7. Kapitel

Frost umgab ihn. Sein starrer Körper ließ das Bewußtsein der betäubenden Kälte in sich eindringen. Ein Netz aus Schaum fesselte seine Arme und Beine. Er unternahm keinen Versuch, sich zu rühren oder auch nur zu denken. Er war zufrieden, hier in der Dunkelheit zu liegen und zu warten. Er glaubte, sich auf dem Heimweg nach Corwin zu befinden.

Er irrte sich. Der Laut von Stimmen weit über ihm drang in sein Bewußtsein, und er bewegte sich unruhig in dem Wissen, daß keine Stimmen auf dem Schiff erklingen konnten. Es war ein Einmannfahrzeug und bot keinen Raum für andere.

Aber die Stimmen blieben.

Ewing versuchte, sich durch den Nebel zu kämpfen, der sein Gehirn einhüllte. Er mußte aufwachen, dem Geheimnis nachgehen.

„— besser, wir schweigen jetzt. Er scheint zu sich zu kommen.“

„Er wird noch einige Minuten brauchen“, sagte eine andere Stimme.

Ewing fühlte, wie die Kälte von ihm zu weichen begann. Er stand im Begriff zu erwachen. Er kannte seine nächste Aufgabe: den Hebel neben seinem Gelenk zu ergreifen, der ihn aus den Fesseln des Gewebes befreien würde.

Immer noch mit geschlossenen Augen tastete er danach. Seine Hand schloß sich über Luft. Er streckte sie so weit wie möglich aus und bewegte sie im Kreise.

Kein Hebel befand sich in seiner Reichweite.

Irgend etwas stimmte hier nicht. War der Entwurf des Schiffes geändert worden?

Seine Hand beschrieb den Kreis ein zweites Mal. Immer noch kein Hebel. Zu seinem Erstaunen entdeckte er, daß seine Hand durch nichts gebunden war; er konnte sie in alle Richtungen bewegen.

Er hob die Hand und berührte seine Brust damit, dann seinen Schenkel. Er fühlte Tuch — kein Schaumgespinst.

„Macht euch fertig“, sagte die Stimme weit über ihm.

Ewings freie Hand griff wild um sich, aber sie fand kein Schaumgewebe. Nur Stimmen erfüllten das Schiff. Ein nebeliger Vorhang verschleierte seine Sicht. Er richtete sich auf, obschon seine steifen Muskeln dagegen protestierten. Er schlug die Augen, auf, schloß sie augenblicklich, als ein Lichtblitz darin explodierte, und öffnete sie dann langsam wieder.

Er spürte einen bitteren Geschmack im Mund; seine Zunge war pelzig. Seine Augen stachen. Sein Kopf schmerzte, und er fühlte eine bleierne Leere im Magen.

„Wir haben mehr als zwei Tage auf Ihr Erwachen gewartet“, meinte eine bekannte Stimme.

Er durchbrach den Nebel, der sein Gehirn einhüllte, und sah sich um. Er lag in einem großen Raum mit dreieckigen Fenstern. Vier Gestalten umstanden ihn: Rollun Firnik, Byra Clork und zwei dunkelhäutige Sirier, die er nicht kannte.

Er befand sich nicht in seinem Schiff. Das war eine Illusion, die seine betäubten Sinne ihm vorgegaukelt hatten.

„Wo bin ich?“ fragte er.

Firnik antwortete: „Im untersten Stockwerk des Konsulatsgebäudes. Wir haben Sie Sechsttagmorgen hierhergeschafft. Inzwischen ist es Ersttag.“

Ewing richtete sich auf und schwang die Beine über den Rand der Lagerstätte. Augenblicklich trat einer der unbekannten Skier vor, legte eine Hand auf seine Brust, packte mit der anderen seine Knöchel und warf ihn zurück auf das Bett. Ewing traf Anstalten, sich von neuem zu erheben; diesmal trug ihm der Versuch einen Schlag mit dem Handrücken ein, unter dem seine Unterlippe aufplatzte und ein Blutfaden über sein Kinn lief.

