4 Gerettet. Fizbans Magie

Raistlin litt körperlich. Sturm litt seelisch, aber derjenige, der vielleicht am meisten litt während der viertägigen Gefangenschaft, war Tolpan.

Die grausamste Folter, die man einem Kender antun kann, ist, ihn einzusperren. Natürlich wird im allgemeinen angenommen, daß die grausamste Folter, die man jedem anderen antun könnte, sei, ihn mit einem Kender einzusperren. Nach drei Tagen mit Tolpans unablässigem Geplapper, Faxen und Streichen hätten die Gefährten gerne eine friedliche Stunde auf der Folterbank verbracht, um ihm zu entkommen – zumindest sagte das Flint. Als schließlich selbst Goldmond die Geduld verlor und Tolpan beinahe geschlagen hätte, schickte Tanis ihn in den hinteren Teil des Wagens. Mit den Beinen außen baumelnd, preßte der Kender sein Gesicht gegen die Eisenstangen und dachte, er würde vor Elend sterben. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so gelangweilt.

Mit Fizban wurde es schon wieder interessanter, aber sein Wert sank wieder, als Tanis Tolpan befahl, dem alten Magier seine Beutel zurückzugeben. Und so, am Punkt der Verzweiflung angelangt, suchte sich Tolpan einen neuen Zeitvertreib.

Sestun, den Gossenzwerg.

Die Gefährten betrachteten Sestun im allgemeinen mit amüsiertem Mitleid. Der Gossenzwerg war der Gegenstand von Toedes Gespött und Mißhandlung. Die ganze Nacht lang erledigte er die Botengänge des Truppführers und trug Toedes Nachrichten vom Anfang der Karawane zum Hobgoblinhauptmann am Ende, besorgte das Essen für den Truppführer aus dem Versorgungswagen, fütterte und tränkte das Pony des Truppführers und führte jede weitere garstige Aufgabe aus, die sich der Truppführer ausdenken konnte. Toede schlug ihn mindestens dreimal am Tag zu Boden, die Drakonier quälten ihn, und die Hobgoblins stahlen sein Essen. Selbst der Pferdehirsch trat nach ihm, sobald er vorbeitrottete. Der Gossenzwerg ertrug alles mit solch einem grimmigen Trotz, daß er die Sympathie der Gefährten gewann.

Sestun begann sich in der Nähe der Gefährten aufzuhalten, wenn er nicht beschäftigt war. Tanis, neugierig auf Informationen über Pax Tarkas, fragte ihn über seine Heimat aus und wie er dazu gekommen war, für den Truppführer zu arbeiten. Sestun brauchte für die Geschichte einen ganzen Tag, und die Gefährten brauchten einen weiteren Tag, um die Teile zusammenzusetzen, da er in der Mitte angefangen und mit dem Anfang geendet hatte.

Aber seine Geschichte stellte keine große Hilfe dar. Sestun lebte mit einer großen Gruppe von Gossenzwergen in den Bergen um Pax Tarkas, als Lord Verminaard und seine Drakonier die Eisenerzminen erobert hatten, die er für die Herstellung der Waffen für seine Truppen brauchte.

»Großes Feuer – jeden Tag, jede Nacht. Schlechter Geruch.« Sestun zog die Nase kraus. »Auf Stein hämmern. Jeden Tag, jede Nacht. Ich habe guten Job in Küche« – sein Gesicht erhellte sich einen Moment – »mache heiße Suppe. Sehr heiß.« Sein Gesicht verdunkelte sich. »Suppe verschüttet. Heiße Suppe ganz schnell Rüstung erhitzt. Lord Verminaard schläft auf Rücken eine Woche.« Er seufzte. »Ich gehe mit Truppführer. Ich Freiwilliger.«

»Vielleicht können wir die Minen stillegen«, schlug Caramon vor.

»Das ist ein Gedanke«, sinnierte Tanis. »Wie viele Drakonier bewachen die Minen?«

»Zwei!« sagte Sestun und hob zehn schmutzige Finger.

Tanis seufzte und erinnerte sich, daß sie schon einmal so etwas gehört hatten.

Sestun sah hoffnungsvoll zu ihm hoch. »Es sind auch nur zwei Drachen da.«

»Zwei Drachen!« fragte Tanis ungläubig.

»Nicht mehr als zwei.«

Caramon stöhnte und setzte sich zurück. Der Krieger hatte sich seit Xak Tsaroth ernsthafte Gedanken über das Bekämpfen von Drachen gemacht. Er und Sturm waren jeder Legende über Huma nachgegangen, den einzigen bekannten Drachenkämpfer, an den sich der Ritter erinnern konnte. Unglücklicherweise hatte niemand die Legenden von Huma zuvor ernstgenommen (außer den solamnischen Rittern, die dafür verspottet wurden), und viele Geschichten über Huma waren im Laufe der Zeit verzerrt worden oder in Vergessenheit geraten.

»Ein Ritter der Wahrheit und der Macht, der die Götter angefleht und die mächtige Drachenlanze geschmiedet hat«, murmelte Caramon jetzt und blickte zu Sturm, der auf dem strohbedeckten Boden ihres Gefängnisses schlief.

