14 Matafleur. Das magische Schwert. Weiße Federn

Marittas Fackel beleuchtete einen großen Raum ohne Möbel und ohne Fenster. Die einzigen Gegenstände in der kühlen Steinkammer waren ein Wasserbecken, ein Kübel mit übelriechendem Fleisch und ein Drache.

Tanis hielt den Atem an. Er hatte schon den schwarzen Drachen in Xak Tsaroth als gewaltig empfunden. Dieser Anblick jedoch schüchterte ihn ein. Die Höhle hatte eine Länge von etwa dreißig Metern, und der Drache füllte sie ganz aus. Einen Moment lang standen die Gefährten wie gelähmt da, hatten gräßliche Phantasien über den riesigen Kopf, der sich erhob und sie mit der brennenden Flamme, die für rote Drachen typisch ist, ansengte, Flammen, wie sie auch Solace zerstört hatten.

Maritta schien jedoch nicht besorgt. Sie ging ohne zu zögern weiter, und nach einem Moment eilten die Gefährten hinterher. Als sie sich der Kreatur näherten, konnten sie sehen, daß Maritta recht hatte – der Drache befand sich eindeutig in einem erbärmlichen Zustand. Der Kopf war vom Alter zerfurcht und runzelig, die rotglänzende Haut war graugefleckt. Er atmete geräuschvoll durch den Mund, und man konnte die einst schwertscharfen, aber jetzt gelblichen und gesplitterten Zähne erkennen. An den Körperseiten verliefen lange Narben, die ledernen Flügel waren trocken und rissig.

Jetzt verstand Tanis Marittas Empfinden. Der Drache wurde offensichtlich mißhandelt, und er empfand selbst Mitleid und ließ in seiner Wachsamkeit nach. Ihm war aber auch bewußt, wie gefährlich das Ganze war, falls der Drache – vom Fackellicht geweckt – sich im Schlaf bewegen würde. Seine Pranken waren so scharf und sein Feuer so zerstörerisch wie von jedem anderen roten Drachen auf Krynn, sagte er sich.

Der Drache öffnete seine Augen, rotglitzernde Schlitze. Die Gefährten hielten an und legten die Hände an ihre Waffen.

»Ist es schon Zeit für das Frühstück, Maritta?« fragte Matafleur (Flammenschlag war der Name, den die gewöhnlichen Sterblichen gebrauchten) mit verschlafener, heiserer Stimme.

»Ja, wir sind heute früh dran, meine Teure«, antwortete Maritta besänftigend. »Aber ein Sturm braut sich zusammen, und die Kinder sollen vorher ihre Turnübungen machen. Schlaf ruhig weiter. Ich werde dafür sorgen, daß sie dich nicht wecken.«

»Es stört mich nicht.« Der Drache gähnte und öffnete die Augen ein wenig mehr. Jetzt konnte Tanis erkennen, daß er auf einem Auge blind war.

»Hoffentlich müssen wir nicht gegen ihn kämpfen, Tanis«, flüsterte Sturm. »Das wäre, als würden wir gegen eine Großmutter antreten.«

Tanis zwang sich zu einer härteren Miene. »Es ist eine tödliche Großmutter, Sturm. Vergiß das nicht.«

»Die Kleinen hatten eine ruhige Nacht«, murmelte der Drache und schien wieder einzuschlafen. »Achte darauf, daß sie nicht naß werden, falls es zu regnen beginnt, Maritta. Besonders der kleine Erik. Letzte Woche hatte er eine Erkältung.« Er schloß die Augen.

Maritta wandte sich den Gefährten zu und legte einen Finger an den Mund. Sturm und Tanis bildeten das Schlußlicht, die Geräusche von ihren Waffen und Rüstungen wurden durch die vielen Umhänge und Röcke gedämpft. Tanis war ungefähr zehn Meter vom Kopf des Drachen entfernt, als das Surren anhob.

Zuerst dachte er, er würde sich den Lärm einbilden, daß es seine Nervosität wäre. Aber der Lärm wurde lauter und lauter, und Sturm drehte sich um und starrte ihn warnend an. Das surrende Geräusch wurde stärker, bis es sich wie Tausende von schwärmenden Heuschrecken anhörte. Jetzt sahen sich auch die anderen um – alle starrten ihn an! Tanis sah hilflos auf seine Freunde, auf seinem Gesicht lag ein fast komischer Ausdruck der Verwirrung.

Der Drache knurrte und schüttelte sich irritiert, als ob das Geräusch für seine Ohren schmerzhaft wäre.

Plötzlich trat Raistlin aus der Gruppe hervor und lief zu Tanis. »Das Schwert!« zischte er. Er griff nach dem Umhang des Halb-Elfs und warf ihn zurück, um die Klinge zu enthüllen.

Tanis starrte auf das Schwert. Der Magier hatte recht: Die Klinge summte! Jetzt, da Raistlin seine Aufmerksamkeit darauf lenkte, konnte der Halb-Elf die Schwingungen spüren.

»Magie«, sagte der Magier leise und studierte es interessiert.

»Kannst du es aufhalten?« fragte Tanis.

