Morgase verließ ihr Zelt auf dem Hügel und betrachtete Andor. Unter ihnen lag das so gesegnet vertraute Weißbrücke, obwohl ihr nicht entging, dass es größer geworden war. Die Bauernhöfe mussten aufgeben, der Rest der Wintervorräte verdarb, also zogen die Menschen in die Städte.
Die Landschaft hätte grün sein sollen. Stattdessen starb selbst das gelbe Gras und hinterließ braune Narben. Es konnte nicht mehr lange dauern, bevor das ganze Land der Wüste ähnelte. Morgase sehnte sich danach, etwas dagegen zu tun. Das war ihre Nation. Oder war es zumindest einst gewesen.
Sie machte sich auf die Suche nach Meister Gill. Auf dem Weg begegnete sie Faile, die wieder einmal mit dem Quartiermeister sprach. Morgase nickte ehrerbietig. Faile nickte zurück. Zwischen ihnen beiden gab es nun eine Kluft. Morgase wünschte sich, es wäre anders gewesen. Sie und die anderen hatten einen Teil ihres Lebens miteinander geteilt, als die Hoffnung schwächer als eine Kerzenflamme gewesen war. Es war Faile gewesen, die Morgase ermuntert hatte, die Eine Macht zu benutzen, jeden Tropfen aus ihrer erbärmlichen Fähigkeit herauszuquetschen, um nach Hilfe zu rufen, als sie in der Falle gesessen hatten.
Das Lager war bereits vernünftig aufgebaut, und erstaunlicherweise hatten sich die Weißmäntel ihnen angeschlossen. Aber Perrin hatte noch nicht entschieden, wie es weitergehen sollte. Oder falls doch, dachte er nicht daran, Morgase diese Entscheidung mitzuteilen.
Ihr Weg zu den Wagenreihen führte sie vorbei an Hufschmieden und Pferdeknechten, die nach den besten Weidegründen suchten, Leuten, die im Vorratslager debattierten, Soldaten, die mürrisch Gräben für die Exkremente gruben. Jeder kannte seinen Platz außer Morgase. Diener wichen vor ihr zurück und verbeugten sich zögernd, unsicher, wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollten. Sie war keine Königin, aber auch keine weitere Adlige. Und mit Sicherheit war sie keine Dienerin mehr.
Obwohl ihre Begegnung mit Galad sie daran erinnert hatte, wie es war, eine Königin zu sein, war sie für alles dankbar, was sie als Maighdin gelernt hatte. Das war gar nicht so schlimm wie befürchtet gewesen; die Arbeit als Zofe einer Dame hatte durchaus Vorteile gehabt. Die Kameradschaft der anderen Diener, die Freiheit von der Last der Führung, die mit Tallanvor verbrachte Zeit…
Aber das war nicht ihr Leben. Die Zeit war gekommen, damit aufzuhören, so zu tun, als wäre es das.
Schließlich fand sie Basel Gill bei der Beladung des Wagens. Lini überwachte alles, Lamgwin und Breane halfen ihm. Faile hatte Breane und Lamgwin aus ihren Diensten entlassen, damit sie Morgase dienen konnten. Morgase hatte sich jeder Bemerkung enthalten, dass Faile ihr so großmütig die eigenen Diener zurückgab.
Tallanvor war nicht da. Nun, sie konnte sich nicht länger wie ein Mädchen nach ihm verzehren. Sie musste nach Caemlyn zurückkehren und Elayne unterstützen.
»Euer Majest…«, sagte Meister Gill und verneigte sich. Er zögerte. »Ich meine, meine Lady. Entschuldigt.«
»Das macht nichts, Meister Gill. Ich denke auch nicht immer daran.«
»Bist du sicher, dass du das tun willst?« Lini verschränkte die dürren Arme.
»Ja«, sagte Morgase. »Es ist unsere Pflicht, nach Caemlyn zurückzukehren und Elayne die Hilfe anzubieten, die wir geben können.«
»Wenn du das sagst«, erwiderte Lini. »Ich persönlich bin ja eher der Ansicht, dass derjenige, der zwei Hähne auf demselben Hof erlaubt, das Theater verdient, das er bekommt.«
Morgase runzelte die Stirn. »Schön. Aber ich glaube, du wirst sehen, dass ich durchaus dazu imstande bin, Elayne zu helfen, ohne ihre Autorität zu untergraben.«
Lini zuckte mit den Schultern.
