Die Trainingsmaschinen waren zwar äußerst realistisch gewesen, aber die Wirklichkeit sah doch noch etwas anders aus. Selbstverständlich kam Jason vieles bekannt vor — das Giftgras unter seinen Füßen und das helle Summen eines Stechflügels, bevor Grif das riesige Insekt abschoß. Aber alle diese Dinge gingen fast in dem Toben der Elemente unter.
Der Regen schien nicht aus einzelnen Tropfen zu bestehen, sondern ergoß sich wie eine Sturzflut aus dem bleifarbenen Himmel. Heftige Windstöße trieben die Wassermassen vor sich her und nahmen ihm fast die Sicht. Nur wenn er sich einen Augenblick lang die Hand vor das Gesicht hielt, konnte er die Umrisse zweier Vulkane am Horizont ausmachen, deren Krater Rauch und Feuer spuckten. Die tiefhängenden Wolken über den beiden Kegeln waren blutrot gefärbt.
Etwas prallte von seinem Helm ab und fiel vor seine Füße. Er bückte sich danach und hob ein Hagelkorn auf, das die Größe eines Taubeneis hatte. Ein plötzlicher Hagelschauer prasselte gegen seinen ungeschützten Rücken; er richtete sich wieder auf.
Der Sturm flaute ebenso rasch wieder ab, wie er aufgekommen war. Die Sonne brannte herab, schmolz die Hagelkörner und verdampfte das Wasser aus den Pfützen. Jason schwitzte in seinem dicken Schutzanzug. Aber bevor sie weitere dreihundert Meter zurückgelegt hatten, regnete es wieder, so daß er wie zuvor unwillkürlich vor Kälte zitterte.
Grif ging voraus und kümmerte sich kaum um das Wetter oder die Vulkane, die am Horizont grollten und den Boden unter ihren Füßen erbeben ließen. Jason versuchte die Unannehmlichkeiten zu vergessen und mit dem Jungen Schritt zu halten.
Der Marsch war deprimierend. Die massiven niedrigen Gebäude ragten grau aus dem Regen, der den verfallenen Eindruck noch verstärkte, den die meisten von ihnen machten. Sie gingen auf dem in der Mitte der Straße angelegten Fußweg entlang. Gelegentlich fuhren an beiden Seiten gepanzerte Lastwagen vorüber. Die Lage des Fußweges verblüffte Jason, bis Grif ein Tier erlegte, das aus einem der verfallenen Gebäude auftauchte und sich auf sie stürzte. Auf diese Weise konnte ein derartiger Überfall wenigstens nicht völlig überraschend kommen. Jason fühlte sich plötzlich sehr müde und erschöpft.
„Ich schätze, daß es auf diesem Planeten keine Taxis gibt?“ fragte er.
Grif starrte ihn verwundert an und runzelte die Stirn. Aus seinem Benehmen ging deutlich hervor, daß er dieses Wort noch nie gehört hatte. Sie gingen also weiter, aber jetzt blieb der Junge etwas zurück, um sich Jasons langsamer Gangart anzupassen. Bereits eine halbe Stunde später hatten sie alles besichtigt, was Jason hatte sehen wollen.
„Grif, eure Stadt ist ganz schön verlottert. Ich hoffe nur, daß die anderen etwas besser aussehen.“
„Ich weiß gar nicht, was Sie damit sagen wollen. Es gibt keine anderen Städte. Nur noch einige Bergwerkssiedlungen, die nicht innerhalb der Mauer angelegt werden konnten. Aber keine anderen Städte.“
Jason war ehrlich überrascht. Er hatte sich immer eingebildet, auf diesem Planeten müsse es mehrere Städte geben. Plötzlich fiel ihm auf, daß er noch viel über Pyrrus dazulernen mußte. Seit der Landung hatte er sich eigentlich nur mit der Frage beschäftigt, wie er in dieser Umgebung am Leben bleiben konnte. Jetzt wollte er einige Auskünfte einholen — aber bestimmt nicht von seinem mürrischen achtjährigen Leibwächter. Schließlich kannte er einen Mann, der alle Fragen beantworten konnte, die er stellen wollte.
