Thrall spürte beides nicht. Es folgte ein Aufprall, der weit weicher war als erwartet, aber er hielt seinen Fall nicht auf. Eine Sekunde später, als er schließlich zur Ruhe kam, erkannte er, dass kalte Feuchtigkeit ihn umgab. Er konnte nichts sehen, konnte kaum atmen. Er war offensichtlich nicht auf den Fels aufgeprallt, sondern in den Schnee gefallen, der seinen Fall gebremst hatte. Er lebte. Er hatte Prellungen am ganzen Körper, aber seine Lungen arbeiteten... und er war am Leben.
Er schloss die Augen und blendete die Realität aus.
Vor seinem inneren Auge sah er, wie er auf einer Felsspitze neben einer schönen, gebeugten Gestalt saß. Alexstrasza blickte ihn an, ihr Körper strahlte Trauer und dumpfe Verzweiflung aus.
Ihr versteht es nicht, hatte sie zu ihm gesagt.
Was verstehe ich nicht, Alexstrasza?
Das ist egal. Alles. Es ist egal, ob alles miteinander in Verbindung steht. Es ist egal, wie lange das schon so läuft. Es ist auch egal, ob wir es aufhalten können.
Die Kinder sind tot. Korialstrasz ist tot. Ich bin praktisch auch schon tot, lange wird es nicht mehr dauern. Es gibt keine Hoffnung mehr. Nichts ist mehr da. Nichts ist wichtig.
Er hatte es nicht erkannt, nicht damals. Er war voller Hoffnung gewesen, nachdem er Nozdormu befreit hatte. Auch Kalec mit seinem fröhlichen Optimismus hatte Thrall ermutigt, weiterzukämpfen, sich weiter abzumühen, sich dem eindringenden Zwielicht entgegenzustellen.
Aber Alexstrasza hatte recht. Das alles war egal.
Kalecgos war wahrscheinlich von der schrecklichen Kreatur besiegt worden, die es geschafft hatte, den Angriff der blauen Drachen zurückzuschlagen, als wären es nur Stiche von vielen wütenden Insekten gewesen. Der Schattenhammerkult würde siegen. Sie würden sie erst versklaven und dann vernichten.
Wie egal war es da, dass er weiteratmete? Wie egal war da all die harte Arbeit, Sorge und Anstrengung, die der Irdene Ring aufbot, um die Welt zu heilen? Es war für nichts.
Es sei denn...
Das feine Gesicht der erschütterten Lebensbinderin wich einem anderen. Es war schroffer, kantiger, mit Stoßzähnen und dunkler Haut. Doch sein Herz begann plötzlich zu pochen und zu schmerzen, als würde es erwachen.
Vielleicht zerstörte der Kult diese Welt. Vielleicht hielten sich die Schamanen vom Irdenen Kult selbst zum Narren, wenn sie versuchten, das Land zu heilen, nur um in ihren Untergang zu gehen.
Doch in der Trostlosigkeit, der Verzweiflung und der Dunkelheit wusste Thrall eine Sache.
Korialstrasz ist tot, hatte Alexstrasza gesagt. Sie würde niemals wieder ihren Gefährten sehen, ihren Begleiter und Freund, niemals wieder sein Gesicht berühren, niemals wieder sein Lächeln sehen.
Aber Aggra war nicht tot. Und überraschenderweise war Thrall es nach diesem Sturz auch nicht.
Er keuchte, als der Schmerz zurückkehrte. Seine kühlen Lippen bewegten sich und flüsterten einen Namen: „Aggra...“
Sie hatte ihn ermutigt, zu gehen – hatte es ihm auf ihre schroffe Art praktisch befohlen. Doch hinter diesem „Befehl“ steckte so viel Liebe, das erkannte er erst jetzt. Sie hatte ihn nicht zu ihrem eigenen Wohl weggeschickt. Sie hatte es, weil es für ihn gut war und für diese Welt. Er erinnerte sich daran, wie sehr ihn ihre Weisheit und ihre spitze Zunge irritiert hatten. Sie sagte, was sie dachte, und fühlte, was sie fühlte, während sie es dachte und fühlte. Er erinnerte sich an die Zärtlichkeit, als sie ihn während des Ritus der Vision beschützt und geführt hatte. Und die wahrlich süße Mischung aus Freundlichkeit und Wildheit, die ihre Beziehung ausmachte.
Er wollte sie wiedersehen. Vor dem Ende aller Dinge.
Und anders als Alexstrasza, die verletzt und allein in Desolace kauerte, die sich mit einer Leere umgab, die für ihr eigenes verwüstetes Herz stand, konnte er seine Geliebte wiedersehen.
