„Was?“ Thrall dachte zuerst, dass es sich um einen Witz handelte, der Versuch eines Drachen, den Humor der Sterblichen nachzuahmen. Aber Nozdormu schien es ernst zu meinen. Thrall war gleichzeitig wütend und völlig verwirrt. Selbst die anderen Bronzedrachen zogen sich zurück und flüsterten miteinander.
Nozdormu stieß einen schweren Seufzer aus. „Es ist mir gegeben, dass ich die exakte Stunde und Art meines Todes kenne“, sagte er. „Ich würde das niemalsss für mich ausnutzen. Doch nur einer der Wege zu meinem Schicksal kann der richtige sein. Und in einer noch zu entwickelnden Zukunft wurde ich der Anführer des ewigen Drachenschwarms. Deshalb bin ich in den Zeitwegen verloren gegangen, Thrall. Ich versuchte zu verstehen, wie so etwas sein konnte. Wie kann ich, der stets bemüht war, die große Aufgabe zu ehren, mit der mich die Titanen beauftragt hatten, derart auf Abwege geraten?“
Thrall nickte, obwohl er immer noch schockiert war und mehr als ein bisschen misstrauisch.
„Habt... Ihr entdeckt, wie wir das verhindern können?“, fragte er.
Langsam schüttelte Nozdormu den großen Kopf. „Unglücklicherweise noch nicht. Eine Sache weiß ich, und zwar, dasss alle Schwärme sich vereinen müssen gegen die gegenwärtige Bedrohung. Ysera hatte recht. Ihr habt gewisse Fertigkeiten, Wege des Denkens, Wege des Redens, die andere bewegen. Ihr habt schon so viel geholfen, doch ich muss Euch ein weiteres Mal um Hilfe billen.“
Dem zukünftigen Anführer des ewigen Drachenschwarms helfen? Thrall zögerte. Und dennoch – er konnte nichts Böses in Nozdormu spüren. Noch nicht. Er spürte nur Sorge und Verdruss.
„Für Ysera – und besonders für Desharin, der sein Leben gab, damit ich Euch, Zeitloser, finden konnte, werde ich Euch helfen. Aber ich muss mehr wissen. Ich fürchte, dass ich die meiste Zeit im Dunkeln getappt bin.“
„Wenn man bedenkt, dass Ysera Euch auserwählt hat, überrascht mich das nicht“, erklärte Nozdormu trocken, aber warmherzig. „Sie ist selten klar. Thrall, Sohn von Durotan und Draka, mein tiefster Dank ist Euch gewiss. Wir werden mit Euch teilen, was wir können... doch Ihr müsst das allein tun. Diese Theorie, diese Überzeugung – ich muss mehr darüber wissen, um zu verstehen, was ich tun muss. Sorgt Euch nicht – ich werde nicht vergesssen, an was Ihr mich erinnert habt. Ich werde nicht erneut in den Zeitwegen verloren gehen. Es ist eine schwierige Aufgabe, die aber alles retten könnte. Ihr müsst Alexstrasza finden, die Lebensbinderin, und sie aus ihrer Trauer rütteln.“
„Was ist geschehen?“, wollte Thrall wissen.
„Ich war nicht dabei, doch ich weiß es“, sagte Nozdormu. Thrall nickte. Wenn Nozdormu in jedem Moment gefangen gewesen war, wusste er es natürlich. „Es gab vor nicht allzu langer Zeit ein Treffen mehrerer Schwärme beim Wyrmruhtempel. Es war das erste seit dem Tod von Malygos und dem Ende des Nexuskriegesss. Alexstraszas Gefährte Korialstrasz, den Ihr als Krasus kennt, blieb im Rubinsanktum zurück. Jeder Schwarm hat ein eigenes Sanktum, eine Art... Dimension, die nur für ihn da ist. Das Treffen wurde durch einen Angriff von einem Schwarm der Zwielichtdrachen unterbrochen – die Todesschwinge dienen und dem Schattenhammerkult.“
Thrall runzelte die Stirn. „Ich kenne diesen Kult“, sagte er.
