14. Die Stahltür

Zwanzig Tage lang hatte sich die automatische Streckenvortriebsmaschine in dem feuchten Dunkel vorgearbeitet und dabei Zehntausende Tonnen Schutt abgetragen und die eingestürzten Gewölbe abgestützt. Nun war der Weg zur unterirdischen Höhle wieder passierbar. Er musste lediglich noch auf seine Gefährlichkeit hin überprüft werden. Automatische Karren, die sich mithilfe von Raupenketten und einer archimedischen Schraube fortbewegten, glitten lautlos in die Tiefe. Auf die Karren montierte Spezialgeräte gaben alle hundert Meter die Zusammensetzung der Luft, die Temperatur und die Feuchtigkeit bekannt. Geschickt alle Hindernisse umgehend, drangen die Gefährte bis in eine Tiefe von vierhundert Metern vor. Erst nach dieser Überprüfung betrat Weda Kong mit einer Gruppe von Mitarbeitern die natürliche Höhle. Vor neunzig Jahren hatten während einer Suche nach unterirdischen Gewässern die Messgeräte mitten im ansonsten keineswegs erzhaltigen Kalk- und Sandstein plötzlich ein großes Metallvorkommen angezeigt. Bald stellte sich heraus, dass der Ort auf die Standortbeschreibung der legendären, jahrhundertealten Höhle Den-Of-Kul passte, was in der bereits ausgestorbenen Sprache so viel wie „Kultureller Zufluchtsort“ bedeutete. Vor Ausbruch eines schrecklichen Krieges hatten die Völker, die sich in der Wissenschaft und Kultur als führend betrachteten, in der Höhle die Schätze ihrer Zivilisation versteckt. In jenen fernen Epochen waren Verstecken und Geheimhaltung weit verbreitet…

Weda war nicht weniger aufgeregt als die jüngste ihrer Mitarbeiterinnen, als sie den schräg abfallenden, glitschigen roten Lehmpfad hinunterrutschte.

In ihrer Fantasie malte sie sich großartige Säle mit hermetisch verschlossenen Safes voller Filme, Zeichnungen und Karten, Schränke mit Kassetten oder Bändern von frühen Gedächtnismaschinen, Regale mit Proben von chemischen Verbindungen, Legierungen und Medikamenten aus. Längst ausgestorbene ausgestopfte Tiere in luft- und wasserdichten durchsichtigen Vitrinen, präparierte Pflanzen, Skelette, zusammengesetzt aus den versteinerten Knochen der ausgestorbenen Urbevölkerung des Planeten. Weiter sah sie auf Silikollplatten gegossene Bilder der berühmtesten Maler, ganze Galerien von Skulpturen der schönsten Vertreter der Menschheit, ihrer überragendsten Persönlichkeiten, meisterhaft dargestellte Tiere… Modelle berühmter Gebäude, Inschriften über denkwürdige Ereignisse, in Stein und Metall verewigt…

Ihren Träumen nachhängend, war Weda Kong inzwischen in eine gigantische Höhle von einem Ausmaß von ungefähr drei- bis viertausend Quadratmetern vorgedrungen. Von der sich im Dunkel verlierenden hochgewölbten Decke hingen lange Stalaktiten herab, die im elektrischen Licht glänzten. Es war ein wahrhafter Prachtsaal. Und wie Weda es sich ausgemalt hatte, standen in den mit Rippen und Vorsprüngen übersäten und mit Kalksinter bedeckten Nischen Maschinen und Schränke. Unter Freudenrufen verstreuten sich die Archäologen in dem unterirdischen Saal. Viele der Maschinen, die sich stellenweise den Glanz von Glas und Lack bewahrt hatten, erwiesen sich als Autos, an denen die Menschen der fernen Vergangenheit solche Freude hatten und die in der Ära der Uneinigen Welt als der Gipfel technischer Errungenschaften galten. Damals hatte man aus unbekannten Gründen sehr viele solcher Autos gebaut, die auf ihren weichen Sitzen lediglich ein paar wenige Menschen befördern konnten. Die Konstruktion dieser Autos war höchst elegant, die Steuerungsmechanismen und Motoren waren äußerst klug durchdacht, doch ansonsten stellten sie einen himmelschreienden Unsinn dar. Zu Tausenden füllten sie tagaus tagein die Straßen der Städte und Dörfer, um die aus unerfindlichen Gründen sehr weit von ihren Wohnungen entfernt arbeitenden Menschen zur Arbeit zu befördern. Diese Autos waren gefährlich zu fahren, töteten alljährlich zahllose Menschen, verbrannten Milliarden Tonnen kostbarer organischer Stoffe, die sich in der geologischen Vergangenheit des Planeten abgelagert hatten, und vergifteten die Atmosphäre mit Kohlendioxid. Die Archäologen der Ring-Ära waren sichtlich enttäuscht, als sie sahen, dass diese sonderbaren Vehikel so viel Platz in der Höhle einnahmen.

