Die Elfen weckten die Gefährten vor der Morgendämmerung. Gewitterwolken verdunkelten den nördlichen Horizont und streckten sich wie greifende Finger nach Qualinost aus. Gilthanas erschien nach dem Frühstück, in eine blaue Tunika und ein Kettenhemd gekleidet.
»Hier ist Proviant«, sagte er und zeigte auf die Krieger, die in ihren Händen Pakete hielten. »Wir können euch auch mit Waffen oder Rüstungen versorgen, falls ihr etwas braucht.«
»Tika braucht eine Rüstung, einen Schild und ein Schwert«, sagte Caramon.
»Wir werden nachsehen, ob sich das machen läßt«, sagte Gilthanas, »obwohl ich nicht glaube, daß wir alles in ihrer Größe haben.«
»Wie geht es Theros Eisenfeld heute morgen?« fragte Goldmond.
»Es geht ihm gut, Klerikerin der Mishakal.« Gilthanas verbeugte sich respektvoll vor Goldmond. »Mein Volk wird ihn natürlich mitnehmen, wenn wir aufbrechen. Du solltest ihm Lebwohl sagen.«
Schon bald kam ein Elf mit einer Rüstung und einem leichten Kurzschwert für Tika zurück. Tikas Augen glänzten, als sie den Helm und den Schild sah. Beide waren auf Elfenart gearbeitet und mit Juwelen verziert.
Gilthanas nahm dem Elf Helm und Schild ab. »Ich muß mich noch bei dir bedanken, daß du mein Leben im Wirtshaus gerettet hast«, sagte er zu Tika. »Bitte nimm dies an. Es ist die Rüstung meiner Mutter, die sie bei Zeremonien trug, und sie stammt aus der Zeit der Sippenkriege. Eigentlich war sie meiner Schwester zugedacht, aber Laurana und ich glauben, daß du sie verdient hast.«
»Wie schön«, murmelte Tika und errötete. Sie nahm den Helm und sah dann verwirrt auf die restliche Rüstung. »Ich weiß nicht, wie man das anlegt«, gestand sie.
»Ich helfe dir«, bot Caramon eifrig an.
»Ich werde ihr helfen«, sagte Goldmond bestimmt. Sie hob die Rüstung auf und führte Tika in ein Wäldchen.
»Was weiß sie denn über Rüstungen?« murrte Caramon.
Flußwind sah den Krieger an und lächelte das seltene Lächeln, das sein ernstes Gesicht weicher werden ließ. »Du vergißt«, sagte er, »sie ist die Tochter des Stammeshäuptlings. Es war ihre Pflicht bei der Abwesenheit ihres Vaters, den Stamm in den Krieg zu führen. Sie weiß eine Menge über Rüstungen, Krieger- und sogar noch mehr über das Herz, das in ihrer Brust schlägt.«
Caramon wurde rot. Nervös hob er ein Paket Proviant auf und sah hinein. »Was ist das für ein Zeug?« fragte er.
»Quithpa«, antwortete Gilthanas. »Eiserne Rationen, in eurer Sprache. Im Notfall kommen wir damit viele Wochen aus.«
»Es sieht aus wie Trockenobst!« sagte Caramon. »Das ist es auch«, entgegnete Tanis grinsend. Caramon stöhnte auf.
Die Dämmerung begann schon die spärlichen Gewitterwolken in ein blasses kühles Licht zu färben, als Gilthanas die Gruppe aus Qualinost führte. Tanis hielt seine Augen nach vorn gerichtet, er wollte sich nicht umschauen. Er wünschte, daß seine letzte Reise hierher glücklicher verlaufen wäre. Er hatte Laurana den ganzen Morgen nicht gesehen, und obwohl er erleichtert war, einem tränenvollen Abschied aus den Weg gegangen zu sein, wunderte er sich insgeheim, warum sie ihm nicht Lebwohl gesagt hatte.
Der Pfad verlief nach Süden und allmählich bergab. Er war mit Gebüsch dicht bewachsen gewesen, aber die Krieger, die Gilthanas vorher angeführt hatte, hatten ihn freigemacht, so daß sie relativ mühelos vorwärtskamen. Caramon ging neben Tika, die in ihrer nicht zusammenpassenden Rüstung prächtig aussah, und erteilte ihr Unterricht im Schwertgebrauch. Unglücklicherweise hatte der Lehrer eine furchtbare Zeit.
