4

Nick Chopper stand in der Tür der Hütte und dachte nach. Hinter ihm lagen die sieben anderen Überlebenden und verbanden sich gegenseitig ihre Wunden. Nick selbst war nicht ohne Schrammen davongekommen, aber er konnte noch immer gehen — und notfalls kämpfen, überlegte er wütend. Bis auf Jim und Nancy waren die übrigen für einige Tage außer Gefecht gesetzt.

Er sah ein, daß Fagin recht gehabt hatte, als er Swifts Forderungen erfüllt hatte; so hatte Nick immerhin für seine verwundeten Freunde sorgen dürfen. Aber wenn Nick an den Überfall zurückdachte, hätte er den Kampf am liebsten sofort wieder aufgenommen.

Aber er grübelte nicht nur darüber nach, sondern überlegte tatsächlich ernsthaft. Zum erstenmal in all diesen Jahren bezweifelte er, daß Fagin die einzig richtige Entscheidung getroffen hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie der Lehrer den Höhlenbewohnern entfliehen würde, nachdem er nicht einmal in den Kampf hatte eingreifen können. Eine nächtliche Flucht war sinnlos; die Wilden würden ihn morgens verfolgen und einholen.

Dann fiel ihm ein, daß die Höhlenbewohner Fagin eigentlich nichts anhaben konnten. Das harte weiße Zeug, aus dem der Lehrer bestand, bot vielleicht einen ausreichenden Schutz gegen Messer und Speere.

Wahrscheinlich verstellte Fagin sich nur, weil er Nick und den anderen nicht schaden wollte; aber wenn er allein bei den Höhlenbewohnern war, würde er bestimmt anders reagieren.

Nick hätte sich gern mit Fagin darüber unterhalten, wenn Swift nicht gewesen wäre. Natürlich konnte der Wilde sie nicht gut belauschen, weil er kein Englisch verstand, aber er würde wissen, was Nick vorhatte, und ihn daran hindern. Wenn man Swift fernhalten konnte — aber wenn das möglich war, gab es ohnehin keine anderen Schwierigkeiten mehr. Das Hauptproblem bestand eben darin, daß man mit Swift nicht umgehen konnte.

Unterdessen war es Nacht geworden; der Regen hatte bereits eingesetzt. Nick sah, daß die Angreifer bei den Feuern Schutz gesucht hatten, beobachtete aber auch, daß sie sich nicht weiter um die Feuer kümmerten. Er hob den Kopf und sah zu den riesigen Regentropfen auf, die aus dem nachtschwarzen Himmel herabsanken, und verfolgte einen, bis er dreihundert Meter über ihm verdunstete.

Nick beobachtete weiter und stellte fest, daß eines der Feuer erlosch, ohne daß die Wilden sich darum gekümmert hätten. Keiner machte eine Bewegung, das Feuer wurde nicht wieder entzündet. Sekunden später hatte Nick seinen Plan gefaßt.

Er trat aus der Tür und ging zu der Hütte hinüber, in der das Holz gelagert wurde. Dort lud er sich so viel auf, wie er schleppen konnte, und kehrte damit in seine Hütte zurück. Die Wilden kümmerten sich nicht weiter um ihn; seit der Waffenstillstand geschlossen worden war, hatten sie kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Nick zündete ein Feuer im Inneren der Hütte an. Dann holte er noch mehr Holz, aber diesmal nahm er eine Fackel mit, die er in den Holzstoß steckte, als wolle er bei der Arbeit Licht haben.

Schließlich war seine Hütte voll Holz, so daß er keines mehr zu holen brauchte.

Aber er ließ die Fackel zurück.

Das Holz auf Tenebra brennt langsam und allmählich wie Zunder; deshalb dauerte es verhältnismäßig lange, bis ein Lichtschein anzeigte, daß der gesamte Holzstoß Feuer gefangen hatte. Aber die Angreifer reagierten selbst dann nicht. Sie lagerten in der Nähe des Roboters, der wie üblich in der Mitte des Dorfes stand.