Sie hatte nicht ganz unrecht. Morgase musste vorsichtig sein. Ein zu langer Aufenthalt in der Hauptstadt konnte einen Schatten auf Elayne werfen. Aber wenn Morgase etwas aus ihren Monaten als Maighdin gelernt hatte, dann, dass Menschen etwas Produktives tun mussten, selbst wenn es nur darum ging, Tee zu servieren. Sie verfügte über Fähigkeiten, die für Elayne in den kommenden gefährlichen Zeiten von Nutzen sein konnten. Sollte sie allerdings anfangen, ihre Tochter in den Schatten zu stellen, würde sie Caemlyn verlassen und sich auf ihre Güter im Westen zurückziehen.
Die anderen arbeiteten schnell, um mit dem Beladen fertig zu werden, und Morgase musste die Arme verschränken, um nicht mit anzupacken. Es lag eine gewisse Erfüllung darin, sich um sich selbst zu kümmern. Während sie wartete, bemerkte sie, dass jemand aus Weißbrücke geritten kam. Tallanvor. Was hatte er in der Stadt getan? Er entdeckte sie und kam heran, dann verneigte er sich, das schmale Gesicht ein Modell der Ehrerbietung. »Meine Lady.«
»Du hast die Stadt besucht? Hattest du Lord Aybaras Erlaubnis?« Perrin hatte vermeiden wollen, dass die Stadt von Soldaten und Flüchtlingen überflutet wurde, was nur Ärger bringen würde.
»Meine Lady, ich habe dort Familie«, sagte Tallanvor und stieg aus dem Sattel. Seine Stimme war steif und förmlich. »Ich hielt es für klug, den Neuigkeiten auf den Grund zu gehen, die Lord Aybaras Späher berichteten.«
»Ist das so, Gardeleutnant Tallanvor?«, fragte Morgase. Wenn er so förmlich sein wollte, dann konnte sie das auch. Lini ging mit einem Arm voll Leinen vorbei, das eingepackt werden sollte, und kommentierte Morgases Tonfall mit einem Schnauben.
»Ja, meine Lady«, erwiderte Tallanvor. »Meine Lady… wenn ich einen Vorschlag machen darf?« » Sprecht.«
»Den Berichten zufolge hält Euch Eure Tochter noch immer für tot. Ich bin sicher, dass Lord Aybara seinen Asha’man befiehlt, uns ein Wegetor nach Caemlyn zu machen, wenn wir ihn darum bitten.«
»Ein interessanter Vorschlag«, sagte Morgase bedächtig und ignorierte das hämische Grinsen auf Linis Gesicht, als sie in die andere Richtung zurückging.
»Meine Lady«, sagte Tallanvor und sah Lini nach, »könnten wir unter vier Augen sprechen?«
Morgase nickte und ging dann in Richtung Lagerrand. Tallanvor folgte ihr. Ein kurzes Stück entfernt drehte sie sich um und sah ihn an. »Nun?«
»Meine Lady«, fuhr er mit sanfterer Stimme fort. »Der andoranische Hof wird mit Sicherheit erfahren, dass Ihr noch am Leben seid, jetzt, da es Aybaras ganzes Lager weiß. Wenn Ihr Euch nicht zeigt und erklärt, dass Ihr auf den Thron verzichtet habt, könnten die Gerüchte Eures Überlebens Elaynes Autorität untergraben.«
Morgase schwieg.
»Wenn die Letzte Schlacht wirklich naht«, sagte Tallanvor, »dann können wir es uns nicht leisten …«
»Ach, sei still«, sagte sie barsch. »Ich habe Lini und den anderen bereits befohlen, die Sachen zu packen. Ist dir nicht aufgefallen, was sie tun?«
Tallanvor errötete, als er bemerkte, dass Gill eine Truhe herbeischleppte und auf den Wagen stemmte.
»Ich entschuldige mich für meine Dreistigkeit. Mit Eurer Erlaubnis, meine Lady.« Tallanvor nickte ihr zu und wandte sich zum Gehen.
»Müssen wir denn so förmlich miteinander sein, Tallanvor?«
»Die Illusion ist vorbei, meine Lady.« Er ging.
Morgase sah ihm nach und fühlte einen Stich im Herzen. Verflucht sollte ihre Sturheit sein! Verflucht sollte Galad sein! Seine Ankunft hatte sie an ihren Stolz und ihre königlichen Pflichten erinnert.