Goldmond hatte Tikas roten Magdrock bis zu den Oberschenkeln aufgeschlitzt, damit sie sich leichter bewegen konnte. Tikas weißes, fellbesetztes Unterkleid lugte verführerisch durch die Schlitze. Beim Gehen wurden ihre Beine sichtbar; und die Beine des Mädchens waren genauso, wie Caramon sie sich immer vorgestellt hatte – rund und wohlgeformt. Darum empfand Caramon es als sehr schwierig, sich auf seine Lektion zu konzentrieren. Völlig in Anspruch genommen von seiner Schülerin, hatte er nicht einmal bemerkt, daß sein Bruder verschwunden war.
»Wo ist der junge Magier?« fragte Gilthanas barsch.
»Vielleicht ist ihm etwas passiert«, sagte Caramon besorgt, sich selbst verfluchend, daß er seinen Bruder vergessen hatte. Der Krieger zog sein Schwert und wollte zurückeilen.
»Unsinn!« Gilthanas hielt ihn auf. »Was sollte ihm denn passiert sein? Meilenweit gibt es hier keine Feinde. Er muß den Weg verlassen haben – aus irgendeinem Grund.«
»Was meinst du damit?« fragte Caramon mit finsterem Blick.
»Vielleicht ging er, um…«
»Um zu sammeln, was ich für meine Magie brauche, Elf«, flüsterte Raistlin, der aus einem Gebüsch trat. »Und um die Kräutervorräte aufzufüllen, die meinen Husten lindern.«
»Raist!« Caramon erdrückte ihn fast vor Erleichterung. »Du solltest nicht allein fortgehen – es ist gefährlich.«
»Meine Zauberzutaten sind geheim«, flüsterte Raistlin wütend und schob seinen Bruder zur Seite. Auf seinen Zauberstab gestützt, gesellte er sich wieder zu Fizban.
Gilthanas warf Tanis einen durchdringenden Blick zu, der die Achseln zuckte und den Kopf schüttelte. Als die Gruppe ihren Marsch fortsetzte, wurde der Pfad immer steiler und führte aus den Espenwäldern in den Nadelwald des Flachlandes. Er wand sich einen klaren Bach entlang, der schon bald zu einem reißenden Strom wurde, als sie weiter nach Süden marschierten.
Als sie für ein hastiges Mittagsmahl anhielten, setzte sich Fizban zu Tanis. »Jemand verfolgt uns«, sagte er in durchdringendem Flüsterton.
»Was?« fragte Tanis und sah den alten Mann ungläubig an.
»Ja, wirklich«, nickte der alte Magier eindringlich. »Ich habe es gesehen – es bewegt sich blitzschnell zwischen den Bäumen.«
Sturm sah Tanis’ besorgten Blick. »Was ist los?«
»Der Alte meint, wir werden verfolgt.«
»Quatsch!« Gilthanas warf seinen letzten Bissen Quithpa voller Abscheu fort und erhob sich. »Das ist unsinnig. Laßt uns nun aufbrechen. Der Sla-Mori ist noch viele Meilen entfernt, und wir müssen bis Sonnenuntergang dort sein.«
»Ich übernehme die Nachhut«, sagte Sturm leise zu Tanis.
Viele Stunden wanderten sie durch den verwilderten Kiefernwald. Die Sonne verschwand langsam am Horizont, als die Gruppe plötzlich auf eine Lichtung stieß.
»Pssst!« warnte Tanis und trat beunruhigt zurück.
Caramon, sofort auf der Hut, zog sein Schwert und gab mit der anderen Hand seinem Bruder und Sturm Zeichen.
»Was ist denn?« piepste Tolpan. »Ich kann nichts sehen!«
»Pssst!« Tanis sah den Kender wütend an, und Tolpan schlug sich selbst auf den Mund, um Tanis die Mühe zu ersparen.
Die Lichtung mußte noch vor kurzem Schauplatz einer blutigen Schlacht gewesen sein. Körper von Menschen und Hobgoblins lagen in den obszönen Stellungen des brutalen Todes herum. Die Gefährten sahen sich furchtsam um und lauschten lange Zeit, konnten aber außer dem tosenden Strom nichts hören.
»Meilenweit kein Feind!« Sturm sah Gilthanas finster an und wollte auf die Lichtung zugehen.
»Warte!« sagte Tanis. »Ich glaube, etwas hat sich bewegt!«
»Vielleicht lebt einer von denen noch«, sagte Sturm kühl und ging weiter. Die anderen folgten ihm langsam. Ein leises Stöhnen drang von zwei Hobgoblinleichen herüber. Die Krieger gingen mit gezogenen Schwertern durch die Leichenberge.
