An der Spitze eines großen Heeres ritt Perrin auf Traber aus dem Lager. Das Wolfskopfbanner war nicht gehisst. Soweit er wusste, hatte man seinen Befehl befolgt und das Ding verbrannt. Nun war er sich dieser Entscheidung nicht mehr so sicher.
In der Luft lag ein seltsamer Geruch. Eine Abgestandenheit. Wie in einem Zimmer, das jahrelang verschlossen gewesen war. Traber erklomm die Jehannahstraße. Grady und Neald flankierten Perrin, und sie rochen begierig.
»Neald, seid Ihr sicher, dass Ihr dafür bereit seid?«, fragte Perrin, als er das Heer nach Südosten führte.
»Ich fühle mich so stark wie eh und je, mein Lord«, antwortete Neald. »Stark genug, um ein paar Weißmäntel zu töten. Ich habe schon immer auf eine solche Gelegenheit gewartet. «
»Nur ein Narr sucht nach der Gelegenheit zu töten«, meinte Perrin.
»Ah, ja, mein Lord«, sagte Neald. »Obwohl ich vielleicht erwähnen sollte, dass …«
»Darüber müssen wir jetzt nicht sprechen«, unterbrach ihn Grady.
»Was?«, fragte Perrin.
Grady sah verlegen aus. »Es ist nichts, da bin ich mir sicher. «
» Sagt schon, Grady.«
Der ältere Mann holte tief Luft. »Heute Morgen wollten wir ein Wegetor erschaffen, um Flüchtlinge zurückzuschicken, und sie funktionierten nicht. Das ist schon einmal passiert. Die Gewebe fielen auseinander und lösten sich auf.«
Perrin runzelte die Stirn. »Und andere Gewebe funktionieren?«
»Das tun sie«, sagte Neald schnell.
»Wie ich bereits sagte, mein Lord«, sagte Grady. »Ich bin mir sicher, dass sie funktionieren werden, wenn wir es erneut versuchen. Uns fehlte einfach die Übung.«
Es war unwahrscheinlich, dass sie bei dieser Schlacht für einen Rückzug auf das Reisen zurückgreifen mussten – nicht mit zwei Asha’man und einer so großen Streitmacht. Aber es war trotzdem beunruhigend, dass es nicht zur Verfügung stand. Man konnte nur hoffen, dass es ihnen bei anderen Geweben nicht ähnlich erging. Er verließ sich auf Grady und Neald, dass sie den ersten Sturm der Weißmäntel verwirrten und durcheinanderbrachten.
Vielleicht sollten wir umkehren, dachte er und unterdrückte den Gedanken sofort. Es behagte ihm gar nicht, diese Entscheidung zu treffen. Der Gedanke an den Kampf Mann gegen Mann machte ihn krank, war ihr wahrer Feind doch der Dunkle König. Aber man hatte ihn dazu gezwungen.
Sie ritten weiter. Sein Hammer hing in der Schlaufe an seiner Seite. Springer hatte angedeutet, dass er sich nicht von einer Axt unterschied. Für den Wolf war eine Waffe so gut wie die andere.
Ein Stück entfernt ritten die Geflügelten Wachen von Mayene; ihre rotlackierten Harnische glänzten, und sie sahen aus wie anmutige Falken, die bereit waren, sich auf ihre Beute zu stürzen. Dahinter ritten Alliandres Soldaten ernst und entschlossen, wie Felsen, die etwas zerschmettern wollten. Langbogenmänner aus den Zwei Flüssen waren wie junge Eichen, flink und robust zugleich. Aiel wie Giftschlangen mit rasiermesserscharfen Zähnen. Weise Frauen, die man nur zögernd mitgenommen hatte, wie Gewitterwolken, in denen unberechenbare Energien brodelten. Perrin wusste nicht, ob sie für ihn kämpfen würden.
Der Rest seines Heeres war weniger beeindruckend. Tausende Männer von unterschiedlicher Erfahrung und Alter – manche davon Söldner, Flüchtlinge aus Maiden, ein paar Frauen, die die Töchter und die Cha Faile erlebt und darauf bestanden hatten, an der Seite der Männer ausgebildet zu werden. Er hatte sie nicht davon abgehalten. Die Letzte Schlacht stand bevor. Wer war er, jene abzuweisen, die kämpfen wollten?
Allerdings hatte er darüber nachgedacht, Faile zu verbieten, heute mitzukommen, aber er hatte genau gewusst, wie das enden würde. Stattdessen hatte er sie hinten platziert, umgeben von Weisen Frauen und Cha Faile, begleitet von den Aes Sedai.
Perrin hielt die Zügel fester und lauschte dem Marschtritt. Nur wenige Flüchtlinge besaßen Rüstungen. Arganda hatte sie als leichte Infanterie bezeichnet. Perrin hatte einen andere Bezeichnung für sie: Unschuldige mit Schwertern. Warum folgten sie ihm? Begriffen sie nicht, dass sie als Erste sterben würden?
Sie vertrauten ihm. Sollte das Licht sie verbrennen, sie vertrauten ihm allel Er legte die Hand auf den Hammer, roch die feuchte, von Furcht und Aufregung durchsetzte Luft. Das Donnern der Hufe und Schritte erinnerte ihn an den dunklen Himmel. Donner ohne Blitze. Blitze ohne Donner.
Das Schlachtfeld lag vor ihnen, eine breite grüne Grasfläche, an deren anderem Ende Truppen in Weiß Aufstellung genommen hatten. Das Heer der Weißmäntel trug auf Hochglanz polierte silberne Brustpanzer, ihre Wappenröcke und Umhänge leuchteten weiß. Diese grasige Ebene war ein guter Ort für eine Schlacht. Es wäre auch ein guter Ort für Getreideanbau gewesen.
Um eine Sache zu verstehen, muss man ihre Einzelteile und ihren Zweck verstehen.