»Nein«, sagte Raistlin. »Aber ich erinnere mich jetzt. Das ist Drachentöter, das berühmte, magische Schwert Kith-Kanans. Es reagiert auf die Gegenwart von Drachen.«

»Das ist aber eine elende Zeit, um sich daran zu erinnern!« erwiderte Tanis wütend.

»Oder die passende Zeit«, knurrte Sturm.

Der Drache hob langsam seinen Kopf, seine Augen blinzelten, eine kleine Rauchwolke strömte aus einem Nasenloch. Er konzentrierte seine verschlafenen Augen auf Tanis, in seinem Blick lagen Schmerz und Verärgerung.

»Wen hast du da mitgebracht, Maritta?« Matafleurs Stimme hörte sich bedrohlich an. »Ich höre etwas, was ich seit Jahrhunderten nicht mehr gehört habe, ich rieche den widerlichen Gestank von Eisen! Das sind nicht die Frauen! Das sind Krieger!«

»Verletzt ihn nicht!« jammerte Maritta.

»Vielleicht bleibt mir keine andere Wahl!« sagte Tanis heftig und zog Drachentöter aus seiner Scheide. »Flußwind und Goldmond, bringt Maritta hier raus!« Die Klinge begann in einem leuchtendweißen Licht zu glimmen, während das Summen immer lauter und wütender wurde. Matafleur wich zurück. Das Licht des Schwertes drang schmerzhaft in ihr gesundes Auge; der schreckliche Ton fuhr wie ein Speer durch ihren Kopf. Wimmernd kroch sie von Tanis weg.

»Lauft, holt die Kinder!« gellte Tanis, dem klar wurde, daß sie vielleicht doch nicht kämpfen mußten. Er hob das glänzende Schwert hoch in die Luft, bewegte sich vorsichtig vorwärts und trieb den erbarmungswürdigen Drachen zurück an die Wand.

Maritta führte Goldmond nach einem ängstlichen Blick auf Tanis zum Kinderzimmer. Über hundert Kinder waren hier und starrten ihnen mit weit aufgerissenen Augen entgegen, beunruhigt über die seltsamen Geräusche im Nebenraum. Ihre Gesichter entspannten sich beim Anblick von Maritta und Goldmond, und einige kleinere kicherten, als Caramon mit wehenden Röcken herbeieilte. Aber der Anblick der Rüstungen darunter und der gezogenen Waffen ernüchterte die Kinder sofort.

»Was ist los, Maritta?« fragte das älteste Mädchen. »Was ist passiert? Wird wieder gekämpft?«

»Wir hoffen, daß es nicht dazu kommt, meine Liebe«, antwortete Maritta leise. »Aber ich will euch nicht anlügen – auszuschließen ist es nicht. Jetzt möchte ich, daß ihr eure Sachen zusammensucht, besonders warme Mäntel, und mit uns kommt. Die Älteren tragen die Kleinen, so wie ihr es auch sonst macht.«

Sturm hatte Verwirrung, Geplärre und Fragen erwartet. Aber die Kinder kamen schnell ihren Anordnungen nach, zogen sich warm an und halfen den Jüngeren. Sie waren alle ruhig und gelassen, nur ein bißchen blaß. Das sind Kinder des Krieges, dachte Sturm.

»Ich möchte, daß ihr schnell durch die Höhle des Drachen und in das Spielzimmer geht. Wenn wir dort sind, wird euch der große Mann« – Sturm zeigte auf Caramon – »in den Hof führen. Eure Mütter warten bereits auf euch. Wenn ihr draußen seid, sucht sofort eure Mütter und geht zu ihnen. Habt ihr alle verstanden?« Er sah zweifelnd auf die kleineren Kinder, aber das Mädchen in der ersten Reihe nickte.

»Wir verstehen, Herr«, sagte sie.

»In Ordnung.« Sturm drehte sich um. »Caramon?«

Der Krieger, der vor Verlegenheit errötete, als hundert Augenpaare ihn ansahen, führte sie durch die Drachenhöhle. Goldmond nahm ein Kleinkind auf den Arm, Maritta ein weiteres. Die älteren Jungen und Mädchen trugen die Kleineren auf ihren Rücken. Sie eilten geordnet nacheinander aus der Tür, ohne ein Wort zu sagen, bis sie Tanis, das glänzende Schwert und den verängstigten Drachen sahen.

»He du! Tu dem Drachen nicht weh!« schrie ein kleiner Junge. Das Kind verließ die Reihe und rannte mit erhobenen Fäusten auf Tanis zu.

»Dugle!« schrie das ältere Mädchen entsetzt. »Komm sofort zurück!« Aber jetzt weinten einige Kinder.

Tanis, noch immer mit erhobenem Schwert, da er nur so den Drachen aufhalten konnte, schrie: »Führt sie hier raus!«

»Kinder, bitte!« Die Tochter des Stammeshäuptlings brachte mit ihrer strengen Stimme Ordnung in das Chaos. »Tanis wird dem Drachen nur dann etwas tun, wenn es wirklich notwendig ist. Ihr müßt jetzt gehen. Eure Mütter warten auf euch.«

In Goldmonds Stimme lag eine Spur Angst, ein Gefühl der Dringlichkeit, das sogar das jüngste Kind spürte. Sie stellten sich wieder ordentlich auf.

