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Nachdem sie die Kellertür wieder fest verriegelt hatten, trugen sie den Kasten in Jasons neues Büro. Bevor sie ihn näher besichtigten, sprühten sie ihn allerdings von allen Seiten mit einem Desinfektionsmittel ab. Meta entzifferte die auf den Deckel eingravierten Buchstaben.

S. T. Pollux Victory — das muß der Name des Raumschiffes sein, von dem dieses Logbuch stammt. Aber ich habe noch nie von einer Schiffsklasse gehört, die mit der Abkürzung S. T. bezeichnet wird.“

„Stellartransporter“, erklärte Jason, während er sich mit dem Zahlenschloß beschäftigte. „Ich habe zwar selbst noch nie einen gesehen, aber schon davon gehört. Sie wurden während der letzten Welle der galaktischen Expansion gebaut. Im Grunde genommen waren sie nur riesige Metallbehälter, die im Raum montiert wurden. Dann nahmen sie Menschen, Maschinen und Vorräte an Bord und wurden zu einem vorher ausgewählten Planetensystem geschleppt. Nach der Landung auf einem Planeten kehrten die Schleppraketen zurück und ließen den Stellartransporter an Ort und Stelle. Der Rumpf lieferte Metall für Schutzbauten, so daß die Kolonisten sofort mit der Errichtung ihrer neuen Welt beginnen konnten. Die Transporter waren riesig. Jeder faßte mindestens fünfzigtausend Menschen.“

Erst als Meta ihn böse anstarrte, fiel Jason ein, was er eben gesagt hatte. Auf Pyrrus lebten jetzt weniger Menschen als in den Tagen der ursprünglichen Besiedlung.

Und menschliche Bevölkerungen vermehrten sich im allgemeinen ziemlich rasch, wenn nicht eine straffe Geburtenkontrolle erzwungen wurde. Jason erinnerte sich daran, daß Meta ausgezeichnet schoß.

„Aber das heißt natürlich noch lange nicht, daß dieser eine Transporter ebenfalls fünfzigtausend Menschen an Bord hatte“, fügte er hastig hinzu. „Vielleicht enthält der Kasten gar nicht das Logbuch des Schiffes, auf dem die ersten Siedler nach Pyrrus gekommen sind. Hast du irgendwo ein Werkzeug gesehen, mit dem wir den Kasten aufbrechen könnten? Das Schloß ist völlig verrostet.“

Meta ließ ihre Wut an dem Kasten aus. Der Deckel öffnete sich einen Spaltbreit, als sie die Finger zwischen ihn und den unteren Teil schob. Noch ein kurzer Ruck, dann hielt sie ihn in der Hand. Aus dem Kasten fiel ein schweres Buch und polterte zu Boden.

Der Titel zerstörte alle Zweifel.

LOGBUCH S. T. POLLUX VICTORY. AUF AUSREISE SETANI NACH PYRRUS. 55 000 SIEDLER AN BORD.

Jetzt konnte Meta nicht mehr widersprechen. Sie stand mit geballten Fäusten hinter Jason und sah über seine Schulter, während er die vergilbten Blätter durchsah. Er ließ den ersten Teil des Logbuchs aus, der von den Vorbereitungen der Reise und dem Flug selbst berichtete. Erst als er die Stelle erreicht hatte, an der von der erfolgten Landung die Rede war, las er langsamer. Er begriff sofort, wie wertvoll dieser alte Bericht war.

„Hier steht alles!“ rief er. „Das ist der Beweis dafür, daß wir auf der richtigen Spur sind. Selbst du mußt zugeben, daß ich recht gehabt habe. Hier, lies doch selbst!“

… sind wir völlig auf uns allein gestellt, nachdem die Schlepper schon vorgestern den Rückflug angetreten haben. Die Siedler haben sich noch nicht an die hier herrschenden Verhältnisse gewöhnt, obwohl wir jeden Tag längere Orientierungsversammlungen abhalten. Unsere Psychologen arbeiten zwanzig Stunden pro Tag, damit die allgemeine Stimmung nicht noch schlechter wird.

