„Dieses Treffen“, sagte Alexstrasza, die Lebensbinderin, der große rote Drachenaspekt, „wird wahrscheinlich nicht angenehm werden.“
Korialstrasz lachte. „Meine Geliebte pflegt die Gabe der Untertreibung.“
Beide rote Drachen, der rote Aspekt und Korialstrasz – ihr einzig übrig gebliebener Gefährte –, hatten sich für Elfenkörper statt für ihre Drachengestalt entschieden, während sie sich im Rubinsanktum unterhielten. Jeder Drachenschwarm hatte einen solchen Rückzugsort, einen Ort jenseits von Zeit und Raum, der eine ganz eigene magische Dimension darstellte. Das Erscheinungsbild eines Sanktums bestimmte der jeweilige Drachenschwarm. Das Rubinsanktum hatte einst wie das Land der Hochelfen ausgesehen, bevor die Geißel eingedrungen war. Die Blätter der Bäume hatten eine warme purpurne Färbung, die Hügel waren sanft und fließend. Der einzige Zugang zu diesem besonderen Ort führte durch ein Portal, das nach dem letzten Angriff des schwarzen Drachenschwarms und eines einzelnen Feindes, der sich selbst als Mitglied des Zwielichtdrachenschwarms bezeichnet hatte, nun viel aufmerksamer bewacht wurde. Das Sanktum war schwer beschädigt worden, doch es erholte sich allmählich.
Obwohl allein, waren sie dennoch von ihren Kindern umgeben. Hunderte Eier lagen um sie herum: sowohl die Kinder von ihr und ihrem Gefährten als auch die Kinder der anderen. Nicht alle roten Drachen wählten das Rubinsanktum, um dort ihre Eier abzulegen. Die ganze Welt war ihr Zuhause, eigentlich das Heim aller Schwärme. Doch hier war das Herz, das Heiligtum, ein sicherer Ort, der ihnen allein gehörte.
„Die meisten blauen Drachen sind bestürzt, dass Malygos umgebracht wurde, und ich kann ihnen daraus keinen Vorwurf machen“, fuhr Alexstrasza fort.
Malygos, der Drachenaspekt der Magie und der Patriarch des blauen Schwarms, hatte ein tragisches Leben geführt. Jahrtausende war er verrückt gewesen, in den Wahnsinn getrieben von Todesschwinge. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er sich schließlich von diesem entsetzlichen Zustand erholt, zur großen Freude seines eigenen Schwarms und aller anderen Drachen außer den Schwarzen. Die Erleichterung und Freude über seine Wiederherstellung sollte jedoch nur eine äußerst kurze Zeit währen. Denn die anderen Schwärme fanden heraus, dass er schon bald begonnen hatte, die Rolle der Magie in Azeroth zu untersuchen – dabei war er zu einer schrecklichen Schlussfolgerung gelangt: Malygos hatte gemeint, dass die arkane Magie in der Welt Amok lief – und dass die sterblichen Völker dafür verantwortlich waren.
Und so hatte er einen Krieg begonnen.
Malygos hatte die magischen Kräfte, die unter Azeroth strömten, zu seinem eigenen Sitz der Macht umgeleitet, dem Nexus. Die Konsequenzen waren schrecklich gewesen, gefährlich und tödlich. Die Kruste der Welt war geborsten und die daraus resultierenden instabilen Spalten hatten die Struktur der magischen Dimensionen, bekannt als Wirbelnder Nether, zerrissen. Malygos’ fehlgeleiteter Versuch, den Missbrauch der arkanen Magie zu „korrigieren“, musste gestoppt werden, ganz egal, was es kostete.
Im bitteren Nexuskrieg hatte Drache gegen Drache gekämpft. Und es war die Lebensbinderin selbst gewesen, die zu der qualvollen Entscheidung gekommen war, dass Malygos – der sich gerade erst von seinem Jahrtausende andauernden Wahnsinn erholt hatte – vernichtet werden musste.
