7. Symphonie in f-Moll, Farbtonart 4,750 µ

Durchsichtige Kunststoffplatten dienten als Wände für die breite, nach Süden zum Meer hin gerichtete Veranda. Das blasse diffuse Licht von der Decke leuchtete nicht um die Wette mit dem hellen Mond, sondern ergänzte ihn, machte das harte Schwarz seiner Schatten weicher. Beinahe die gesamte Meeresexpedition war auf der Veranda versammelt. Nur die jüngsten Mitglieder spielten ausgelassen im mondbeschienenen Meer. Kart San, der Maler, hatte sich mit seinem schönen Modell eingefunden. Der Leiter der Expedition, Frit Don, schüttelte sein langes goldfarbenes Haar, während er von der Untersuchung des von Miiko entdeckten Pferdes erzählte. Die Bestimmung des Materials der Statue zur Berechnung des zu bergenden Gewichts hatte zu überraschenden Ergebnissen geführt. Unter der aus einer besonderen Legierung bestehenden obersten Schicht befand sich reines Gold. Wenn das Pferd aus massivem Guss war, so musste das Gewicht des Standbildes selbst bei Abzug des von ihm verdrängten Wassers vierhundert Tonnen betragen. Zur Bergung dieses Monstrums waren riesige Schiffe mit Spezialvorrichtungen angefordert worden.

Auf die Frage, wie man sich die unsinnige Verwendung des wertvollen Materials erklären könne, erinnerte sich einer der ältesten Expeditionsteilnehmer an eine Legende über das Verschwinden der gesamten Goldreserven eines Landes, die ihm in einem historischen Archiv untergekommen war. Zu der Zeit hatte Gold noch als Gegenwert für geleistete Arbeit gegolten. Die verbrecherischen Herrscher, die sich der Tyrannei und Verarmung des Volkes schuldig gemacht hatten, ließen, ehe sie aus ihrem Land flüchteten — damals gab es Hindernisse, Grenzen, wie man es nannte, die den freien Verkehr der Völker untereinander beschränkten —, die gesamten Goldreserven zusammentragen und daraus eine Statue gießen, die sie auf dem verkehrsreichsten Platz der Hauptstadt des Landes aufstellten. Niemand konnte das Gold finden. Der Historiker äußerte die Vermutung, dass damals wahrscheinlich auch niemand ahnte, welches Metall sich unter der aus einer billigen, aber haltbaren äußeren Schicht befand.

Die Geschichte erregte allgemeine Aufmerksamkeit. Der Fund der riesigen Goldmenge war ein treffliches Geschenk an die Menschheit. Zwar stellte das schwere gelbe Metall schon längst keinen monetären Wert mehr dar, aber für die Herstellung elektrischer Geräte, medizinischer Präparate und vor allem von Anameson war es von größter Bedeutung.

In einer Ecke außerhalb der Veranda hatten sich Weda Kong, Dar Weter, der Maler, Tschara Nandi und Ewda Nal im engsten Kreis versammelt. Ren Boos setzte sich schüchtern in ihrer Nähe nieder.

„Sie hatten recht mit Ihrer Behauptung, dass der Künstler, besser gesagt, die Kunst überhaupt, stets hinter der unablässig fortschreitenden Entwicklung in Wissenschaft und Technik zurückbleibt und auch unweigerlich zurückbleiben muss“, sagte Dar Weter.

„Sie haben mich nicht verstanden“, entgegnete Kart San. „Die Kunst hat ihre Fehler bereits eingesehen und ihre Verantwortung vor der Menschheit erkannt. Sie hat aufgehört, bedrückende monumentale Formen zu schaffen, Glanz und Größe darzustellen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, weil dies rein äußerlich ist. Heute sieht die Kunst ihre Hauptaufgabe in der Entfaltung der emotionalen Seite des Menschen. Nur die Kunst besitzt die Kraft, die menschliche Psyche quasi zu stimmen und sie für die Wahrnehmung der kompliziertesten Eindrücke aufnahmebereit zu machen. Wer weiß nicht, wie zauberhaft leicht einem das Verstehen fällt, wenn man zuerst — durch Musik und Farben — eingestimmt wird…? Und wie sich das menschliche Herz verschließt, wenn man schroff und unter Anwendung von Zwang darin einzudringen versucht. Sie als Historiker wissen besser als alle anderen, wie viel Leid die Menschheit bei ihrem Kampf um die Entwicklung und Entfaltung der emotionalen Seite der menschlichen Psyche ertragen musste.“

„In ferner Vergangenheit gab es eine Zeit, da die Kunst nach abstrakten Formen strebte“, bemerkte Weda Kong.

„Die Kunst strebte nach Abstraktion in Nachahmung des Verstandes, dem man Vorrang gegenüber allem anderen eingeräumt hatte. Aber die Kunst, mit Ausnahme der Musik, die jedoch einen besonderen Platz innehat und auf ihre Art durchaus konkret ist, kann sich nicht abstrakt ausdrücken. Das war ein Irrweg.“

„Welchen Weg halten Sie dann für den richtigen?“

„Die Kunst soll meiner Meinung nach Ausdruck des Kampfes der Welt und ihrer Ängste in den Gefühlen des Menschen, manchmal auch eine Illustration des Lebens sein, aber stets unter Beachtung der allgemeinen Zweckmäßigkeit. Diese Zweckmäßigkeit ist denn auch die Schönheit, ohne die ich kein Glück und keinen Sinn im Leben sehe. Andernfalls artet die Kunst leicht in bizarre Fantasie aus, vor allem bei ungenügender Kenntnis des Lebens und der Geschichte…“

„Ich habe mir immer gewünscht, die Kunst würde die Welt bezwingen und verändern und nicht nur nachempfinden“, warf Dar Weter ein.

„Einverstanden!“, rief Kart San. „Aber unter einer Bedingung — nicht nur die äußere, sondern vor allem die innere Welt des Menschen, seine Emotionen und deren Entfaltung… mit einem Verständnis für alle Widersprüche.“

Ewda Nal legte ihre starke warme Hand auf Dar Weters Arm.

„Von welchem Traum haben Sie sich heute losgesagt?“

„Von einem sehr großen…“

„Jeder, der die Werke der Popkultur im Altertum — die Kinofilme, Aufzeichnungen von Theateraufführungen und Gemäldeausstellungen — gesehen hat, weiß, wie herrlich verfeinert, elegant und frei von allem Überflüssigen unsere heutigen Schauspiele, Tänze und Bilder sind…“, fuhr der Maler fort. „Dabei denke ich noch nicht mal an die Epochen der Dekadenz.“

„Er ist zwar klug, aber geschwätzig“, flüsterte Weda Kong.

„Einem Maler fällt es schwer, die komplizierten Erscheinungen, die er wahrnimmt und aus seiner Umwelt auswählt, mit Worten und Begriffen auszudrücken“, fiel Tschara Nandi ein, und Ewda Nal nickte zustimmend.

„Ich möchte die reinsten Körner der wunderbaren Echtheit von Gefühlen, Formen und Farben, verteilt auf viele Menschen, zusammentragen und in einer Gestalt vereinen“, sagte Kart San. „Ich möchte die Typen der menschliche Rasse der weit zurückliegenden Vergangenheit in ihrer vollkommensten Ausprägung reproduzieren, denn aus ihrer Vermischung ist unsere heutige Menschheit hervorgegangen. Die ›Tochter Gondwanas‹ verkörpert also das Einssein mit der Natur, das unterbewusste Wissen um den Zusammenhang zwischen Dingen und Erscheinungen, einen Komplex von Gefühlen und Empfindungen, der noch stark von Instinkten durchdrungen ist.

Die ›Tochter der Thetis‹ — des Mittelmeeres — besitzt hingegen stark ausgeprägte Gefühle, furchtlos expansiv und unendlich mannigfaltig — das ist bereits eine andere Stufe von Einssein mit der Natur, nämlich durch Emotionen statt durch Instinkte. Die Macht des Eros, offen und ganz der Entfaltung des Menschen untergeordnet. Die alten Kulturen des Mittelmeeres — die Kreter, Etrusker, Hellenen, Protoinder —, unter ihnen entstand das Bild von einem Menschen, der diese emotionale Kultur zu schaffen imstande war. Welch ein Glück, dass ich Tschara gefunden habe: In ihr sind durch Zufall die Züge der antiken Griechen und Kreter und der späteren Völker Mittelindiens vereint.“

Weda lächelte, da sie mit ihrer Vermutung recht behalten hatte, und Dar Weter flüsterte ihr zu, dass man schwerlich ein besseres Modell hätte finden können.

„Wenn mir die ›Tochter des Mittelmeeres‹ gelingt, dann folgt als dritter Teil des Planes unweigerlich eine goldhaarige oder dunkelblonde Frau des Nordens mit ruhigem und klarem Blick, hochgewachsen, etwas langsam in den Bewegungen, unverwandt in die Welt blickend, ähnlich den einstigen Russinnen, Skandinavierinnen oder Engländerinnen. Erst danach kann ich zur Synthese übergehen, das heißt, das Bild der heutigen Frau malen, in dem das Beste dieser drei Stammmütter vereint ist.“

„Weshalb eigentlich nur ›Töchter‹ und keine ›Söhne‹?“, fragte Weda lächelnd.

