5

Aminadabarlee starrte den Bildschirm schweigend an. Raeker empfand ein gewisses Mitgefühl, obwohl der andere gerade unbeherrschte Drohungen ausgestoßen hatte. Er überlegte sich, daß er unter diesen Umständen vermutlich nicht viel anders reagiert hätte. Solange allerdings noch Hoffnung bestand, war Mitleid fehl am Platz; jetzt mußte er vor allem handeln.

„Wellenbach! Wie lautet das Kodesignal für den Bathyskaphen?“ erkundigte er sich hastig.

Der Nachrichtenoffizier kam heran und griff nach der Wählscheibe. „Ich stelle die Verbindung für Sie her, Doktor.“

Raeker stieß seine Hand beiseite. „Augenblick. Wie sieht der Apparat am anderen Ende aus? Ein ganz normaler Handapparat — oder ist er in das Instrumentenbrett eingebaut?“

„Ganz normal. Warum fragen Sie danach?“

„Weil nämlich sonst passieren könnte, daß die Kinder die Luftschleuse öffnen oder etwas anderes anstellen, während sie das Rufzeichen zu beantworten versuchen. Wenn der Apparat sich nicht von den sonst üblichen unterscheidet, kann das Mädchen den Anruf gefahrlos beantworten.“


„Richtig. Sie müßte ohne weiteres dazu in der Lage sein; ich habe selbst gesehen, daß sie mit diesen Apparaten umgehen kann.“

„Gut, stellen Sie die Verbindung her.“ Raeker versuchte gelassen zu erscheinen, während der Offizier die Wählscheibe drehte. Vorläufig stand noch nicht einmal fest, was überhaupt geschehen war; irgend etwas hatte die Verbindung zwischen der Pinasse und dem Bathyskaphen zerstört, aber das mußte sich nicht unbedingt auf den Bathyskaphen ausgewirkt haben. Sonst waren die Kinder vermutlich bereits tot — obwohl die Möglichkeit bestand, daß sie Raumanzüge trugen. Noch blieb eine schwache Hoffnung.

Aminadabarlee hinter ihm glich einer riesigen Statue aus grauem Metall. Raeker wagte nicht daran zu denken, was geschehen würde, wenn schlechte Nachrichten diese Statue in Bewegung setzten; seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich völlig auf das Schicksal der beiden Kinder. Als der Schirm endlich nach einigen Sekunden aufleuchtete, sah er mit Erleichterung, daß seine schlimmsten Befürchtungen ungerechtfertigt gewesen waren.

Ein menschliches Gesicht wurde sichtbar; schmal, sehr blaß und mit einer Mähne aus roten Haaren. Ein Gesicht, auf dem mühsam beherrschte Angst zu erkennen war — aber ein lebendes Gesicht. Das war wichtiger als alles andere.


Im gleichen Augenblick stürzte eine Gestalt in die Nachrichtenzentrale und blieb schweratmend hinter dem bewegungslosen Drommianer stehen.

„Easy! Ist bei dir alles in Ordnung?“ Raeker brauchte sich nicht erst umzudrehen, um festzustellen, daß Councillor Rich hinter ihm stand. Seine Gegenwart schien einen beruhigenden Einfluß auf das Mädchen zu haben, denn es versuchte sogar zu lächeln.

„Ja, Dad. Vorher hatte ich ziemliche Angst, aber jetzt fürchte ich mich gar nicht mehr. Holst du mich bald?“

Einen Augenblick lang entstand eine gewisse Verwirrung, als Rich, Raeker und der Drommianer gleichzeitig sprechen wollten; dann setzte Aminadabarlees physische Überlegenheit sich durch, und er streckte seinen schlanken Kopf in die Nähe des Bildschirms.

„Wo ist der andere — mein Sohn?“ fragte er.

Easy antwortete sofort. „Er ist hier; ihm fehlt nichts.“

„Ich will mit ihm sprechen.“ Das Mädchen verließ seinen Platz; die Männer an Bord der Vindemiatrix hörten ihre Stimme, konnten aber nicht verstehen, was sie sagte. Als sie wieder auf dem Bildschirm erschien, war ihr Haar in Unordnung, und auf der linken Backe zeichnete sich eine blutende Kratzwunde ab.