„Kennst du einen Mann namens Kerk?“ fragte er den Jungen. „Er ist der pyrranische Botschafter auf einer Anzahl von Planeten, aber sein Nachname…“
„Natürlich, jeder kennt Kerk. Aber er hat immer viel zu tun, deshalb sollten Sie ihn nicht bei der Arbeit stören.“
Jason drohte ihm mit dem Zeigefinger. „Grif, du bist mir nur als Leibwächter zugeteilt. Aber das heißt noch lange nicht, daß ich mir von dir Vorschriften machen lassen muß. Du kannst weiter auf die Jagd gehen, während ich Kerk einen Besuch abstatte. Einverstanden?“
Sie flüchteten sich in den Eingang eines Gebäudes, um vor einem Gewitter Schutz zu suchen, das von einem Schauer faustgroßer Hagelkörner begleitet war. Als sie sich wieder ins Freie wagen konnten, führte Grif Jason zu einem der größeren, zentral gelegenen Gebäude. Dort arbeiteten wesentlich mehr Menschen, und einige von ihnen sahen sogar einen Augenblick von ihrer Arbeit auf, um Jason zu begutachten. Jason kletterte mühsam in den zweiten Stock hinauf, bevor sie eine Tür mit der Aufschrift KOORDINATION UND VERSORGUNG erreicht hatten.
„Ist das Kerks Büro?“ fragte Jason.
„Stimmt“, antwortete Grif mürrisch. „Er ist dafür verantwortlich.“
„Ausgezeichnet. Du kannst jetzt nach Hause gehen oder dir einen Bonbon kaufen, bevor du mich in ein paar Stunden wieder abholst. Ich nehme an, daß Kerk schon auf mich aufpassen wird.“
Der Junge überlegte kurze Zeit, wandte sich dann zur Treppe und verschwand wortlos. Jason fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und stieß die Tür auf.
In dem Büro saßen fünf oder sechs Männer und arbeiteten. Keiner von ihnen sah auf, als Jason hereinkam, oder fragte ihn, was er hier wollte. Auf Pyrrus hatte alles seinen Zweck. Wenn er hierher kam, mußte er seine guten Gründe dafür haben. Deshalb kam niemand auf den Gedanken, ihn nach seinen Wünschen zu fragen. Jason, der an die kleinliche Bürokratie anderer Planeten gewöhnt war, blieb einige Minuten lang wartend stehen, bevor er begriff, was er zu tun hatte. Das Büro hatte nur noch eine weitere Tür in der gegenüberliegenden Wand. Er schlurfte darauf zu und öffnete sie.
Kerk sah von seinem Schreibtisch auf, der mit Papieren übersät war. „Ich habe mich schon gefragt, wann Sie bei mir auftauchen würden“, sagte er.
„Wahrscheinlich wesentlich früher, wenn Sie mich nicht daran gehindert hätten“, antwortete Jason und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Mir ist endlich aufgegangen, daß ich den Rest meines Lebens in Ihrem Kindergarten verbringen würde, wenn ich nicht selbst etwas dagegen unternahm. Hier bin ich also.“
„Wollen Sie wieder zu den ›zivilisierten‹ Planeten zurückkehren, nachdem Sie jetzt genug von Pyrrus gesehen haben?“
„Nein, keineswegs“, widersprach Jason. „Aber ich habe es allmählich satt, daß jeder mich fragt, wann ich wieder abfliege. Ich glaube fast, daß Sie und die übrigen Pyrraner etwas vor mir verbergen wollen.“
Kerk lächelte bei dem Gedanken daran. „Was sollten wir zu verbergen haben? Ich bezweifle, daß es einen anderen Planeten gibt, auf dem das Leben in so einfachen und geradlinigen Bahnen verläuft.“
„Wenn das stimmt, haben Sie doch bestimmt nichts dagegen einzuwenden, einige einfache und geradlinige Fragen über Pyrrus zu beantworten?“
Kerk wollte protestieren, lachte dann aber doch. „Gut gemacht. Ich hätte wissen müssen, daß man mit Ihnen nicht diskutieren kann. Schön, was wollen Sie wissen?“
Jason versuchte es sich auf dem harten Stuhl behaglich zu machen, gab aber schließlich auf. „Wie groß ist die Bevölkerung Ihres Planeten?“ erkundigte er sich.