»Caramon…«, zeigte Tanis.
Der Krieger schob die Körper auseinander. Darunter lag ein jammerndes Wesen.
»Ein Mensch«, berichtete Caramon. »Stark blutend. Bewußtlos, glaube ich.«
Die anderen kamen näher, um sich den Mann anzusehen. Goldmond wollte sich zu ihm knien, aber Caramon hielt sie auf.
»Nein, meine Dame«, sagte er leise. »Es könnte sinnlos sein, ihn zu heilen, sollten wir ihn hinterher wieder töten müssen. Vergiß nicht – in Solace haben Menschen für den Drachenfürsten gekämpft.«
Der Mann trug ein Kettenhemd von sichtbar guter Qualität. Seine Kleider waren kostbar, aber an einigen Stellen war der Stoff verschlissen. Er schien Ende Dreißig zu sein. Sein Haar war dicht und schwarz, sein Kinn entschlossen und seine Gesichtszüge regelmäßig. Der Fremde öffnete die Augen und starrte erschöpft auf die Gefährten.
»Dank den Göttern der Sucher!« sagte er heiser. »Meine Freunde – sind sie alle tot?«
»Sorge dich erst um dich«, sagte Sturm ernst. »Sag uns, wer deine Freunde waren – die Menschen oder die Hobgoblins?«
»Die Menschen – Krieger gegen die Drachenmänner.« Der Mann brach ab, seine Augen waren weit aufgerissen. »Gilthanas?«
»Eben«, sagte Gilthanas überrascht. »Wie hast du den Kampf in der Schlucht überlebt?«
»Wie hast du ihn denn überlebt?« Der Mann mit dem Namen Eben versuchte, sich zu erheben. Caramon reichte ihm hilfsbereit seine Hand, als Eben plötzlich zeigte: »Seht! Drak…«
Caramon fuhr herum und ließ Eben wieder fallen. Die anderen folgten seinem Blick: Zwölf Drakonier standen mit gezogenen Waffen am Rande der Lichtung.
»Alle Fremden in diesem Land werden dem Drachenfürsten zur Vernehmung vorgeführt«, rief einer. »Wir fordern Euch auf, ohne Widerstand mitzukommen.«
»Niemand sollte diesen Weg nach Sla-Mori kennen«, flüsterte Sturm Tanis mit einem bedeutungsvollen Blick zu Gilthanas zu. »So sagte jedenfalls der Elf.«
»Wir nehmen keine Befehle von Lord Verminaard entgegen!« gellte Tanis, Sturm ignorierend.
»Das werdet ihr noch früh genug«, sagte der Drakonier und winkte mit der Hand. Die Kreaturen drängten zum Angriff.
Fizban, der am Rande des Waldes stand, zog etwas aus seinem Beutel und begann einige Worte zu murmeln.
»Keine Feuerkugel!« zischte Raistlin und griff nach dem Arm des alten Magiers. »Du wirst alle verbrennen!«
»O wirklich? Da hast du wohl recht.« Der alte Magier seufzte enttäuscht auf, dann strahlte er wieder. »Warte – ich denke mir etwas anderes aus.«
»Bleib einfach hier in Deckung stehen!« befahl Raistlin. »Ich gehe zu meinem Bruder.«
»Wie war das bloß noch mit diesem Netzzauber…?« grübelte der alte Mann.
Tika, die ihr neues Schwert gezogen hatte und kampfbereit dastand, zitterte vor Furcht und Aufregung. Ein Drakonier stürzte auf sie zu, und sie holte zu einem kraftvollen Schlag aus. Die Klinge verfehlte den Drakonier um eine Meile und Caramons Kopf um einige Millimeter. Er zog Tika hinter sich und schlug den Drakonier mit der flachen Seite seines Schwertes zu Boden. Bevor er sich erheben konnte, trat Caramon auf seine Kehle und brach ihm das Genick.