„Er hat sich in der Ecke versteckt und will nicht wieder heraus. Ich stelle den Apparat lauter, damit Sie mit ihm sprechen können.“ Sie erwähnte den Kratzer nicht, und zu Raekers Überraschung schwieg ihr Vater ebenfalls. Aminadabarlee schien die Wunde nicht bemerkt zu haben. Er wandte sich in seiner schrillen Sprache an den Jungen und sprach einige Minuten lang mit ihm. Dabei machte er nur gelegentlich eine kurze Pause, um auf eine Antwort zu warten.

Zunächst erhielt er keine, aber als er eindringlicher sprach, ertönte schließlich doch ein schwacher Laut aus einer Ecke. Eine Minute später erschien Aminadorneldos Kopf neben Easy auf dem Bildschirm. Raeker konnte nicht beurteilen, ob der Junge sich schämte; aber offenbar hatte sein Vater ihn zu einer Entschuldigung angehalten, denn Aminadorneldo wandte sich an Easy und sprach sie auf Englisch an.

„Tut mir leid, daß ich Sie verletzt habe, Miß Rich.

Ich hatte Angst, weil ich dachte, Sie hätten den Krach gemacht und wollten mich jetzt mit Gewalt aus der Ecke holen. Mein Vater sagt, daß Sie älter als ich sind, und daß ich tun muß, was Sie sagen, bis ich wieder bei ihm bin.“

Das Mädchen lächelte beruhigend. „Du darfst ruhig Easy zu mir sagen, ›Mina‹“, erklärte sie ihm. „Ich bin dir bestimmt nicht böse. Keine Angst, ich sorge für dich, bis wir wieder bei deinem Vater sind…“ Sie runzelte die Stirn und starrte nachdenklich auf den Bildschirm. Raeker erriet sofort, daß das Mädchen etwas zu sagen versuchte, was ihr Begleiter nicht hören sollte. Er schob den Drommianer beiseite und nahm seinen vorherigen Platz wieder ein. Easy nickte ihm zu; sie hatte ihn bereits an Bord der Vindemiatrix kennengelernt.

„Miß Rich“, begann er, „wir wissen noch immer nicht genau, was sich eigentlich bei Ihnen ereignet hat. Können Sie uns erklären, wie alles passiert ist?

Oder kann Ihr Führer Bericht erstatten?“

Bei der letzten Frage schüttelte das Mädchen verneinend den Kopf. „Ich weiß nicht, wo Mister Flanagan im Augenblick steckt. Zuletzt war er noch in der Pinasse — wahrscheinlich wollte er dort eine Zigarette rauchen.

Er hatte uns gesagt, daß wir nichts anfassen dürften, aber wir waren selbst viel zu vorsichtig dazu und betraten den Steuerraum gar nicht. Als wir dann wieder in die Pinasse zurückkehren wollten, schloß sich plötzlich automatisch die Luftschleuse; wir wurden gegen die Wand gedrückt — meiner Schätzung nach mit mindestens vier g. ›Mina‹ konnte sich noch etwas bewegen und versuchte mit Mister Flanagan Verbindung aufzunehmen, aber wir bekamen keine Antwort. Die Beschleunigung dauerte etwa eine halbe Minute und setzte erst Sekunden vor Ihrem Anruf aus.“

Unterdessen waren auch andere Besatzungsmitglieder in die Nachrichtenzentrale gekommen. Einige von ihnen nahmen ihre Rechenschieber zur Hand, und Raeker beobachtete sie schweigend, bis der erste seine Berechnungen abgeschlossen hatte, dann fragte er: „Haben Sie etwas herausbekommen, Saki?“

