9

Stanley Brogg hatte einen anstrengenden Tag hinter sich.

Der UnterSek jonglierte mit einer ganzen Anzahl von Kartoffeln, die er für Quellen aus dem Feuer geholt hatte, gleichzeitig. Insgeheim war er der Meinung, daß er und Spanner das ganze Amt in Gang hielten. Sie waren vom gleichen Schlag, beide breitgebaut, massiv und methodisch, mit einer Reserve an Gewicht, um in Krisenzeiten zusätzliche Energie zur Verfügung zu haben. Natürlich war Spanner hoher Verwaltungsmann und Brogg ein kleiner Außendienstler. Spanner war Stufe Sechs, Brogg Stufe Neun. Trotzdem sah Brogg sich als Spanners Waffengefährten.

Die beiden anderen, Koll und Quellen — sie waren überflüssige Auswüchse. Koll war voller Haß und Bösartigkeit, vor Wut kochend nur deshalb, weil er klein und häßlich war. Er besaß zwar Fähigkeiten, aber seine im Grunde neurotische Haltung machte ihn gefährlich und nutzlos. Wenn es je einen Fall zwanghaften Freudelns gegeben hatte, dann war es Koll. Brogg verglich ihn oft mit Tiberius Cäsar: ein finsterer Mann voll Bedrohlichkeit, nicht wahnsinnig, aber stark aus dem Gleichgewicht. Man mied ihn besser.

Wenn Koll Kaiser Tiberius war, dann Quellen Claudius; freundlich, intelligent, schwach bis ins Innere. Brogg verabscheute seinen unmittelbaren Vorgesetzten. Quellen erschien ihm als tatterig, ungeeignet für seinen Posten. Ab und zu konnte Quellen kraftvoll und entschlossen handeln, aber Natur war ihm das nicht. Brogg arbeitete Quellen schon seit Jahren zu, sonst wäre das Amt längst zusammengebrochen.

Aber ein Punkt an Quellen war erstaunlich: Er war zu kriminellen Handlungen fähig. Das hatte Brogg verblüfft. Er hatte nicht geglaubt, Quellen sei dazu imstande. Durch geschickte Fälschung von Unterlagen ein Grundstück in Afrika zu erwerben, ungesetzliche Statbeförderung von einer Wohnung Stufe Sieben zum Kongo zu beantragen und genehmigt zu erhalten, ein geheimes Leben des Müßiggangs und sogar des Luxus’ zu führen — nun, das war eine derart kühne Leistung, daß Brogg immer noch nicht begreifen konnte, wie Quellen das gelungen war. Es sei denn, die Erklärung bestand darin, daß Quellen von der Härte des Lebens ringsum so abgestoßen war, daß er bereit war, jedes Risiko einzugehen, um ihm zu entfliehen. Selbst ein Feigling konnte im Interesse seiner eigenen Freiheit zu einer Haltung emporwachsen, die moralische Größe zu sein schien. Ebenso konnte ein verweichlichter, erschlaffter Mensch wie Kaiser Nero sich in einen Dämon verwandeln, nur um seine eigene Schlaffheit zu bewahren. Nero war nach Broggs Ansicht nicht von Haus aus so dämonenhaft gewesen wie Caligula; er war unauffällig ins Ungeheuerliche abgeglitten. In gewisser Weise widersprach das seinem Charakter, so wie Quellens überraschende Kühnheit dem Bild des Mannes widersprach, das Brogg sich gebildet hatte.

Brogg hatte Quellens großes Geheimnis rein durch Zufall entdeckt, auch wenn ein gewisses Maß an Hinterlist beteiligt gewesen war. Er hatte schon seit geraumer Zeit geargwöhnt, daß Quellen etwas Verdächtiges im Sinn hatte, ohne aber zu ahnen, was das sei. Vielleicht abweichlerische religiöse Betätigung; möglicherweise gehörte Quellen einer der verbotenen Sekten an, einer Chaosgruppe zum Beispiel, oder einer der Banden, von denen gesprochen wurde, Leute, die sich in dunklen Winkeln versammelten, um zu Flammen-Bess, der bösartigen Brandstifterin und Attentäterin, zu beten.