»Drachenlanze?« murmelte Fizban, der mit einem Schnarchen erwachte. »Drachenlanze? Wer sagte etwas über die Drachenlanze?«

»Mein Bruder«, wisperte Raistlin und lächelte bitter. »Er zitiert das Hohelied. Anscheinend haben er und der Ritter eine plötzliche Vorliebe für Kindergeschichten, von denen sie nun verfolgt werden.«

»Gute Geschichte, Huma und die Drachenlanze«, sagte der alte Mann und strich über seinen Bart.

»Geschichte – ja, vielleicht ist es das.« Caramon gähnte und kratzte sich an der Brust. »Wer weiß, ob es stimmt, ob es die Drachenlanze wirklich gab, ob Huma überhaupt gelebt hat.«

»Wir wissen, daß es Drachen gibt«, murmelte Raistlin.

»Huma hat gelebt«, sagte Fizban leise. »Und die Drachenlanze gab es auch.« Das Gesicht des alten Mannes wurde traurig.

»Was?« Caramon setzte sich auf. »Kannst du sie beschreiben?«

»Natürlich!« Fizban zog verächtlich die Nase hoch.

Nun hörten alle zu. Fizban war in der Tat ein wenig verwirrt über seine Zuhörerschaft.

»Es war eine Waffe ähnlich der – nein, das stimmt nicht. Tatsächlich war sie – nein, auch nicht. Sie war eher… fast ein… eher eine – Lanze, genau! Eine Lanze!« Er nickte ernsthaft. »Und ganz gut gegen Drachen.«

»Ich mache ein Nickerchen«, knurrte Caramon.

Tanis lächelte und schüttelte den Kopf. Er lehnte sich gegen die Stangen und schloß erschöpft seine Augen. Bald waren alle außer Raistlin und Tolpan in einen unruhigen Schlaf gefallen. Der Kender, hellwach und gelangweilt, blickte hoffnungsvoll zu Raistlin. Manchmal, wenn Raistlin gute Laune hatte, erzählte er Geschichten über Magier. Aber der Magier starrte neugierig Fizban an. Der alte Mann hatte sich auf eine Bank gesetzt, schnarchte leise, sein Kopf bewegte sich ruckweise hin und her, wenn der Wagen über die Straße holperte. Raistlins goldene Augen verengten sich zu Schlitzen, als ob ihm ein neuer und beunruhigender Gedanke gekommen wäre. Kurz darauf zog er seine Kapuze über den Kopf und lehnte sich zurück, sein Gesicht verschwand im Schatten.

Tolpan seufzte. Dann sah er Sestun nahe am Käfig vorüberlaufen. Der Kender strahlte. Hier, das wußte er, war eine dankbare Zuhörerschaft für seine Geschichten.

Tolpan rief ihn zu sich und begann, eine seiner Lieblingsgeschichten zu erzählen. Die beiden Monde gingen unter. Die Gefangenen schliefen. Die Hobgoblins schleppten sich halbschlafend hinter dem Wagen her und unterhielten sich über eine Pause. Truppführer Toede ritt vorweg und träumte von seiner Beförderung. Hinter dem Truppführer murmelten die Drakonier in ihrer rauhen Sprache und warfen Toede haßerfüllte Blicke zu, wenn er wegsah.

Tolpan ließ seine Beine durch die Eisenstangen des Käfigs baumeln und erzählte Sestun seine Geschichte. Dabei bemerkte er, daß Gilthanas nur vorgab zu schlafen. Tolpan sah, wie der Elf seine Augen öffnete und sich schnell umsah, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Das machte Tolpan unglaublich neugierig. Es schien fast, als ob Gilthanas auf etwas warten würde. Der Kender verlor den Faden in seiner Geschichte.

»Und so habe ich… oh… einen Stein aus seinem Beutel genommen, warf ihn und – traf den Zauberer am Kopf«, schloß Tolpan eilig seine Erzählung. »Der Dämon packte den Zauberer an den Füßen und zog ihn hinunter in die Tiefen des Abgrundes.«

»Aber erst hat Dämon dir gedankt«, half Sestun nach, der die Geschichte – mit Abweichungen – schon zweimal gehört hatte. »Du vergessen.«

»Habe ich?« fragte Tolpan, während er Gilthanas nicht aus den Augen ließ. »Na gut, der Dämon dankte mir und nahm uns den magischen Ring weg, den er mir gegeben hatte. Wenn es nicht dunkel wäre, könntest du den Umriß des Ringes, der auf meinem Finger eingebrannt ist, erkennen.«

»Sonne aufgehen. Morgen bald. Ich sehe dann«, sagte der Gossenzwerg eifrig.

Es war immer noch dunkel, aber ein schwaches Licht im Osten deutete an, daß die Sonne bald aufgehen würde.