„Ja“, antwortete der Ingenieur. „Natürlich ist der Bericht keine zuverlässige Rechengrundlage, aber wenn das Mädchen einigermaßen richtig geschätzt hat, muß irgendwie ein ganzer Satz Feststofftriebwerke gezündet haben. Das entspricht vier g vierzig Sekunden lang — oder einer Beschleunigung von über einem Sekundenkilometer. Allerdings wissen wir trotzdem noch nicht, wo sich das Schiff befindet, bis wir dort sind und es anpeilen können; der Kurs läßt sich nicht berechnen, weil wir keine Ahnung haben, in welcher Richtung das Ding beschleunigt hat. Aber mir wäre wohler, wenn der Bathyskaph etwas weiter von Tenebra entfernt wäre.“

Raeker fragte absichtlich nicht nach dem Grund dafür, aber Aminadabarlee erkundigte sich sofort.

„Warum?“

Der Ingenieur warf ihm einen abschätzenden Blick zu und entschloß sich, lieber bei der Wahrheit zu bleiben.

„Weil eine Beschleunigung von eineinhalb Sekundenkilometern in vielen Richtungen dazu führen kann, daß das Schiff in eine Kreisbahn eintritt, die auf der Planetenoberfläche endet“, erklärte er dem Drommianer offen.

„Wieviel Zeit bleibt bis zur Landung?“ wollte Rich wissen.

„Dafür bin ich nicht zuständig. Das muß erst berechnet werden, während wir unterwegs sind. Aber meiner Schätzung nach müßte die Landung innerhalb von Stunden erfolgen.“

„Warum sind Sie dann überhaupt noch hier?“ fragte Aminadabarlee wütend. „Warum werden keine Rettungsmaßnahmen eingeleitet?“

„Ich habe schon alles veranlaßt“, antwortete der Ingenieur ruhig. „Eine Pinasse wird eben startklar gemacht und fliegt in einigen Minuten ab. Begleiten Sie uns, Doktor Raeker?“

„Ich würde Ihnen nur im Weg sein“, wehrte Raeker ab.

„Für mich gilt wahrscheinlich das gleiche“, meinte Rich, „doch wenn Sie genügend Platz haben, möchte ich mitkommen. Ich will Sie aber nicht bei der Arbeit behindern.“

„Bleiben Sie lieber hier“, empfahl ihm Sakiiro. „Wir lassen die Verbindung mit der Vindemiatrix nicht abreißen, damit Sie ständig informiert sind.“ Er rannte hinaus.

Aminadabarlee hatte offensichtlich ebenfalls mitfliegen wollen, aber nachdem Rich zurückgeblieben war, konnte er nicht mehr darauf bestehen. Er machte seiner Erbitterung Luft, indem er bemerkte: „Man muß schon ein völlig vertrottelter Mensch sein, um an einem noch nicht fertiggestellten Schiff Triebwerke anzubringen.“

„Der Bathyskaph ist aber bereits fertig — ihm fehlt nur noch die letzte Überprüfung“, antwortete ein anderer Ingenieur gelassen. „Die Feststofftriebwerke dienen nicht nur zur Landung, sondern auch zum Start. Übrigens sollten sie noch gar nicht betriebsbereit gemacht worden sein, und wir müssen sie erst untersuchen, um festzustellen, wodurch die Zündung erfolgt ist. Vorläufig ist es nur Zeitverschwendung, wenn wir darüber diskutieren, wer an der ganzen Sache schuld ist.“

Der Ingenieur starrte den Drommianer feindselig an, aber Rich trat rechtzeitig zwischen die beiden.

Raeker bewunderte die Geschicklichkeit, mit der der Diplomat den wütenden Aminadabarlee beruhigte, obwohl der andere eben noch vor Zorn sprachlos gewesen war.

Raeker hätte die Unterhaltung zwischen Rich und dem Drommianer gern verfolgt, aber er hatte genügend mit dem Funkgerät zu tun. Die beiden Kinder hatten gehört, was der Ingenieur gesagt hatte, obwohl sie die Wahrheit nicht völlig begriffen hatten, und Raeker mußte jetzt sein Bestes tun, um sie wieder aufzumuntern. Begreiflicherweise waren die Kinder vor Schreck fast gelähmt, aber das Mädchen fing sich nach überraschend kurzer Zeit wieder. Raeker wußte nicht, ob ihre Gelassenheit nur gespielt war, aber trotzdem stieg sein Respekt vor ihr noch mehr.

