabei einige Ausdrücke, vor denen Easy erschrocken zusammenzuckte. Nick und seine Freunde waren unterdessen längst über dem ersten Hügel verschwunden.

Easy wandte sich aufgeregt an den Biologen, ohne zu erwähnen, daß sie seine Flüche gehört hatte.

„Doktor Raeker! Will Nicks Gruppe wirklich einen der Höhlenbewohner fangen? Wie kann er den Weg so rasch zurückgelegt haben? Ich dachte, Sie hätten Swifts Leute am Ufer des Flusses hilflos zurückgelassen?“ Raeker hatte sich mit dieser Frage bereits selbst beschäftigt, konnte sie aber nicht beantworten und wurde statt dessen aus Verlegenheit rot.

„Das habe ich auch gedacht, Easy. Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte. Wir müssen warten, bis Nicks Gruppe zurückkommt; vielleicht haben sie einen Gefangenen gemacht, den wir verhören können. Ich nehme an, daß Nick den Höhlenbewohner fangen will, denn er hat nichts von umbringen gesagt.“

„Richtig. Vielleicht sehen wir sie bald wieder, wenn der Roboter auf der anderen Seite des Hügels angelangt ist. Das kann allerdings noch einige Zeit dauern, denn die Maschine bewegt sich schrecklich langsam.“


Die Beobachter an Bord der Vindemiatrix und in dem Bathyskaphen saßen wie auf Kohlen, bis die Gestalten der Eingeborenen wieder auf den Bildschirmen auftauchten. Unterdessen umringten Nick und seine Freunde den Späher von allen Seiten, aber der Höhlenbewohner ließ sich vorläufig noch nicht einschüchtern und suchte offensichtlich nach einer Möglichkeit zur Flucht.

Nick schien jedoch einiges auf militärischem Gebiet aufgeschnappt zu haben, denn er ließ die Mitglieder seiner Gruppe ausschwärmen, bis sie einen lockeren Kreis bildeten, in dessen Mittelpunkt sich der Späher befand. Erst dann sprach er den Höhlenbewohner in seiner eigenen Sprache an.

„Glaubst du, daß du noch fliehen kannst?“

„Ich weiß es nicht, aber einige von euch werden es bedauern, wenn sie mich aufhalten wollen“, antwortete er.

„Was hast du davon, wenn du dabei umkommst?“

Der Späher schien um eine Antwort verlegen, offenbar war er sogar über die Frage erstaunt. Er überlegte noch immer, als Nick fortfuhr: „Du weißt, daß Fagin Swift versprochen hat, ihm alles beizubringen, was er wollte. Er will nicht, daß wir miteinander kämpfen.

Wenn du deine Speere fortwirfst und mit uns zu ihm gehst, geschieht dir nichts.“

„Wenn euer Lehrer so hilfsbereit ist, hätte er sich anders benehmen müssen. Warum ist er geflohen?“

fragte der andere.

„Weil ihr ihn uns fortgenommen habt, obwohl er uns weiterhin unterrichten sollte. Er hat mir gestern geholfen, als ich vor euch fliehen mußte; er hat mich durch den Fluß getragen, den ich allein nicht hätte durchqueren können. Als ihr unser Dorf angegriffen habt, wollte er, daß wir mit euch verhandeln; aber ihr habt uns keine Gelegenheit dazu gegeben.“

Nick schwieg, weil er glaubte, daß der andere Zeit zum Nachdenken brauchte. Die nächste Frage kam jedoch sofort.

„Tut ihr alles, was euer Lehrer euch sagt?“

„Selbstverständlich.“ Nick erwähnte nicht, daß er gelegentlich an Fagins Entscheidungen zweifelte; im Augenblick hatte er diese wenigen Ausnahmen allerdings tatsächlich vergessen.

„Dann soll er euch in meiner Gegenwart sagen, daß ihr mir nichts tun dürft. Dort drüben kommt er bereits. Ich warte hier, aber ich behalte meine Waffen, bis ich sicher bin, daß ich sie nicht gebrauchen muß.“

„Aber du kennst seine Sprache nicht; du kannst also auch nicht beurteilen, was er zu uns sagt.“

„Während seines Aufenthalts bei uns hat er einige Wörter in unserer Sprache gelernt, obwohl er sie nicht gut aussprechen kann. Ich werde ihn selbst fragen, was er vorzuschlagen hat; er braucht nur ja oder nein zu sagen.“ Der Späher schwieg und beobachtete die Annäherung des Roboters, wobei er seine Speere weiterhin wurfbereit hielt.