»Auf Wiedersehen, Flammenschlag«, riefen einige Kinder traurig und winkten dem Drachen zu, als sie Caramon folgten. Dugle warf Tanis einen letzten drohenden Blick zu, dann ging auch er zur Gruppe zurück und wischte sich mit seinen schmutzigen Fäusten die Augen.

»Nein!« kreischte Matafleur mit herzzerreißender Stimme. »Nein! Kämpft nicht gegen meine Kinder. Bitte! Ihr wollt mich doch! Kämpft gegen mich! Tut meinen Kindern nichts an!«

Tanis wurde klar, daß der Drache in seine Vergangenheit versetzt war und noch einmal die schreckliche Erfahrung durchmachte, seine Kinder zu verlieren.

Sturm stand neben Tanis. »Er wird dich töten, sobald sich die Kinder außer Gefahr befinden.«

»Ja«, bestätigte Tanis grimmig. Die Augen, sogar das blinde, des Drachen flackerten bereits rot. Speichel tropfte aus dem riesigen geöffneten Maul, und seine Klauen kratzten den Boden.

»Nicht meine Kinder!« erklärte er zornig.

»Ich bleibe bei dir…«, begann Sturm und zog sein Schwert.

»Laß uns allein, Ritter«, flüsterte Raistlin sanft aus den Schatten. »Deine Waffe ist nutzlos. Ich bleibe bei Tanis.«

Der Halb-Elf sah den Magier erstaunt an. Raistlins seltsam goldene Augen trafen seine, wußten, was er dachte: Soll ich ihm trauen? Raistlin gab ihm keine Hilfe, als ob er ihn zur Ablehnung anstacheln wollte.

»Geh raus«, befahl Tanis Sturm.

»Was?« gellte er. »Bist du verrückt? Du willst diesem…«

»Geh raus«, wiederholte Tanis. In diesem Moment hörte er Flint laut rufen: »Komm, Sturm, du wirst hier gebraucht!«

Der Ritter stand einen Augenblick unentschlossen da, aber er konnte den direkten Befehl einer Person, die er als Anführer anerkannt hatte, nicht mißachten, ohne seine Ehre zu verlieren. Er warf Raistlin einen haßerfüllten Blick zu, dann drehte er sich auf dem Absatz um und trat in den Tunnel.

»Mir steht nur wenig Magie gegen einen roten Drachen zur Verfügung«, flüsterte Raistlin schnell.

»Kannst du ihn aufhalten?« fragte Tanis.

Raistlin lächelte wie einer, der im Angesicht des Todes jede Furcht verloren hatte. »Das kann ich«, flüsterte er. »Bewege dich zum Tunnel zurück. Wenn du mich sprechen hörst, lauf.«

Tanis begann zurückzuweichen, während er weiterhin das Schwert hochhielt. Aber der Drache fürchtete nicht länger seine Magie. Er wußte nur, daß seine Kinder verschwunden waren und er die Verantwortlichen töten mußte. Flammenschlag sprang auf den Krieger zu, als er sich rückwärts zum Tunnel bewegte. Dann fiel über Matafleur eine Dunkelheit, eine so tiefe Dunkelheit, daß sie einen schrecklichen Moment lang dachte, sie wäre auf dem anderen Auge auch noch erblindet. Sie hörte das Flüstern magischer Worte und erkannte, daß der Mann im Umhang einen Zauber geworfen hatte.

»Ich werde sie verbrennen!« heulte der Drache. »Sie werden nicht entkommen!« Aber gerade, als er tief einatmen wollte, hörte er etwas anderes – die Stimmen der Kinder. »Nein«, dachte er enttäuscht. »Ich traue mich nicht. Meine Kinder! Ich könnte meinen Kindern schaden…« Sein Kopf sank auf den kalten Steinboden.

Tanis und Raistlin rannten durch den Tunnel, der Halb-Elf zog den geschwächten Magier mit sich. Hinter sich hörten sie ein erbarmungswürdiges, gebrochenes Stöhnen.

»Nicht meine Kinder! Bitte, kämpft gegen mich! Tut meinen Kinder nichts an!«

Tanis trat aus dem Tunnel in das Spielzimmer und blinzelte in das helle Licht, als Caramon die riesigen Türen aufriß. Die Kinder stürmten in den Hof. Durch die Tür konnte Tanis Tika und Laurana sehen, die die Kinder mit gezogenen Schwertern eskortierten. Ein Drakonier lag auf dem Boden im Spielzimmer, Flints Kampfaxt stak im Rücken.

»Nach draußen, alle!« schrie Tanis. Flint zog seine Kampfaxt aus dem Drakonier und verließ als letzter mit Tanis das Spielzimmer. Dann hörten sie ein entsetzliches Brüllen, das Brüllen eines Drachen. Aber es war nicht Matafleur. Pyros hatte die Spione entdeckt. Die Steinwände begannen zu beben – der Drache stieß aus seiner Höhle hervor.