Plötzlich hörte Tolpan einen Vogel im Wald zwitschern. Mehrere antworteten ihm. Was für merkwürdig klingende Vögel, dachte Tolpan. Niemals zuvor hatte er so etwas gehört. Aber andererseits war er auch noch nie so tief im Süden gewesen. Er wußte aufgrund seiner vielen Landkarten, wo sie sich befanden. Sie hatten die einzige Brücke über den Weißen Fluß passiert und steuerten nach Süden, auf Pax Tarkas zu, das auf der Karte des Kenders als die Stätte der berühmten Thardarkan-Eisenerzminen verzeichnet war. Das Land begann anzusteigen, und dichte Espenwälder tauchten im Westen auf. Die Drakonier und Hobgoblins behielten die Wälder im Auge und beschleunigten das Tempo. Verborgen in diesen Wäldern lag Qualinesti, das uralte Elfenreich.

Ein anderer Vogel rief, diesmal viel näher. Dann sträubten sich Tolpans Haare, als der gleiche Vogelruf direkt hinter ihm ertönte. Der Kender drehte sich um: Gilthanas war auf den Füßen, die Finger an den Lippen, ein unheimlicher Pfeifton fuhr durch die Luft.

»Tanis!« rief Tolpan, aber der Halb-Elf war bereits wach, wie alle anderen im Wagen.

Fizban setzte sich auf, gähnte und blickte sich um. »O gut«, sagte er sanft, »die Elfen sind da.«

»Was für Elfen – wo?« Tanis richtete sich auf.

Plötzlich ertönte ein surrendes Geräusch, wie ein Schwärm Wachteln, der sich in die Luft erhebt. Dann folgte ein Schrei aus dem vor ihnen fahrenden Versorgungswagen, es krachte, als der nun führerlose Wagen in eine Furche geriet und sich überschlug. Der Fahrer ihres Käfigwagens zog scharf an den Zügeln und hielt den Pferdehirsch an, bevor beide Hobgoblins zum zerstörten Versorgungswagen liefen. Das gefährliche Schaukeln des Käfigs warf die Gefangenen zu Boden.

Plötzlich schrie der Kutscher des Käfigwagens auf und griff sich an den Hals, an dem die Gefährten den gefiederten Schaft eines Pfeils erkennen konnten. Der andere Wachmann sprang mit gezogenem Schwert auf, dann stürzte aber auch er mit einem Pfeil in der Brust zu Boden. Der Pferdehirsch, der merkte, daß sich die Zügel lockerten, wurde langsamer, bis der Wagen anhielt. Schreie hallten entlang der ganzen Karawane, als Pfeile durch die Luft zischten.

Die Gefährten preßten sich flach auf den Boden.

»Was ist das? Was ist los?« fragte Tanis Gilthanas.

Aber der Elf ignorierte ihn, spähte durch die aufziehende Dämmerung in den Wald. »Porthios!« rief er.

»Tanis, was ist passiert?« Sturm richtete sich auf, es waren seine ersten Worte seit vier Tagen.

»Porthios ist Gilthanas’ Bruder. Ich denke, dies ist eine Rettungsaktion«, sagte Tanis. Ein Pfeil zischte vorbei und bohrte sich in die Holzseite des Wagens, um Haaresbreite den Ritter verfehlend.

»Es wird aber nicht viel gerettet werden, wenn wir alle sterben!« Sturm ließ sich wieder auf den Boden fallen. »Ich dachte immer, Elfen wären Meisterschützen.«

»Bleibt unten«, befahl Gilthanas. »Die Pfeile dienen nur zur Deckung für unsere Flucht. Wir müssen bereit sein, in die Wälder zu laufen.«

»Und wie kommen wir aus diesem Käfig?« fragte Sturm.

»Wir können nicht alles für euch tun!« erwiderte Gilthanas kühl. »Es sind Magier hier…«

»Ohne meine Zauberzutaten kann ich nicht arbeiten!« zischte Raistlin unter der Bank. »Bleib unten, Alter«, sagte er zu Fizban, der den Kopf gehoben hatte und sich interessiert umschaute.

»Vielleicht kann ich helfen«, sagte der alte Magier, seine Augen strahlten. »Nun, laßt mich nachdenken…«

»Was im Namen des Abgrundes ist hier los?« brüllte eine Stimme aus der Dunkelheit. Truppführer Toede galoppierte auf seinem Pony heran. »Warum haben wir angehalten?«

»Wir unter Angriff!« schrie Sestun und kroch unter einem Käfig hervor, wo er Schutz gesucht hatte.

»Angriff! Blyxtshok! Bringt diesen Wagen zum Fahren!« schrie Toede. Ein Pfeil bohrte sich in den Sattel des Truppführers. Toedes rote Augen quollen hervor, und er starrte ängstlich in die Wälder. »Wir werden angegriffen! Elfen! Sie versuchen, die Gefangenen zu befreien!«

»Fahrer und Wache tot!« meldete Sestun und drückte sich gegen den Käfig, als ein anderer Pfeil an ihm vorbeisauste. »Was ich tun?«

Ein Pfeil surrte über Toedes Kopf. Er bückte sich und mußte sich an den Hals des Ponys klammern, um nicht herunterzufallen. »Ich hole einen anderen Fahrer«, sagte er eilig. »Du bleibst hier. Du bewachst die Gefangenen mit deinem Leben! Wenn sie entkommen, wirst du mir dafür büßen!«

Der Truppführer gab seinem Pony die Sporen, und das vor Angst fast wahnsinnige Tier sprengte davon. »Meine Wache! Hobgoblins! Zu mir!« gellte der Truppführer, während er zum hinteren Teil der Karawane ritt. Seine Schreie verhallten. »Hunderte von Elfen! Wir sind umzingelt. Das muß ich Lord Verminaard berichten.« Toede hielt an, als er einen Drakonier-Hauptmann erblickte. »Ihr Drakonier bleibt bei den Gefangenen!« Wieder gab er dem Pony die Sporen, schrie weiter, und hundert Hobgoblins verließen hinter ihrem mutigen Anführer den Schauplatz der Schlacht. Bald waren sie außer Sichtweite.

