6

Nick hatte sein Feuer in Ufernähe entzündet, so daß ihm das Steigen des Wasserspiegels früher als den anderen auffiel. In dem Dorf war ihnen das Wasser nie gefährlich geworden, weil es ablaufen konnte. Er wußte aus Fagins Unterricht, daß diese Wassermassen irgendwann in ein Meer oder einen See flossen; aber nicht einmal Fagin hatte sich jemals Gedanken darüber gemacht, was dann geschah. Das war ganz natürlich denn auf der Erde bestand nie die Gefahr, daß die Meere anstiegen, wenn es einmal heftig geregnet hatte.

Aber auf Tenebra lagen die Dinge etwas anders.

Dort gab es keine riesigen Ozeane, sondern nur verhältnismäßig kleine Binnenmeere. Welche Folgen sich aus dieser Tatsache ergaben, hätte im voraus berechnet werden können — aber nicht von Nick oder den Angehörigen seiner Gruppe.

Zunächst schien kein Grund zur Besorgnis gegeben. Die großen Regentropfen schwebten langsam herab und verdampften hoch über den Feuern. Nick saß zufrieden neben dem Holzstoß und legte nur ab und zu einige Stöcke nach. Dabei sah er zufällig zu der schmalen Landzunge hinüber, die sich zwischen dem Festland und der Halbinsel erstreckte — aber die Landzunge war verschwunden. Nick überlegte, daß das Land kaum so rasch sinken konnte — also stieg das Wasser; er beobachtete den Wasserspiegel und fand seinen Verdacht bestätigt. Er rief den anderen zu, was er beobachtet hatte, und wenige Minuten später waren sie sich alle darüber einig, daß das Wasser tatsächlich stieg.

„Wie hoch, Nick?“ Betseys Stimme klang begreiflicherweise ängstlich.

„Ich glaube nicht, daß es bis hierher steigt“, antwortete Nick beruhigend. „Schließlich ist es nicht so rasch wie früher bei uns gestiegen, und der Hügelrücken liegt fast so hoch wie das Dorf. Hier haben wir nichts zu befürchten.“

Einige Stunden später, als das Wasser weiter gestiegen war ließ sich diese Überzeugung kaum noch aufrechterhalten. Von dem Hügel aus war kein festes Land mehr zu erkennen, und die verhältnismäßig kleine Fläche verringerte sich immer rascher.

Die Insel, die einmal ein Hügelrücken gewesen war, wurde zusehends kleiner. Das Vieh begann unruhig zu brüllen und wurde in den schützenden Feuerkreis getrieben. Trotzdem war das Ende nicht aufzuhalten, denn die wenigen Feuer gingen nacheinander aus, als die Regentropfen immer dichter herabsanken. Nachdem die Glut erloschen war, dauerte es nur Sekunden, bis jedes Lebewesen das Bewußtsein verlor; Minuten später zeigte nur noch ein Strudel die Stelle an, wo das letzte Feuer überflutet worden war.

Nicks letzter Gedanke war, daß sie wenigstens keine Angst vor Raubtieren zu haben brauchten; das Wasser würde zurückweichen, bevor ein Tier sie erreichen konnte.

Anscheinend hatte er sich doch geirrt. Als sie am nächsten Morgen aufwachten, fehlten zehn Stück Vieh, von denen nur noch einige Schuppen sichtbar waren. Zum Glück waren die Tiere nur schwach gepanzert, denn sonst hätten Nick und die anderen vielleicht bessere Opfer für die Raubtiere abgegeben. Jeder aus der Gruppe erschrak bei dem Gedanken daran, daß es Tiere geben mußte, die im Meer lebten. Sie alle fragten sich, woher solche Lebewesen den nötigen Sauerstoff bezogen.

Aber die neue Lage erforderte vor allem neue Pläne.

„Meiner Auffassung nach können wir Fagin nicht sagen, daß er sich einfach an das Ufer halten muß, um mit uns zusammenzutreffen“, meinte Nick besorgt.

