„Berichten Sie von Anfang an“, forderte Kerk Jason auf. „Und lassen Sie nichts aus.“
„Ich habe eigentlich schon alles erklärt und habe kaum noch etwas hinzuzufügen. Die Tiere befolgen nur einen deutlich gegebenen Befehl. Ich habe sogar mit einigen experimentiert, um festzustellen, ob sie mir gehorchten. Jetzt muß ich nur noch herausbekommen, von wem diese Befehle stammen, durch die der Krieg in Gang gehalten wird.
Kerk, ich möchte Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, das ich noch keinem Menschen verraten habe. Ich verdanke meine Spielgewinne nicht nur meinem Glück, sondern besitze Psi-Fähigkeiten, mit deren Hilfe ich die Wahrscheinlichkeit beeinflussen kann. Während der letzten zehn Jahre habe ich mich eingehend mit diesem Gebiet beschäftigt — aus offensichtlichen Gründen. Verglichen mit anderen wissenschaftlichen Fachgebieten ist die Forschung auf dem Psi-Sektor noch nicht sehr weit fortgeschritten. Aber es gibt immerhin Geräte, die als psionische Verstärker wirken. Wenn man sie richtig anwendet, kann man damit Psi-Ausstrahlungen orten und ihren Ursprung anpeilen.“
„Wollen Sie eines dieser Geräte bauen?“ erkundigte sich Kerk.
„Richtig, genau das. Dann will ich es in dem Raumschiff installieren und damit auf die Suche fliegen. Ein Signal, das stark genug ist, um einen Krieg in Gang zu halten, muß sich bis zu seinem Ursprung verfolgen lassen. Ich werde es verfolgen, werde mit den Wesen in Verbindung treten, von denen es ausgeht, und werde nach Möglichkeit feststellen, weshalb sie den Kampf gegen die Menschheit auf Pyrrus entfesselt haben. Sie sind doch mit jedem vernünftigen Plan einverstanden, der den Krieg beenden könnte?“
„Innerhalb gewisser Grenzen“, antwortete Kerk finster. „Wie lange brauchen Sie zum Bau des Geräts?“
„Höchstens einige Tage, wenn das benötigte Material hier zu haben ist“, antwortete Jason.
„Schön, fangen Sie sofort damit an. Ich sorge dafür, daß das Raumschiff startbereit steht. Wenn Sie das Gerät gebaut haben, machen Sie sich auf die Suche nach dem Ursprung des Signals und berichten mir darüber.“
„Einverstanden“, sagte Jason. „Sowie ich die Wunde in meinem Rücken habe versorgen lassen, stelle ich eine Liste der benötigten Teile zusammen.“
Ein grimmig dreinblickender Mann namens Skop wurde Jason als Führer und Wärter zugeteilt. Er nahm seinen Auftrag sehr ernst, und Jason erkannte schon nach kurzer Zeit, daß er nur ›auf Bewährung‹ freigelassen worden war. Kerk hatte sich überzeugen lassen, konnte aber seine Meinung jederzeit wieder ändern. Der Gefangenenwärter konnte sich in einen Henker verwandeln, wenn Kerk den Befehl dazu erteilte.
Jason überlegte, ob dieser Befehl nicht auf jeden Fall gegeben werden würde. Kerk durfte kein Risiko eingehen — und wenn die geringste Möglichkeit bestand, daß Jason mit den Wilden in Verbindung getreten war, würde Kerk verhindern, daß Jason Pyrrus lebend verließ. Die Grubber konnten doch nicht im Ernst daran glauben, daß ihr Plan Erfolg haben würde? Oder setzten sie ihre Hoffnung doch darauf? Schließlich hatten sie nichts dabei zu verlieren.
Jason beschäftigte sich noch immer mit dieser Frage, als er die Liste von Bestandteilen aufstellte, die er für den Bau des Psi-Peilers benötigte. Seine Gedanken kreisten um das gleiche Thema und suchten nach einem Ausweg, den es nicht gab. Er war zu sehr in die Angelegenheit verwickelt, als daß er einfach hätte abfliegen können. Kerk würde dafür sorgen. Wenn er den Krieg nicht beenden und die Grubber-Frage nicht lösen konnte, mußte er den Rest seines Lebens hier auf Pyrrus verbringen. Allerdings den Rest eines sehr kurzen Lebens.