Was war der Zweck seiner Kriegsaxt gewesen? Zu töten. Darum war sie geschmiedet worden. Zu etwas anderem war sie nicht zu gebrauchen gewesen.
Aber der Hammer war anders.
Perrin zügelte Traber scharf. Neben ihm hielten die Asha’man an, und die verschiedenen Marschreihen kamen ebenfalls zum Stehen. Gruppen drängten sich zusammen, als sie langsamer wurden; gebrüllte Befehle ersetzten die Marschlaute.
Die Luft rührte sich nicht, der bewölkte Himmel war scheußlich. Der in der Luft liegende Staub und die in ihren Rüstungen schwitzenden Männer verhinderten, dass Perrin das Gras oder die fernen Bäume riechen konnte. Pferde schnaubten, einige nagten am Gras. Andere scharrten mit den Hufen, ließen sich von der Anspannung ihrer Reiter anstecken.
»Mein Lord?«, fragte Grady. »Was ist?«
Das Heer der Weißmäntel war bereits in Position gegangen und hatte seine Reiter vorn in einer V-Formation aufgestellt. Sie warteten mit erhobenen Lanzen, dazu bereit, sie zu senken und Blut zu vergießen.
»Die Axt tötet nur«, sagte Perrin. »Aber der Hammer kann töten oder etwas erschaffen. Das ist der Unterschied.«
Plötzlich ergab alles für ihn einen Sinn. Darum hatte er die Axt wegwerfen müssen. Er entschied, ob er tötete oder nicht. Er würde sich nicht zu dem hier drängen lassen.
Er wandte sich Gaul zu, der ein kurzes Stück entfernt mit mehreren Töchtern stand. »Ich will, dass die Aes Sedai und Weisen Frauen nach vorn kommen.« Er zögerte. »Befiehl es den Aes Sedai, aber bitte die Weisen Frauen. Und befiehl die Männer von den Zwei Flüssen nach vorn.«
Gaul nickte und rannte los. Perrin wandte sich wieder den Weißmänteln zu. Trotz ihrer vielen Fehler betrachteten sich die Weißmäntel als ehrenvolle Männer. Sie würden nicht angreifen, bevor Perrin Aufstellung genommen hatte.
Die Gruppe aus Weisen Frauen und Aes Sedai gesellten sich vor dem Heer zu ihm. Faile ritt mit ihnen. Nun, er hatte sie gebeten, bei ihnen zu bleiben. Er streckte ihr die Hand entgegen und lud sie ein, an seine Seite zu kommen. Die Männer von den Zwei Flüssen kamen an der Flanke seiner Streitmacht heran.
»Gaul sagt, Ihr wärt sehr höflich gewesen«, bemerkte Edarra. »Das bedeutet, dass Ihr etwas von uns wollt, das wir nicht tun möchten.«
Perrin lächelte. »Ich möchte, dass Ihr mir dabei helft, diese Schlacht zu vermeiden.«
»Ihr wollt nicht den Tanz der Speere tanzen?«, fragte Edarra. »Ich habe einiges von dem gehört, was diese Männer in Weiß in den Feuchtländern angerichtet haben. Ich glaube, sie tragen dieses Weiß nur, um die Dunkelheit in ihnen zu verbergen.«
»Sie sind verwirrt«, erwiderte Perrin. »Nun, sie sind mehr als verwirrt. Sie sind lichtverflucht schwierig. Aber wir sollten nicht gegen sie kämpfen, nicht, wenn die Letzte Schlacht bevorsteht. Wenn wir uns gegenseitig bekämpfen, werden wir gegen den Dunklen König verlieren.«
Edarra lachte. »Ich würde gern dabei zusehen, wie das jemand den Shaido erklärt, Perrin Aybara. Oder ich hätte vielmehr gern gesehen, wie das Euch jemand vorschlug, während sie Eure Frau in ihrer Gewalt hatten!«
»Nun, die Shaido mussten getötet werden«, sagte er. »Aber ich weiß nicht, ob das auch auf diese Weißmäntel zutrifft. Vielleicht muss man ihnen einfach nur einen ordentlichen Schrecken einjagen. Ich möchte, dass ihr und die Aes Sedai den Boden vor ihrem Heer explodieren lasst.«
»Ihr verlangt etwas, das Ihr nicht tun solltet, Aybara «, sagte Seonid streng. »Wir werden an Eurer Schlacht nicht teilnehmen.« Die zierliche Grüne erwiderte seinen Blick; ihr Tonfall klang energisch.
»Ihr nehmt an keiner Schlacht teil«, sagte Perrin. »Ihr verhindert eine.«
Seonid runzelte die Stirn. »Ich fürchte, das wäre in diesem Fall das Gleiche. Wenn wir die Erde angreifen, würden wir die Eine Macht als Waffe benutzen. Wir könnten diese Männer verletzen. Es tut mir leid.«
Perrin biss die Zähne zusammen, drang aber nicht weiter auf sie ein. Die Weisen Frauen und die Asha’man würden vermutlich ausreichen. Er wandte sich an die Männer aus den Zwei Flüssen. »Tarn, befehlt den Männern, Pfeile einzuspannen und sich für eine Salve bereitzuhalten.«
Tarn nickte und schickte einen Boten mit dem Befehl los. Die Männer aus den Zwei Flüssen stellten sich auf. Die meisten Bögen hätten nicht die nötige Reichweite gehabt, aber ein ordentlicher Zug an einem Langbogen aus den Zwei Flüssen konnte es schaffen.
Perrin nickte den Weisen Frauen zu, dann gab er den Asha’man ein Zeichen. Bevor noch jemand etwas sagen konnte, tat sich vor den Weißmänteln der Erdboden auf. Ein Grollen erschütterte das Feld, Erde explodierte. Grady und Neald trieben ihre Pferde ein Stück weiter nach vorn.