„Die Küste verändert sich zu rasch. Außerdem können wir es uns nicht leisten, jede Nacht zehn Prozent der Herde einzubüßen.“

„Ich finde auch, daß wir uns nach einem besseren Platz umsehen müssen“, stimmte Jim zu. „Am besten wäre natürlich eine geschützte Stelle wie diese hier, die nicht jede Nacht unter Wasser gerät.“


„Wißt ihr“, sagte Nancy nachdenklich, „der Hügel wäre gar nicht so schlecht, wenn man nur die richtigen Leute dazu bringen könnte, daß sie sich hier aufhalten.“ Die anderen dachten eine Weile über diesen rätselhaften Ausspruch nach; ihre Stimmung besserte sich erheblich, als sie endlich begriffen, was Nancy damit hatte sagen wollen. Nach zweistündiger Diskussion hatten sie sich auf einen bestimmten Plan geeinigt.

Selbstverständlich konnten sie ihn erst in die Tat umsetzen, als die Landzunge wieder aus dem Wasser auftauchte. Aber dann begannen sie sofort mit der Ausführung.

Die Herde — beziehungsweise ihre Überreste — wurde von Betsey und Oliver auf das Festland getrieben. Nick überzeugte sich davon, daß er seine Axt und das Feuerzeug nicht vergessen hatte, bevor er nach Süden aufbrach. Die anderen Mitglieder der Gruppe schwärmten in verschiedene Richtungen aus und suchten einen besser geeigneten Lagerplatz. Dort sollten sie Nicks Rückkehr abwarten und jeden Morgen zwei Leute zu der bekannten Landzunge schikken, um ihn abzuholen. Wenn er nach zehn Tagen noch nicht zurück war, mußten sie selbst einen neuen Plan ausarbeiten und verwirklichen.

Nick war die Aufgabe zugefallen, mit Fagin in Verbindung zu treten. Er allein hatte gewisse Zweifel daran, daß dieses Vorhaben gelingen würde. Vorläufig konnte er nur hoffen unbeobachtet in die Nähe der Höhlen zu gelangen; alles andere hing von den Verhältnissen ab, die er dort vorfand. Wenn Swifts Leute sich daran gewöhnt hatten, nachts mit Fackeln auf Streife zu gehen, hatte Nick ein zusätzliches Problem zu lösen. Sollte dies nicht der Fall sein, war vieles einfacher — aber dann war Nicks Annäherung um so auffälliger. Aber darüber konnte er sich später noch Sorgen machen.

Am Abend des zweiten Tages erreichte er die Höhlen nach einem ziemlich ereignislosen Marsch. Er hatte einen weiten Umweg nach Westen gemacht, der ihn schließlich an den höchsten Punkt der Felswand führte, in der die Höhlen lagen. Trotzdem hielt er sich bis Anbruch der Dunkelheit weit davon entfernt auf, weil er nicht riskieren wollte, mit einer Jagdgesellschaft zusammenzutreffen, die den vielbenutzten Weg über die Klippen genommen hatte.

Als jedoch die Dunkelheit hereinbrach, nahm er an, daß Swifts Leute in die Höhlen zurückgekehrt sein würden, und näherte sich vorsichtig dem Grat. Er horchte einige Zeit aufmerksam, bevor er schließlich doch den Kopf über den Rand streckte. An dieser Stelle fiel die Wand über hundert Meter tief ab, aber trotzdem bestand die Gefahr, daß Nick beobachtet wurde, obwohl unter ihm noch keine Feuer brannten.

Vor den Höhlen war nichts zu sehen. Nirgendwo brannte ein Feuer, so daß Nick überhaupt nichts zu erkennen vermochte.

Er zog sich wieder zurück und überlegte. Er wußte genau, daß die Höhlen dort unten lagen, und war überzeugt, daß Fagin sich ebenfalls dort befand.

Weshalb kein Feuer brannte, war kaum zu begreifen, aber Tatsachen waren eben Tatsachen. Vielleicht konnte er sich in der Dunkelheit unbeobachtet den Höhlen nähern …? Nein, das war ausgeschlossen, denn der nächtliche Regen mußte bald einsetzen.

Nick sammelte Holz und setzte es mit Hilfe seines primitiven Feuerbohrers in Brand. Er hatte erwartet, daß die Höhlenbewohner den grellen Lichtschein wahrnehmen würden; aber nichts geschah, bis er den zweiten Teil seines Plans ausführte, indem er ein brennendes Stück Holz nach unten fallen ließ. Dann passierte plötzlich alles gleichzeitig.