Als die Liste fertig war, rief er die Nachschubabteilung an. Sämtliche Materialien waren vorrätig, obwohl einige durch gleichwertige andere ersetzt werden mußten. Sie wurden bereits verpackt und sollten dann zu Jason gebracht werden. Während Skop ihn von seinem Stuhl aus beobachtete, begann Jason mit einer Planskizze des Geräts.
Jason sah plötzlich von seiner Arbeit auf, weil er das völlige Schweigen bemerkt hatte. Er hörte Maschinen innerhalb des Gebäudes summen und verfolgte eine lautstark geführte Unterhaltung vor seinem Zimmer. Wieso war ihm also die Stille aufgefallen?
Es handelte sich um eine geistige Stille. Seit seiner Rückkehr in die Stadt war er so beschäftigt gewesen, daß ihm das Fehlen jeglicher Psi-Ausstrahlung nicht aufgefallen war. Jetzt erinnerte er sich wieder daran, daß dies innerhalb der Stadt schon immer so gewesen war.
Er wollte aufmerksamer lauschen — und gab den Versuch sofort wieder auf. Sein Gehirn mußte mit einer Art Psi-Unterbrecher ausgestattet sein, der in Aktion trat, bevor der Ansturm übermächtig wurde. Die gegen die Stadt gerichteten Haßgefühle waren auf diese Weise kaum noch wahrnehmbar — aber stark genug, um an Jasons Alpträumen schuld zu sein.
Diese Erscheinung hatte allerdings ihre gute Seite. Durch das Fehlen der äußeren Einflüsse wurde Jasons Konzentrationsfähigkeit gefördert. Obwohl er müde war, zeichnete er rasch und sicher.
Am späten Nachmittag kam Meta und brachte die Teile, die Jason bestellt hatte. Sie stellte die große Kiste auf den Boden, wollte etwas sagen, überlegte es sich aber doch anders und schwieg lieber. Jason sah mit einem Lächeln zu ihr auf.
„Ist dir etwas unklar?“ fragte er.
„Ich weiß nicht, was du damit sagen willst“, antwortete Meta. „Mir ist alles klar, deshalb ärgere ich mich auch. Der angesetzte Flug ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden, so daß unser Nachschub ins Stocken gerät. Und ich darf nicht meinen normalen Dienst versehen, sondern muß hier herumstehen, um dir angeblich zu helfen. Dann soll ich einen Flug nach deinen Anweisungen unternehmen. Wunderst du dich noch, daß ich wütend bin?“
Jason sortierte das gelieferte Material, bevor er weitersprach. „Anscheinend ist dir noch einiges unklar, wie ich vorhin behauptet habe. Ich kann meine Behauptung beweisen — aber dann wäre dir noch viel mehr unklar. Ehrlich gesagt ist die Versuchung fast zu groß, um ihr zu widerstehen.“
Meta sah ihn unsicher an und wickelte dabei unbewußt eine blonde Locke um den Zeigefinger. Jason beobachtete sie und stellte fest, daß sie ihm so besser gefiel. Seit der Landung auf Pyrrus hatte sie ihn nicht mehr an das Mädchen erinnert, das er während des Fluges kennengelernt hatte. Er fragte sich, ob er wirklich erklären konnte, was er eigentlich meinte.
„Ich will dich nicht beleidigen, wenn ich sage, daß dir etwas unklar ist, Meta. Daran sind deine Umgebung und deine Erziehung schuld, denn du bist sozusagen auf einer Insel aufgewachsen. Ich gebe zu, daß Pyrrus eine ungewöhnliche Insel mit schwierigen Problemen ist, denen du hervorragend gewachsen bist. Aber wenn du einem bisher noch nie aufgetauchten Problem gegenüberstehst, weißt du keinen Rat mehr, denn dann wird das Spiel plötzlich nach anderen Regeln gespielt.“
„Du redest lauter Unsinn“, antwortete Meta hitzig. „Pyrrus ist keine Insel, und der Kampf ums Leben ist bestimmt kein Spiel!“
„Tut mir leid“, meinte Jason ungerührt, „vielleicht war mein Beispiel nicht allzu glücklich gewählt. Nehmen wir lieber einen konkreten Fall an. Wenn ich dir sage, daß dort drüben an der Tür ein Stechflügel hängt…“
Metas Pistole zielte auf die Tür, bevor Jason den Satz beendet hatte. Der Stuhl fiel um, als Skop aufsprang. Auch seine Waffe war auf die Tür gerichtet, obwohl er vorher halbwegs geschlafen hatte.