»Ember!« fluchte Tanis bitter. »Er ist nicht weg!«

Der Zwerg schüttelte den Kopf. »Ich wette um meinen Bart«, sagte er düster, »daß Tolpan etwas damit zu tun hat.«

Die zerbrochene Kette stürzte auf den Steinboden des Kettenraums im Sla-Mori, und mit ihr fielen drei kleine Gestalten.

Tolpan, der sich unsinnigerweise an der Kette festhielt, purzelte durch die Dunkelheit und dachte, so ist das also, wenn man stirbt. Es war ein interessantes Gefühl, und es tat ihm leid, daß er es nicht länger erleben würde. Über sich hörte er Sestun vor Angst kreischen, unter sich den alten Magier murmeln. Vielleicht versuchte er seinen letzten Zauber. Dann hob Fizban seine Stimme: »Pveatherf…« Das Wort wurde von einem Schrei abgeschnitten. Dann erfolgte ein Krachen, als der alte Magier auf dem Boden landete. Tolpan trauerte um ihn, obwohl er wußte, daß er der nächste sein würde. Der Steinboden kam immer näher. In wenigen Sekunden würde auch er tot sein…

Dann begann es zu schneien.

Zumindest dachte das der Kender. Dann stellte er erstaunt fest, daß er von Abermillionen Federn umgeben war – die reinste Hühnerexplosion! Er sank in einen tiefen, weichen Haufen weißer Federn, Sestun taumelte hinterher.

»Armer Fizban«, sagte Tolpan, blinzelte Tränen aus seinen Augen, als er in einem Ozean weißer Hühnerfedern strampelte. »Sein letzter Zauber muß Federfall gewesen sein, den auch Raistlin benutzt. Hättest du dir das vorstellen können? Er hat einfach Federn gemacht.«

Über ihm drehte sich das Zahnrad immer schneller, die losgelöste Kette eilte darüber hinweg, als ob sie ihre Befreiung genösse.

Draußen im Hof herrschte Chaos.

»Hier rüber!« schrie Tanis, der aus der Tür gestürzt war und erkannte, daß ihre Mission zum Scheitern verurteilt war, aber trotzdem nicht aufgeben wollte. Die Gefährten versammelten sich um ihn mit gezogenen Waffen und sahen ihn beunruhigt an. »Lauft zu den Minen! Geht in Deckung! Verminaard und der Drache sind doch hier. Es ist eine Falle. Sie werden jeden Moment über uns herfallen.«

Die anderen nickten mit grimmigen Gesichtern. Sie wußten alle, daß die Lage aussichtslos war – sie mußten über hundert Meter offenes Feld zurücklegen, um Schutz zu finden.

Sie versuchten, die Frauen und Kinder so schnell wie möglich voranzutreiben, waren dabei aber nicht sehr erfolgreich. Als Tanis dann zu den Minen sah, fluchte er laut vor Niedergeschlagenheit.

Die Männer, die ihre Familien befreit sahen, überwältigten schnell die Wachen und rannten über den Hof! Das war aber gegen den Plan! Was hatte sich Elistan nur gedacht? Innerhalb weniger Augenblicke würden achthundert Menschen auf einem offenen Platz ohne jegliche Deckung panisch und ziellos herumirren! Er mußte sie nach Süden in die Berge zurückdrängen.

»Wo ist Eben?« rief er Sturm zu.

»Als ich ihn zuletzt sah, rannte er zu den Minen. Ich wußte überhaupt nicht, warum…«

Der Ritter und der Halb-Elf stöhnten auf in plötzlichem Verstehen.

»Natürlich«, sagte Tanis leise. »Das paßt zusammen.«

Als Eben zu den Minen rannte, hatte er nur einen Gedanken: Pyros’ Befehl auszuführen. Irgendwie mußte er inmitten dieses Aufruhrs den Hüter des grünen Juwels finden. Er wußte, was Verminaard und Pyros mit all diesen armen Gestalten vorhatten. Eben empfand einen Moment lang Mitleid – in seinem tiefsten Innern war er nicht grausam und bösartig. Er hatte nur vor langer Zeit erkannt, welche Seite gewinnen würde, und beschlossen, wenigstens einmal in seinem Leben auf der Gewinnerseite zu stehen.

Als das Vermögen seiner Familie verlorengegangen war, konnte Eben nur noch sich verkaufen. Er war intelligent, ein geschickter Schwertkämpfer und loyal – wenn er gut bezahlt wurde. Während einer Reise in den Norden, auf der Suche nach potentiellen Kunden, hatte Eben Verminaard kennengelernt. Eben war von Verminaards Macht beeindruckt und hatte sich die Gunst des bösen Klerikers erschlichen. Aber noch wichtiger war, daß er es geschafft hatte, sich für Pyros nützlich zu machen. Der Drache fand Eben charmant, intelligent, einfallsreich und – nach einigen Prüfungen – vertrauenswürdig.