Da Brogg die Einzelheiten nicht kannte, aber die abwehrende Wachsamkeit in Quellens Verhalten spürte, versuchte er die Dinge für sich zum finanziellen Vorteil zu gestalten. Er hatte hohe Unkosten. Brogg war ein Mann, den es zum Gelehrtentum drängte; vertieft in das Studium der alten Römer, hatte er sich umgeben mit Büchern, echten römischen Münzen, historischem Kleinkram. Es kostete Geld, Echtes zu kaufen. Brogg kam deshalb mit seinem Gehalt kaum aus. Er war so auf den Gedanken gekommen, Quellen könne ein fruchtbares Opfer für Erpressungen sein.

Zuerst hatte Brogg mit Quellens damaligem Zimmergenossen, Bruce Marok, gesprochen — Quellen war damals noch nicht auf Stufe Sieben befördert gewesen und hatte, wie jeder unverheiratete Mann seiner Stufe, seine Wohnung mit einem anderen teilen müssen. Marok bestätigte zwar, daß etwas Sonderbares im Gange sei, lieferte aber keine Einzelheiten. Er schien nicht viel zu wissen. Dann kam Quellens Beförderung, und Marok war von der Bildfläche verschwunden.

Brogg pflanzte bei seinem Chef ein Ohr und lauschte.

Die Wahrheit ergab sich rasch. Quellen war es gelungen, unter einem Blindnamen, den er vertrat, ein Stück Afrika registrieren zu lassen. Ein Großteil Afrikas war als Privatreservat für Angehörige der Hohen Regierung vorgesehen — vor allem der tropische Teil, der während des Sporenkrieges vor eineinhalb Jahrhunderten praktisch entvölkert worden war. Quellen hatte seinen Anteil. Er hatte veranlaßt, daß dort ein Haus gebaut wurde, und unerlaubte Statbeförderung erreicht, so daß er im Nu über den Atlantik hin- und herhuschen konnte. Quellens kleine Intrige würde natürlich irgendwann von einem der Neuvermessungstrupps entdeckt werden. Aber dieser Teil der Welt stand erst in mehr als fünf zig Jahren zur Neuvermessung an, bis dahin hatte also Quellen wenig zu befürchten.

Brogg verbrachte fasziniert eine ganze Woche damit, Quellens Hin und Her zu verfolgen. Er hatte zuerst vermutet, Quellen nehme Frauen mit in sein Versteck, zur Teilnahme an ungesetzlichen Sektenhandlungen, aber nein, Quellen ging allein. Er suchte einfach Frieden und Einsamkeit. In gewisser Beziehung konnte Brogg Quellen dieses Bedürfnis nachfühlen. Brogg hatte aber eigene Bedürfnisse und war kein sentimentaler Mensch. Er ging zu Quellen.

»Wenn Sie wieder nach Afrika staten«, sagte er beiläufig, »dann denken Sie an mich. Ich beneide Sie, KrimSek.«

Quellen stockte vor Entsetzen der Atem. Dann erholte er sich.

»Afrika? Wovon reden Sie, Brogg? Weshalb sollte ich nach Afrika gehen?«

»Um allem zu entkommen. Ja?«

»Ich bestreite alle Ihre Anwürfe.«

»Ich habe Beweise«, sagte Brogg. »Wollen Sie hören?«

Schließlich waren sie einig geworden. Gegen eine großzügige Barsumme sollte Brogg schweigen. Das war mehrere Monate her, und Quellen hatte regelmäßig gezahlt. Solange er das tat, hielt Brogg die Abmachung ein. Er hatte im Grunde kein Interesse daran, Quellen zu verraten, der ihm als Geldquelle viel nützlicher war als in einer Anstalt für korrektive Rehabilitation. Brogg, der seinen Studien mit Quellens Schweigegeld leichter nachgehen konnte, hoffte sehr, daß kein anderer das Geheimnis des KrimSek lüften würde. Das hätte den Verlust seines Nebeneinkommens bedeutet und ihn als Mitwisser vielleicht sogar ins Gefängnis gebracht. Deshalb bewachte Brogg Quellen wie ein Schutzengel und schützte ihn vor den forschenden Augen anderer.