Auf niedrigen Gestellen standen noch größere Kolben- und Elektromotore, Düsen-, Turbinen und Atomtriebwerke. In Glasvitrinen, unter einer dicken Kalksinterschicht, lagen in vertikaler Anordnung verschiedene Geräte — wahrscheinlich Fernsehgeräte, Fotokameras, Rechenmaschinen oder andere Geräte mit ähnlichem Verwendungszweck. Dieses Maschinenmuseum mit seinen vielen Exponaten, die teilweise zu rostigem Staub zerfallen, teilweise noch gut erhalten waren, stellte einen unschätzbaren Wert dar, da es Licht auf den Stand der Technik einer fernen Vergangenheit warf, einer Zeit, von der ein Großteil der historischen Dokumente infolge von Kriegen und politischen Wirren verloren gegangen war.

Miiko Eygoro, Wedas treue Mitarbeiterin, die von Neuem ihr geliebtes Meer gegen die Feuchtigkeit und das Dunkel unterirdischer Gewölbe eingetauscht hatte, bemerkte an einem Ende des Saales, hinter einer dicken Kalksteinsäule, einen Zugang zu einem dunklen Gang. Die Säule erwies sich als das Gerippe einer Maschine, und zu ihren Füßen lag ein Häufchen Plastikstaub — die Überreste einer Platte, die einst den Eingang verschlossen hatte. Die Archäologen tasteten sich Schritt für Schritt hinter den roten Kabeln der Erkundungsmaschinen her und gelangten in eine zweite Höhle, die sich beinahe auf derselben Höhe befand und mit Reihen hermetisch verschlossener Glas- und Metallschränke angefüllt war. Eine lange, in englischer Sprache verfasste Inschrift in Großbuchstaben lief die steilen, an manchen Stellen abgebröckelten Wände entlang. Weda konnte sich nicht zurückhalten und begann sofort mit deren Entzifferung.

Mit einer für den Individualismus vergangener Zeiten typischen Prahlerei taten die Erbauer der Höhlen ihren Nachfahren kund, dass sie den Gipfel der Wissenschaft erreicht hätten und hier ihre gigantischen Errungenschaften für die Nachwelt aufbewahrten.

Miiko zuckte verächtlich die Achseln.

„Allein an der Inschrift kann man erkennen, dass diese Höhle, dieser sogenannte kulturelle Zufluchtsort, auf den Ausgang der Ära der Uneinigen Welt und die letzten Jahre des Bestehens der alten Gesellschaftsordnung zurückgeht. Dieser wahnwitzige Glaube an das ewige und unveränderliche Weiterleben der westlichen Zivilisation, ihrer Sprache, ihres Brauchtums, ihrer Moral und der Erhabenheit des sogenannten weißen Mannes ist doch absolut typisch dafür. Oh, wie ich diese Zivilisation verabscheue!“

„Sie haben eine lebendige, aber einseitige Vorstellung von der Vergangenheit, Miiko. Ich sehe hinter dem grausigen Skelett des abgestorbenen Kapitalismus auch diejenigen Menschen, die für die Zukunft, für unsere Gegenwart kämpften. Ich sehe eine Unzahl von Frauen und Männern, die in ihrem engen, armseligen Dasein nach einem Licht suchten, die so gutmütig waren, anderen zu helfen, und stark genug, im moralischen Sumpf ihrer Umwelt nicht zu verbittern. Tapfere, unbeschreiblich tapfere Menschen!“

„Aber die Leute, die hier ihre Kultur versteckten, waren nicht so“, entgegnete Miiko. „Sehen Sie doch, hier wurden lediglich technische Dinge zusammengetragen. Sie brüsteten sich mit ihrem technischen Entwicklungsstand, ohne ihre eigene wachsende moralische und emotionale Verrohung zu bemerken. Sie hatten für die Vergangenheit nur Verachtung übrig und waren blind für die Zukunft!“

Miiko hat recht, dachte Weda. Das Leben der Begründer dieses Höhlenmuseums wäre leichter gewesen, hätten sie es verstanden, das Erreichte ins richtige Verhältnis zu dem zu bringen, was es für eine echte Umgestaltung der Welt und der Gesellschaft noch zu tun galt. Dann hätten sie ihren verschmutzten, verrußten, mit Papiermüll und Glassplittern, Ziegelsteinen und rostigem Eisen überschütteten Planeten mit seinen abgeholzten Wäldern im rechten Licht gesehen. Dann hätten sie besser begriffen, was ihre Aufgabe war, und hätten aufgehört, sich mit Eigenlob zu blenden.