Selbst Raeker verstand, was diese Geste bedeutete, und empfand ein gewisses Unbehagen; falls etwas Unerwartetes geschehen sollte, würde er zwei Sekunden zu spät reagieren. Wieder einmal wünschte er sich, die Vindemiatrix sei nicht so weit von Tenebra entfernt, sondern kreise innerhalb der Planetenatmosphäre.

„Was sagt er, Nick? Will er kämpfen?“

„Vielleicht nicht, wenn ich ihn davon überzeugen kann, daß ein Kampf unsinnig wäre“, antwortete Nick und faßte zusammen, was der Späher gesagt hatte. „Ich weiß selbst nicht recht, was wir mit ihm anfangen sollen, nachdem wir ihn erwischt haben“, schloß er.

„Eigentlich habt ihr ihn noch nicht“, stellte Raeker trocken fest, „aber ich sehe ein, daß du dich in einer schwierigen Lage befindest. Wenn wir ihn laufen lassen, erscheint Swift innerhalb der nächsten Stunden auf der Bildfläche. Behalten wir ihn aber hier, muß jemand ständig Wache halten — und am Schluß entkommt er vielleicht doch. Natürlich können wir ihn nicht einfach umbringen.“

„Obwohl Alice und Tom umgekommen sind?“

„Nein, trotzdem nicht, Nick. Ich glaube, wir müssen das Beste aus seiner unerwarteten Anwesenheit machen und uns mit der Tatsache abfinden, daß Swift unseren Aufenthaltsort erfährt. Augenblick, ich muß erst nachdenken.“ Der Roboter schwieg, aber die Männer, die ihn steuerten, begannen eifrig zu diskutieren; verschiedene Pläne wurden vorgeschlagen, besprochen und abgelehnt, während die Eingeborenen warteten. Selbst die beiden Diplomaten, die alle Ereignisse von der Nachrichtenzentrale aus verfolgt hatten, hielten ausnahmsweise den Mund.

Der Höhlenbewohner hatte der Unterhaltung zwischen Nick und Fagin selbstverständlich nicht folgen können, aber jetzt verlangte er eine Übersetzung. Er brachte diesen Wunsch so selbstverständlich vor, daß Nick keine andere Wahl blieb, als eine kurze Zusammenfassung zu geben.

„Fagin überlegt, was wir tun sollen. Er will nicht, daß wir dich töten.“

„Er soll es mir aber selbst sagen. Ich verstehe ihn bestimmt.“

„Niemand darf den Lehrer unterbrechen, während er nachdenkt“, wies Nick ihn zurecht. Der Höhlenbewohner schien beeindruckt; wenigstens schwieg er, bis der Roboter sich wieder meldete.

„Nick“, sagte Raeker, „ich möchte, daß du sehr sorgfältig übersetzt, was ich Swifts Späher zu sagen habe. Am besten dolmetschst du Wort für Wort und denkst selbst darüber nach, denn ich werde einige Tatsachen erwähnen, die ich euch aus Zeitmangel bisher nicht mitteilen konnte.“

„Gewiß, Lehrer.“ Die Aufmerksamkeit der Gruppe konzentrierte sich jetzt völlig auf den Roboter; der Höhlenbewohner schien dies entweder nicht zu bemerken oder nicht ausnützen zu wollen, denn er unternahm keinen Fluchtversuch, sondern hörte aufmerksam zu. Raeker sprach betont langsam, damit Nick genügend Zeit für die Übersetzung hatte.

„Wie ihr alle wißt“, begann er, „wollte Swift mich bei sich haben, damit ich seine Leute das lehren konnte, was ihr von mir gelernt habt. Ich war durchaus dazu bereit, aber Swift vermutete, daß meine Leute sich widersetzen würden, wodurch es zu einem Kampf kam, der zu vermeiden gewesen wäre.