In dem Lichtschein erkannte er Fagin, der etwa zehn Meter von der Felswand entfernt stand. Ansonsten sah Nick nur Felsen und niedriges Buschwerk.

Aber diese friedliche Szene änderte sich bald.

Als der brennende Stock auf die Felsen aufschlug, ertönten plötzlich laute Stimmen aus den Höhlen.

Falls die Leute also überhaupt schliefen, war es jetzt noch zu früh dafür gewesen. Einen Augenblick später drang Swifts barsche Stimme durch den Lärm.

„Kümmert euch um das Feuer! Werft Holz darauf!


Steht nicht so dumm herum!“ Ganze Horden strömten aus den Höhlen und versammelten sich um das Stück Holz; dann schien allen gleichzeitig eingefallen zu sein, daß mehr Holz benötigt wurde, denn sie rannten in verschiedene Richtungen davon. Nick lachte schadenfroh, als er sah, daß das Feuer erlosch, weil die Höhlenbewohner in ihrem Eifer zuviel über das Stückchen Glut aufgetürmt hatten. Allerdings konnte er sich nicht lange freuen, denn Swift erteilte soeben neue Befehle.

„Seht ihr den Lichtschein dort oben? Das muß ein Feuer sein! Los, kommt mit; wir holen es uns!“ Wie üblich gehorchten die anderen widerspruchslos und rannten hinter ihm her. Nick war überrascht, denn die Höhlenbewohner trugen trotz des zu erwartenden Regens keine Fackeln. Allerdings blieb ihm jetzt kaum noch Zeit für solche Überlegungen, denn die anderen suchten das Feuer, das ihnen nur Nick überlassen konnte.

Er handelte rasch und entschlossen. Nachdem er einen langen Stock aus dem Feuer gerissen hatte, zündete er sämtliche Büsche in der Umgebung an und legte eine breite Feuerspur in Richtung Westen.

Dann rannte er mit einer wesentlich kleineren Fackel den Grat entlang und hoffte, daß der Lichtschein nicht auffiel. Falls die Höhlenbewohner nur Feuer wollten, konnte er zufrieden sein; wenn sie aber seine Verfolgung aufnahmen, würden sie sich vielleicht durch die falsche Fährte täuschen lassen. Nick hatte nicht sehr viel Vertrauen zu seiner Kriegslist, weil er Swifts Fähigkeiten aus eigener Anschauung kannte, aber immerhin konnte der Versuch nicht schaden.

Nick rannte den Grat entlang, erreichte die Stelle, an der die Felswand in einen sanft geneigten Abhang überging, und kletterte zwischen riesigen Felsbrocken ins Tal hinab. Eine Viertelstunde später stand er neben Fagin, ohne daß er von Swifts Leuten bemerkt worden wäre, die noch immer den Grat absuchten.

„Lehrer! Hörst du mich? Ich bin gekommen — Nick!“

„Natürlich höre ich dich. Was hast du hier zu suchen? Bist du an dem ganzen Aufruhr schuld? Was ist überhaupt los?“

„Ja, ich habe die Fackel heruntergeworfen; ich mußte doch wissen, ob du hier bist. Der Rest war eigentlich nur Zufall. Ich bin hier, weil wir herausbekommen haben, wie du fliehen kannst, ohne daß Swift dich später wieder erwischt.“

„Ausgezeichnet. Ich hatte auch schon einen Plan, aber in dieser Beziehung sind unerwartete Schwierigkeiten aufgetaucht. Ich brauche dringend Hilfe und glaube nicht, daß Swift für meine Zwecke geeignet ist. Wie steht es also mit deinem Plan?“

Nick beschrieb die Ereignisse seit Fagins Entführung durch die Höhlenbewohner und erwähnte auch die Halbinsel, auf der die Gruppe die erste Nacht außerhalb des Dorfes verbracht hatte.

