Sie standen auf der obersten Ebene des Wyrmruhtempels, als der Morgen anbrach: vier Aspekte und ein Orc. Alle waren müde, doch siegreich. Die vergangenen Stunden zwischen dem Fall von Chromatus und diesem Moment waren von all den erforderlichen Kleinigkeiten in Anspruch genommen worden, die einer solchen Schlacht folgten: die Toten zählen und benennen, die Verwundeten heilen und die Nachzügler suchen.
Viele – zu viele – waren bei den Angriffen gefallen und die ernste Aufgabe, die Leichen zu bergen, würde bis zum Sonnenaufgang andauern. Für den Augenblick war jedoch alles Wichtige erledigt.
Sie hatten den Vater des Zwielichts nicht unter den getöteten Kultisten gefunden, obwohl Thrall darauf hingewiesen hatte, dass es eine ganze Reihe verkohlter Leichen gab – einige davon eindeutig menschlich und männlich. Kirygosa hatte ihren blauschwarzen Kopf geschüttelt. „Nein“, sagte sie, „ich würde ihn erkennen. Ich würde ihn überall erkennen.“
Kalecgos hatte sie mit einem besorgten Gesichtsausdruck gemustert. Nur die Zeit würde zeigen, ob Kirygosa sich von den Monaten der Folter erholen würde. Doch sie war zu ihrem Schwarm zurückgekehrt und hatte einen festen Platz im Herzen der Lebensbinderin. Thrall vermutete, dass es ihr gut gehen würde.
Die einzigen Zwielichtdrachen, die sie gefunden hatten, waren tot. Der Rest war geflohen, führerlos und verängstigt. Und Chromatus...
Besorgt, dass irgendeine dunkle Macht versuchen könnte, Chromatus wiederzubeleben, hatten die Drachen versucht, den Leichnam zu zerstören.
Es war ihnen nicht gelungen. Irgendein mächtiger Zauber, womöglich tief in die Synthese von Magie und Technologie verwoben, die ihn überhaupt erst belebt hatte, beschützte den Körper.
„Dann muss er so lange bewacht werden, bis wir einen Weg gefunden haben, ihn völlig zu vernichten“, hatte Alexstrasza entschieden. „Repräsentanten von unseren Schwärmen werden ihn im Auge behalten. Er ist nicht tot... aber er liegt hier ohne einen Lebensfunken. Solange wird er niemandem schaden.“
„Während des Nexuskriegs erschuf Malygos arkane Gefängnisse“, hatte Kalecgos angemerkt. „Wir wissen, wie gut sie funktioniert haben. Wir könnten eines bauen, das groß und stark genug ist, ihn aufzunehmen.“
Nun standen fünf Gestalten, vier Drachen und ein Orc, zusammen und blickten nach Osten. „Wir werden in Kürze wieder getrennte Wege gehen“, sagte Nozdormu leise. „Aber wir werden nie wieder wirklich getrennt sein. Nie wieder.“ Er hob den Kopf und sah sie an. „Thrall... ich habe Euch gesagt, wasss ich erfahren habe.“ Thrall nickte und hörte stumm zu, während Nozdormu den anderen Aspekten das schreckliche Wissen weitergab, das er bereits mit Thrall geteilt hatte.