„Muss ich Ihnen etwa erklären, dass nach den Gesetzen der Physiologie das Schöne in der Frau stets vollkommener und ausgereifter ist…“, sagte der Maler finster.

„Wenn Sie Ihr drittes Bild malen, sollten Sie sich Weda Kong einmal ansehen“, begann Ewda Nal. „Sie werden kaum…“

Der Maler erhob sich unvermittelt.

„Glauben Sie, ich sehe das nicht selbst! Aber ich muss mich zusammennehmen, damit ich mir dieses Bild nicht jetzt einpräge, wo ich zur Gänze von einem anderen erfüllt bin. Aber Weda…“

„Träumt von Musik“, sagte diese leicht errötend. „Schade, dass es hier nur einen Sonnenflügel gibt, der in der Nacht stumm ist!“

„Ist es ein Flügel mit einem Halbleitersystem, das durch Sonnenlicht betrieben wird?“, fragte Ren Boos und lehnte sich über die Lehne seines Sessels. „Dann könnte ich ihn an das Stromnetz des Empfängers anschließen.“

„Dauert das lange?“, fragte Weda erfreut.

„Ungefähr eine Stunde.“

„Dann lassen wir es besser, denn in einer Stunde beginnt die Nachrichtensendung über das Weltnetz. Wir waren die letzten Tage so mit unserer Arbeit beschäftigt, dass wir schon an zwei Abenden die Nachrichten versäumt haben.“

„Dann singen Sie uns etwas vor, Weda“, bat Dar Weter. „Kart San besitzt eines dieser unvergänglichen Saiteninstrumente, die man bereits in der Feudalzeit des Mittelalters kannte.“

„Eine Gitarre“, flüsterte Tschara Nandi.

„Wer möchte spielen…? Ich werde es selbst versuchen. Vielleicht komme ich damit zurecht.“

„Ich werde spielen!“, Tschara erbot sich, ins Atelier zu laufen und die Gitarre zu holen.

„Laufen wir um die Wette“, schlug Frit Don vor.

Tschara warf neckisch ihren dichten schwarzen Haarschopf zurück. Sherliss drehte an einem Hebel und ließ die seitliche Wand der Veranda verschwinden, sodass man nun das gesamte Ufer bis zur östlichen Ecke der Bucht überblicken konnte. Frit Don jagte in Riesensätzen davon. Tschara folgte ihm mit zurückgeworfenem Kopf. Anfangs blieb das Mädchen zurück, aber das Atelier erreichten beide gleichzeitig. Sie stürzten sich in den schwarzen, unbeleuchteten Eingang und jagten einen Augenblick später bereits wieder verbissen und leichtfüßig den mondbeschienenen Meeresstrand entlang. Frit Don erreichte die Veranda als Erster, aber Tschara sprang durch ein offenes Seitenfenster und war somit vor ihm im Raum.

Weda klatschte vor Begeisterung in die Hände.

„Und dabei war Frit Don im Frühjahr Sieger im Zehnkampf!“

„Dafür hat Tschara Nandi die Tanzhochschule absolviert: beide Fächer — alte und neue Tänze“, bemerkte Kart San, ebenso begeistert wie Weda.

„Weda und ich haben auch Tanz studiert, aber nur in den unteren Klassen“, seufzte Ewda.

„Das macht heute jedermann“, hänselte der Maler.

Tschara und Frit waren zurückgekommen, und die junge Frau ließ ihre Finger langsam über die Saiten gleiten, während sie ihr kleines, festes Kinn in die Höhe reckte. In ihrer hohen Stimme schwangen Sehnsucht und heißes Flehen mit. Sie sang ein neues, erst vor Kurzem aus der südlichen Zone eingetroffenes Lied über einen unerfüllten Traum. Wedas tiefe Stimme fiel in den Gesang ein und wurde zu jenem aufstrebenden Lichtstrahl, um den sich Tscharas Gesang wand und bebte. Es war ein großartiges Duett — so verschiedenartig die beiden Sängerinnen auch waren, so gut ergänzten sie einander. Dar Weter blickte von einer zur anderen und konnte sich nicht klar werden, welcher der beiden Frauen der Gesang besser stand: Weda, die den Ellbogen auf das Pult des Empfängers stützte und den Kopf unter der Last der blonden, im Mondlicht silbern glänzenden Zöpfe gesenkt hielt, oder Tschara, die mit vorgebeugtem Oberkörper und der Gitarre auf den nackten runden Knien dasaß und deren Gesicht so stark gebräunt war, dass die Zähne und das klare, bläuliche Weiß ihrer Augen nur so blitzten.

Das Lied war zu Ende. Tschara griff unschlüssig in die Saiten. Und Dar Weter biss die Zähne zusammen. Sie spielte ausgerechnet jenes Lied an, das ihn Weda einst entfremdet hatte und das auch sie nun schmerzlich berühren musste.

Das Rollen der Saiten erfolgte in Stößen, die Akkorde jagten einander und erstarben kraftlos, bevor sie sich noch vereinen konnten. Die Melodie klang abgehackt, wie die Gischt der Wellen, die ans Ufer stürzen, für einen Augenblick im Sand auseinanderfluten und dann eine nach der anderen wieder ins schwarze, abgrundtiefe Meer zurückfließen. Tschara hatte keine Ahnung — mit klangvoller Stimme sang sie Worte der Liebe, die durch die eisigen Weiten des Weltraums von Stern zu Stern treibt und herauszufinden, zu verstehen und zu fühlen versucht, wo er ist… er, der auf der Suche nach Entdeckungen in den Kosmos flog und vielleicht nie wieder zurückkommen wird! Wenn sie doch nur für einen einzigen Augenblick erfahren könnte, wie es ihm ging, ihm mit einer flehenden Bitte, einem zärtlichen Gedanken oder Gruß helfen könnte!

Weda schwieg. Tschara, die spürte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, brach das Lied ab, sprang auf, warf die Gitarre dem Maler zu und ging, den Kopf schuldbewusst gesenkt, auf die regungslos dastehende blondhaarige Frau zu.

Weda lächelte.

„Tanzen Sie für mich, Tschara!“

Diese nickte folgsam, aber da mischte sich Frit Don ein:

„Mit dem Tanzen wollen wir noch etwas warten, jetzt beginnt nämlich die Sendung.“

Auf dem Dach des Hauses wurde ein Teleskoprohr ausgefahren mit zwei sich kreuzenden Metallflächen, die von acht Halbkugeln auf einem metallenen Ring gekrönt waren. Der Raum füllte sich mit mächtigen Klängen.

Zu Beginn der Sendung wurde eine der neuen Spiralstädte des nördlichen Wohngürtels gezeigt. Im Städtebau dominierten zwei Richtungen der Architektur: die Pyramiden- und die Spiralstadt. Sie wurden an Orten mit besonders günstigen Lebensbedingungen gebaut, immer am Meer und in der Nähe von automatischen Fabriken und umgeben von Wald- und Wiesengürteln.

Die Städte wurden terrassenförmig in die Höhe gebaut, sodass es kein Gebäude gab, dessen Fassade nicht zur Gänze der Sonne, dem Wind, dem Himmel und den Sternen zugewandt gewesen wäre. Im Inneren der Gebäude befanden sich Maschinen- und Lagerräume, Verteilungsstellen, Werkstätten und Küchen, die manchmal tief in die Erde hineingebaut waren. Die Verfechter der Pyramidenstädte priesen die relativ geringe Höhe der Gebäude bei bedeutendem Fassungsvermögen, wohingegen die Architekten der Spiralstädte ihre Bauwerke mehr als einen Kilometer in die Höhe bauten. Vor den Augen der Mitglieder der Meeresexpedition begann sich eine steile Spirale zu erheben, deren Millionen von opaleszierenden Kunststoffmauern, tragenden Porzellanrippen aus geschmolzenem Stein und Befestigungen aus poliertem Metall in der Sonne glänzten. Die einzelnen Windungen der Spirale stiegen allmählich von der Peripherie zum Zentrum an. Die Gebäudekomplexe waren durch tiefe vertikale Nischen unterteilt. In schwindelnder Höhe hingen leichte Brücken, Balkone und Gartenterrassen. Funkelnde vertikale Strebepfeiler wurden zum Fundament hin breiter und breiter und umfassten zwischen Tausenden von Arkaden riesige Treppen. Diese führten zu terrassenförmig angelegten Parks, die wie Strahlen zum ersten dichten Waldgürtel hin auseinanderliefen. Auch die Straßen folgten der Krümmung der Spirale — sie schwebten entweder frei über den Stadträndern oder verliefen unter einer Glasüberdachung im Stadtinneren. Aber sie wurden nicht von Wagen befahren, sondern in den vertikal verlaufenden Nischen verbargen sich unendlich lange Förderbänder.