Unterdessen war die Pinasse gestartet, und als die Minuten langsam verstrichen, faßten die Besatzungen der drei Schiffe wieder neue Hoffnung. Falls der Bathyskaph sich nicht in einer Kreisbahn befand, die auf Tenebra endete, bestand selbstverständlich keine Gefahr; Nahrungsmittel und Sauerstoff waren reichlich vorhanden. Raeker schätzte, daß die Aussichten für einen anderen Kurs etwa drei zu eins standen, denn schließlich gab es nur vier mögliche Richtungen.

Der Elektronenrechner der Pinasse berechnete laufend neue Kurse; als schlimmste Möglichkeit ergab sich, daß der Bathyskaph innerhalb von fünfundvierzig Minuten in die Planetenatmosphäre eintreten würde. Wenn dies nach einhundertdreißig Minuten noch nicht der Fall gewesen war, würde das Ereignis nicht mehr eintreten.

Siebenundsechzig Minuten nach der ersten Beschleunigung berichtete Easy von einer weiteren. Unterdessen hatte selbst Aminadabarlee begriffen, was die Tatsache bedeutete. Die Pinasse hatte sich dem Planeten so weit wie möglich genähert, aber trotzdem war den beiden Kindern damit nicht im geringsten geholfen. Die Ingenieure konnten den Sender des Bathyskaphen anpeilen und seine Position ungefähr bestimmen; aber sie konnten trotzdem keinen Kollisionskurs innerhalb der Planetenatmosphäre berechnen.

Vorläufig stand nur fest, daß ein Rendezvousmanöver frühestens zu einem Zeitpunkt durchführbar war, an dem der Bathyskaph bereits in die Atmosphäre eingetreten war — aber dann ließen sich die Raketentriebwerke wegen des hohen Außendrucks nicht mehr verwenden. Sakiiro meldete dieses Ergebnis an die Vindemiatrix und wandte sich dann sofort an Easy Rich, bevor Aminadabarlee sprechen konnte.

„Miß Rich, bitte hören Sie mir aufmerksam zu. Die augenblickliche Beschleunigung wird in den nächsten Minuten wesentlich stärker werden. Ich möchte, daß Sie sich in dem Pilotensitz anschnallen und Ihren Begleiter nach Möglichkeit ebenfalls auf einem Sitz unterbringen.“

„Er paßt aber auf keinen Sessel“, antwortete das Mädchen.

„Aber er ist an vier g gewöhnt“, warf Rich von der Vindemiatrix aus ein.

„Wahrscheinlich muß er mehr aushalten; aber in diesem Fall ist es nicht so schlimm. Er soll sich einfach auf den Boden legen. Hören Sie, Miß Rich…“

„Nennen Sie mich Easy, das spart Zeit.“

„Sagen Sie mir, was Sie auf dem Instrumentenbrett vor sich erkennen.“


„Nicht allzuviel. Die Lichtschalter befinden sich links oben — ich kann die Beschriftung lesen. In der Mitte sehe ich den Kontrollschalter für die Luftschleuse neben der Wählscheibe; dann kommen ungefähr zwanzig An/AusSchalter, mit deren Beschriftung ich nichts anfangen kann…“ Saki nickte, als das Mädchen zu Ende gesprochen hatte.