Ihm war kalt, sein Körper wurde rasch taub, aber er stellte sich vor, wie er mit Aggra zusammen war – so lebhaft, warm und echt –, und befreite sich aus der Lethargie. Thrall zwang seine Lungen förmlich, zu arbeiten, die kalte Luft, so tief er konnte, einzuatmen, und klammerte sich an den Lebensgeist, der in ihm schlummerte.
Das war es, was den Schamanen die Verbindung mit den Elementen ermöglichte. Alle Wesen hatten diese Verbindung, doch nur die Schamanen verstanden sie und konnten sie nutzen. Einen Moment lang erschrak Thrall vor dem eigenen Versagen. Das war der Teil, mit dem er damals am Mahlstrom Probleme gehabt hatte. Er hatte vor den Mitgliedern des Irdenen Rings versagt. Thrall war zu abgelenkt gewesen und hatte sich nicht richtig konzentrieren, sich nicht tief genug in sich selbst versenken und das dort lauernde Wissen zutage fördern können.
Aber dieses Mal war er weder niedergeschlagen noch unkonzentriert. Er sah Aggras Gesicht wie eine Fackel in der Dunkelheit einer unbekannten Zukunft vor sich. Mit geschlossenen Augen erblickte er sie, lächelnd, mit einem Hauch Verspieltheit in ihren goldenen Augen, und hielt ihre Hand.
Diese starke Hand in deiner...
Oh, wie sehr er das wollte. Wie richtig es ihm jetzt erschien. Eigentlich war es nur eine kleine Sache, doch in seinem Herzen war sie größer als jede Furcht vor Tod und Zerstörung.
Und als er ihr und dem Geist des Lebens sein Herz öffnete, empfing er noch eine Vision.
Diese Vision stammte nicht von Aggra oder aus seinem eigenen Leben. Wie eine Szene in einem Theaterstück spielte sie sich in seinem Geist ab: Da war ein Held, ein Bösewicht, eine schockierende Enthüllung; Tragödie und Missverständnisse. Sein Herz, das Aggra immer noch vermisste, schmerzte nun nicht vor Zuneigung zu seiner Frau, sondern vor Mitgefühl, weil er diese Erfahrung teilte.
Dieses Wissen... Alexstrasza...
„Sie muss es erfahren“, flüsterte er und bewegte die kalten Lippen. „Ich muss sie finden und es ihr berichten.“
Am Ende waren es nur diese Verbindungen, die zählten. Am Ende waren sie alles, was zählte. Sie waren es, die Lieder und die Kunst inspirierten, den Antrieb, in die Schlacht zu ziehen, bildeten: die Liebe zum Land oder zur Kultur, zu einem Ideal oder einem Individuum. All das ließ die Herzen schlagen, bewegte Berge, formte die Welt. Und Thrall wurde durch beide Visionen klar, dass er und eine andere, die ebenso trauerte, wirklich tief und innig geliebt wurden. Geliebt für das, was sie waren, und nicht für das, was sie tun konnten. Und es war egal, welchen Titel der Macht sie trugen.
Aggra liebte Thrall für das, was er im Kern war, und er liebte sie auf die gleiche Art und Weise.
Alexstrasza war auch so geliebt worden und musste nur wieder daran erinnert werden. Thrall war tief in seinem Innern klar, dass er der Einzige war, der sie das wissen lassen konnte.
Der Geist des Lebens öffnete sich ihm. Er floss durch ihn, war warm und sanft, aber auch stark. Energie strömte durch beinahe erfrorene Gliedmaßen und er begann, sich den Weg durch den Schnee nach oben zu erkämpfen. Er arbeitete im Rhythmus seines eigenen Atems, machte nur kurz Pausen, um einzuatmen, und schob den Schnee beim Ausatmen fort. Er war ruhig und klar, konzentriert, wie er es noch nie zuvor gewesen war, sein Herz voll mit neuen Offenbarungen, die er unbedingt weitergeben musste.
Es war nicht leicht, aber der Geist des Lebens baute ihn auf – seine Energie war stark und gleichzeitig freundlich. Schließlich zog Thrall sich selbst aus dem Loch, setzte sich auf und kam zu Atem. Langsam stemmte er sich hoch und begann seine nächsten Schritte zu überdenken.
Seine Kleidung war durchnässt. Er brauchte Wärme, ein Feuer, und dann musste er seine nasse Kleidung ausziehen, bevor sie ihn umbrachte – und bei diesem Wetter würde das schnell geschehen. Er schaute sich nach irgendwelchen Drachen um, die nach ihm suchten, sah aber nichts am Himmel außer Wolken und den üblichen Vögeln. Er wusste nicht, wie lang er ohnmächtig gewesen war, aber die Schlacht war eindeutig vorbei – auf die eine oder andere Weise.