Lebhafte, lachende und ernste Menschen eilten durch die Straßen oder spazierten unter den Arkaden und zogen sich an die Tausende von stillen Plätzchen zwischen den Kolonnaden, auf den Treppenübergängen oder in den Hängegärten auf den Terrassendächern zurück.

Endlich verschwand die Riesenstadt vom Bildschirm, und die Nachrichtensendung begann.

„Die Diskussion über das von der Akademie für Gerichtete Strahlung eingebrachte Projekt über die Abschaffung des linearen Alphabets durch elektronische Aufzeichnungen geht weiter“, begann der Mann auf dem Bildschirm. „Das Projekt findet keine allgemeine Zustimmung. Der Haupteinwand ist die komplizierte Konstruktion des Lesegeräts. Das Buch würde aufhören, dem Menschen ein Freund zu sein, der ihn in allen Lebenslagen begleitet. Ungeachtet aller augenscheinlichen Vorteile wird das Projekt wahrscheinlich abgelehnt werden.“

„Da haben sie aber lange diskutiert!“, bemerkte Ren Boos.

„Eine äußerst widersprüchliche Sache“, entgegnete Dar Weter. „Auf der einen Seite die verlockende Einfachheit der Aufzeichnung, auf der anderen die Schwierigkeit des Lesens.“

Der Mann auf dem Bildschirm fuhr fort:

„Eine ungesicherte Nachricht vom gestrigen Tag wurde inzwischen bestätigt — die Siebenunddreißigste Sternenexpedition hat sich gemeldet. Das Schiff kehrt…“

Dar Weter erstarrte, von der Stärke seiner Gefühle überwältigt. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Weda Kong langsam aufstand und ihre Augen immer größer und größer wurden. Seinem feinen Ohr eines Verliebten entging ihr stockender Atem nicht.

„… aus der Richtung des Quadrats 401 zurück und hat gerade das Minusfeld in einer Entfernung von einem Hundertstel Parsec von der Bahn des Neptun verlassen. Die Verspätung der Expedition ist auf das Zusammentreffen mit einer schwarzen Sonne zurückzuführen. Menschenleben sind keine zu beklagen. Die Geschwindigkeit des Schiffes beträgt ungefähr fünf Sechstel der Lichtgeschwindigkeit. Die Expedition wird in elf Tagen auf der Triton-Station erwartet. Berichte von hervorragenden Entdeckungen sind zu erwarten!“

Die Sendung ging weiter. Es folgten noch andere Nachrichten, aber keiner hörte mehr zu; alle umringten Weda und beglückwünschten sie.

Sie lächelte, ihre Wangen brannten, aber in der Tiefe ihrer Augen verbarg sich Angst. Auch Dar Weter trat zu ihr. Weda fühlte den festen Druck seiner ihr so unentbehrlich und vertraut gewordenen Hand und begegnete seinem offenen Blick. Lange hatte er sie nicht mehr so angesehen. Sie wusste, dass sich eine Zeit lang eine traurige Entfremdung in seine Beziehung zu ihr eingeschlichen hatte. Und sie wusste auch, dass er jetzt auf ihrem Gesicht nicht nur Freude las…

Dar Weter ließ langsam ihre Hand los, lächelte auf seine ganz bestimmte, eigene Art, unverkennbar und deutlich, und trat beiseite. Die Expeditionsteilnehmer diskutierten lebhaft die Meldung. Weda blieb im Kreise der anderen, beobachtete aber verstohlen Dar Weter. Sie sah, wie sich Ewda Nal zu ihm gesellte und einen Augenblick später auch Ren Boos.

„Wir müssen Mwen Maas finden, er weiß ja noch gar nichts!“, rief Dar Weter, als hätte er sich plötzlich eines anderen besonnen. „Kommen Sie, Ewda! Und was ist mit Ihnen, Ren?“

„Ich komme auch mit, wenn ich darf“, sagte Tschara Nandi, die zu ihnen getreten war.

Sie gingen zu den sanft plätschernden Wellen hinunter. Dar Weter blieb stehen, wandte sein Gesicht dem kühlen Lufthauch zu und seufzte tief. Als er sich umdrehte, begegnete er Ewda Nals Blick.

„Ich reise ab, ohne nochmals ins Haus zu gehen“, antwortete er auf ihre stumme Frage.

Ewda fasste ihn unter. Eine Zeit lang gingen sie schweigend weiter.

„Ich überlege gerade, ob das wohl richtig ist?“, flüsterte Ewda ihm zu. „Wahrscheinlich ja, und Sie haben recht. Wenn Weda…“

Ewda verstummte, und Dar Weter, der verstanden hatte, drückte ihre Hand fest zusammen und legte sie an seine Wange. Ren Boos folgte ihnen dicht auf den Fersen, darauf bedacht, Abstand zwischen sich und der neben ihm weit ausschreitenden Tschara zu halten, die ihn immer wieder von der Seite mit großen Augen ansah und nur mit Mühe ihr spöttisches Lächeln unterdrücken konnte. Ewda lachte kaum hörbar auf und reichte dem Physiker plötzlich ihre freie Hand. Ren Boos schnappte hastig danach, was bei diesem schüchternen Menschen äußerst komisch wirkte.

„Wo sollen wir Ihren Freund denn suchen?“, fragte Tschara und blieb stehen.

Dar Weter sah sich um und erblickte im hellen Mondlicht Fußspuren auf dem nassen Sandstrand. Sie folgten in gleichmäßigen Abständen hintereinander, wobei die Fußspitzen mit einer solchen Präzision im gleichen Winkel nach außen zeigten, dass die Spuren von einer Maschine zu stammen schienen.

„Dorthin ist er gegangen“, sagte Dar Weter und zeigte in die Richtung großer Felsen.

„Ja, das sind seine Fußspuren“, bestätigte Ewda.

„Weshalb sind Sie sich so sicher?“, fragte Tschara zweifelnd.

„Sehen Sie sich die regelmäßigen Abdrücke an — so gingen die Jäger der Urzeit, und so gehen jene Menschen, die ihre Züge geerbt haben. Und mir scheint, Mwen Maas ist, ungeachtet seiner Gelehrtheit, naturverbundener als irgendein anderer von uns… Wie es mit Ihnen steht, Tschara, weiß ich allerdings nicht.“ Ewda drehte sich zu dem Mädchen um, das gerade über etwas nachdachte.

„Ich? Oh nein!“ Und dann zeigte sie plötzlich nach vorn und rief: „Da ist er ja!“

Auf einem der nächstliegenden Felsen war die riesige Gestalt des nackten Afrikaners aufgetaucht, der im Mondlicht einer Statue aus poliertem schwarzem Marmor glich. Mwen Maas ruderte energisch mit den Armen, so als würde er jemandem drohen. Die furchtgebietenden Muskeln seines kräftigen Körpers schwollen an und rollten in kleinen Höckern unter der glänzenden Haut.

„Er gleicht einem Nachtgespenst aus einem Kindermärchen!“, flüsterte Tschara aufgeregt.

Mwen Maas sah sie näher kommen, sprang vom Felsen und kam kurz darauf angekleidet wieder zum Vorschein. Dar Weter erzählte ihm mit wenigen Worten, was geschehen war, und Mwen Maas äußerte den Wunsch, unverzüglich Weda Kong zu sehen.

„Gehen Sie mit Tschara hinauf“, sagte Ewda, „wir bleiben noch ein wenig hier…“

Dar Weter machte eine Abschiedsgeste, und im Gesicht des Afrikaners war ein Ausdruck des Verstehens zu lesen. Aus irgendeiner halb kindlichen Regung heraus murmelte er längst vergessene Worte des Abschieds. Dar Weter war gerührt und ging in Begleitung der schweigsamen Ewda gedankenversunken weiter. Ren Boos trat verlegen auf der Stelle und folgte dann schließlich Mwen Maas und Tschara Nandi.

Dar Weter und Ewda wanderten bis ans Kap hinaus, das die Bucht vom offenen Meer trennte. Von hier aus waren die Lichter, die die riesigen tellerförmigen Flöße der Meeresexpedition säumten, deutlich sichtbar.

Dar Weter stieß ein durchsichtiges Plastikboot ins Wasser und ragte plötzlich noch massiver und mächtiger als Mwen Maas vor Ewda auf. Ewda stellte sich auf die Zehenspitzen und gab dem scheidenden Freund einen Abschiedskuss.

„Weter, ich werde bei Weda bleiben“, sagte sie, als habe sie seine Gedanken erraten. „Wir fahren zusammen in unsere Zone zurück und werden dort die Ankunft der Weltraumexpedition abwarten. Geben Sie Bescheid, wenn Sie eine neue Arbeit gefunden haben — Sie wissen, ich werde mich immer freuen, Ihnen behilflich sein zu können.“

Ewda blickte dem durch das silberne Wasser gleitenden Boot noch lange nach…

Dar Weter lenkte das Boot auf das zweite Floß zu, wo Mechaniker noch immer eifrig mit dem Montieren der Akkumulatoren beschäftigt waren. Auf seine Bitte hin zündeten sie drei grüne Lichter in der Form eines Dreiecks an.

