3. Gefangene der Finsternis

Die dicken schwarzen Zeiger auf der orangefarbenen Anamesonuhr standen auf null. Das Sternenschiff war dem Eisenstern bis jetzt noch nicht entkommen, da die Geschwindigkeit noch zu hoch war. Es näherte sich unaufhörlich dem für das menschliche Auge nicht sichtbaren unheimlichen Gestirn.

Zitternd vor Anstrengung und Schwäche, setzte sich Erg Noor mit der Hilfe des Astronavigators an die Rechenmaschine. Die von der automatischen Steuerung abgeschalteten planetarischen Triebwerke verstummten.

„Ingrid, was ist ein Eisenstern?“, fragte leise Kay Ber, der die ganze Zeit über regungslos hinter der Astronomin gestanden hatte.

„Ein unsichtbarer Stern der Spektralklasse T, der zwar erloschen, aber noch nicht endgültig erkaltet ist oder sich noch nicht wieder erhitzt hat. Er sendet langwellige Infrarotstrahlen aus, die im Wärmebereich des Spektrums liegen — schwarzes Licht —, und ist für uns nur durch den Elektroneninvertor sichtbar. Eine Eule, die infrarote Wärmestrahlen sieht, könnte ihn wahrnehmen.“

„Aber weshalb heißt er Eisenstern?“

„Auf allen bisher erforschten Sternen dieser Art weisen das Spektrum und die Zusammensetzung einen hohen Eisengehalt auf. Handelt es sich deshalb um einen großen Stern, dann sind Masse und Gravitationsfeld gewaltig. Ich fürchte, dass wir gerade auf einen solchen gestoßen sind…“

„Was nun?“

„Ich weiß nicht. Du siehst ja selbst — wir haben keinen Treibstoff mehr. Und wir fliegen geradewegs auf den Stern zu. Wir müssen die Tantra bis auf ein Tausendstel der Lichtgeschwindigkeit abbremsen, damit eine ausreichende Winkelabweichung entsteht. Reicht auch der planetarische Treibstoff nicht aus, so nähert sich das Sternenschiff allmählich dem Stern, bis es schließlich abstürzt.“ Ingrids Kopf zuckte nervös, und Ber streichelte ihr zärtlich über den nackten, mit Gänsehaut bedeckten Arm.

Der Expeditionsleiter trat ans Steuerpult und konzentrierte sich auf die Instrumente. Alle schwiegen, keiner wagte auch nur laut zu atmen. Auch Nisa Krit schwieg, denn obwohl sie eben erst erwacht war, hatte sie doch instinktiv die ganze Gefährlichkeit der Situation erfasst. Der Treibstoff mochte für das Abbremsen des Sternenschiffes reichen, aber je mehr das Schiff an Geschwindigkeit verlor, desto schwieriger würde es sein, sich ohne Motoren aus der hartnäckigen Anziehungskraft des Eisensterns zu befreien. Wenn die Tantra nicht so nahe an ihn herangekommen wäre und wenn Lin rechtzeitig geschaltet hätte… Aber was nützte jetzt alles leere „Wenn“ und „Aber“?

Es vergingen ungefähr drei Stunden, bis sich Erg Noor endlich zu einem Entschluss durchrang. Die Tantra erzitterte unter den heftigen Stößen der Ionentriebwerke. Eine Stunde, zwei, drei, vier Stunden lang verlangsamte das Schiff seinen Flug. Jede noch so sparsame Handbewegung des Kommandanten löste eine schreckliche Übelkeit bei den Besatzungsmitgliedern aus. Das furchterregende braune Gestirn verschwand vom vorderen Monitor und tauchte auf dem zweiten wieder auf. Wie die Geräte anzeigten, hielten noch immer unsichtbare Anziehungskräfte das Schiff umklammert. Erg Noor riss den Hebel zu sich herüber, und die Triebwerke standen still.

„Wir sind entkommen!“, flüsterte Pel Lin erleichtert. Der Kommandant wandte sich langsam zu ihm um.

„Nein!“, sagte er. „Die eiserne Treibstoffration, die uns geblieben ist, reicht genau für eine Bahnumkreisung und Landung.“

„Was sollen wir nur machen?“

„Abwarten! Ich konnte etwas vom Kurs abweichen, aber wir fliegen immer noch viel zu nahe. Jetzt beginnt ein Kampf zwischen der Anziehungskraft des Sterns und der verringerten Geschwindigkeit der Tantra. Sie fliegt im Augenblick langsam wie eine Mondrakete. Können wir uns vom Stern losreißen, dann fliegen wir in Richtung Sonne. Die Flugzeit wird dadurch natürlich beträchtlich länger. In zirka dreißig Jahren werden wir uns dem Sonnensystem weit genug genähert haben, um einen Notruf zu senden, und nach weiteren acht Jahren wird Hilfe kommen…“

„Achtunddreißig Jahre!“, flüsterte Ber Ingrid kaum hörbar ins Ohr.

Diese zog ihn heftig am Ärmel und wandte sich ab.

Erg Noor lehnte sich im Sessel zurück und ließ die Hände auf die Knie sinken. Die Menschen schwiegen, nur die Geräte summten leise vor sich hin. Eine fremde, disharmonische und deshalb bedrohlich klingende Melodie mischte sich in das Summen der Navigationsgeräte. Der Ruf des Eisensterns, die große Kraft seiner schwarzen Masse, die das langsame fliegende Schiff gefangen hielt, war fast körperlich zu spüren.

Nisa Krits Wangen glühten, und ihr Herz schlug heftig. Für das Mädchen war dieses untätige Warten schier unerträglich.

Langsam verrannen die Stunden. Ein Expeditionsmitglied nach dem anderen erwachte, kam zu sich und erschien in der Steuerzentrale. Die Zahl der schweigenden Beobachter wuchs, bis schließlich alle vierzehn Besatzungsmitglieder versammelt waren.

Die Geschwindigkeit des Schiffs war weiter gedrosselt worden, bis es mit weniger als Fluchtgeschwindigkeit dahinflog. Die Tantra konnte vom Eisenstern nicht loskommen. Keines der Besatzungsmitglieder dachte an Essen oder Schlafen. Viele bange Stunden lang harrten sie in der Steuerzentrale aus, während sich der Kurs des Sternenschiffs immer mehr krümmte und sie schließlich in dem verhängnisvollen elliptischen Orbit dahinjagte. Das Schicksal der Tantra war somit besiegelt.

Ein plötzliches Stöhnen ließ alle zusammenfahren. Der Astronom Pur Hiss war aufgesprungen und schlug wild mit den Armen um sich. Sein verzerrtes Gesicht war nicht wiederzuerkennen, hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem eines Menschen der Ära des Großen Rings. Angst, Mitleid mit sich selbst und Rachegelüste hatten jede Spur von Verstand aus der Miene des Wissenschaftlers getilgt.

„Er ist schuld, er war es!“, brüllte Pur Hiss und zeigte auf Pel Lin. „Dieser Schwachkopf, dieser Hohlkopf, dieser hirnlose Wurm…!“ Der Astronom verschluckte sich, als er nach längst vergessenen Schimpfwörtern seiner Urahnen suchte.

Nisa, die neben ihm stand, wandte sich angeekelt von ihm ab. Erg Noor erhob sich.

„Was soll diese Beschimpfung Ihres Gefährten! Die Zeiten, wo Fehler mitunter absichtlich begangen wurden, sind längst vorbei. Und in diesem Fall…“ Noor drehte lässig an den Hebeln der Rechenmaschine. „… liegt, wie Sie sehen, die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers bei dreißig Prozent. Berücksichtigt man noch die Depression, die unweigerlich zu Schichtende auftritt, und die Erschütterung durch das Schaukeln des Sternenschiffs, so zweifle ich nicht daran, dass Sie, Pur Hiss, denselben Fehler begangen hätten.“

„Und Sie?“, stieß der Astronom etwas weniger wutentbrannt hervor.

„Ich? Ich nicht. Ich habe etwas so Ungeheuerliches bereits während der sechsunddreißigsten Sternenexpedition erlebt… Aber es ist meine Schuld — in der Hoffnung, das Sternenschiff selbst durch das unerforschte Gebiet zu steuern, habe ich nicht genügend Vorsorge getroffen und mich auf einfache Instruktionen beschränkt.“

„Woher hätten Sie wissen sollen, dass das Schiff ohne Sie in dieses Gebiet gerät?!“, rief Nisa.

„Ich hätte es wissen müssen“, antwortete Erg Noor entschieden und wies damit Nisas freundschaftliche Unterstützung zurück. „Aber darüber zu sprechen hat erst auf der Erde Sinn…“

„Auf der Erde!“, winselte Pur Hiss, und selbst Pel Lin machte eine betretene Miene. „Wie kann man nur so reden, wo alles verloren ist und der Tod uns erwartet.“

„Nicht der Tod, sondern ein schwieriger Kampf erwartet uns“, entgegnete Erg Noor bestimmt und ließ sich in den Sessel vor dem Pult sinken. „Setzen Sie sich! Wir haben Zeit, bis die Tantra anderthalb Umläufe gemacht hat…“

Die Anwesenden gehorchten, ohne ein Wort zu sagen, und Nisa tauschte ein triumphierendes Lächeln mit dem Biologen — trotz aller Hoffnungslosigkeit des Augenblicks.

„Zweifellos hat der Stern einen Planeten, ich vermute sogar zwei, nach der Krümmung der Isograven zu urteilen. Die Planeten müssen, wie Sie sehen…“ — der Expeditionsleiter fertigte rasch eine genaue Skizze an — „… ziemlich groß sein und folglich eine Atmosphäre haben. Vorläufig besteht keine Notwendigkeit zu landen, da wir noch genügend atomaren festen Sauerstoff haben.“

Erg Noor verstummte, um seine Gedanken zu sammeln.

„Wir werden zu einem Satelliten des Planeten und ihn auf seiner Umlaufbahn umkreisen“, fuhr er fort. „Wenn sich seine Atmosphäre als geeignet erweist und wir unsere Luft verbraucht haben, dann reicht der planetarische Treibstoff noch immer aus, um zu landen und um Hilfe zu rufen. „Innerhalb des nächsten halben Jahrs können wir die Richtung berechnen, unsere Erkenntnisse über die Sirda durchgeben, ein Hilfsschiff anfordern und unser Schiff retten.“

„Wenn uns das gelingt…“, sagte Pur Hiss und schnitt ein Gesicht, um seine aufflackernde Freude zu verbergen.

„Ja, wenn!“, stimmte Erg Noor zu. „Aber es ist klarerweise unser Ziel. Wir müssen all unsere Kraft daransetzen, genau das zu erreichen. Sie, Pur Hiss und Ingrid, führen die Beobachtungen und Berechnungen der Planetenausmaße durch. Ber und Nisa, Sie beide errechnen aufgrund der Planetenmasse die Fluchtgeschwindigkeit und daraus die Umlaufgeschwindigkeit sowie den optimalen Radianten für den Umlauf des Sternenschiffs!“

Die Forscher begannen, für alle Fälle auch Vorbereitungen für eine Landung zu treffen. Der Biologe, die Geologin und die Ärztin bereiteten den Abwurf einer automatischen Aufklärungsstation vor, die Mechaniker stellten die Landeradargeräte und — scheinwerfer ein und machten einen Raketensatelliten für die Übermittlung der Botschaft auf die Erde klar.

Nach dem Schrecken und der Hoffnungslosigkeit, die sie ausgestanden hatten, ging die Arbeit besonders schnell voran und wurde nur unterbrochen, wenn das Sternenschiff durch Gravitationswirbel wieder mal ins Schaukeln geriet. Inzwischen hatte die Tantra ihre Geschwindigkeit so stark gedrosselt, dass diese Schwankungen der Besatzung nichts mehr anhaben konnten.

Pur Hiss und Ingrid stellten zwei Planeten fest. Auf eine Annäherung an den äußeren musste verzichtet werden — er war riesig, kalt und von einer starken, wahrscheinlich giftigen Atmosphäre eingehüllt, die für sie den Tod hätte bedeuten können. Hätten sie sich eine Todesart aussuchen sollen, so wäre es wahrscheinlich besser gewesen, an der Oberfläche des Eisensterns zu verbrennen, als das Schiff durch eine tausend Kilometer dicke Eisschicht zu stoßen und dann in der Finsternis einer Ammoniakatmosphäre zu ertrinken. Solche schrecklichen Riesenplaneten gab es auch im Sonnensystem, nämlich Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.