Alexstrasza und ihr Schwarm hatten sich mit den Magiern der Kirin Tor verbündet. Angesichts dessen, was auf dem Spiel stand, waren die anderen Schwärme einverstanden gewesen, sich in ihrer bitteren Aufgabe mit den roten Drachen zu vereinen. Die Allianz der Drachen wurde als Wyrmruhpakt bekannt. Gemeinsam waren sie in der Lage gewesen, Malygos zu besiegen und zu erschlagen, und der Krieg war vorbei. Nun war der blaue Drachenschwarm tief betrübt und ohne Anführer.
Und dieses Treffen des Wyrmruhpakts, das Alexstrasza vorbereitete und das am Wyrmruhtempel stattfinden sollte, würde das erste seit dem Tod des blauen Drachenaspekts sein. Seit dem Ende des Konflikts war der Pakt noch wertvoller für die Schwärme geworden – kostbar und fragil.
„Ich glaube nicht, dass sie als Schwarm bereit sind, mit uns zu reden – oder überhaupt etwas Sinnvolles zu sagen haben“, sagte Korialstrasz.
Alexstrasza streichelte sein Kinn, lächelte, ihre Augen warm vor Zuneigung. „Solche Aussagen haben dich bei den letzten Treffen so unglaublich beliebt gemacht, mein Lieber.“
Korialstrasz zuckte ein wenig unbeholfen mit den Achseln und vergrub seinen Kopf liebevoll in ihrer Hand. „Das kann ich nicht bestreiten. Ich war nie der Beliebteste deiner Gefährten und jetzt bin ich der Einzige. Ich fürchte, dass ich manches aus dem Gleichgewicht bringe. Doch ich muss die Dinge benennen, wie ich sie sehe. Das ist meine Pflicht, so kann ich am besten dienen.“
„Und das ist einer der Gründe, warum ich dich so schätze“, sagte Alexstrasza. „Aber mal ehrlich, das macht dich bei den anderen Schwärmen auch nicht beliebter. Die Voreingenommenheit gegen die blauen Drachen – Malygos hatte diese Entscheidung getroffen, nicht der ganze Schwarm. Das darfst du ihnen nicht vorwerfen. Sie haben schon genug darunter gelitten, dass die anderen Schwärme ihnen bei jeder Gelegenheit Verrat unterstellen, nur wegen der Farbe ihrer Schuppen.“
Er zögerte. „Ich – du weißt, dass ich Kalecgos mag“, sagte er. „Und es gibt andere, die offensichtlich in der Lage sind, die Situation mit kühlem Kopf zu beurteilen. Aber die meisten kommen nicht über den Verlust hinweg – und sie suchen jemanden, den sie dafür verantwortlich machen können. Wir sind der Schwarm, von dem sie sich am ungerechtesten behandelt fühlen.“ Ein Stirnrunzeln verzerrte einen Moment lang ihre perfekten Augenbrauen und ihre melodische Stimme wurde schärfer. „Selbst wenn ich deine Deutlichkeit schätze, mein ganzer Schwarm denkt nicht so wie mein Gefährte.“
„Du hast das gütigste Herz von ganz Azeroth. Doch manchmal ist ein gütiges Herz blind...“
„Glaubst du, ich sehe nicht klar? Ich habe meinen Schwarm gegen einen verbündeten Aspekt geführt, um Wesen zu retten, deren Leben für uns nur ein Augenblinzeln bedeuten. Du magst es, dich unter die Sterblichen zu begeben, Korialstrasz. Aber deshalb bist du nicht der Einzige, der klar sieht.“
Er öffnete den Mund zu einer Erwiderung, dann schloss er ihn wieder. Schließlich sagte er ruhiger: „Ich spreche nur aus Sorge.“
Augenblicklich wurde seine Gefährtin sanfter. „Das weiß ich. Doch vielleicht wird deine... Sorge über die Blauen bei diesem Treffen nicht wohlwollend betrachtet.“
„Das war doch noch nie so“, gab er mit einem kleinen Grinsen zu. „Und so kommen wir zurück zum Ausgangspunkt.“ Er hob ihre beiden schlanken Hände und küsste die weichen Handflächen. „Geh ohne mich, mein Herz. Du bist der Aspekt. Auf deine Stimme werden sie hören. Ich werde nur ein kleiner Kiesel sein, der zwischen den Schuppen steckt – etwas reizend, aber wenig mehr.“
Sie nickte mit ihrem flammenfarbenen Kopf. „Bei diesem ersten Treffen werden die Spannungen stark sein. Später, wenn wir über die Pläne reden, ist dein Rat willkommen. Heute geht es, glaube ich, hauptsächlich darum, erst mal die Kontakte zu erneuern und alte Wunden zu heilen.“
Alexstrasza beugte sich vor. Ihre Lippen trafen sich so weich und süß. Das war eine der großen Vorzüge, wenn sie Elfengestalt angenommen hatten, die sie beide so angenehm empfanden: Sie spürten liebevolle Berührungen viel intensiver als mit Schuppen. Sie zogen sich zurück, lächelten, der Streit – wenn man es denn überhaupt so nennen konnte – war vergessen.