Eineinhalb Stunden später schwebte bereits ein Spiralenschiff, das gerade das Gebiet überflog, über dem Floß. Dar Weter stieg in den herabgelassenen Lift ein, war noch einen Augenblick lang unter dem beleuchteten Rumpf des Schiffes zu sehen und verschwand dann in der Luke.

Gegen Morgen betrat er seine alte Wohnung in der Nähe des Observatoriums des Rates. Dar Weter schaltete in beiden Zimmern das Gebläse ein, und wenige Minuten später war aller Staub, der sich angesammelt hatte, verschwunden. Er klappte ein Bett aus der Wand hervor, stellte den Raum auf den Geruch und das Plätschern des Meeres ein, an das er sich in letzter Zeit so gewöhnt hatte, und versank in einen tiefen Schlaf.

Er erwachte mit dem Gefühl, die Welt habe jeden Reiz für ihn verloren. Weda war weit entfernt und würde es bleiben, bis… Aber sollte er ihr nicht beistehen, anstatt die Situation noch mehr zu verwirren?

Im Badezimmer ergoss sich ein wirbelnder Strahl elektrisierten kühlen Wassers über ihn. Dar Weter blieb so lange darunter stehen, bis er zu frösteln begann. Erfrischt trat er an das Televideofon, öffnete die Spiegeltüren und rief die nächste Arbeitsverteilungsstelle an. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines jungen Mannes. Er erkannte Dar Weter und begrüßte ihn mit einem kaum merklichen Anflug von Respekt, was als Zeichen ausgewählter Höflichkeit galt.

„Ich hätte gerne eine harte, langfristige Arbeit“, begann Dar Weter. „Es sollte sich unbedingt um körperliche Arbeit handeln: zum Beispiel in den antarktischen Bergwerken.“

„Dort ist nichts frei“, antwortete der Jüngling mit einem Ton des Bedauerns. „Nicht einmal in den Gruben auf der Venus, dem Mars und dem Merkur. Sie wissen ja, je härter die Arbeit, desto mehr zieht es die Jugend dorthin.“

„Ja, und ich darf mich wohl nicht mehr zu dieser schönen Kategorie zählen… Aber sagen Sie mir, wo ist im Augenblick eine Stelle frei? Ich brauche sofort Arbeit.“

„Da gibt es die Diamantenfelder in Mittelsibirien“, begann der Jüngling langsam, den Blick auf eine für Dar Weter nicht sichtbare Tabelle gerichtet. „Wenn es Sie schon zum Bergbau zieht. Außerdem gibt es noch freie Stellen auf den ozeanischen Flößen, den Lebensmittelfabriken, auf der Sonnenpumpstation in Tibet — aber das sind eher leichte Arbeiten. Unter den übrigen Stellen ist auch nichts außergewöhnlich Hartes dabei.“

Dar Weter bedankte sich bei dem Informator und bat ihn um Bedenkzeit sowie darum, die Stelle auf den Diamantenfeldern vorläufig nicht zu vergeben.

Er schaltete die Verteilungsstation aus und nahm Verbindung mit dem Haus Sibiriens auf, einem riesigen geografischen Informationszentrum über dieses Land. Sein Televideofon wurde an die Gedächtnismaschine mit den neuesten Daten angeschlossen, und vor Dar Weter zogen langsam unendliche Wälder vorüber. Die sumpfigen und spärlichen Lärchenwälder der Taiga, die sich einst auf dem Dauerfrostboden erstreckt hatte, waren mächtigen Baumriesen gewichen — sibirischen Zedern und amerikanischen Sequoien, die bereits vom Aussterben bedroht gewesen waren. Wie ein prachtvoller Zaun umgaben die riesigen roten Baumstämme die mit Betonhauben bedeckten Hügel. Stahlrohre von zehn Metern Durchmesser krochen darunter hervor, spannten sich über Wasserscheiden hinweg zu den nächstgelegenen Flüssen, die sie zur Gänze in ihre trichterförmigen Schlünde einsogen. Dumpf grölten die furchterregenden Pumpen. Hunderttausende Kubikmeter Wasser strömten in die von ihnen ausgehöhlten Tiefen der diamanthaltigen vulkanischen Schächte, erzeugten einen tosenden Lärm, während sie das Gestein unterspülten, und ergossen sich von Neuem an die Erdoberfläche, wobei sie in den Sieben der Waschkammern Tonnen von Diamanten zurückließen. In langen, lichtdurchfluteten Gebäuden saßen Menschen an den sich bewegenden Skalen der Sortiermaschinen. Die glitzernden Steine rieselten wie ein unaufhörlicher Strom kleiner Getreidekörner in die geeichten Öffnungen der Auffangbehälter. Das Bedienungspersonal der Pumpstationen beobachtete fortwährend die Angaben der Rechenmaschinen, die den ständig wechselnden Widerstand des Gesteins, den Wasserdruck und — verbrauch, die Tiefe der Schächte und den Auswurf fester Teilchen berechneten. Dar Weter kam zu dem Schluss, dass der freundliche Anblick der sonnenbeschienenen Wälder nicht seiner augenblicklichen Stimmung entsprach, und schaltete das Haus Sibiriens ab. Unmittelbar danach ertönte ein starkes Rufsignal, und auf dem Bildschirm meldete sich von Neuem der Informator von der Arbeitsverteilungsstelle.

„Ich möchte Sie bitten, noch etwas anderes ins Auge zu fassen. Gerade ist ein Angebot hereingekommen — in den Unterwassertitangruben an der Westküste Südamerikas ist eine Stelle frei geworden. Das ist die härteste Arbeit, die es heute gibt… Aber Sie müssten sofort hinfahren!“

Dar Weter geriet in Aufregung:

„Aber wie soll ich mich dann noch rechtzeitig dem psychophysischen Test in der nächsten Station der Akademie der Psychophysiologie der Arbeit unterziehen?“

„Die Anzahl der jährlichen Tests, die Sie für Ihre frühere Arbeit machen mussten, reicht aus, um Sie davon zu befreien.“

„Erstatten Sie Mitteilung, dass ich komme, und geben Sie mir die Koordinaten durch!“, entgegnete Dar Weter, ohne zu zögern.

„Westarm der Spiralstraße, siebzehnte südliche Abzweigung, Station 6L, Punkt KM-40. Ich gebe eine Meldung durch.“

Das ernste Gesicht auf dem Bildschirm verschwand. Dar Weter packte die wenigen Dinge zusammen, die sein persönlicher Besitz waren, und legte die Speichermedien mit den Bildern und Stimmen seiner engsten Verwandten und Bekannten und den wichtigsten Aufzeichnungen seiner eigenen Gedanken in eine Schatulle. Von der Wand nahm er eine Chromreflexreproduktion eines alten russischen Meisters und vom Tisch hob er eine kleine Bronzestatue auf, die die Schauspielerin Bello Gal darstellte, die Weda Kong so ähnlich sah. All das und seine wenigen Kleidungsstücke passten in eine Aluminiumkiste mit reliefartigen Ziffern und linearen Zeichen auf dem Deckel. Dar Weter stellte die ihm mitgeteilten Koordinaten ein, öffnete eine Luke in der Wand und stieß die Kiste hinein. Sie verschwand auf einem unendlichen Förderband. Dar Weter drehte eine letzte Runde durch seine Wohnung. Schon seit vielen Jahrhunderten gab es auf dem Planeten keine Reinigungsfrauen mehr. Ihre Arbeit wurde von den Bewohnern selbst erledigt, was nur bei absoluter Einhaltung von Ordnung und Disziplin durch jeden Einzelnen sowie aufgrund der praktisch geplanten Einrichtung von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden mit automatischen Reinigungs- und Belüftungsautomaten möglich war.

Nachdem er alle Räume überprüft hatte, drückte er den Hebel vor der Tür nach unten, als Signal für die Wohnungsverteilungsstelle, dass die von ihm bewohnten Zimmer nun frei waren. Dann verließ er die Wohnung. Die äußere, mit Milchglas verkleidete Galerie war von der Sonne erwärmt worden, auf dem flachen Dach aber blies wie immer ein kühler Meereswind. Die leichten Fußgängerbrücken, die sich zwischen den hohen Fachwerkhäusern spannten, schienen förmlich in der Luft zu schweben und verlockten zu einem geruhsamen Spaziergang, aber Dar Weter konnte nun nicht mehr frei über seine Zeit entscheiden. Auf einer Rolltreppe gelangte er ins unterirdische elektromagnetische Postamt, von wo ihn ein kleiner Waggon zur nächsten Station der Spiralstraße brachte. Dar Weter fuhr nicht nach Norden, zur Beringstraße, wo er Anschluss an den Westarm gehabt hätte. Auf diesem Wege hätte die Fahrt nach Südamerika bis zur siebzehnten Abzweigung zirka vier Tage und Nächte in Anspruch genommen. Entlang der Breitengrade der nördlichen und südlichen Wohnzone verliefen die Fluglinien der schweren Transportspiralschiffe, die den Planeten über die Ozeane hinweg überquerten und die Arme der Spiralstraße auf kürzestem Weg miteinander verbanden. Dar Weter fuhr auf dem Zentralarm bis zur südlichen Wohnzone, wo er hoffte, den Leiter des Luftverkehrstransportes überzeugen zu können, ihn als Eilfracht zu befördern. Abgesehen davon, dass die Reise so um dreißig Stunden kürzer war, ermöglichte diese Route es Dar Weter, auch den Sohn von Grom Orm zu besuchen; Grom Orm war der Vorsitzende des Rates für Sternenschifffahrt und hatte ihn, Dar Weter, zum Erzieher und Mentor seines Sohnes gewählt.