Es war einfach schlecht für sie, einen Mann zu haben. Das hatte sie bei Taringail gelernt. Trotz der Stabilität, die ihre Ehe gebracht hatte, hatte jeder Vorteil auch eine Bedrohung für den Thron gebracht. Aus diesem Grund hatte sie Bryne oder Thom nie zu ihren offiziellen Gefährten gemacht, und Gaebril hatte bloß bewiesen, dass diese Sorge berechtigt gewesen war.
Jeder Mann, der sie heiratete, konnte eine potenzielle Bedrohung für Elayne und auch Andor sein. Ihre Kinder, sollte sie noch welche bekommen, würden Rivalen für Elaynes Kinder sein. Morgase konnte sich keine Liebe erlauben.
Tallanvor blieb nach ein paar Schritten stehen, und ihr stockte der Atem. Er drehte sich um, kehrte zu ihr zurück. Er zog das Schwert und bückte sich, legte es ihr andächtig zu Füßen, wo sie im vertrockneten Gras und Unkraut stand.
»Es war falsch von mir, mit meinem Weggehen zu drohen«, sagte er leise. »Ich war verletzt, und Schmerzen lassen einen Mann dumme Dinge tun. Du weißt, dass ich immer da sein werde, Morgase. Das habe ich dir schon einmal versprochen, und ich meine es. In diesen Tagen komme ich mir vor wie ein Spatz in einer Welt voller Adler. Aber ich habe mein Schwert und mein Herz, und beides gehört dir. Für alle Ewigkeit.«
Er stand auf und wollte gehen.
»Tallanvor«, sagte sie. Es war fast ein Flüstern. »Du hast mich nie gefragt, weißt du. Ob ich dich nehmen würde.«
»Ich kann dich nicht in diese Lage bringen. Es wäre nicht richtig, dich zu etwas zu zwingen, von dem wir beide wissen, dass du es tun müsstest, jetzt, da deine Identität bekannt wurde.«
»Und was muss ich tun?«
»Mich abweisen«, fauchte er und wurde offensichtlich wütend. »Zum Wohle Andors.«
»Muss ich das?«, fragte sie. »Ich sage mir das immer wieder, Tallanvor, aber ich grüble immer noch darüber nach.«
»Was nutze ich dir denn? Du brauchst zumindest eine Ehe, die Elayne hilft, die Loyalität einer der Fraktionen zu sichern, die du vor den Kopf gestoßen hast.«
»Also muss ich mich in eine Ehe ohne Liebe fügen«, sagte sie. »Schon wieder. Wie oft muss ich denn mein Herz für Andor opfern?«
»Ich schätze, so oft es nötig ist.« Er klang so verbittert, ballte die Fäuste. War nicht auf sie wütend, sondern auf die Situation. Er war immer ein so leidenschaftlicher Mann gewesen.
Sie zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Nicht noch einmal. Tallanvor, wirf einen Blick auf den Himmel über uns. Du hast die Dinge gesehen, die auf der Welt wandeln, hast die Flüche des Dunklen Königs erlebt, die uns trafen. Das ist nicht die richtige Zeit, um keine Hoffnung zu haben. Keine Liebe.«
» Und was ist mit der Pflicht?«
»Die Pflicht kann sich verdammt noch mal hinten anstellen. Sie hat genug von mir bekommen. Jeder hat genug von mir bekommen, Tallanvor. Jeder außer dem Mann, den ich will.« Sie trat über sein Schwert, das noch immer in den Kletten lag, dann konnte sie sich nicht länger beherrschen. Einen Augenblick später küsste sie ihn.
»Also gut, ihr beiden«, sagte eine strenge Stimme hinter ihnen. »Wir gehen auf der Stelle zu Lord Aybara.«
Morgase löste sich von Tallanvor. Es war Lini.
»Was?« Morgase versuchte ihre Fassung zurückzugewinnen.