„Thrall fand mich, als ich versssucht habe, die Antwort auf etwasss zu finden. Ihr alle wisst, dass ich Stunde und Art meines Todesss kenne. Und obwohl ich mein Wisssen nie ausnutzen würde, wurde ich doch auf meinen Reisen auf einem Zeitweg der Anführer desss ewigen Drachenschwarmsss.“
Sie starrten ihn erschrocken an. Für einen langen Moment konnte niemand etwas sagen. Dann meinte Alexstrasza sanft: „Du sagtest Zeitweg. Ist es der wahre, alter Freund?“
„Das weiß ich nicht“, erwiderte er. „Ich wollte genau das herausfinden. Ich wollte einen Weg finden, um zu vermeiden, dass ich etwasss Derartigesss tun werde. Und auf dieser Suche erfuhr ich, was Thrall euch dann berichtete: dass all das Leiden, mit dem wir es zu tun haben – der Wahnsinn von Malygos und Todesschwinge, der Smaragdgrüne Traum, der sich in einen Albtraum verwandelte, der Schattenhammerkult – alles miteinander in Verbindung steht. Das sagte ich Thrall. Und der Grund, warum ich so spät zu eurer Hilfe eilte, war, dass ich einer anderen Spur folgte. Ich habe entdeckt, wer hinter dieser großen und schrecklichen Verschwörung steckt.“ Seine Augen leuchteten, hell vor gerechtem Zorn. „Es... Ich kann es kaum ausssprechen, selbst jetzt. Es sind...“, seine mächtige Stimme wurde zu einem tiefen Flüstern, „... die Alten Götter.“
Die drei anderen mächtigen Drachenaspekte starrten ihn an, ihre Augen weit geöffnet vor Schreck und Sorge.
Thralls Herz pochte. Er wusste über sie Bescheid, sie waren alt und böse. Zwei von ihnen versteckten sich in Ulduar und Ahn’Qiraj. „Ich habe bereits von diesen Wesen gehört“, sagte Thrall. „Aber du weißt sicherlich mehr.“
Einen Moment lang sprach niemand, als würden sie erscheinen, wenn sie darüber redeten.
„Ihr kennt die alten Geschichten, Thrall“, ergriff schließlich Alexstrasza das Wort. „Geschichten vom Bösen, das in Euren Geist eindringt. Das Euch zu dunklen, schrecklichen Dingen treibt. Subtile Einflüsterungen, die wie Eure eigenen Gedanken klingen.“
Und Thrall wusste, dass er tatsächlich bereits davon gehört hatte. „Die Tauren sagen, dass das Böse zum ersten Mal zu ihnen kam, als sie auf dunkle Einflüsterungen hörten.“
Ysera nickte. Sie sah schlecht aus. „Die Flüstereien kamen sogar bis in den Smaragdgrünen Traum“, berichtete sie.
„Sie drangen auch in Todesschwinges Geist ein“, sagte Kalecgos, „als er noch Neltharion war, der Erdenhüter. Es waren die Alten Götter, die ihn in den Wahnsinn trieben, Thrall – die alle schwarzen Drachen verrückt machten.“
„Sie sind alt, älter alsss wir“, sagte Nozdormu. „Sie waren schon hier, bevor die Titanen kamen, und hätten die Welt vernichtet, hätten unsssere Schöpfer nicht eingegriffen. Ein Kampf, wie ihn diese Welt seitdem nicht mehr erlebt hat. Sie wurden weggeschlosssen: versteckt an dunklen Orten dieser Erde, träumend in verzaubertem Schlaf.“
„Nur ihre Flüstereien konnten uns erreichen“, sagte Alexstrasza. „Zumindest... bis vor Kurzem.“ Sie hob die müden Augen zu Nozdormu. „Und du sagst, sie stecken dahinter? Neltharions Korrumpierung. Der Riss in den Zeitwegen? Aber stecken sie wirklich hinter allem? Seit so vielen Jahrtausenden?“
„Wozu?“, fragte Kalecgos.
„Brauchen sie einen Grund?“, fragte Ysera. „Wer weiß schon, wie die Alten Götter denken oder träumen? Sie sind böse und selbst im Schlaf breitet sich das Böse aus.“
„Warum stecken sie hinter all diesen dunklen Ereignissen, warum haben sie sie verursacht? Machen sie das einfach, weil sie alles hassen oder weil sie gern planen? Das wissen wir nicht. Wir müssen nur wissen, dass es so ist und welch schreckliche Konsequenzen daraus entstehen.“
Kalecgos blickte sie eindringlich an. „Überlegt nur, welchen Schaden jedes Einzelne dieser Ereignisse angerichtet hat. Sie haben uns zerrissen. Sie ließen uns einander misstrauen. Erinnert euch, wie schnell wir uns gegen Korialstrasz gewandt haben, obwohl seine Tat selbstopfernd und heroisch war. Selbst du hast gezweifelt, meine Liebe“, sagte er sanft zu Alexstrasza, die ihren roten Kopf senkte.