„Ich werde bald zurückkehren mit, so hoffe ich, guten Neuigkeiten.“ Sie trat zurück. Ihr lächelndes Gesicht veränderte sich, eine stolze Schnauze in strahlendem Rot streckte sich vor und die leuchtenden goldenen Augen vergrößerten sich. Fast schneller als das Auge folgen konnte, änderte sich ihre Gestalt vom Elfenmädchen zum herrlichen glitzernden roten Drachen.
Auch Korialstrasz verwandelte sich. Er mochte beide Gestalten, doch seine Natürliche war reptilienhaft, riesig und mächtig. Einen Herzschlag später standen zwei rote Drachen – jetzt eindeutig erkennbar, was und wer sie waren – nebeneinander im Rubinsanktum.
Alexstrasza warf ihre Hörner in die Luft, dann presste sie sich mit einer Sanftheit gegen ihren Gefährten, die andere Völker bei so einer riesigen Kreatur verwundert hätte. Mit einer Anmut, die ihre Größe Lügen strafte, schoss sie hoch und mit ein paar Schlägen ihrer kräftigen Flügel war sie fort.
Korialstrasz’ Blick folgte ihr liebevoll, dann wandte er sich den Eiern zu, die überall herumlagen. Er erlaubte sich, Stolz und Liebe zu empfinden, als er seine ungeschlüpfte Brut betrachtete. In den Winkeln seiner großen Augen blitzte der Schalk für einen Moment auf, als er etwas sagte, was ihn an die Sprichwörter der Menschen erinnerte, die er so mochte: „Wie wäre es mit einer Gutenachtgeschichte, hm?“
Alexstrasza flog durch das Sanktum und konzentrierte sich darauf, ihre Besorgnis zu verdrängen. Stattdessen sollte die Schönheit dieses Ortes ihr Herz erfüllen. Überall lagen Dracheneier herum: in kleinen Hohlräumen, unter roten Bäumen, in speziellen Nestern nahe der aufragenden Steine. Auf beiden Seiten des Portals standen die Wächter der Kammer: besonders mächtige Drakoniden, deren Aufgabe es war, die unschuldigen Welpen, die noch in ihren Schalen träumten, zu beschützen. Die Zukunft war hier und wurde liebevoll bewacht und ihr Herz war froh. Weil hier die Zukunft entstand und in diesem Moment mit dem Treffen der vier Drachenschwärme begann.
Der schwarze Schwarm, einst so fest und treu wie die gute Erde, die er beschützte und von der er ein Teil war, war seinem verrückten Patriarchen Todesschwinge gefolgt und hatte dem Bösen gestattet, in sein Herz einzudringen. Die schwarzen Drachen zeigten keinerlei Interesse mehr an den anderen Schwärmen, nicht einmal die verschlagen grinsende Yntrige war beim Tempel geblieben. Alexstrasza bezweifelte, dass sie jemals wieder ein Treffen einberufen würde, an dem rote, blaue, grüne, bronzene und schwarze Drachen gemeinsam teilnahmen. Der Gedanke machte sie traurig, doch es war ein alter Schmerz. Den zu ertragen, war sie gewöhnt und sie ließ sich davon nicht die Hoffnung auf einen positiven Ausgang dieses Treffens rauben.