Brogg wußte natürlich, daß Quellen ihn fürchtete und haßte. Das störte ihn aber nicht. An verschiedenen Stellen ringsum waren auf Band gesprochene Berichte über Quellens Frevelhaftigkeit deponiert, darauf programmiert, sich bei einem eventuellen plötzlichen Ableben oder Verschwinden Broggs an die Hohe Regierung zu wenden. Quellen wußte das. Er war sich völlig im klaren darüber, daß in dem Augenblick, in dem die Sensoren dieser teuflischen kleinen Kästchen die Alphawellen von Stanley Brogg nicht mehr wahrnahmen, selbständig Beine herauskommen und die Geräte zur Zentrale marschieren würden, um ihre Beschuldigungen vorzutragen. Quellen und Brogg befanden sich deshalb in einem Patt, das beiden entgegenkam.

Keiner von ihnen sprach darüber. Im Amt ging die Arbeit ruhig weiter, auch wenn Brogg sich gelegentlich eine verschleierte Anspielung gestattete, um Quellen unter Druck zu halten. Im allgemeinen nahm Brogg Anweisungen entgegen und führte sie aus.

Wie beispielsweise bei dieser Springersache.

Er hatte die letzten Tage damit verbracht, Donald Mortensen nachzuspüren, dem potentiellen Springer, der am 4. Mai verschwinden sollte. Quellen hatte Brogg aufgefordert, den Fall Mortensen mit größter Zurückhaltung zu bearbeiten. Brogg wußte, warum. Er war klug genug, um die Zeitparadox-Folgen vorauszusehen, die sich ergeben mochten, wenn jemand die Abreise Mortensens verhinderte, der auf der Liste nachgewiesener Springer stand. Brogg war die alten Listen persönlich durchgegangen, um die Spule zusammenzustellen, die er Beweisstück A taufte. Nahm man einen Mann aus den alten Aufzeichnungen heraus, mochte die ganze Welt ins Schwanken geraten. Brogg wußte das. Ohne Zweifel wußte Quellen es auch. Ja, Kloofman und Danton würde ein Dutzend Aneurysmen in ihren alternden Arterien platzen, wenn sie dahinterkamen, daß Quellens Abteilung an der Struktur der Vergangenheit herummurkste. Dergleichen gefährdete jedermanns Status in der Gegenwart, und jene, die am meisten zu verlieren hatten — die auf Stufe Eins —, waren diejenigen, die sich am ärgsten aufregen würden, wenn sie von den Ermittlungen erfuhren.

Brogg war deshalb vorsichtig. Er war ziemlich sicher, daß die Hohe Regierung die Ermittlungen im Fall Mortensen sofort unterdrücken würde, sobald sie davon erfuhr. Inzwischen führte Brogg aber lediglich einen Auftrag aus. Er konnte Quellen ans Messer liefern, indem er pfuschte und Mortensen auf sich aufmerksam machte, aber Brogg hatte starke Motive, Quellen vor Schaden zu bewahren.

Er fand Mortensen mühelos: ein schlanker, blonder Mann von achtundzwanzig Jahren mit hellblauen Augen und so weißen Brauen, daß sie praktisch unsichtbar waren. Brogg streifte ihn an einer Schnellboot-Rampe und konnte dem Mann ein Ohr an den Körper praktizieren, indem er den winzigen Haken des Transpondersystems unauffällig in Mortensens Haut stieß. Brogg benützte ein Splittermodell und schob es in eine Schwiele an Mortensens Handfläche. Der Mann würde nie etwas spüren. In einigen Tagen würde sich das Gerät auflösen, aber bis dahin endlose Informationen übermitteln. Brogg war Fachmann in diesen Dingen.

Er peilte sich auf Mortensen ein und zeichnete auf, was dieser trieb.

Der Mann hatte mit einer Person namens Lanoy zu tun. Brogg hörte Dinge wie:

»— an der Station mit Lanoy am Sprungtag —«

»— Lanoys Honorar deponiert —«

»— sagen Sie Lanoy, daß ich in der ersten Maiwoche gehe —«

»— ja, am See, wo wir uns das letztemal getroffen haben —«

Mortensen war verheiratet. Stufe Zehn. Mochte seine Frau nicht. Springen führt zu sofortiger Scheidung, dachte Brogg belustigt. Das Ohr übertrug Sidna Mortensens schrille Klagen, und er mußte zugeben, daß Mortensen wirklich gut daran tat, zu springen. Brogg sammelte ausführliche Daten über den künftigen Springer.

Dann kam die Entscheidung von Kloofman über Giacomin über Koll zu Quellen und damit zu Brogg:

»Lassen Sie Mortensen in Ruhe! Es darf nicht eingegriffen werden! Das ist die Entscheidung!«

Brogg sah Quellen fragend an.