»Nun, die sind wir schon mal los«, sagte Sturm, sein Gesicht entspannte sich zu einem Lächeln. »Jetzt brauchen wir uns nur noch über fünfzig Drakonier Sorgen zu machen. Nebenbei bemerkt, ich glaube nicht, daß Hunderte von Elfen draußen sind.«

Gilthanas schüttelte den Kopf. »Nicht mehr als zwanzig.«

Tika, die flach auf dem Boden lag, hob vorsichtig den Kopf und sah nach Süden. Im blassen Morgenlicht konnte sie etwa eine Meile entfernt die schwerfälligen Gestalten der Drakonier erkennen, die auf beiden Seiten der Straße Deckung suchten, als die Elfen in ihre Reihen schossen. Sie berührte Tanis’ Arm.

»Wir müssen aus dem Käfig raus«, sagte Tanis. »Die Drakonier werden sich keine Mühe machen, uns nach Pax Tarkas zu bringen, da der Truppführer verschwunden ist. Sie werden uns gleich hier abschlachten. Caramon?«

»Ich werde es versuchen«, knurrte der Krieger. Er stand auf und umklammerte die Eisenstangen mit seinen riesigen Händen. Er schloß die Augen, holte tief Luft und versuchte, die Stangen auseinanderzubiegen. Sein Gesicht lief rot an, seine Muskeln traten hervor, die Knöchel wurden weiß. Nichts geschah. Nach Atem ringend warf sich Caramon auf den Boden.

»Sestun!« schrie Tolpan. »Deine Axt! Zerschlag das Schloß!«

Der Gossenzwerg riß seine Augen weit auf. Er starrte auf die Gefährten, dann den Weg hinunter, den der Truppführer genommen hatte. Sein Gesicht war im Kampf der Unentschlossenheit verzerrt.

»Sestun…«, begann Tolpan. Ein Pfeil zischte am Kender vorbei. Die Drakonier kamen immer näher und beschossen die Käfige. Tolpan legte sich flach auf den Boden. »Sestun«, begann er wieder, »hilf uns, du kannst mit uns kommen!«

Ein Blick fester Entschlossenheit verhärtete Sestuns Gesichtszüge. Er griff nach seiner Axt. Die Gefährten beobachteten mit atemloser Enttäuschung, wie Sestun nach seiner Axt suchte, die mitten auf seinem Rücken hing. Schließlich entdeckte eine Hand den Griff, und er zog die Axt hervor. Die Klinge funkelte im grauen Licht der Dämmerung.

Flint sah sie und stöhnte. »Diese Axt ist älter als ich! Sie muß noch von vor der Umwälzung stammen! Er kann wahrscheinlich damit nicht einmal das Gehirn eines Kenders durchschneiden, geschweige denn ein Schloß!«

»Pssst!« machte Tanis, obwohl seine eigenen Hoffnungen beim Anblick der Waffe des Gossenzwerges sanken. Es war nicht einmal eine Kampfaxt, nur eine kleine, zerdellte und rostige Axt, mit der man Holz hacken konnte und die der Gossenzwerg anscheinend irgendwann gefunden und mitgenommen hatte, in der Meinung, es wäre eine Waffe. Sestun steckte die Axt zwischen seine Knie und spuckte in die Hände.

Pfeile zischten und surrten durch die Käfigstangen. Einer traf Caramons Schild. Ein anderer durchschlug Tikas Bluse und ritzte ihren Arm. Tika konnte sich nicht erinnern, in ihrem Leben mehr Angst gehabt zu haben – nicht einmal in jener Nacht, als die Drachen Solace überfallen hatten. Sie wollte schreien, sie wollte, daß Caramon seinen Arm um sie legte. Aber Caramon wagte nicht, sich zu bewegen.

Tika blickte zu Goldmond, die den verletzten Theros mit ihrem Körper schützte, ihr Gesicht war zwar blaß, aber gelassen. Tika preßte ihre Lippen zusammen und atmete tief ein. Grimmig zog sie den Pfeil aus der Bluse und warf ihn weg, ignorierte den stechenden Schmerz im Arm. Sie sah wieder zu den Drakoniern, die immer noch etwas verwirrt schienen durch den plötzlichen Angriff und das Verschwinden von Toede, sich aber jetzt wieder organisierten und auf die Käfige zurannten. Ihre Pfeile füllten die Luft. Ihre Brustpanzer strahlten im grauen Morgenlicht wie das helle Metall ihrer Langschwerter, die sie zwischen ihren Kiefern hielten.