Unterdessen war bereits die Hälfte der Feuer erloschen, und Nick hatte den Eindruck, daß die Wilden allmählich unruhig zu werden begannen. Als wieder ein Feuer ausging, wurden besorgte Stimmen laut, und Nick lachte leise vor sich hin. Er konnte sich vorstellen, daß Swift in Schwierigkeiten geriet, wenn seine Männer sahen, daß sie dem Regen schutzlos ausgesetzt waren. Wenn die Leute sich nicht beruhigen ließen, mußte der Häuptling etwas unternehmen; Nick wußte, daß Swift nichts anderes übrigblieb, als ihn um Hilfe zu bitten. Das würde ein schwerer Schlag für den selbstbewußten Wilden sein.

Aber Nick hatte den Anführer der Höhlenbewohner unterschätzt. Swift erteilte einige Befehle, woraufhin seine Männer zu einem Feuer rannten, das noch immer brannte. Sie rissen lange Äste aus den Flammen, trugen sie zu den erloschenen Feuern hinüber und setzten sie ohne die geringste Schwierigkeit wieder in Brand.

Offenbar schliefen die Höhlenbewohner doch nicht die ganze Nacht durch, denn irgend jemand mußte Nick beobachtet haben. Wenn sie auch begriffen hatten, daß die Feuer gelegentlich Holz brauchten … Sie hatten es begriffen, denn jetzt warfen sie Holz auf die Feuer. Aber zuviel Holz; Nick stellte zufrieden fest, daß die kleinen Stöße neben jedem Feuer nicht ausreichen würden. Bisher schien noch niemand bemerkt zu haben, daß der Vorratsstapel ebenfalls brannte; Swift würde scharf überlegen müssen, wenn die Reserven verbraucht waren.

Er bewies, daß er dazu fähig war. Glücklicherweise war Nick wach geblieben, denn Swifts Männer machten keine weiteren Umstände. Sie kamen einfach.


Zu Nicks Überraschung waren sie alle unbewaffnet, aber trotzdem kamen sie ohne zu zögern näher, als erwarteten sie, daß er zur Seite treten würde. Als er keine Anstalten dazu machte, blieben sie dicht vor ihm stehen. Ihr Anführer schien etwas sagen zu wollen, aber Nick kam ihm zuvor.

„Was wollt ihr? Meine Freunde sind verwundet und können euch nicht helfen. In unserer Hütte ist kein Platz mehr. Geht zu den anderen, wenn ihr einen Unterschlupf sucht.“

„Swift schickt uns nach Holz.“ Der Wilde sprach ruhig, aber in seiner Stimme lag eine versteckte Drohung, die Nick keineswegs entging.

„Der Vorrat in der Hütte reicht kaum noch für mein eigenes Feuer aus. Ihr müßt Holz von den anderen Haufen holen.“

„Sie sind aufgebraucht.“

„Das ist nicht meine Schuld. Ihr wißt, daß Holz im Feuer verbrennt; ihr hättet sparsamer damit umgehen müssen.“

„Du hast uns nichts davon gesagt. Swift läßt dir ausrichten, daß du uns etwas von deinem Holz abgeben mußt. Außerdem sollst du uns sagen, wieviel wir nachlegen dürfen.“

Der Häuptling hatte Nicks Vorhaben richtig gedeutet, aber Nick blieb keine andere Wahl, als seinen Plan zu Ende zu führen.


„Ich habe kaum genug für mein eigenes Feuer“, wiederholte er deshalb. „Ich kann nichts abgeben; ich brauche das Holz für mich und meine Freunde.“

Zu seiner Überraschung zog sich der andere wortlos zurück. Offenbar hatte er seinen Auftrag ausgeführt und ging jetzt zurück, um weitere Befehle einzuholen. Unter Swifts Herrschaft wurde jede Art von eigener Initiative unterdrückt.

Nick sah der Gruppe nach, als sie zu den anderen zurückkehrte und vor dem Häuptling haltmachte.