„Ausgezeichnet. In der Mitte der Schalttafel finden Sie aber nicht nur den Kontrollschalter, sondern auch zwei weitere mit der Aufschrift AERO. Diese beiden müssen auf AUS stehen. Der kleinere Hebel darunter muß nach oben zeigen. Stimmt alles?“

„Alles, Sir.“

„Schön, dann können Sie sich jetzt anschnallen. Der Autopilot des Schiffes steht jetzt mit dem Roboter auf Tenebra in Funkverbindung. Wir wollen es mit einer Landung ohne Triebwerke versuchen, weil das Risiko dabei geringer ist. Sie brauchen keine Angst zu haben, Easy — der Bathyskaph ist speziell für dieses Manöver konstruiert. Haben Sie noch Fragen?“

„Nein. Ich bin angeschnallt, und ›Mina‹ liegt ausgestreckt auf dem Deck.“

„Ausgezeichnet. Legen Sie jetzt den Schalter mit der Aufschrift SUCHE um. Hoffentlich werden Sie nicht leicht luftkrank; in den nächsten Minuten müssen Sie wahrscheinlich einiges aushalten.“

Sakiiro in der Pinasse und die Männer in der Nachrichtenzentrale der Vindemiatrix beobachteten gespannt, wie das Mädchen den Schalter umlegte. Zu ihrer Überraschung zeigten die Auswirkungen sich nicht sofort; sie hatten erwartet, daß Easy in den Sitz gedrückt werden würde. Aber das Mädchen schien den Andruck kaum wahrzunehmen.

„Ich spüre etwas“, berichtete Easy. „Das Schiff schwankt … Tenebra ist jetzt an Backbord zu erkennen … ich bin schwerer geworden … der Bug zeigt nach unten — falls ich nicht mit dem Rücken zur Flugrichtung sitze.“

„Sie haben recht“, stimmte der Ingenieur zu. „Der Bathyskaph steuert jetzt den Roboter an und wird langsam abgebremst, bis seine Geschwindigkeit ungefähr achthundert Stundenkilometer beträgt. Der Bremsvorgang verläuft ziemlich ruckartig, deshalb müssen Sie angeschnallt bleiben.“

„Verstanden. Wie lange noch?“

„Einige Stunden lang. Aber die Belastung ist auszuhalten.“

Rich wandte sich mit einer Frage an den Ingenieur.

„Was passiert, wenn das Schiff den Roboter überfliegt, bevor die Geschwindigkeit genügend verringert worden ist, Mister Sakiiro? Wie reagiert dann der Autopilot? Steuert er geradewegs nach unten?“

„Ganz bestimmt nicht. Schließlich handelt es sich hier nicht um eine unbemannte Rakete. Der Bathyskaph beschreibt in diesem Fall einige weite Kurven um das angegebene Ziel, bis die Geschwindigkeit auf achthundert Stundenkilometer abgesunken ist. Im Notfall wird die Landung automatisch durchgeführt; aber wir hoffen, daß wir das vermeiden können.“

„Wie? Sie erwarten doch nicht etwa, daß Easy das Schiff fliegt?“

„Nein, sie braucht es nicht zu steuern. Aber wenn der Bathyskaph seine Reisegeschwindigkeit erreicht hat, sind die Auftriebtanks mit Luft gefüllt. Dann muß sie nur noch die Elektrolyse in Gang setzen, damit in den Tanks Wasserstoff entsteht, wodurch das Schiff so hoch in der Atmosphäre schwebt, daß die Triebwerke benutzt werden können. Als nächstes trimmt sie dann unter meiner Anweisung das Schiff so, daß das Heck auf Tenebra gerichtet ist, und zündet die Triebwerke. Wir brauchen dann nur noch hier oben auf sie zu warten.“

„Ich dachte, die Triebwerke seien noch nicht angeschlossen!“

Sakiiro schwieg einen Augenblick lang.

„Sie haben recht; das hatte ich ganz vergessen. Unter diesen Umständen ist die Sache komplizierter.“

„Soll das heißen, daß die beiden dort unten bleiben müssen?“

„Nicht unbedingt. Wir müssen unsere Pinasse nur mit den gleichen Triebwerken ausrüsten, damit wir das andere Schiff erreichen können, wenn es so hoch wie möglich schwebt. Schließlich müssen die Triebwerke auf jeden Fall in dieser Höhe arbeiten, für die sie gebaut worden sind — die Konstruktion des Schiffes, an dem sie angebracht werden, spielt dabei keine Rolle.“

„Dann ist die Rettung also möglich.“ Diese Feststellung war eigentlich mehr eine Frage. Sakiiro war zu ehrlich, um sofort antworten zu können. Aber nach einem kurzen Blick auf das besorgte Gesicht von Easys Vater entschloß er sich doch zu einer Antwort.