Ein enger und steiler, zweiunddreißig Meter langer Schacht führte in einen dritten Saal hinunter. Nachdem sie Miiko mit zwei Helfern losgeschickt hatte, um das Gammatron für die Durchstrahlung der Schränke zu holen, machte sich Weda daran, die dritte Höhle zu besichtigen, die frei von Kalksinter und Schwemmlehm war. Die niedrigen rechteckigen Vitrinen aus Gussglas waren lediglich von der eingedrungenen Feuchtigkeit beschlagen. Ihre Nasen an das Glas gedrückt, sahen die Archäologen die raffiniertesten Schmuckstücke aus Gold, Platin und kostbaren Edelsteinen.

Nach der handwerklichen Ausführung zu urteilen, wurden diese uralten Reliquien in einer Epoche zusammengetragen, als der Mensch das Alte noch höher schätzte als das Neue, eine Gewohnheit, die auf den Ahnenkult zurückzuführen war. Genau wie beim Lesen der Inschrift ärgerte sich Weda über die wahnwitzige Selbstsicherheit der Menschen, die da überzeugt gewesen waren, ihre Wertvorstellungen und ihr Geschmack seien eine absolute, auch über Jahrtausende hinweg unveränderliche Größe und würden von den fernen Nachfahren als eine Art Kanon übernommen werden.

Das andere Ende der Höhle ging in einen hohen und geraden Gang über, der steil in unbekannte Tiefen abfiel. Die Instrumente auf den automatischen Erkundungsmaschinen zeigten am Beginn des Gangs einen Abstand von dreihundertvier Metern zur Erdoberfläche an. Breite Risse teilten das überhängende Gewölbe in gigantische Kalksteinplatten, von denen jede einzelne Tausende von Tonnen wiegen musste. Weda wurde plötzlich unruhig. Die junge Frau hatte genügend unterirdische Gewölbe erforscht, um zu wissen, dass sich die Gesteinsmassen am Fuße des Bergrückens in labilem Gleichgewicht befanden. Möglich, dass sie durch ein Erdbeben verschoben worden waren. Jedenfalls hatte sich die Höhle — wie so viele Gebirgszüge — in den Jahrhunderten seit der Schaffung der Schatzkammer wenigstens fünfzig Meter gehoben. Die riesigen Gesteinsmassen abzustützen war für eine gewöhnliche archäologische Expedition unmöglich. Nur wichtige wirtschaftliche Ziele des Planeten hätten solche umfassenden Anstrengungen gerechtfertigt.

Andererseits konnten die in einer so tiefen Höhle verborgenen historischen Geheimnisse auch von technischem Wert sein, zum Beispiel, wenn es sich um vergessene, aber für die Gegenwart nützliche Erfindungen handelte.

Kluge Vorsicht hätte in diesem Fall geboten, auf eine weitere Erforschung zu verzichten. Doch weshalb sollte ein Forscher mit seiner eigenen Person so vorsichtig umgehen? Wenn Millionen von Menschen riskante Arbeiten und Experimente durchführten, wenn Dar Weter mit seinen Leuten in einer Höhe von siebenundfünfzigtausend Kilometern über der Erde arbeitete und Erg Noor sich auf eine Reise ohne Rückkehr vorbereitete! Keiner der beiden, die Weda so sehr verehrte, würde zurückscheuen… Und schließlich auch sie nicht…

Reservebatterien, eine elektronische Kamera, zwei Sauerstoffgeräte… und sie und Miiko, die keine Furcht kannte, würden zu zweit hinuntergehen und die Kollegen zur Untersuchung des dritten Saales zurücklassen.

Weda Kong riet ihren Mitarbeitern, sich zu stärken. Sie holten ihre Lunchplatten hervor, die aus leicht verdaulichen Eiweißen, Zuckern bestanden, sowie aus Präparaten aus Vitaminen, Hormonen und Nervenstimulanzien, die die Ermüdungstoxine zerstörten. Weda war nervös und ungeduldig und wollte nichts essen. Nach vierzig Minuten kam Miiko endlich zurück. Sie hatte offensichtlich der Versuchung nicht widerstehen können, rasch einige Schränke zu durchstrahlen, um deren Inhalt zu untersuchen.

Die Nachfahrin der japanischen Perltaucherinnen dankte ihrer Expeditionsleiterin mit einem Blick für ihre Geduld und war im Handumdrehen fertig.