Die Tantra näherte sich unaufhaltsam dem Stern. Nach neunzehn Tagen lagen die Ausmaße des inneren Planeten vor — er war größer als die Erde. Da er sich ziemlich nahe an seiner eisernen Sonne befand, jagte er mit rasender Geschwindigkeit auf seiner Bahn dahin — das Jahr des Planeten betrug kaum mehr als zwei bis drei Erdenmonate. Der unsichtbare T-Stern erwärmte ihn wahrscheinlich ausreichend mit seinen schwarzen Strahlen — und sollte es dort eine Atmosphäre geben, so hatte sich vielleicht auch Leben entwickelt. In diesem Fall würde eine Landung besonders gefährlich sein…

Fremdes Leben, das sich unter den Bedingungen anderer Planeten entwickelt und einen anderen Weg der Evolution beschritten hatte, war ungeachtet der Tatsache, dass es sich im ganzen Kosmos in einer gemeinsamen Form von Eiweißkörpern manifestierte, für Erdenbewohner äußerst gefährlich. Die Abwehrkräfte, die die irdischen Organismen im Verlaufe von Millionen von Jahrhunderten gegen schädliche Abfälle und krankheitserregende Bakterien entwickelt hatten, waren gegenüber fremden Lebensformen hilflos. Und im selben Maße waren auch Lebewesen anderer Planeten auf der Erde gefährdet.

Die Haupttätigkeit tierischen Lebens — töten, um zu fressen, und fressen, um zu töten — äußerte sich bei einem Zusammentreffen von Tieren verschiedener Welten mit bedrückend brutaler Grausamkeit. Unglaubliche Krankheiten, schlagartig auftretende Epidemien, ungeheuerlich sich vermehrende Schädlinge und schreckliche Verletzungen waren die Folgen der ersten Forschungsreisen zu bewohnbaren, aber von Menschen unbewohnten Planeten. Deshalb führten auch andere Welten, die von intelligenten Lebewesen besiedelt waren, eine Vielzahl von Versuchen und vorbereitenden Maßnahmen durch, bevor sie mittels Sternenschiffe in direkten Kontakt mit fremden Welten traten. Auf der Erde, die weitab von den dicht gedrängten Lebenszentren der Galaxis liegt, waren noch keine Gäste von Planeten anderer Sterne, noch keine Vertreter anderer Zivilisationen angekommen. Der Rat für Sternschifffahrt hatte erst vor Kurzem die Vorbereitungen für den Empfang von Freunden von nicht weit entfernten Sternen im Ophiuchus, Cygnus, Ursa Major und Apus abgeschlossen.

Besorgt über ein mögliches Zusammentreffen mit fremden Lebensformen, ließ Erg Noor aus den hintersten Lagerräumen biologische Abwehrmittel heranschaffen.

Die Tantra hatte endlich ihre Umlaufgeschwindigkeit der des inneren Planeten des Eisensterns angeglichen und begann ihn zu umkreisen. Die verschwommene, braune Oberfläche des Planeten oder, besser gesagt, seiner Atmosphäre mit dem Widerschein des riesigen dunkelbraunen Sterns war nur im Elektroneninvertor sichtbar. Sämtliche Expeditionsmitglieder waren mit den Geräten beschäftigt.

„Die Temperatur der oberen Schichten auf der Tagseite beträgt dreihundertzwanzig auf der Kelvinskala!“

„Die Achsendrehung ungefähr zwanzig Tage!“

„Die Radargeräte zeigen das Vorhandensein von Land und Wasser an.“

„Die Dicke der Atmosphäre ist tausendsiebenhundert Kilometer.“

„Die genaue Masse: 43,2 Erdmassen.“

Die Meldungen erfolgten rasch hintereinander, und die Eigenschaften des Planeten wurden immer deutlicher.

Erg Noor fasste die erhaltenen Zahlen zusammen, um Material für die Berechnung der Umlaufbahn zu sammeln. 43,2 Erdmassen — der Planet war riesig. Seine Anziehungskraft würde das Schiff am Boden festnageln. Die Menschen würden wie hilflose Insekten an einem Fliegenfänger kleben…

Dem Expeditionsleiter fielen Schauergeschichten ein — halb Legenden, halb wahre Geschichten — über alte Sternenschiffe, die aus den verschiedensten Gründen auf Riesenplaneten zu landen kamen. Die damaligen Schiffe mit ihrer geringen Geschwindigkeit und ihren schwachen Triebwerken gingen oft verloren. Das Ende war ein Aufheulen der Motoren und ein krampfartiges Zucken des Schiffes, das nicht in der Lage war, sich loszureißen, und auf der Planetenoberfläche festklebte. Das Sternenschiff blieb unversehrt, aber den Menschen wurden sämtliche Knochen gebrochen — ein unbeschreibliches Grauen, das nicht selten aus dem abgehackten Jammerschrei der letzten Sendungen gesprochen hatte…

Solange sie den Planeten umkreisten, drohte der Besatzung der Tantra kein derartiges Schicksal. Sollten sie jedoch auf dessen Oberfläche aufsetzen müssen, so würden nur die allerkräftigsten Leute die Last ihres eigenen Gewichts an diesen ihren zukünftigen Zufluchtsort schleppen können, einem Zufluchtsort, an dem sie vielleicht Jahrzehnte ihres Lebens verbringen mussten… Könnten sie unter solchen Bedingungen überleben? Unter der Last der drückenden Schwere, im ewigen Dunkel der infraroten schwarzen Sonne, in der dichten Atmosphäre? Aber wie dem auch sei, es würde eine Hoffnung auf Rettung und nicht den Tod bedeuten, und außerdem hatten sie gar keine andere Wahl!

Die Tantra zog ihre Bahn in der Nähe der Atmosphärengrenze. Die Expeditionsteilnehmer konnten sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen, diesen bisher unbekannten und der Erde relativ nahe gelegenen Planeten zu erforschen. Die Tagseite oder, besser gesagt: die erwärmte Seite des Planeten, unterschied sich von der Schattenseite nicht nur durch eine viel höhere Temperatur, sondern auch durch riesige Ansammlungen von Elektrizität, die sogar die stärksten Radargeräte störten, sodass ihre Werte bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurden. Erg Noor beschloss, den Planeten mithilfe von automatischen Beobachtungsstationen zu erforschen. Eine physikalische Station wurde abgeworfen, und das automatische Messgerät meldete eine erstaunlich große Menge von freiem Sauerstoff in einer Atmosphäre von Neon und Stickstoff, das Vorhandensein von Wasserdämpfen und eine Temperatur von zwanzig Grad Wärme. Diese Bedingungen glichen im Allgemeinen denen auf der Erde. Nur der Druck der dicken Atmosphäre war 1,4-mal höher als der normale Druck auf der Erde, und die Schwerkraft betrug mehr als das 2,5-fache der irdischen.

„Hier kann man leben!“, sagte der Biologe mit einem schwachen Lächeln, als er dem Kommandanten die Meldungen der Station übergab.

„Wenn wir auf einem so finsteren und schweren Planeten leben können, dann lebt hier wahrscheinlich schon jemand — kleine schädliche Lebewesen!“

Für die fünfzehnte Umkreisung des Sternenschiffes wurde eine Abwurfstation mit einem starken Aufnahmegerät vorbereitet. Allerdings war die zweite physikalische Station, die man auf der Schattenseite abgeworfen hatte, spurlos verschwunden.

„Sie ist in den Ozean gefallen“, konstatierte die Geologin Bina Led und biss sich verärgert auf die Lippen.

„Dann müssen wir das Gebiet zuerst mit dem Hauptradargerät absuchen, bevor wir die nächste automatische Station abwerfen! Wir haben nämlich nur noch zwei davon!“

Die Tantra sandte ein Bündel zielgerichteter Radiostrahlen aus, während sie über dem Planeten kreiste und die Konturen der Kontinente und Meere absuchte, die aufgrund der Verzerrungen nur verschwommen zu sehen waren. Die Umrisse einer riesigen Ebene traten hervor, die entweder in einen Ozean hineinragte oder zwei Ozeane fast am Äquator des Planeten voneinander trennte. Das Sternenschiff sandte seine Strahlen kreuz und quer, bis es einen Streifen von zweihundert Kilometern erfasst hatte. Plötzlich flammte auf dem Radarschirm ein grell leuchtender Punkt auf. Ein Pfeifen, das an ihren angespannten Nerven zerrte, sagte ihnen, dass es keine Halluzination war.

„Metall!“, rief die Geologin. „Eine Lagerstätte über Tage.“

Erg Noor schüttelte den Kopf.

„So kurz das Leuchten auch gewesen ist, ich konnte seine regelmäßigen Konturen erkennen“, sagte er. „Es ist entweder ein großes Stück Metall — ein Meteorit — oder…“

„Ein Schiff!“, warfen Nisa und der Biologe gleichzeitig ein.

„Hirngespinste!“, stieß Pur Hiss hervor.

„Vielleicht ja, vielleicht nein“, entgegnete Erg Noor.

„Jedenfalls hat es keinen Sinn, darüber zu spekulieren“, sagte Pur Hiss unnachgiebig. „Wir können es ohnehin nicht nachprüfen, da wir ja doch nicht landen werden, oder?“

„In drei Stunden, wenn wir wieder über dieser Ebene sind, können wir es nachprüfen. Beachten Sie — der Metallkörper befindet sich auf der Ebene, die auch ich für eine Landung gewählt hätte… Wir werden das Aufnahmegerät Fernsehstation genau dort abwerfen. Stellen Sie den Radarstrahl auf ein Sechs-Sekunden-Warnsignal!“

Der Plan des Kommandanten gelang. Nachdem die Tantra erneut die fast dreistündige Runde um den finsteren Planeten absolviert hatte, wurde sie von den Meldungen der automatischen Station empfangen, sobald sie sich von Neuem der Kontinentalebene näherte. Die Besatzung blickte angestrengt auf den erleuchteten Bildschirm. Mit einem Klicken schaltete sich der Sehstrahl ein und begann wie ein menschliches Auge hin und her zu schwenken, während er die Konturen der Gegenstände in der tausend Kilometer tiefen Finsternis umriss. Kay Ber konnte sich gut vorstellen, wie sich die aus einem festen Panzergehäuse herausragende Kuppe der leuchtturmähnlichen Station drehte. In der vom Strahl der automatischen Anlage beleuchteten Zone huschten niedrige Steilwände, Hügel und schwarze Windungen von Wasserschluchten über den Bildschirm, die abgelichtet wurden. Plötzlich jagte ein funkelnder fischförmiger Körper über den Bildschirm und verschwand, nachdem der Strahl abgeschwenkt hatte, wiederum in der Finsternis mit den ihr für einen Augenblick entrissenen Konturen einer Hochebene.

„Ein Sternenschiff!“, war gleichzeitig aus mehreren Mündern zu hören.

Nisa sah Pur Hiss mit unverhohlenem Triumph an. Der Bildschirm erlosch, die Tantra entfernte sich wiederum vom Fernsehsender, und der Biologe Eon Tal war bereits dabei, die elektronischen Aufnahmen zu fixieren. Mit vor Ungeduld zitternden Fingern bediente er das Wiedergabegerät und projizierte die Aufzeichnung auf den halbsphärischen Bildschirm ein. Die Innenwände der konkaven Halbkugel gaben die Aufnahmen vergrößert wieder.

Die vertrauten zigarrenförmigen Umrisse des Bugteils, das bauchige Heck, der hohe Kamm des Gleichgewichtsempfängers… So unwahrscheinlich dieser Anblick war, so unvorstellbar und unmöglich dieses Zusammentreffen auf dem Planeten der Finsternis schien — es war tatsächlich ein irdisches Sternenschiff! Gestützt von starken Landestützen stand es unversehrt in der normalen horizontalen Landeposition da, so als habe es eben erst auf dem Eisenstern aufgesetzt.

Während die Tantra ihre schnellen Kreise um den Planeten zog, sandte sie wiederholt Signale aus, die jedoch unbeantwortet blieben. Mehrere Stunden vergingen. Die vierzehn Besatzungsmitglieder versammelten sich wiederum in der Steuerzentrale. Erg Noor saß in Gedanken versunken da, schließlich erhob er sich.