Dann wandte er sich um und stieß Jim an.

„Jim, du mußt Nancy aufwecken“, flüsterte er.

„Swift gibt sich bestimmt nicht so leicht geschlagen.

Ich werde mich so gut wie möglich zur Wehr setzen; ihr beide müßt mich mit Munition versorgen.“

„Was meinst du damit?“ Nancy war noch so schläfrig, daß sie langsamer als gewöhnlich dachte.

„Ich kann uns nicht mit einer Axt verteidigen; das wäre reiner Selbstmord. Aber ich werde Fackeln benützen — erinnert ihr euch noch daran, wie schmerzhaft Brandwunden sind? Die Wilden haben keine Erfahrung damit; ich habe sie vor dem Feuer gewarnt, und sie sind immer sehr vorsichtig damit gewesen.

Aber jetzt werden sie es zu spüren bekommen!“

Die beiden anderen waren unterdessen aufgestanden. „Wie du meinst, Nick“, stimmte Jim zu. „Wir zünden die Fackeln an und geben sie dir, wenn du sie brauchst. Willst du die Dinger wie eine Lanze benutzen — oder lieber als Wurfgeschoß? Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß man sie überhaupt als Waffe gebrauchen kann.“

„Das ist mir auch erst vorhin eingefallen. Zuerst brauche ich lange Stöcke, mit denen ich stoßen kann.

Wenn ich werfen will, müßt ihr mir ganz kurze geben — wir dürfen nicht riskieren, daß die Kerle die Fackeln aufnehmen und zurückwerfen. Diese Gefahr besteht durchaus, denn sie sind längst nicht so dumm, wie sie aussehen!“

Jim und Nancy wandten sich dem Holzstoß zu, der fast die Hälfte der Hütte ausfüllte. Das Feuer brannte in der Nähe der Tür; Nick nahm seine vorherige Stellung wieder ein, während die beiden anderen hinter ihm am Feuer standen, von wo aus sie ihm die Fakkeln rasch in die Hand geben konnten. Sie waren kampfbereit, als die Gruppe zu der Hütte zurückkehrte.

Diesmal war sie etwas größer; Swift hatte selbst die Führung übernommen. Er ließ seine Leute fünf Meter von der Hütte entfernt haltmachen und wandte sich an Nick.

„Wenn du uns kein Holz gibst, verschaffe ich es mir mit meinen Messern. Du weißt genau, was ich damit sagen will.“

„Ich weiß“, bestätigte Nick. „Deshalb will ich nichts mit dir zu tun haben. Wenn ihr näher kommt, kann ich für nichts garantieren.“

Er hatte Swift noch nie unentschlossen oder zögernd gesehen, aber jetzt schien der Häuptling einen Augenblick lang zu überlegen, was Nick gemeint haben mochte. Dann reagierte er wie üblich.

„Ausgezeichnet“, sagte er und stürzte sich auf Nick, wobei er seine vier Speere auf die Brust des anderen richtete.

Nicks Schlachtplan erwies sich als undurchführbar; die Speere waren länger als seine Fackeln. Er drückte ihre Spitzen beiseite, bevor sie ihn berührten, konnte Swift aber selbst dann nicht erreichen, als die Speere ihn nicht mehr behinderten. Nick ließ sich durch seinen Haß auf den Häuptling zu einem unbedachten Angriff hinreißen und schleuderte die beiden Fackeln in seinen linken Händen gegen die Brust des Riesen.

Swift duckte sich rechtzeitig. Aber die anderen hinter ihm konnten nicht mehr ausweichen; aus ihren Reihen erklangen schrille Schmerzensschreie, als die Fackeln auftrafen und funkensprühend zerbrachen.

Der Häuptling wich einige Schritte weit zurück.

„Halbkreis!“ befahl er. Die Krieger gehorchten rasch und formierten sich. „Gemeinsam angreifen!“

Die Speere richteten sich auf Nick und kamen langsam näher.