Die dünnen roten Kabel liefen in der Mitte des Gangs entlang. Das blassviolette Licht der selbstleuchtenden Gaslampen, die jede der Frauen wie eine Krone auf dem Kopf trug, konnte das jahrtausendealte Dunkel vor ihnen nicht durchdringen. Der Gang fiel immer steiler abwärts, dumpf und gleichmäßig tropften riesige kalte Tropfen von der Decke. Von den Seiten und von unten vernahmen sie das Plätschern von Wasser, das in Rinnen dahinfloss. Die feuchtigkeitsschwangere Luft stand bleiern in dem dunklen unterirdischen Gewölbe. Nur in einer Höhle herrschte eine solche Stille — dort, wo die tote und träge und gefühllose Materie der Erdkruste über sie wachte. Draußen, in der freien Natur, konnte man, so tief das Schweigen auch sein mochte, wenigstens verborgenes Leben, die Bewegung von Luft, Licht oder Wasser immer erahnen.

Miiko und Weda fühlten sich unwillkürlich wie hypnotisiert von der tiefen Höhle, die sie tief in den schwarzen Schoß der Erde zog, als versänken sie in den Abgründen der toten Vergangenheit, die von der Zeit ausgelöscht, nur in den gespenstischen Gebilden der Fantasie weiterlebte.

Der Abstieg ging rasch vonstatten, obgleich der Boden des Gangs mit einer dicken glitschigen Lehmschicht bedeckt war. An manchen Stellen versperrten ihnen lose Felsblöcke den Weg, und sie mussten sich durch den Spalt zwängen, der zwischen Decke und Fels frei geblieben war. In einer halben Stunde waren Miiko und Weda hundertneunzig Meter weit gekommen und hatten eine glatte Wand erreicht, vor der die beiden Erkundungskarren friedlich lagen. Nur ein Lichtstrahl genügte, um in der Wand eine massive und hermetisch abgeschlossene Tür aus rostfreiem Stahl zu erkennen. In der Mitte der Tür waren zwei konvexe Kreise mit Zeichen, vergoldete Zeiger und Hebel angebracht. Das Schloss öffnete sich auf eine bestimmte Signalkombination hin. Die beiden Archäologinnen kannten diese Art von Schließanlagen, jedoch stammten sie aus einer früheren Epoche. Nach kurzer Beratung begannen Weda und Miiko das Schloss zu untersuchen. Es ähnelte jenen boshaft cleveren Konstruktionen, mit welchen die Menschen einst „Fremde“ von ihren Schätzen fernzuhalten versuchten — in der Ära der Uneinigen Welt teilten die Menschen ihre Umwelt in „eigene“ und „fremde“ Leute ein. Die Forscherinnen wussten, dass der Versuch, eine solche Tür zu öffnen, oft massive Abwehrmechanismen aktivierte — Explosivgeschosse wurden abgefeuert, Giftgase oder blind machende Strahlen ausgespien. Schon so mancher Forscher war bei derartigen Versuchen ums Leben gekommen.

Diesen Spezialschlössern aus beständigen Metallen oder hoch entwickelten Kunststoffen konnten ein paar Jahrtausende nichts anhaben — eine große Anzahl von Menschen musste ihr Leben lassen, bevor die Archäologen herausgefunden hatten, wie man solche Stahltüren entschärfte.

Offensichtlich war auch diese Tür nur mit Spezialwerkzeug zu öffnen. Kurz vor der Entdeckung des größten Geheimnisses der Höhle waren Weda und Miiko nun gezwungen umzukehren. Denn wer konnte noch daran zweifeln, dass hinter der Stahltür das für die Menschen der Vergangenheit Größte und Wertvollste verborgen lag? Weda und Miiko machten ihre Taschenlampen aus und setzten sich allein im Schein ihrer Kronen nieder, um etwas zu essen.

„Was kann nur dort drinnen sein?“, seufzte Miiko, den Blick noch immer auf die hochmütig glänzenden, goldenen Zeichen geheftet. „Als ob sie sich über uns lustig machen wollten: ›Ich lasse euch nicht ein, ich gebe nichts preis…‹“

„Was haben Sie eigentlich bei der Durchstrahlung der Schränke im zweiten Saal entdeckt?“, entgegnete Weda, um ihren primitiven und unsinnigen Ärger über das unerwartete Hindernis zu vertreiben.

„Konstruktionspläne von Autos, Bücher, aber nicht auf altem Holzpapier, sondern auf Metallfolien; irgendwelche Filmrollen, Aufzeichnungen, Stern- und Erdkarten.“

„Im ersten Saal Prototypen von Autos, im zweiten die technischen Unterlagen dazu, im dritten — wie könnte man es nennen — Kostbarkeiten einer Epoche, in der das Geld noch regierte. Was wollen Sie, das alles entspricht dem üblichen Schema.“

„Wo aber liegt das verborgen, was wir als Kostbarkeiten betrachten würden?“, rief Miiko aus. „Die höchsten Errungenschaften der geistigen Entwicklung der Menschheit: der Wissenschaft, der Kunst, der Literatur?“

„Ich hoffe, hinter dieser Tür“, antwortete Weda ruhig. „Obwohl ich keineswegs verwundert wäre, wenn wir dort Waffen fänden.“

„Was? Was haben Sie gesagt?“

„Rüstungsgüter, Massenvernichtungsmittel.“

Die kleine Miiko überlegte, ihr Gesicht wurde traurig.