Kerk zögerte fast unmerklich, bevor er antwortete. „Ungefähr dreißigtausend. Das ist nicht sehr viel für einen Planeten, der schon so lange besiedelt ist, aber die Gründe dafür sind wohl offensichtlich genug.“
„Gut, die Bevölkerung beträgt also dreißigtausend Menschen“, sagte Jason. „Wie steht es mit der Kontrolle der Planetenoberfläche? Ich war einigermaßen überrascht, als ich hörte, daß diese Stadt innerhalb des Schutzwalls die einzige auf Pyrrus ist. Die Bergwerkssiedlungen brauchen wir dabei nicht zu berücksichtigen, weil sie unbedeutend sind. Glauben Sie, daß die jetzige Bevölkerung einen größeren Teil der Oberfläche des Planeten kontrolliert als in vergangenen Zeiten?“
Kerk griff nach einem Stück Stahlrohr auf seinem Schreibtisch, das er als Briefbeschwerer benützte, und spielte gedankenverloren damit. Das dicke Rohr verbog sich unter seinen Händen wie Wachs, als er die Frage zu beantworten versuchte.
„Das kann ich nicht ohne weiteres sagen. Vermutlich gibt es darüber Statistiken, die ich aber nicht kenne. Das hängt alles von so vielen Faktoren ab…“
„Lassen wir das vorläufig“, meinte Jason. „Ich habe noch eine andere Frage, die eigentlich wichtiger ist. Stimmt es, daß die Bevölkerung ständig von Jahr zu Jahr abnimmt?“
Das Stahlrohr prallte klirrend gegen die Wand hinter Jasons Kopf. Dann stand Kerk mit vor Zorn gerötetem Gesicht vor ihm.
„Das dürfen Sie nicht sagen!“ brüllte er. „Sagen Sie das nie wieder, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!“
Jason blieb unbeweglich sitzen und sprach langsam weiter, wobei er jedes Wort sorgfältig abwog. Schließlich hing sein Leben davon ab.
„Sie brauchen nicht wütend zu sein, Kerk. Ich konnte nicht wissen, daß das ein wunder Punkt ist. Erinnern Sie sich denn nicht daran, daß ich auf Ihrer Seite stehe? Ich kann darüber sprechen, weil Sie mehr gesehen haben als die Pyrraner, die ihren Planeten noch nie verlassen haben. Sie wissen den Wert einer freundschaftlichen Diskussion eher zu schätzen. Sie wissen, daß Wörter nur Symbole sind. Wir können uns doch unterhalten, ohne gleich bei jedem Wort in die Luft zu gehen…“
Kerk ließ sehr langsam die Hände sinken und trat einen Schritt zurück. Dann drehte er sich um und goß sich ein Glas Wasser aus einer Flasche auf seinem Schreibtisch ein. Während er trank, kehrte er Jason den Rücken zu.
In dem Raum war es brütend heiß, aber Jason wußte, daß er nicht nur deshalb Schweißperlen auf der Stirn hatte.
„Ich… muß mich bei Ihnen entschuldigen, daß ich so unbeherrscht war“, sagte Kerk und ließ sich schwer in seinen Sessel fallen. „Das passiert mir wirklich nicht oft. Aber die viele Arbeit in der letzten Zeit hat mich einige Nerven gekostet.“ Er erwähnte nichts von dem, was Jason vorher gesagt hatte.