„Während der Schlacht gab es eine schreckliche Explosion. Jedesss der Sanktümer wurde zerstört. Mit ihnen Krasus... und alle Eier in jedem Sanktum. Er hat sie alle getötet.“
Thrall starrte den Bronzedrachen an. Er dachte daran, wie er Krasus kannte – ruhig, intelligent, sich sorgend. „Er... hat sie ermordet? Alle?“
„So scheint es“, knurrte Anachronos dazwischen. Sein Schwanz schlug aus und seine Augen zogen sich zusammen.
Thrall schüttelte entschieden Kopf. „Nein. Das glaube ich nicht. Es muss eine Erklärung dafür geben, einen Grund...“
„Die Lebensbinderin ist am Boden zerstört“, unterbrach Nozdormu ihn. „Stellt Euch vor, wie sie sich fühlen musss. Zu glauben, dasss ihr Liebster verrückt geworden ist oder zu dem Kult gehört – das hat sie vernichtet. Ohne ihren Aspekt werden die roten Drachen nicht dabei helfen, den Schattenhammerkult zu bekämpfen. Und ohne die roten Drachen haben wir keine Chance auf den Sieg. Alles wird verloren sein.“ Er richtete seine großen Augen auf Thrall und sagte bestimmt: „Ihr müsst sie an ihre Pflichten erinnern – an die Fähigkeit ihres Herzens, sich um andere zu sorgen, selbst wenn sie verwundet ist. Könnt Ihr das tun, Thrall?“
Thrall hatte keine Ahnung. Es war eine entmutigende Aufgabe. Konnte das denn kein Drache erledigen? Er hatte keine persönliche Beziehung zu ihr. Wie in aller Welt sollte er sie überzeugen, die übermächtige Trauer zu überwinden und wieder in den Kampf zu ziehen?
„Ich werde es versuchen“, war alles, was Thrall antwortete.
Alexstrasza erinnerte sich nicht, wo sie die letzten Tage gewesen war. Ebenso wenig wusste sie, wohin sie gehen sollte. Sie flog einfach nur, geblendet von Schmerz und dem Verlangen, allem zu entfliehen. Deshalb ließ sie sich von ihren Flügeln dahin tragen, wohin sie wollten.
Sie war über leere, graue Weiten des Ozeans geflogen, über Elfenland und zerstörte Wälder und Winterlandschaften. Bis sie diesen Ort erreicht hatte, der so einsam, gebrochen und leer wirkte wie sie selbst. Ihr Ziel, so hatte sie entschieden, würde Desolace sein – ein passender Name, dachte sie bitter.
Sie verwandelte sich und wanderte auf zwei Beinen südlich des Steinkrallengebirges entlang. Sie kam an einer Schlacht zwischen Horde und Allianz vorbei, achtete nicht darauf, ließ die kurzlebigen Völker sich gegenseitig vernichten. Das war nicht mehr ihre Sache. Sie erreichte ein narbiges Tal, das vor Lava pulsierte, mit Temperaturen, die nur ein schwarzer Drache ertragen konnte, und warf lediglich einen trüben Blick darauf. Sollte die Welt sich doch selbst zerstören. Ihre Liebe war nicht mehr – ihre Liebe, die sie vielleicht verraten hatte und alles, wofür sie gekämpft hatte.
Alexstrasza verfluchte sich selbst, ihren Schwarm, die anderen Schwärme. Sie verfluchte die Titanen, die ihr eine solche Bürde auferlegt hatten. Sie hatte nicht darum gebeten und jetzt erkannte sie, dass sie sie nicht tragen konnte.
Sie zog die Stiefel aus, um wieder feste Erde unter den Füßen zu spüren. Dabei achtete sie nicht auf die Blasen, die sich gebildet hatten. Der steinige Pfad änderte sich, doch das umliegende Land ließ jeden Gedanken an Gras schwinden und war stumpf und grau. Der Boden war merkwürdig pulverig unter ihren wunden Füßen und tröstete auf eine Art, wie es der Stein nicht getan hatte. Sie spürte die Energie des Bösen, nahm sie aber einfach hin und ging Schritt für Schritt weiter. Dabei hinterließ sie verschmierte blutige Fußabdrücke.