Schnell flog sie durch das Portal, das das Rubinsanktum sicherte, und ließ sich von ihren Flügeln hoch zur Spitze des Wyrmruhtempels tragen, der den Drachenschwärmen seit Jahrtausenden heilig war. Elegante schlanke Linien reichten himmelwärts, eisbedeckte Bögen und Spitzen umgaben ihn, schlossen den Raum aber nie ein. Der Tempel reichte hoch, mehrere Ebenen, jede kleiner als die vorhergehende. Der Himmel über Nordend wölbte sich in einem schwachen Graublau mit ein paar dünnen weißen Wolken darin. Darunter war der Schnee fast schon schmerzhaft weiß, so rein war er.
Die Spitze des Tempels bildete ein runder Boden, in den blumige und geometrische Muster eingelegt waren. Mehrere Meter über dem Boden schwebte eine schöne schimmernde Kugel in sich wandelnden Tönen aus Blau und Weiß. Sie diente nur einem einzigen, sehr wichtigen Zweck: Sie war das Symbol der Einheit des Wyrmruhpakts.
Unter der Kugel der Einheit sah Alexstrasza Dutzende reptilienartige Gestalten. Mehrere Mitglieder ihres eigenen Schwarms warteten bereits, ebenso blaue und nicht wenige grüne Drachen. Die Schwarzen waren natürlich nicht hier – und wenn sie es wären, würde Blut fließen –, doch Alexstrasza war bestürzt, wenn auch nicht wirklich überrascht, dass keinerlei bronzene Drachen anwesend waren, nicht einmal die fröhliche und mächtige Chromie.
Ihr Aspekt, Nozdormu der Zeitlose, war schon lange nicht mehr gesehen worden. Die Zeitwege wurden von einer mysteriösen Gruppe angegriffen, die sich selbst der ewige Drachenschwarm nannte. Deren Motive waren unklar, aber sie konzentrierten sich darauf, den wahren Zeitweg zu zerstören. Alexstrasza vermutete, dass Nozdormu und die anderen seines Schwarms mehr als genug damit zu tun hatten.
Als sie zur Landung ansetzte, erklang eine scharfe, wütende Stimme.
„Ein Aspekt!“, rief jemand.
Alexstrasza wusste, wer das war. Es war Arygos, ein energisches Mitglied des blauen Schwarms und Sohn von Malygos und seiner Lieblingsgefährtin Saragosa. Während des Nexuskriegs hatte sich Arygos offen auf die Seite seines Vaters geschlagen und hatte ihn stets unterstützt. Es schien, dass er auch jetzt noch der Fürsprecher seines Vaters war.
„Der rote Schwarm und eine Gruppe Magier, nein, Drachen, entschieden, sie sollten einen Aspekt töten. Einer von nur fünf – vier, wenn wir Todesschwinge den Zerstörer nicht mitzählen. Wie konntest du dich nur gegen einen der Deinen stellen? Wer ist als Nächstes dran? Die sanfte Ysera? Der stoische Nozdormu? Wenn man jemanden dafür verantwortlich machen kann, dann ist es Alexstrasza. Die sogenannte Lebensbinderin scheint keine Skrupel zu kennen, jemanden zu töten, wenn es ihr passt.“
Mehrere Köpfe hatten aufgesehen, als Arygos sprach, und niemand sagte etwas, als die Lebensbinderin eintraf. Alexstrasza landete anmutig neben dem jüngeren Drachen und sagte ruhig: „Meine Aufgabe ist es, die Unverletzlichkeit des Lebens zu schützen. Malygos’ Entscheidung und die daraus resultierenden Aktionen bedrohten Leben. Ich trauere um deinen Vater, Arygos. Die Entscheidung war schmerzlich. Doch was er vorhatte, war für zu viele zu gefährlich und hätte die Welt vernichten können.“
Arygos trat einen schnellen Schritt zurück, dann verengten sich seine Augen und er hob den großen blauen Kopf.