„Nichts zu entschuldigen“, versicherte Jason ihm. „Ich brauche nur daran zu denken, in welchem Zustand ich mich befunden habe, als wir hier gelandet waren. Ich muß schließlich doch zugeben, daß Sie recht gehabt haben, als Sie mir die hiesigen Verhältnisse beschrieben. Sie sind schlimmer als auf jedem anderen Planeten, den ich bisher gesehen habe. Und nur geborene Pyrraner können hier überleben. Ich komme einigermaßen zurecht, weil ich eine gute Ausbildung hinter mir habe, aber allein auf mich gestellt hätte ich nicht die geringsten Aussichten. Sie wissen wahrscheinlich, daß ich einen achtjährigen Leibwächter habe. Das allein kennzeichnet bereits meine Stellung hier.“
Kerk kniff nachdenklich die Augen zusammen. „Eigenartig, daß Sie das sagen. Ich hätte nie geglaubt, daß Sie zugeben würden, jemand könnte Ihnen überlegen sein. Sind Sie denn nicht deshalb nach Pyrrus gekommen? Um zu beweisen, daß Sie sich mit jedem Pyrraner messen können?“
„Eins zu null für Sie“, gab Jason zu. „Ich hätte nicht gedacht, daß man es mir so deutlich angemerkt hat. Aber ich bin froh, daß Sie nicht nur Muskeln, sondern auch einen kritischen Verstand besitzen. Ja, ich gebe zu, daß das der Hauptgrund war — und meine angeborene Neugier.“
Kerk dachte weiter über dieses Thema nach und schien ziemlich verblüfft. „Sie sind also hierher gekommen, um zu beweisen, daß Sie es mit jedem Pyrraner aufnehmen können. Und trotzdem geben Sie jetzt zu, daß selbst ein Achtjähriger schneller als Sie ziehen kann: Das paßt nicht zu dem, was ich bisher von Ihnen gehört habe. Wenn Sie etwas mit einer Hand geben, nehmen Sie es vermutlich mit der anderen wieder zurück. In welcher Beziehung glauben Sie noch immer überlegen zu sein?“ Er stellte die Frage leichthin, aber sein Gesichtsausdruck zeigte, daß er ihr große Bedeutung beimaß.
Jason dachte lange nach, bevor er antwortete.
„Ich werde es Ihnen erklären“, sagte er schließlich. „Aber reißen Sie mir deswegen nicht gleich den Kopf ab. Ich vertraue darauf, daß Ihr Geist Ihre Reflexe kontrolliert. Ich werde nämlich einige Dinge erwähnen, die hier auf Pyrrus streng tabu sind.“
Kerk nickte langsam.
„In den Augen Ihrer Leute bin ich ein Schwächling, weil ich nicht hier geboren worden bin. Sie müssen sich aber darüber im klaren sein, daß das auch meine Stärke ist. Ich sehe Tatsachen, an die Sie sich schon so sehr gewöhnt haben, daß sie Ihnen nicht mehr auffallen. Sie wissen doch, die alte Geschichte mit dem Mann, der den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.“
Kerk nickte wieder zustimmend, und Jason sprach weiter. „Um die Analogie weiter fortzuführen, müßte ich erwähnen, daß ich in den ersten Wochen nach meiner Ankunft nur den Wald erkennen konnte. Aber in der Zwischenzeit sind mir einige Dinge aufgefallen. Ich glaube, daß Sie ebenfalls davon wissen, ohne jemals davon zu sprechen. Diese Dinge existieren nur in Ihren geheimsten Gedanken und sind ansonsten völlig tabu. Ich werde jetzt Ihren geheimsten Gedanken wiederholen und hoffe, daß Sie sich genügend beherrschen können, um mich nicht gleich in der Luft zu zerreißen.“
Kerks riesige Hände umklammerten die Lehnen seines Sessels. Jason sprach ruhig weiter, aber seine Stimme drang wie eine glühende Nadel in das Gehirn des anderen.
„Ich glaube, daß die Menschen allmählich den endlosen Krieg gegen den Planeten verlieren. Trotz einer seit mehreren Jahrhunderten andauernden Besiedlung gibt es nur eine Stadt — und die ist halbwegs verfallen. Als ob sie früher eine größere Bevölkerung gehabt hätte. Der Trick, mit dem wir eine Ladung Waffen beschafft haben, war ein Trick. Der Versuch hätte auch fehlschlagen können. Und was wäre dann aus der Stadt geworden? Die Pyrraner bewegen sich auf dem Rand des Vulkans, wollen diese Tatsache aber selbst auf keinen Fall wahrhaben.“
Kerk hörte gespannt zu. Jeder Muskel in seinem riesenhaften Körper war verkrampft, auf seiner Stirn standen dicke Schweißperlen. Er konnte jeden Augenblick explodieren, wenn Jason nicht behutsam vorging, deshalb suchte er nach einem Weg, um die Spannung zu mildern.