Eben wurde in seine Heimatstadt Torweg geschickt, kurz bevor die Drachenarmeen zuschlugen. Er›entkam‹bequem und baute seine›Widerstandsgruppe‹auf. Das zufällige Zusammentreffen mit Gilthanas’ Elfengruppe, die versuchte, sich in Pax Tarkas einzuschleichen, war ein Glücksfall, der seine Beziehung zu Pyros und Verminaard verbesserte. Als die Klerikerin in Ebens Hände fiel, konnte er sein Glück kaum fassen. Er vermutete, daß diese Glücksfälle zeigten, wie sehr die Dunkle Königin ihn begünstigte.

Er betete, daß die Dunkle Königin ihn weiterhin begünstigen würde. Den Hüter des grünen Juwels in diesem Durcheinander zu finden, war geradezu ein seherisches Unterfangen. Hunderte von Männern irrten verunsichert umher. Eben sah eine weitere Gelegenheit, Verminaard einen Gefallen zu erweisen. »Tanis will, daß ihr ihn auf dem Hof trefft«, schrie er. »Geht zu euren Familien.«

»Nein! Das ist aber nicht der Plan!« entgegnete Elistan und versuchte, die Männer aufzuhalten. Aber es war zu spät. Die Männer stürzten los, als sie ihre Familien befreit sahen. Mehrere hundert Gossenzwerge trugen zu dem Durcheinander bei, denn auch sie stürzten fröhlich aus den Minen, um dem Vergnügen beizuwohnen, im Glauben, es wäre ein Feiertag.

Eben suchte ängstlich die Menge nach dem Hüter des grünen Juwels ab, dann entschied er sich, in den Zellen nachzusehen. Dort fand er ihn auch – er saß allein in einer Zelle und starrte geistesabwesend umher. Eben kniete sich zu ihm und zermarterte sein Gehirn nach dem Namen des Mannes. Es war ein merkwürdiger, altmodischer Name…

»Berem«, sagte Eben nach einem Moment. »Berem?«

Der Mann sah auf, zum ersten Mal seit vielen Wochen glänzte in seinen Augen Interesse auf. Er war nicht taub und stumm, wie Toede angenommen hatte, sondern ein gequälter Mann, von seiner eigenen geheimen Suche völlig in Anspruch genommen. Trotzdem war er ein Mensch, und der Klang einer menschlichen Stimme, die seinen Namen aussprach, war mehr als wohltuend.

»Berem«, sagte Eben wieder und leckte sich nervös die Lippen. Jetzt, da er ihn gefunden hatte, war er sich nicht sicher, was er mit ihm anstellen sollte. Ihm war klar, daß diese armen Gestalten auf dem Hof wieder in die Minen stürzen würden, um sich zu schützen, sobald der Drache angriff. Er mußte Berem von hier wegbringen, bevor Tanis kam. Aber wohin? Er konnte den Mann ins Innere von Pax Tarkas bringen, wie Pyros befohlen hatte, aber Eben gefiel die Idee nicht. Verminaard würde sie sicherlich finden und, wenn er Verdacht schöpfte, Eben Fragen stellen, die er nicht beantworten konnte.

Nein, es gab nur einen Ort, wo Eben ihn hinbringen konnte und wo er sicher wäre – außerhalb der Mauern von Pax Tarkas. Sie könnten sich in der Wildnis verkriechen, bis sich die Verwirrung gelegt hatte, dann nachts in die Festung zurückschleichen. Nachdem er diese Entscheidung getroffen hatte, nahm Eben Berem am Arm und half dem Mann beim Aufstehen.

»Es wird zum Kampf kommen«, sagte er. »Ich werde dich in Sicherheit bringen, bis alles vorüber ist. Ich bin dein Freund. Verstehst du?«

Der Mann bedachte ihn mit einem Blick tiefer Weisheit und Intelligenz. Es war nicht der alterslose Blick der Elfen, sondern der eines Menschen, der seit unzähligen Jahren in Qualen gelebt hatte. Berem seufzte leise und nickte.


Verminaard schritt wütend aus seinem Zimmer und zerrte an seinen Lederhandschuhen. Ein Drakonier trottete hinter ihm her und trug die Keule des Fürsten, Nachtschläger. Andere Drakonier liefen ziellos umher, führten die Befehle aus, die Verminaard gab, als er in den Korridor trat, um Pyros’ Höhle aufzusuchen.

»Nein, ihr Dummköpfe, ruft nicht die Armee zurück! Dies wird nur einen Moment in Anspruch nehmen. Qualinost wird bei Einbruch der Nacht in Flammen aufgehen. Ember!« schrie er und riß die Türen zur Drachenhöhle auf. Er trat zur Balkonbrüstung. Als er über den Balkon sah, konnte er Rauch und Flammen sehen und das entfernte Brüllen des Drachen hören.

»Ember!« Es kam keine Antwort. »Wie lange dauert es, bis du eine Handvoll Spione fängst?« schrie er wütend. Er drehte sich um und wäre beinahe über einen Drakonierhauptmann gestolpert.