„Auch wenn ich berücksichtige, was wir heute wissen, finde ich immer noch nicht, dass die Motive meines Vaters durch und durch falsch waren. Die Verwendung, oder sollte ich sagen: Die unsachgemäße, viel zu häufige Verwendung von Magie war tatsächlich seine große Sorge. Wenn du seine Handlungen missbilligt hast, und vielleicht war er ja wirklich fehlgeleitet, hätte es doch sicher andere Wege gegeben, Malygos entgegenzutreten!“
„Du hast es selbst gesagt – er war ein Aspekt“, sagte Alexstrasza. „Und er konnte sich nicht mal hinter der Entschuldigung verstecken, er wäre dem Wahnsinn verfallen. Wenn du dich so um seine Sicherheit gesorgt hast, Arygos, dann hättest du uns dabei helfen können, einen Weg zu finden, um ihn zu bändigen.“
„Lebensbinderin“, erklang eine Stimme, jung, männlich und so ruhig, wie Arygos aufgewühlt war. Ein weiterer blauer Drache trat vor, neigte den Kopf respektvoll, doch nicht unterwürfig. „Arygos tat nur, was er zu der Zeit für richtig hielt, so wie viele andere Mitglieder des blauen Schwarms auch. Ich bin mir sicher, er will wie jeder andere unseren Schwarm wieder aufbauen und die Verantwortung akzeptieren, wie wir alle es müssen“, sagte Kalecgos.
Alexstrasza freute sich, dass Kalecgos hier war. Das war der junge blaue Drache, den ihr Gefährte so mochte. Derjenige, von dem er gesagt hatte, er könne „mit Sinn und Verstand reden“. Was er, wie sie vermutete, bereits tat.
„Ich kann für mich selbst reden“, knurrte Arygos und warf Kalecgos einen irritierten Blick zu.
Viele der blauen Drachen glaubten, dass die anderen Schwärme sie ungerecht behandelten. Nach Alexstraszas Meinung war Arygos eitler veranlagt als die meisten Mitglieder seines Schwarms. Sie vermutete, dass das mit der persönlichen Geschichte des jungen blauen Drachen zu tun hatte – eine, in der es darum ging, verlassen worden zu sein. Nicht zum ersten Mal beklagte Alexstrasza den Verlust von Arygos’ Gelegeschwester Kirygosa. Ihr Gefährte war getötet worden und sie war nach dem Krieg verschwunden. Deshalb nahm man an, dass die junge Blaue, schwanger mit ihren ersten Eiern, wohl im Kampf gefallen war. Weil sie es stets gewagt hatte, sich gegen Arygos zu stellen, hatte sie sich auch mit den wenigen Blauen zusammengetan, die sich gegen Malygos gewandt hatten. Darin lag eine besondere Tragik. Denn es war sehr wahrscheinlich, dass sie von einem Mitglied ihres eigenen Schwarms getötet worden war.
„Ich sehe ein, dass der Plan meines verstorbenen Vaters negative Konsequenzen hatte“, fuhr Arygos mit offensichtlichem Widerwillen fort.
„Wir alle spüren diese Konsequenzen noch“, sagte Afrasastrasz, der lange ein besonderer Unterstützer von Alexstrasza gewesen war. „Das tut die ganze Welt. Und das ist etwas, was direkt auf die Entscheidungen des blauen Drachenaspekts zurückgeht, den du und die anderen hier unterstützt habt. Ihr müsst schon etwas mehr tun als zuzugeben, dass Ihr fehlgeleitet wart, junger Arygos. Ihr müsst es richtig machen.“
Arygos’ Augen verengten sich. „Es richtig machen? Wirst d u es richtig machen, Afrasastrasz? Oder du, Alexstrasza? Du hast mir meinen Vater genommen. Du hast einen ganzen Schwarm ohne Aspekt zurückgelassen. Bringst du ihn uns zurück?“ Seine Stimme und sein ganzer Körper strahlten Wut, Gekränktheit und einen echten, tiefen Schmerz aus.