Der Junge war herangewachsen und würde im nächsten Jahr damit beginnen, seine zwölf Herkulestaten zu vollbringen. Bis dahin arbeitete er beim Wachdienst in den Sümpfen Westafrikas.

Fast alle Jungen zog es zu diesem Wachdienst, wo es ihre Aufgabe war, das Haivorkommen im Ozean, schädliche Insekten, Vampire und Reptilien in den tropischen Sümpfen, krankheitserregende Mikroben in den Wohnzonen, Viehseuchen oder Waldbrände in den Steppen- und Waldgürteln zu beobachten und alle Schädlinge der alten Erde, die auf geheimnisvolle Art und Weise immer wieder aus den entferntesten Winkeln des Planeten hervorkrochen, aufzuspüren und zu vernichten. Der Kampf gegen schädliche Formen von Leben fand kein Ende. Mikroorganismen, Insekten und Pilze reagierten auf neue Vernichtungsmittel mit der Herausbildung neuer, resistenter Formen und Stämme, die auch mit den stärksten Chemikalien nicht auszurotten waren. Erst in der Ära der Vereinigten Welt hatte man gelernt, die starken Antibiotika richtig einzusetzen, ohne gefährliche Folgen befürchten zu müssen.

Wenn Dis Ken zur Sumpfüberwachung eingesetzt wird, dachte Dar Weter, dann lernt er bereits in jungen Jahren, was es bedeutet, ernsthaft zu arbeiten.

Grom Orms Sohn Dis Ken war wie alle Kinder der Ära des Großen Rings in einem Internat an der Meeresküste der Nordzone erzogen worden. Dort hatte er sich auch der ersten Tests in der psychologischen Abteilung der Akademie für Psychophysiologie der Arbeit unterzogen.

Die Jugend wurde stets mit Aufgaben betraut, die ihre psychischen Besonderheiten — ihr Fernweh, ihr übertriebenes Verantwortungsgefühl und ihre Egozentrik — berücksichtigten.

Der riesige Waggon raste lautlos und ruhig dahin. Dar Weter stieg in den obersten Stock hinauf, der mit einem durchsichtigen Dach bedeckt war. Weit unten, zu beiden Seiten der Spiralstraße, jagten Gebäude, Kanäle, Wälder und Berggipfel vorüber. Die „Mondglaskuppeln“ der automatisierten Fabriken in dem schmalen Streifen zwischen der Landwirtschafts- und Waldzone funkelten im Sonnenlicht. Die monströsen Konturen riesiger Maschinen schimmerten durch die Wände der Kristallglasgebäude.

Das Denkmal Shin Kads, des Entdeckers eines billigen Verfahrens zur Erzeugung künstlichen Zuckers, huschte vorüber. Dann führte der Bogen der Spiralstraße durch die Wälder der tropischen Landbauzone. Waldstreifen und — dickichte mit den unterschiedlichsten Schattierungen von Blättern, Rinden, Baumformen und — größen erstreckten sich in unendlicher Weite. Auf den schmalen, ebenen Wegen, die zur Unterteilung der unterschiedlichen Flächen dienten, krochen Ernte-, Bestäubungs- und Beobachtungsmaschinen in langsamem Tempo dahin, glitzerte ein Netz von unzähligen Leitungen.

Einst war das reife, goldene Getreidefeld das Symbol für Überfluss gewesen. Aber schon in der Ära der Vereinigten Welt hatte man die Unwirtschaftlichkeit einjähriger Kulturen erkannt. Mit der Verlegung des gesamten Ackerbaues in die tropische Zone war dann die arbeitsaufwendige Züchtung einjähriger Gräser und Sträucher gänzlich überflüssig geworden. Bereits Jahrhunderte vor Beginn der Ära des Großen Rings waren mehrjährige Bäume zu den Hauptkulturpflanzen geworden, da sie dem Boden weniger Nährstoffe entzogen und klimatischen Unbilden standhielten. Man kultivierte Brotfruchtbäume, Beeren- und Nussbäume mit Tausenden verschiedener Sorten eiweißreicher Früchte — ertragreiche Pflanzen, von denen jede bis zu einem Zentner Nahrung lieferte.

Diese Nahrung spendenden Wälder umgaben den Planeten in zwei Gürteln von Hunderten Millionen Hektar — wahre Gürtel der Ceres, der mythologischen Göttin des Ackerbaus. Dazwischen verlief die äquatoriale Waldzone, ein Meer von feuchten tropischen Wäldern, das den Planeten mit Nutzholz — weißem, schwarzem, violettem, rosafarbenem, goldenem und grauem, seidig schillerndem Holz — versorgte; mit Holz, das so hart war wie Granit, und mit Holz, das so weich war wie ein Apfel, das wie ein Stein im Wasser unterging oder leicht war wie Kork. Dutzende Harzsorten, die billiger waren als synthetische Harze und gleichzeitig wertvolle technische und heilende Eigenschaften besaßen, wurden hier gewonnen.

Die Wipfel der Baumriesen reichten bis an den Damm der Spiralstraße, zu deren beiden Seiten ein Meer aus Grün raschelte. In seinen dunklen Tiefen, inmitten behaglicher Waldlichtungen, lagen Häuser auf hohen Metallpfählen sowie ungeheure spinnenartige Maschinen verborgen, welche dieses Dickicht aus achtzig Meter hohen Stämmen zu wohlgeordneten Stapeln von Balken und Brettern verwandeln konnten.

Zur Linken waren die Kuppen der bekannten Berge des Äquators zu sehen. Auf einem von ihnen, dem Mount Kenya, befand sich die Station, die die Verbindung mit dem Großen Ring aufrechterhielt. Dann wich das Waldmeer zur Linken zurück und machte einem steinigen Hochplateau Platz. Hellblaue würfelförmige Gebäude tauchten zu beiden Seiten auf.

Der Zug hielt, und Dar Weter trat auf einen großen, mit grünem Glas bedeckten Platz hinaus — er hatte die Station auf dem Äquator erreicht. In der Nähe einer Fußgängerbrücke, die sich über die graublauen flachen Kronen der Atlaszedern spannte, erhob sich eine Pyramide aus weißem, porzellanähnlichem Aplit aus dem Lualaba-Fluss. Auf ihrer abgestumpften Spitze stand die Statue eines Menschen der Ära der Uneinigen Welt in Arbeitskleidung. In seiner rechten Hand hielt er einen Hammer, in der linken eine hoch in den blassen Äquatorhimmel erhobene glitzernde Kugel, aus der vier Sendeantennen herausragten. Dieses Denkmal hatte man zur Erinnerung an die Erbauer der ersten künstlichen Erdsatelliten errichtet, an jene, die diese heldenhafte, erfindungsreiche und mutige Tat begangen hatten. Der Mann, der seinen Körper weit zurückwarf, um, wie es schien, die Kugel in den Himmel zu schleudern, war eine Verkörperung begeisterter Kraftanstrengung. Und die Kraft dafür schien ihm von den sonderbar gekleideten Menschen am Piedestal zu Füßen der Statue zuzuströmen.

Dar Weter betrachtete die Gesichter dieser Skulptur stets mit größter innerer Erregung. Ihm war bewusst, dass die Erbauer der allerersten künstlichen Satelliten, die das Tor zum Kosmos aufgestoßen hatten, Russen gewesen waren, also Angehörige jenes erstaunlichen Volkes, von dem auch er abstammte. Jenes Volkes, das die ersten Schritte im Aufbau einer neuen Gesellschaft und in der Eroberung des Kosmos unternommen hatte…

Auch heute trat Dar Weter wieder auf das Denkmal zu, um sich die alten Helden anzusehen und danach zu forschen, was sie mit den modernen Menschen verband und worin sie sich von ihnen unterschieden. Unter den silbernen flaumhaarigen Ästen afrikanischer Leukodendren, die die im Sonnenlicht blendend helle Pyramide des Denkmals säumten, kamen zwei schlanke Gestalten zum Vorschein und blieben stehen. Einer der Jünglinge stürzte auf Dar Weter zu. Er schlang die Arme um dessen breite Schultern und musterte gleichzeitig das ihm vertraute Gesicht mit den stark ausgeprägten Zügen: der großen Nase, dem breiten Kinn, dem unvermutet fröhlichen Zucken um die Lippen, das überhaupt nicht zu dem eher finsteren Blick der stahlgrauen Augen unter den zusammengewachsenen Brauen zu passen schien.