»Du heiratest«, verkündete Lini. »Und wenn ich dich an den Ohren hinschleifen muss.«
»Ich treffe meine eigenen Entscheidungen«, sagte Morgase. »Perrin wollte mich …«
»Ich bin nicht er«, sagte Lini. »Das erledigen wir besser, bevor wir zu Elayne zurückkehren. Sobald du in Caemlyn bist, gibt es nur Komplikationen.« Sie schaute zu Gill hinüber, der endlich die Kiste verstaut hatte. »Und Ihr! Ladet das Gepäck meiner Lady aus.«
»Aber Lini«, protestierte Morgase, »wir reisen nach Caemlyn.«
»Morgen ist früh genug, Kind. Heute feierst du.« Sie musterte die beiden. »Und bis das mit der Hochzeit erledigt ist, halte ich es nicht für sicher, euch beide allein zu lassen.«
Morgase errötete. »Lini«, zischte sie. »Ich bin keine achtzehn mehr!«
»Nein, mit achtzehn warst du anständig verheiratet. Muss ich dich an den Ohren packen?« »Ich…«
»Wir kommen, Lini«, sagte Tallanvor. Morgase starrte ihn finster an. Er runzelte die Stirn. »Was?« »Du hast nicht gefragt.«
Er lächelte, dann nahm er sie in die Arme. »Morgase Trakand, wollt Ihr meine Frau werden?«
»Ja«, erwiderte sie. »Und jetzt lass uns Perrin finden.«
Perrin zog an dem Eichenast. Er brach ab, und pulveriger Holzstaub flog durch die Luft. Als er den Ast in die Höhe hielt, rieselte Sägemehl aus dem Ende zu Boden.
»Das geschah vergangene Nacht, mein Lord«, sagte Kevlyn Torr. »Die ganze Baumgruppe hier, abgestorben und vertrocknet in einer Nacht. Fast hundert Bäume, schätze ich.«
Perrin ließ den Ast fallen und klopfte sich die Hände ab. »Das ist auch nicht schlimmer als das, was wir zuvor gesehen haben.«
»Aber…«
»Macht euch keine Sorgen«, sagte Perrin. »Schickt ein paar Männer, die aus diesen Bäumen Feuerholz machen sollen; sieht aus, als würde es wirklich gut brennen.«
Kevlyn nickte und eilte los. Andere Waldläufer untersuchten die Bäume und sahen verstört aus. Eiche, Esche und Ulmen, die über Nacht starben, waren schon schlimm genug.
Aber zu sterben und dann zu vertrocknen, als wären sie schon seit Jahren tot? Das konnte einen schon durcheinanderbringen. Am besten nahm man das einfach gleichmütig hin, damit die Männer keine Angst bekamen.
Perrin ging zum Lager zurück. In der Ferne klirrten die Ambosse. Sie hatten Rohstoffe aufgekauft, jedes Stück Eisen und Stahl, das in Weißbrücke zu bekommen war. Die Bewohner hatten alles nur zu gern gegen Lebensmittel eingetauscht, und Perrin hatte fünf Schmieden, die nötigen Männer, um sie aufzubauen, und Hämmer, Werkzeuge und Kohle bekommen.
Möglicherweise hatte er gerade jemanden in der Stadt vor dem Verhungern gerettet. Zumindest für eine Weile.
Die Schmiede arbeiteten. Hoffentlich verlangte er Neald und den anderen nicht zu viel ab. Mit der Macht erzeugte Waffen würden seinen Leuten einen entscheidenden Vorteil verschaffen. Neald hatte nicht genau sagen können, was er eigentlich bei der Herstellung von Mah’alleinir getan hatte, aber das hatte Perrin nicht weiter überrascht. Diese Nacht war einzigartig gewesen. Er legte die Hand auf die Waffe, fühlte die sanfte Wärme, die davon ausging, und dachte an Springer.
Aber jetzt hatte Neald herausbekommen, wie man Schwerter machen konnte, die nie stumpf wurden oder zerbrachen. Je länger er übte, umso schärfere Schneiden produzierte er. Die Aiel hatten bereits angefangen, diese Schneiden für ihre Speere zu verlangen, und Perrin hatte Neald angewiesen, sie zuerst zu bedienen. Das war das Mindeste, was er ihnen schuldete.
Auf dem Reisegelände am Rand des großen Lagers, das zusehends befestigte Züge annahm, stand Grady neben Annoura und Masuri. Sie hatten sich zu einem Zirkel verbunden und hielten ein Tor geöffnet. Das war die letzte Gruppe Zivilisten, die ihn verlassen wollten; die Gruppe reiste nach Caemlyn. Er hatte ihnen einen Boten für Elayne mitgegeben. Er musste sich bald mit ihr treffen, er war sich nicht sicher, ob er sich Sorgen machen musste oder nicht. Die Zeit würde es erweisen.
Andere kamen durch das Tor zurück und brachten ein paar Karren mit Lebensmitteln, die sie in Caemlyn gekauft hatten, wo es noch immer Vorräte gab. Schließlich erblickte er Faile, die ihn im Lager suchte. Er hob die Hand und winkte sie zu sich.