„Wir müßten die beiden retten können. Aber ich will Ihnen keineswegs falsche Hoffnungen machen, indem ich verschweige, daß das Rettungsmanöver ziemlich riskant ist. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie schwierig es für einen unserer Ingenieure ist, den Bathyskaphen zu erreichen, der wie ein Ballon schwebt, um dort die Verdrahtung der Triebwerke zu beenden, bevor er wieder zu der Pinasse zurückkehrt.“

„Warum können die Kinder nicht einfach in die Pinasse umsteigen?“

„Weil ihre Raumanzüge nicht für den Druck gebaut sind, der in dieser Höhe über Tenebra herrscht“, antwortete Sakiiro. „Ich kenne die Konstruktion der Drommianer nicht, aber unsere sind jedenfalls zu wenig widerstandsfähig.“


„Mister Sakiiro.“ Easys Stimme drang aus dem Lautsprecher.

„Ja, Easy?“

„Kann ich nicht etwas tun? Ich mag nicht einfach nur warten — und ich habe ein bißchen Angst.“

Rich warf dem Ingenieur einen fragenden Blick zu.

Als Diplomat war er zudem ein ausgezeichneter Psychologe und kannte seine Tochter. Easy war nicht von Natur aus hysterisch, aber für eine Zwölfjährige war die nervliche Belastung schwer zu ertragen. Er selbst konnte nichts vorschlagen, womit Easy sich ablenken durfte; aber Sakiiro sah zum Glück ein, daß das Mädchen beschäftigt werden mußte.

„Auf der linken Seite des Instrumentenbretts sehen Sie einige Manometer. Wenn Sie uns die gemessenen Werte durchgeben können, ist uns schon viel geholfen. Und Ihr Freund beobachtet vielleicht die Sterne, damit wir wissen, wann sie dunkler werden. Allerdings werdet ihr den Andruck bald so stark spüren, daß die Beobachtung zu schwierig wird.“

Rich nickte ihm dankend zu; falls Aminadabarlee ein ähnliches Gefühl der Dankbarkeit empfand, ließ er sich nichts anmerken. In den nun folgenden Minuten waren nur die Stimmen der beiden Kinder zu hören, die Meßinstrumente ablasen und die Sterne beschrieben.

Dann berichtete Easy, daß der Bathyskaph wieder heftig zu schwanken begonnen hatte.


„Alles in bester Ordnung“, beruhigte Sakiiro sie.

„Das bedeutet nur, daß ihr jetzt über dem Roboter seid. Von jetzt an wird die Geschwindigkeit allmählich verringert, wobei der Andruck sich erhöht. Ihre Liege nimmt automatisch die beste Stellung ein, aber sie werden trotzdem darunter leiden. Ihr Freund spürt wahrscheinlich weniger davon, aber er soll sich trotzdem nach Möglichkeit nicht bewegen.“

„Verstanden.“

„Die Sterne verschwinden langsam“, warf Aminadorneldo ein.

„Danke. Was zeigen die Manometer an?“

Das Mädchen las die Instrumente ab, obwohl sie die Zeiger kaum noch erkennen konnte. Bisher war das Schiff senkrecht nach unten gesunken, aber jetzt beschrieb es verhältnismäßig enge Kurven. Die Ingenieure begriffen nicht, warum der Bathyskaph so ruhig in der Luft lag, denn seine Geschwindigkeit war noch immer wesentlich höher als erwartet.

Sakiiro, der sich nur auf Vermutungen verlassen konnte wollte Easy bereits beschreiben, wie die Elektrolyse in Gang gebracht wurde, als die gleichmäßige Bewegung sich plötzlich in ein hartes Stampfen und Schwanken verwandelte. Das Mädchen blieb angeschnallt auf ihrem Sitz und wurde nur abwechselnd gegen die Gurte gedrückt oder in die Polster geworfen; aber der junge Drommianer rutschte haltlos von einer Ecke in die andere. Die Ingenieure waren völlig verblüfft; die Diplomaten hatten zuviel Angst um ihre Kinder, als daß sie imstande gewesen wären, ein vernünftiges Wort herauszubringen. Aber Raeker glaubte zu wissen, was sich ereignet hatte.