Dar Weter seinerseits betrachtete mit Wohlgefallen den Sohn des berühmten Mannes, der die Station im Planetensystem des Centaurus erbaut hatte und bereits zum fünften Mal für eine Amtszeit von drei Jahren zum Vorsitzenden des Rates für Sternenschifffahrt gewählt worden war. Grom Orm musste mindestens hundertdreißig Jahre alt sein, also dreimal so alt wie Dar Weter.

Dis Ken rief seinen Gefährten herbei, einen dunkelhaarigen jungen Mann.

„Das ist mein bester Freund, Tor An, der Sohn von Sig Sor, dem Komponisten“, sagte er. „Wir arbeiten zusammen in den Sümpfen“, fuhr Dis fort. „Später möchten wir zusammen unsere Herkulestaten ableisten und auch zusammen arbeiten.“

„Interessierst du dich noch immer für die Vererbungskybernetik?“, fragte Dar Weter.

„O ja! Tor hat mein Interesse noch bestärkt — er ist Musiker, wie sein Vater. Er und seine Freundin… träumen davon, auf einem Gebiet zu arbeiten, wo uns die Musik das Verständnis der Entwicklung des lebendigen Organismus erleichtert, das heißt, sie möchten die Symphonie seines Aufbaus erforschen.“

„Du drückst dich sehr undeutlich aus“, sagte Dar Weter missmutig.

„Ich verstehe noch nicht genug davon“, antwortete Dis verwirrt. „Vielleicht kann es Tor besser formulieren.“

Der andere Jüngling wurde rot, hielt Dar Weters prüfendem Blick aber stand.

„Dis meint die Rhythmen des Vererbungsmechanismus: Wenn sich der lebende Organismus aus der Mutterzelle entwickelt, baut er sich in Akkorden von Molekülen auf. Die anfänglich paarige Spirale windet sich auf eine Art und Weise, die mit der Entwicklung einer musikalischen Symphonie verglichen werden kann. Mit anderen Worten, das Programm, nach dem die Entwicklung eines Organismus aus lebenden Zellen verläuft, ist ein musikalisches Programm!“

„So?“, rief Dar Weter mit übertriebenem Staunen. „Dann wollt ihr wohl die gesamte Evolution der lebenden und toten Materie auf eine einzige gigantische Symphonie reduzieren?“

„Der Aufbau und die Rhythmik dieser Symphonien werden von grundlegenden physikalischen Gesetzen bestimmt. Man muss nur herausfinden, wie das Programm aufgebaut ist und woher die Informationen für diesen musikalisch-kybernetischen Mechanismus stammen.“ Aus Tor Ans Worten sprach die unbesiegbare Zuversicht der Jugend.

„Und von wem stammt die Idee?“

„Von meinem Vater, Sig Sor. Er hat erst vor Kurzem seine dreizehnte kosmische Symphonie in f-Moll, Farbtonart 4,750 µ veröffentlicht.“

„Ich werde sie mir unbedingt anhören! Ich liebe Blau… Aber wie steht es mit euren zukünftigen Plänen, den Herkulestaten? Wisst ihr schon, was für euch vorgesehen ist?“

„Nur die ersten sechs stehen bis jetzt fest.“

„Ja, natürlich, die anderen sechs werden ja erst nach Ableistung der ersten Hälfte festgesetzt“, erinnerte sich Dar Weter.

„Wir sollen den untersten Teil der Kon-i-Gut-Höhle in Mittelasien säubern und für Besucher zugänglich machen“, begann Tor An.

„Eine Straße über einen schroffen Bergkamm zum Mental-See bauen“, fiel Dis Ken ein. „In Argentinien einen Hain alter Brotfruchtbäume wieder bepflanzen, die Ursachen für das Auftauchen großer Oktopoden in der Nähe von Trinidad feststellen, wo sich vor Kurzem der Meeresboden gehoben hat.“

„Und sie vernichten!“

„Das sind erst fünf, und was ist die sechste Aufgabe?“

Die beiden Jünglinge wurden etwas verlegen.

„Bei uns beiden hat man ein ausgeprägtes musikalisches Talent festgestellt“, sagte Dis Ken errötend. „Und wir sollen Material über die alten Tänze auf der Insel Bali sammeln und sie musikalisch und choreografisch rekonstruieren.“

„Das heißt, Tänzerinnen finden und ein Ensemble zusammenstellen?“ Dar Weter lachte.

„Ja“, sagte Tor An mit gesenktem Blick.

„Ein interessanter Auftrag! Aber das ist doch eine Teamarbeit, genauso wie der Bau der Seestraße.“

„Oh, wir haben ein gutes Team! Allerdings wollen die anderen auch Sie zum Mentor haben. Das wäre einfach herrlich!“

Dar Weter äußerte seine Zweifel hinsichtlich seiner Eignung für die sechste Aufgabe. Aber die beiden Jungen versicherten ihm mit leuchtenden Augen und vor Freude hüpfend, dass Sig Sor versprochen habe, die Leitung der sechsten Aufgabe selbst zu übernehmen.

„Nun gut, in einem Jahr und vier Monaten suche ich mir also in Mittelasien eine Arbeit“, sagte Dar Weter und blickte zufrieden in die glücklichen Gesichter der beiden.

„Wie gut, dass Sie nicht mehr die Außenstationen leiten!“, rief Dis Ken aus. „Ich hatte auch nie zu hoffen gewagt, einen solchen Mentor zu bekommen!“ Plötzlich wurde der Jüngling puterrot, und seine Stirn überzog sich mit winzigen Schweißperlen. Tor An wich unwillkürlich vorwurfsvoll einen Schritt zurück.

Dar Weter beeilte sich, dem Sohn von Grom Orm aus der Verlegenheit zu helfen.

„Habt ihr viel Zeit?“

„O nein! Man hat uns nur für drei Stunden weggelassen — wir haben einen Fieberkranken aus unserer Sumpfstation hierher gebracht.“

„Sieh mal an! Das Fieber geht also immer noch um! Ich dachte…“

„Äußerst selten und nur in den Sümpfen“, beeilte sich Dis einzuwerfen. „Und dafür sind wir ja auch da!“

„Es bleiben uns also noch zwei Stunden. Gehen wir in die Stadt, ihr möchtet sicher gerne das Haus des Neuen sehen.“

„O nein! Wir möchten gerne… dass Sie uns unsere Fragen beantworten — wir haben uns vorbereitet, und Sie wissen ja, wie wichtig das für unsere Zukunft ist…“

Dar Weter war einverstanden, und die drei begaben sich in einen kühlen, mit künstlicher Seebrise belüfteten Raum der Gästehalle.

Zwei Stunden später stieg Dar Weter wieder in einen Waggon ein. Erschöpft schlief er auf einem Diwan ein und erwachte erst an der Station der Chemikerstadt. Ein gigantischer Bau in Form eines Sternes mit zehn gläsernen Strahlen erhob sich über einem großen Kohlenbergwerk. Die hier abgebaute Kohle wurde zu Medikamenten, Vitaminen, Hormonen, Kunstseide und synthetischen Pelzen verarbeitet. Die Abfallprodukte wurden für die Zuckerproduktion verwendet. In einem der Strahlengebäude wurden seltene Metalle wie Germanium und Vanadium gewonnen. Was war doch nicht alles in diesem wertvollen schwarzen Gestein enthalten!

Ein alter Freund Dar Weters, der hier als Chemiker arbeitete, erwartete ihn an der Station. Einst waren sie drei fröhliche junge Männer gewesen, die zusammen im Tropengürtel auf einer indonesischen Station für Erntemaschinen arbeiteten… Jetzt war einer von ihnen Chemiker und Leiter eines Laboratoriums in einer großen Fabrik, der zweite war sozusagen beim Gartenbau geblieben und hatte ein neues Verfahren zur Bestäubung entwickelt, und der dritte — Dar Weter — kehrte nun von Neuem in den Schoß der Erde zurück, und dieses Mal sogar in ihr tiefstes Inneres. Das Wiedersehen der Freunde dauerte nicht länger als zehn Minuten, war aber trotzdem weit inniger als der übliche Kontakt über Televideofon.

Der Rest der Reise ging rasch vonstatten. Der Leiter der Luftlinien entlang der Breitengrade kam Dar Weters Bitte mit jenem für die Menschen der Ringära so charakteristischen Wohlwollen nach. Dar Weter überflog den Ozean und erreichte den Westarm der Spiralstraße südlich der siebzehnten Abzweigung, an deren Endstation an der Küste er in ein Gleitboot umstieg.

Hohe Berge reichten bis direkt an die Küste. Auf den sanft geneigten Hängen am Fuße des Gebirges befanden sich Terrassen aus weißem Gestein. Reihen südlicher Kiefern und Widdringtonia mit bronzefarbenen und blaugrünen Nadelkleidern dienten zur Befestigung der dort aufgeschütteten Erde und verliefen in parallel angelegten Alleen. Hoch oben im nackten Felsen klafften Schluchten, an deren Grund Wasserfälle Wolken feinsten Wasserstaubs aufwirbelten. Auf den Terrassen erstreckten sich in Abständen kleine Häuser mit bläulichgrünen Dächern und orangefarbenen oder grellgelben Mauern.