»Alles in Ordnung mit Bavin?«, fragte er. Sie war im Zelt des Quartiermeisters gewesen.
»Alles in Ordnung.«
Perrin rieb sich das Kinn. »Ich wollte dir das schon früher sagen – ich glaube nicht, dass er besonders ehrlich ist.«
»Ich behalte ihn im Auge«, erwiderte sie und roch amüsiert.
»Berelain verbringt immer mehr Zeit mit den Weißmänteln. Anscheinend will sie etwas von Damodred. Mich lässt sie jetzt in Ruhe.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Und sie hat diese Proklamation veröffentlicht, in der sie die Gerüchte über sie und mich verurteilt. Beim Licht, die Leute scheinen sie wohl zu glauben. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass sie es als ein Zeichen der Verzweiflung betrachten!«
Faile roch zufrieden.
Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich weiß nicht, was du gemacht hast, aber danke.«
»Kennst du den Unterschied zwischen einem Falken und einem Habicht?«
»Hauptsächlich ist es die Größe. Und die Flügelform. Der Falke sieht eher wie ein Pfeil aus.«
»Der Falke kann besser fliegen«, sagte Faile. »Er tötet mit dem Schnabel, und er kann sehr schnell fliegen. Der Habicht ist langsamer und stärker; er zeichnet sich dadurch aus, dass er am Boden laufende Beute schlägt. Er tötet gern mit den Klauen und greift von oben an.«
»Ja, schon«, sagte Perrin. »Aber heißt das nicht, dass, wenn sie beide einen Hasen in der Tiefe sehen, der Habicht ihn eher fängt?«
»Genau das bedeutet es.« Sie lächelte. »Der Habicht ist besser bei der Hasenjagd. Aber siehst du, der Falke ist besser darin, den Habicht zu jagen. Hast du Elayne einen Boten geschickt?«
Frauen. Er würde sie nie verstehen. Aber zumindest dieses eine Mal schien das auch gut so zu sein. »Habe ich. Hoffentlich können wir uns bald mit ihr treffen.«
»Man redet im Lager bereits darüber, wen du alles mitnimmst. «
»Warum sollte man ausgerechnet darüber reden?«, meinte Perrin. »Natürlich dich. Du weißt am besten, wie man mit Elayne umgehen muss, obwohl es vermutlich nicht schaden könnte, Alliandre auch dabeizuhaben.«
»Und Berelain?«
»Sie kann im Lager bleiben. Hier auf die Dinge aufpassen. Sie war das letzte Mal dabei.«
Faile roch noch zufriedener. »Wir sollten…« Stirnrunzelnd unterbrach sie sich. »Nun, wie es aussieht, ist das letzte Blatt endlich gefallen.«
»Was?«, fragte Perrin und drehte sich um. Sie schaute zu einer Gruppe, die auf sie zukam. Die alte Lini, gefolgt von Morgase und Tallanvor, die einander anschauten wie ein Pärchen, das von seinem ersten gemeinsamen Bei Tine kam. »Ich dachte, sie mag ihn nicht«, sagte er. »Oder falls doch, dass sie ihn auf keinen Fall heiraten wird.«
»Meinungen ändern sich viel schneller als Herzen«, sagte Faile. In ihrem Geruch lag eine Spur Wut, obwohl sie sie unterdrückte. Sie hatte Morgase noch immer nicht ganz verziehen, war aber nicht länger offen feindselig.
»Perrin Aybara«, sagte Morgase. »Abgesehen von meinem Stiefsohn kommt Ihr in diesem Lager einem Lord noch am nächsten. Aber es wäre nicht richtig, wenn ein Sohn seine Mutter verheiratet, also müsst Ihr wohl genügen. Dieser Mann hat um meine Hand angehalten. Vollzieht Ihr für uns die Zeremonie?«
»Ihr habt eine seltsame Art, um etwas zu bitten, Morgase«, sagte er.
Die Frau musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. Und Faile sah ihn ebenfalls ärgerlich riechend an. Perrin seufzte. Da konnten sie sich noch so sehr miteinander streiten, waren aber immer bereit, auf einen Mann einzuprügeln, der das Falsche sagte, selbst wenn es stimmte.