„Ich schlage vor, wir landen. Vielleicht brauchen unsere Brüder Hilfe; vielleicht ist ihr Schiff beschädigt und kann nicht zur Erde zurückkehren. Wenn das so ist, nehmen wir sie an Bord, laden das Anameson um und retten auch uns selbst dadurch. Eine Rettungsrakete abzuschießen hat keinen Sinn. Sie könnte uns auch nicht mit Treibstoff versorgen, würde aber so viel Energie verbrauchen, dass uns nicht mehr genug für ein Signal zur Erde bliebe.“

„Und wenn sie selbst wegen Mangels an Anameson hier gelandet sind?“, fragte Pel Lin vorsichtig.

„Dann müssen sie noch planetarische Ionenladungen an Bord haben — sie können nicht alles aufgebraucht haben. Sehen Sie, das Sternenschiff steht in der richtigen Position, das heißt, sie sind mithilfe der planetarischen Triebwerke gelandet. Wir laden den Ionentreibstoff um, steigen auf und können, sobald wir wieder in der Umlaufbahn sind, die Erde rufen und auf Hilfe warten. Das würde für den Fall, dass es gelingt, nicht mehr als acht Jahre dauern. Gelingt es uns aber, Anameson zu bekommen, dann sind wir schlagartig alle Schwierigkeiten los.“

„Vielleicht besteht ihr planetarischer Treibstoff nicht aus Ionen-, sondern aus Photonenladungen?“, wandte einer der Ingenieure ein.

„Auch die könnten wir für das Haupttriebwerk verwenden, wenn wir die Schalenreflektoren aus dem Hilfstriebwerk einbauen.“

„Bleibt noch das Risiko der Landung auf einem schweren Planeten und das Risiko, ihn zu betreten“, brummte Pur Hiss. „Der bloße Gedanke an diese Welt der Finsternis ist schrecklich!“

„Das Risiko bleibt natürlich, aber unsere ganze Situation ist ein einziges Risiko, das sich nicht grundsätzlich erhöht, wenn wir landen. So übel scheint der Planet gar nicht zu sein. Hauptsache, das Schiff bleibt unversehrt!“

Erg Noor warf einen Blick auf das Zifferblatt des Geschwindigkeitsreglers und trat dann entschlossen ans Pult. Eine Minute lang stand der Expeditionsleiter vor den Hebeln und Feinreglern der Steueranlage. Die Finger seiner großen Hände bewegten sich, als griffen sie die Akkorde auf einem Musikinstrument, sein Rücken war gebeugt, und sein Gesicht zu Stein erstarrt.

Nisa Krit trat zu ihm, nahm mutig seine rechte Hand und legte sie an ihre glatte, vor Aufregung glühende Wange. Erg Noor nickte dankbar, streichelte dem Mädchen über das üppige Haar und richtete sich auf.

„Wir tauchen in die unteren Schichten der Atmosphäre ein und gehen zur Landung über!“, sagte er laut, während er die Warnsirene einschaltete.

Ein Heulen ging durch das Schiff, die Besatzungsmitglieder nahmen ihre Plätze in den hydraulischen Schwebesitzen ein und schnallten sich fest.

Erg Noor ließ sich in die weiche Umarmung des Landesessels fallen, der aus einer Luke vor dem Pult aufgetaucht war. Dann erdröhnten die Schläge der planetarischen Triebwerke, und das Sternenschiff jagte heulend in die Tiefe, den Felsen und Ozeanen des unbekannten Planeten entgegen.

Die Radargeräte und die infraroten Reflektoren tasteten sich durch die Urfinsternis unter ihnen, die roten Lämpchen auf dem Höhenmesser brannten an der festgesetzten Marke, einer Höhe von tausendfünfhundert Metern. Berge von zehn Kilometern Höhe waren nicht zu erwarten auf diesem Planeten, auf dem Wasser und die Hitze der schwarzen Sonne, ähnlich wie auf der Erde, die Oberfläche eingeebnet hatten.

Bei der ersten Umkreisung konnten lediglich geringfügige Erhebungen — etwas höher als auf dem Mars — festgestellt werden. Es schien, als wären die gebirgsbildenden Kräfte im Inneren des Planeten fast gänzlich zur Ruhe gekommen oder nur vorübergehend tätig.

Erg Noor stellte den Flughöhenregler auf zweihundert Meter und schaltete die großen Scheinwerfer ein. Unter dem Sternenschiff breitete sich ein riesiger Ozean — ein wahres Meer des Schreckens — aus. Kohlrabenschwarze Wellen brandeten auf und stürzten über unbekannten Tiefen wieder zusammen.

Der Biologe wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte einen von den Wellen reflektierten Lichtstrahl abzufangen. Sein Gerät konnte die geringsten Schwankungen des Reflexionsvermögens — auch als Albedo bekannt — registrieren, um den Salzgehalt oder die Mineralisation dieses Meeres der Finsternis festzustellen.

Das glänzende Schwarz wurde von dem matten Schwarz des Festlandes abgelöst. Die gekreuzten Strahlen der Scheinwerfer bahnten sich einen schmalen Weg durch Wälle der Finsternis. Unversehens tauchten erste Farbflecken auf: bald gelblicher Sand, bald die graugrüne Oberfläche eines flachen Felsrückens.

Die Tantra raste der geschickten Hand des Kommandanten gehorchend über den Kontinent hinweg.

Endlich hatte Erg Noor die Ebene wiederentdeckt.

Aufgrund ihrer geringen Höhe konnte man sie nicht als Hochebene bezeichnen, obwohl Fluten und Stürme des schwarzen Meeres sie offensichtlich nicht erreichten — sie lag einige Hundert Meter über Meereshöhe.

Das vordere Backbord-Radargerät gab ein Pfeifen von sich. Die Scheinwerfer der Tantra folgten dem Radarstrahl. Jetzt wurden die Umrisse eines Sternenschiffes erster Klasse deutlich sichtbar. Die Verkleidung des Bugteils aus umkristallisiertem anisotropen Iridium glänzte wie neu im Scheinwerferlicht. In der Nähe des Schiffes waren keine provisorischen Bauten zu sehen, an Bord brannte kein einziges Licht — finster und leblos stand es da, ohne auf das Näherkommen des Schwesterschiffes zu reagieren. Die Strahlen der Scheinwerfer glitten über das Schiff hinweg und weiter, wurden plötzlich funkelnd von einer riesigen Scheibe mit spiralenförmigen Vorsprüngen wie von einem blauen Spiegel reflektiert. Die Scheibe stand hochkant, war etwas zur Seite geneigt und teilweise in den schwarzen Boden eingesunken. Für einen Augenblick konnten die Beobachter sehen, dass hinter der Scheibe Felsen aufragten und die schwarze Finsternis sich noch mehr verdichtete. Dort befand sich wahrscheinlich ein Steilhang oder ein Abstieg in eine Tiefebene.

Das ohrenbetäubende Heulen der Tantra ließ ihren Rumpf erzittern. Erg Noor wollte in unmittelbarer Nähe des anderen Sternenschiffes aufsetzen und musste daher alle Menschen warnen, die sich möglicherweise in der Todeszone, das heißt ungefähr hundert Meter im Umkreis des Landeplatzes aufhielten. Das schreckliche Donnern der planetarischen Triebwerke war selbst im Schiff zu hören. Auf den Bildschirmen tauchte eine Wolke rotglühender Staubteilchen auf. Der Boden des Schiffes begann sich steil emporzurichten und nach hinten abzufallen. Die hydraulischen Scharniere drehten die Sitzflächen der Sessel sanft und lautlos herum, sodass sie parallel zu dem nun vertikalen Boden schwenkten.

Die gigantischen, mit Gelenken versehenen Landestützen sprangen aus dem Rumpf des Schiffes, verspreizten sich und fingen den Aufprall auf dem Boden der fremden Welt auf. Ein Stoß, ein Schlag und noch ein Stoß, ein Schwanken des Bugteils, und die Tantra stand gleichzeitig mit den Motoren still. Erg Noor hob die Hand ans Pult, das sich nun über ihm befand, und drehte den Hebel zum Abschalten der Landestützen herum. Langsam, mit kleinen Stößen kippte der Bug des Sternenschiffs wieder nach vorn, bis es seine normale horizontale Landeposition eingenommen hatte. Die Landung war abgeschlossen. Wie üblich hatte sie den menschlichen Organismus so stark erschüttert, dass die Sternflieger gezwungen waren, noch eine Zeit lang halb liegend in ihren Sesseln zu verharren, um sich davon einigermaßen zu erholen.

Eine ungeheure Schwerkraft lastete auf jedermann. Wie nach einer schweren Krankheit waren die Menschen kaum in der Lage, sich zu erheben. Der unermüdliche Biologe hatte jedoch bereits die Luft überprüft.

„Zum Atmen geeignet“, meldete er. „Ich sehe sie mir sofort unter dem Mikroskop an!“

„Nicht nötig“, entgegnete Erg Noor, während er die Gurte des Landesessels losmachte. „Ohne Raumanzüge dürfen wir das Schiff nicht verlassen. Es könnte hier sehr gefährliche Sporen und Viren geben.“

In der Luftschleuse am Ausgang des Schiffs wurden biologische Raumanzüge und „Sprungskelette“ bereitgehalten — das waren mit Leder überzogene Gestelle aus Stahl, welche über den Raumanzügen getragen wurden und mit einem Elektromotor, Sprungfedern und Stoßdämpfern ausgestattet waren. Sie dienten zur Fortbewegung unter den Bedingungen erhöhter Schwerkraft.

Nach sechs Jahren Irrfahrt im interplanetarischen Raum konnte es die Besatzung kaum erwarten, wieder Boden — wenn auch fremden — unter den Füßen zu spüren. Kay Ber, Pur Hiss, Ingrid, die Ärztin Luma und zwei Bordingenieure mussten im Sternenschiff zurückbleiben, um das Funkgerät, die Scheinwerfer und die Instrumente zu bedienen.

Nisa stand mit dem Helm in der Hand abseits von der Gruppe.

„Weshalb zögern Sie, Nisa?“, fragte der Kommandant das Mädchen, während er die Sprechfunkanlage an seinem Helm überprüfte. „Kommen Sie, gehen wir zum Sternenschiff!“

„Ich… glaube, e-es ist ausgestorben und… steht schon lange hier“, stammelte das Mädchen. „Wieder eine Katastrophe, wieder ein Opfer des unbarmherzigen Kosmos. Ich weiß, das ist unvermeidlich, aber trotzdem ist es schwer zu ertragen… besonders nach Sirda, nach der Algrab.

„Vielleicht rettet der Tod dieses Sternenschiffs uns das Leben“, entgegnete Pur Hiss, während er ein Fernrohr mit geringer Brennweite in Richtung Schiff hielt, das nach wie vor dunkel dalag.

Acht Expeditionsteilnehmer kletterten in die Übergangssektion und warteten.

„Luft aufdrehen!“, befahl Erg Noor den im Schiff Zurückgebliebenen, von denen sie bereits durch eine undurchdringliche Wand getrennt waren.

Erst als der Druck in der Schleuse zehn Atmosphären erreicht hatte, vermochten die hydraulischen Winden die hermetisch abgeschlossene Tür nach außen zu drücken. Zwar schleuderte der Luftdruck die Menschen beinahe aus der Schleuse hinaus, verhinderte aber dafür gleichzeitig, dass etwas Schädliches aus der fremden Welt in das kleine Stück Erde dringen konnte. Die Tür schlug heftig hinter dem Expeditionstrupp zu. Das Scheinwerferlicht bahnte den Forschern einen hellen Weg, auf dem sie ihre bleiernen Körper mithilfe der Sprungbeine mühsam fortbewegten. Am Ende der Lichtbahn erhob sich das riesige Schiff. In ihrer Ungeduld und geplagt von den heftigen Erschütterungen, die sie bei jedem ihrer ungelenken Sprünge auf dem unebenen, mit kleinen Steinchen übersäten und von der schwarzen Sonne stark erhitzten Boden verspürten, kamen ihnen die anderthalb Kilometer endlos vor.

Durch die dichte, feuchtigkeitsgeladene Atmosphäre des Planeten schimmerten die Sterne wie matte, verschwommene Flecke, und der Himmel über ihnen vermittelte nur einen schwachen Eindruck von der glänzenden Pracht des Kosmos. Die trüben Lichter der Sterne waren machtlos gegen die Dunkelheit auf der Planetenoberfläche.

Inmitten der tiefen Finsternis, die das Schiff umgab, zeichneten sich seine Umrisse besonders plastisch ab. Die dicke Bor-Zirkonium-Lackschicht war an manchen Stellen abgeschrammt. Das Sternenschiff war wahrscheinlich lange im Kosmos unterwegs gewesen.