„Ich glaube, dass selbst mein Aufstieg zum Anführer des ewigen Drachenschwarms, wenn er denn tatsächlich stattfindet, auf sie zurückzuführen issst. Aber heute... haben wir etwasss Neuesss gelernt. Wir, die wir so alt, so scheinbar weise sind.“ Er lachte. „Wir haben entdeckt, dass wir zusammenarbeiten müssen, wenn wir gegen das Böse bestehen wollen.“ Er wandte sich an Ysera. „Werden wir auch andersss siegen können?“, fragte er sehr sanft.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie. „Ohne die Einheit, die wir gefunden haben – ohne die Einheit, die wir noch finden müssen –, werden wir nie in der Lage sein, gegen die kommende Stunde des Zwielichts zu bestehen – und die Vision, die ich sah.“
„Ich dachte, das sei bereits die Stunde des Zwielichts gewesen“, meinte Thrall verwirrt.
Sie schüttelte erneut den Kopf. „Das war sie natürlich nicht“, erklärte sie nachsichtig.
Thralls einziger Trost war, dass die anderen versammelten Drachen ebenso verwirrt schienen wie er. Ysera war mächtig und gütig, aber sie existierte wahrlich weit entfernt von anderen Wesen.
„Ihr habt uns geholfen, wie ich es vorausgesehen habe“, fuhr der grüne Aspekt fort. „Ich war nicht sicher, wie... doch ihr habt es getan. Das Mosaik ist nicht länger einfach nur eine Ansammlung von bunten Steinen. Es nimmt Gestalt und Form an. Die Visionen und Träume, die ich habe – sie manifestieren sich. Es hat einen, der eigentlich nicht zu uns gehört, gebraucht, um uns zusammenzubringen. Und weil wir zusammen sind... wenn die wahre Stunde kommt... werden wir nicht versagen.“
„Vor langer Zeit kam ich mit der Hoffnung der Einheit unter den Drachenschwärmen in meinem Herzen hierher“, sagte Alexstrasza. „Und nach so viel Schmerz und Verlust und Kampf... ist es auf eine Art geschehen, die ich mir niemals hätte vorstellen können. Meine roten Drachen werden Euch stets willkommen heißen, Thrall, Sohn von Durotan und Draka. Nehmt dies als Zeichen unseres Dankes.“ Vorsichtig nahm sie die riesige Vorderklaue, um etwas an ihrem Herzen zu kratzen. Eine einzige kleine Schuppe fiel zu Boden, rot glitzernd. Thrall hob sie auf und legte sie respektvoll in seinen Beutel – denselben Beutel, in dem einst die Eichel der Urtume gelegen hatte und der immer noch die Kette enthielt, die ihm ein junges Menschenmädchen geschenkt hatte.
„Dasss gilt auch für meine bronzenen Drachen, Freund der Zeitwege“, sprach Nozdormu. Auch er schenkte Thrall eine wertvolle glitzernde Schuppe.
„Der Smaragdgrüne Traum ist nicht Euer Reich, aber wisset, von Zeit zu Zeit schicke ich Euch heilende Träume. Auch eine Schuppe von mir sollt Ihr haben. Sie kommt von ganzem Herzen, weil Ihr meinen Auftrag angenommen habt“, sagte Ysera.
Kalec beugte den Kopf herab und in den ersten Anzeichen des warmen rosafarbenen Lichts des Morgens meinte Thrall eine einzelne Träne in seinen strahlenden Augen zu erkennen, als auch der blaue Aspekt eine Schuppe von über dem Herzen gab.
„Ihr habt, ohne zu übertreiben und ohne Zweifel, den blauen Drachenschwarm gerettet. Alles, was Ihr erbittet, sollt Ihr bekommen.“
Thrall war überwältigt. Er nahm sich einen Moment und rang nach Fassung.