Die Toten waren hier. Sie bemerkte zahllose Knochen von Kodos und anderen Tieren, die das Alter gebleicht hatte. Die Skelette bedeckten die Landschaft wie Bäume. Die wenigen lebenden Tiere schienen sich am Aas zu laben – Hyänen, Geier. Alexstrasza sah gelangweilt zu, wie ein Geier über sie hinwegflog. Sie fragte sich, ob er je zuvor Drachenfleisch gefressen hatte.
Bald schon würde er es. Dieser Ort war genau richtig. Sie würde ihn nicht mehr verlassen.
Langsam stieg die als Lebensbinderin bekannte Drachenfrau auf einen der aufragenden Gipfel und blickte über die Einöde, während sie auf den Tod wartete. Hier würde ihr Leiden schließlich enden.
Thrall wäre fast an ihr vorbeigeflogen.
Selbst vom Rücken eines der großen Bronzedrachen aus konnte er nicht alles erkennen. Er suchte einen roten Drachen, der an diesem Ort eigentlich leicht zu sehen sein müsste. Dabei achtete er nicht auf die magere Elfe, die allein auf einem Steingipfel kauerte.
„Ich setze Euch ein Stück entfernt ab“, sagte Tick. Sie war einer der Drachen, der die Höhlen der Zeit bewachte. Sie hatte sich freiwillig gemeldet, Thrall an sein Ziel zu bringen – angefangen mit diesem gottverlassenen Ort. „Ich glaube, ich bin hier nicht willkommen.“
In ihrer Stimme lag keinerlei feindlicher Unterton, sondern nur tiefes Bedauern. Thrall glaubte, dass alle Drachenschwärme das Schicksal der Lebensbinderin betrauerten. Wahrscheinlich würde jedes empfindsame Wesen sie betrauern, überlegte Thrall.
„Ich glaube, das ist das Beste“, stimmte Thrall zu.
Beim Näherkommen sah er die kleine Gestalt besser. Noch konnte er ihr Gesicht nicht erkennen, doch sie war eng zusammengekauert, hatte die Beine an die Brust gedrückt und den rothaarigen Kopf darüber gelegt. Jeder Zoll an ihr schien vor Schmerz und Verzweiflung zu schreien.
Der Bronzedrache landete etwas abseits und legte sich nieder, damit Thrall absteigen konnte.
„Kommt hierher zurück, wenn Ihr zum Rückflug bereit seid“, sagte Tick.
„Ich hoffe ja, dass Alexstrasza und ich gemeinsam zurückkehren werden“, antwortete Thrall.
Tick schaute düster drein. „Kommt zurück, wenn Ihr zum Rückflug bereit seid“, wiederholte sie und schoss in den Himmel.
Thrall seufzte, blickte zur Bergspitze hinauf und machte sich an den Aufstieg.
„Ich höre Euch, Orc“, sagte Alexstrasza, bevor er auch nur die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte. Ihre Stimme war schön, klang aber gebrochen. Wie eine wundervolle Glasskulptur, die von unvorsichtiger Hand beschädigt worden war – immer noch glänzend, immer noch anmutig, aber nicht mehr heil.
„Ich wollte mich nicht an Euch heranschleichen“, antwortete Thrall.
Sie sagte nichts weiter. Er beendete den Aufstieg und setzte sich neben sie auf den harten Stein. Sie gewährte ihm nicht einen Blick und schon gar kein Wort.
Nach einer Weile sagte er: „Ich weiß, wer Ihr seid, Lebensbinderin. Ich...“
Sie wirbelte zu ihm herum, ihr erdiges, schönes Gesicht war wutverzerrt, die Zähne gefletscht. „Nennt mich nicht mehr so! Niemals! Ich binde kein Leben mehr. Nie mehr.“
Ihr Ausbruch erschreckte ihn, überraschte ihn aber nicht. Er nickte. „Wie Ihr wollt. Ich bin Thrall, einst war ich Kriegshäuptling der Horde, nun bin ich Mitglied des Irdenen Rings.“
„Ich weiß, wer Ihr seid.“
Thrall wich ein wenig zurück, fuhr aber fort: „Es ist ganz egal, wie ich Euch nun nennen soll. Ich habe den Auftrag, Euch zu finden.“
„Wer hat Euch beauftragt?“, fragte sie. Ihre Stimme und ihre Miene waren wieder ausdruckslos, als sie sich abwandte und in die leere, hässliche Landschaft blickte.