»Was soll ich tun? Wir erfahren viel von Mortensen.«

»Brechen Sie die Ermittlungen ab.«

»Wir könnten versuchen, sie insgeheim weiterzuführen«, schlug Brogg vor. »Solange Mortensen nichts merkt, könnten wir weiter Daten über ihn erhalten. Ich schlage nicht vor, seine Abreise zu verhindern, aber bis —«

»Nein.«

Feigling, dachte Brogg. Hast Angst, daß die Hohe Regierung es dir besorgt.

In einem anarchistischen Augenblick sah Brogg sich, wie er Donald Mortensen bewußt tötete, dreist gegen die Hohe Regierung handelnd, möglicherweise alles zerstörend wie Samson, als er die Schultern an die Säulen des Tempels stemmte. Es hätte Brogg belustigt, wenn er erfahren hätte, daß der angeblich so schüchterne Quellen denselben rebellischen Gedanken gehabt hatte. Es lag ungeheure Macht in dem Wissen, daß ein kleiner Eingriff eines kleinen Beamten die Sicherheit der Hohen Regierung zu bedrohen vermochte. Aber Brogg gab dem Impuls so wenig nach wie Quellen. Er brach die Ermittlungen gehorsam ab. Mortensen würde am 4. Mai in die Vergangenheit verschwinden, und das Kontinuum würde erhalten bleiben.

Immerhin hatte Brogg eine neue Spur zu Lanoy.

Sie war an diesem Tag aufgetaucht. Ein Prolet namens Brand, Stufe Fünfzehn, hatte in einer gewöhnlichen Kneipe zuviel getrunken. Leeward, der sich dort erfrischte, hatte zugehört, wie Brand von Lanoy und seinem Springerunternehrnen gefaselt hatte. Ohne die Mitwirkung der modernen Technologie hatte Leeward so einen entscheidenden Hinweis entdeckt und ihn zu Brogg gebracht.

»Holen wir Brand zum Verhör«, sagte Brogg, als er hörte, was Leeward ermittelt hatte. »Bringen Sie ihn her. Nein — warten Sie. Ich hole ihn. Sie bleiben im Büro.«

Brogg ging auf Erkundung. Er sah sich die Kneipe an, entdeckte Brand, erwog das Unwägbare. Nach einigem Zögern holte er Brand aus der Herde heraus, gab sich als Staatsdiener zu erkennen und nahm ihn zu einem Verhör fest. Brand wirkte erschrocken.

»Ich hab’ nie nichts getan«, sagte er. »Ich hab’ nie nichts getan.«

»Ihnen passiert nichts«, versprach Brogg. »Wir wollen Sie nur befragen.«

Er nahm Brand mit. Als er mit dem Proleten zusammen das Sekretariat erreichte, erfuhr Brogg, daß Quellen eine neue Anweisung erlassen hatte.

»Er will ein Ohr bei seinem Schwager«, sagte Leeward.

Brogg grinste.

»Vetternwirtschaft sogar bei Ermittlungen in Strafsachen? Schämt sich der Mann denn gar nicht?«

»Das kann ich nicht beantworten«, erwiderte Leeward schwerfällig. »Aber er sagt, der Schwager erwägt, zu springen. Er will das überprüfen lassen. Der Kerl soll mit einem Ohr rund um die Uhr überwacht werden. Norman Pomrath heißt er. Ich habe die Daten über ihn schon.«

»Gut. Wir kümmern uns sofort um Pomrath.«

»Pomrath soll mit Lanoy in Verbindung stehen, sagte Quellen.«

»Das scheint für jeden zuzutreffen. Sogar Quellen ist angegangen worden. Wußten Sie das?« Brogg lachte. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, ihm zu sagen, daß auch Mortensen mit Lanoy im Geschäft war, aber ich bezweifle, daß ihn das überraschen wird. Und dieser Prolet, dieser Brand, den Sie gefunden haben — das ist noch eine Spur zu Lanoy. Wir werden einen von ihnen in einem oder zwei Tagen ganz sicher zur Quelle zurückverfolgt haben.«

»Soll ich bei Pomrath das Ohr anbringen?« fragte Leeward.