Das spielt aber jetzt eigentlich keine Rolle mehr, bedeutet jedoch, daß ein anderes Ereignis verzögert wurde, das nicht nur für uns, sondern auch für Swift und seine Leute wichtig gewesen wäre. Bisher habe ich euch nur Wissen und Informationen geben können. Ich war allein hier und kann nie wieder zurück, so daß ich euch nicht mehr bringen kann, selbst wenn ich noch lange bleibe.

Aber jetzt sind andere gekommen. Sie befinden sich in einem großen Ding, das sie hergestellt haben; ihr kennt kein Wort dafür, weil ich euch nie davon erzählt habe. Wir haben dieses Ding gemacht, das uns von einem Ort zum anderen tragen kann, wie ihr einen Eimer oder einen Speer macht; denn meine Heimat liegt so weit von hier entfernt, daß man sie zu Fuß nie erreichen könnte, und sie ist so hoch über euch, daß nicht einmal eine Schwebepflanze in ihre Nähe käme.

Die Leute, die in diesem Ding kommen sollten, wären von Zeit zu Zeit zurückgekehrt, um neue Werkzeuge und andere Sachen für euch zu holen. Aber die Maschine funktionierte nicht richtig; sie war wie ein Speer, dessen Spitze einen Sprung aufweist. Sie kam bis in eure Nähe hinab, konnte aber nicht wieder nach oben schweben. Meine Leute können nur in ihr leben, ohne daß sie die Maschine selbst zu reparieren vermögen.

Deshalb brauchen wir die Hilfe von Nicks Gruppe — und vielleicht sogar die der Höhlenbewohner, falls sie sich dazu bereit erklären. Wenn ihr die Maschine findet, die meine Freunde nicht verlassen können, werde ich euch sagen, was ihr daran tun müßt, damit sie wieder zurückkehren und euch später viele wertvolle Dinge bringen kann. Wenn ihr das nicht wollt oder könnt, sterben meine Leute hier, und ihr werdet nicht einmal etwas lernen — denn ich muß eines Tages auch sterben, wie ihr wißt.

Ich möchte, daß Swift davon benachrichtigt wird, damit er einen seiner Leute zurückschicken kann, der seine Antwort überbringt. Ich möchte, daß er und die übrigen Höhlenbewohner bei der Suche nach der Maschine helfen; und wenn sie gefunden ist, können beide Gruppen gemeinsam die Reparatur vornehmen. Dann braucht es keine Kämpfe mehr zu geben.

Willst du ihm meine Botschaft überbringen?“

Nick hatte die Ansprache Wort für Wort übersetzt, obwohl seine Kenntnisse des fremden Dialekts sich an einigen Stellen als unzulänglich erwiesen hatten.

Der Späher schwieg fast eine Minute lang, als der Roboter verstummt war. Er hielt seine Speere noch immer wurfbereit, aber Raeker glaubte zu erkennen, daß seine Haltung weniger aggressiv war.

Dann begann der Höhlenbewohner Fragen zu stellen, und Raeker mußte seine Auffassung von der Intelligenz des Spähers revidieren; er hatte ihn anfangs für einen ziemlich primitiven Wilden gehalten.

„Wenn du weißt, was mit deinen Freunden und ihrer Maschine los ist, mußt du irgendwie mit ihnen sprechen können.“

„Richtig, wir — äh — ich kann mit ihnen sprechen.“

„Warum mußt du dann nach ihnen suchen? Warum können sie dir nicht sagen, wo sie sich befinden?“

„Sie wissen es selbst nicht. Sie sind irgendwo gelandet und fünf Tage lang auf einem See umhergetrieben. Vergangene Nacht wurden sie von einem Fluß fortgeschwemmt. Sie konnten nichts erkennen, weil sie sich völlig unter Wasser befanden — außerdem haben sie diese Gegend noch nie gesehen. Der Fluß ist verdunstet, aber das hilft ihnen auch nichts.“

„Wenn du sie hören kannst, mußt du sie auch finden können. Ich finde alles, was ich höre.“

„Wir sprechen durch Maschinen, die eine Art Geräusch machen, das nur eine andere Maschine versteht.