»Die Drakonier kommen näher«, berichtete sie Tanis. Sie versuchte, klar und deutlich zu sprechen.

»Beeil dich, Sestun!« schrie Tanis.

Der Gossenzwerg packte die Axt, schwang sie mit seiner ganzen Kraft – und verfehlte das Schloß, strich nur über die Eisenstangen, daß ihm fast die Axt aus den Händen fiel. Er hob entschuldigend die Achseln und schwang von neuem die Axt. Dieses Mal traf er das Schloß.

»Er hat nicht einmal eine Delle geschlagen«, meldete Sturm.

»Tanis«, stammelte Tika. Mehrere Drakonier waren nun nur noch wenige Meter von ihnen entfernt, zwar für einen Augenblick von den Elfenschützen abgelenkt, aber jede Hoffnung auf Rettung schien verloren.

Sestun traf wieder das Schloß.

»Er hat es nur angeschlagen«, sagte Sturm ärgerlich. »Bei dieser Geschwindigkeit werden wir ungefähr in drei Tagen hier raus sein! Was machen denn überhaupt die Elfen? Warum hören sie nicht auf, herumzuschleichen, und greifen endlich an!«

»Wir haben nicht genügend Männer, um diese Truppe anzugreifen!« entgegnete Gilthanas wütend und kroch zum Ritter.

»Sie kommen zu uns, wenn sie können! Sie sind weiter vorn. Sieh, andere flüchten schon.«

Der Elf zeigte auf die zwei Wagen vor ihnen. Die Elfen hatten die Schlösser aufgebrochen, und die Gefangenen rasten wie verrückt in die Wälder, während die Elfen ihnen von den Bäumen Deckung gaben. Aber sobald die Gefangenen in Sicherheit waren, zogen sich die Elfen in die Bäume zurück.

Die Drakonier hatten nicht die Absicht, ihnen in den Elfenwäldern nachzustürmen. Sie waren auf den letzten Gefangenenkäfig und den Wagen mit dem Eigentum der Gefangenen aus. Die Gefährten konnten die Rufe des Drakonierhauptmannes hören. Die Bedeutung war klar: »Tötet die Gefangenen. Teilt die Beute auf.«

Alle konnten erkennen, daß die Drakonier sie lange vor den Elfen erreichen würden. Tanis fluchte vor Enttäuschung. Es schien alles vergeblich zu sein. Er fühlte eine Bewegung neben sich. Der alte Magier Fizban erhob sich.

»Nein, Alter!« Raistlin zog an Fizbans Kleidern. »Bleib in Deckung!«

Ein Pfeil zischte durch die Luft und traf den zerbeulten Hut des alten Mannes. Fizban, der vor sich hin murmelte, schien es nicht zu bemerken. Er stellte im grauen Licht ein wundervolles Ziel dar. Drakonierpfeile surrten wie Wespen um ihn herum und schienen genausowenig Wirkung zu haben, obwohl Fizban leicht verärgert schien, als ein Pfeil den Beutel traf, in dem er gerade wühlte.

»Geh runter!« brüllte Caramon. »Du lenkst sie auf dich!«

Fizban kniete sich einen Moment hin, aber nur, um zu Raistlin zu sprechen. »Sag mal, mein Junge«, sagte er, als ein Pfeil genau da vorbeiflog, wo er gestanden hatte. »Hast du ein bißchen Fledermausguano dabei? Ich habe nichts mehr.«

»Nein, Alter«, flüsterte Raistlin hektisch. »Geh runter!«

»Nein? Schade. Nun, ich denke, dann muß ich’s anders versuchen.« Und er rollte die Ärmel seines Gewandes hoch. Er schloß die Augen, zeigte auf die Käfigtür und begann seltsame Worte zu murmeln.

»Welchen Zauber macht er denn?« fragte Tanis Raistlin. »Verstehst du ihn?«

Der junge Magier hörte aufmerksam zu, seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Plötzlich riß Raistlin seine Augen weit auf. »NEIN!« schrie er und versuchte, am Gewand des alten Magiers zu ziehen, um seine Konzentration zu stören. Aber es war zu spät. Fizban hatte gerade seinen Spruch beendet und zeigte mit dem Finger zum Schloß der hinteren Tür des Käfigs.

»Geht in Deckung!« Raistlin warf sich unter eine Bank. Sestun, der den alten Magier auf die Käfigtür zeigen gesehen hatte – und auf ihn auf der anderen Seite – , fiel flach aufs Gesicht. Drei Drakonier, die die Käfigtür erreicht hatten, konnten gerade noch abbremsen und starrten beunruhigt darauf.

»Was ist los!« schrie Tanis.

»Feuerkugel!« keuchte Raistlin, und in diesem Moment schoß eine gigantische Kugel mit einem gelborangefarbenen Feuer aus den Fingerspitzen des alten Magiers und schlug mit einem explosiven Knall gegen die Käfigtür. Tanis vergrub sein Gesicht in seinen Händen, als die Flammen um ihn zischten und sich bauschten. Eine Hitzewelle überspülte ihn und drang in seine Lungen. Er hörte die Drakonier vor Schmerzen aufschreien und roch verbranntes Reptilienfleisch. Dann strömte Rauch in seine Kehle.