Aber Morgase beruhigte sich wieder. »Es tut mir leid. Ich wollte Eure Autorität nicht anzweifeln.«
»Schon gut. Ihr hattet sicherlich Grund dazu, sie infrage zu stellen.«
»Nein.« Morgase nahm die Schulter nach hinten. Beim Licht, wenn sie wollte, konnte sie wirklich wie eine Königin aussehen. Wie hatte ihnen das nur zuvor entgehen können? »Ihr seid ein Lord, Perrin Aybara. Eure Taten beweisen es. Die Zwei Flüsse können sich Euretwegen glücklich schätzen, und Andor vermutlich auch. Solange Ihr ein Teil davon bleibt.«
»Das habe ich vor«, versprach Perrin.
»Nun, wenn Ihr diese Sache für mich erledigt«, sagte sie und sah Tallanvor an, »dann bin ich bereit, mich bei Elayne für Euch zu verwenden. Arrangements können getroffen werden, man kann Titel – richtige Titel – verleihen.«
»Wir nehmen Euer Angebot an, für uns zu sprechen«, mischte sich Faile schnell ein, bevor er etwas erwidern konnte. »Aber wir werden zusammen mit Ihrer Majestät entscheiden, ob die Vergabe von Titeln zu diesem Zeitpunkt der … richtige Weg ist.«
Perrin musterte sie. Sie dachte doch wohl nicht immer noch daran, aus den Zwei Flüssen ein eigenes Königreich zu machen, oder? Sie hatte nie offen darüber gesprochen, aber sie hatte ihn ermutigt, die Flagge von Manetheren zu hissen. Nun, das würden sie noch klären müssen.
Galad Damodred kam auf sie zu, wie immer in letzter Zeit Berelain an seiner Seite. Morgase hatte ihm wohl einen Boten geschickt. Galad stopfte etwas in seine Tasche. Anscheinend handelte es sich um einen kleinen Brief mit einem roten Siegel. Wo hatte er den denn her? Er sah beunruhigt aus, aber als er sich zu ihnen gesellte, hellte sich seine Miene auf. Die Neuigkeit schien ihn nicht zu überraschen; für Perrin hatte er ein Nicken und für seine Mutter eine Umarmung übrig, gefolgt von einem strengen, aber höflichen Gruß für Tallanvor.
»Was für eine Art von Zeremonie hättet Ihr denn gern?«, erkundigte sich Perrin bei Morgase. »Ich weiß nur, wie man es in den Zwei Flüssen handhabt.«
»Ich glaube, einfache Eide reichen«, sagte Morgase. »Ich bin alt genug, dass ich Zeremonien ermüdend finde.«
»Für mich klingt das angemessen«, meinte Perrin.
Galad trat zur Seite, und Morgase und Tallanvor nahmen sich bei den Händen. »Martyn Tallanvor«, sagte sie. »Ich habe mehr von dir bekommen, als ich verdient habe, und zwar länger, als mir das bewusst war. Du hast behauptet, dass die Liebe eines einfachen Soldaten vor dem Mantel einer Königin nichts wert ist, aber ich sage, der Wert eines Mannes misst sich nicht an seinem Titel, sondern an seiner Seele.
Ich habe deinen Mut, deine Hingabe, deine Loyalität und Liebe erlebt. Ich habe das Herz eines Prinzen in dir gesehen, das Herz eines Mannes, der sich selbst treu bleibt, auch wenn Hunderte um ihn herum scheitern. Ich schwöre, dass ich dich liebe. Und ich schwöre unter dem Licht, dich nicht zu verlassen. Ich schwöre, dich in alle Ewigkeit zu lieben und dich als meinen Gemahl zu nehmen.«
Berelain zog ein Taschentuch heraus und tupfte sich die Augenwinkel ab. Nun, Frauen weinten immer bei Hochzeiten. Obwohl… auch Perrin fühlte, wie seine Augen etwas tränten. Möglicherweise das Sonnenlicht.
»Morgase Trakand«, sagte Tallanvor. »Ich verliebte mich in dich wegen der Art und Weise, wie du als Königin alle in deiner Umgebung behandelt hast. Ich sah eine Frau, die ihre Pflicht nicht nur mit Verantwortungsgefühl erfüllt, sondern mit Leidenschaft. Selbst als ich nur ein beliebiger Gardist für dich war, hast du mich mit Freundlichkeit und Respekt behandelt. Auf diese Weise hast du alle deine Untertanen behandelt.