Die Pferde der Weißmäntel scheuten, Männer schrien panikerfüllt auf. Eine kleine Gruppe in vorderster Linie schien von den Explosionen nicht besonders berührt zu sein, und sie hielten ihre Pferde unter Kontrolle. Das mussten die Anführer sein. Tatsächlich konnten Perrins Augen den Kommandierenden Lordhauptmann höchstpersönlich dort ausmachen.
Wieder spritzte Dreck in die Luft und regnete in die entstandene Grube hinein. Die Weisen Frauen zeigten den konzentrierten Gesichtsausdruck, der mit dem Machtlenken einherging.
»Kann einer von Euch meine Stimme verstärken?«, fragte Perrin.
»Das kann ich machen«, sagte Grady. »Ich habe dem M’Hael einmal dabei zugesehen.«
»Gut.« Perrin wandte sich Tarn zu. »Sobald die Machtlenker aufhören, sollen die Männer ein paar Salven abschießen. Versucht, diesen Graben zu treffen.«
Wenige Augenblicke später verstummten die Explosionen. Die Bogenschützen zogen durch und schossen eine Salve ab. Dicke Schäfte stiegen in einem weiten Bogen in den Himmel, und bald war der Graben mit Pfeilen gespickt. Perrin beobachtete die Weißmäntel. Die Reihen waren aufgebrochen; es herrschte Unordnung.
Klirrende Rüstungen und Huflärm verkündeten Argandas Ankunft. Der Erste Hauptmann von Ghealdan trug seinen Helm mit den Federbüschen; in seinen Augen lag ein harter Blick. »Was sollte das, wenn ich fragen darf, Lord Aybara?« Er roch feindselig. »Ihr habt gerade unseren Vorteil verschenkt! Ein Hinterhalt hätte Tausende töten und ihren Sturmangriff zum Stehen bringen können.«
»Ja«, sagte Perrin. Faile ritt noch immer neben ihm. »Und das wissen sie. Seht Euch ihre Reihen an, Arganda. Sie machen sich Sorgen. Die Weißmäntel begreifen, was sie durchmachen müssten, wenn sie auf uns zustürmen. Wenn ich zu dieser Warnung bereit war, was halte ich dann wohl zurück?«
»Aber mehr können wir nicht tun«, sagte Faile.
»Das wissen sie aber nicht.« Perrin grinste. »Es wäre sehr dumm von uns, alle unsere Möglichkeiten für eine solche Warnung zu verschleudern.«
Arganda hielt den Mund, obwohl er offensichtlich genau das dachte. Er war bis ins Mark Soldat. Eine Axt. Daran war nichts Falsches, aber Perrin musste der Hammer sein. Hob er den Arm, töteten Männer wie Arganda.
»Grady«, sagte Perrin. »Meine Stimme, bitte? Ich hätte auch nichts dagegen, wenn unser Heer meine Worte hören kann.«
»Das kann ich tun«, sagte Grady.
Perrin holte tief Luft, dann sprach er. »Ich bin Perrin Aybara!«, donnerte seine Stimme über die Ebene. »Ich bin ein Freund des Wiedergeborenen Drachen, und ich diene hier auf seinen Befehl. Ich marschiere zur Letzten Schlacht. Kommandierender Lordhauptmann, Ihr habt verlangt, dass ich mich nach Euren Bedingungen mit Euch treffe, und ich kam. Ich bitte Euch, die Ehre zu erwidern und Euch mit mir zu treffen. Wenn Ihr schon entschlossen seid, mich zu töten, bevor ich gegen den Schatten reite, dann gestattet mir wenigstens eine letzte Chance, am heutigen Tag Blutvergießen zu vermeiden!«
Er nickte Grady zu, und der Mann löste sein Gewebe auf. »Haben wir einen Pavillon, den wir für die Verhandlungen aufbauen können?«
»Im Lager ist einer«, sagte Faile.
»Ich kann ein Wegetor versuchen«, meinte Neald und strich sich über den Schnurrbart – oder zumindest die paar Haare in seinem Gesicht, die er als Schnurrbart bezeichnete und zu Spitzen gewachst waren.
»Versucht es.«
Er konzentrierte sich. Nichts geschah. Der junge Mann errötete stark. »Funktioniert nicht. Weder Reisen noch Gleiten. «
»Ich verstehe«, sagte Perrin. »Nun, schicken wir einen Reiter los. Wir sollten das Zelt in wenigen Augenblicken aufgestellt haben. Ich weiß nicht, ob sie mitspielen, aber falls doch, will ich bereit sein. Bringt Berelain und Alliandre, und vielleicht jemanden mit Getränken und den Stühlen und Tischen aus meinem Zelt.«
Die nötigen Befehle wurden gegeben, und ein Mann aus den Zwei Flüssen – Robb Solter – ritt los, gefolgt von Töchtern. Die Weißmäntel schienen über seinen Vorschlag zu diskutieren. Gut.
Arganda und die meisten anderen verteilten sich, um alle zu informieren, was los war, obwohl sie Perrins Ankündigung unmöglich überhört haben konnten. Jeder schien das zu tun, was er sollte, also lehnte sich Perrin in seinem Sattel zurück und wartete.
Faile brachte ihr Pferd näher heran. Sie roch neugierig. »Was ist?«, fragte Perrin.
»Etwas hat sich an dir verändert. Ich versuche herauszufinden, was es ist.«
»Ich schinde Zeit«, erwiderte Perrin. »Ich habe noch keine Entscheidungen getroffen. Aber ich will diese Männer nicht töten. Noch nicht. Nicht, wenn ich es verhindern kann.«
»Sie werden keinen Schritt Boden aufgeben, mein Gemahl«, sagte Faile. »Sie haben dich bereits verurteilt.«
»Wir werden sehen.« Er schaute in den Himmel und dachte über den seltsamen Geruch nach und die Tatsache, dass die Tore der Asha’man nicht funktionierten. Der Schlächter schlich im Wolfstraum durch diese Gegend, und da war diese gläserne Mauer. Etwas am Wind stimmte ganz und gar nicht, und seine Sinne zuckten. Sei vorsichtig. Sei auf alles gefasst.