„Sie können mich hier nicht festhalten“, empörte sich Ewing. „Ich bin corwinitischer Bürger. Ich habe meine Rechte.“

Firnik gluckste. „Corwin liegt fünfzig Lichtjahre entfernt. Im Augenblick sind Sie auf der Erde. Und die einzigen Rechte, die Sie haben, sind die, die ich Ihnen zugestehe.“

Wütend versuchte Ewing, aufzuspringen. „Ich verlange, daß Sie mich freilassen. Ich —“

„Gib ihm eins drauf“, befahl Firnik.

Von neuem trat der vierschrötige Sirier vor und schlug zu — auf die gleiche Stelle. Ewing fühlte, wie sich der Riß in seiner Lippe erweiterte.

„Wenn Sie also jetzt sicher sind“, bemerkte Firnik im Unterhaltungston, „daß Sie keine weiteren Schwierigkeiten verursachen werden, können wir anfangen.. Sie kennen Miß Clork wohl bereits.“

Ewing nickte.

„Und diese beiden Herren hier“ — Firnik deutete auf die schweigsamen Sirier — „sind Sergeant Drayl und Lieutenant Thirsk von der Stadtpolizei. Sie brauchen also gar nicht erst zu versuchen, die Polizei zu rufen, da zwei ihrer besten Leute bereits anwesend sind.“

„Polizei? Stammen die beiden nicht von Sirius IV?“

„Natürlich.“ Firniks Augen verengten sich. „Sirier geben die besten Polizisten ab. Mehr als die Hälfte der lokalen Polizei setzt sich aus Leuten meines Planeten zusammen.“

Ewing erwog diese Mitteilung schweigend. Die Hotels, die Polizei; was noch? Die Sirier würden keinen blutigen Überfall nötig haben, um ihre Macht offiziell zu errichten; sie kontrollierten die Erde bereits mit voller Duldung, wenn nicht Zustimmung der Terrestrier.

Der Corwinit ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Unbekannte Maschinen standen in den Ecken. Folterwerkzeuge. Er sah Firnik an.

„Was wollen Sie von mir?“

Der Sirier kreuzte die Arme und versetzte: „Auskunft. Sie haben sich sehr starrköpfig gezeigt, Ewing.“

„Ich habe die Wahrheit gesagt. Soll ich mir vielleicht etwas ausdenken, was Ihnen gefällt?“

„Sie wissen, daß die Regierung von Sirius IV in Bälde ihre Schirmherrschaft auf die Erde ausdehnen wird“, führte Firnik aus. „Sie erkennen nicht, daß dieser Schritt zum Besten der Mutterwelt geschieht, um sie in den Tagen ihres Niederganges gegen mögliche Einfälle von feindlichen Welten in diesem System zu schützen. Ich spreche nicht von hypothetischen Invasoren aus anderen Galaxen.“

„Hypothetisch? Aber —“

„Ruhe. Lassen Sie mich ausreden. Sie sind im Auftrage Corwins und möglicherweise noch weiterer Kolonien zur Erde gekommen, um sich Gewißheit über das Gerücht zu verschaffen, daß die Schaffung eines derartigen Protektorats bevorsteht. Die Welten, die Sie vertreten, sind zu dem völlig falschen Schluß gelangt, daß wir eine böswillige Einstellung gegenüber der Erde hegen — daß wir sogenannte imperialistische Ziele verfolgen. Und daher sind Sie hierhergeschickt worden, um mit den Terrestriern die notwendigen Absprachen über eine ‚Verteidigung’ der Erde gegen uns zu treffen. Aus diesem Grunde haben Sie mit Generalgouverneur Mellis konferiert und eine Verabredung mit einem gewissen Myreck, einem radikalen und gefährlichen Revolutionär, getroffen. Weshalb wollen Sie das leugnen?“

„Weil es Unsinn ist“, gab Ewing steinern zur Antwort. „Sie haben paranoide Alpträume von Spionen, die aus Ihrem eigenen Schuldgefühl erwachsen, und Sie sind entschlossen, mich als Sündenbock zu benutzen.“

Diesmal brauchte Firnik keinen Befehl zu geben. Lieutenant Thirsk tat es für ihn; Sergeant Drayl schlug zum dritten Mal zu. Der Kopf des Corwiniten flog nach hinten; ein stechender Schmerz durchzuckte ihn.