»Wollen mein Lord den Drachensattel benutzen?«

»Nein, wir haben keine Zeit. Außerdem benutze ich ihn nur für Kämpfe, und es wird draußen keinen Kampf geben, es werden nur ein paar hundert Sklaven verbrannt.«

»Aber die Sklaven haben die Wärter in den Minen überwältigt und sich ihren Familien im Hof angeschlossen.«

»Wie stark sind deine Streitkräfte?«

»Nicht besonders stark, mein Lord«, sagte der Drakonierhauptmann mit funkelnden Augen. Der Hauptmann hatte es nie als klug empfunden, die Garnison so klein zu halten. »Wir sind vielleicht vierzig oder fünfzig gegen dreihundert Männer und eine gleiche Anzahl Frauen. Die Frauen werden zweifellos an der Seite ihrer Männer kämpfen, mein Lord, und, falls sie sich organisieren und in die Berge entkommen…«

»Bah! Ember!« schrie Verminaard. Er hörte in einem anderen Teil der Festung ein schweres, metallisches Aufschlagen. Dann hörte er ein anderes Geräusch, das Rad – seit Jahrhunderten nicht mehr verwendet – quietschte vor Protest gegen das aufgezwungene Arbeiten. Verminaard fragte sich, was diese merkwürdigen Geräusche wohl bedeuteten, als Pyros in seine Höhle flog.

Der Drachenfürst rannte zur Brüstung, als Pyros sich hinter ihm fallen ließ. Verminaard kletterte schnell und geschickt auf den Rücken des Drachens. Obwohl sie einander mißtrauten, kämpften sie gut zusammen. Ihr Haß auf die minderwertigen Rassen, die sie zu unterdrücken suchten, und ihr Wunsch nach Macht verbanden sie viel stärker, als beide zugeben würden.

»Flieg!« brüllte Verminaard, und Pyros erhob sich in die Lüfte.


»Es ist sinnlos, mein Freund«, sagte Tanis ruhig zu Sturm und legte seine Hand auf die Schulter des Ritters, während Sturm hektisch zur Ordnung aufrief. »Du verschwendest nur deinen Atem. Spare ihn für den Kampf auf.«

»Es wird keinen Kampf geben.« Sturm hustete, heiser vom Schreien. »Wir werden sterben, in einer Falle gefangen wie Ratten. Warum hören diese Dummköpfe nicht zu?«

Er und Tanis standen am nördlichen Ende des Hofes, ungefähr fünfzehn Meter von den vorderen Toren Pax Tarkas’ entfernt. Südlich von ihnen konnten sie die Berge und mit ihnen Hoffnung erkennen. Hinter ihnen lagen die großen Tore der Festung, die sich in jedem Moment öffnen würden, um eine mächtige Drakonierarmee hineinzulassen, und innerhalb der Mauern waren irgendwo Verminaard und der rote Drache.

Vergeblich versuchte Elistan, die Leute zu beruhigen und sie nach Süden zu drängen. Aber die Männer bestanden darauf, ihre Frauen zu finden, und die Frauen suchten ihre Kinder. Einige Familien, die sich gefunden hatten, machten sich gen Süden auf, aber zu spät und zu langsam.

Dann erhob sich wie ein blutroter flammender Komet Pyros von der Festung Pax Tarkas, seine geschmeidigen Flügel eng an die Seiten gelegt. Mit eingerollten Vorderklauen gewann er in der Luft an Geschwindigkeit. Auf seinem Rücken saß der Drachenfürst, die vergoldeten Hörner seiner schrecklichen Drachenmaske funkelten in der Morgensonne. Verminaard hielt sich mit beiden Händen an der borstigen Mähne des Drachen fest, als sie in den Himmel hochstiegen.

Drachenangst erfaßte die Menschen. Unfähig, zu schreien oder zu rennen, konnten sie sich nur vor dieser beängstigenden Erscheinung niederkauern: Der Tod war unvermeidlich.

Auf Verminaards Befehl ließ sich Pyros auf einem der Türme der Festung nieder. Verminaard starrte hinter seiner gehörnten Drachenmaske stumm und zornig nach unten.

Tanis, der in hilfloser Niedergeschlagenheit zusah, spürte Sturms Hand an seinem Arm. »Sieh mal!« Der Ritter zeigte nach Norden zu den Toren.

Tanis riß widerstrebend seinen Blick vom Drachenfürsten los und sah zwei Gestalten, die auf die Tore der Festung zuliefen. »Eben!« schrie er ungläubig. »Aber wer ist der andere?«

»Er wird nicht entkommen!« rief Sturm. Bevor Tanis ihn aufhalten konnte, rannte der Ritter hinter beiden her. Als Tanis ihm folgte, sah er etwas Rotes aus seinen Augenwinkeln – Raistlin und seinen Zwillingsbruder.

»Ich habe mit diesem Mann auch noch ein Hühnchen zu rupfen«, zischte der Magier. Die drei holten Sturm ein, als dieser Eben gerade am Kragen erwischte und zu Boden warf.

»Verräter!« gellte Sturm laut. »Obwohl ich heute sterben werde, schicke ich dich zuerst in die Hölle!« Er zog sein Schwert und riß Ebens Kopf zurück. Plötzlich wirbelte Ebens Begleiter herum, kam zurück und hielt Sturm am Schwertarm fest.