Eon Tal stieß einen Ruf aus, der in allen Kopfhörern widerhallte, und zeigte mit dem Finger auf die offen stehende Tür, die wie ein schwarzer Fleck vor ihnen gähnte. Dahinter sah man den heruntergelassenen Aufzug. Auf dem Boden neben und vor dem Eingang und unter dem Schiff ragten unzweifelhaft Pflanzen hervor. Die dicken Stängel trugen in etwa ein Meter Höhe schwarze parabolische Blätter oder Blüten mit gezackten Rändern, die sie wie reglose Zahnräder aussehen ließen. Sie machten einen Unheil verkündenden Eindruck. Noch furchterregender war das lautlose Gähnen der Tür. Unberührte Pflanzen und eine offene Tür — das hieß, dieser Weg war schon lange nicht mehr von Menschen benützt worden, und die kleine irdische Welt im Innern des Schiffes war der fremden schutzlos ausgeliefert.

Erg Noor, Eon und Nisa stiegen als Erste in den Aufzug, der Kommandant drückte auf den Knopf. Mit einem leichten Knirschen setzte sich der Mechanismus in Bewegung und brachte die drei Forscher folgsam in die sperrangelweit offen stehende Luftschleuse. Die anderen folgten ihnen. Erg Noor bat die Kollegen auf der Tantra, den Scheinwerfer auszuschalten. Die kleine Gruppe von Menschen verlor sich augenblicklich in der abgrundtiefen Finsternis. Die Welt der eisernen Sonne umhüllte sie, als wollte sie augenblicklich dieses schwache Fünkchen irdischen Lebens auf dem Boden des riesigen Planeten ersticken.

Die Forscher schalteten die in ihren Helmen integrierten, sich drehenden Stirnlampen ein. Die Tür vom Übergangssektor in das Innere des Schiffs war geschlossen, jedoch nicht versperrt und deshalb leicht zu öffnen. Sie traten in den mittleren Korridor, wobei sie sich in den dunklen Gängen leicht zurechtfanden. Die Konstruktion des Sternenschiffs unterschied sich von der Tantra nur in Details.

„Das Schiff wurde vor einigen Jahrzehnten gebaut“, sagte Erg Noor und trat näher an Nisa heran.

Das Mädchen wandte sich nach ihm um. Durch den Silikollhelm hatte das kaum beleuchtete Gesicht des Expeditionsleiters etwas Geheimnisvolles an sich.

„Ein absurder Gedanke“, fuhr Erg Noor fort. „Aber vielleicht ist das…“

„Die Parus“, rief Nisa aus. Sie hatte vergessen, dass das Mikrofon eingeschaltet war, und sah, wie sich plötzlich alle zu ihr umwandten.

Der Erkundungstrupp war in den Hauptraum des Schiffs, in die kombinierte Bibliothek- und Laborkabine, und von da aus in die Steuerzentrale vorne im Bug vorgedrungen. Der Expeditionsleiter humpelte schwankend dahin in seinem skelettartigen Panzer, stieß gegen die Wände und gelangte schließlich zum Schaltbrett. Die Schiffsbeleuchtung war eingeschaltet, aber Strom war keiner vorhanden. Nur die phosphoreszierenden Zeiger und Zeichen brannten in dem dunklen Raum. Erg Noor fand den Notschalter, und zur allgemeinen Überraschung leuchtete ein mattes Licht auf, das sie alle zu blenden schien. Offensichtlich brannte nun auch im Aufzug Licht, da in den Helmsprechgeräten die Stimme von Pur Hiss ertönte, der sich nach dem Verlauf der Besichtigung erkundigen wollte. Bina, die Geologin, antwortete ihm, da der Kommandant plötzlich wie angewurzelt an der Schwelle der Steuerzentrale stehen geblieben war. Nisa folgte seinem Blick und erblickte oben zwischen den vorderen Monitoren eine doppelte Aufschrift — Parus in der Sprache der Erde und dem Code des Großen Rings. Darunter, durch einen Strich getrennt, standen die galaktischen Rufzeichen der Erde und die Koordinaten des Sonnensystems.

Sie hatten das Sternenschiff wiedergefunden, das vor achtzig Jahren verschollen war. Und zwar genau in jenem vorher unbekannten System der schwarzen Sonne, das man bisher für eine Dunkelwolke gehalten hatte.

Die Besichtigung der Schiffsräume erbrachte keinerlei Hinweise über den Verbleib der Insassen. Die Sauerstoffreservoirs waren nicht leer, die Vorräte an Wasser und Verpflegung hätten noch mehrere Jahre gereicht, aber von der Besatzung der Parus gab es keine Spur.

Auf den Gängen, in der Steuerzentrale und in der Bibliothek waren an manchen Stellen sonderbare dunkle Lachen zu sehen. Auf dem Fußboden der Bibliothek war ein Fleck, der aussah, als wäre eine Flüssigkeit verschüttet worden. Sie war mit einem mehrschichtigen welligen Film überzogen. Im Heckmaschinenraum hingen abgerissene Leitungen vor der weit offen stehenden Tür des hinteren Schotts herab, und die massiven Ständer der Kühlanlage aus Phosphorbronze waren stark geknickt. Da der Rest des Schiffes vollkommen unversehrt war, blieb die Ursache dieser Beschädigung ein Rätsel. Möglicherweise rührten sie von mächtigen Stößen her. Während die Forscher das Schiff durchsuchten, um den unzweifelhaften Tod der Parus-Besatzung aufzuklären, gerieten sie in vollkommene Erschöpfung.

Dafür machten sie jedoch eine andere, immens wichtige Entdeckung, nämlich dass die Anamesonvorräte und planetarischen Ionenladungen an Bord des Schiffes für das Abheben der Tantra von diesem schweren Planeten und die Reise zur Erde ausreichten.

Sofort wurde die Neuigkeit an die in der Tantra verbliebene Besatzung gesendet. Sie befreite alle Expeditionsmitglieder von dem Gefühl der Ausweglosigkeit, das sie befallen hatte, seitdem sie mit ihrem Schiff in die Gefangenschaft des Eisensterns geraten waren. Das aufwendige Unternehmen einer Botschaftsübermittlung zur Erde war damit überflüssig geworden. Dafür mussten sie sich jetzt mit der heiklen Aufgabe befassen, wie sie die Anamesoncontainer umladen konnten. Was an sich schon nicht einfach war, erforderte hier, auf einem Planeten mit zweieinhalbfacher Schwerkraft der Erde, große Erfindungsgabe seitens der Techniker. Aber die Menschen der Ära des Großen Rings scheuten vor komplizierten geistigen Herausforderungen nicht zurück, sondern machten sich bereitwillig an deren Lösung.

In der Steuerzentrale zog der Biologe eine nur zur Hälfte besprochene Spule aus dem Logbuch. Erg Noor und die Geologin öffneten den hermetisch abgeschlossenen Hauptsafe, in dem die Ergebnisse der Parus-Expedition aufbewahrt wurden. Jeder belud sich so gut es ging mit Filmen, Spulen, Tagebüchern sowie astronomischen Aufzeichnungen und Berechnungen. Da alle Expeditionsteilnehmer selbst Forscher waren, brachten sie es nicht übers Herz, diese wertvollen Fundstücke auch nur vorläufig im Schiff zurückzulassen.

Halb tot vor Müdigkeit trafen die Kundschafter in der Bibliothek der Tantra ein, wo sie von ihren Kameraden mit brennender Ungeduld erwartet wurden. Hier, im hellen Licht an einem bequemen Tisch in vertrauter Umgebung, verblassten die albtraumhaften Eindrücke von der Grabesfinsternis des schwarzen Planeten und dem toten Sternenschiff allmählich. Nur die Schwerkraft des schrecklichen Planeten ließ sich nicht einmal für einen Augenblick abschütteln und lastete auf jedermann. Jede geringste Bewegung schmerzte, und abwechselnd verzogen sich die Gesichter der Forscher zu leidvollen Grimassen. Ohne ausgiebiges Training war es äußerst schwer, den eigenen Körper mit den Hebeln des „Stahlskeletts“ so zu koordinieren, dass man beim Gehen nicht ständig gestoßen und durchgerüttelt wurde. Selbst nach einem kurzen Marsch kehrten die Menschen wie erschlagen zurück. Die Geologin Bina Led hatte offensichtlich eine leichte Gehirnerschütterung erlitten, aber auch sie weigerte sich, sich hinzulegen, bevor sie nicht die letzte Spule des Logbuches angehört hatte. Die Ellenbogen vor sich auf den Tisch aufgestellt und die Hände an die Schläfen gepresst blieb sie sitzen. Nisa erwartete sich von diesen achtzig Jahre alten Aufzeichnungen aus dem ausgestorbenen Schiff etwas absolut Außergewöhnliches. Sie dachte an heisere Hilferufe, Jammergeschrei und tragische Abschiedsworte. Das Mädchen zuckte zusammen, als aus dem Apparat eine wohltuend reservierte, kühle Stimme ertönte. Selbst Erg Noor, der in Sachen interstellarer Flüge bestens Bescheid wusste, kannte niemanden von der Besatzung der Parus. Dieses ausschließlich mit jungen Menschen besetzte Sternenschiff hatte seinen unendlich waghalsigen Flug zur Wega angetreten, ohne dem Rat für Sternschifffahrt die üblichen Bilder von den Besatzungsmitgliedern zu hinterlassen.

Die unbekannte Stimme schilderte Ereignisse, die sieben Monate nach der Übermittlung der letzten Botschaft zur Erde eingetreten waren. Ein Vierteljahrhundert zuvor war die Parus bei der Überquerung eines kosmischen Eisgürtels am Rande des Systems der Wega beschädigt worden. Das Leck im Heckteil des Schiffs konnte repariert und die Reise fortgesetzt werden. Das überempfindliche Regelsystem des Triebwerkschutzfeldes war jedoch gestört worden. Nach einem zwanzig Jahre dauernden Kampf hatte man die Triebwerke abstellen müssen. Die Parus war noch weitere fünf Jahre im freien Fall dahingeflogen, bis sie durch einen naturgegebenen Kursfehler immer mehr zur Seite abwich. Damals wurde die erste Botschaft gesendet. Das Sternenschiff wollte gerade eine zweite Botschaft senden, als es in das System des Eisensterns geriet. Im Weiteren erging es ihm genau wie der Tantra, mit dem einen Unterschied, dass das Schiff ohne funktionierendes Triebwerk überhaupt keine Möglichkeit hatte, wieder wegzufliegen, nachdem es einmal gebremst hatte. Es konnte nicht zu einem Satelliten des Planeten werden, da die planetarischen Triebwerke, die sich im Heck befanden, genauso unbrauchbar geworden waren wie die Anamesontriebwerke. Die Parus setzte wohlbehalten auf dem niedrigen Plateau in der Nähe des Meeres auf. Die Besatzung machte sich an die Lösung der drei vorrangigsten Aufgaben: die Reparatur der Motoren, die Übermittlung eines Hilferufs zur Erde und die Erforschung des unbekannten Planeten. Aber noch ehe sie einen Raketenturm zusammenbauen konnten, verschwanden einige Expeditionsteilnehmer auf unerklärliche Weise. Der Suchtrupp, den man nach den Verschollenen ausschickte, kehrte ebenfalls nicht zurück. Die Erforschung des Planeten wurde eingestellt, zum Bau des Turms verließ man von nun an nur gemeinsam das Schiff, und in den langen Pausen zwischen den Arbeitsphasen, die wegen der Schwerkraft extrem kraftraubend und Nerven aufreibend waren, zog man sich in das hermetisch abgeschlossene Schiff zurück. Da die Besatzung der Parus so schnell wie möglich eine Rakete starten wollte, kümmerte sie sich nicht um das fremde Sternenschiff, das offensichtlich schon lange verlassen in ihrer Nähe stand.