„Ysera und Nozdormu.“
Kurz schien Interesse in ihrem Gesicht aufzuflammen. So wie das Aufblitzen von etwas Glitzerndem auf dem Wasser. „Er ist zurück?“
„Ich habe ihn gesucht und gefunden, so wie ich Euch gesucht und gefunden habe“, antwortete Thrall. „Er hat sehr viel erfahren – und vieles davon solltet auch Ihr hören.“
Sie antwortete nicht. Die heiße Luft spielte mit ihren dunkelroten Locken. Thrall wusste nicht, wie er fortfahren sollte. Er war auf Trauer und Wut vorbereitet gewesen, aber diese teilnahmslose, tödliche Verzweiflung...
Er berichtete ihr, was geschehen war. Dabei versuchte er, die Geschehnisse wie eine Geschichte klingen zu lassen. Wenn er doch nur etwas Interesse wecken könnte... irgendetwas, was diesen schrecklichen, einer Totenmaske ähnlichen, bleichen Gesichtsausdruck verschwinden ließ. Er berichtete von Ysera und dem Feuerelementar, der versucht hatte, die Urtume zu vernichten. Der Wind blies, heiß und grausam, und dennoch blieb Alexstrasza so unbeweglich, als wäre sie aus Stein gemeißelt.
„Die Urtume haben gesprochen“, fuhr Thrall fort. „Ihre Erinnerungen werden wirr. Jemand beschädigt die Zeitwege.“
„Das weiß ich“, antwortete sie schroff. „Ich weiß, dass die Bronzedrachen darüber besorgt sind. Sie nehmen die Hilfe der Sterblichen an, um die Fehler zu korrigieren. Ihr erzählt mir nichts Neues, Thrall, und schon gar nichts, was mich zur Rückkehr bewegen könnte.“
Ihre Worte waren giftig. Hass lag darin – aber Hass, das wusste Thrall, der nicht gegen ihn gerichtet war. Er war auf Alexstrasza selbst gerichtet.
Er drängte weiter. „Nozdormu glaubt, dass viele Dinge miteinander verbunden sind. Es sind keine isolierten Ereignisse. All die schrecklichen Dinge, die die Aspekte erleiden mussten: der mysteriöse Angriff des ewigen Drachenschwarms, der Smaragdgrüne Albtraum – selbst der Wahnsinn von Todesschwinge und Malygos. Nozdormu spürt in all dem ein Muster. Das Muster eines Angriffs, der sich gegen die Aspekte und ihre Schwärme richtet. Ein Angriff, der sie niederringen und wohl sogar vernichten soll. Oder er sorgt dafür, dass sie sich gegeneinander wenden.“
„Wer sollte so etwas tun, wenn das wirklich wahr ist?“, murmelte sie leise.
Thrall fühlte sich durch dieses schwache Zeichen der Neugierde ermutigt. „Nozdormu braucht mehr Zeit, um es herauszufinden“, antwortete er. „Momentan vermutet er, dass der ewige Drachenschwarm daran beteiligt ist.“
Stille trat ein. „Ich verstehe.“
„Nozdormu bat mich, Euch zu finden und Euch zu helfen. Zu helfen, Euch zu heilen.“ Thrall mochte kaum glauben, dass er, ein einfacher Orc-Schamane, die Lebensbinderin heilen konnte. Sie, die vielleicht größte Heilerin aller Zeiten. Er erwartete beinahe, dass sie das Angebot ablehnte, doch sie schwieg. Also fuhr er fort. „Wenn Ihr Euch erholt, werden viele andere Dinge auch geheilt. Gemeinsam können wir zum Nexus fliegen, mit den blauen Drachen reden und ihnen dabei helfen, Klarheit zu erlangen. Dann...“
„Warum?“ Die Frage war simpel, geradeheraus gestellt und machte ihn einen Augenblick sprachlos.
„Weil... es ihnen helfen wird.“
„Ich frage noch mal: Warum?“
„Wenn wir den blauen Drachen helfen, können sie sich mit uns verbünden und wir können herausfinden, was los ist. Und wenn wir das herausgefunden haben, können wir es ändern. Wir können den Schattenhammerkult bekämpfen und schlagen. Aufdecken, was die Motive des ewigen Drachenschwarms sind. Todesschwinge ein für alle Mal aufhalten... und diese Welt retten, die gerade in Stücke gerissen wird.“
Sie starrte ihn an, ihre Augen durchbohrten ihn förmlich.