»Bleib hinter mir«, sagte er zu Tika, dann sah er auf das Schwert, mit dem sie immer noch wild um sich fuchtelte. »Noch besser ist«, fügte Caramon nervös hinzu, »wenn du dort hinüber zu Goldmond rennst.«
»Ich will aber nicht«, sagte Tika entrüstet. »Ich werde es ihm schon zeigen«, murmelte sie, ihre verschwitzten Handflächen rutschten über den Schwertgriff. Zwei weitere Drakonier bedrängten Caramon, aber nun war sein Bruder an seiner Seite – die beiden vereinigten Magie und Eisen zur Zerstörung ihres Feindes. Tika wußte, daß sie ihnen nur im Wege stehen würde, und sie hatte vor Raistlins Wut mehr Angst als vor den Drakoniern. Sie sah sich um, ob jemand ihre Hilfe brauchen konnte. Sturm und Tanis kämpften Seite an Seite, Gilthanas kämpfte in – man sollte es nicht glauben – Zusammenarbeit mit Flint, während Tolpan – seinen Hupak hatte er auf den Boden gelegt eine tödliche Steinladung durch das Feld sausen ließ. Goldmond stand unter den Bäumen, neben ihr Flußwind. Der alte Magier hatte sein Zauberbuch hervorgekramt und blätterte die Seiten durch.
»Netz… Netz… wie ging das nochmal?« murmelte er.
»Aaaarrgghh!« Ein Kreischen hinter Tika hätte beinahe dazu geführt, daß sie ihre Zunge abgebissen hätte. Sie wirbelte herum und ließ ihr Schwert fallen, als ein grauenvoll lachender Drakonier durch die Luft auf sie zuflog. Völlig panisch hielt Tika ihren Schild mit beiden Händen hoch und schlug dem Drakonier damit in seine furchterregende Reptilienfratze. Der Schlag riß ihr fast den Schild aus den Händen, aber er ließ die Kreatur bewußtlos zu Boden sinken. Tika hob ihr Schwert auf, und mit einer wilden Grimasse stieß sie ins Herz der Kreatur. Sein Körper verwandelte sich sofort in Stein und schloß ihr Schwert ein. Tika konnte ziehen und zerren, es blieb im Körper stecken.
»Tika, zu deiner Linken!« gellte Tolpan schrill.
Tika taumelte herum und sah einen weiteren Drakonier. Sie schwang ihren Schild und blockte seinen Schwerthieb ab. Dann, mit einer aus Angst geborenen Kraft, schlug sie immer wieder mit ihrem Schild auf den Drakonier ein, sie wußte nur, daß sie dieses Ding da töten mußte. Sie drosch weiter auf ihn ein, bis sie eine Hand auf ihrem Arm fühlte. Sie fuhr mit ihrem blutverschmierten Schild herum und sah Caramon.
»Es ist alles in Ordnung!« sagte der Krieger besänftigend. »Es ist alles vorbei, Tika. Sie sind alle tot. Du hast es gut gemacht, ganz gut.«
Tika blinzelte. Einen Moment lang erkannte sie ihn nicht wieder. Dann senkte sie zitternd ihren Schild.
»Mit dem Schwert war ich nicht so gut«, sagte sie, immer noch zitternd.
Caramon bemerkte es. Er nahm sie fest in seine Arme und strich ihr über die verschwitzten roten Locken.
»Du warst mutiger als viele erfahrene Krieger«, sagte der große Mann mit seiner tiefen Stimme.
Tika sah hoch in Caramons Augen. Ihre Angst schmolz weg, und an ihre Stelle trat eine tiefe Freude. Sie schmiegte sich an Caramon. Seine harten Muskeln an ihrem Leib und der Geruch von Schweiß, vermischt mit dem von Leder, erhöhten ihre Aufregung. Tika schlang ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn mit solch einer Heftigkeit, daß ihre Zähne in seine Lippen drangen und sie sein Blut schmeckte.
Caramon, völlig erstaunt, spürte den Schmerz – ein seltsamer Gegensatz zu ihren weichen Lippen – und wurde von Lust überwältigt. Er begehrte diese Frau mehr, als er je eine andere begehrt hatte – und es waren viele gewesen – in seinem Leben. Er vergaß, wo er war, wer um ihn herum war. Sein Gehirn und sein Blut gerieten in Wallung, und er spürte den Schmerz seiner Leidenschaft. Er preßte Tika an seine Brust, hielt sie fest und küßte sie mit fast brutaler Intensität.
Den Schmerz seiner Umarmung empfand Tika als herrlich. Sie sehnte sich danach, daß der Schmerz zunehmen und sie einnehmen würde, aber gleichzeitig hatte sie plötzlich Angst. Sie erinnerte sich an die Geschichten, die ihre Freundinnen über die furchtbaren und wunderschönen Dinge erzählt hatten, die zwischen Mann und Frau passieren, und Panik ergriff sie.