„Ich erwähne diese Tatsachen nicht aus Vergnügen. Ich tue es nur, weil ich weiß, daß sie Ihnen bereits bekannt sein müssen. Das dürfen Sie aber nicht zugeben, weil Sie dann auch eingestehen müßten, daß der ganze Kampf vergebens ist. Wenn die Bevölkerung tatsächlich allmählich abnimmt, ist der Kampf nur eine komplizierte und blutige Form eines Völkerselbstmordes. Sie könnten den Planeten verlassen, aber damit hätten Sie die Niederlage eingestanden. Und ich bin davon überzeugt, daß die Pyrraner den Tod einer Niederlage vorziehen.“
Als Kerk sich halb aus seinem Sessel erhob, stand Jason ebenfalls auf und sprach mit lauter Stimme weiter.
„Ich versuche Ihnen zu helfen — begreifen Sie denn das nicht? Lassen Sie doch die falschen Vorspiegelungen beiseite, damit erreichen Sie nichts. Im Augenblick kämpfen Sie einen bereits verlorenen Krieg. Das ist kein ehrlicher Kampf, sondern nur ein gefährliches Herumpfuschen an den Symptomen. Wie ein Leprakranker, der sich einen Finger nach dem anderen abschneidet. Das Endergebnis kann nur eine vollkommene Niederlage sein. Aber Sie wollen den Tatsachen nicht ins Auge sehen. Deshalb würden Sie mich auch lieber umbringen, als ruhig zuzuhören, während ich diese unaussprechlichen Tatsachen erwähne.“
Kerk sprang auf. Jason machte eine abwehrende Handbewegung und sprach unbeirrt weiter, obwohl er am liebsten so rasch wie möglich das Zimmer verlassen hätte.
„Sie müssen die Wirklichkeit nüchtern betrachten. Bisher haben Sie immer nur diesen ewigen Krieg vor Augen gehabt. Jetzt müssen Sie sich davon überzeugen lassen, daß Sie seine Ursachen beseitigen und den Krieg dadurch für immer beenden können.“
Als Kerk die Bedeutung dieses letzten Satzes verstanden hatte, schien sein Zorn mit einem Schlag verflogen zu sein. Er ließ sich in den Sessel fallen und starrte Jason ungläubig an. „Was soll das heißen? Was wollten Sie damit sagen? Man könnte Sie fast für einen verdammten Grubber halten!“
Jason erkundigte sich nicht danach, was ein Grubber war, merkte sich aber das Wort, weil er später fragen wollte, was es bedeutete.
„Sie reden Unsinn“, fuhr Kerk fort. „Wir leben eben auf einem uns feindselig gesinnten Planeten, auf dem wir uns unserer Haut wehren müssen. Die Ursachen dieses Kampfes gehören zu den Grundlagen unserer Existenz.“
„Nein, das stimmt nicht“, widersprach Jason. „Überlegen Sie doch selbst. Wenn Sie längere Zeit abwesend gewesen sind, müssen Sie einen Wiederholungskurs mitmachen. Um herauszubekommen, wie sich die Verhältnisse unterdessen verschlimmert haben. Das ist also eine völlig lineare Progression. Die Verhältnisse verschlimmern sich, wenn man die Zukunft betrachtet, deshalb müssen sie besser erscheinen, wenn die Vergangenheit herangezogen wird. Aus dieser Theorie ergibt sich zwingend obwohl ich nicht weiß, ob dafür Beweise vorhanden sind —, daß man nur weit genug in die Vergangenheit zurückzugehen braucht, um einen Zeitpunkt zu finden, an dem die Menschen und Pyrrus noch nicht im Kampf miteinander lagen.“
Kerk war so verblüfft, daß er nicht mehr protestieren konnte. Er hörte schweigend zu, während Jason seine Theorie entwickelte.