Nick hatte keine Angst, denn er sah, daß keiner der Angreifer die Haltung einnahm, die notwendig war, um einen Stoß von unten nach oben zu führen, der seinen Schuppenpanzer durchdringen konnte. Die größte Gefahr lag im Augenblick darin, daß die Speerträger ihn ablenkten, bis ein anderer mit dem Messer auf ihn eindringen konnte. Nick zögerte und überlegte, ob er stoßen oder werfen sollte; dann entschloß er sich.

„Kurze!“ befahl er Jim und Nancy.

Nancy hatte bereits einige kurze Stöcke im Feuer, die sie ihm sofort gab, bevor sie andere anzündete.

Etwa zehn Sekunden lang imitierte Nick ein Maschinengewehr. Einige Fackeln verfehlten ihr Ziel, aber die anderen trafen; kurze Zeit später mußten die Angreifer bereits zurückweichen, denn vor der Hütte lagen überall brennende Holzstücke, mit denen ihre empfindlichen Füße in Berührung kamen. Swift wich als letzter zurück, aber schließlich hinkte auch er davon. Nick lachte.

„Jetzt kannst du dir selbst Holz suchen, mein Freund! Natürlich ist in der Nähe des Dorfes keines mehr zu finden; aber selbst wenn du wüßtest, wo die besten Holzplätze sind, könntest du keines mehr holen. Du brauchst keine Angst zu haben; wir kümmern uns um euch, wenn ihr schlaft. Ich möchte doch nicht, daß du gefressen wirst, Freund Swift!“

Swift zitterte vor Wut. Er umklammerte seine Speere und richtete sich zu voller Größe auf. Einige Sekunden lang schien es ungewiß, ob er die Speere werfen oder über die glühenden Holzstücke hinweg Nick angreifen würde. Nick war auf beides vorbereitet, hoffte aber auf einen Angriff; er hätte zu gern gesehen, wie Swift sich die Füße verbrannte.

Aber der Häuptling tat weder das eine noch das andere sondern ließ plötzlich die Speere sinken, als habe er sie völlig vergessen. Er wollte schon gehen, drehte sich aber noch einmal zu Nick um.

„Danke, Chopper. Soviel Hilfsbereitschaft hatte ich nicht erwartet. Ich muß mich jetzt leider verabschieden; du übrigens auch — von deinem Lehrer.“

„Aber … ihr könnt doch nicht nachts marschieren.“

„Warum nicht? Du hast es auch gekonnt.“

„Und wie steht es mit Fagin? Ihr wißt nicht, ob er dazu imstande ist!“

„Du hast mir erzählt, daß er alles kann, was ihr könnt. Du hast mir auch gesagt, daß er alles tun wird, was ich ihm sage. Falls er sein Versprechen vergißt, oder unterdessen anderer Meinung ist, haben wir eben von dir eine gute Methode gelernt. Oder glaubst du, daß er Feuer lieber als wir spürt?“ Swift lachte und erteilte mit lauter Stimme seine Befehle. Nick überschrie ihn noch.

„Fagin! Hast du das gehört? Fagin! Lehrer!“ In seiner Aufregung vergaß er ganz, daß der Lehrer immer einige zeit brauchte, bevor er antwortete.


„Was ist los, Nick?“ Aus der Stimme des Roboters war nicht zu erkennen, daß diesmal nicht Raeker sprach; Nick und die anderen hatten nie in Einzelheiten erfahren, was sich hinter ihrem Lehrer verbarg, so daß sie den Roboter noch immer als selbständiges Wesen betrachteten. Diesmal wirkte sich die Verschiedenheit jedoch aus; der Wachhabende an Bord der Vindemiatrix wußte zwar, was auf Tenebra geschehen war, hatte die Ereignisse aber nicht selbst verfolgt. Deshalb bedeuteten Nicks Worte für ihn weniger, als sie für Raeker bedeutet hätten.

„Swift will zu seinen Höhlen zurück; wenn du nicht freiwillig mitkommst, zündet er ein Feuer unter dir an. Kannst du das aushalten?“

Diesmal dauerte die Pause länger als gewöhnlich.