Sturm keuchte. Er lockerte den Griff um Eben und erstarrte, erstaunt über den Anblick, der sich ihm bot.

Das Hemd des Mannes war während seiner wilden Flucht aus den Minen aufgerissen. Im Fleisch des Mannes, mitten auf seiner Brust, saß ein strahlender, grüner Juwel! Auf dem Edelstein, der so groß wie eine Männerfaust war, blitzte Sonnenlicht und ließ ihn in einem hellen und schrecklichen Licht leuchten – einem ruchlosen Licht.

»Ich habe von dieser Magie noch nie gehört und auch nicht gesehen!« flüsterte Raistlin ehrfürchtig, als er und die anderen neben Sturm verhielten.

Als Berem ihre weitaufgerissenen Augen auf seinen Körper starren sah, zog er sein Hemd über die Brust. Dann lockerte er seinen Griff um Sturms Arm, drehte sich um und lief zu den Toren. Eben krabbelte auf die Füße und stolperte hinterher.

Sturm sprang vor, aber Tanis hielt ihn zurück.

»Nein«, sagte er. »Es ist zu spät. Wir müssen an andere Sachen denken.«

»Tanis, sieh mal!« schrie Caramon und zeigte über die riesigen Tore.

Ein Teil der Steinmauer über den massiven Vordertoren begann sich zu öffnen und bildete einen riesigen Spalt. Zuerst langsam, dann aber mit zunehmender Geschwindigkeit, stürzten massive Granitblöcke mit solch einer Kraft nach unten, daß sie auf dem Boden zerbrachen und dichte Staubwolken in die Luft stiegen. Durch das Getöse konnte man schwach das Geräusch der Ketten hören, die den Mechanismus lösten.

Die Blöcke hatten zu fallen begonnen, als Eben und Berem die Tore erreichten. Eben kreischte vor Angst und hob instinktiv seine Arme, um seinen Kopf zu schützen. Der Mann neben ihm sah hoch und – so schien es – seufzte auf. Dann wurden beide unter Tonnen von kaskadenartig herabstürzendem Gestein begraben. Der uralte Verteidigungsmechanismus hatte die Tore von Pax Tarkas verschüttet.

»Dies ist eure letzte Trotzhandlung!« brüllte Verminaard. Seine Rede war von den stürzenden Steinen unterbrochen worden, was ihn nur noch mehr aufbrachte. »Ich habe euch eine Möglichkeit geboten, für den Ruhm meiner Königin zu arbeiten. Ich habe mich um euch und eure Familien gekümmert. Aber ihr seid dickköpfig und dumm. Das werdet ihr mit eurem Leben bezahlen!« Der Drachenfürst hob Nachtschläger hoch in die Luft. »Ich werde die Männer vernichten. Ich werde die Frauen vernichten! Ich werde die Kinder vernichten!«

Auf eine Handberührung des Drachenfürsten hin breitete Pyros seine Flügel aus und sprang hoch in die Lüfte. Der Drache atmete tief ein, um sich dann auf die Menschenarmee zu stürzen, die voller Panik im offenen Hof aufschrie, und sie mit seinem glühenden Atem zu verbrennen.

Aber der tödliche Flug des Drachen wurde aufgehalten.

Aus einem Schutthaufen in den Himmel schießend, nachdem sie aus der Festung ausgebrochen war, flog Matafleur direkt auf Pyros zu.

Der uralte Drache hatte sich noch tiefer in seinen Wahnsinn gesteigert. Noch einmal erlebte er den Alptraum, seine Kinder zu verlieren. Er konnte die Ritter auf den silbernen und goldenen Drachen sehen, die verfluchten Drachenlanzen glänzten im Sonnenlicht. Vergeblich bat er seine Kinder, sich nicht an dem hoffnungslosen Kampf zu beteiligen. Sie waren jung und hörten nicht auf ihn. Sie flogen davon und ließen ihn weinend in der Höhle zurück. Als vor seinem geistigen Auge die letzte blutige Schlacht ablief, als er seine Kinder durch die Drachenlanzen sterben sah, hörte er Verminaards Stimme.

»Ich werde die Kinder vernichten!«

Und wie schon vor vielen Jahrhunderten, flog Matafleur hinaus, um sie zu verteidigen.

Pyros, durch den unerwarteten Angriff wie gelähmt, konnte gerade noch ausweichen, um den zwar brüchigen, aber immer noch tödlichen Zähnen des alten Drachen zu entkommen, der seine ungeschützten Flanken angriff. Matafleur streifte ihn mit einem Schlag und zerfleischte einen der schweren Flügelmuskeln, die die Flügel antrieben. Pyros rollte sich in der Luft und schlug im Vorbeifliegen auf Matafleur mit einer Vorderkralle ein und riß eine klaffende Wunde in den weichen Unterleib des weiblichen Drachens.

Matafleur spürte nicht einmal den Schmerz, aber die Wucht des Schlages des größeren und jüngeren männlichen Drachen schleuderte sie zurück.