Die Scheibe! ging es Nisa durch den Kopf. Ihr Blick traf auf den des Kommandanten, der, als hätte er ihre Gedanken erraten, zur Bekräftigung nickte. Von den vierzehn Besatzungsmitgliedern der Parus waren acht am Leben geblieben. Im Logbuch folgte eine Pause von ungefähr drei Tagen, danach wurde der Bericht von einer hohen, jugendlichen Frauenstimme fortgesetzt:

„Heute, am zwölften Tag des siebenten Monats im dreihundertdreiundzwanzigsten Jahr des Großen Rings, haben wir, die wir übrig geblieben sind, die Vorbereitungen zum Abschuss der Nachrichtenrakete abgeschlossen. Morgen um diese Zeit…“

Kay Ber sah unwillkürlich auf die Stundeneinteilung entlang des umgespulten Bandes — fünf Uhr früh nach der Zeit der Parus, und wer weiß, um wie viel Uhr nach der des Planeten…

„… senden wir eine genau berechnete…“, die Stimme erstarb, ertönte dann wieder, diesmal gedämpfter und schwächer, so als ob sich die Sprecherin vom Mikrofon abgewandt hätte. „… ich schalte ein! Noch…“

Das Gerät verstummte, obwohl das Band weiterlief. Die Zuhörer wechselten besorgte Blicke.

„Da muss etwas passiert sein…“, begann Ingrid Ditra.

Aus dem Tonbandgerät waren hastige, gepresste Worte zu vernehmen. „Zwei konnten sich retten… Laik hat es nicht geschafft… der Aufzug… sie konnten die äußere Tür nicht schließen, nur die innere! Der Mechaniker Sach Kton ist zu den Triebwerken gekrochen… wir schlagen mit den planetarischen zurück… sie kennen nur Wut und Furcht, sind das Nichts! Ja, das Nichts…“

Die Spule lief einige Zeit tonlos weiter, dann begann dieselbe Stimme wieder zu sprechen.

„Kton scheint es nicht geschafft zu haben. Ich bin allein, habe mir aber etwas ausgedacht. Bevor ich beginne…“, die Stimme wurde stärker und klang zuversichtlicher. „Brüder, wenn ihr die Parus findet, so beherzigt meine Warnung, und verlasst niemals das Schiff.“

Die Sprecherin seufzte tief und sagte leise, als spräche sie zu sich selbst:

„Ich muss nachsehen, was mit Kton passiert ist. Wenn ich zurückkomme, werde ich alles ausführlich erklären…“

Ein Knacken war zu hören, die Spule lief noch zirka zwanzig Minuten weiter, bis sie zur Gänze abgespielt war. Aber die gespannten Zuhörer warteten vergeblich — die Unbekannte hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, etwas zu erklären. Wahrscheinlich war es ihr gar nicht mehr gelungen, ins Schiff zurückzukehren.

Erg Noor schaltete das Gerät aus und wandte sich an seine Gefährten.

„Unsere ums Leben gekommenen Brüder und Schwestern retten uns!“, sagte er. „Spüren Sie nicht auch die Hand des starken Erdenmenschen! Auf dem Schiff haben wir Anameson gefunden. Und jetzt haben wir noch eine Warnung erhalten, dass hier eine Todesgefahr auf uns lauert! Ich weiß nicht, was es ist, wahrscheinlich fremdes Leben. Wären es kosmische Elementarkräfte, so hätten sie nicht nur die Menschen getötet, sondern auch das Schiff vernichtet! Nach all unseren Entdeckungen wäre es eine Schande, könnten wir uns nicht retten und den Fund der Parus der Erde mitteilen. Die großen Taten der hier Verstorbenen, ihr ein halbes Jahrhundert dauernder Kampf mit dem Kosmos dürfen nicht umsonst gewesen sein.“

„Wie stellen Sie sich das vor, den Treibstoff umzuladen, ohne das Schiff zu verlassen?“, fragte Kay Ber.

„Sie wissen, dass es unmöglich ist, das Schiff nicht zu verlassen. Wir werden hinausgehen und dort arbeiten müssen. Aber wir sind gewarnt und werden vorsorgen und die nötigen Maßnahmen ergreifen…“

„Ich hab’s“, fiel der Biologe Eon Tal ein. „Wir müssen die Arbeitsstelle absperren.“

„Nicht nur die Arbeitsstelle, sondern auch den Weg zwischen den Schiffen!“, fügte Pur Hiss hinzu.

„Natürlich! Und da wir nicht wissen, was uns auflauert, werden wir eine doppelte Absperrung errichten — mit Strahlung und Strom. Wir verlegen Kabel und schaffen so auf dem ganzen Weg einen Lichtkorridor. Hinter der Parus steht noch die ungenutzte Rakete — ihre Energie wird uns für die gesamte Dauer der Arbeit versorgen.“

Plötzlich schlug Bina Led mit dem Kopf hart auf dem Tisch auf. Die Ärztin und der zweite Astronom schleppten sich mit Mühe zu ihrer bewusstlosen Gefährtin.

„Es ist weiter nichts!“, erklärte Luma Laswi. „Gehirnerschütterung und Überanstrengung. Helfen Sie mir, Bina ins Bett zu bringen!“

Selbst diese einfache Arbeit hätte viel Zeit in Anspruch genommen, wäre der Mechaniker Taron nicht auf die Idee gekommen, den automatischen Roboterkarren zu benützen. Mit dessen Hilfe wurden alle acht Kundschafter in ihre Betten gebracht. Es war Zeit, sich auszuruhen, denn eine Überanstrengung der nicht an die neuen Bedingungen angepassten menschlichen Organismen würde unweigerlich zu einer Erkrankung führen. Und in diesem schwierigen Augenblick der Expedition war jeder Einzelne unentbehrlich.

Nachdem die Mannschaft sich erholt hatte, begann man mithilfe von zwei aneinandergekoppelten automatischen Karren den Weg zwischen den Sternenschiffen zu ebnen. Starke Kabel verliefen zu beiden Seiten des festgelegten Weges. Neben beiden Sternenschiffen wurden Wachtürme mit dicken Schutzkappen aus Silikobor errichtet. In jedem Wachturm saß ein ständiger Beobachter, der in regelmäßigen Abständen einen Fächer tödlicher harter Strahlen den Weg entlangschickte. Während der ganzen Zeit, da gearbeitet wurde, erlosch nicht einmal das Licht der starken Scheinwerfer. Im Kiel der Parus öffnete man die Hauptluke, demontierte die Schotten und bereitete vier Anamesoncontainer sowie dreißig Zylinder mit Ionenladungen zum Verladen auf die Karren vor. Das größte Problem stellte das Verladen der Ladung in die Tantra dar, denn im Gegensatz zur Parus durfte sie nicht einfach geöffnet werden, da möglicherweise tödliche Keime des fremden Lebens in das Sternenschiff hätten eindringen können. Man benötigte einen anderen Plan: Von der Parus schaffte man Reserveflaschen mit flüssigem Gas herbei, dann wurden die inneren Schotten geöffnet; der Ladeschacht würde vom Augenblick der Öffnung der Luke bis zum Ende des Verladevorgangs ununterbrochen mit einem starken Strom von Pressluft durchgeblasen werden. Außerdem würde man die Bordwand des Schiffes durch eine Kaskadenstrahlung abschirmen.

Die Besatzung gewöhnte sich an die Arbeit in den stählernen „Skeletten“ und ertrug die fast dreifache Schwerkraft nach und nach etwas leichter. Auch die unerträglichen Schmerzen in allen Knochen, die jedes Besatzungsmitglied unmittelbar nach der Landung gespürt hatte, ließen allmählich nach.

Nach einigen Erdentagen auf dem finsteren Planeten, während derer das geheimnisvolle „Nichts“ sich nicht gezeigt hatte, begann die Außentemperatur auf einmal zu fallen. Ein orkanartiger Wind kam auf, der von Stunde zu Stunde stärker wurde. Der Untergang der schwarzen Sonne stand bevor — der Planet drehte sich, und das Festland, auf dem die Sternenschiffe standen, erreichte die Nachtseite. Die Abkühlung war dank der Konvektionsströme, der Wärmeabgabe des Ozeans und der dicken Atmosphärenhülle zunächst nicht allzu stark, aber mitten in der Planetennacht setzte starker Frost ein. Die Heizung der Raumanzüge wurde eingeschaltet und die Arbeit fortgesetzt. Der erste Container war gerade aus der Parus geholt und zur Tantra gebracht worden, als ein neuer Orkan aufbrauste, der bei Weitem stärker war als der vorangegangene. Die Temperatur stieg rasch über null, die dichten Luftströme führten eine große Menge an Feuchtigkeit mit sich, und Blitze durchzuckten den Himmel. Der Orkan wurde derart stark, dass das Sternenschiff unter dem Druck des fürchterlichen Windes zu beben begann. Alle Anstrengungen der Besatzung waren auf die Verankerung der Container unter dem Kiel der Tantra gerichtet. Das furchterregende Tosen des Orkans wuchs weiter an. Über die Hochebene brausten gefährliche säulenförmige Wirbelwinde hinweg, die irdischen Tornados zum Verwechseln ähnlich waren. Im Lichtkegel der Scheinwerfer schoss eine riesige Windhose aus Schnee und Staub empor, deren Trichterspitze das fleckige, dunkle und niedrige Himmelsgewölbe berührte. Unter ihrem Druck rissen die Hochspannungsleitungen, bläuliche Funken, die von Kurzschlüssen rührten, zuckten zischend entlang der sich zusammenringelnden Drähte. Das gelbliche Licht des Scheinwerfers neben der Parus erlosch unvermittelt, als hätte der Wind es ausgeblasen.

Erg Noor erteilte den Befehl, die Arbeit einzustellen und im Schiff Schutz zu suchen.

„Aber drüben ist noch ein Beobachter!“, rief Bina Led und zeigte auf das schwache Licht des Silikobortürmchens.

„Ich weiß, Nisa hält dort Wache“, antwortete der Expeditionsleiter. „Ich werde zu ihr gehen.“

„Aber der Strom ist ausgefallen, das ›Nichts‹ hat seine Herrschaft angetreten“, entgegnete Bina mit ernstem Ton.

„Wenn der Orkan so tobt, dass wir unsere Arbeit ruhen lassen müssen, dann wirkt er zweifellos auch auf das ›Nichts‹ so heftig. Ich bin überzeugt, solange der Sturm nicht nachlässt, droht uns keine Gefahr. Die Schwerkraft macht mich so schwer, dass mich der Wind nicht wegblasen kann, wenn ich dicht am Boden entlangkrieche. Außerdem wollte ich schon längst mal vom Turm aus nach diesem ›Nichts‹ Ausschau halten!“

„Darf ich mitkommen?“, fragte der in seinem „Skelett“ zum Kommandanten hüpfende Biologe.

„Gut, gehen wir! Aber nur Sie — sonst niemand!“

Die beiden Männer krochen lange dahin, hielten sich an Unebenheiten und Steinspalten fest und versuchten den Wirbelwinden auszuweichen. Der Orkan tat sein Bestes, um sie vom Boden aufzuwirbeln, sie umzudrehen und fortzurollen. Einmal verlor Eon den Halt und wäre fast weggefegt worden, aber Erg Noor bekam ihn im letzten Moment zu fassen, warf sich auf ihn und hielt sich mit seinen Krallenhandschuhen an einem großen Stein fest.

Nisa öffnete die Luke ihres Türmchens, und die beiden Männer zwängten sich einer nach dem anderen hinein. Hier war es warm und ruhig, das Türmchen stand fest und sicher — in weiser Voraussicht der Stürme war es fest verankert worden.

Die rotlockige Astronavigatorin ärgerte und freute sich zugleich über die Ankunft ihrer Gefährten. Sie gab ehrlich zu, dass es ihr unangenehm wäre, eine so stürmische Nacht allein in dem Wachturm auf einem fremden Planeten zu verbringen.

Erg Noor meldete der Tantra ihre wohlbehaltene Ankunft, und der Scheinwerfer des Schiffs erlosch. Nun brannte in dem Reich der Finsternis nur das schwache Licht im Inneren des Türmchens. Der Boden erzitterte unter den Sturmböen, den Blitzschlägen und den darüberrasenden Wirbelwinden. Nisa saß auf dem Drehstuhl, mit dem Rücken gegen einen Spannungsteiler gelehnt. Der Kommandant und der Biologe setzten sich ihr zu Füßen auf den ringförmigen Vorsprung des Turmfundaments. Sie waren in ihren Raumanzügen so dick, dass sie beinahe den gesamten Platz einnahmen.

„Ich schlage vor, wir schlafen“, ertönte Erg Noors Stimme in den Kopfhörern. „Es sind noch gute zwölf Stunden bis zum Aufgang der schwarzen Sonne — vorher wird der Orkan sicher nicht nachlassen.“

Seine Gefährten stimmten zu. Und so schliefen die drei von der ungewohnten Schwerkraft niedergedrückten Menschen in ihren Raumanzügen mit den harten Gestellen in dem unter dem Sturm bebenden Türmchen ein — dank der ungeheuren Anpassungsfähigkeit des menschlichen Organismus und der in ihm steckenden Widerstandskräfte.