Firnik schüttelte traurig den Kopf. „Wir sind nicht darauf bedacht, Ihnen wehzutun, Ewing. Warum geben Sie Ihr Leugnen nicht auf?“

„Weil Sie idiotischen Blödsinn reden! Ich bin —“

Die Handkante Drayls schmetterte gegen den Punkt, an dem Schulter und Nacken Ewings sich vereinigten. Er vermochte nicht weiterzusprechen. „Sie haben sowohl Miß Clork als auch mir weismachen wollen“, erklärte Firnik, „Sie wären in der Absicht zur Erde gekommen, terrestrische Hilfe gegen eine angebliche Invasion nichtmenschlicher Wesen zu suchen, die aus den Weiten jenseits dieser Galaxis kommen. Ihre Geschichte ist ein offensichtliches Märchen.“

„Zufällig entspricht sie der Wahrheit“, beharrte Ewing verbissen.

Firnik schnaubte. „Der Wahrheit? Es gibt keine derartige Invasion.“

„Ich habe die Photos von Barnholt gesehen —“

Firnik nickte, und die Hand fuhr von neuem auf ihn herunter. „Es gibt keine derartige Invasion“, wiederholte der Sirier unerbittlich. „Das Ganze ist ein Manöver, das Sie zur Verschleierung Ihrer wahren Tätigkeit auf der Erde verwenden. Wie können wir glauben, daß irgendeine Welt töricht genug wäre, einen Mann zur Erde um Hilfe zu schicken?Zur Erde!“

„Ich habe Ihnen bereits erklärt“, brachte Ewing mühsam hervor, „daß wir nicht auf dem Laufenden waren. Wir hielten die Erde für den beherrschenden Planeten in diesem Teil der Galaxis. Wir konnten nicht wissen —“

Drayls Faust bohrte sich in seinen Magen. Unbarmherzig ließ sich Firnik vernehmen: „Wir kennen noch andere Wege, Sie zu verhören. Die meisten haben allerdings ernsthafte Schädigungen des Verstandes zu Folge. Wir haben es nicht darauf abgesehen, Sie zu martern; mit intaktem Gehirn sind Sie nützlicher für uns.“

Ewing starrte ihn an. „Ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß“, erwiderte er erschöpft. „Alles andere wären Lügen.“

Firnik zuckte die Achseln. „Wir haben Zeit. Wir werden Sie so lange auf diese Weise verhören, bis Sie entweder reden oder wir sehen, daß Ihre Widerstandskräfte zu groß sind. Danach“ — er wies auf die verhüllten Maschinen in den Ecken des Raumes — „werden andere Mittel notwendig sein.“

Ewing lächelte schwach trotz seiner Schmerzen. Sie würden die Wahrheit bald genug herausfinden, dachte er finster. Wenn die üblichen Verhörmethoden sich als nutzlos erwiesen hatten, würden sie den Gedankenbohrer und den Gehirnbrenner und die anderen Vorrichtungen zur Anwendung bringen, die in den umschatteten Ecken auf ihn warteten. Sie würden sein Innerstes nach außen kehren, und dann würden sie feststellen, daß er die Wahrheit gesagt hatte.

Vielleicht würden sie dann beginnen, sich über die Klodni Gedanken zu machen. Ewing kümmerte es wenig. Corwin war verloren, ob er zurückkehrte oder nicht, und vielleicht war es besser, jetzt zu sterben als den Untergang seines Planeten zu erleben.

Er sah zu den harten, kalten Zügen des Siriers auf, und etwas wie Mitleid lag in seinem Blick. „Fangen Sie an“, sagte er leise, „Beginnen Sie das Verhör. Sie werden eine Überraschung erleben.“

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