„Wir wissen, daß du unter Wasser leben kannst“, fuhr er fort, „deshalb brauchst du nur dorthin zu fliehen und auf Swift zu warten. Er könnte nachts nicht mehr fort, aber du hättest alle Vorteile auf deiner Seite. Wir brauchen neue Waffen, die du Swift und seinen Leuten abnehmen könntest, während sie schlafen. Und wenn dir nichts Besseres einfällt, kannst du sie einfach zu einer Stelle transportieren, wo auch tagsüber Wasser steht.“

„Würden sie es dort lange aushalten?“

„Vermutlich nicht, denn im Meer leben Raubtiere, die unser Vieh angefallen haben. Aber wen kümmert das schon? Swift hat Tom und Alice umgebracht und würde uns alle erledigen, wenn er es für zweckmäßig hielte.“

„Wie steht es mit seinen Leuten?“

„Sie haben ihm dabei geholfen. Warum sollen wir sie also besser behandeln?“

„Nick, ich habe Verständnis für deinen Standpunkt, aber ich kann ihm trotzdem nicht beipflichten.

Vielleicht läßt du dich später überzeugen, aber im Augenblick ist die Zeit zu knapp.

Dein Plan — falls er diese Bezeichnung überhaupt verdient — hat einige gute, aber auch viele schlechte Punkte. Wenn diese Halbinsel tatsächlich eineinhalb Tage von hier entfernt ist, kann ich sie unmöglich vor Swift erreichen; du mußt berücksichtigen, daß er wesentlich rascher vorankommt als ich. Außerdem hast du ihnen jetzt das Feuer wiedergebracht, so daß ein Fluchtversuch bei Nacht schwerer als zuvor durchzuführen ist.“

„Was soll das heißen? Sie haben doch Feuer aus unserem Dorf mitgenommen!“

„Richtig, aber sie haben es schon am zweiten Tag nach unserer Ankunft ausgehen lassen und sitzen seitdem ohne Feuer da. Ich sollte ihnen zeigen, wie man Feuer macht, aber das ist nicht leicht — zum Beispiel kann ich die Schrillaute in ihrer Sprache nicht sehr gut nachmachen. Swift ist allerdings sehr geduldig mit mir gewesen. Wahrscheinlich ist er jetzt noch umgänglicher, aber ich glaube nicht, daß dadurch die Flucht leichter wird.“

„Dann hätte ich vielleicht doch lieber nicht kommen sollen, Lehrer. Tut mir leid.“

„Mir nicht. Mein ursprünglicher Plan hat sich bereits zerschlagen, so daß ich allen Grund habe, dir dankbar zu sein. Ich wollte nur sagen, daß wir scharf nachdenken müssen, bevor wir aus dieser Klemme heraus sind. Vielleicht versteckst du dich lieber einige Stunden lang, während ich nachdenke; schließlich hat es keinen Sinn, wenn du Swift in die Arme läufst.“


„Aber wie soll ich das anstellen? Swifts Leute haben jetzt wieder Feuer und können mich verfolgen — was sie ohnehin auf jeden Fall tun werden. Wenn der Regen einsetzt, muß ich eine Fackel anzünden, die meilenweit sichtbar ist. Ich dachte, du würdest gleich mitkommen.“

„Das sehe ich alles ein, aber ich weiß vorläufig noch nicht, was wir dagegen tun können. Wahrscheinlich taucht Swift innerhalb der nächsten Minuten hier auf.“ Fagin machte eine Pause, als denke er nach; Nick wußte selbstverständlich nicht, daß dergleichen Unterbrechungen aufgeregte Gespräche zwischen mehreren Männern an Bord der Vindemiatrix bedeuteten, die über zweihundertfünfzigtausend Kilometer entfernt im Raum schwebte. „Hör zu, Nick.

Hier liegt doch eine Menge brennbares Zeug herum?“

„Ja.“

„Und der einzige Weg von dem Grat ins Dorf herab führt durch einen engen Felsspalt?“

„Ja, wenn man nicht einen Umweg von mindestens vier Kilometern machen will…“

„Hm. Von mir aus dürften es zehn Kilometer sein.