Von Zeit zu Zeit erwachte Nisa und machte eine Kontrollmeldung an den Diensthabenden auf der Tantra, ehe sie wieder einschlummerte. Der Orkan ließ merklich nach, der Boden hörte auf zu beben. Von nun an mussten sie auch mit dem „Nichts“ rechnen, es konnte jeden Augenblick in Erscheinung treten. Die Beobachter im Turm nahmen WT — Wachhaltetabletten — ein, um ihr müdes Nervensystem in Schwung zu bringen.

„Das fremde Sternenschiff lässt mir keine Ruhe“, gestand Nisa. „Ich möchte zu gerne wissen, woher es stammt und wie es hierher gekommen ist…“

„Ich auch“, antwortete Erg Noor. „Über den Großen Ring werden bereits seit Langem Berichte über Eisensterne und deren Planetenfallen gesendet. In den dichter besiedelten Gegenden der Galaxis, wo häufig Schiffe fliegen, gibt es etliche Planeten mit gestrandeten Sternenschiffen. Viele Schiffe, vor allem ältere Typen, konnten sich nicht mehr von den Planeten losreißen, blieben quasi kleben. Die vielen erschütternden Geschichten haben inzwischen schon legendären Charakter, schließlich veranschaulichen sie, wie mühsam die Eroberung des Kosmos sich gestaltet. Vielleicht gibt es auf diesem Planeten sogar noch Sternenschiffe aus älteren Zeiten, obwohl ein Zusammentreffen dreier Schiffe in einem so schwach besiedelten Gebiet wie diesem an sich schon eine große Seltenheit ist. In der Umgebung unserer Sonne war bis jetzt kein einziger Eisenstern bekannt, wir haben den ersten entdeckt.“

„Denken Sie an eine Untersuchung des Tellerschiffs?“, fragte der Biologe.

„Unbedingt! Welcher Wissenschaftler könnte sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen! Tellerschiffe sind in den uns benachbarten besiedelten Gebieten unbekannt. Das muss ein Schiff sein, das von sehr weit her kommt. Vielleicht ist es einige Jahrtausende durch die Galaxis geirrt, nachdem die Besatzung umgekommen oder ein irreparabler Schaden aufgetreten war. Vielleicht können wir mit dem Fundmaterial von diesem Schiff endlich jene Botschaften über den Großen Ring verstehen, deren Inhalt uns bisher verschlossen ist. Jedenfalls hat es eine merkwürdige Form — diese scheibenförmige Spirale mit stark vorstehenden Rippen an der Oberfläche. Sobald wir die Parus entladen haben, werden wir uns mit diesem Fremdling befassen — aber im Augenblick können wir niemanden entbehren.“

„Aber für die Untersuchung der Parus haben wir doch nur ein paar Stunden gebraucht…“

„Ich habe mir die Scheibe unter dem Stereoteleskop angesehen. Sie ist fest verschlossen, keine einzige Öffnung ist zu erkennen. Es ist sehr schwierig, in ein kosmisches Schiff einzudringen, dessen Abwehrkräfte um ein Vielfaches stärker sind als alle irdischen Naturgewalten. Versuchen Sie einmal, in die geschlossene Tantra einzudringen — durch ihre Panzerung aus Metall mit umkristallisierter Struktur, durch die obere Verkleidung aus Bor — das ist schwieriger, als eine Festung zu erobern. Und ich nehme an, noch schwieriger ist es bei einem vollkommen fremden Schiff mit unbekannten Konstruktionsprinzipien. Aber wir werden herauszufinden versuchen, was es ist.“

„Und wann werden wir das Material von der Parus sichten“, fragte Nisa. „Darunter müssen sich hochinteressante Aufzeichnungen über jene wunderbaren Welten befinden, von denen in der Botschaft die Rede war.“

Über das Sprechgerät war zu hören, wie der Kommandant gutmütig auflachte.

„Ich, der ich seit meiner Kindheit von der Wega träume, brenne selbst am meisten vor Ungeduld“, sagte er. „Aber dafür werden wir auf dem Heimflug noch genügend Zeit haben. Jetzt heißt es erst einmal, dieser Finsternis, dieser Hölle, wie man in alten Zeiten zu sagen pflegte, zu entrinnen. Die Forscher der Parus sind nirgends gelandet, sonst hätten wir eine Vielzahl von Materialproben in den Funddepots des Schiffes gefunden. Erinnern Sie sich — wir haben trotz sorgfältiger Durchsuchung nur Filme, Messergebnisse, Videoaufzeichnungen, Luftproben und Flaschen mit explosivem Staub gefunden…“

Erg Noor verstummte und lauschte. Sogar über die empfindlichen Mikrofone war kein Wind mehr zu hören — der Sturm hatte sich gelegt. Aber plötzlich drang von außen ein knirschendes Geräusch durch den Boden herein, das von den Wänden des Türmchens widerhallte.

Der Kommandant machte eine Handbewegung, und Nisa schaltete augenblicklich die Beleuchtung aus. Die Finsternis in dem von infraroten Strahlen erwärmten Türmchen war undurchdringlich wie schwarze Flüssigkeit — es schien, als ob das Gebäude auf dem Grund eines Ozeans stünde. Aber durch die transparente Silikoborkappe war ein deutlich sichtbares Aufblitzen brauner Lichter zu erkennen. Die Lichter entzündeten sich, bildeten für einen Augenblick kleine Sternchen mit dunkelroten oder dunkelgrünen Strahlen, erloschen und loderten von Neuem auf. Die Sternchen zogen sich zu Ketten in die Länge, die sich wiederum zu Kreisen oder Achtecken zusammenfanden und lautlos über die glatte, diamantharte Oberfläche der Kappe glitten. Die Menschen im Turm verspürten ein sonderbares Stechen in ihren Augen, einen heftigen Schmerz entlang der Hauptnervenstränge, so als bohrten sich die kurzen Strahlen der braunen Sternchen wie Nadeln in die Nervenstämme.

„Nisa“, flüsterte Erg Noor, „stellen Sie den Regler auf volle Stärke und schalten Sie sofort das Licht ein.“

Das Türmchen erstrahlte in grellem hellblauen irdischen Licht. Die dadurch geblendeten Menschen sahen nichts oder fast nichts. Nisa und Eon glaubten zu bemerken, dass die Finsternis an der rechten Seite des Turmes nicht sofort verschwand, sondern sich für einen Augenblick als ein mit Fühlern versehener Klumpen verspreizte. Dieser Klumpen zog blitzartig seine Fühler ein und schnellte gleichzeitig in die vom Licht zurückgedrängte Mauer der Finsternis zurück. Erg Noor hatte nichts gesehen, zweifelte aber keinen Moment an der Wahrnehmung seiner jungen Gefährten.

„Vielleicht sind es Trugbilder?“, mutmaßte Nisa. „Etwa eine trügerische Verdichtung der Finsternis um irgendwelche Energieladungen, zum Beispiel in der Art unserer Kugelblitze? Es müssen ja keine Formen von Leben sein. Wenn hier alles schwarz ist, dann sind vielleicht auch die Blitze schwarz.“

„Ihre Vermutung klingt zwar äußerst poetisch, aber leider auch höchst unwahrscheinlich“, entgegnete Erg Noor. „Dieses ›Etwas‹ hat uns gerade ganz offensichtlich angegriffen, es ist auf unser lebendes Fleisch und Blut aus. Es oder seine Artgenossen haben die Besatzung der Parus getötet. Wenn es organisiert und widerstandsfähig ist, wenn es sich in der jeweils erforderlichen Richtung fortbewegen und Energie aufnehmen und abgeben kann, dann kann von einem atmosphärischen Trugbild keine Rede sein. Es ist ein Geschöpf aus lebendiger Materie und versucht, uns zu verschlingen!“

Der Biologe pflichtete den Argumenten des Kommandanten bei.

„Mir scheint, dass hier auf diesem Planeten der Finsternis nur für uns, die wir die infraroten Strahlen des Wärmebereichs des Spektrums nicht wahrnehmen, Finsternis herrscht“, erklärte er. „Andere Strahlen — gelbe oder hellblaue — müssen wiederum auf dieses Geschöpf eine starke Wirkung ausüben. Es reagiert so schnell, dass die umgekommenen Gefährten von der Parus nichts bemerken konnten, als sie den Ort des Angriffs ableuchteten… Und als sie es schließlich bemerkten, war es zu spät, die Sterbenden konnten die anderen nicht mehr warnen…“

„Wir werden den Versuch jetzt wiederholen, so unangenehm das Näherkommen dieses ›Etwas‹ auch ist.“

Nisa schaltete das Licht aus, und die drei Besucher warteten in dem undurchdringlichen Dunkel von Neuem auf das Erscheinen des Geschöpfes dieser Welt der Finsternis.

„Womit ist es wohl bewaffnet? Weshalb ist sein Näherkommen durch die Kappe und den Raumanzug spürbar?“, fragte der Biologe laut. „Irgendeine besondere Art von Energie?“

„Es gibt nur wenige Arten von Energie, und hier handelt es sich zweifellos um elektromagnetische Energie. Abarten davon gibt es natürlich unzählig viele. Dieses Wesen besitzt eine Waffe, die auf unser Nervensystem einwirkt. Wie muss es sich anfühlen, wenn ein solcher Fühler einen ungeschützten Körper berührt!“

Erg Noor fröstelte, und Nisa Krit überkam ein innerliches Zittern, als sie die Ketten brauner Lichter von drei Seiten näher kommen sahen.

„Das ist nicht nur ein Wesen!“, stieß Eon leise hervor. „Vielleicht sollten wir sie nicht bis an die Kappe herankommen lassen.“

„Sie haben recht. Wir kehren dem Licht den Rücken zu und schauen in eine Richtung. Nisa, schalten Sie ein!“

Dieses Mal konnte jeder der Forscher separate Details erkennen, aus denen sich dann ein Gesamteindruck von den Wesen ergab, die gigantischen, flachen Medusen glichen und in geringer Höhe über dem Boden dahinschwebten. An ihrer Unterseite bewegten sich üppige Fransen hin und her. Einige Fühler waren im Vergleich zu den Ausmaßen des Wesens kurz, nicht länger als einen Meter. An den spitzen Winkeln des rhombischen Körpers ragten je zwei bedeutend längere Fühler hervor. Am Ansatz der Fühler hatte der Biologe riesige Blasen bemerkt, die von innen her schwach leuchteten und entlang der Fühler die sternenförmigen Blitze auszusenden schienen.

„Beobachter, weshalb schalten Sie das Licht ein und aus?“, erklang plötzlich die klare Stimme von Ingrid in den Kopfhörern. „Brauchen Sie Hilfe? Der Sturm ist vorbei, und wir können uns wieder an die Arbeit machen. Wir kommen sofort zu Ihnen rüber.“

„Unter gar keinen Umständen!“, befahl der Kommandant streng. „Es besteht große Gefahr. Rufen Sie alle zusammen!“

Erg Noor berichtete von den schrecklichen Medusen. Nachdem sie sich beraten hatten, beschlossen die Reisenden, einen Teil des planetarischen Triebwerks auf einem Karren hinauszufahren. Ein Feuerstrahl von dreihundert Meter Länge jagte über die steinige Ebene und fegte alle unsichtbaren und sichtbaren Wesen auf seinem Weg hinweg. Keine halbe Stunde war vergangen, und die gerissenen Kabel waren neu verlegt und die Absperrung wiederhergestellt. Inzwischen war jedem Expeditionsteilnehmer klar, dass man das Anameson noch vor Anbruch der nächsten Planetennacht umladen musste. Dies gelang unter unglaublichen Anstrengungen, worauf sich die erschöpften Reisenden, nachdem sie die Luken fest verschlossen hatten, neuerlich hinter den unbezwingbaren Panzer des Sternenschiffes zurückzogen und ruhig dem Beben des Schiffes im Sturm lauschten. Die Mikrofone trugen das Heulen und Poltern des Orkans ins Schiffsinnere, was die kleine, hell beleuchtete und für die Mächte der Finsternis unbezwingbare Welt noch gemütlicher machte.