„Regentropfen!“ rief er.

Später stellte sich heraus, daß er recht gehabt hatte; aber im Augenblick war diese Erkenntnis nicht viel wert. Der Autopilot versuchte einen geraden Kurs zu steuern, was sich aber als kaum möglich erwies, da der Bathyskaph immer wieder mit riesigen Tropfen mit einem Durchmesser von über fünfzehn Metern zusammenprallte.

Wenige Minuten später ging das Schiff jedoch wieder in den freien Fall über. Da der Bathyskaph aus einem sechzig Meter langen Hohlkörper bestand, der die kugelförmige Steuerzentrale umschloß, sank er so langsam, daß er vermutlich selbst durch eine harte Landung nicht beschädigt worden wäre. Ein glücklicher Zufall wollte es jedoch, daß das Schiff im Wasser landete.

In einem wirklichen Meer: nicht in der Mischung aus Gasen und Flüssigkeiten, mit der Tenebra nachts zum größten Teil bedeckt war.

Der Bathyskaph landete auf dem Rücken, aber sein Schwerpunkt lag so tief, daß das Schiff sich selbsttätig aufrichtete. Die Beobachter sahen, daß der junge Drommianer sich vorsichtig aufrichtete, zu der Liege des Mädchens hinüberging und es an der Schulter rüttelte. Easy bewegte sich und versuchte sich aufzusetzen.

„Ist bei euch alles in Ordnung?“ Beide Väter stellten diese Frage gleichzeitig. Aminadorneldo, der sich an den Befehl seines Vaters erinnerte, wartete geduldig darauf, daß Easy antwortete.

„Ja“, sagte sie schließlich. „Tut mir leid, daß ich vorher geheult habe, Dad; ich hatte plötzlich Angst.

Aber ich wollte ›Mina‹ bestimmt nicht erschrecken.“

„Ich bin dir deswegen nicht böse, Easy, und glaube nicht, daß dein Freund sich davon hat beeinflussen lassen. Wir müssen froh sein, daß ihr heil gelandet seid — wenn der Bathyskaph beschädigt wäre, würdet ihr wahrscheinlich nicht mehr leben.“

„Richtig“, stimmte Sakiiro zu.

„Ihr habt einiges aushalten müssen, aber das ist jetzt Gott sei Dank vorüber. Solange ihr dort unten seid, könnt ihr euch ein bißchen umsehen — schließlich seid ihr die ersten Lebewesen von anderen Planeten, die Tenebra mit eigenen Augen beobachten können. Wenn ihr damit fertig seid, sagt Mister Sakiiro euch, wie ihr wieder zurückkommt. Einverstanden?“

„Natürlich, Dad.“ Easy fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, bevor sie die Gurte löste und sich unsicher erhob.


„Wann hört eigentlich der Druck auf?“ erkundigte sie sich.

„Wenn ihr wieder hier oben seid“, antwortete ihr Vater.

„Ich weiß; das sollte nur ein Witz sein. Hmm. Dort draußen scheint es Nacht zu sein; ich kann überhaupt nichts erkennen.“

„Richtig“, bestätigte Raeker, „aber selbst wenn es heller Tag wäre, würden Sie nicht mehr sehen. Sogar Altair reicht nicht aus, um die dichte Atmosphäre zu durchdringen. Sie müssen die Scheinwerfer einschalten.“

„Wird gemacht.“ Das Mädchen sah zu den Lichtschaltern hinüber, ließ sich aber nochmals von Sakiiro bestätigen, daß dies die richtigen waren. Saki gab später zu, daß er von diesem Augenblick an erstmals auf die Rettung der beiden Kinder zu hoffen wagte.