Glaubst du, daß du ein großes Feuer am Ausgang der Felsspalte anzünden kannst, von dem Swifts Leute aufgehalten werden, während wir fliehen? Du mußt dich aber beeilen; wahrscheinlich kommen sie schon wieder herunter, wenn sie nicht noch nach dir suchen.“


„Ein Versuch kann nicht schaden.“ Nick wußte, daß er keine Zeit mehr zu verlieren hatte. „Vermutlich haben sie mich bereits gesehen, aber das ist nicht mehr zu ändern. Wenn ich dich nicht einhole, hältst du dich einfach nach Ostnordost, bis du das Meer erreichst, und folgst der Küste, wo du früher oder später auf die anderen triffst. Ich versuche Swift und seine Leute aufzuhalten; du machst dich lieber sofort auf den Weg.“

Nick wartete Fagins Antwort nicht ab, sondern rannte auf die Felswand zu, wobei er unterwegs Holz aufnahm. Seine Fackel war fast ausgebrannt, aber es gelang ihm trotzdem, den Holzstoß mit dem letzten Funken in Brand zu setzen. Dann machte er sich wieder auf die Suche und schleppte mehr Brennmaterial heran, bis der Felsspalt völlig versperrt war.

Als der Stoß hoch genug aufgetürmt war, machte Nick sich ebenfalls auf den Weg, wobei er Fagins Spur folgte. Das war ziemlich einfach, denn die zwei Meter breite Fährte des Roboters war nicht zu verkennen. Fagin hatte kaum einen Kilometer zurückgelegt, als Nick ihn einholte.

„In der gleichen Richtung weiter“, sagte Nick. „Ich will versuchen, ob ich Swift und seine Leute in die Irre führen kann.“ Er setzte einen Busch in Brand und rannte dann in einem weiten Bogen nach Norden weiter, wobei er ein Feuer nach dem anderen legte.


Schließlich erreichte er die Spur, die Fagin zurückgelassen hatte, als er aus dem Dorf entführt worden war. Nick folgte ihr einige Kilometer weit und hinterließ auch hier brennende Büsche. Die Höhlenbewohner mußten sie von dem Grat aus sehen können; vielleicht wurden sie dadurch getäuscht und schlugen die falsche Richtung ein.

Dann rannte Nick zu Fagin zurück, wobei er seine Fackel möglichst verdeckt trug. Er fand Fagins Spur ohne Schwierigkeit, obwohl der Roboter vernünftig genug war, sich möglichst nur in Tälern zu bewegen.

Fagin hörte sich Nicks Bericht an und schien zufrieden zu sein.

„Ausgezeichnet“, meinte er. „Ich glaube allerdings, daß wir bald Gesellschaft bekommen werden.“

„Ich auch“, gab Nick zu.

Trotzdem verstrichen die nächsten Stunden, ohne daß hinter ihnen Verfolger aufgetaucht wären. Nick konnte leicht mit dem Lehrer Schritt halten, obwohl er die Pfützen umgehen mußte, die Fagin in gerader Linie durchquerte. Die Regentropfen wurden durchsichtiger und gleichzeitig gefährlicher; Pfützen und Lachen breiteten sich immer weiter aus, als die unterste Schicht der Planetenatmosphäre wie in jeder Nacht in einen anderen Aggregatzustand überging.

„Obwohl ich eine deutliche Spur hinterlasse, müssen Swifts Leute bei der Verfolgung bereits Schwierigkeiten haben“, sagte Fagin. „Allmählich scheint sich unsere Lage zu bessern.“

„Das glaube ich nicht“, sagte Nick.

„Warum?“

„Die Teiche werden immer größer, und die Täler vor uns sind sehr lang und tief. Ich erinnere mich noch an die Flüsse, die ins Meer fließen. Wenn wir auf einen Fluß stoßen, was sich kaum vermeiden läßt, können wir nickt weiter.“

„Im Gegenteil, das wäre ausgezeichnet! Swift kann keinen Fluß durchqueren.“

„Ich auch nicht.“

„Nicht allein. Aber ich kann dich tragen, was völlig ungefährlich wäre; bisher kenne ich kein Tier, das in klarem Wasser leben kann — oder zumindest bei Bewußtsein bleibt.“

„Im Meer gibt es welche.“

„Das Meer besteht aber erst gegen Morgen aus klarem Wasser. Ich glaube, daß wir in dieser Beziehung nichts zu befürchten haben. Suchen wir lieber nach einem dieser Flüsse.“

„Einverstanden. Hoffentlich hast du recht.“ Nick war daran gewöhnt, in sauerstofffreiem Wasser das Bewußtsein zu verlieren, aber trotzdem war er von der Vorstellung nicht begeistert, sich in diesem Zustand wie ein Sack transportieren zu lassen. Wenn Fagin das jedoch für richtig hielt …


Zunächst schien er sich allerdings zu früh Sorgen gemacht zu haben. Die Tücke des Objekts wollte es, daß sie keinen Fluß fanden, als sie danach suchten.