Eine lange Zeit sagte sie nichts.
„Ihr versteht es nicht“, sagte sie schließlich.
„Was verstehe ich nicht, Alexstrasza?“, fragte er sehr sanft.
„Dass alles egal ist.“
„Was meint Ihr damit? Wir haben Informationen. Wir wissen, dass all diese Ereignisse Teil eines großen Plans sind, der vielleicht schon seit Jahrtausenden verfolgt wird! Wir könnten sie vielleicht aufhalten!“
Alexstrasza schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Das ist egal. Alles. Es ist egal, ob alles miteinander in Verbindung steht. Es ist egal, wie lange das schon so läuft. Es ist auch egal, ob wir es aufhalten können.“
Er starrte sie verständnislos an.
„Die Kinder“, sagte sie gepresst, „sind tot. Korialstrasz ist tot. Ich bin praktisch auch schon tot, lange wird es nicht mehr dauern. Es gibt keine Hoffnung mehr. Nichts ist mehr da. Nichts ist wichtig.“
Thrall wurde plötzlich wütend. Er spürte immer noch den Verlust von Taretha als stillen Schmerz in seinem Herzen. Ihr Verlust war notwendig gewesen, wenn alles so ablaufen sollte, wie es richtig war. Doch er würde sie vermissen, stets und immer. Er dachte daran, wie wichtig es ihr gewesen war, einen Unterschied zu machen, zu zählen. Sie hatte gewusst, dass sie nur wenig tun konnte. Doch sie hatte gegeben, was sie geben konnte. Die Lebensbinderin konnte sicherlich leicht mit einer Schuppe Dinge erreichen, die Taretha nicht einmal verstand. Und dennoch zog der rote Drache es vor, hierzubleiben und sich darauf zu versteifen, dass alles nicht wichtig war.
Die Dinge waren wichtig. Taretha war wichtig. Azeroth war wichtig. Egal, was Alexstrasza auch erlitten hatte, sie hatte nicht das Vorrecht, sich in ihrem Schmerz zu suhlen.
Er drängte die Wut zurück und milderte sie mit Mitgefühl, das er wahrlich für Alexstrasza empfand. „Es tut mir leid, dass Ihr Eure Eier verloren habt, dass Ihr mehr als eine Generation verloren habt. Ich kann mir Euren Schmerz nicht einmal vorstellen. Und es tut mir leid, dass Ihr Euren Gefährten verloren habt, besonders auf diese Art. Aber... ich kann nicht glauben, dass Ihr all denen, die Euch jetzt brauchen, den Rücken zuwendet“, sagte er und Wut lag in seiner Stimme. „Seid ein Aspekt, um der Urtume willen. Für diese Aufgabe wurdet Ihr einst geschaffen. Ihr...“
Blitzschnell, sodass das Auge kaum folgen konnte, sprang sie auf. Einen Herzschlag später schwebte ein riesiger roter Drache über Thrall. Der feine graue Staub des toten Landes wurde aufgewirbelt und bedeckte seine Haut und Kleidung. Seine Augen tränten. Er sprang ebenfalls auf, trat schnell zurück und fragte sich, was wohl als Nächstes geschehen würde.
„Ja, dafür wurde ich gemacht“, sagte Alexstrasza. Ihre Stimme klang nun tiefer, rauer und voller Wut und glühender Bitterkeit. „Ich wurde zur Lebensbinderin, ohne wirklich zu verstehen, was damit von mir verlangt wurde. Und was von mir verlangt wird, ist nicht länger auszuhalten. Ich habe alles geopfert und gegeben, habe geholfen und gekämpft. Und mein Lohn ist mehr Schmerz, mehr Sehnsucht und der Tod aller, die ich liebe. Ich will Euch nicht töten, aber ich werde es tun, Orc, wenn Ihr mich weiter belästigt. Nichts ist wichtig! Nichts! GEHT!“
Er versuchte es noch einmal. „Bitte“, sagte er. „Bitte denkt doch an die Unschuldigen, die...“
„GEHT!“
Alexstrasza bäumte sich auf, schlug mit den Flügeln und öffnete ihr riesiges, scharfzahniges Maul. Thrall floh. Eine Wand aus auflodernden orangeroten Flammen stülpte sich über den Stein, auf dem er eben noch gesessen hatte. Er hörte, wie sie erneut Atem holte, und lief halb rennend, halb stürzend den Berg hinab.