„Arygos!“, schnappte Kalec. „Malygos war nicht verrückt, als er sich für den Krieg entschied. Er hätte jederzeit aufhören können. Doch das tat er nicht.“
„Ich habe ihn nicht gern getötet, Arygos“, sagte Alexstrasza. „Mein Herz schmerzt noch immer von dem Verlust. Wir haben alle so viel verloren – alle Schwärme, all die Aspekte. Jetzt ist die Zeit der Heilung. Wir sollten uns einander zuwenden, statt aufeinander loszugehen.“
„Ja“, sagte eine leise Stimme, die dennoch weit trug und den Streit augenblicklich beendete. „Wir sollten uns einander zuwenden, und zwar schon bald. Die Stunde des Zwielichts naht und wir müssen bereit sein.“
Die Stimme war sanft und melodisch und der grüne Drache trat fast schüchtern vor. Die anderen Drachen zogen sich zurück, um ihm Platz zu machen. Er bewegte sich nicht mit starken, sicheren Schritten wie die meisten seiner Art, sondern fast tanzend. Seine Augen, die seit Äonen geschlossen gewesen waren, standen nun weit offen, regenbogenfarben, und er bewegte den Kopf, wie um bereit zu sein, jeden Moment etwas Neues zu sehen.
„Was ist das für eine Stunde des Zwielichts, von der du da sprichst, Ysera?“, fragte Alexstrasza ihre Schwester. Nach Jahrtausenden, die sie im Smaragdgrünen Traum verbracht hatte, war Ysera aufgewacht. Alexstrasza und viele andere waren nicht sicher, wie viel von ihr tatsächlich zurückgekommen war. Ysera schien immer noch nicht in dieser Welt verankert zu sein. Sie trieb davon gelöst dahin. Selbst ihr eigener Schwarm, deren Mitglieder wie ihr Aspekt fast immer im Smaragdgrünen Traum hausten und Wächter der Natur waren, schien nicht zu wissen, wie er auf sie reagieren sollte. Yseras Rückkehr in die wache Welt war alles andere als glatt gelaufen, um es vorsichtig auszudrücken.
„Ist es etwas, was du in deinen Träumen gesehen hast?“, drängte Alexstrasza.
„Ich habe alles im Traum gesehen“, antwortete Ysera schlicht.
„Das könnte schon wahr sein, doch es hilft uns nicht“, sagte Arygos und ergriff die Ablenkung, die der Aspekt des grünen Schwarms ihm verschafft hatte. „Du bist nicht mehr die Träumerin, Ysera, obwohl du sicherlich ein Aspekt bist. Vielleicht hast du alles im Traum gesehen und sahst Dinge, die gar nicht existieren.“
„Oh, das ist wahr“, stimmte Ysera bereitwillig zu.
Innerlich zuckte Alexstrasza zusammen. Nicht einmal sie wusste, was sie von Ysera der Erwachten halten sollte. Ja, sie war gesund – doch sie hatte eindeutig Schwierigkeiten, die Dinge zusammenzubringen. Sie würde heute keine große Hilfe sein.