Ich glaube allerdings, daß die Leute nicht allein die Schuld daran tragen. Schließlich sind sie in den Kavernen von Setani aufgewachsen und haben kaum jemals die Sonne gesehen. Das Wetter hier ist wirklich fürchterlich; ich habe noch nie etwas Ähnliches auf anderen Planeten erlebt.

War es vielleicht doch falsch, daß ich von Anfang an auf Siedlern bestanden habe, die nicht von einem Agrarplaneten stammen sollten? Hätte ich lieber Menschen aussuchen sollen, die an das Leben im Freien gewöhnt sind? Diese zivilisierten Stanier fürchten sich geradezu vor jedem Regenschauer. Andererseits vertragen sie die Schwerkraft hier sehr gut, weil sie nur ein Viertel höher als auf ihrem Heimatplaneten ist. Das war auch der Faktor, der den Ausschlag gegeben hat.

Jedenfalls läßt sich nichts mehr rückgängig machen. Auch an dem ewigen Kreislauf aus Regen, Schnee, Hagel, Hurrikanen und ähnlichen Annehmlichkeiten ist nichts zu ändern. Wir können nur hoffen, daß die Bergwerke bald genügend Metall liefern, damit wir von dem Erlös vollständig abgeschlossene Städte bauen können.

Auf diesem gottverlassenen Planeten scheint uns nur die Tierwelt nicht feindlich gesinnt zu sein. Zuerst tauchten einige Raubtiere auf, aber die Wachtposten erlegten sie ohne Mühe. Alle anderen Lebewesen belästigen uns nicht. Glücklicherweise! Die Tiere liegen ständig miteinander im Kampf und haben sich den Verhältnissen angepaßt. Selbst die Nager, die nicht größer als eine Hand sind, schleppen einen gewaltigen Panzer mit sich herum…

„Ich glaube kein Wort davon“, meinte Meta schließlich. „Das kann unmöglich eine Beschreibung der Verhältnisse auf Pyrrus sein…“ Sie schwieg betroffen, als Jason wortlos auf den Titel wies.

Er überflog die Seiten und blätterte rasch um. Ein Satz fiel ihm besonders auf. Er warf Meta einen bedeutungsvollen Blick zu und las laut vor.

„… immer mehr Schwierigkeiten. Zuerst Har Palo mit seiner Theorie, daß der Vulkanismus sich ungünstig auf die Ernten auswirken muß. Selbst wenn er recht behält — was sollen wir dagegen unternehmen? Wir müssen autark werden, wenn wir überleben wollen. Und dann diese andere Geschichte. Der Waldbrand scheint einige neue Tierarten in Richtung auf unser Lager getrieben zu haben. Tiere, Insekten und sogar Vögel haben unsere Leute angegriffen. (Notiz für Har: Überprüfen, ob eine jahreszeitlich bedingte Wanderung die Tiere in das Lager geführt haben kann.) In letzter Zeit vierzehn Tote durch Verwundungen und Vergiftungen. Wir müssen unbedingt durchsetzen, daß jeder das Insektenschutzmittel ständig bei sich trägt. Wahrscheinlich werden wir auch eine Art Schutzwall um das Lager herum errichten müssen, um die größeren Tiere fernzuhalten.

Das war also der Anfang“, stellte Jason fest. „Damit ist also meine Theorie bereits bewiesen. Natürlich ist unser jetziger Kampf nicht leichter oder weniger gefährlich, wenn wir wissen, daß die Lebensformen der Planeten den Menschen nicht immer feindlich gesinnt waren. Aber wir haben eine Spur entdeckt. Irgend etwas hat die friedlichen Lebewesen veranlaßt, sich gegen die Menschen zu wenden, und hat den Planeten dadurch in eine Hölle verwandelt. Dieses irgend etwas möchte ich herausbekommen.“

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