Der Hammer konnte töten oder erschaffen. Er wusste noch nicht, was diese Situation davon erforderte. Er wollte nicht zuschlagen, bevor er es wusste.
Galad saß auf dem grasigen Feld, das ein Schlachtfeld hätte sein sollen, und betrachtete den aus dem Boden gerissenen Graben, der mit Hunderten Pfeilen gespickt war.
Auf Aes Sedai war er vorbereitet. Eine Aes Sedai konnte niemanden verletzen, solange sie oder ihr Behüter nicht in Gefahr schwebten, und Galad hatte seinen Männern sehr genaue Befehle gegeben, keine Aes Sedai anzugreifen, nicht einmal in ihre Nähe zu kommen. Sollten die Kinder Aes Sedai begegnen, sollten sie stehen bleiben, höflich nicken und die Waffen senken. Wenn seine Männer deutlich demonstrierten, dass sie keiner Aes Sedai ein Leid zufügen wollten, würden die Schwestern in der Schlacht nutzlos sein.
Viele der Kinder glaubten das nicht. Sie bezeichneten die Geschichten über die Drei Eide als bewusste Täuschungen. Sie hatten nicht in der Weißen Burg gelebt. Galad konnte die meisten Aes Sedai nicht ausstehen, und natürlich vertraute er ihnen nicht, aber er wusste, dass die Eide standhielten.
Galads Männer schlossen murmelnd wieder ihre Reihen. Er hob das Fernglas und betrachtete Aybaras Frontlinie. Männer in schwarzen Mänteln. Mehrere Aielfrauen, einschließlich der, die Aybara bei ihrer ersten Begegnung begleitet hatte. Zweifellos eine Machtlenkerin. Er stellte sich vor, wie mitten in ihrem Angriff der Boden unter ihren Füßen explodierte und die Kavallerie in die Luft schleuderte, während andere in den Graben stürzten und die hinteren Reihen verwirrt stehen blieben und den beeindruckenden Langbogen zum Opfer fielen.
Bornhaid ritt mit zorniger Miene heran. »Wir werden doch wohl nicht verhandeln?«
Galad senkte das Fernglas. »Doch, ich glaube, das machen wir.«
»Aber wir haben uns bereits mit ihm getroffen!«, sagte Bornhaid. »Ihr habt gesagt, Ihr wollt diese Augen sehen, zum Beweis, dass er Schattengezücht ist, und Ihr habt sie gesehen. Was braucht Ihr denn noch?«
Byar trieb sein Pferd an und kam näher. In letzter Zeit machte er sich oft zu Galads Leibwächter. »Mein Kommandierender Lordhauptmann, man kann ihm nicht vertrauen.«
Galad zeigte auf den Graben. »Er hätte uns mit diesem Angriff vernichten können.«
»Ich stimme Byar zu«, sagte Bornhaid. »Er will Euch aus der Reserve locken und dann töten, um uns zu demoralisieren.«
Galad nickte langsam. »Das ist durchaus möglich.« Er wandte sich Lordhauptmann Harnesh zu, der in der Nähe ritt. »Sollte ich sterben, dann will ich, dass Ihr den Befehl übernehmt und angreift. Greift ohne Gnade an; ich nehme meinen Befehl zurück, den Aes Sedai aus dem Weg zu gehen. Tötet jeden, der die Macht zu lenken scheint. Macht das zu Eurer Priorität. Es ist möglich, dass wir nicht verstehen, was hier vor sich geht.«
»Aber Ihr geht trotzdem?«, fragte Bornhaid.
»Ja.« Galad hatte sich von Bornhaid und Byar zu dieser Schlacht überreden lassen, aber jetzt fragte er sich, ob das nicht voreilig gewesen war. Er hatte diese Augen gesehen, und er hatte die Aussagen beider Kinder und von ein paar Leuten gehört, die mit Aybara geritten waren. Ein Angriff war als die einzige Alternative erschienen.
Aber Aybara hatte recht. Wie gebeten hatte er sich Galad gestellt. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, Blutvergießen zu vermeiden. Zwar glaubte Galad nicht daran, aber wenn auch nur eine geringe Chance dafür existierte, dann war es richtig, den Angriff aufzuschieben. So einfach war das.
Bornhaid schien darüber nicht erfreut zu sein. Sein Zorn auf den Mann, der seinen Vater umgebracht hatte, war verständlich, aber man durfte nicht zulassen, dass das den Weg der Kinder bestimmte. »Ihr dürft mich begleiten«, sagte er und trieb sein Pferd an. »Das gilt auch für Euch, Kind Byar. Die Lordhauptmänner sollten zurückbleiben und sich unter den Männern verteilen, damit Aybara uns nicht unserer Anführer beraubt.«
Harnesh salutierte. Bornhaid setzte sich zögernd neben Galad, genau wie Byar, in dessen Augen ein fanatischer Eifer brannte, der Bornhaids Zorn entsprach. Beide waren von diesem Perrin Aybara besiegt und gedemütigt worden. Galad nahm auch fünfzig Kinder als Leibwache mit, die hinter ihm in Formation ritten.
Als sie eintrafen, hatte man bereits einen Pavillon aufgebaut. Vier Stangen hielten die bräunlich graue Zeltplane aufrecht und erschufen ein Flachdach. Darunter standen ein kleiner rechteckiger Tisch und zwei Stühle.