Ihre Maschine spricht mit einer, die dann wieder mit mir spricht; aber alle sind so weit voneinander entfernt, daß niemand genau weiß, wo sie sich wirklich im Augenblick befinden. Meine Leute können mir nur ihre Umgebung beschreiben; ich gebe die Beschreibung weiter, damit ihr die Suche aufnehmen könnt.“

„Du weißt also nicht einmal, wie weit sie entfernt sind?“

„Nicht genau. Aber wir nehmen an, daß die Entfernung nicht sehr groß ist — nicht mehr als zwei oder drei Tagesmärsche, wahrscheinlich sogar weniger.

Wenn ihr mit der Suche beginnt, schalten meine Freunde ein sehr helles Licht ein, das aus weiter Entfernung erkennbar ist.“

Der Höhlenbewohner ließ seine Speere sinken, bevor er antwortete. „Ich bringe Swift deine Botschaft, und wenn er antworten will, komme ich wieder zurück. Bist du dann noch hier zu finden?“

Raeker zögerte unentschlossen, sah aber ein, daß er die Frage bejahen mußte. Dann fiel ihm noch etwas anderes ein.

„Würdet ihr lange nach uns suchen müssen, wenn wir weiterziehen würden?“ erkundigte er sich. „Wir waren erstaunt darüber, wie rasch du uns gefunden hast. Könnt ihr Flüsse durchqueren, bevor der Tag angebrochen ist?“

„Nein“, antwortete der Späher mit überraschender Offenheit. „Der Fluß beschreibt einen weiten Bogen nach Norden und fließt parallel zur Küste. Swift hat uns entlang des Flusses ausgeschickt, damit wir nach Tagesanbruch an verschiedenen Stellen mit der Suche beginnen konnten.“

„Dann müssen also auch andere unsere Spuren gefunden haben?“

„Selbstverständlich. Vielleicht beobachten sie uns jetzt — oder sie haben die Verfolgung gesehen und sind zurückgekehrt, um Swift zu benachrichtigen.“

„Wie kommt es, daß ihr diese Gegend so gut kennt, obwohl sie so weit von euren Höhlen entfernt ist?“

„Wir sind noch nie hier gewesen, aber schließlich weiß jeder, wie Flüsse normalerweise verlaufen und wo Hügel und Täler anzutreffen sind.“

„Ihr verlaßt euch also auf eure Erfahrung. Vielen Dank für die Auskunft, aber du gehst jetzt vielleicht lieber, bevor Swift mit seinen Kriegern auftaucht, um den Angriff auf einen seiner Männer zu rächen.“

„Einverstanden. Ich möchte nur noch eine Frage beantwortet haben. Manchmal sagst du ich und manchmal wir, selbst wenn du offenbar nicht dich und deine Leute meinst. Wie ist das zu erklären? Bist du nicht allein in diesem Ding?“

Nick übersetzte die Frage nicht, sondern beantwortete sie gleich selbst.

„Der Lehrer drückt sich immer so aus“, erklärte er dem Höhlenbewohner. „Wir haben uns schon oft darüber gewundert und ihn danach gefragt, aber er hat uns nie eine Erklärung dafür gegeben — das sei nicht wichtig, meinte er. Vielleicht wird Swift daraus schlau.“ Nick verhielt sich psychologisch geschickt, obwohl er das Wort nicht einmal kannte.

„Vielleicht.“ Der Späher marschierte ohne ein weiteres Wort nach Süden davon; Nicks Gruppe, die sich längst um Fagin versammelt hatte, sah ihm nach.

„Das klingt nicht schlecht, Doktor Raeker. Sollen wir von jetzt an die Scheinwerfer eingeschaltet lassen?“ Easy Richs Stimme durchbrach das Schweigen.