„Ja, wenn man den Zweck dieses Verstecks bedenkt, dann klingt es logisch“, sagte sie leise. „Hier wurden die wesentlichen technischen und materiellen Kostbarkeiten der westlichen Zivilisation vor einer möglichen Vernichtung in Sicherheit gebracht. Doch was galt damals als wesentlich, zu einer Zeit, als es noch keine gesamtplanetarische öffentliche Meinung oder wenigstens eine friedliche Übereinkunft unter den Völkern gab? Die Notwendigkeit und Wichtigkeit einer Sache wurde von der jeweils herrschenden Gruppe von Menschen festgelegt, die durchaus nicht immer kompetent waren. Deshalb wird hier mit Sicherheit nicht das verborgen liegen, was für die Menschen wirklich von größtem Wert war, sondern das, was die eine oder andere Gruppe eben für das Wertvollste hielt. Sie waren vor allem darauf bedacht, Autos und möglicherweise auch Waffen in Sicherheit zu bringen, da sie nicht begriffen, dass sich eine Zivilisation ähnlich wie ein lebendiger Organismus entwickelt.“

„Ja, nämlich durch den Zuwachs und die Aneignung von Arbeitserfahrung, Wissenschaft, Technik, von Vorräten an Materialien, reinsten chemischen Substanzen und Bauten. Die Wiederherstellung einer zerstörten hohen Zivilisation wäre infolge des Mangels an hochfesten Legierungen, seltenen Metallen, Maschinen mit großer Produktivität und hoher Präzision undenkbar. Wenn all das zerstört wäre, wo sollte man dann die Materialien, die Erfahrung und die Fertigkeiten hernehmen, immer kompliziertere kybernetische Maschinen zu bauen, die die Bedürfnisse von Milliarden von Menschen befriedigen könnten?“

„Genauso undenkbar wäre es damals gewesen, zu einem nicht maschinellen Zeitalter, wie dem der Antike, zurückzukehren, von der sie manchmal träumten.“

„Natürlich. Statt der antiken Kultur hätten sie eine schreckliche Hungersnot heraufbeschworen. Diese Individualisten und Träumer wollten nicht begreifen, dass die Geschichte nicht umkehrbar ist!“

„Ich bin nicht absolut sicher, dass sich hinter der Tür Waffen befinden, aber vieles spricht dafür.“ Weda kehrte zum Ausgangspunkt ihres Gesprächs zurück. „Wenn die Menschen, die dieses Versteck anlegten, gefangen waren in dem für ihre Zeit so typischen Irrglauben, dass Kultur und Zivilisation gleichzusetzen seien. Und wenn sie keine Ahnung hatten von ihrer Pflicht, die Emotionen des Menschen zu entwickeln und zu erziehen, dann waren die Werke der Kunst und Literatur und eine Wissenschaft, die weit über die alltäglichen Bedürfnisse hinausgeht, für sie nicht lebensnotwendig. In jenen Zeiten unterteilte man die Wissenschaft sogar in nützliche und nutzlose Bereiche, ohne an ihre Einheit zu denken. Es gab Zweige der Wissenschaft und der Kunst, die lediglich als angenehm, jedoch keineswegs als notwendige Begleiter im Leben des Menschen galten. Da hier nur das Wichtigste versteckt ist, nehme ich an, dass es Waffen sind, so naiv und unsinnig das uns modernen Menschen auch erscheinen mag.“

Weda verstummte und starrte auf die Tür.

„Vielleicht ist es nur ein Kombinationsschloss, und wir können es durch Abhorchen mit einem Mikrofon öffnen“, sagte sie plötzlich und ging auf die Tür zu. „Riskieren wir es?“

Miiko sprang zwischen die Tür und die Freundin.

„Nein, Weda! Wozu dieses sinnlose Risiko?“

„Ich habe das Gefühl, die Höhle wird nicht mehr lange halten. Wenn wir zurückgehen, werden wir vielleicht nicht mehr die Chance haben, zurückzukommen… Hören Sie?“

Ein undeutliches, aus der Ferne kommendes Geräusch drang von Zeit zu Zeit in die Kammer vor der Tür. Bald kam es von unten, bald von oben.

Doch Miiko blieb hart. Sie stand mit dem Rücken vor der Tür, die Arme ausgebreitet.