Als die Scheinwerfer aufflammten, gingen die Kinder an die Bullaugen hinüber. „Draußen ist nicht viel zu sehen“, berichtete Easy. „Wir schwimmen anscheinend in einem riesigen See, dessen Oberfläche nicht die kleinste Bewegung zeigt. Man könnte glauben, das Wasser sei eine feste Masse, wenn das Schiff nicht zur Hälfte darin eingesunken wäre. Überall um uns herum sinken riesige Kugeln vom Himmel herab, aber sie alle lösen sich auf, bevor sie die Wasseroberfläche erreichen. Sonst ist nichts zu erkennen.“


„Es regnet“, erklärte Raeker ihr. „Der See besteht vermutlich aus verdünnter Schwefelsäure, die wärmer als die Luft ist, so daß die Regentropfen über ihr verdampfen. Das Wasser schlägt keine Wellen, weil kein Wind weht; innerhalb der Atmosphäre von Tenebra gibt es kaum Luftbewegungen. Auf der Oberfläche des Planeten geht es ruhiger als irgendwo sonst in einer Atmosphäre zu.“

„Haben Sie nicht vorher von heftigen Erdbeben gesprochen, die auf Tenebra an der Tagesordnung sind?“ Aminadabarlee hatte sich soweit erholt, daß er von etwas anderem als seinem Lieblingsthema sprechen konnte — der abgrundtiefen Dummheit der menschlichen Rasse.

„Richtig“, antwortete Raeker, „ich muß zugeben, daß Sie vielleicht doch einige Wellen sehen werden, Easy, falls Sie lange genug dort unten schwimmen.

Aber das bedeutet noch lange nicht, daß Sie dadurch an interessantere Ufer gelangen. Ich fürchte, Sie haben bereits alles Sehenswerte beobachtet, junge Dame; jetzt kommen Sie lieber wieder herauf und lassen sich vorschriftsmäßig retten.“

„Gern. Aber ich möchte noch zwei Fragen beantwortet haben. Wie funktioniert der Bathyskaph eigentlich? Ist der Aufstieg so anstrengend wie die Landung?“

„Keine Angst, diesmal geht alles viel langsamer und gleichmäßiger vor sich — wie in einem Ballon. Die erste Frage ist nicht so leicht zu beantworten, aber ich werde mich so einfach wie möglich fassen. Die Hülle ist in einzelne Zellen aufgeteilt die selbst wieder von einer Membran halbiert werden. Im Augenblick drückt die Atmosphäre diese Membranen noch gegen die Wandungen der Zellen. Wenn Sie die Elektrolyse in Gang gebracht haben, entsteht Sauerstoff, der ins Freie gepumpt wird. Der zurückbleibende Wasserstoff wird in die andere Hälfte der Zelle geleitet, wodurch sich die Membran ausdehnt und Luft verdrängt. Die früher gebräuchlichen Bathyskaphen funktionierten nach dem gleichen Prinzip, aber ohne die Membranen innerhalb der Zellen.“

„Ja, das verstehe ich. Wie lange dauert es, bis wir zu schweben beginnen?“

„Das kann ich nicht sagen; die Leitfähigkeit der Atmosphäre ist noch nie gemessen worden. Aber über den Schaltern für die einzelnen Zellen sind Amperemeter angebracht; wenn Sie mir nach dem Einschalten die Meßwerte durchgeben, kann ich die benötigte Zeit ungefähr berechnen.“

„Wird gemacht. Wo sind die … oh, hier drüben; die Beschriftung ist deutlich genug. Rechts oben — zwölf Kippschalter auf einer Leiste und ein Hauptschalter?“

„Richtig. Die Amperemeter befinden sich unmittelbar darüber. Legen Sie den Schalter um, betätigen Sie die Kippschalter und geben Sie uns die Werte durch.“

„Augenblick.“ Das Mädchen streckte den Arm aus; die Männer hörten die Schalter einrasten. Easy ließ ihren Körper in den Sitz zurücksinken, sah von einem Meßinstrument zum anderen und sagte: „Die Zeiger bleiben alle auf Null stehen. Was soll ich jetzt tun?“

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