„Auch wenn ich dankbar für das Geschenk der Schuppen von jedem von euren Schwärmen bin, erbitte ich nur eure Freundschaft“, sagte er schlicht zu allen. „Und...“, er lächelte ein wenig,... „einen Weg, um zu meiner Geliebten zurückzukommen.“
Thrall überlegte, dass er sich daran gewöhnt hatte, auf dem Rücken eines Drachen zu reisen. Besonders der Rücken dieses Drachen. Er und Tick waren während der letzten Wochen des Reisens und gemeinsamen Kämpfens gute Freunde geworden, und Thrall wusste, er würde sie vermissen. Der Orc war gespannt gewesen, als Tick angeboten hatte, ihn zurückzubringen, besorgt, dass der Flug von den Kontinenten zum Mahlstrom für einen normalen Drachen zu weit sein würde.
Tick hatte gelacht. „Wir haben die Fähigkeit, die Zeit zu verlangsamen oder zu beschleunigen, erinnerst du dich?“, rief sie Thrall ins Gedächtnis. „Ich werde sie für uns beschleunigen... und werde so viel schneller und weiter fliegen können.“
Thrall war aufs Neue erstaunt und seine Demut vor den Eigenschaften der sogenannten normalen Drachen stieg. Und nach scheinbar nur wenigen Momenten flogen sie bereits über dem Mahlstrom. Thrall spürte, wie der bronzene Drache kurz einatmete, während sie den wütenden Wirbelstrom betrachtete.
„Also hier ist Todesschwinge in unsere Welt gekommen“, murmelte Tick. „Es ist kein Wunder, dass die Erde noch in solchem Aufruhr ist.“
„Du klingst wie einer meiner Taurenfreunde, die Mutter Erde betrauern.“
Die große Kreatur reckte den Hals und sah Thrall an. „Wer sagt, dass sie unrecht haben?“
Thrall lachte. „Ich nicht“, sagte er. „Ganz sicher nicht ich.“
Sie fanden eine sicher aussehende Stelle ein gutes Stück entfernt von der Hauptsiedlung. Mit aller Vorsicht, denn Tick wusste, dass die Erde immer noch unglücklich war, landete der Drache äußerst sanft. Thrall rutschte vom Rücken des bronzenen Drachen und blickte ihn lange an.
„Du hast dir den Dank unserer Schwärme verdient“, sagte Tick. „Du hast die Schuppen. Benutze sie, wenn du unsere Hilfe brauchst, und sie wird dir gewährt. Ich kann nur hoffen, dass dieses verwundete Azeroth von deiner Pflege genauso profitieren wird wie wir.“
„Du beschämst mich, meine Freundin. Ich habe nur getan, was ich konnte.“
Ein amüsierter Ausdruck glitt über das schuppige Gesicht. „Du wärst überrascht, wie wenige auch nur versuchen, das zu tun. Du bist nun zu Hause, Thrall. Ich muss zurück. Die Stunde des Zwielichts wird eines Tages kommen und ich muss bereit sein, um zu Nozdormu, meinem Herrn, zu stehen. Danke noch mal... dass du uns geholfen hast, uns und einander zu finden.“
Sie beugte den Kopf bis dicht über den Boden, was, wie Thrall wusste, eine tiefe Ehrerbietung ausdrückte. Er spürte, wie seine Wangen heiß wurden, und nickte. Dann sah er zu, wie Tick sich sammelte und losflog. Der mächtige Drache schrumpfte auf die Größe eines Vogels, dann eines Insekts und verschwand schließlich vollkommen.
Thrall schloss die Augen, sandte ein Flüstern in den Wind und rief so einen Wyvern zu sich. Er tätschelte die Kreatur, kletterte hinauf und flog zum Lager.
Die Wachen bemerkten ihn, und als Thrall das Lager des Irdenen Rings erreichte, hatten sich bereits viele Schamanen versammelten.