Caramon verlor völlig den Sinn für die Wirklichkeit. Er hielt Tika in seinen Armen fest und hatte nur den einen Wunsch – sie in den Wald zu tragen, als er eine kalte vertraute Hand an seiner Schulter spürte.
Der große Mann starrte seinen Bruder an und fiel wieder in die Wirklichkeit zurück. Sanft setzte er Tika wieder auf dem Boden ab. Benommen und desorientiert öffnete sie die Augen, um Raistlin neben seinem Bruder stehen zu sehen, der sie mit seinen seltsam funkelnden Augen musterte.
Tika wurde über und über rot. Sie trat zurück, fiel fast über den Körper des Drakoniers, hob ihren Schild auf und rannte davon.
Caramon schluckte, räusperte sich und wollte etwas sagen, aber Raistlin sah ihn nur voller Abscheu an und ging zu Fizban zurück. Caramon, der wie ein neugeborenes Füllen zitterte, seufzte schwach und gesellte sich zu Sturm, Tanis und Gilthanas, die mit Eben redeten.
»Nein, mir geht es gut«, versicherte der Mann. »Ich fühlte mich nur ein bißchen schwach, als ich diese Kreaturen sah, das ist alles. Ihr habt wirklich eine Klerikerin dabei? Das ist wundervoll, aber sie soll ihre Heilkräfte nicht verschwenden. Es ist nur ein Kratzer. Es ist mehr Blut von ihnen als von mir. Meine Gruppe und ich verfolgten diese Drakonier durch die Wälder, als wir von mindestens vierzig Hobgoblins angegriffen wurden.«
»Und du bist als einziger geblieben, um diese Geschichte zu erzählen«, sagte Gilthanas.
»Ja«, erwiderte Eben und begegnete dem argwöhnischen Blick des Elfen. »Ich bin ein erfahrener Schwertkämpfer – wie du weißt. Ich habe diese getötet« – er zeigte auf sechs Hobgoblins – »dann wurden es zu viele. Die anderen müssen angenommen haben, daß ich tot sei, und ließen mich liegen. Aber genug von meinen Heldentaten. Ihr geht recht gut mit euren Schwertern um. Wohin wollt ihr?«
»Zum Sla…«, begann Caramon, aber Gilthanas schnitt ihm das Wort ab.
»Wir reisen in geheimer Mission«, sagte Gilthanas. Dann fügte er vorsichtig hinzu. »Wir könnten noch einen erfahrenen Schwertkämpfer gebrauchen…«
»Solange ihr gegen Drakonier kämpft, ist euer Kampf mein Kampf«, sagte Eben erfreut. Er zog seinen Rucksack unter dem Körper eines Hobgoblins hervor und schwang ihn sich über die Schulter.
»Ich heiße Eben Sprungstein. Ich bin aus Torweg. Ihr habt sicherlich von meiner Familie gehört«, sagte er. »Wir hatten eine der beeindruckendsten Villen westlich von…«
»Das ist es!« schrie Fizban. »Mir ist es wieder eingefallen!« plötzlich füllte sich die Luft mit Strängen von klebrigen, schwebenden Spinnweben.
Die Sonne war schon fast untergegangen, als die Gruppe eine offene, von hohen Bergen umgrenzte Ebene erreichte. In Rivalität mit dem Gebirge lag die gigantische Festung, bekannt als Pax Tarkas, die den Paß zwischen den Bergen bewachte. Die Gefährten starrten sie in stummer Ehrfurcht an.
Tika gingen die Augen über beim Anblick der massiven, hoch aufragenden Zwillingstürme. »So etwas Großes habe ich noch nie gesehen! Wer hat das gebaut? Es müssen mächtige Menschen gewesen sein.«
»Es waren keine Menschen«, sagte Flint traurig. Sein Bart bebte, als er mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck auf Pax Tarkas schaute. »Elfen und Zwerge haben sie gemeinsam gebaut. Vor langer, langer Zeit, in friedlichen Tagen.«
»Der Zwerg sagt die Wahrheit«, fügte Gilthanas hinzu. »Vor langer Zeit brach Kith-Kanan das Herz seines Vaters und verließ die uralte Heimat Silvanesti. Er und seine Leute begaben sich zu den wunderschönen Wäldern, die ihnen vom Herrscher von Ergod gemäß der Schriftrolle der Schwertscheide nach Beendigung der Sippenmordkriege zugesprochen worden waren. Seit Kith-Kanans Tod sind schon viele Jahrhunderte vergangen, in denen die Elfen in Qualinost leben. Seine größte Leistung war der Bau von Pax Tarkas. Sie wurde im Geiste einer Freundschaft gebaut, die es auf Krynn nicht mehr gibt, seit es zwischen den Königreichen der Elfen und dem der Zwerge liegt. Es grämt mich, die Festung jetzt zu sehen als Teil einer mächtigen Kriegsmaschine.«
Während Gilthanas sprach, sahen die Gefährten, wie sich das riesige Tor an der Vorderseite von Pax Tarkas öffnete. Eine Armee – lange Reihen von Drakoniern, Hobgoblins und Goblins – marschierte in die Ebene hinaus. Hörnerklang hallte von dem Gipfel der Berge wider. Und von oben wurden sie von einem großen roten Drachen beobachtet. Die Gefährten kauerten sich ins Unterholz. Obwohl der Drache zu weit von ihnen entfernt war, um sie zu sehen, wurden sie doch von der Drachenangst berührt.