»Die Tür steht in Flammen!« gellte Caramon.

Tanis öffnete die Augen und taumelte auf die Füße. Er erwartete, vom alten Magier nur noch einen Haufen schwarzer Asche zu sehen, so wie die Körper der Drakonier hinter dem Wagen. Aber Fizban stand da und starrte auf die Eisentür und strich voller Abscheu über seinen angesengten Bart. Die Tür war immer noch verschlossen.

»Das hätte aber wirklich klappen müssen«, sagte er.

»Was ist mit dem Schloß?« schrie Tanis und versuchte, durch den Rauch etwas zu erkennen. Die Eisenstangen der Zellentür glühten bereits rot.

»Sie hat sich überhaupt nicht gerührt!« rief Sturm. Er versuchte, die Tür aufzutreten, aber die glühendheißen Stangen verhinderten kräftige Tritte. »Das Schloß ist wohl heiß genug, um es zu brechen!« Er würgte von dem Qualm.

»Sestun!« Tolpans schrille Stimme übertönte die knisternden Flammen. »Versuche es nochmal! Beeil dich!«

Der Gossenzwerg taumelte auf die Füße, schwang die Axt, verfehlte das Schloß, schwang sie wieder und traf dieses Mal. Das überhitzte Metall zersprang, das Schloß gab nach, und die Tür öffnete sich.

»Tanis, hilf uns!« schrie Goldmond, während sie und Flußwind versuchten, den verletzten Theros herauszuziehen.

»Sturm, die anderen!« gellte Tanis, im Rauch hustend. Er stolperte zum vorderen Teil des Wagens, während die anderen bereits aus dem Käfig sprangen. Sturm ergriff Fizban, der immer noch traurig die Tür anstarrte.

»Komm schon, Alter!« schrie er, sein sanftes Handeln stand im Widerspruch zu seinen barschen Worten, als er Fizbans Arm nahm. Caramon, Raistlin und Tika fingen Fizban auf, als er aus dem brennenden Wrack sprang. Tanis und Flußwind empfingen Theros an der Schulter und zogen ihn heraus, Goldmond stolperte hinterher. Sie und Sturm sprangen in dem Moment vom Wagen, als die Decke einstürzte.

»Caramon! Hol unsere Waffen aus dem Versorgungswagen!« schrie Tanis. »Sturm, geh mit ihm. Flint und Tolpan, holt unser Gepäck. Raistlin…«

»Ich werde… hole meine Sachen«, sagte der Magier, im Rauch würgend. »Und meinen Stab. Niemand soll sie berühren.«

»In Ordnung«, sagte Tanis. »Gilthanas…«

»Ich unterstehe nicht deinen Befehlen, Tanthalas«, unterbrach ihn der Elf und rannte in die Wälder, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Bevor Tanis antworten konnte, waren Sturm und Caramon zurück. Caramons Knöchel waren aufgerissen und bluteten. Zwei Drakonier hatten sich an dem Versorgungswagen zu schaffen gemacht.

»Wir müssen verschwinden!« schrie Sturm. »Es kommen immer mehr! Wo ist denn dein Elfenfreund?« fragte er Tanis argwöhnisch.

»Er ist in die Wälder vorausgelaufen«, antwortete Tanis. »Vergiß nicht, er und seine Leute haben uns gerettet.«

»Haben sie?« fragte Sturm, seine Augen verengten sich. »Davon habe ich nichts gemerkt!«

In diesem Moment traten sechs Drakonier aus dem Rauch hervor und hielten beim Anblick der Krieger inne.

»Lauft in die Wälder!« schrie Tanis und bückte sich, um Flußwind beim Tragen von Theros zu helfen. Sie trugen den Schmied, während Caramon und Sturm Seite an Seite ihren Rückzug sicherten. Beide bemerkten sofort, daß die ihnen gegenüberstehenden Kreaturen mit den Drakoniern, gegen die sie zuvor gekämpft hatten, nichts gemeinsam hatten. Ihre Rüstungen und ihre Gesichtsfarbe waren anders, und sie trugen Pfeile und Langschwerter, von denen eine merkwürdige Flüssigkeit tröpfelte. Beide dachten sofort an Geschichten über Drakonier, die sich in Säure verwandelten und deren Knochen explodierten.

Caramon stürmte nach vorn, sein Schwert schwingend und wie ein aufgebrachtes Tier bellend. Zwei der Kreaturen stürzten, bevor sie überhaupt begriffen, wer sie angriff. Sturm begrüßte die anderen vier mit seinem Schwert und schlug einer den Kopf ab. Er sprang auf die anderen zu, aber die hielten sich grinsend zurück; anscheinend warteten sie auf etwas.