Das Überdrehmanöver war eine instinktive Verteidigungshandlung des roten Drachen gewesen. Er hatte dabei sowohl an Höhe als auch an Zeit gewonnen, um seinen Angriff zu planen. Dabei hatte er jedoch seinen Reiter vergessen. Verminaard, der ohne Drachensattel ritt, verlor den Halt und fiel auf den Hof. Es war kein tiefer Fall, und er blieb, abgesehen von einigen Prellungen und seiner Benommenheit, unverletzt.

Viele Leute, die in seiner Nähe standen, flohen vor Angst, als sie ihn aufstehen sahen, aber als er sich schnell umsah, bemerkte er, daß vier Gestalten am nördlichen Ende des Hofes nicht wegliefen. Er wandte sich ihnen zu.

Matafleurs Erscheinen und ihr plötzlicher Angriff auf Pyros riß die Menschen aus ihrer Panik. Dies und der Sturz Verminaards in ihre Mitte erreichte das, was Elistan und die anderen nicht geschafft hatten. Die Menschen, von ihrer Angst befreit, begannen südwärts in die Sicherheit der Berge zu fliehen. Jetzt ließ der Drakonierhauptmann seine Männer in die Menge strömen. Einen geflügelten Drachen beauftragte er, die Armee zurückzuholen.

Die Drakonier drängten auf die Flüchtlinge zu, aber falls sie gehofft hatten, eine Panik auszulösen, so wurden sie enttäuscht. Die Menschen hatten genug gelitten. Sie hatten schon einmal ihre Freiheit aufgrund des Versprechens von Frieden und Sicherheit verloren. Jetzt war ihnen klar, daß es keinen Frieden geben konnte, solange diese Ungeheuer auf Krynn weilten. Die Menschen aus Solace und Torweg – Männer, Frauen und Kinder kämpften mit allen Waffen, die sie greifen konnten – Steinen, Felsbrocken, mit den bloßen Händen, Zähnen und Fingernägeln.

Die Gefährten wurden in der Menge getrennt. Laurana war von allen abgeschnitten. Gilthanas versuchte, in ihrer Nähe zu bleiben, aber er wurde von der Menge mitgerissen. Das Elfenmädchen, verängstigter, als sie für möglich gehalten hatte, wich mit dem Schwert in der Hand zur Mauer zurück. Als sie voller Angst die tobende Schlacht beobachtete, fiel ein Mann vor ihr auf den Boden, er hielt seine Hände auf den Leib gepreßt, seine Finger waren rot von seinem Blut. Seine Augen waren starr im Tod, schienen sie anzublicken. Sein Blut bildete einen Teich um ihre Füße. Laurana starrte mit fasziniertem Entsetzen auf das Blut, dann vernahm sie ein Geräusch. Zitternd sah sie auf und direkt in das schreckliche Reptiliengesicht des Mörders des Mannes.

Der Drakonier, der eine offenbar schreckerfüllte Elfe sah, glaubte, daß er mit ihr leichtes Spiel haben würde. Mit seiner langen Zunge leckte er an seinem blutverschmierten Schwert, sprang über den Körper seines Opfers und griff Laurana an.

Das Elfenmädchen umklammerte ihr Schwert, ihre Kehle schmerzte vor Angst. Sie reagierte aus reinem Verteidigungsinstinkt. Sie stach und stieß blind zu. Der Drakonier war völlig überrascht. Laurana tauchte ihre Waffe in den Körper des Drakoniers, spürte, wie die scharfe Elfenklinge Rüstung und Fleisch durchdrang, hörte Knochen splittern und den letzten gurgelnden Aufschrei der Kreatur. Der Drakonier verwandelte sich in Stein und riß ihr das Schwert aus der Hand. Aber Laurana, mit einer ihr selbst neuen kalten Distanz, wußte aus den Erzählungen der Krieger, daß sich nach einem Moment der Steinkörper in Staub auflösen und ihre Waffe freigeben würde.

Um sie herum wütete der Lärm der Schlacht, die Rufe, die Todesschreie, das Aufschlagen und Stöhnen, das Zusammenprallen von Eisen – aber sie hörte nichts davon.

Sie wartete ruhig, bis der Körper sich auflöste. Dann bückte sie sich und ergriff ihr Schwert und hob es in die Luft. Sonnenlicht blitzte auf der blutverschmierten Klinge, ihr Feind lag tot zu ihren Füßen. Sie sah sich um, konnte Tanis aber nicht ausmachen. Sie konnte keinen der Gefährten ausmachen. Vielleicht waren schon alle tot. Vielleicht würde auch sie im nächsten Augenblick sterben.

Laurana hob ihre Augen zum blauen Himmel. Die Welt, die sie vielleicht bald verlassen würde, schien wie neugeboren – jeder Gegenstand, jeder Stein, jedes Blatt hob sich in schmerzhafter Deutlichkeit ab. Eine warme, angenehme, aus dem Süden kommende Brise kam auf und vertrieb die Gewitterwolken, die im Norden über ihrer Heimat hingen. Lauranas Geist, aus seinem Gefängnis der Angst befreit, schwebte höher als die Wolken, und ihr Schwert blitzte in der Morgensonne.

Загрузка...