„Willkommen zu Hause“, dröhnte Muln Erdenwut und trat vor, um den Orc bei den Schultern zu fassen. „Ihr wart lange fort, doch Ihr seid zu uns zurückgekehrt.“
Thrall lächelte den Tauren an. „Manchmal brauchen Lektionen Zeit, um gelernt zu werden“, sagte er schnell. „Ich glaube, Ihr werdet feststellen, dass ich meine eigenen... Dämonen beruhigt habe und zu Euch mit Wissen zurückkehre, das uns bei unserer Arbeit nützen wird – und unserer Welt nützen wird.“
„Ich bin froh, das zu hören“, antwortete Muln. „Nicht, weil es uns Vorteile bringt, sondern weil ich Einiges in Euch spüren kann. Ihr seid...“, er neigte den Kopf mit den langen Hörnern und suchte nach dem richtigen Wort, „befreiter, ruhiger.“
Thrall nickte. „Das stimmt.“
„Ihr seid wieder da!“ Das war Nobundo, der kam und Thralls Schulter liebevoll drückte. Der Zerschlagene lächelte warm, sein vertrautes Gesicht vor Freude erhellt. „Willkommen zurück“, sagte Nobundo. „Ich habe mitbekommen, was Ihr zu Muln gesagt habt. Und ich bin sehr froh. Habt Ihr Hunger? Eure Reise muss sehr beschwerlich gewesen sein. Wir haben Fleisch auf dem Feuer.“
„Danke euch allen“, sagte Thrall. „Aber auch, wenn es gut ist, euch alle hier zu sehen, gibt es eine, die ich vermisse. Entschuldigt mich, ich muss sie finden.“ Er verneigte sich vor seinen Kollegen.
Aggra war nicht hier. Sie wäre sonst herausgekommen. Er hatte eine Idee, wo er sie finden konnte.
Es gab eine kleine Anhöhe, die weniger beschädigt wirkte als die meisten anderen. Unterschiedlichste Kräuter wuchsen hier, die ums Überleben kämpften, und Aggra kam oft hierher, um sie behutsam zu ernten. Und – wie Thrall wusste – um einfach hier zu sitzen und zu meditieren.
Dort war sie, saß ruhig auf der Anhöhe, die Beine untergeschlagen, die Augen geschlossen.
Einen Moment lang gestattete sich Thrall, sie zu betrachten, während sie ihn noch nicht entdeckt hatte. So lange hatte er von diesem Moment geträumt, zu seiner unglaublichen, inspirierenden Frau zurückzukehren, die sein Herz und seine Seele mit einer so strahlenden Liebe erfüllte. Sie war so stark, dass er es kaum fassen konnte. Das hier war das Gesicht – braun, grobknochig, mit Hauern –, das ihn davon abgehalten hatte, sich der Kälte zu ergeben. Das war der Körper, muskulös, kurvenreich und mächtig, den er für den Rest seines Lebens in den Armen halten wollte. Ihr Lachen war die Musik seines Universums, ihr Lächeln seine Sonne, sein Mond und seine Sterne.
„Aggra“, sagte er und seine Stimme bebte bei diesem Wort. Er schämte sich nicht.
Sie öffnete die Augen und kleine Fältchen bildeten sich in den Augenwinkeln, als sie lächelte. „Du bist zurück“, sagte sie leise, doch Freude klang in ihren Worten mit. „Willkommen daheim.“
Thrall war mit zwei Schritten bei ihr, und noch bevor sie ein Wort sagen konnte, hielt er sie in den Armen und drückte sie fest an seine Brust.
Sie lachte überrascht, aber zufrieden, und ihre Arme umschlossen ihn. Ihr Kopf lehnte an seiner Schulter, wo er perfekt hinpasste. Er konnte ihr Herz fühlen, wie es gegen seine Brust schlug, schnell vor Aufregung und Freude.
Eine sehr lange Zeit lang hielt er sie so. Er wollte sie niemals mehr loslassen. Auch sie hing an ihm und protestierte nicht, während der Moment sich hinzog.
Schließlich lehnte er sich zurück und nahm ihr Gesicht in seine großen grünen Hände. „Du hattest recht“, sagte er ohne Einleitung.