Schutz zuerst, dann Feuer. Er sah sich nach einem passenden Ort um. Dort drüben schien eine Höhle zu sein oder zumindest ein Hohlraum in den Felsen, ein dunklerer Fleck im Grau der Umgebung.
Und es war seine Zielgerichtetheit, seine Klarheit, nicht seine Sinne, die ihm einen Herzschlag später das Leben retteten.
Er wirbelte herum, den Schicksalshammer bereit, und konnte gerade noch rechtzeitig den Schlag abblocken, den der Schatten austeilte, der ihn schon so lange jagte.
Schwarzmoor!
Er trug die Teile der Plattenpanzerung, die Thrall nun klar erkannte, das leuchtende Breitschwert, das fast größer war als er selbst. Schwarzmoor setzte nach, dabei steckte etwas in ihm, das größer war als normale menschliche Stärke.
Doch diesmal war es anders.
Das erste Mal, als der dunkle Meuchelmörder aus den Schatten getreten war und derart unerwartet angegriffen hatte, dass er Desharins Kopf vom Körper trennen konnte, war Thrall vollkommen überrascht gewesen. Als Schwarzmoor ihm durch den Zeitweg gefolgt war und versucht hatte, das Kind Thrall zu töten, war er unsicher gewesen. Und als er die wahre Identität des geheimnisvollen Mörders entdeckte, bestürzt.
Die Tatsache, dass Schwarzmoor nicht nur lebte, sondern auch solche Kraft in sich trug, hatte Thralls Vertrauen in alles erschüttert, was er je getan hatte. Es hatte einen Schatten auf alles geworfen, was Thrall war. Alles, was er erreicht hatte, was er geworden war.
Doch nun fletschte Thrall die Zähne und ließ nicht zu, dass er von diesen Dingen dermaßen geschwächt wurde. Sein Körper war geheilt, aber immer noch halb erfroren, und er wusste, dass seine Bewegungen zu langsam waren, um sich ohne Hilfe verteidigen zu können.
Geist des Lebens, hilf mir, diesen Feind zu besiegen, der nicht leben sollte, damit ich deine Visionen zu all denen bringen kann, die davon wissen müssen!
Wärme durchflutete ihn, freundlich, doch mächtig, gewährte seinen Gliedern Kraft und Gelenkigkeit. Am Rande bekam Thrall mit, dass selbst seine Kleidung irgendwie getrocknet war. Eine tröstende Energie stärkte ihn. Er fragte nicht, nahm die Hilfe einfach dankbar an. Thrall griff an, ohne darüber nachzudenken, ließ Jahre der Erfahrung in Schlachten seine Hand leiten und landete Treffer auf Treffer auf der gestohlenen Rüstung, die Schwarzmoor zu tragen wagte. Der Mensch erschrak und sprang zurück, ging in Verteidigungshaltung und hielt das riesige Schwert bereit.
„Ich verstehe, warum ich dich ausbilden lassen wollte“, zischte Schwarzmoor, dabei erkannte Thrall seine Stimme, auch wenn Schwarzmoor einen Helm trug. „Du bist sehr gut... für eine Grünhaut.“
„Die Entscheidung, mich auszubilden, war schon einmal dein Tod, Aedelas Schwarzmoor, und sie wird es wieder sein. Du kannst das Schicksal nicht betrügen.“
Schwarzmoor lachte, ein lautes Geräusch voll echtem Spott. „Du bist aus einer unglaublichen Höhe gestürzt, Orc. Du bist verwundet und lebst kaum noch. Es ist dein Schicksal, hier im frostigen Norden zu sterben, nicht meines, von dir getötet zu werden. Auch wenn du bemerkenswert stark warst, wird es ein Genuss sein, dich zu zermalmen. Doch ich fürchte, ich muss mich noch um andere Angelegenheiten kümmern. Fleischfetzer hat sich schon seit einer Weile nicht mehr gelabt. Ich mache es kurz.“
Er betonte den Namen, als wolle er Thrall die Furcht direkt ins Herz stechen. Stattdessen lachte der Orc.