„Wenn dort wirklich Waffen sind, Weda! Dann werden sie bestimmt nicht ungeschützt sein…“

Zwei Tage später wurden Koffergeräte in die Höhle gebracht — ein Röntgenreflexschirm zur Untersuchung des Mechanismus und ein fokussierbarer Hochfrequenzstrahler zur Zerstörung der Sperrvorrichtung. Doch die Geräte kamen nicht mehr zum Einsatz.

Plötzlich war aus dem Inneren der Höhle ein stoßweises Grollen zu hören. Ein starkes Erbeben des Bodens unter ihren Füßen ließ die Forscher, die sich gerade in der dritten und untersten Höhle befanden, instinktiv zum Ausgang stürzen.

Das Grollen wurde stärker und ging in ein dumpfes Knirschen über. Offensichtlich sackte das gesamte rissige Gestein entlang der Verwerfungslinie am Fuße des Bergrückens ab.

„Alles verloren!“, rief Weda kläglich. „Wir sind zu spät gekommen. Retten Sie sich nach oben“.

Und die Leute stürzten sich auf die automatischen Erkundungsgeräte und kletterten, sich an die Kabel der Maschinen klammernd, den Schacht hinauf. Das Grollen und Zittern der Steinwände war ihnen dicht auf den Fersen und holte sie schließlich ein. Ein schreckliches Gepolter… Die Rückwand der zweiten Höhle stürzte in den Abgrund, der sich an der Stelle des Schachtes — des Übergangs in den dritten Saal — auftat. Durch den gewaltigen Druck wurden die Archäologen zusammen mit Staub und feinem Steinschutt förmlich unter das Gewölbe des ersten Saales hinaufgeschleudert und stürzten dann wieder zu Boden. Ausgestreckt daliegend, warteten sie auf ihren Tod.

Die Staubwolken verzogen sich langsam. So weit durch den Dunst und Staub zu erkennen war, hatten die Stalagmitsäulen und die Vorsprünge ihre Form nicht verändert. In dem unterirdischen Gewölbe trat wieder Totenstille ein…

Weda kam zu sich und stand auf. Zwei Mitarbeiter wollten sie stützen, doch sie riss sich ungeduldig los.

„Wo ist Miiko?“

Ihre Assistentin stand an einen niedrigen Stalagmiten gelehnt und schüttelte sich den Steinstaub von Hals, Ohren und Haar.

„Beinahe alles verloren“, antwortete sie auf die stumme Frage. „Die unbezwingbare Tür bleibt geschlossen, unter einer vierhundert Meter dicken Steinschicht verschüttet. Die dritte Höhle ist zur Gänze zerstört, und die zweite… die zweite kann vielleicht noch ausgegraben werden. Darin befinden sich sowieso die für uns wertvollsten Fundstücke.“

„So ist es…“ Weda fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. „Aber wir sind mit unserem Zögern und unserer Vorsicht selbst daran schuld. Wir hätten den Einsturz vorausahnen müssen.“

„Eine Vorahnung, für die es keinerlei konkrete Beweise gegeben hätte. Wir sollten uns nicht ärgern. Ohnehin hätten wir diese Gesteinsmassen nicht abgestützt, nur um die zweifelhaften Schätze hinter der Tür zu bergen, oder? Ganz sicher jedenfalls nicht wegen unsinniger Waffen.“

„Und wenn es Kunstschätze, unschätzbare menschliche Schöpfungen gewesen wären? Nein, wir hätten rascher handeln können!“

Miiko zuckte die Achseln und führte die niedergeschlagene Weda hinter den Kollegen ins Freie hinaus, wo sie ein prachtvoller sonniger Tag, belebendes reines Wasser und eine schmerzlindernde elektrische Dusche erwarteten.

Wie so oft schritt Mwen Maas in seinem Zimmer auf und ab, das man ihm im obersten Stockwerk des Hauses der Geschichte im indischen Sektor des nördlichen Wohngürtels zugewiesen hatte. Er war erst vor zwei Tagen hierher übersiedelt, nachdem er seine Arbeit im Haus der Geschichte des amerikanischen Sektors beendet hatte.

Das Zimmer, genauer gesagt, die Veranda, deren Außenwand aus einer großen, polarisierenden Glasscheibe bestand, ging auf die blauen Weiten eines hügeligen Hochlandes hinaus. Von Zeit zu Zeit schaltete Mwen Maas die kreuzpolarisierten Fensterläden ein. Dann herrschte im Zimmer ein graues Halbdunkel, und auf dem Hemisphärenbildschirm zogen langsam Bilder vorüber, Ausschnitte von alten Kinofilmen, Skulpturen und Gebäude, die er zuvor ausgewählt hatte. Der Afrikaner sah sie sich an und fuhr dann fort, seinem Roboter-Sekretär die nächsten Sätze seines künftigen Buchs zu diktieren. Die Maschine erfasste das Gesagte, nummerierte die Seiten und ordnete sie nach speziellen und allgemeinen Themen.