„Nein, lieber noch nicht“, antwortete Raeker nachdenklich. „Ich weiß vorläufig wirklich nicht, ob ich Swift nach euch suchen lassen soll, oder ob das Ganze nur ein gutes Ablenkungsmanöver war.“

„Was?“ Aminadabarlees Stimme klang schriller und lauter als gewöhnlich. „Geben Sie zu, daß Sie meinen Sohn als Köder benützen, um die Wilden von Ihren Lieblingen fortzulocken? Daß Ihnen diese lächerlichen Eingeborenen wichtiger als alles andere erscheinen, nur weil Sie sie ein paar Jahre lang ausgebildet haben? Das ist ja die Höhe! Councillor Rich, ich muß Sie bitten, sofort meinen Rückflug nach Dromm in die Wege zu leiten; ich werde dort veranlassen, daß unverzüglich Rettungsmaßnahmen aufgenommen werden. Bisher habe ich den Menschen vertraut, aber jetzt ist meine Geduld zu Ende — und die aller anderen zivilisierten Lebewesen der Galaxis ebenfalls!“

„Entschuldigung, Sir.“ Raeker wußte unterdessen, wie man mit dem Drommianer umzugehen hatte.

„Vielleicht hören Sie wenigstens auf Councillor Rich, dessen Tochter in der gleichen Lage wie Ihr Sohn ist.

Er kann Ihnen erklären, daß die ›lächerlichen Eingeborenen‹, um deren Sicherheit ich besorgt bin, als einzige dazu fähig sind, die beiden Kinder zu retten; und ihm ist vielleicht aufgefallen, daß ich dem Wilden nicht erzählt habe, wie die Gegend aussieht, die Easy und ›Mina‹ beschrieben haben.

Selbstverständlich würden wir die Hilfe Ihres Planeten dankbar begrüßen — aber glauben Sie, daß sie rechtzeitig kommen würde? Bevor das Mädchen wegen der hohen Schwerkraft und Ihr Sohn wegen zu langen Vitaminmangels dauernde Schäden davongetragen haben? Ich stelle Ihnen diese Fragen nicht, um Ihre Besorgnis zu steigern, sondern um Sie darauf hinzuweisen, wie Ihre Hilfe aussehen müßte. Falls Sie einen besseren Vorschlag zu machen haben, wie Sie Ihrem Sohn helfen können, machen Sie ihn bitte gleich jetzt.“

Rich stand hinter dem Drommianer und nickte Raeker kurz anerkennend zu. Der Biologe, dem nichts mehr einfiel, was er hätte hinzufügen können, schwieg wohlweislich. Bevor Aminadabarlee sich jedoch äußern konnte, drang Easys Stimme aus dem Lautsprecher.

„Bitte, seien Sie nicht auf Doktor Raeker böse, Sir;

›Mina‹ und ich wissen, was er vorhat, und wir mögen Nick auch.“ Raeker fragte sich, wieviel davon wahr war; er wußte selbst noch nicht recht, was er wollte, und die Kinder hatten noch nicht direkt mit Nick gesprochen, obwohl sie ihm und seiner Gruppe einige Stunden lang zugehört hatten. Andererseits war Easy eben die Tochter eines Diplomaten. Raeker hatte unterdessen erfahren, daß sie ihren Vater seit ihrem ersten Lebensjahr auf seinen Reisen begleitet hatte, nachdem ihre Mutter vorzeitig gestorben war. Nun schien sie sich selbst zu einer ausgezeichneten Diplomatin zu entwikkeln. „Im Grunde genommen spielt es keine Rolle, ob Swift uns findet“, fuhr sie jetzt fort. „Weshalb sollte er uns überhaupt etwas antun wollen?“

„Er hat gedroht, daß er den Roboter verbrennen würde, wenn er ihn nicht zu den Höhlen begleiten würde“, antwortete der Drommianer. „Wenn er mit dem Bathyskaphen ähnlich umgeht, geratet ihr in eine üble Lage.“

„Aber er wußte, daß Fagin seine Sprache nicht beherrschte, und erwies sich als sehr geduldiger Lehrer; weshalb sollte er also mit uns weniger Geduld haben?

Wir bringen ihm gern alles bei, was er lernen möchte, und wir können uns leichter mit ihm unterhalten als Doktor Raeker — wenigstens tritt dabei keine Verzögerung auf.“

Aminadorneldo wandte sich ebenfalls an seinen Vater und schien Easys Ausführungen zu unterstützen, denn der Drommianer beruhigte sich allmählich wieder. Raeker fragte sich allerdings, wie lange dieser Zustand anhalten würde. Dann konzentrierte er sich wieder auf seine Aufgabe und auf Nick.