„Es wäre wirklich gut, wenn wir zusammenarbeiten würden – auch vor dieser Stunde des Zwielichts.“ Alexstrasza beobachtete Kalec und Arygos. „Die Blauen müssen festlegen, wie sie einen neuen Aspekt wählen und Entschädigung leisten. Ihr müsst beweisen, dass wir euch wieder trauen können. Das seht ihr sicher ein.“
„Müssen wir das?“, antwortete Arygos. „Warum ‚müssen‘ wir das, Alexstrasza? Wie kommst du dazu, festzulegen, was der blaue Schwarm tun muss und was nicht? Wie kannst du uns verurteilen? Du bietest keine Entschädigung an. Dabei müssen wir deinetwegen einen neuen Aspekt suchen. Wie willst du uns beweisen, dass wir dir trauen können?“ Ihre Augen weiteten sich bei der Beleidigung, doch Arygos fuhr fort. „Woher soll ich wissen, dass du mich nicht töten willst – wenn ich zum Aspekt erwählt werde“, fügte er schnell hinzu. „Und dein Gefährte, Krasus, wie er gern genannt wird – er ist kein Freund der Blauen. Er hat wiederholt gegen uns gesprochen. Mir fällt auf, dass er bei diesem Treffen nicht anwesend ist. Vielleicht wolltest du ihn auch nicht dabeihaben?“
„Korialstrasz hat dein Leben gerettet, Arygos“, erinnerte Kalecgos ihn. „Als dein Vater so in seinem Wahn verloren war, dass er dich verlassen hat.“
Es war ein schmerzhafter Punkt für Arygos und nur wenige waren tapfer genug, um ihn daran zu erinnern. Das Gelege, in dem sich die Eier von Arygos und Kirygosa befunden hatten, war tatsächlich während Malygos’ Wahnsinn verwaist. Korialstrasz hatte es entdeckt, wie so viele andere, und hatte es zu Nozdormu gebracht. Später waren die Gelege dem roten Schwarm übergeben worden. Es war ein leuchtendes Beispiel für die Zusammenarbeit unter den drei Schwärmen gewesen. Und sie hatten ein gemeinsames Ziel gehabt: die hilflosen Welpen zu pflegen, sobald sie aus der Schale schlüpften. Egal, ob sie rot, blau, grün oder bronzen waren.
„Und auch wenn er und ich unsere Differenzen haben, hat mich das nie daran gehindert, Respekt für ihn zu empfinden. Ich habe ihn stets für vernünftig und weise gehalten“, fuhr Kalec fort. „Korialstrasz hat nichts über das Verhalten unseres Schwarms gesagt, was ich nicht auch gesagt hätte.“
„Wirklich? Und was macht das dann aus dir, Kalecgos?“, gab Arygos zurück.
„Genug“, zischte Alexstrasza, Sie hatte nicht erwartet, dass das Treffen reibungslos verlaufen würde. Doch sie hatte auf mehr gehofft als diese Zankerei. „Sicherlich haben die Schwärme genügend Feinde dort draußen, weshalb wir keine wertvolle Zeit darauf verschwenden sollten, uns gegenseitig zu bekämpfen! Todesschwinge ist zurück, mächtiger denn je – und er hat Azeroth dabei fast zerrissen. Nun hat er Verbündete außerhalb seines Schwarms: den Schattenhammerkult. Was auch immer diese Stunde des Zwielichts sein mag, von der Ysera spricht, so sind die Zwielichtdrachen sicherlich eine unmittelbare Bedrohung. Das Rubinsanktum erholt sich noch von dem letzten Angriff. Wenn wir keinen Weg finden, unsere kleinlichen Differenzen beiseitezuschieben...“
„Du hast meinen Vater ermordet! Wie kannst du es wagen, das kleinlich zu nennen?!“
Alexstrasza wurde nicht schnell wütend, doch nun trat sie zu dem jüngeren Drachen und erklärte: „Ich sagte: genug! Wir müssen alle nach vom blicken. Die Vergangenheit ist die Vergangenheit. Wir sind jetzt in Gefahr. Hörst du mich? Verstehst du nicht? Todesschwinge ist zurückgekehrt!“
Sie stand beinahe Schnauze an Schnauze mit Arygos. Ihre Ohren lagen flach am Schädel an. „Unsere Welt war nie zerbrechlicher! Wir Drachen sind mächtige Wesen, doch selbst wir sollten Angst vor dem haben, was geschehen wird. Wir leben in dieser Welt, Arygos. Wir müssen sie beschützen, sie heilen oder selbst die Drachen – das schließt auch die Blauen ein! – werden vernichtet werden. Wir müssen...“
Einige Köpfe hoben sich auf den geschmeidigen Hälsen und wandten sich himmelwärts. Und dann hörte Alexstrasza es auch und erkannte, was es war.
Drachen.
Einen kurzen Augenblick wagte Alexstrasza zu hoffen, dass es der bronzene Schwarm war. Doch einen Moment später sah sie die Färbung und erfasste mit Schrecken, welcher Schwarm es wirklich war.
„Die Zwielichtdrachen“, keuchte sie.
Sie kamen zum Wyrmruhtempel.