Aybara saß an der einen Seite des Tisches. Er erhob sich, als Galad näher kam; heute trug der hochgewachsene Mann einen grünen Mantel und braune Hosen. Beides war schlicht, wenn auch sorgfältig gefertigt. An der Taille hing ein Hammer. Die Kleidung vermittelte einen bodenständigen Eindruck. Nein, das war kein Mann der Paläste, sondern ein Mann der Felder und Wälder. Ein Waldläufer, der zum Lord aufgestiegen war.
Hinten im Pavillon standen zwei Männer von den Zwei Flüssen und hielten die kraftvollen Langbogen. Angeblich waren es freie Bauern und Schafhirten, ein unbeugsamer und uralter Menschenschlag. Und sie hatten diesen Perrin Aybara zu ihrem Anführer erwählt.
Galad ging auf den Pavillon zu. Byar und Bornhaid schlossen sich ihm an, aber die fünfzig Männer blieben im Sattel.
Im Gegensatz zu ihrer letzten Begegnung waren Aes Sedai anwesend. Eine kleine Cairhienerin, eine schlanke, gut aussehende Frau in einem einfachen Kleid, eine stämmige Frau, deren zahlreiche Zöpfe darauf hinwiesen, dass sie vermutlich aus Tarabon kam. Sie standen bei einer Gruppe Aielfrauen mit Schultertüchern, beschützt von einer Handvoll Töchter des Speers. Nun, diese Aiel bestätigten die Behauptung, dass Aybara im Auftrag des Wiedergeborenen Drachen unterwegs war.
Galad legte die Hand lässig auf den Schwertgriff und musterte den Rest der Leute, die sich im Pavillon versammelt hatten.
Und erstarrte. Hinter Aybaras Stuhl stand eine atemberaubend schöne Frau. Nein, nicht schön, wunderschön. Langes schwarzes Haar strömte ihr auf den Rücken; es schien zu glänzen. Sie trug ein rotes Gewand, das dünn genug war, um ihre Figur zu unterstreichen, und der tiefe Ausschnitt enthüllte schwellende Brüste.
Und diese Augen. So dunkel, mit langen, wunderschönen Wimpern. Sie schienen ihn … anzuziehen. Warum war diese Frau das letzte Mal nicht dabei gewesen?
»Ihr erscheint überrascht«, sagte Aybara, als er sich wieder setzte. Sein Ton war schroff. »Ihre Lady die Erste ist genau wie ich im Auftrag des Drachen hier. Habt Ihr nicht die Flagge von Mayene über meinen Streitkräften flattern gesehen?«
»Ich …« Galad schloss ruckartig den Mund und verneigte sich vor der Frau. Berelain sur Pændrag Pæron? Man sagte ihr nach, eine unvergleichliche Schönheit zu sein, aber diese Geschichten wurden ihr nicht gerecht. Galad riss den Blick von ihr los und zwang sich, gegenüber von Aybara Platz zu nehmen. Er musste sich auf seinen Feind konzentrieren.
Diese goldenen Augen waren genauso beunruhigend, wie er in Erinnerung hatte. Es war so seltsam hineinzublicken. Ja, dieser Mann konnte unmöglich etwas anderes als Schattengezücht sein. Aber warum sollten so viele Menschen so einer Kreatur folgen? Warum würde sie so einer Kreatur folgen?
»Danke, dass Ihr gekommen seid«, sagte Aybara. »Unsere letzte Begegnung war eine hastige Sache. Dieses Mal machen wir es richtig. Ihr solltet wissen, dass diese Frau neben mir Alliandre Maritha Kigarin ist, die Königin von Ghealdan, Gesegnete des Lichts, Verteidigerin von Garens Wall.« Also war diese stattliche dunkelhaarige Frau die derzeitige Königin von Ghealdan. Natürlich gab es bei den Unruhen hier in letzter Zeit vermutlich ein halbes Dutzend Leute, die den Thron für sich beanspruchten. Sie war hübsch, wurde aber völlig von Berelain überschattet.
Perrin wies mit dem Kopf auf eine dritte Frau. »Das ist Faile ni Bashere t’Aybara, meine Gemahlin und Kusine der Königin von Saldaea.« Aybaras Frau musterte Galad misstrauisch. Ja, sie stammte offensichtlich aus Saldaea, das verriet schon ihre Nase. Bornhaid und Byar hatten nichts von ihrer Verbindung zum Königshaus gewusst.
Zwei Monarchen im Zelt, und beide standen hinter Aybara. Galad erhob sich von seinem Stuhl und schenkte Alliandre eine Verbeugung, die der entsprach, die er Berelain gegeben hatte. »Euer Majestät.«
»Ihr seid sehr höflich, Kommandierender Lordhauptmann«, sagte Berelain. »Und das waren sehr anmutige Verbeugungen. Verratet mir, wo habt Ihr Eure Erziehung genossen?«
Ihre Stimme war wie Musik. »Am Hof von Andor, meine Lady. Ich bin Galad Damodred, Stiefsohn der von uns gegangenen Königin Morgase und Halbbruder von Elayne Trakand, der rechtmäßigen Königin.«
»Ah«, sagte Perrin. »Es wurde auch Zeit, dass ich Euren Namen erfahre. Ich wünschte, Ihr hättet ihn beim letzten Mal erwähnt.«
Berelain starrte ihm in die Augen, und sie lächelte und sah aus, als wollte sie vortreten. Aber dann beherrschte sie sich. »Galad Damodred. Ja, ich dachte mir, dass mir etwas an Eurem Gesicht bekannt vorkommt. Wie geht es Eurer Schwester?«
»Ich hoffe, es geht Ihr gut«, erwiderte Galad. »Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen.«
»Elayne geht es gut«, sagte Perrin barsch. »Das Letzte, das ich von ihr hörte – erst vor wenigen Tagen – ist, dass sie ihren Anspruch auf den Thron durchsetzen konnte. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie Rand nun heiraten will. Falls sie ihn von dem Reich fortlocken kann, welches auch immer er gerade erobert.«
Hinter Galad zog Byar zischend die Luft ein. Hatte Aybara ihn beleidigen wollen, indem er eine Beziehung zwischen Elayne und dem Wiedergeborenen Drachen andeutete? Leider kannte Galad seine Schwester nur zu gut. Sie war impulsiv, und sie hatte eine unangebrachte Faszination mit dem jungen al’Thor zur Schau gestellt.