»Das mache ich. Ich habe ein Talent dafür. Das müssen Sie zugeben.«

So war es auch. Für jemanden von seinem Gewicht konnte er sich leichtfüßig bewegen. So unauffällig wie irgendein guter Frotteur vermochte er sich einem Opfer in einem Schnellboot zu nähern und an einer unvermuteten Stelle geschickt ein Ohr anzubringen. Das Talent war ihm nützlich gewesen, als er Quellen bespitzelt hatte; bei Mortensen war er ebenso geschickt vorgegangen. Nun Pomrath. Brogg ging ins Labor hinunter und suchte nach dem modernsten Gerät, das zur Verfügung stand.

»Hier ist etwas Schönes«, sagte der Labortechniker stolz. »Wir sind eben damit fertig geworden. Es ist uns gelungen, die Ohrtechnologie auf ein Substrat von pseudolebendigem Glas zu übertragen, und das Ergebnis ist einzigartig. Sehen Sie.«

Brogg hielt ihm die Hand hin. Der Techniker legte ein winziges metallisches Sendeplättchen darauf, nur einige Moleküle dick, gänzlich unsichtbar, aber in einem schimmernden, kleinen Kügelchen aus grünem Kunststoff eingeschlossen.

»Wie funktioniert das?« fragte Brogg.

»Normal funktioniert es als Ohr. Aber die Glasnadel hat eine ganz ungewöhnliche Lebens-Reizbewegung. Sobald das Ohr an den Körper des Empfängers gebracht ist, tritt das Glas in Aktion und bohrt sich durch die Haut, zumeist durch die Poren. Es ist eine Art künstlicher Parasit, wissen Sie. Es gelangt hinein und bleibt dort, wo es von jemandem, der sich häufig kratzt, auf keinen Fall entfernt werden kann. Und es sendet auf Dauer. Man muß einen chirurgischen Eingriff vornehmen, um den Informationsfluß abzuschneiden.«

Brogg war beeindruckt. Es gab natürliche viele Modelle von Ohren für den inneren Gebrauch, aber sie mußten alle durch eine der Körperöffnungen des Opfers eingebracht werden, mit gewissen voraussehbaren Schwierigkeiten für den Agenten. Die übliche Methode bestand darin, es ins Essen des Opfers zu schmuggeln. Da aber die meisten Menschen zögerten, vor Fremden zu essen, erforderte das komplizierte Planung. Außerdem wurde das Ohr ziemlich rasch verdaut oder ausgeschieden. Es gab natürlich andere Körperöffnungen, und Brogg hatte bei Gelegenheit Ohren in Frauen placiert, die in einem pulsierenden Augenblick ekstatischer Leidenschaft nicht auf der Hut waren. Doch das war mühselig. Dieses Gerät hier war unendlich besser. Das Ohr konnte äußerlich angebracht werden und gelangte von selbst in den Körper. Ja. Brogg gefiel das.

Er brachte eine Stunde damit zu, den Gebrauch des neuen Modells zu erlernen. Dann suchte er Norm Pomrath.

Der Televektor-Abtaster fand Pomrath schnell für ihn: Im Zentralen Arbeitsregister, wo er zweifellos in der gewohnten Proletenstimmung völliger Verzweiflung die Stellungsmaschine drückte. Brogg zog eine abgewetzte Proletentunika an, die geeignet für eine Umgebung von Stufe Zwölf war, und machte sich auf den Weg zum Kuppelbau der Stellungsmaschine.

Es fiel ihm nicht schwer, Pomrath in der Menge zu finden. Brogg wußte ungefähr, wie der Mann aussah — untersetzt, dunkelhaarig, verkrampft —, und hatte ihn nach ganz kurzer Zeit vor sich. Brogg schob sich in die Menschenschlange, nicht weit von Pomrath entfernt, und beobachtete den unglücklichen Schwager des KrimSek einige Zeit. Pomrath sprach mit keinem Menschen. Er starrte auf die roten, grünen und blauen Datenspeicher wie auf persönliche Feinde. Seine Lippen waren gequält zusammengepreßt, seine Augen dunkel umschattet. Dieser Mann quälte sich, dachte Brogg. Kein Wunder, daß er Springer werden will. Nun, wir werden bald sehr viel über ihn wissen, nicht?

Brogg schob sich hinter Pomrath heran.