Ich liebe dich für deine Güte, deine Klugheit, die Stärke deines Verstandes und deine Willenskraft. Einer der Verlorenen konnte dich nicht brechen, du bist ihm entkommen, als er dich völlig unter Kontrolle zu haben glaubte. Der schrecklichste Tyrann konnte dich nicht brechen, selbst als er dich in der Hand hatte. Die Shaido konnten dich nicht brechen. Andere an deiner Stelle wären hasserfüllt, wenn sie das durchgemacht hätten, was du erlitten hast. Aber du … du bist unaufhörlich zu jemandem herangewachsen, den man bewundern, lieben und respektieren muss.
Ich schwöre, dass ich dich liebe. Und ich schwöre unter dem Licht, dass ich dich niemals, niemals verlasse. Ich schwöre, dich für alle Ewigkeit zu lieben und dich zu meiner Gemahlin zu nehmen. Das schwöre ich, Morgase, auch wenn ein Teil in mir noch immer nicht glauben kann, dass das hier wirklich geschieht.«
Und dann standen sie einfach so da und sahen sich in die Augen, als wäre Perrin nicht vorhanden.
Er räusperte sich. »Nun, dann soll es so sein. Ihr seid verheiratet.« Sollte er ihnen einen Rat geben? Wie gab man jemandem wie Morgase Trakand, einer Königin mit Kindern in seinem Alter, einen Rat? Er zuckte bloß mit den Schultern. »Dann ab mit Euch.«
Faile neben ihm roch amüsiert und ein kleines bisschen unzufrieden. Lini kommentierte Perrins Bemühungen mit einem Schnauben, scheuchte Morgase und Tallanvor aber davon. Galad nickte ihm zu, und Berelain machte einen Knicks. Sie gingen, und Berelain machte eine Bemerkung, wie überraschend das doch alles kam.
Faile lächelte ihn an. »Darin musst du aber noch besser werden.«
» Sie wollten es doch einfach.«
»Das sagt jeder«, erwiderte Faile. »Aber du kannst auch Autorität ausstrahlen, wenn du es kurz hältst. Wir reden noch darüber. Beim nächsten Mal wirst du es viel besser machen.«
Beim nächsten Mal? Er schüttelte den Kopf, während sich Faile umdrehte und ging.
»Wo willst du hin?«, fragte er.
»Zu Bavin. Ich muss ein paar Fässer Ale requirieren.« »Wofür?«
»Für die Festlichkeiten«, sagte Faile und sah über die Schulter. »Auf die Zeremonien kann man notfalls verzichten. Aber auf eine Feier sollte man nie verzichten.« Sie schaute zum Himmel. »Vor allem in Zeiten wie diesen.«
Perrin sah ihr nach, wie sie in dem riesigen Lager verschwand. Soldaten, Bauern, Handwerker, Aiel, Weißmäntel, Flüchtlinge. Beinahe immer noch siebzigtausend Menschen, selbst wenn man die abzog, die gegangen oder in der Schlacht gefallen waren. Wie war er nur zu so einer Streitmacht gekommen? Bevor er die Zwei Flüsse verlassen hatte, hatte er nie mehr als höchstens tausend Leute an einem Ort versammelt gesehen.
Der größte Teil setzte sich aus den ehemaligen Söldnergruppen und Flüchtlingen zusammen, die Tarn und Dannil ausgebildet hatten. Sie nannten sich selbst die Wolfsgarde, was auch immer das bedeuten mochte. Perrin schlug die Richtung zu den Versorgungswagen ein, aber da traf ihn etwas Kleines und Weiches am Hinterkopf.
Ruckartig blieb er stehen, drehte sich um und musterte den Wald hinter ihm. Zu seiner Rechten erhob er sich braun und tot; zu seiner Linken schwand der Schutz der Bäume. Er konnte niemanden entdecken.
Habe ich mich überfordert?, fragte er sich und rieb sich den Kopf, während er sich umdrehte und weiterging. Dass ich mir Dinge einbilde, die …
Wieder traf etwas seinen Hinterkopf. Er fuhr auf dem Absatz herum und sah noch, wie etwas ins Gras fiel. Stirnrunzelnd bückte er sich und hob es auf. Eine Eichel. Eine weitere traf ihn an der Stirn. Sie war aus dem Wald gekommen.