Sie hob eine Augenbraue und bedeutete ihm damit, dass er fortfahren solle.
„Ich habe mich hinter dem Amt des Kriegshäuptlings versteckt. Ein Sklave der Horde, weil ich das als meine Pflicht auffasste. Und das hielt mich davon ab, tief in mich hineinzuschauen und Dinge zu sehen, die mir nicht gefallen. Doch wenn ich das nicht tue, kann ich sie auch nicht ändern. Ich kann nicht besser werden.“
Er trat zurück, griff nach ihren braunen Händen. Er umschloss ihre Finger mit seinen, als würde er das erste Mal die Scharten und Narben auf ihrer beider Haut wahrnehmen. Grün wie Braun fühlte er, wie die rauen Oberflächen gegeneinander rieben. Dann hob er ihre Hand und berührte mit ihr seine Stirn, bevor er sie senkte und ihr tief in die Augen sah.
„Ich konnte weder die kleinen noch die großen Dinge wirklich schätzen. Wie diese starke Hand in meiner.“
Ihre Augen leuchteten. Glitzerten sie vor Tränen? Aber sie lächelte breit, genoss den Moment, wie er war.
„Ich schätze diese Dinge nun, Aggra. Jeden Regentropfen, jeden Strahl des Sonnenlichts, jeden Atemzug, der meine Lunge füllt, jeden Schlag meines Herzens. Es gibt Gefahr und es gibt Schmerz, aber hier ist auch die stille, stete Freude, wenn wir uns nur an sie erinnern und wissen, dass sie da ist. Ich wusste nicht, wer ich war oder wer Thrall werden würde, nachdem ich alles hinter mir gelassen hatte, was ich aufgebaut hatte. Aber jetzt tue ich es. Ich weiß, wer ich bin. Ich weiß, was ich tun muss. Ich weiß... wen ich will.“
Ihr Lächeln wurde breiter, aber sie blieb stumm und hörte weiter zu.
„Und ich weiß in meinem Herzen, dass ich, wenn es an der Zeit ist, tun kann, was nötig ist.“
„Erzähl“, sagte sie leise.
Und dort standen sie, ihre Arme umeinandergeschlungen, und er berichtete. Er erzählte ihr von den Urtumen und von Desharin. Von dem Mörder, der sich als ein sehr alter Feind herausstellte, der neu erschaffen worden war und sich in den richtigen Zeitweg gestürzt hatte. Vom Schmerz, den Mord an seinen Eltern nicht verhindern zu können, gemischt mit der Freude, Durotan versichern zu können, dass sein Kind leben würde.
Er weinte, als er das erzählte, er erinnerte sich an alles, was er gesehen hatte. All die Schrecken und schönen Dinge, die geschehen waren – und eine starke braune Hand wischte die salzigen Tränen aus seinem grünen Gesicht.
Er erzählte von Taretha und Krasus, von Nozdormu, von Alexstrasza und Kalecgos und Kirygosa. Von seiner eigenen Erkenntnis, zu verstehen und anzuerkennen und wirklich präsent zu sein. Von den Erfahrungen, die ein einfacher sterblicher Orc gemacht hatte, und der Hilfe, die er den mächtigen Drachenaspekten bieten konnte.
„Du hast ein Geschenk bekommen“, sagte Aggra, als er verstummte. „Dir wurde die Chance gegeben, zu sehen, wer du warst, aus deinen Fehlern zu lernen und dich zu wandeln und zu wachsen. Wenige gewinnen solche Einsicht, mein Herz.“
Er hielt immer noch ihre Hand und drückte sie fest. „Du warst es, die mir durch die schlimmsten Momente geholfen hat“, sagte er. „Du hast mir ermöglicht, die gebrochene Lebensbinderin an sich selbst zu erinnern.“
Sanft flüsterte er die Worte, er berichtete Aggra von seinem tiefen Bedürfnis, mit ihr zusammen zu sein, ihr Gesicht anzusehen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, während sie zuhörte, und Thrall erkannte, dass es tatsächlich möglich war, ein liebendes Herz auf einem geliebten Gesicht gespiegelt zu sehen.