Als er müde wurde, schaltete Mwen Maas die Fensterläden aus und trat ans Fenster, um seinen Blick in die Ferne schweifen zu lassen und über das Gesehene nachzudenken.

Er konnte sich nur darüber wundern, wie viel von der kürzlich vergangenen Kultur der Menschheit bereits in Vergessenheit geraten war. Zur Gänze verschwunden waren die sprachlichen Feinheiten, die für die Ära der Wiedervereinigten Welt so charakteristisch gewesen waren, mündliche und schriftliche Kunstgriffe, die einst als Kennzeichen gebildeter Menschen galten. Keiner schrieb mehr um der Musik des Wortes willen, was in der Ära der Gemeinsamen Arbeit noch stark verbreitet gewesen war. Verschwunden war das kunstfertige Jonglieren mit Worten, das sogenannte geistreiche Wortspiel. Noch früher entfallen war die Notwendigkeit, seine Gedanken zu tarnen, was in der Ära der Uneinigen Welt einst von so großer Wichtigkeit gewesen war. Vermutlich würde die Ära des Großen Rings das Zeitalter der Ausbildung eines dritten Signalsystems des Menschen — des Verstehens ohne Worte — werden.

Von Zeit zu Zeit wandte sich Mwen Maas mit neuen Formulierungen seiner Gedanken an den unermüdlichen automatischen Sekretär:

„Mit dem ersten Jahrhundert der Ring-Ära nimmt auch die von Ljuda Fir begründete Fluktuationspsychologie der Kunst ihren Anfang. Ihr war es gelungen, den Unterschied zwischen emotionalen Wahrnehmungen bei Frauen und Männern wissenschaftlich nachzuweisen, indem sie jenen Bereich offenlegte, der jahrhundertelang halb mystisch als das Unterbewusstsein betrachtet worden war. Aber dieser Beweis ist nur ein Teil ihres Verdienstes. Ljuda Fir leistete Größeres — sie umriss die Hauptaspekte der sinnlichen Wahrnehmungen, wodurch es gelang, diese bei beiden Geschlechtern in Übereinstimmung zu bringen.“

Ein Klingelzeichen und das Aufblitzen eines grünen Lämpchens riefen den Afrikaner plötzlich ans Televideofon. Ein Anruf während der Arbeitszeit hatte etwas Ernstes zu bedeuten. Der automatische Sekretär schaltete sich aus, und Mwen Maas lief nach unten in die Fernsprechzelle.

Mit abgeschürften und zerkratzten Wangen und tiefen Schatten unter den Augen grüßte ihn Weda Kong vom Bildschirm. Erfreut streckte ihr Mwen Maas seine großen Hände entgegen und rief damit ein schwaches Lächeln auf dem bekümmerten Gesicht der Freundin hervor.

„Helfen Sie mir, Mwen! Ich weiß, dass Sie beschäftigt sind, aber Dar Weter ist nicht auf der Erde, Erg Noor weit entfernt, und außer ihnen habe ich nur Sie, an den ich mich mit meiner Bitte wenden kann. Mir ist ein Unglück passiert…“

„Was? Dar Weter?“

„Oh, nein! Bei den Ausgrabungen ist eine Höhle eingestürzt.“ Weda erzählte kurz von den Vorfällen in der Höhle Den-Of-Kul.

„Sie sind jetzt der Einzige von meinen Freunden, der freien Zugang zum Prophetischen Gehirn besitzt.“

„Zu welchem der vier?“

„Zu dem der Geringeren Exaktheit.“

„Ich verstehe. Sie wollen die Möglichkeiten berechnen, mit dem geringsten Arbeits- und Materialaufwand bis zur Stahltür vorzudringen? Haben Sie die Daten?“

„Sie liegen vor mir.“

Mwen Maas schrieb einige Zahlen auf.

„Jetzt kommt es darauf an, wann die Maschine meine Daten entgegennimmt. Warten Sie, ich setze mich sofort mit dem diensthabenden Ingenieur des Prophetischen Gehirns in Verbindung. Das Gehirn der Geringeren Exaktheit befindet sich im australischen Sektor der Südzone.“

„Und das Gehirn der Höheren Exaktheit?“

„Im indischen Sektor der nördlichen Wohnzone, wo ich mich derzeit befinde… Ich schalte um, warten Sie.“

Während Weda vor dem erloschenen Bildschirm stand, versuchte sie sich das Prophetische Gehirn vorzustellen. Obwohl die junge Frau wusste, dass es sich um gigantische elektronische Rechenmaschinen der höchsten Klasse handelte, die beinahe jede beliebige Aufgabe aus den erforschten Gebieten der Mathematik zu lösen imstande waren, malte sie sich in ihrer Fantasie ein riesiges menschliches Gehirn mit seinen Windungen und Furchen aus, ein pulsierendes und lebendiges Gehirn. Es gab nur vier solcher Maschinen auf dem Planeten, wovon jede Einzelne auf ein anderes Spezialgebiet programmiert war.