Ein Brüllen erfüllte die schwere Luft. Es war eine Mischung aus Wut und Angst, und Thralls Herz schmerzte vor Sorge um den trauernden Aspekt. Er wünschte, er hätte einen Weg finden können, an sie heranzukommen. Der Gedanke, dass sie hier sterben würde, allein, aus Mangel an Nahrung und Wasser und an gebrochenem Herzen, schmerzte ihn. Er stellte sich mit Bedauern Reisende vor, die eines Tages ihre Knochen finden würden, ausgeblichen und alt wie die anderen Skelette, die diese Landschaft bedeckten.
Er rutschte und schlitterte den Rest des Weges hinab. Zerschrammt, voll bedrückender Gedanken und mit schweren Schritten erreichte er den Treffpunkt mit Tick. Der Drache kreiste einen Moment über ihm, dann landete er und betrachtete ihn traurig.
„Wohin soll ich Euch bringen, Thrall?“, fragte Tick leise.
„Wir fliegen zum Nexus, so wie geplant“, sagte Thrall, seine Stimme klang rau. „Wir werden die blauen Drachen überzeugen, sich mit den anderen Schwärmen zu vereinen, wie Nozdormu es wollte.“
„Und... wir fliegen allein.“
Thrall nickte. „Allein.“ Er blickte zum Umriss des großen roten Drachen hinauf, dessen Flügel wild schlugen. Ihr Körper wand sich, als sie den gehörnten Kopf zurückwarf. Vielleicht würde sie es sich noch einmal überlegen, wenn sie erst merkte, was die anderen Drachen taten. „Zumindest für den Augenblick.“
Doch selbst während sie nach Norden flogen, konnte Thrall über Ticks Flügelschlag das bittere, brüllende Trauern der gebrochenen Lebensbinderin hören.
Wie ein Schatten, der sich zur Dämmerung über das Land ausbreitete, erhob sich etwas Dunkles aus einem Hohlraum, in dem es sich verborgen gehalten hatte. Die Gestalt war weit genug entfernt, sodass sie nicht gesehen wurde, aber noch nahe genug an der Beute dran, um in Reichweite zu bleiben. König Aedelas Schwarzmoor folgte Thrall auf einem Zwielichtdrachen.
Der Wind wehte sein langes schwarzes Haar zurück. Sein Gesicht war zwar grausam, doch nicht hässlich. Ein kurz geschnittener Spitzbart umgab seine Lippen und seine blauen Augen lagen zwischen den elegant geschwungenen schwarzen Brauen.
Nach dem ersten Angriff hatte Schwarzmoor sich entschieden, Thrall nicht durch die Zeitwege zu folgen. Das war zu kniffelig. Die Wahrscheinlichkeit, dass seine Beute ihm entkam und ihn auf eine fruchtlose Jagd führte, war einfach zu groß.
Besser war es, abzuwarten, auf den richtigen Moment zu lauern und bereit zu sein, denn er wusste, dass Thrall schließlich erscheinen musste.
Thrall. Er hatte genug von Thrall gehört, dass er ihn mit einem Messer zerlegen wollte. Thrall, der ihn getötet hatte, dessen schiere Existenz aus Schwarzmoor einen betrunkenen Feigling gemacht hatte. Thrall, der eine Orc-Armee gegen Durnholde geführt hatte. Nein, es war die reine Freude, die vor ihm lag. Der Sieg würde umso süßer sein, wenn man die Herausforderung bedachte, die die Grünhaut momentan darstellte.
Flieg weg, Orc, murmelte er. Seine dünnen Lippen kräuselten sich. Flieg, doch du entkommst mir nicht.
Ich werde dich finden und ich werde dich töten. Und dann werde ich dabei helfen, die Welt zu zerstören.