»Meine Schwester kann tun, was sie will«, sagte Galad und war überrascht, wie mühelos er seinen Ärger über sie und den Wiedergeborenen Drachen zügeln konnte. »Wir sind hier, um über Euch zu sprechen, Perrin Aybara, und Euer Heer.«
Aybara beugte sich vor und legte beide Hände auf den Tisch. »Wir wissen beide, dass es hier nicht um mein Heer geht.«
»Worum geht es dann?«, wollte Galad wissen.
Aybara erwiderte seinen Blick mit diesen unnatürlichen Augen. »Es geht um die beiden Kinder des Lichts, die ich vor zwei Jahren getötet habe. Und jetzt scheint jedes Mal, wenn ich mich umdrehe, eine Gruppe von Euch nach meinen Fersen zuschnappen.«
Es geschah nicht oft, dass ein Mörder so offen über seine Tat sprach. Galad hörte, wie hinter ihm ein Schwert zischend seine Scheide verließ, und hob die Hand. »Kind Bornhaid! Ihr werdet Euch beherrschen!«
»Zwei Kinder des Lichts, Schattengezücht?«, spie Bornhaid. »Und was ist mit meinem Vater?«
»Ich hatte nichts mit seinem Tod zu tun, Bornhaid«, sagte Aybara. »Geofram wurde unglücklicherweise von den Seanchanern getötet. Für einen Weißmantel schien er ein vernünftiger Mann zu sein, auch wenn er mich hängen wollte.«
»Er wollte Euch für die Morde hängen, die Ihr gerade gestanden habt«, sagte Galad ruhig und warf Bornhaid einen finsteren Blick zu. Der Mann rammte sein Schwert zurück in die Scheide, aber sein Gesicht war rot angelaufen.
»Das waren keine Morde«, behauptete Aybara. »Sie griffen mich an. Ich wehrte mich.«
»Das habe ich anders gehört«, sagte Galad. Welches Spiel spielte dieser Mann? »Ich habe die beeidete Aussage, dass Ihr Euch unter einem Felsspalt verborgen habt. Als die Männer Euch baten, hervorzukommen, seid Ihr schreiend herausgestürzt und habt sie ohne jede Provokation angegriffen.«
»Oh, es gab schon eine Provokation«, erwiderte Aybara. » Eure Weißmäntel töteten einen Freund von mir.«
»Die Frau, die bei Euch war? Soweit ich weiß, entkam sie unbeschadet.« Er war entsetzt gewesen, als Bornhaid diesen Namen erwähnt hatte. Egwene al’Vere. Noch eine Frau, die gefährliche Gesellschaft vorzuziehen schien.
»Nicht sie. Einen Freund namens Springer. Und nach ihm kam einer seiner Gefährten dran. Sie waren Wölfe.«
Der Mann ritt sich immer tiefer hinein! »Ihr schließt Freundschaft mit Wölfen, die als Kreaturen des Schattens bekannt sind?«
»Wölfe gehören dem Schatten nicht«, sagte Aybara. »Sie hassen Schattengezücht mit der gleichen Inbrunst wie jeder mir bekannte Mensch.«
»Und woher wisst Ihr das?«
Aybara schwieg. Da steckte mehr dahinter. Byar behauptete, dass dieser Mann den Wölfen befehlen konnte; er lief mit ihnen, als wäre er selbst ein Wolf. Nicht zuletzt diese Aussage hatte Galad davon überzeugt, dass ihnen nur die Schlacht übrig blieb. Anscheinend hatte Byar nicht übertrieben.
Aber es bestand keine Notwendigkeit, jetzt darüber nachzudenken. Aybara hatte die Morde zugegeben. »Ich akzeptiere nicht, dass das Erlegen von Wölfen Euch entlastet«, sagte er. »Viele Jäger töten Wölfe, die ihre Herden angreifen oder ihr Leben bedrohen. Die Kinder taten nichts Falsches. Darum war Euer Angriff unprovozierter Mord.«
»Es war etwas komplizierter«, sagte Aybara. »Aber ich bezweifle, dass ich Euch davon überzeugen kann.«
»Ich kann nicht von etwas überzeugt werden, das nicht stimmt.«
»Und Ihr werdet mich auch nicht in Ruhe lassen.«
»Dann stecken wir fest«, sagte Galad. »Ihr habt Verbrechen gestanden, die ich als Diener der Gerechtigkeit ahnden muss. Ich kann mich nicht davon abwenden und gehen. Ihr begreift, warum ich der Meinung war, dass weitere Verhandlungen sinnlos waren?«
»Und wenn ich mich einverstanden erklären würde, mich einem Gericht zu stellen?«, fragte Aybara.
Seine Frau mit der kühn geschwungenen Nase legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er bedeckte sie mit seiner, wandte sich aber nicht von Galad ab.
»Wenn Ihr zu uns kommt und die Strafe für Eure Tat akzeptiert …«, sagte Galad. Das bedeutete Hinrichtung. Sicherlich würde sich die Kreatur nicht freiwillig ergeben.
Im hinteren Teil des Pavillons war eine Gruppe Diener eingetroffen und bereitete Tee vor. Tee. Bei Waffenstillstandsverhandlungen. Offensichtlich hatte Aybara nur wenig Erfahrung in solchen Dingen.