Schwarzmoor runzelte die Stirn. „Was amüsiert dich so im Augenblick deines Todes?“
„Daran bist du schuld“, sagte Thrall. „Der Name deines Schwertes ist einfach lächerlich.“
„Lächerlich? Das sollte er nicht sein. Es hat tatsächlich das Fleisch derjenigen zerfetzt, die ich getötet hatte!“
„Oh, natürlich“, sagte Thrall. „Doch es ist so primitiv – so plump und ungebildet. So, wie du tief in deinem Innern bist. Was du so verzweifelt vermeiden wolltest.“
Schwarzmoors Stirnrunzeln vertiefte sich, während er knurrte: „Ich bin König. Bedenke das.“
„Nur von einem gestohlenen Königreich. Und du wirst aus mir keine Leiche machen!“
Wütend griff Schwarzmoor erneut an. Doch Thrall parierte den Angriff trotz seiner Verletzungen von dem beinahe tödlichen Sturz und ging in die Offensive.
Schwarzmoor hatte damals im Augenblick seines Todes gesagt, dass Thrall nur das war, was er – Schwarzmoor – aus ihm gemacht hatte. Es war eine Bemerkung, die den Orc gekränkt hatte. Er hatte nicht glauben wollen, dass irgendetwas von diesem Mann ein Teil von ihm war. Drek’Thar hatte ihm geholfen, einiges davon ins rechte Licht zu rücken, doch nun, als die Waffen gegeneinanderschlugen und Funken sprühten, erkannte Thrall, dass er in seinen Gedanken Schwarzmoors bösen Einfluss nie ganz losgeworden war.
Der Mann vor ihm, der das Breitschwert mit starken Armen und tödlicher Entschlossenheit führte, war seine Schattenseite. Durch ihn hatte Thrall die völlige Machtlosigkeit kennengelernt und er hatte danach die meiste Zeit seines Lebens mit dem Vorsatz verbracht, niemals wieder so hilflos zu sein. Und mit der Klarheit und Einsicht der beiden Visionen hatte er eingesehen, dass Schwarzmoor all das darstellte, wogegen Thrall in sich selbst ankämpfte.
„Einst habe ich dich gefürchtet“, grunzte Thrall.
Er hielt den Schicksalshammer in seiner starken grünen Hand, hob die andere und spreizte die Finger. Dann öffnete er den Mund und ein Schrei gerechter Wut durchschnitt die kalte Luft. Ein Wirbelwind erschien und nahm wie ein Zyklon aus Eis den gefrorenen Schnee auf. Mit einer schnellen, präzisen Bewegung seiner Hand lenkte Thrall ihn gegen Schwarzmoor. Der Wirbel hob ihn hoch und höher. Mit einer weiteren Handbewegung holte Thrall seinen ehemaligen Peiniger wieder herunter. Er lag, wo er hingefallen war, einen Arm an die Brust gedrückt, und schnell überbrückte Thrall die Distanz zwischen ihnen.
Er starrte auf die schlaffe Gestalt, seine Augen verengten sich. Während er sprach, hob er den Schicksalshammer zum tödlichen Schlag über den Kopf.
„Du warst alles, was ich gehasst habe... Schwäche, die nur durch Glück in einer Machtposition war. Du hast dafür gesorgt, dass ich mich selbst hasste... auf eine Art...“
Schwarzmoor kam auf die Knie und stieß mit Fleischfetzer nach Thralls ungeschütztem Torso. Thrall warf sich zurück, aber die äußerste Spitze traf. Der Orc zischte, als zwei Zentimeter Stahl in seinen Bauch eindrangen und er in den Schnee stürzte.
„Sag ruhig alles, damit du dich besser fühlst, Orc“, spottete Schwarzmoor. „Du bist immer noch auf dem besten Weg, deinen Ahnen zu begegnen.“
Die Stimme klang brüchig und der Stoß war deutlich schwächer gewesen als die vorherigen. Thrall musste Schwarzmoor verwundet haben, und zwar stärker, als er ursprünglich gedacht hatte.
Thrall zischte, schwang den Schicksalshammer erneut und zielte auf die Beine seines Gegenübers. Schwarzmoor hatte wohl erwartet, dass der Orc sich erst erhob, bevor er zuschlug, und nicht aus der liegenden Position angreifen würde. Deshalb schrie er laut auf, als der Schicksalshammer so unerwartet in ihn krachte. Die Rüstung fing zwar einiges ab, doch der Schlag war kräftig genug, um Schwarzmoor von den Beinen zu reißen.
Dieser Mann war kein Riese unter den Menschen. So wie Taretha auf dem korrumpierten Zeitweg sie selbst geblieben war, so war es auch bei Schwarzmoor. Er mochte sich nicht dem Trinken ergeben haben, doch nach wie vor zog er seine Energie aus der Stärke anderer. Und er war immer noch Aedelas Schwarzmoor: ein kleingeistiger Mann, der sich auf Verrat und Manipulation verließ.
Und Thrall war immer noch der, der er war.