Ingrid und Luma öffneten den Stereobildschirm. Die Wahl des Films war gut ausgefallen. Schon begann das blaue Wasser des Indischen Ozeans vor den acht Menschen in der Bibliothek zu rauschen. Es war ein Film über die Poseidonspiele — weltweite Wettkämpfe in allen Disziplinen des Wassersports. In der Epoche des Großen Rings waren längst alle Menschen aufs Engste mit dem Meer verbunden, wie es früher den nahe am Meer lebenden Völker vorbehalten gewesen war. Turmspringen, Schwimmen, Tauchen, Wellenreiten und Surfen. Tausende schöner junger Körper, von der Sonne gebräunt. Wohltönender Gesang, Lachen, feierliche Musik bei den Siegerehrungen…

Nisa beugte sich zu dem neben ihr sitzenden Biologen hinüber, der tief in Gedanken versunken war und sein Herz — wie sie glaubte — in unendlicher Ferne, auf dem geliebten Heimatplaneten mit seiner bereits bezwungenen Natur weilen ließ.

„Haben Sie auch mal an solchen Wettkämpfen teilgenommen, Eon?“

Der Biologe blickte sie verständnislos an.

„Was? Ach so, nein, niemals. Entschuldigen Sie, ich war ganz versunken und habe Sie nicht gleich verstanden.“

„Waren Sie denn nicht in Gedanken bei den Poseidonspielen?“, fragte das Mädchen und zeigte auf den Bildschirm. „Der Anblick unserer schönen Welt ist in dieser Finsternis und nach diesem Sturm und den elektrischen schwarzen Medusen doch extrem erfrischend, oder nicht?“

„Ja, natürlich. Aber ehrlich gesagt ist dadurch mein Verlangen, eine solche Meduse zu fangen, noch stärker geworden. Ich habe mir gerade darüber den Kopf zerbrochen.“

Nisa wandte sich von dem lachenden Biologen ab und sah in das lächelnde Gesicht von Erg Noor.

„Haben Sie etwa auch darüber nachgedacht, wie man ein solches schwarzes Ungeheuer fangen könnte?“, fragte sie spöttisch.

„Das nicht, aber über die Untersuchung des Tellerschiffs.“

Das verschmitzte Leuchten in den Augen des Kommandanten machte Nisa beinahe wütend.

„Jetzt verstehe ich, weshalb die Männer in alten Zeiten Kriege führten. Ich habe immer geglaubt, das sei nur Angeberei vonseiten Ihres Geschlechts — dieses sogenannten starken Geschlechts der früheren ungeordneten Gesellschaft.“

„Sie haben nicht ganz recht, obschon Sie die männliche Mentalität in der Vergangenheit zumindest teilweise erfasst haben. Bei mir ist es nun mal so — je schöner und liebenswerter ich meinen Planeten finde, desto mehr möchte ich ihm dienen. Am liebsten würde ich Gärten anpflanzen, Metalle, Energie und Nahrung gewinnen, Musik komponieren — damit ich, wenn ich einmal gehe, etwas Reales hinterlasse, das von meinen Händen und meinem Kopf geschaffen wurde. Ich kenne nun mal nur den Kosmos und die Kunst der Sternenschifffahrt. Nur auf diesem Weg kann ich meiner Menschheit dienen. Denn das Ziel ist nicht der Flug selbst, sondern neue Erkenntnisse, die Entdeckung neuer Welten, die wir eines Tages zu ebenso schönen Planeten machen werden, wie unsere Erde es ist. Und Sie, Nisa, was treibt Sie an? Weshalb zieht auch Sie das Geheimnis des Tellerschiffes so an? Ist es ausschließlich Neugierde…?“

Das Mädchen überwand mit einer stürmischen Kraftanstrengung die Schwere ihrer müden Arme und streckte sie dem Kommandanten entgegen. Dieser nahm sie in seine großen Hände und streichelte sie zärtlich. Nisas Wangen wurden blutrot, ihr Körper wurde von neuer Kraft erfüllt. Wie damals, vor der gefährlichen Landung, schmiegte sie ihre Wange an Erg Noors Handrücken und verzieh auch dem Biologen in Gedanken seinen scheinbaren Verrat an der Erde. Um ihr vollkommenes Einverständnis mit den beiden unter Beweis zu stellen, erzählte sie ihnen von der Idee, die ihr gerade in den Sinn gekommen war. Sie könnten einen Wassertank mit einem selbst schließenden Deckel versehen und ein Gefäß mit frischem, nicht mit konserviertem Blut als Köder hineinstellen. Das Blut würden die Sternflieger spenden. Wenn das schwarze „Etwas“ in den Tank kröche, würden sie den Deckel zuschlagen, dann durch vorher angebrachte Hähne ein träges, irdisches Gas hineinpumpen und schließlich die Ränder des Deckels hermetisch verschweißen.

Eon war begeistert von der Erfindungsgabe des rothaarigen Mädchens.

In den kommenden Tagen mühte Erg Noor sich mit dem Bau eines menschenähnlichen Roboters ab und fertigte einen starken elektrohydraulischen Schneidbrenner an, mit dessen Hilfe er in das Innere der spiralenförmigen, offensichtlich von einem fernen Stern stammenden Scheibe einzudringen hoffte.

In der bereits vertrauten Finsternis legten sich die Stürme, und der Frost wurde von Wärme abgelöst. Endlich brach der neuntägige Tag der Planeten an. Die Arbeit — das Umladen der Ionenladungen, einiger Vorräte und wertvoller Instrumente — nahm weitere vier Erdentage in Anspruch. Darüber hinaus hielt es Erg Noor für notwendig, einige persönliche Andenken der umgekommenen Besatzung an Bord zu nehmen, um sie nach sorgfältiger Desinfektion den Angehörigen auf der Erde als Andenken zu übergeben. In der Ära des Großen Rings belasteten sich die Menschen nur mit wenig persönlicher Habe, sodass das Umladen auf die Tantra keine Schwierigkeiten bereitete.

Am fünften Tag schalteten sie den Strom aus, und der Biologe schloss sich zusammen mit zwei Freiwilligen — Kay Ber und Ingrid — im Beobachtungsturm neben der Parus ein. Die schwarzen Wesen tauchten alsbald wieder auf. Der Biologe hatte einen Infrarotschirm adaptiert und konnte so die mörderischen Medusen verfolgen. Schon bald schlich sich eine von ihnen an den Fangbehälter heran; sie zog ihre Fühler ein, rollte sich zu einer Kugel zusammen und zwängte sich hinein. Aber plötzlich tauchte ein weiterer schwarzer Rhombus an der Öffnung des Tanks auf. Das erste Ungeheuer spreizte seine Fühler auseinander — sternenförmige Funken blitzten so rasch hintereinander auf, dass sie sich in vibrierende dunkelrote Lichtstreifen verwandelten, die der Infrarotschirm als grüne Blitze wiedergab. Darauf zog sich die erste Meduse zurück. Sekunden später rollte sich auch schon die zweite zusammen und fiel auf den Boden des Tanks. Der Biologe hatte seine Hand schon nach dem Knopf ausgestreckt, der den Deckel des Tanks in Bewegung setzten würde, aber Kay Ber hielt ihn zurück. Das erste Ungeheuer hatte sich ebenfalls wieder zusammengerollt und folgte dem zweiten, sodass nun zwei dieser schrecklichen Medusen im Tank lagen. Es war höchst verwunderlich, wie es ihnen gelungen war, ihren scheinbar gewaltigen Umfang derart zu verringern. Ein Druck auf den Knopf — der Deckel fiel zu, und sofort umschwärmten fünf oder sechs der schwarzen Ungeheuer den riesigen, mit Zirkonium verkleideten Behälter von allen Seiten. Der Biologe schaltete das Licht ein und bat die Tantra, den Strahlenschutz herzustellen. Die schwarzen Gespenster lösten sich wie üblich sofort in Luft auf, nur zwei von ihnen blieben unter dem hermetisch geschlossenen Deckel im Tank gefangen.

Als Nächstes schlich sich der Biologe an den Tank heran. Aber als er den Deckel berührte, erhielt er einen derart heftigen Schlag, dass er einen lauten Schmerzensschrei nicht unterdrücken konnte. Sein linker Arm hing wie gelähmt herunter.

Der Mechaniker Taron zog einen speziellen Raumanzug über, der ihn gegen hohe Temperaturen schützte. Erst dann konnte er den Tank mit reinem irdischen Stickstoff füllen und den Deckel zuschweißen. Auch die Hähne wurden zugelötet. Man umwickelte den Tank mit einem Stück vorrätiger Schiffsisolation und brachte ihn in das Funddepot des Schiffes. Aber der Sieg war teuer erkauft worden — die Lähmung im Arm des Biologen ließ nicht nach, obwohl die Ärztin verschiedene Maßnahmen ergriff. Trotz starker Schmerzen dachte Eon Tal nicht daran, auf die Untersuchung des Tellerschiffes zu verzichten. Erg Noor seinerseits brachte es nicht fertig, seinen Kollegen in seinem unstillbaren Entdeckungsdrang aufzuhalten und ihn auf der Tantra zurückzulassen.

Das Tellerschiff — ein Gast aus fernen Welten — war weiter von der Parus entfernt, als die Reisenden dies zuerst angenommen hatten. Im diffusen Scheinwerferlicht hatten sie die Ausmaße des Schiffes nicht richtig eingeschätzt. Es war ein wahrlich kolossales Gebilde von nicht weniger als vierhundert Metern Durchmesser. Um den Schutzgürtel bis zur Scheibe auszudehnen, waren sie sogar gezwungen, die Kabel von der Parus abzumontieren. Das geheimnisvolle Sternenschiff ragte wie eine Steilwand vor den Menschen auf, erhob sich weit über ihre Köpfe und verlor sich im gefleckten Dunkel des Himmels. Kohlrabenschwarze Wolken verdeckten sein oberes Drittel. Der Rumpf war mit einer malachitfarbenen Masse verkleidet. Die stark rissige Schicht war ungefähr einen Meter dick. Unter den klaffenden Rissen lugte grelles, hellblaues Metall hervor, das an den Stellen, wo sich die Malachitschicht gelöst hatte, dunkelblau durchschimmerte. An der Seite, die sich auf die Parus richtete, befand sich eine spiralförmige Ausstülpung in der Art einer gedrehten Welle von zwanzig Metern Durchmesser und ungefähr zehn Metern Höhe. Die andere Seite des Sternenschiffes, die in tiefes Dunkel gehüllt war, schien bauchiger, wie ein Kugelausschnitt, der an einer dreißig Meter dicken Scheibe angebracht ist. Auch auf dieser Seite befand sich eine spiralenförmige hohe Ausstülpung, die wie das Ende eines aus dem Schiffsrumpf hervorragenden spiralenförmigen Rohrs aussah.

Die riesige Scheibe war tief im Boden versunken. Am Fuße der Metallwand erblickten die Menschen einen geschmolzenen Stein, der wie dickflüssiges Pech nach allen Seiten auseinandergelaufen war.

Viele Stunden verbrachten die Forscher mit der Suche nach einer Luke. Sie war entweder unter der malachitfarbenen Schicht verborgen oder so raffiniert verschlossen, dass sie von außen nicht zu erkennen war. Sie fanden weder Öffnungen für optische Geräte noch Absperrventile eines Gebläses. Der Metallkoloss schien aus einem Stück gegossen zu sein. Erg Noor, der das vorausgesehen hatte, beschloss, den Rumpf des Schiffes mithilfe des elektrohydraulischen Schneidbrenners zu öffnen, der selbst die härtesten und zähesten Verkleidungen irdischer Sternenschiffe zu durchschneiden vermochte. Nach kurzer Beratung waren sich alle einig, die Spitze der spiralenförmigen Welle aufzuschneiden. An dieser Stelle musste doch eine Art Hohlraum, ein Rohr oder ein Gang ins Schiffsinnere führen, durch den sie in das Schiff eindringen könnten, ohne Gefahr zu laufen, auf eine Reihe von hintereinander liegenden Schotten zu stoßen.

Die gründliche Untersuchung des Tellerschiffes konnte nur von einem Spezialtrupp durchgeführt werden. Aber damit der Sternenrat bereit wäre, einen solchen auf den gefährlichen Planeten zu entsenden, galt es nachzuweisen, dass im Inneren dieses Gebildes Geräte, Material und Gebrauchsgegenstände aus fernen Welten unversehrt erhalten geblieben waren. Gegenstände, die das Schiff über solche unendlichen Distanzen durch den Raum transportiert hatte, dass die Flüge der irdischen Sternenschiffe im Vergleich dazu nur schüchterne Ausflüge in die Weiten des Kosmos waren.