Weda brauchte nicht lange zu warten. Der Bildschirm flammte auf, und Mwen Maas bat sie, ihn in sechs Tagen wieder anzurufen.

„Mwen, Ihre Hilfe ist unschätzbar!“

„Nur, weil ich einige Kenntnisse auf dem Gebiet der Mathematik besitze? Auch Ihre Arbeit ist unschätzbar wertvoll, weil Sie alte Sprachen und Kulturen kennen. Weda, Sie haben sich zu sehr in die Ära der Uneinigen Welt vertieft!“

Der Afrikaner lachte wohlwollend und gleichzeitig ansteckend, sodass Weda unwillkürlich in sein Lachen einstimmte. Mit einer Abschiedsgeste verschwand sie vom Bildschirm.

Zum verabredeten Zeitpunkt sah Mwen Maas die junge Frau auf dem Televideofon wieder.

„Sie brauchen gar nichts zu sagen — ich sehe Ihnen an, dass die Antwort ungünstig ausfällt.“

„Ja. Die Festigkeit liegt unter der Sicherheitsgrenze…“

„Dann bleibt uns nur noch eine Möglichkeit, nämlich einen Tunnel zur zweiten Höhle zu graben und die Safes herauszuholen“, sagte Weda traurig.

„Ist denn die Sache überhaupt einen solchen Kummer wert?“

„Verzeihen Sie, Mwen, auch Sie haben einmal vor einer Tür gestanden, hinter der ein Geheimnis verborgen lag. Natürlich war Ihr Geheimnis ein großes und für die Allgemeinheit von entsprechender Bedeutung, während das meine nur ein kleines Geheimnis ist. Doch emotional gesehen, wiegt mein Missgeschick genauso schwer wie Ihres.“

„Wir sind beide Unglücksraben. Und ich kann Ihnen versichern, dass wir noch öfters gegen Stahltüren anrennen werden.“

„Und eine wird sich öffnen!“

„Ja!“

„Sie haben doch nicht etwa ganz aufgegeben?“

„Natürlich nicht. Wir sammeln neue Fakten und Kennziffern für exaktere Kurven. Die Kraft des Kosmos ist so unwahrscheinlich groß, dass es naiv wäre, quasi mit einem Schürhaken darauf loszugehen… Genauso, als würden Sie mit bloßen Händen diese gefährliche Tür öffnen.“

„Und wenn man das ganze Leben lang warten muss?“

„Was bedeutet schon mein Leben, verglichen mit Kenntnissen von solcher Tragweite!“

„Mwen, wo ist Ihre leidenschaftliche Ungeduld geblieben?“

„Sie ist nicht verschwunden, sondern nur gezähmt. Durch Leid…“

„Und wie geht es Ren Boos?“

„Er hat es leichter. Er setzt seinen Weg mit der Suche nach einer Präzisierung seiner Abstraktion fort.“

„Ich verstehe. Einen Augenblick, Mwen. Da ist etwas Wichtiges hereingekommen.“

Der Bildschirm, auf dem Weda gerade noch zu sehen gewesen war, erlosch, und als er von Neuem aufflammte, war es Mwen Maas, als habe er eine andere Frau vor sich: Weda wirkte jung und unbekümmert.

„Dar Weter kommt auf die Erde zurück. Der Satellit 57 ist vorzeitig fertig gestellt worden.“

„So rasch? Alles fertig?“

„Vorerst wurden nur die Außenwände und die Kraftmaschinen aufgestellt. Die Innenarbeit ist einfacher. Er wird abberufen, um sich zu erholen und den Bericht von Junius Antus über die neue Form der Kommunikation innerhalb des Ringes zu analysieren.“

„Ich würde mich freuen, Dar Weter wiederzusehen.“

„Ganz bestimmt werden Sie ihn sehen… Ich habe noch mehr Neuigkeiten. Dank der Anstrengungen des gesamten Planeten stehen die Anamesonvorräte für die Lebed bereits zur Verfügung. Werden Sie zum Start kommen?“

„Ja. Der Planet will für die Verabschiedung der Besatzung der Lebed das Schönste und Beste aufbieten. Man hat sich auch gewünscht, dass Tschara den Tanz aufführt, den sie auf dem Fest der Flammenschalen dargeboten hat. Sie wird selbst zum zentralen Kosmodrom El Homra kommen. Treffen wir uns alle dort!“

„Gut, mein lieber Mwen!“

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