Statt dessen erreichten sie einige Stunden vor Tagesanbruch das Meer.

Dieser Punkt lag weit südlich der Stelle, an der die übrigen Mitglieder der Gruppe warteten. Nick hatte Fagin absichtlich so geführt, damit kein Zweifel daran bestehen konnte, in welcher Richtung sie der Küste folgen mußten. Sie wandten sich nach links.

Selbstverständlich waren sie noch weit von der Halbinsel entfernt, die Nick als Falle für Swift und seine Leute hatte benützen wollen, aber deswegen machte er sich im Augenblick keine Sorgen. Viel schlimmer war, daß weit und breit kein Fluß sichtbar wurde; dazu kam noch ein deutlicher Lichtschein, der in einiger Entfernung hinter ihnen aufleuchtete. Seine Bedeutung war klar, denn selbst bei Tagesanbruch zeichnete sich kein so helles Leuchten am Horizont ab.

„Sie holen uns allmählich ein. Ich möchte wissen, wie lange die Feuer sie aufgehalten haben“, murmelte Nick vor sich hin, als er auf den Lichtschein aufmerksam wurde. Er erwähnte ihn Fagin gegenüber nicht, sondern hielt um so besorgter nach einem Fluß Ausschau.

Aber der Roboter nahm das Leuchten kurze Zeit später ebenfalls wahr und begriff sofort, was es zu bedeuten hatte.

„Wenn sie uns zu nahe kommen, bevor wir einen Flug finden, rennst du lieber allein weiter; vielleicht bist du schneller als sie.“

„Und was tust du?“

„Ich verschwinde im Meer.“

„Warum nimmst du mich nicht einfach mit? Wäre das nicht ebensogut wie ein Fluß?“

„Du hast vorher das Gegenteil behauptet. Ich möchte nicht daß du dort zu Schaden kommst; aber andererseits kann ich dich nicht gut verteidigen.“

„Richtig. Dein Vorschlag ist vielleicht besser.“

Allerdings brauchten sie sich doch nicht zu trennen. Als die Fackeln der Höhlenbewohner deutlicher leuchteten und als kein Zweifel mehr daran bestehen konnte, daß Swifts Leute Fagin und Nick innerhalb einer Stunde einholen würden, erreichten die beiden einen Fluß. Nick konnte nicht schätzen, wie breit er war, aber jedenfalls stand fest, daß sie einen guten Zufluchtsort gefunden hatten.

Fagin und Nick näherten sich dem Ufer; unter normalen Umständen hätten solche Wassermassen erschreckend gewirkt, aber jetzt empfanden sie nicht die geringste Angst davor. Nick warf seine Fackel ins Wasser, stellte zufrieden fest, daß sie sofort erlosch, und wandte sich an den Roboter.


„Ich bin bereit, Lehrer.“

Der Roboter rollte auf ihn zu, streckte vier Arme nach ihm aus und hob Nick vorsichtig hoch.

„Keine Angst“, sagte er dabei. „Am anderen Ufer versuche ich so rasch wie möglich einen Hügel zu erreichen. Du bist nicht lange bewußtlos.“

Nick entspannte sich völlig, als die Maschine in das Wasser rollte. Seine Körperwärme genügte, um eine größere Flüssigkeitsmenge in Gas zu verwandeln; aber auch das Gas enthielt keinen Sauerstoff mehr, und sein Aggregatzustand spielte für Nick keine Rolle. Schon dreißig Sekunden später hatte er das Bewußtsein verloren.

Swifts Krieger erreichten die Stelle, an der die Spur im Wasser endete, eine Viertelstunde darauf. Der Häuptling war nicht philosophisch genug veranlagt, um die mißlungene Verfolgung mit einem Schulterzucken abzutun.

Загрузка...