»Verzeihung«, sagte er und stolperte. Pomrath streckte die Hand aus, um ihn zu stützen. Brogg umklammerte Pomraths Handgelenk und drückte das Ohr fest in die behaarte Haut knapp über der Elle. Er richtete sich auf, dankte Pomrath für seine Hilfe, während das pseudolebendige Glas, in dem das Ohr lag, seine Reizbewegung entfaltete und sich in Pomraths Körper bohrte.

Bis zum Abend würde das Ohr in Pomraths Arm zu einer schönen, warmen Fettablagerung hinaufgelangt sein, wo es sich einrichten und seine Signale übermitteln konnte.

»Ungeschickt von mir«, murmelte Brogg. Er entfernte sich. Pomrath ließ nicht erkennen, daß er etwas bemerkt hatte.

Brogg kehrte ins Amt zurück und befaßte sich mit der Monitoranlage. Pomrath hatte jetzt das Kuppelgebäude verlassen, ergab sich. Die Peillinie auf dem Oszilloskop zeigte die winzigen Nervenexplosionen, die von Schritten herrührten. Pomrath ging zehn Minuten lang zu Fuß, dann blieb er stehen. Komplexe Muskelaktionen: Er betrat ein Gebäude mit handbedienter Tür. Dann wurden Stimmen übertragen.

POMRATH: Hier bin ich wieder, Jerry.

FREMDE STIMME: Wir haben schon eine Liege für Sie bereit.

POMRATH: Mit einer hübschen kleinen Halluzination, wie? Ich bekämpfe die Krebswesen, nicht, und da ist diese nackte Blondine, die gerettet sein will, während Kloofman darauf wartet, mir die Galaktische Ehrenmedaille zu überreichen.

STIMME: Was herauskommt, kann ich nicht für Sie aussuchen, Norm, das wissen Sie. Sie bezahlen und nehmen, was kommt. Entschieden wird das durch die Dinge, die in Ihrem Kopf rumoren.

POMRATH: In meinem Kopf rumort allerhand, mein Lieber. Wo ist die Maske? Ich träume ganz was Schönes. Norm Pomrath, der Weltenzerstörer. Zerreißt Zeit und Raum. Der Verschlinger von Kontinua.

STIMME: Fantasie haben Sie wirklich eine wilde, Norm.

Brogg wandte sich ab. Pomrath war offenkundig in einem Schnüffellokal. Auf dem Monitor würde jetzt nichts Sinnvolles erscheinen — nicht mehr, als daß Pomrath auf einer Liege schlief und seine Halluzination genoß oder auch nicht genoß.

In einem anderen Zimmer verhörte Leeward immer noch den unglücklichen Proleten Brand. Brand wirkte verstört. Brogg hörte eine Weile zu, konnte wenig Bedeutungsvolles erkennen und machte für diesen Tag Schluß. Quellen war schon nach Hause gegangen, stellte er fest. Vielleicht über den Abend nach Afrika.

Brogg erreichte kurze Zeit später seine Wohnung. Wie verlangt, hatte er einen Zimmergenossen — einen juristischen Mitarbeiter in einer der Justizabteilungen —, aber es war ihnen gelungen, sich so abzusprechen, daß sie einander selten begegneten. Man mußte sich den Lebensumständen anpassen, so gut es ging.

Müde stellte Brogg sich unter das Molekularbad und reinigte sich vom Schmutz des Tages. Er programmierte das Abendessen. Dann wählte er ein Buch aus. Er befaßte sich mit einem hochinteressanten Thema seines Lieblingssujets, der römischen Geschichte: wie Tiberius mit dem Aufstand von Sejanus fertiggeworden war. Das Wechselspiel der Figuren war unwiderstehlich: Sejanus, der verschlagene Favorit des listigen alten Kaisers, der endlich zu weit ging und durch Tiberius, den alten Bock, der auf Capri wohnte, gestürzt wurde.

Wie von selbst verfiel Brogg ins Sinnieren über diese fernen und gewaltsamen Ereignisse.

Wenn ich Sejanus gewesen wäre, dachte er, wie hätte ich es gemacht? Ohne Zweifel taktvoller. Ich hätte den Alten nie so herausgefordert. Brogg lächelte. Wenn er Sejanus gewesen wäre, hätte er schließlich den Thron selbst bestiegen, das wußte er. Andererseits —

Andererseits war er nicht Sejanus. Er war Stanley Brogg vom Sekretariat Verbrechen. Sehr schade, dachte Brogg. Aber man muß zurechtkommen mit dem, was man hat.

Загрузка...