Weit ins Meer hinaus ragte eine künstliche Sandbank, an deren Spitze ein von den Wellen umbrandeter Turm stand. Er befand sich am Rande des Kontinentalschelfs, das einen Kilometer steil in den Ozean abfiel. Unter dem Turm führte ein riesiger Schacht in Form einer übermäßig dicken Betonröhre, die dem Druck des tiefen Wassers standhielt, senkrecht in die Tiefe. Auf dem Grunde mündete die Röhre in den Gipfel eines Unterwasserberges, welcher aus beinahe reinem Rutil, also Titandioxid, bestand. Sämtliche Arbeitsgänge der Erzverarbeitung wurden unter Wasser, im Berg durchgeführt. An die Oberfläche gelangten nur riesige Barren reinen Titans und Mineralabfälle, die das Meer in weitem Umkreis trübten. Diese gelben, trüben Wellen brachten das Gleitboot vor der Anlegestelle an der Südseite des Turmes ins Schaukeln. Dar Weter wartete einen günstigen Augenblick ab und sprang dann auf eine von der Gischt nasse Plattform. Er stieg zu einer Balustrade hinauf, wo sich einige dienstfreie Mitarbeiter zur Begrüßung ihres neuen Kollegen eingefunden hatten. Die Mitarbeiter dieses, wie Dar Weter zunächst glaubte, einsamen Bergwerks, machten durchaus nicht den Anschein finsterer Einsiedler, wie er sie unter dem Einfluss seiner eigenen Stimmung hier anzutreffen erwartet hatte. Freundliche, wenn auch von der harten Arbeit etwas abgespannte Gesichter begrüßten ihn. Fünf Männer und drei Frauen — es arbeiteten also auch Frauen hier…

Zehn Tage waren vergangen, und Dar Weter hatte sich an die neue Arbeit gewöhnt.

Das Bergwerk besaß ein eigenes Kraftwerk — in der Tiefe einer aufgelassenen Grube auf dem Festland lag ein Atomkraftwerk des Typs E verborgen, oder, wie man es früher nannte, des zweiten Typs, der keine harte Reststrahlung hinterließ und deshalb für lokale Anlagen sehr günstig war.

Eine komplexe Maschinenanlage bewegte sich in dem steinernen Leib des Unterwasserberges und fraß sich immer tiefer in das spröde, rotbraune Mineral hinein. Am schwierigsten war die Arbeit auf der untersten Stufe der Anlage, wo das Gestein automatisch abgebaut und zerkleinert wurde. Die Anlage empfing Signale von der in der oberen Stufe befindlichen Steuerzentrale, wo die Beobachtungen der Schneide- und Zerkleinerungsmaschinen, der wechselnden Festigkeit und Zähigkeit des Minerals sowie die Daten aus den Flotationsschächten zusammenliefen. Je nach Metallgehalt erhöhte oder verringerte sich die Geschwindigkeit des Abbau- und Zerkleinerungsaggregates. Aufgrund des beschränkten wassergeschützten Platzes konnte nicht die gesamte Prüf- und Beobachtungsarbeit kybernetischer Maschinen übertragen, sondern musste von den Maschinenmeistern durchgeführt werden.

Dar Weter wurde Maschinenmeister für Prüfung und Einstellung des unteren Aggregates. Er versah seinen täglichen Dienst in halbdunklen, mit Messskalen gefüllten Räumen, wo die Pumpe der Klimaanlage kaum mit der drückenden Hitze fertigwurde, die sich durch den erhöhten Druck infolge des unweigerlichen Durchsickerns von Pressluft noch verschlimmerte.

Wenn Dar Weter und sein junger Mitarbeiter nach der Arbeit ihren Weg nach oben antraten, blieben sie zuerst lange auf der Balustrade stehen, um frische Luft zu atmen. Danach nahmen sie ein Bad, aßen und gingen in ihre Zimmer in einem der auf den Terrassen gelegenen Häuschen. Dar Weter versuchte sein Studium des neuen Gebietes der Mathematik, der Kochlearrechnung, wieder aufzunehmen. Es schien ihm, als habe er seinen früheren Kontakt mit dem Kosmos verloren. Wie alle Arbeiter in der Titangrube bereitete es ihm Freude und Befriedigung, den Flößen mit den ordentlich gestapelten Titanbarren nachzusehen. Nach der Reduktion der Polargebiete hatten die Stürme auf dem Planeten stark nachgelassen, und viele Gütertransporte zur See konnten auf Schleppflößen oder Flößen mit Eigenantrieb erfolgen. Als die Belegschaft des Bergwerkes wechselte, verlängerte Dar Weter zusammen mit zwei weiteren Bergbauenthusiasten seinen Aufenthalt.

Da in dieser unbeständigen Welt nichts von ewiger Dauer ist, stand auch das Bergwerk eines Tages still, damit das Abbau- und Zerkleinerungsaggregat überholt werden konnte. Zum ersten Mal drang Dar Weter in die Kammer bis vor den Vortriebsschild vor, geschützt nur durch einen Spezialschutzanzug gegen die enorme Hitze, den erhöhten Druck sowie die plötzlichen aus den Gesteinsspalten hervorquellenden giftigen Gase. Unter der grellen Beleuchtung nahmen die braunen Rutilwände den ihnen eigenen diamantähnlichen Glanz an und strahlten rotes Feuer aus, als wären in dem Mineral zürnende Augen verborgen. In der Kammer herrschte eine ungewöhnliche Stille. Der hydroelektrische Meißel und die riesigen Scheiben, welche Ultrakurzwellen aussandten, standen zum ersten Mal seit vielen Monaten still. Darunter hantierten Geophysiker, die gerade angekommen waren und diese Gelegenheit nützten, um mithilfe ihrer Geräte die Konturen der Flöze zu überprüfen.

An der Oberfläche war der südliche Herbst mit seinen ruhigen und heißen Tagen ins Land gezogen. Dar Weter stieg hinauf in die Berge und war ergriffen vom majestätischen Anblick der Steinmassen, die sich schon seit Jahrtausenden unverändert zwischen Meer und Himmel erhoben. Das trockene Gras raschelte, und von unten drang kaum hörbar das Schlagen der brandenden Wellen herauf. Sein müder Körper verlangte nach Ruhe, aber der Geist klammerte sich begierig an die Eindrücke von der Welt, die ihm nach der langen und schweren Arbeit unter der Erde ganz frisch vorkamen.

Der ehemalige Leiter der Außenstationen atmete den Geruch der von der Sonne erwärmten Felsen und des trockenen Grases ein und war sicher, dass noch viel Schönes vor ihm liege — und zwar umso mehr, desto besser und stärker er selbst würde. Eine alte Redensart fiel ihm ein:

Säst Du Verhalten, so erntest Du Gewohnheit,

Säst Du Gewohnheit, so erntest Du Charakter,

Säst Du Charakter, so erntest Du Schicksal.

Ja, der härteste Kampf des Menschen war der Kampf gegen den Egoismus! Und dieser Kampf war keiner, der mit sentimentalen Grundsätzen und einer schönen, aber ohnmächtigen Moral ausgefochten werden konnte, sondern nur mit der dialektischen Erkenntnis, dass Egoismus nicht eine Ausgeburt irgendwelcher bösen Kräfte, sondern ein natürlicher Instinkt des Urmenschen ist, der in der Primitivgesellschaft eine große Rolle gespielt und der Selbsterhaltung gedient hatte. Genau deshalb war der Egoismus bei markanten und starken Persönlichkeiten nicht selten stark entwickelt und schwerer zu besiegen. Aber ein solcher Sieg war eine Notwendigkeit, wahrscheinlich die wichtigste in der modernen Gesellschaft. Aus diesem Grunde wurde auch so viel Energie und Zeit für die Erziehung aufgewendet, und deshalb erforschte man die Erbstruktur eines jeden Einzelnen so gründlich. Infolge der starken Vermischung aller Völker, die die geeinte Familie auf dem Planeten Erde auszeichnete, tauchten oft völlig unerwartet Charaktereigenschaften weit ferner Vorfahren wieder auf. Es kam zu den erstaunlichsten Entgleisungen der Psyche, die noch auf die Zeit der großen Katastrophen der Ära der Uneinigen Welt zurückgingen, auf eine Zeit, da der Mensch bei Experimenten und dem Einsatz von Kernenergie nicht genügend Vorsicht hatte walten lassen und dem Erbgut einer Vielzahl von Menschen großen Schaden zugefügt worden war…

Auch Dar Weter hatte einst einen langen Stammbaum gehabt, der jedoch jetzt nicht mehr nötig war. Die Ahnenforschung war durch die direkte Strukturanalyse des Vererbungsmechanismus ersetzt worden, eine Analyse, die gerade im Zusammenhang mit der langen Lebenserwartung noch mehr Bedeutung erlangt hatte. Seit der Ära der Gemeinsamen Arbeit erreichten die Menschen ein Alter von bis zu hundertsiebzig Jahren, und inzwischen hatte es sich herausgestellt, dass auch dreihundert Jahre noch nicht die äußerste Grenze waren…

Das Knirschen von Steinen ließ Dar Weter aus seinen komplizierten und vagen Gedanken erwachen. Zwei Gestalten kamen heran: die Maschinenführerin der Elektroschmelzsektion, eine schüchterne und schweigsame Frau, und ein kleiner lebhafter Ingenieur, der an der Oberfläche arbeitete. Die beiden, vom schnellen Gehen erhitzt, grüßten Dar Weter und wollten an ihm vorübergehen, doch er hielt sie an.