Die Temperatur eines Feuers auf Tenebra war noch nie gemessen worden, und der Wachhabende wollte nichts durch eine voreilige Schätzung aufs Spiel setzen. Hier ging es vor allem um eine ungeheuer kostspielige Maschine.

„Nein“, antwortete er. „Ich komme mit.“

„Was sollen wir tun?“

Raeker hatte nicht erwähnt, daß die Dorfbewohner an Ort und Stelle bleiben sollten; er hatte angenommen, daß er lange vor Tagesanbruch wieder auf seinem Posten sein würde. Der Wachhabende überlegte und drückte sich dann so vorsichtig wie möglich aus.


„Handelt nach eigenem Ermessen. Die Wilden können mir nichts anhaben; ich setze mich später wieder mit euch in Verbindung.“

„Einverstanden.“ Nick erwähnte den ursprünglichen Befehl absichtlich nicht, weil ihm der neue besser gefiel. Er beobachtete schweigend, wie die Angreifer unter Swifts Führung so viele Fackeln wie möglich aus den noch brennenden Feuern holten. Dann umringten sie den Lehrer und ließen nur an der Seite eine Öffnung, die in der gewünschten Richtung lag. Die Bedeutung dieses wortlosen Befehls war klar genug; der Roboter rollte nach Süden, während die Höhlenbewohner ihm folgten.

Nick sah ihnen nur kurze Zeit nach und überlegte dann, was er jetzt zu tun hatte. Seiner Meinung nach war es am besten, wenn sie das Dorf so rasch wie möglich verließen. Falls sie sich dazu entschlossen, bestand allerdings das Problem, wie Fagin wieder mit ihnen in Verbindung treten konnte. Selbstverständlich war Fagin theoretisch in der Lage, sie überall wiederzufinden, aber Nick war alt genug, um zu bezweifeln, daß jemand allwissend sein könne — nicht einmal ein Roboter. Da Nick aber keinen Ehrgeiz hatte, ein zweiter Swift zu werden, verschob er die Entscheidung darüber auf einen späteren Zeitpunkt; er entschloß sich, zu warten, bis die anderen aufgewacht waren, damit sie darüber abstimmen konnten.


Am nächsten Morgen hatte sich ihre Lage keineswegs verbessert. Unter normalen Umständen hätten sie zunächst die Herde bewachen müssen, die nachts in einer Mulde schlief. In dieser Senke blieb das Wasser immer etwas länger stehen, so daß das „Vieh“ vor Raubtieren sicher war, bis die Hirten kamen; aber diesmal reichten die Kräfte der Gruppe nicht aus, um das Dorf und die Herde gleichzeitig zu bewachen. Sie verloren mehrere Tiere, bevor Nick die Herde in das Dorf treiben konnte.

Dann mußten sie Holz für die nächste Nacht holen.

Nick hatte Swift gegenüber die Wahrheit gesagt. Irgend jemand mußte den weiten Weg auf sich nehmen. Schließlich gingen Jim und Nancy und zogen mit vereinten Kräften den Holzkarren hinter sich her.

Leider hatten ihre Versuche mit Tieren nie Erfolg gehabt; das Vieh ließ sich auf keine Weise dazu bringen, unter einem Joch zu gehen und eine Last zu ziehen.

Am zweiten Tag hatten sie sich jedoch alle bereits wieder so gut erholt, daß alles wesentlich einfacher war. An diesem Morgen wurde eine Besprechung abgehalten, in der Nick seinen Vorschlag zur Debatte stellte, daß sie sich in das unwegsame Gelände zurückziehen sollten, das er auf der Flucht vor den Höhlenbewohnern durchquert hatte. Er wies vor allem darauf hin, daß sich dort zahlreiche natürliche Verstecke anboten, die mit geringen Kräften wirksam verteidigt werden konnten. Nancy äußerte sich zuerst zu diesem Vorschlag.