Auf der von der Parus abgewandten Seite der Scheibe reichte die Spiralwelle bis an den Boden. Dorthin schleppten sie einen Scheinwerfer und Hochspannungsleitungen. Das von der Scheibe reflektierte bläuliche Licht breitete sich wie ein trüber Nebel über die Ebene und über eine Reihe undeutlicher, dunkler Objekte in der Ferne aus, vermutlich Felsen, zwischen denen abgrundtiefe Finsternis lag. Weder der blasse Widerschein der verschwommenen Sterne noch das Licht des Scheinwerfers ließen dort Boden vermuten. Wahrscheinlich befand sich dort der Abhang, der in die tiefer gelegene Ebene hinunterführte, die sie bei der Landung der Tantra gesehen hatten.

Mit einem tiefen und dumpfen Schnauben rollte der automatische Karren heran und lud den einzigen auf dem Schiff befindlichen Universalroboter ab. Da er gegen die dreifache Schwerkraft unempfindlich war, bewegte er sich rasch auf die Scheibe zu und blieb wie ein dicker Mensch mit zu kurzen Beinen, einem langen Rumpf und einem riesigen, drohend nach vorn gebeugten Kopf an der Metallwand stehen.

Von Erg Noor gesteuert, hob der Roboter mit seinen vier oberen Extremitäten den schweren Schneidbrenner auf und stand mit gespreizten Beinen da — bereit zur Durchführung des gefährlichen Vorhabens.

„Steuern werden den Roboter nur Kay Ber und ich, da wir Vollschutzraumanzüge anhaben“, sagte der Expeditionsleiter ins Mikrofon. „Alle Übrigen in den leichten biologischen Anzügen treten ein Stück zurück…“

Der Kommandant zögerte. Irgendetwas war in sein Bewusstsein eingedrungen, hatte in seinem Herzen eine niederschmetternde Melancholie ausgelöst und seine Knie zum Schwanken gebracht. Der stolze menschliche Wille war erschlafft und hatte der stumpfen Ergebenheit eines Tieres Platz gemacht. Schweißgebadet und willenlos lenkte Erg Noor seine Schritte auf einmal in Richtung der schwarzen Felsspalten. Ein Aufschrei Nisas in seinem Kopfhörer brachte ihn wieder zur Besinnung. Er blieb stehen, aber die Macht der Finsternis, die seine Psyche ergriffen hatte, trieb ihn von Neuem weiter.

Auch Ber und Eon Tal, die am Rande des Lichtkreises gestanden hatten, traten jetzt zum Kommandanten. Alle drei schienen gegen sich selbst anzukämpfen. Dort, aus dem finsteren Abgrund zwischen den Felsen, begann sich etwas zu bewegen, das über jedes menschliche Vorstellungsvermögen hinausging und deshalb umso furchterregender war. Es waren nicht die bereits bekannten medusenhaften Geschöpfe. In dem grauen Halbschatten bewegte sich ein schwarzes Kreuz mit riesigen Schaufeln und einer konvexen Ellipse in der Mitte. An drei Enden des Kreuzes waren Linsen zu sehen, die das Licht des Scheinwerfers reflektierten, der sich nur mit Mühe durch den Nebel feuchter Ausdünstungen bohrte. Das Fundament des Kreuzes war im Dunkel einer unbeleuchteten Bodenvertiefung versunken.

Erg Noor, der rascher als die anderen ausschritt, hatte sich dem unerklärlichen Objekt auf ungefähr hundert Meter genähert, als er plötzlich zu Boden stürzte. Bevor seine vor Schreck erstarrten Kollegen noch begreifen konnten, dass es um Leben oder Tod ihres Kommandanten ging, war das schwarze Kreuz bereits über die in einem Kreis gespannten Leitungen hinausgewachsen und neigte sich darüber hinweg nach vorn wie der Stängel einer Pflanze, offensichtlich mit der Absicht, Erg Noor zu ergreifen.

Rasend vor Angst und Wut stürzte Nisa auf den Roboter zu und begann an den Steuerungshebeln in seinem Nacken zu hantieren. Langsam und irgendwie unsicher packte der Roboter den Schneidbrenner. Darauf sprang das Mädchen, unsicher, ob es ihr gelungen war, die komplizierte Maschine richtig zu programmieren, nach vorn und warf sich auf den Kommandanten. Aus den drei Enden des Kreuzes schossen schlangenförmige Lichtstrahlen wie Blitze hervor. Das Mädchen war mit weit ausgebreiteten Armen auf Erg Noor gefallen. Aber der Roboter hatte inzwischen die trichterförmige Öffnung des Schneidbrenners mit der scharfen Schneide auf die Mitte des schwarzen Kreuzes gerichtet. Das fremde Wesen zuckte wie von Krämpfen geplagt zusammen, schien rücklings niederzufallen und tauchte dann in die undurchdringlichen Finsternis an den Felsen zurück. Erg Noor und seine beiden Gefährten kamen sofort wieder zu sich, hoben das Mädchen auf und zogen sich hinter das Tellerschiff zurück. Die anderen Reisegefährten hatten sich ebenfalls von dem Schock erholt und rollten bereits die aus dem planetarischen Triebwerk improvisierte Kanone heran. Mit einer schrecklichen Wut, wie er sie noch nie zuvor verspürt hatte, richtete Erg Noor den vernichtenden Feuerstrahl auf die Felsspalten, wobei er mit besonderer Sorgfalt die Ebene ausfegte und keinen Quadratmeter Boden ausließ. Eon Tal kniete vor der regungslosen Nisa, rief sie leise durchs Mikrofon an und versuchte einen Blick auf ihr Gesicht hinter dem Silikollhelm zu erhaschen. Das Mädchen lag reglos da und hatte die Augen geschlossen. Atemzüge konnte der Biologe weder über Sprechfunk hören noch durch den Raumanzug wahrnehmen.

„Das Ungeheuer hat Nisa getötet!“, schrie Eon Tal bitter auf, als er Erg Noor näher kommen sah.

Die Augen des Kommandanten waren durch den schmalen Sehschlitz des Vollvisierhelms nicht zu erkennen.

„Bringen Sie sie sofort zu Luma auf die Tantra!“, sagte Erg Noor, und der metallische Ton in seiner Stimme war deutlicher zu hören als je zuvor. „Helfen Sie der Ärztin, Sie müssen unbedingt herausfinden, was für eine Art der Verletzung Nisa hat! — Wir bleiben zu sechst zurück und führen die Untersuchung zu Ende. Das heißt, halt, auch die Geologin soll mit Ihnen zurückkehren und auf dem Weg zurück bis zur Tantra Gesteinsproben sammeln. Wir dürfen nicht länger auf diesem Planeten bleiben. Für eine gründliche Untersuchung brauchen alle Forscher Vollschutzpanzer. So wie wir jetzt ausgerüstet sind, gefährden wir nur unser Leben. Nehmen Sie den dritten Karren, und beeilen Sie sich!“

Erg Noor wandte sich ab und ging, ohne sich umzusehen, auf das Tellerschiff zu. Die „Kanone“ nahmen die Forscher nun mit sich, und alle zehn Minuten schaltete der zuständige Ingenieur den Feuerstrahl ein und ließ ihn über den gesamten Halbkreis bis zum Rand des Tellerschiffs gleiten. Der Roboter brachte den Schneidbrenner zum Kamm der zweiten äußeren Schleife der Spiralwelle, die ihm hier, wo die Scheibe tief im Boden versunken war, bis an die Brust reichte.

Das laute Surren des Schneidbrenners drang sogar durch die dicken Vollschutzraumanzüge. An der ausgewählten Stelle entstanden viele kleine Risse in der Malachitschicht. Stücke des festen Materials spritzten davon und prallten klirrend gegen den Metallkörper des Roboters. Die Querbewegungen des Schneidbrenners lösten eine große Platte aus der Schicht und legten eine körnige hellblaue Fläche frei, die im Scheinwerferlicht sogar angenehm anzusehen war. Nachdem Kay Ber ein Quadrat markiert hatte, das groß genug war, um einen Menschen mit Raumanzug durchzulassen, ließ er den Roboter mit einem energischen Druck einen tiefen Schnitt in das hellblaue Metall machen. Der Roboter zog eine zweite Linie im rechten Winkel zur ersten und bewegte das scharfe Ende des Schneidbrenners vor und zurück, wobei der Druck ständig erhöht wurde. Der Schnitt im Metall war bereits mehr als einen Meter tief. Als der Hilfsmechaniker die dritte Linie des Quadrats zog, wichen die Schnittlinien auseinander und stülpten sich nach außen.

„Vorsicht! Alle zurück! Hinlegen!“, schrie Erg Noor ins Mikrofon, schaltete den Roboter aus und wich zurück.

Das dicke Metallstück klappte plötzlich wie der Deckel einer Konservendose auf, und aus der Öffnung brach, gefolgt von einer Explosion, eine unglaublich grelle, regenbogenfarbene Stichflamme hervor, die in einer Tangente auf die Spiralwelle zuschoss. Das hellblaue Metall schmolz augenblicklich, legte sich über die eben ausgeschnittene Öffnung und verschloss sie wieder. Von dem kräftigen Roboter war nur ein Klumpen geschmolzenen Metalls übrig geblieben, aus dem die kurzen Metallbeine kläglich herausragten. Erg Noor und Kay Ber waren lediglich dank der Vollschutzraumanzüge unversehrt geblieben. Die Explosion hatte sie und auch noch die übrigen Forscher, die sehr viel weiter entfernt gestanden hatten, weit von dem merkwürdigen Sternenschiff weggeschleudert, die „Kanone“ umgeworfen und die Hochspannungskabel zerrissen.

Als sich die Menschen von dem Schock erholt hatten, begriffen sie, dass sie nun schutzlos waren. Zum Glück befanden sie sich noch im Lichtkegel des einzigen heil gebliebenen Scheinwerfers. Es war niemand verletzt worden, aber Erg Noor entschied, dass es zu gefährlich wäre, ihre Erkundungen weiterzuführen. Die Forscher ließen unnötige Instrumente, Kabel und den Scheinwerfer liegen, stiegen auf den unbeschädigten Karren und zogen sich rasch auf ihr Sternenschiff zurück.

Erg Noor war nur zu bewusst, dass es keineswegs seiner weisen Voraussicht zu verdanken war, dass bei dem riskanten Öffnungsversuch an dem fremden Sternenschiff niemand ernstlich verletzt worden war. Ein zweiter Versuch dieser Art würde möglicherweise längst nicht so glimpflich ausgehen… Und Nisa, die liebe, kleine Astronavigatorin, was war mit ihr? Erg Noor hoffte, dass der Raumanzug die tödliche Kraft des schwarzen Kreuzes abgeschwächt hatte. Schließlich war der Biologe durch die Berührung mit der schwarzen Meduse auch nicht getötet worden. Aber was konnten sie hier, weit entfernt von den mächtigen medizinischen Einrichtungen der Erde, gegen die mächtige unbekannte Waffe, die Nisa verletzt hatte, ausrichten?

In der Luftschleuse trat Kay Ber an den Kommandanten heran und zeigte auf die Rückseite seines linken Schulterstücks. Erg Noor wandte sich den Spiegeln zu, die dort zur obligatorischen Selbstkontrolle nach der Rückkehr von Expeditionen angebracht waren. Die dünne Schicht des aus Zirkonium und Titan bestehenden Schulterstücks war aufgerissen. Aus dem Riss ragte ein Stück himmelblauen Metalls hervor, das sich in das Isolationsfutter gebohrt, die innere Schicht des Raumanzugs jedoch nicht durchstoßen hatte. Mit Mühe gelang es, den Metallsplitter zu entfernen. Um den Preis großer Gefahren und letztlich nur zufällig hatten sie eine Probe des geheimnisvollen Metalls vom Tellerschiff erhalten, die sie nun zur Erde bringen würden.

Endlich hatte Erg Noor sich aus seinem Raumanzug geschält und wankte unter der drückenden Schwerkraft des schrecklichen Planeten mühsam ins Schiffsinnere.

Sämtliche Expeditionsteilnehmer erwarteten ihn mit großer Ungeduld. Die acht Besatzungsmitglieder, die nicht selbst dabei gewesen waren, hatten den Unfall beim Tellerschiff über Stereovideofone beobachtet. Jede Frage über den Ausgang des Versuchs erübrigte sich.

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