Der Eingeborene hatte seine Gruppe an ihren ursprünglichen Versammlungsplatz zurückgeschickt — bis auf zwei, die als Hirten eingeteilt worden waren.

Nick stand noch immer neben dem Roboter und schien auf Anweisungen zu warten. Raeker konnte ihm keine erteilen und überbrückte die peinliche Situation, indem er selbst einige Fragen stellte.

„Was hältst du davon, Nick? Glaubst du, daß der Späher zurückkommt? Oder genauer gesagt, daß Swift mit uns zusammenarbeiten wird?“

„Das kann ich nicht besser als du beurteilen.“

„Doch, denn du hast längere Zeit bei Swift und seinen Leuten verbracht und ihn besser kennengelernt.

War es richtig, daß ich ihm alles mögliche versprochen habe? Ich weiß, daß er von uns lernen möchte, aber vielleicht aus ganz anderen Gründen?“

„Durchaus möglich“, gab Nick zu. „Andererseits bezweifle ich, daß man voraussagen kann, was andere Leute tun oder lassen werden.“

„Ich auch, aber einige meiner Freunde sind anderer Meinung.“ Fagin und Nick bewegten sich nebeneinander auf die Gruppe zu, ohne den kurzen Erdbebenstoß zu bemerken, der den Boden unter ihnen erschütterte. Nick sammelte unterwegs Holz und hatte alle vier Arme voll davon, als sie die übrigen erreichten. Fagin berief sofort eine Versammlung ein.

„Ihr habt alle gehört, was ich Swifts Krieger von der Maschine erzählt habe, die irgendwo mit zwei meiner Leute an Bord gestrandet ist. Wenn sie nicht bald gefunden und repariert wird, müssen diese Leute sterben. Ihre Rettung ist wichtiger als alles andere, deshalb lassen wir zunächst alles stehen und liegen, während wir nach dem Schiff suchen.

Ich werde euch die Gegend, in der meine Freunde sich befinden, so genau wie möglich beschreiben. Wir überprüfen dann unsere Karten — dabei helfe ich euch natürlich, weil ich schneller arbeite —, und ihr sucht jeweils zu zweit alle wahrscheinlichen Punkte auf.

Wenn wir damit keinen Erfolg haben, müssen wir so rasch wie möglich mit einer systematischen Suche beginnen.

Nick und Betsey bleiben hier, kümmern sich um das Lager und versorgen die Herde; die Suchteams bestehen aus Oliver und Dorothy, John und Nancy, Jim und Jane. Sobald die Karten überprüft worden sind, teile ich jedem Team ein bestimmtes Gebiet zu; in der Zwischenzeit könnt ihr alle Holz für heute nacht suchen.“ Die Gruppe schwärmte gehorsam in verschiedene Richtungen aus.

Die Geologen an Bord der Vindemiatrix versuchten seit einiger Zeit, Easys Beschreibung der Umgebung des Bathyskaphen mit den vorhandenen Karten zu vergleichen. Bisher waren sie auf fünf Stellen gestoßen, die jedoch alle nicht sehr aussichtsreich zu sein schienen. Als sie sich endlich auf eine sechste geeinigt hatten, rief Raeker die Gruppe zurück und teilte jedem Team zwei Gebiete zu.

Aller Wahrscheinlichkeit nach würden drei Tage für diesen Teil des allgemeinen Rettungsplans genügen — einer für den Hinmarsch, einer für die Suche und der dritte für den Rückweg. Bis dahin hatte Swift sich vielleicht bereits der Gruppe angeschlossen, so daß die Suche in größerem Maßstab fortgesetzt werden konnte. Deswegen sollte Nick auch in dem Lager zurückbleiben, damit er notfalls als Dolmetscher zur Verfügung stand.

Die Teams brachen sofort auf. Nick und Betsey sahen ihnen noch eine Weile nach; weit von ihnen entfernt verließ Raeker endlich den Kontrollraum, um den verlorenen Schlaf nachzuholen. Die beiden Diplomaten blieben wach und unterhielten sich mit ihren Kindern, denen sie die lange Wartezeit verkürzen wollten, bis die Suche erfolgreich sein würde.