„Ich bin nicht völlig überzeugt, daß die Idee gut ist“, meinte sie zweifelnd. „Wir wissen nicht einmal, ob die Verstecke noch vorhanden sind, wenn wir dort ankommen.“ Ein kurzer Erdbebenstoß bestätigte das Gesagte.

„Was macht das schon aus?“ erwiderte Nick. „Wir finden immer wieder andere. Ich habe nicht von einem bestimmten Versteck gesprochen, sondern gesagt, daß ich das ganze Gebiet für ideal halte.“

„Aber wie soll Fagin uns dort finden? Wie können wir ihm den Weg beschreiben, selbst wenn einer von uns bis zu ihm vordringt, wo er gefangengehalten wird? Wir müßten ihn führen, was vielleicht seinen eigenen Plänen widerspricht — du hast vorher ganz richtig vermutet, daß er wahrscheinlich die Tatsache ausnützen will, daß er nachts ohne Feuer marschieren kann.“

Nick fühlte eine gewisse Verstimmung, als er auf diesen Widerspruch stieß, aber er erinnerte sich deutlich genug an Swift, um ihr nicht nachzugeben. Er wollte sich nicht auf die gleiche Stufe mit diesem Wilden stellen; außerdem hatte Nancy vielleicht gar nicht unrecht, wenn man darüber nachdachte.

„Wohin sollten wir deiner Meinung nach gehen?“

erkundigte er sich. „Du hast recht, daß Fagin nur schwer mit uns in Verbindung treten kann, aber ich kann mir keine andere Stelle denken, die sich leichter verteidigen ließe.“

„Ich glaube, daß Fagin recht hatte, als er sagte, wir sollten uns gar nicht auf einen Kampf mit Swifts Leuten einlassen“, erwiderte Nancy ruhig. „Deshalb denke ich nicht unbedingt an eine Verteidigung; wenn es dazu kommt, haben wir ohnehin bereits verloren, fürchte ich. Nein, ich finde, wir sollten uns an das Meer zurückziehen.“

„Wohin?“

„Du weißt, was ich meine, denn du warst selbst dabei, als es in die Karte aufgenommen wurde. Im Osten liegt ein Meer, das nicht aus Wasser besteht — zumindest trocknet es tagsüber nicht völlig aus. Ich weiß allerdings nicht mehr, was Fagin dazu gesagt hat, als wir davon berichteten…“

„Er sagte, die Flüssigkeit sei Schwefelsäure — aber er wußte nicht, wie er sich davon überzeugen sollte“, warf Dorothy ein.

„Jedenfalls trocknet das Zeug nicht aus“, fuhr Nancy fort, „und wenn Fagin uns finden will, braucht er sich nur an das Ufer zu halten. Vielleicht kann er sich sogar darin bewegen, damit die Höhlenbewohner seine Spur verlieren.“ Die anderen nickten beifällig, und Nick äußerte sich ebenfalls zustimmend.

„Einverstanden“, sagte er. „Wenn niemand einen besseren Vorschlag machen kann, ziehen wir uns an das Meer zurück. Über die beste Stelle müssen wir uns einigen, wenn wir erst einmal dort sind; die Karten sind bereits zwei Jahre alt, und ich glaube nicht, daß sie noch zuverlässig genug sind.

Wir müssen uns aber auch überlegen, wie wir dorthin marschieren können, was wir mitnehmen wollen und was zurückbleiben muß. Natürlich laden wir den Karren voll, aber ich möchte wetten, daß wir auf Gelände stoßen, in dem wir ihn nicht mehr bewegen können. Jedenfalls müssen wir uns damit abfinden, daß viel zurückbleibt.

Dann bleibt noch das Problem, wie wir uns mit Fagin in Verbindung setzen. Darüber können wir uns Sorgen machen, wenn wir unser Ziel erreicht haben; vorher sind solche Überlegungen zwecklos.