„Das war nur ein Beispiel“, sagte Jason. „An der Tür hängt nämlich gar nichts.“ Skop ließ seine Pistole wieder verschwinden und warf Jason einen wütenden Blick zu, bevor er den Stuhl aufstellte und sich wieder darauf niederließ.
„Ihr habt beide bewiesen, daß ihr ein pyrranisches Problem lösen könnt“, fuhr Jason fort. „Aber was wäre gewesen, wenn ich gesagt hätte: ›An der Tür hängt ein Tier, das wie ein Stechflügel aussieht, aber in Wirklichkeit ein großes Insekt ist, aus dessen Spinnfaden man eine feine Seide weben kann.‹ Was dann?“
Skop starrte zu der Tür hinüber, seine Pistole ragte einige Zentimeter aus dem Halfter hervor und verschwand wieder. Der Mann knurrte etwas vor sich hin und verließ dann zornig den Raum, wobei er die Tür hinter sich zuschlug. Meta runzelte angestrengt die Stirn und sah Jason verwirrt an.
„Das Tier hätte aber nur ein Stechflügel sein können“, meinte sie schließlich. „Man kann sie unmöglich mit anderen verwechseln. Aber selbst dann hätte man es umbringen müssen, bevor es stechen kann.“ Sie lächelte über die unwiderlegbare Logik ihrer Behauptung.
„Schon wieder falsch“, sagte Jason. „Ich habe eben den Mimikry-Spinner beschrieben, der auf Stovers Planet vorkommt. Er imitiert andere wehrhafte Tiere und leistet dabei so gute Arbeit, daß er keine anderen Verteidigungsmittel braucht. Man kann ihn auf der Hand halten und zusehen, wie er spinnt. Wenn ich eine Schiffsladung voll nach Pyrrus brächte, würdet ihr nie wissen, ob ihr schießen müßt oder nicht, habe ich recht?“
„Aber diese Insekten kommen hier nicht vor“, warf Meta ein.
„Die Möglichkeit besteht aber. Und in diesem Fall würde das Spiel nach anderen Regeln gespielt. Verstehst du jetzt, was ich sagen will? In der Galaxis gibt es einige feststehende Regeln und Gesetze — aber das sind nicht die, nach denen ihr lebt. Euer einziges Gesetz ist der ewige Krieg mit den pyrranischen Lebensformen. Ich will diesen Krieg beenden, indem ich das Gesetz umgehe. Würdest du dich nicht auch darüber freuen? Würdest du nicht lieber ein Leben führen, das nicht aus einem ständigen Kampf ums Dasein besteht? Ein Leben, in dem es Glück, Liebe, Musik und alle anderen Künste gibt — denn dann hättet ihr endlich auch dafür Zeit.“
Meta lächelte leise vor sich hin, während sie Jasons Gedankengängen folgte. Sie wehrte sich nicht dagegen, als er nach ihrer Hand griff und sie festhielt, während er sprach. Jason fühlte, daß ihr Puls rascher als gewöhnlich schlug.
Dann bemerkte sie plötzlich, daß er ihre Hand hielt, entzog sie ihm hastig und sprang auf. Als sie zur Tür rannte, hörte sie Jasons Stimme hinter sich.
„Skop ist fortgelaufen, weil er nicht anhören wollte, wie seine Schwarz-Weiß-Logik widerlegt wurde. Schließlich ist sie sein einziger Besitz. Aber du hast doch schon andere Planeten gesehen, Meta, du weißt so gut wie ich, daß das Leben nicht nur ein ewiger Kampf wie auf Pyrrus sein muß. Du willst nur nicht zugeben, daß ich recht habe.“
Meta warf die Tür hinter sich ins Schloß.
Jason sah ihr nach und fuhr sich nachdenklich mit der Hand über seine Bartstoppeln. „Meta, ich habe eine schwache Hoffnung, daß die Frau in dir eines Tages doch noch einmal über die Pyrranerin siegen wird. Ich glaube nämlich, daß eben zum erstenmal seit Gründung dieser Stadt ein Mensch Tränen in den Augen gehabt hat.“