Sturm und Caramon sahen sich unbehaglich an. Dann wußten sie Bescheid. Die Körper der erschlagenen Drakonier neben ihnen auf der Straße begannen zu schmelzen. Das Fleisch kochte und zerlief wie Schweinefett in einer Pfanne. Ein gelblicher Dampf bildete sich über ihnen und vermischte sich mit dem Qualm des brennenden Käfigs. Beide Männer würgten, als der gelbe Dampf zu ihnen hochstieg. Ihnen wurde schwindelig, und sie wußten, sie wurden vergiftet.

»Kommt schon! Schnell!« schrie Tanis aus dem Wald.

Die zwei stolperten zurück, flüchteten vor einem Pfeilsturm, als vierzig oder fünfzig Drakonier kreischend vor Zorn um den Käfig herumstürmten. Die Drakonier machten Anstalten, die Verfolgung aufzunehmen, wichen aber zurück, als eine klare Stimme ertönte: »Hai! Ulsain!« und zehn von Gilthanas geführte Elfen aus dem Wald rannten.

»Quen talas uvenelei!« schrie Gilthanas. Caramon und Sturm stolperten an ihm vorbei, und die Elfen deckten ihren Rückzug; dann ergriffen auch sie die Flucht.

»Folgt mir«, sagte Gilthanas den Gefährten in der Umgangssprache. Auf ein Zeichen von Gilthanas hoben vier Elfenkrieger Theros hoch und trugen ihn in den Wald.

Tanis sah zum Käfig zurück. Die Drakonier waren nicht weitergegangen und beäugten argwöhnisch den Wald.

»Beeilt euch!« drängte Gilthanas. »Meine Männer decken euch.«

Elfenstimmen ertönten im Wald, verhöhnten die Drakonier und versuchten, sie in Reichweite der Pfeile zu locken. Die Gefährten sahen sich zögernd an.

»Ich werde den Elfenwald nicht betreten«, sagte Flußwind barsch.

»Es ist schon in Ordnung«, sagte Tanis und legte seine Hand auf Flußwinds Arm. »Du hast mein Versprechen.« Flußwind sah ihn einen Moment lang an, dann tauchte er in den Wald ein, die anderen gingen hinterher. Zuletzt kamen Caramon und Raistlin, die Fizban halfen. Der alte Mann blickte zum Käfig zurück, von dem nur noch ein Haufen Asche und verbogene Eisenstäbe übriggeblieben waren.

»Wunderbarer Zauber. Und hat irgendeiner ein Dankeschön gesagt?« fragte er wehmütig.

Die Elfen führten sie geschwind durch die Wildnis. Ohne ihre Führung wären die Gefährten hoffnungslos verloren gewesen. »Die Drakonier wissen genau, daß sie uns nicht in die Wälder folgen sollten«, sagte Gilthanas und lächelte grimmig. Tanis, der bewaffnete Elfenkrieger hinter den Bäumen verborgen sah, fürchtete kaum eine Verfolgung. Bald verloren sich alle Geräusche des Kampfes.

Ein dicker Laubteppich bedeckte den Boden. Kahle Baumäste knisterten im kalten Morgenwind. Nach der tagelangen Fahrt im Käfig bewegten sich die Gefährten langsam und steif. Gilthanas führte sie zu einer weiten Lichtung, als die Morgensonne den Wald mit ihrem blassen Licht durchbrach.

Auf der Lichtung hatten sich die befreiten Gefangenen versammelt. Tolpan blickte sich eifrig um, dann schüttelte er traurig den Kopf.

»Ich frage mich, was mit Sestun passiert ist«, sagte er zu Tanis. »Ich dachte, ich hätte ihn weglaufen gesehen.«

»Mach dir keine Sorgen.« Der Halb-Elf klopfte ihm auf die Schulter. »Er wird es schon schaffen. Die Elfen lieben zwar die Gossenzwerge nicht, aber sie würden ihn auch nicht töten.«

Tolpan schüttelte den Kopf. Es waren nicht die Elfen, derentwegen er sich sorgte.

Als sie die Lichtung betraten, sahen die Gefährten einen ungewöhnlich hochgewachsenen und breitgebauten Elfen zu den Flüchtlingen sprechen. Seine Stimme war kalt, sein Auftreten ernst.

»Ihr seid nun frei, um zu gehen, soweit man in diesem Land überhaupt frei sein kann. Wir haben Gerüchte gehört, daß das Land südlich von Pax Tarkas nicht unter der Kontrolle des Drachenfürsten steht. Ich schlage darum vor, daß ihr euch in südöstliche Richtung begebt. Marschiert heute so schnell und so weit, wie ihr könnt. Wir geben euch Proviant für eure Reise mit, soviel wir entbehren können. Ansonsten können wir wenig für euch tun.«

Die Flüchtlinge aus Solace, wie gelähmt durch ihre plötzliche Freiheit, sahen sich düster und hilflos um. Sie waren Bauern am Stadtrand von Solace gewesen, die mit ansehen mußten, wie ihre Häuser verbrannt und ihre Ernte von der Armee des Drachenfürsten geraubt wurde. Die meisten von ihnen waren von Solace nie weiter weg gekommen als bis nach Haven. Drachen und Elfen waren Legendenwesen. Jetzt hatten die Kindergeschichten sie eingeholt.