„Also bin ich heimgekommen“, sagte er schließlich. „Demütiger, aber stolz darauf, woran ich Anteil habe. Bereit, mehr zu tun. Mein Bestes zu geben, mein höchstes Selbst, zu allen Zeiten, um dich zu ehren und meine Freunde und meine Welt. Ich stehe bereit.“
Eine Weile sagte Aggra nichts. Dann, schließlich, mit einer Stimme so voll von Emotionen, voll Stolz und Freude, sagte sie: „Da, das ist mein Go’el.“
Thralls Lippen verzogen sich um seine Hauer zu einem Grinsen. „Go’el“, sagte er, das Wort fühlte sich merkwürdig angenehm in seinem Mund an. „Mein Geburtsname.“ Er betrachtete sie einen Moment und machte den Mund auf. Doch bevor er ein Wort sagen konnte, hörte er eine fröhliche Stimme hinter sich.
„Thrall! Ich habe es gerade erst gehört. Du bist lebend zurück, wie ich sehe!“ Es war Rehgar. Entweder bemerkte er den intimen Moment nicht, den er unterbrach, oder was wahrscheinlicher war, es war ihm egal. Er lief strahlend zu Thrall und schlug dem Orc auf die Schulter. „Ich wette, du hast jede Menge Geschichten für uns!“
Thrall trat ein wenig von Aggra zurück und wandte sein Gesicht seinem Freund zu. Er klatschte Rehgar seinerseits auf die Schulter. „Rehgar, alter Freund... der Thrall, den du kanntest, gibt es nicht mehr. Ich bin Go’el, Sohn von Durotan und Draka. Thrall nur für mich selbst...“, er wandte sich wieder Aggra zu, drückte ihre Hüfte und lächelte, „... und für meine Liebe.“
Rehgar warf den Kopf zurück und lachte. „Gut gesprochen, mein Freund. Gut gesprochen. Ich werde es dich den anderen sagen lassen, aber mach schnell. Das Röstfleisch ist fast fertig und wir sind ausgehungert. Wir warten auf dich, aber wir warten nicht ewig!“ Mit einem letzten Winken wandte sich Rehgar ab und ging zurück zum Lager.
Go’el sah ihm nach, lächelte, dann wandte er sich wieder zu Aggra um. Er wurde ernst, nahm ihre beiden Hände in seine und sagte leise: „Ich meinte das so. Ich werde nur für mich ein Sklave sein und für meine Liebe – wenn sie mich denn will. Für den Rest unseres Lebens.“
Ein glückliches Lächeln breitete sich über Aggras Gesicht aus. Sie drückte seine Hände so fest, dass er beinahe winselte.
„Ich war bereit, Thrall bis ans Ende dieser Welt oder einer anderen zu folgen“, sagte Aggra. „Wie viel mehr will ich mein Leben an Go’els binden!“
Er konnte nicht aufhören, zu lächeln. Er glaubte nicht, dass er je glücklicher gewesen war. Er lehnte seine Stirn an ihre, unendlich dankbar, dass er gelernt hatte, den Augenblick in seinem Herzen zu bewahren, weil dieser hier unglaublich süß war. Schließlich zog er sich zurück, ließ den Moment in die Vergangenheit ziehen und hieß die Gegenwart willkommen. Weil die ebenso hell und fröhlich war.
„Lass uns zurückgehen und es den anderen sagen. Wir haben Aufgaben und harte Pflichten vor uns. Über einige werden wir triumphieren und mit anderen kämpfen. Doch wir werden es immer... gemeinsam tun.“
Hand in Hand mit seiner Lebensgefährtin kehrte Go’el zurück zum Lager, wo die anderen Mitglieder des Irdenen Rings warteten. Dort wurde an diesem Abend gelacht und getanzt, seine Wiederkehr und seine zukünftigen Pläne gefeiert.
Am Morgen wartete dann die ernste Pflicht, die verwundete Welt zu heilen.
Und Go’el war bereit.