»Keine Strafe«, sagte Aybara scharf. »Ein Gerichtsverfahren. Erweist sich meine Unschuld, gehe ich als freier Mann und Ihr, der Kommandierende Lordhauptmann, befehlt Euren Männern, mich nicht länger zu verfolgen. Vor allem Bornhaid und dem anderen hinter Euch, der wie ein Welpe knurrt, der seinen ersten Leoparden sieht.«
»Und solltet Ihr Euch als schuldig erweisen?«
»Das kommt darauf an.«
»Hört nicht auf ihn, mein Kommandierender Lordhauptmann!«, sagte Byar. »Er hat schon einmal versprochen, sich uns auszuliefern, und dann sein Wort gebrochen!«
»Das tat ich nicht!«, erwiderte Aybara. »Ihr habt Euren Teil der Abmachung nicht eingehalten!«
»Ich …«
Galad hieb auf den Tisch. »Das ist sinnlos. Es wird kein Gericht geben.«
»Warum nicht?«, wollte Aybara wissen. »Ihr sprecht von Gerechtigkeit, gesteht mir aber kein Verfahren zu?«
»Und wer sollte der Richter sein?«, fragte Galad. »Würdet Ihr mir diese Funktion anvertrauen?«
»Natürlich nicht«, sagte Aybara. »Aber Alliandre. Sie ist Königin.«
»Und Eure Gefährtin. Das soll keine Beleidigung sein, aber ich fürchte, sie würde Euch freisprechen, ohne sich die Beweise anzuhören. Nicht einmal die Erste wäre adäquat – natürlich würde ich ihrem Wort vertrauen, aber ich fürchte, meine Männer denken da anders.«
Beim Licht, was war diese Frau doch für eine Schönheit! Er schaute sie einen Moment lang an, und sie errötete tatsächlich, als sie seinen Blicken standhielt. Es war kaum zu sehen, aber er war sich sicher, es bemerkt zu haben. Er errötete selbst.
»Dann die Aes Sedai.«
Galad riss den Blick von Berelain los und sah Aybara bloß an. »Wenn Ihr glaubt, dass ein Urteil von einer aus der Weißen Burg meine Männer zufriedenstellen würde, dann wisst Ihr nur wenig über die Kinder des Lichts, Perrin Aybara.«
Aybaras Blick wurde hart. Ja, er wusste es. Es war wirklich schade. Ein Gerichtsverfahren hätte die Sache sauber beendet. Eine Dienerin näherte sich dem Tisch mit zwei Tassen Tee, aber dazu bestand keine Notwendigkeit. Diese zweite Zusammenkunft war vorbei.
»Also habt Ihr recht«, sagte Aybara und sah frustriert aus. »Dieses Treffen war sinnlos.«
»Nein«, erwiderte Galad und schenkte Berelain noch einen verstohlenen Blick. »Nicht, was mich betrifft.« Er wusste mehr über Aybaras Stärke; das würde ihm in der Schlacht helfen. Davon abgesehen war es richtig gewesen, den Kampf für kurze Zeit aufzuschieben, um sich zu vergewissern, dass er nötig war. Es war noch immer genug Tageslicht, um mit der Schlacht zu beginnen.
Aber … was war mit dieser Frau … der Ersten? Er zwang sich wegzusehen. Es fiel ihm schwer.
Galad stand auf und verneigte sich vor Alliandre, dann vor Berelain. Er wandte sich zum Gehen.
Und hörte ein Aufkeuchen. Seltsamerweise kam es von der Dienerin, die den Tee gebracht hatte. Galad sah sie an.
Es war Morgase.
Galad erstarrte, rührte kein Glied. Ein Schwertmeister nach dem anderen hatte ihm eingebläut, sich niemals von seiner Überraschung überwältigen zu lassen, aber in diesem Augenblick war ihre sorgfältige Ausbildung umsonst. Das da war seine Stiefmutter. Das rotblonde Haar, an dem er als Kind gezogen hatte. Das Gesicht, das so schön und so stark war. Diese Augen. Das waren ihre Augen.
Ein Geist? Er hatte die Geschichten gehört. Manifestationen des Bösen des Dunklen Königs brachten die Toten zurück ins Leben. Aber niemand sonst im Pavillon zeigte auch nur das geringste Unbehagen, und diese Frau war zu real. Zögernd streckte Galad die Hand aus und berührte die Erscheinung an der Wange. Die Haut war warm.
»Galad?«, sagte sie. »Was tust du hier? Wieso …«
Sie verstummte, als er sie in eine Umarmung riss und alle um ihn herum überrascht zusammenzuckten. Auch sie zuckte zusammen. Sie lebte! Aber wieso?
Ich habe Valda getötet, war Galads erster Gedanke. Ihn für den Tod meiner Mutter getötet. Die nicht tot ist. Ich habe etwas Böses getan.
Nein. Valda hatte für seinen Angriff auf Morgase den Tod verdient. Oder stimmte dieser Teil nicht? Er hatte mit Kindern gesprochen, die sich sicher gewesen waren, aber sie waren auch davon überzeugt gewesen, dass sie tot war.
Er würde das später klären. Im Moment musste er aufhören, sich vor seinen Männern zum Narren zu machen. Er ließ seine Stiefmutter los, aber sie hielt weiter seinen Arm. Sie erschien wie betäubt. Selten hatte er sie so gesehen.
Perrin Aybara war aufgestanden und beobachtete sie mit gerunzelter Stirn. »Ihr kennt Maighdin?«
»Maighdin?«, fragte Galad. Sie trug ein einfaches Kleid und keinen Schmuck. Versuchte sie sich als Dienerin zu tarnen? »Aybara, das ist Morgase Trakand, Verteidigerin des Reiches, Beschützerin des Volkes, Hohe Herrin von Haus Trakand. Sie ist Eure Königin!«
Stille kehrte in den Pavillon ein. Aybara kratzte sich nachdenklich an seinem Bart. Seine Frau betrachtete Morgase mit großen Augen, entweder schockiert oder wütend.