Als Jugendlichen hatte Schwarzmoor Thrall einschüchtern können. Und er hatte ihn auf dem falschen Fuß erwischt, als er erneut auftauchte und ein stärkeres Individuum zu sein schien. Doch obwohl Thrall nur seine Robe trug, umgab ihn dennoch eine neue Rüstung. Obwohl er den vertrauten Schicksalshammer führte, schwang er neue Waffen. Er spürte die Liebe zu Aggra in seiner Seele brennen. Es war keine Ablenkung, sondern eine stete, tröstliche Glut, beständig und wahr – wahrer als der Hass, der von diesem Mann ausging, der verzweifelt auf den Schnee schlug und versuchte, auf seine beiden verwundeten Beine zu kommen. Der ein Schwert mit einem geschwächten Arm führte, der schnell nutzlos wurde. Aggras Liebe war Rüstung und Waffe, die Thrall schützten, ihm ermöglichten, sein Allerbestes in diesen Kampf einzubringen, egal ob es um Geist oder Körper ging.
Thrall verstand wie nie zuvor, dass diese Momente, in denen Schwarzmoor gewonnen hatte, indem er ihn einschüchterte und seine Entschlossenheit untergrub, nun vorbei waren. Dadurch verlor er die Macht über ihn.
Thrall lebte in diesem Moment und in diesem Moment hatte er keine Angst.
In diesem Moment würde Schwarzmoor nicht gewinnen.
Es war an der Zeit, die Sache zu beenden. Schwarzmoor zu seiner Bestimmung zu verhelfen: dem Tod durch Thralls Hand. All die Zweifel und Unsicherheiten und Ängste dorthin zu schicken, wohin sie gehörten: wahrlich und für immer in die Vergangenheit.
Seine Wunde blutete, die Wärme seines eigenen schwarzroten Blutes durchnässte seine Robe. Der Schmerz half ihm, sich zu konzentrieren.
Thrall führte den Schicksalshammer wie ein Meister der Waffen, der er ja auch war. Der Hammer schlug Fleischfetzer beiseite, Schwarzmoors geschwächter Arm war nicht mehr in der Lage, ein zweihändiges Schwert effektiv zu führen.
Im selben Augenblick löste Thrall eine Hand vom Schaft und hob sie hoch in den Himmel. Ein Knacken erklang und ein großer Eisbrocken löste sich vom Felsüberhang über ihnen. Wie ein Dolch, von geübter Hand geführt, stieß er auf Schwarzmoor zu. Es war nur gefrorenes Wasser, es konnte eine Rüstung nicht durchdringen. Aber es konnte den Menschen wie eine Riesenfaust niederstrecken.
Ein Schmerzensschrei entrang sich Schwarzmoor, als er im Schnee auf die Knie fiel. Waffenlos, beinahe ohnmächtig hob Schwarzmoor die Hände Thrall flehentlich entgegen.
„Bitte...“ Die Stimme war rau und schwach, doch in der klaren Luft konnte Thrall ihn gut hören. „Bitte verschone mich...“
Thrall war nicht ohne Mitleid. Doch größer als das Mitleid in seinem Herzen war der Wunsch nach Gerechtigkeit. Sowohl in dem verdrehten Zeitweg, der diesen Aedelas Schwarzmoor hervorgebracht hatte, wie auch auf Thralls eigenem Zeitweg, wo der Mensch nicht hingehörte.
Thrall hob die Waffe hoch über den Kopf. Sein Blick ruhte weniger auf der flehentlichen Geste, sondern auf dem Leuchten der Plattenpanzerung, die Orgrim Schicksalshammer einst getragen hatte. Die er, Thrall, einst getragen und die er ehrfürchtig abgelegt hatte.
Die Schlange streifte ihre Haut ab. Sein Geist wurde immer klarer und stärker. Es schien, dass das Ablegen seines alten Ichs ein lebenslanger Prozess war. Nun war Thrall bereit, all die zurückgebliebenen Überreste der Macht abzustreifen, die dieser Mensch über ihn hatte.
Er schüttelte den Kopf. Sein Herz war ruhig. Weder Freude noch Rache erfüllten ihn, denn in dem, was er tun musste, lag keine Freude. Und doch war es eine Art Befreiung.
„Nein“, sagte Thrall. „Du solltest nicht hier sein, Schwarzmoor. Du solltest nirgendwo sein. Mit diesem Schlag stelle ich die Dinge richtig.“
Er schlug mit dem Schicksalshammer zu, zermalmte den Metallhelm mitsamt dem Kopf darin. Schwarzmoor war augenblicklich tot.
Thrall hatte seinen Schatten getötet.