Dies war der siebenundzwanzigste Schiffstag seit dem Unfall des Bathyskaphen, und der Nachmittag des siebten Tages für Nick und seine Leute. Verständlicherweise waren die Kinder ungeduldig; ihre Väter mußten ihnen immer wieder erklären, wie gering die Aussichten dafür waren, daß sie gleich zu Beginn der Suche entdeckt wurden. Easy wiederholte ihren Vorschlag, die Scheinwerfer als Erkennungszeichen einzuschalten, während ihr Vater sie daran erinnerte, daß Raeker Einwände dagegen erhoben hatte; aber Raeker zog schließlich seinen Einspruch zurück.

„Vielleicht hat sie dann eher das Gefühl, daß sie etwas zu ihrer Rettung beiträgt“, meinte er leise.

„Meiner Auffassung nach besteht keine Gefahr, daß Swifts Leute den Bathyskaphen eher als unsere Leute finden. Sagen Sie ihr, daß sie ruhig mit den Scheinwerfern spielen darf.“

Easy machte von der Erlaubnis sofort Gebrauch, und der Bathyskaph leuchtete strahlend hell auf. Rich war davon nicht übermäßig begeistert, weil er befürchtete, daß die beiden sich falschen Hoffnungen hingeben würden.

„Hören Sie nur“, sagte er zu Raeker. „Beide brüllen wie verrückt, wenn sich irgendwo etwas zu bewegen scheint. Ein Glück, daß sie sich auf ihre eigenen Augen verlassen müssen, denn auf diese Weise sehen sie wenigstens nicht allzu viel. Wahrscheinlich machen sie so weiter, bis sie vor Müdigkeit umfallen; aber nachdem sie aufgewacht sind, fängt der Zauber wieder an…“

„Dann sind sie vermutlich bereits wieder unter Wasser“, stellte Raeker fest.

„Und treiben weiter, schätze ich. Wenn das der Fall ist, schnappen sie vielleicht ganz über und betätigen alle möglichen Schalter, weil sie auf ein Wunder hoffen, das sie nach Hause bringt.“

„Ich kenne den Drommianer nicht sehr gut, aber ich glaube, daß Sie Ihrer Tochter Unrecht tun“, antwortete Raeker. „Im allgemeinen habe ich nicht viel Ahnung von Kindern, aber Ihre Tochter wirkt wesentlich intelligenter und erwachsener als andere Kinder in ihrem Alter. Selbst wenn Sie Zweifel daran haben, dürfen Sie ihr nichts davon erzählen.“

„Ich vertraue ihr völlig“, erwiderte Rich. „Aber sie ist eben doch noch ein Kind, und viele Erwachsene hätten an ihrer Stelle bereits einen Nervenzusammenbruch erlitten. Ich kann Ihnen sogar einen zeigen, der bald einen haben wird. Hören Sie nur, wie es dort unten zugeht!“

Aminadorneldos schrille Stimme drang aus dem Lautsprecher.

„Hier drüben ist etwas, Easy! Komm schnell, sonst verschwindet es wieder!“

„Sofort, ›Mina‹, ich komme schon.“ Das Mädchen eilte durch den Raum. „Wahrscheinlich ist es wieder nur eine dieser großen Pflanzen, die aus der Entfernung fast wie Nicks Leute aussehen.“

„Nein, ich habe deutlich eine Bewegung gesehen!“

„Wo?“ Aminadorneldo schien auf etwas zu zeigen, denn das Mädchen schwieg einen Augenblick, bevor sie sagte: „Ich sehe noch immer nichts; nur einige Büsche.“

„Es war aber neben den Büschen und sah genau wie Nick aus. Es hat einen Augenblick zu uns herübergestarrt, dann verschwand es wieder. Ich habe es deutlich erkannt.“

„Wenn du dich nicht geirrt hast, kommt es bestimmt wieder zurück. Am besten bleiben wir hier und halten danach Ausschau.“

Rich sah zu Raeker hinüber und schüttelte verwirrt den Kopf.

„Die beiden…“, begann er, konnte aber nicht zu Ende sprechen. Er wurde von einem lauten Schrei unterbrochen, der in diesem Augenblick aus dem Lautsprecher drang.

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