»Sie marschieren nach Qualinost«, sagte Gilthanas mit gebrochener Stimme. »Wir müssen in die Festung rein und die Gefangenen befreien. Dann wird Verminaard gezwungen sein, seine Armee zurückzurufen.«
»Du willst nach Pax Tarkas hineinkommen!« keuchte Eben.
»Ja«, antwortete Gilthanas zögernd, anscheinend bereute er, soviel gesagt zu haben.
»Hui!« Eben holte tief Luft. »Ihr habt ganz schön Mut, das muß ich euch lassen. Nun – wie kommen wir rein? Warten, bis die Armee weg ist? Höchstwahrscheinlich werden nur ein paar Wachen am Vordertor stehen. Mit denen werden wir doch schnell fertig, nicht wahr, großer Mann?« Er stieß Caramon an.
»Sicher«, grinste Caramon.
»Das gehört nicht zu unserem Plan«, sagte Gilthanas kühl. Der Elf zeigte auf ein enges, in die Berge führendes Tal, im schwindenden Licht kaum sichtbar. »Das ist unser Weg. Wir werden im Schutz der Dunkelheit eindringen.«
Er erhob sich und ging fort. Tanis eilte ihm nach und holte ihn ein. »Was weißt du über diesen Eben?« fragte der Halb-Elf in der Elfensprache und blickte zu dem Mann zurück, der sich gerade mit Tika unterhielt.
Gilthanas zuckte die Schulter. »Er gehörte zu der Gruppe von Menschen, die mit uns in der Schlucht gekämpft haben. Die Überlebenden wurden nach Solace verschleppt und starben dort. Er konnte wohl entfliehen. Ich ja auch«, sagte Gilthanas mit einem Seitenblick zu Tanis. »Er kommt aus Torweg, wo sein Vater und dessen Vater wiederum wohlhabende Kaufleute waren. Die anderen erzählten mir, wenn er nicht dabei war, daß seine Familie um ihr Vermögen gebracht wurde und er sich seitdem seinen Lebensunterhalt mit dem Schwert verdient.«
»Das dachte ich mir«, sagte Tanis. »Seine Kleider sehen wertvoll aus, obwohl sie mal bessere Tage erlebt haben. Du hast die richtige Entscheidung getroffen, ihn mitzunehmen.«
»Ich wagte nicht, ihn zurückzulassen«, antwortete Gilthanas grimmig. »Einer von uns sollte ein Auge auf ihn haben.«
»Ja.« Tanis fiel ins Schweigen.
»Und auch auf mich, denkst du«, sagte Gilthanas mit angespannter Stimme. »Ich weiß, was die anderen denken – besonders der Ritter. Aber ich schwöre dir, Tanis, ich bin kein Verräter! Ich will nur eines!« Die Augen des Elfen glühten fiebrig im schwindenden Licht. »Ich will diesen Verminaard vernichten. Wenn du ihn nur gesehen hättest, als sein Drache über mein Volk kam… Dafür opfere ich gern mein Leben…« Gilthanas brach abrupt ab.
»Und auch unser Leben?« fragte Tanis. Als Gilthanas ihm sein Gesicht zuwandte, betrachteten seine mandelförmigen Augen Tanis ohne jegliches Gefühl. »Du mußt wissen, Tanthalas, dein Leben bedeutet das…« Er schnippte mit seinen Fingern. »Aber das Leben meines Volkes bedeutet mir alles. Das ist das einzige, was für mich zählt.« Er ging voran, als Sturm sie einholte.
»Tanis«, sagte er. »Der alte Mann hatte recht. Wir werden verfolgt.«