Ich hoffe, daß wir schon morgen früh aufbrechen können; deshalb müssen wir uns in der Zwischenzeit mit dem zweiten Problem beschäftigen. Wenn jemand eine gute Idee hat, kann er jederzeit damit zu mir kommen.“ Die Gruppe ging auseinander, als jeder die Aufgabe in Angriff nahm, der er sich gewachsen fühlte.

Jim und Nancy, die sich wieder völlig erholt hatten, hüteten die Herde. Seitdem sie ihre Arbeit aufgenommen hatten, war kein Tier mehr verlorengegangen. Dorothy stand neben dem Karren und versuchte alles aufzuladen, was die anderen heranschleppten.

Trotz aller Mühe konnte sie nicht alles unterbringen und mußte die anderen mühsam davon überzeugen, daß nicht jeder alles mitnehmen konnte, was er für wertvoll hielt.

Der Streit darüber dauerte noch an, als die Gruppe abmarschierte. Nick begann eine gewisse Sympathie für Swift zu empfinden; er hatte entdeckt, daß jede Gruppe einen Führer brauchte, und daß dieser Führer sich nicht immer nach den Wünschen der anderen richten konnte. Nick hatte selbst einige Befehle erteilen müssen und befürchtete jetzt, daß seine Freunde ihn bereits mit Swift verglichen.

Der Karren war völlig überladen, so daß alle — bis auf die beiden Viehtreiber — daran ziehen und schieben mußten. Wenn ein Raubtier auftauchte, ließ die Gruppe den Karren stehen und griff zu den Waffen.

Allerdings war das kaum notwendig, denn die meisten Tiere waren vorsichtig genug, um einer so großen Gruppe auszuweichen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel bildeten die Schweber, die ohnehin mehr Pflanzen als Tiere waren. Ihr Angriff war nicht übermäßig gefährlich, wenn man einen Speer zur Verfügung hatte, der länger als die Fangarme war, mit denen sie ihre Opfer zu umschlingen versuchten.

Nicks Pessimismus erwies sich als voreilig, denn sie legten den ganzen Weg bis zum Meer mit dem Karren zurück. Am Nachmittag des zweiten Tages erreichten sie ihr Ziel, nachdem sie zuvor an immer größeren Teichen vorübergezogen waren, die mit einer öligen Flüssigkeit gefüllt waren.

Selbstverständlich hatten sie solche Teiche bereits früher gesehen; in ihrem eigenen Tal entstanden welche gegen Abend — Löcher, in denen nach Sonnenaufgang Wasser stand, die aber gegen Mittag nur Schwefelsäurepfützen waren. Diese Teiche hier waren jedoch größer und schienen sehr viel tiefer zu sein.

Auch der Boden unter ihren Füßen hatte sich verändert; der Pflanzenwuchs war so reichlich wie überall, aber unterhalb der Stengel lagen Quarzkristalle.

Das Vieh kam weiterhin gut voran, aber die Füße seiner Besitzer waren wesentlich empfindlicher, so daß das Marschtempo sich verringerte.

Die Suche nach einem geeigneten Aufenthaltsort dauerte deshalb weniger lange und wurde vielleicht weniger sorgfältig als sonst vorgenommen. Die Gruppe einigte sich rasch auf eine Halbinsel, die aus einem Hügelrücken bestand, der etwa fünfzehn Meter über die Wasseroberfläche emporragte. Nick war nicht der einzige, der dabei auch an die guten Verteidigungsmöglichkeiten dachte, die eine Halbinsel bot.

Sie trieben das Vieh in die entsprechende Richtung, zerrten den Karren hinüber und begannen sofort mit der Suche nach Holz. Bei Einbruch der Dunkelheit hatten sie bereits einen ziemlich großen Stoß gesammelt und konnten sich zufrieden ausruhen. Nachdem sie die Feuer angezündet und eines der Tiere zum Abendessen verzehrt hatten, ließen sie sich zur Nachtruhe nieder. Erst als die ersten Tropfen fielen, überlegten sie, wie hoch der Wasserspiegel nachts steigen mochte.

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