»Maighdin«, sagte Aybara, »stimmt das?«
Sie hob das Kinn und starrte Aybara in die Augen. Wie konnten sie nicht die Königin in ihr erkennen?
»Ich bin Morgase Trakand«, sagte sie. »Aber ich habe zugunsten von Elayne auf meinen Thron verzichtet. Unter dem Licht verkünde ich, dass ich diese Krone nie wieder beanspruche. «
Galad nickte. Ja. Sie musste gefürchtet haben, dass Aybara sie gegen Andor benutzen würde. »Ich nehme dich mit in mein Lager, Mutter«, sagte Galad und ließ Aybara nicht aus den Augen. »Dann können wir in Ruhe darüber sprechen, wie dich dieser Mann behandelt hat.«
Sie sah Galad ganz ruhig an. »Ein Befehl, Galad? Habe ich in dieser Angelegenheit nichts zu bestimmen?«
Er runzelte die Stirn, beugte sich vor und flüsterte: »Hat er noch andere Gefangene? Welches Druckmittel hat er gegen dich?«
Sie schüttelte den Kopf und erwiderte leise: »Dieser Mann ist nicht das, was du denkst, Galad. Er ist noch ungeschliffen, und mir gefällt natürlich nicht, was er Andor antut, aber er ist kein Freund des Schattens. Ich habe mehr von deinen … Bundesgenossen zu fürchten als von Perrin Aybara.«
Ja, sie hatte Gründe, den Kindern zu misstrauen. Gute Gründe. »Begleitest du mich? Ich verspreche dir, dass du jederzeit gehen und zu Aybaras Lager zurückkehren darfst. Was auch immer du in der Vergangenheit durch die Kinder erlitten hast, jetzt bist du sicher. Das schwöre ich.«
Morgase nickte.
»Damodred«, sagte Aybara, »wartet einen Moment.«
Galad drehte sich um und legte wieder die Hand auf den Schwertknauf. Nicht als Drohung, sondern als Erinnerung. In dem Pavillon hatten viele angefangen, miteinander zu tuscheln. »Ja?«
»Ihr wolltet doch einen Richter«, sagte Aybara. »Würdet Ihr Eure Mutter in dieser Position akzeptieren?«
Galad zögerte nicht. Natürlich, sie war seit ihres achtzehnten Namenstages Königin gewesen, und er hatte sie erlebt, wie sie Gericht hielt. Sie war gerecht. Hart, aber gerecht.
Aber würden die anderen Kinder sie akzeptieren? Sie war von Aes Sedai unterrichtet worden. Sie hatten sie als eine der ihren betrachtet. Das war ein Problem. Aber wenn das einen Ausweg aus dieser Situation bot, dann konnte er ihnen vielleicht die Wahrheit erklären.
»Das würde ich«, sagte Galad. »Und wenn ich für sie bürge, würden das auch meine Männer.«
»Gut«, sagte Aybara. »Ich akzeptiere sie auch.«
Beide Männer wandten sich Morgase zu. Sie stand da in ihrem einfachen gelben Kleid und sah mit jedem verstreichenden Moment mehr wie eine Königin aus. »Perrin«, sagte sie, »wenn ich die Richterin bin, lasse ich keine Nachsicht walten. Ihr habt mich aufgenommen, als wir Schutz brauchten, und das erkenne ich an. Aber falls ich entscheide, dass Ihr gemordet habt, werde ich meine Entscheidung nicht für mich behalten.«
»Das reicht mir«, sagte Aybara. Er schien es ehrlich zu meinen.
»Mein Kommandierender Lordhauptmann«, flüsterte Byar Galad voller Inbrunst ins Ohr. »Ich fürchte, das würde eine Farce sein! Er hat nicht gesagt, dass er sich dem Urteil unterwirft.«
»Nein, das habe ich nicht«, sagte Aybara. Wie hatte er dieses Flüstern hören können? »Es wäre bedeutungslos. Ihr haltet mich für einen Schattenfreund und Mörder. Ihr würdet meinem Wort niemals glauben, dass ich die Strafe akzeptiere, nicht solange ich mich nicht in Eurer Gewalt befinde. Was ich nicht zulasse.«
»Seht Ihr?«, sagte Byar lauter. »Was also soll das?«
Galad erwiderte wieder Aybaras goldenen Blick. »Wir bekommen einen Prozess«, sagte er mit wachsender Zuversicht. »Und eine legale Rechtfertigung. Ich verstehe langsam, Kind Byar. Wir müssen unsere Behauptungen beweisen, sonst sind wir nicht besser als Asunawa.«
»Aber dieses Gerichtsverfahren wird nicht gerecht ablaufen!«
Galad wandte sich dem hochgewachsenen Soldaten zu. » Stellt Ihr die Unparteilichkeit meiner Mutter infrage?«
Der hagere Mann erstarrte, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, mein Kommandierender Lordhauptmann.«
Galad sah Aybara wieder an. »Ich bitte Königin Alliandre darum, uns zu garantieren, dass das Urteil dieser Gerichtsverhandlung in ihrem Reich bindend ist.«
»Falls Lord Aybara das wünscht, werde ich das tun.« Sie klang unbehaglich.
»Ich wünsche es, Alliandre«, sagte Aybara. »Aber nur, wenn Damodred einwilligt, sämtliche meiner Leute freizulassen, die er gefangen hält. Behaltet die Vorräte, aber lasst die Leute gehen, wie Ihr es mir zuvor versprochen habt.«
»Gut«, erwiderte Galad. »Das geschieht in dem Augenblick, in dem die Verhandlung beginnt. Ich verspreche es. Wann treffen wir uns?«
»Gebt mir ein paar Tage für die Vorbereitung.«
»Dann in drei Tagen«, sagte Galad. »Wir halten die Verhandlung hier ab, in diesem Pavillon, an diesem Ort.«
»Bringt Eure Zeugen«, sagte Aybara. »Ich werde da sein.«