Perrin knurrte und eilte auf die Bäume zu. Vielleicht welche von den wenigen Kindern im Lager? Voraus ragte eine große Eiche in die Höhe, deren Stamm breit und dick genug war, um jemanden zu verbergen. In ihrer Nähe zögerte er. War das vielleicht eine Falle? Er legte die Hand auf den Hammer und schritt ganz langsam weiter. Der Wind wehte aus Perrins Rücken, und er bekam nichts von dem Geruch des…
Plötzlich schoss eine Hand hinter dem Baumstamm hervor, die einen braunen Sack hielt. »Ich habe einen Maulwurf gefangen«, sagte eine vertraute Stimme. »Hast du Lust, ihn auf dem Dorf grün freizulassen?«
Perrin erstarrte, dann stieß er ein dröhnendes Lachen aus. Er umrundete den Baum und entdeckte eine Gestalt in einem roten, mit goldenen Stickereien übersäten Mantel mit hohem Kragen und schönen braunen Hosen auf dem großen Wurzelgeflecht des Baumes sitzen, den sich windenden Sack zu ihren Füßen. Mat kaute gemütlich an einem langen Streifen Trockenfleisch und trug einen schwarzen Hut mit breiter Krempe. Eine schwarze Stangenwaffe mit breiter Klinge lehnte neben ihm am Baum. Wo hatte er so schöne Kleidung her? Hatte er sich früher nicht einmal darüber beschwert, dass Rand solche Sachen trug?
»Mat?«, sagte Perrin und bekam vor Verblüffung beinahe kein Wort hervor. »Was tust du denn hier?«
»Maulwürfe fangen«, erwiderte Mat und schüttelte den Sack. »Das ist verdammt schwer, weißt du, vor allem wenn es schnell gehen muss.«
Der Sack raschelte, und Perrin vernahm ein leises Knurren. Er konnte riechen, dass er tatsächlich etwas Lebendiges enthielt. »Du hast wirklich einen gefangen?«
»Nenn mich einen Nostalgiker.«
Perrin wusste nicht, ob er Mat schelten oder anlachen sollte – diese seltsame Gefühlsschwankung war üblich, wenn Mat in der Nähe war. Glücklicherweise wirbelten keine Farben vor seinem inneren Auge, jetzt, wo sie voreinander standen. Beim Licht, das wäre wirklich verwirrend gewesen. Allerdings verspürte Perrin ein Gefühl der … Richtigkeit.
Der Mann lächelte, setzte den Sack ab und stand auf, streckte die Hand aus. Perrin ergriff sie, zog Mat aber in eine herzliche Umarmung.
»Beim Licht, Mat«, sagte er. »Das kommt mir wie eine Ewigkeit vor!«
»Ein ganzes Leben«, erwiderte Mat. »Vielleicht auch zwei. Ich kann es nicht mehr zählen. Aber wie dem auch sei, deine Ankunft ist in Caemlyn das Tagesgespräch. Dachte mir, die einzige Möglichkeit, dich zu begrüßen, bietet sich bloß, wenn ich durch dieses Tor schlüpfe und dich vor allen anderen finde.« Mat nahm seinen Speer und legte ihn sich auf die Schulter, die Klinge nach hinten gerichtet.
»Was hast du gemacht? Wo warst du? Ist Thom bei dir? Was ist mit Nynaeve?«
»So viele Fragen«, sagte Mat. »Wie sicher ist dein Lager?«
»So sicher wie jeder andere Ort.«
»Nicht sicher genug.« Mat wurde ernst. »Hör zu, Perrin. Da sind ein paar außerordentlich gefährliche Leute hinter uns her. Ich kam, um dich zu warnen, ganz besonders vorsichtig zu sein. Attentäter werden dich bald gefunden haben, und du solltest besser auf sie vorbereitet sein. Wir müssen miteinander reden. Aber ich will das nicht hier machen.«
»Wo dann?«
»Triff mich im Gasthaus Zur fröhlichen Scharm Caemlyn. Ach ja, und wenn du nichts dagegen hast, würde ich mir gern einen deiner Männer im schwarzen Mantel kurz ausleihen. Ich brauche ein Wegetor.«
»Wozu?«
»Das erkläre ich. Aber später.« Mat tippte sich an den Hut und drehte sich um, um zu dem noch immer geöffneten Tor nach Caemlyn zu laufen. »Das ist mein Ernst«, sagte er sich umdrehend und ein Stück rückwärts laufend. »Perrin, sei vorsichtig!«
Nur wenige Augenblicke später tauchte er zwischen ein paar Flüchtlingen unter und eilte durch das Tor. Wie war er bloß an Grady vorbeigekommen? Perrin schüttelte den Kopf, dann bückte er sich, um den Sack zu öffnen und den armen Maulwurf freizulassen, den Mat gefangen hatte.