Goldmonds klare blaue Augen blitzten auf. Sie wußte, wie sie sich fühlten. »Schau dir diese Leute an. Ihr ganzes Leben haben sie Solace nie verlassen, und du erzählst ihnen ganz ruhig, sie sollen durch ein Land marschieren, das von feindlichen Armeen überzogen wird…«

»Was soll ich sonst tun, Mensch?« unterbrach der Elf sie. »Soll ich sie selber in den Süden führen? Es reicht, daß wir sie befreit haben. Mein Volk hat seine eigenen Probleme. Ich kann mich nicht auch noch mit den Problemen der Menschen beschäftigen.« Er richtete seine Augen auf die Flüchtlingsgruppe. »Ich warne euch. Die Zeit fließt. Macht euch auf den Weg!«

Goldmond wandte sich an Tanis, um Unterstützung zu suchen, aber er schüttelte nur den Kopf, sein Gesicht war dunkel und betrübt.

Einer der Männer warf den Elfen einen verängstigten Blick zu und stolperte auf den Pfad zu, der sich durch die Wildnis nach Süden schlängelte. Die anderen Männer schulterten grobe Waffen, die Frauen nahmen ihre Kinder, und die Familien wankten davon.

Goldmond ging auf den Elf zu. »Wie kannst du dich so wenig um…«

»Menschen kümmern?« Der Elf blickte sie kühl an. »Es waren Menschen, die die Umwälzung über uns brachten. Sie waren es, die die Götter aufsuchten und in ihrem Stolz die Macht verlangten, die Huma gewährt wurde. Es waren Menschen, die die Götter dazu brachten, sich von uns abzuwenden…«

»Das haben sie nicht!« rief Goldmond. »Die Götter sind unter uns!«

Porthios’ Augen funkelten vor Zorn auf. Er wollte sich gerade umdrehen, als Gilthanas zu seinem Bruder trat und auf ihn in der Elfensprache einredete.

»Was sagen sie?« fragte Flußwind Tanis argwöhnisch.

»Gilthanas erzählt, wie Goldmond Theros geheilt hat«, sagte Tanis langsam. Es war schon sehr viele Jahre her, daß er mehr als einige Worte in der Elfensprache gehört oder gesprochen hatte. Er hatte vergessen, wie schön diese Sprache war, so schön, daß sie ihm in die Seele schnitt und ihn verletzt und blutend zurückließ. Er beobachtete, wie sich Porthios’ Augen ungläubig weiteten.

Dann zeigte Gilthanas auf Tanis. Beide Brüder wandten sich ihm zu, ihre ausdrucksvollen Elfengesichter verhärteten sich. Flußwind warf Tanis einen Blick zu. Tanis hielt mit blassem, aber gefaßtem Blick der Prüfung stand.

»Du bist in das Land deiner Geburt zurückgekehrt, oder?« fragte Flußwind. »Es sieht aber nicht so aus, als wärst du willkommen.«

»Ja«, sagte Tanis bitter, da er verstand, was der Barbar dachte. Er wußte, daß Flußwind sich nicht aus Neugierde in seine persönlichen Angelegenheiten mischte. In vielerlei Hinsicht befanden sie sich nun in größerer Gefahr als bei dem Truppführer.

»Sie werden uns nach Qualinost bringen«, sagte Tanis langsam, die Worte schienen ihm offensichtlich tiefen Schmerz zu bereiten.

»Ich war schon viele Jahre nicht mehr dort. Wie Flint dir bestätigen wird, wurde ich nicht gezwungen wegzugehen, aber nur wenige waren traurig, als ich es dann schließlich tat. Wie ich dir schon einmal sagte, Flußwind – für die Menschen bin ich nur ein halber Elf. Für die Elfen war ich nur ein halber Mensch.«

»Dann laßt uns gehen und mit den anderen in den Süden marschieren«, sagte Flußwind.

»Hier würdest du nie lebend rauskommen«, murmelte Flint.

Tanis nickte. »Schau dich um«, sagte er.

Flußwind blickte um sich und sah Elfenkrieger sich wie Schatten um die Bäume bewegen, ihre braune Kleidung vermischte sich mit den Farben der Wildnis, die ihr Zuhause war. Als die zwei Elfen ihr Gespräch beendet hatten, wandte Porthios seinen Blick von Tanis zu Goldmond.

»Ich habe von meinem Bruder seltsame Geschichten gehört, von denen ich gern mehr wüßte. Darum gewähre ich nun, was die Elfen seit vielen Jahren den Menschen nicht mehr gewährt haben – unsere Gastfreundschaft. Ihr seid unsere geehrten Gäste. Bitte folgt mir.«

Porthios machte eine Geste. Fast zwei Dutzend Elfenkrieger traten aus dem Wald hervor und umzingelten die Gefährten.

»Geehrte Gefangene wäre besser ausgedrückt. Das wird für dich hart werden, mein Junge«, sagte Flint zu Tanis mit leiser, sanfter Stimme.

»Ich weiß, alter Freund.« Tanis’ Hand ruhte auf der Schulter der Zwerges. »Ich weiß.«

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