„Ich wollte Sie schon lange um etwas bitten“, wandte er sich an die Maschinenführerin. „Könnten Sie für mich die dreizehnte kosmische Symphonie in f-Moll blau spielen. Sie haben uns schon so vieles vorgespielt, aber das nicht.“

„Sie meinen die kosmische Symphonie von Sig Sor?“, fragte die Frau zurück und lachte laut auf, als Dar Weter nickte.

„Es gibt nur wenige Menschen auf dem Planeten, die überhaupt imstande sind, sie zu spielen. Dazu reicht nicht einmal ein Sonnenflügel mit dreifacher Klaviatur aus, abgesehen davon, wurde sie bislang noch nicht bearbeitet — und wird wahrscheinlich auch nicht. Weshalb fordern Sie nicht einfach eine Aufzeichnung vom Haus für Höhere Musik an? Wir haben einen Universalempfänger, der stark genug dafür ist.“

„Ich weiß nicht, wie man das macht“, murmelte Dar Weter. „Ich habe noch nie…“

„Ich werde es für Sie tun, heute Abend!“, versprach ihm die Frau, reichte ihrem Begleiter die Hand und setzte ihren Weg fort.

Den Rest des Tages wurde Dar Weter das Gefühl nicht los, es werde sich etwas Bedeutendes ereignen. Mit sonderbarer Ungeduld wartete er, bis es elf Uhr wurde — die Zeit, die vom Haus für Höhere Musik für die Übertragung der Symphonie festgesetzt worden war.

Die Maschinenführerin der Elektroschmelzstation übernahm die Rolle eines Saalordners und platzierte Dar Weter und die übrigen Musikfreunde vor dem halbsphärischen Bildschirm gegenüber dem silbernen Gitter des Lautsprechers. Sie schaltete das Licht aus und erklärte, dass es sonst schwierig sei, dem Farbteil der Symphonie zu folgen, deren optimale Aufführung eigentlich nur in einem speziell ausgestatteten Saal möglich sei.

Der Bildschirm schimmerte nur schwach in der Dunkelheit, und das Rauschen des Meeres war kaum zu hören. Irgendwo in unglaublicher Ferne erklang ein tiefer und voller Ton, von dem eine spürbare Kraft auszugehen schien. Er wurde stärker, ließ den Raum und die Herzen der Zuhörer erbeben und wurde dann plötzlich leiser und höher, bis er in Millionen von kristallenen Splittern zerstob. In der dunklen Luft leuchteten winzige orangefarbene Funken auf. Das war wie der Schlag jenes urzeitlichen Blitzes, dessen Energie vor Millionen von Jahrhunderten auf der Erde zum ersten Mal einfache Kohlenstoffverbindungen zu komplizierten Molekülen vereinigt hatte, die dann zur Ausgangsbasis der organischen Materie und des Lebens wurden.

Eine Sturzflut beunruhigender und dissonanter Töne durchflutete den Raum, ein tausendstimmiger Chor von Schmerz, Sehnsucht und Verzweiflung, zu dem matte Schatten von Purpur und Zinnober über den Bildschirm glitten und wieder erloschen.

In der Bewegung der kurzen und starken vibrierenden Töne zeichnete sich eine kreisförmige Ordnung ab, und in der Höhe begann sich eine verschwommene Spirale grauen Lichts zu winden. Plötzlich wurde der wirbelnde Chor von lang anhaltenden, stolzen und klingenden Tönen voll ungestümer Kraft durchbrochen.

Die klaren Linien blauer Feuerpfeile durchdrangen die vagen Lichtkonturen des Raumes und flogen in das bodenlose Dunkel jenseits der Spirale, ehe sie in einer Finsternis des Grauens und Schweigens versanken.

Dunkel und Schweigen — damit endete der erste Teil der Symphonie.

Die Zuhörer vermochten kein Wort hervorzubringen. Sie waren noch benommen, als die Musik wieder einsetzte. Breite Kaskaden mächtiger Klänge, begleitet von vielfarbigen grellen Modulationen, sanken ab und wurden schwächer, die strahlenden Lichter erloschen in einem melancholischen Rhythmus. Und wieder klang etwas Enges und Abgehacktes in den fallenden Kaskaden durch, und die blauen Lichter begannen von Neuem ihren rhythmischen aufsteigenden Tanz.

Ergriffen spürte Dar Weter in den blauen Tönen ein Streben nach komplizierteren Rhythmen und Formen und dachte bei sich, der urzeitliche Kampf des Lebens mit der Entropie hätte nicht besser zum Ausdruck gebracht werden können — Stufen, Dämme und Filter, deren Zweck es war, die auf niedrigere Ebenen absinkende Energie aufzuhalten. So, ja, genauso waren jene ersten Regungen einer äußerst komplizierten Organisation der Materie!

Die blauen Pfeile vereinigten sich zu einem Reigen geometrischer Figuren, kristallinen und gitterartigen Formen, die entsprechend den Verbindungen harmonischer Moll-Klänge komplizierter wurden, zerfielen und sich wieder vereinigten und sich dann plötzlich in dem grauen Zwielicht auflösten.

Der dritte Teil der Symphonie begann mit einem Moderato von Bassklängen, zu denen im Takt blaue Laternen aufleuchteten und gleich darauf in der Tiefe von Unendlichkeit und Zeit verschwanden. Der Zustrom drohend klingender Bässe wurde stärker und ihr Rhythmus schneller, bis er in eine abgehackte und Unheil verkündende Melodie überging. Die blauen Lichter waren Blumen gleich, die sich auf ihren dünnen, feurigen Stängeln bogen. Traurig ließen sie unter dem Ansturm der tiefen, drohenden Töne ihre Köpfe hängen und erloschen in der Ferne. Aber die Reihen der Lichter oder Laternen wurden immer dichter und ihre Stängel dicker. Da zeichneten auch schon zwei Lichtstreifen einen Weg in das unermessliche Dunkel und führten goldene, klangvolle Stimmen des Lebens in die Unendlichkeit des Universums, welche die düstere Gleichgültigkeit der sich bewegenden Materie mit angenehmer Wärme erfüllten. Der dunkle Weg wurde zu einem Fluss, zu einem gigantischen Strom blauer Flammen, in dem die Funken der vielfarbigen Lichter in einem immer komplizierter werdenden Muster aufblitzten.

Die höheren Verbindungen abgerundeter, fließender Linien und sphärischer Flächen waren von derselben Schönheit wie die angespannten, mehrstufigen Akkorde, die von einer rasch komplizierter werdenden, hell klingenden und immer wilder wirbelnden Melodie abgelöst wurden…

Dar Weter schwirrte der Kopf, und er war nicht mehr in der Lage, alle Nuancen der Musik und des Lichtes zu verfolgen — er nahm nur noch die größeren Konturen dieser gigantischen Komposition auf. Der Ozean hoher kristallreiner Töne rauschte in einem strahlenden, ungewöhnlich kräftig leuchtenden Blau. Der Grundton wurde immer höher, und die Melodie selbst wirbelte in einer blindwütigen aufstrebenden Spirale, bis sie plötzlich, mitten im Fluge, in einem grellen Feuerblitz abbrach.

Die Symphonie war zu Ende, und Dar Weter begriff, was ihm all die Monate gefehlt hatte. Er brauchte eine Arbeit, die mit dem Kosmos verbunden war, mit jener unermüdlich sich windenden Spirale des menschlichen Zukunftsstrebens. Direkt vom Konzertsaal begab er sich in das Fernsprechzimmer und rief die zentrale Arbeitsverteilungsstelle der nördlichen Wohnzone an. Der junge Informator, der Dar Weter hierher, ins Bergwerk, geschickt hatte, erkannte ihn und sagte erfreut:

„Heute Morgen hat man Sie vom Rat für Sternenschifffahrt angerufen, aber ich konnte keine Verbindung herstellen. Ich werde Sie sofort verbinden.“

Der Bildschirm erlosch und flammte kurz darauf wieder auf — Mir Orm, der älteste der vier Sekretäre des Rates, erschien. Er machte ein ernstes und, wie Dar Weter den Eindruck hatte, trauriges Gesicht.

„Ein großes Unglück ist geschehen! Der Satellit 57 ist verschollen. Der Rat beruft Sie zur Durchführung einer äußerst schwierigen Aufgabe. Ich schicke Ihnen ein ionenbetriebenes Planetenschiff. Halten Sie sich bereit!“

Dar Weter stand reglos vor Staunen vor dem erloschenen Bildschirm.

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