„Ich kann Ihnen einige Tatsachen aufzählen, die mich zu dieser Auffassung gebracht haben. Selbst Sie müssen doch zugeben, daß ich sämtliche pyrranischen Lebewesen aus eigener Anschauung kenne, obwohl ich nur wenigen von ihnen gewachsen sein dürfte. Und die gesamte Flora und Fauna von Pyrrus hat eine Eigenschaft gemeinsam — sie ist nicht im geringsten funktionell. Keine der unzähligen Angriffswaffen, mit denen alle Tiere ausgerüstet sind, richtet sich gegen ein anderes Lebewesen. Auch die Gifte scheinen für pyrranische Lebensformen unschädlich zu sein. Sie taugen nur für einen Zweck — dem Homo sapiens augenblicklich den Tod zu bringen. Und das ist eine physikalische Unmöglichkeit. In den dreihundert Jahren, seit die Menschen auf diesem Planeten sind, können die Lebewesen sich nicht auf natürliche Weise in dieser Art verändert haben.“
„Sie haben sich aber verändert!“ wandte Kerk heftig ein.
„Sie haben völlig recht“, erwiderte Jason gelassen. „Und wenn die Lebewesen sich angepaßt haben, muß irgend etwas sie dazu gezwungen haben. Ich habe allerdings nicht die geringste Vorstellung davon, wie so etwas bewerkstelligt werden konnte. Aber irgendwie sind die pyrranischen Lebewesen zu einer Kriegserklärung gegen die Menschen veranlaßt worden, und ich möchte den Grund dafür herausbekommen. Was war die dominierende Lebensform, als die ersten Siedler auf Pyrrus landeten?“
„Keine Ahnung“, gab Kerk offen zu. „Aber Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß es auf Pyrrus außer uns Menschen noch weitere intelligente Lebewesen geben muß? Andere Lebensformen, die diesen Krieg gegen uns inszeniert haben?“
„Ich behaupte gar nichts“, sagte Jason. „Aber Sie haben es getan. Das bedeutet, daß Sie allmählich verstehen, worauf ich hinaus will. Ich kann mir nicht vorstellen, was diesen Umschwung verursacht hat, aber ich möchte gern den Grund dafür herausbekommen. Vielleicht kann die Veränderung wieder rückgängig gemacht werden. Natürlich verspreche ich vorläufig noch gar nichts, dazu ist es noch zu früh. Aber Sie sehen doch ein, daß der Vorschlag es wert ist, daß man sich mit ihm beschäftigt?“
Kerk stand auf und ging unruhig vor seinem Schreibtisch hin und her. Seine schweren Schritte ließen den Fußboden deutlich schwanken. Er kämpfte mit sich. Die neuen Ideen lagen mit alten Vorstellungen im Streit. Alles war so plötzlich gekommen — und so schwer nicht zu glauben.
Jason fragte nicht erst nach Erlaubnis, sondern goß sich ein Glas Eiswasser aus der Flasche ein. Dann ließ er sich erschöpft auf einem Stuhl niedersinken. Ein Tier flatterte durch das offene Fenster herein und riß ein Loch in das Schutzgitter. Kerk erledigte es mit einem einzigen Schuß, ohne dabei aus dem Schritt zu kommen, ohne überhaupt zu wissen, daß er es getan hatte.
Die Entscheidung fiel schon nach kurzer Zeit. Der Pyrraner war daran gewöhnt, alles so rasch wie möglich zu erledigen, deshalb schob er sie nicht länger hinaus. Er blieb stehen und sah auf Jason herab.
„Ich kann nicht sagen, daß Sie mich völlig überzeugt haben, aber im Augenblick weiß ich keine Antwort auf Ihre Argumente. Bis mir eine einfällt, müssen wir so handeln, als ob sie zuträfen. Was haben Sie also vor, was können Sie überhaupt unternehmen?“
Jason zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. „Erstens brauche ich einen geschützten Raum, in dem ich leben und arbeiten kann. Ich muß mich auf meine Arbeit konzentrieren, anstatt nur dafür zu sorgen, daß ich am Leben bleibe. Zweitens möchte ich jemanden, der mir behilflich ist — und gleichzeitig als mein Leibwächter fungiert. Dabei denke ich allerdings an jemanden, der mehr Interessen als mein bisheriger Wachhund hat. Ich glaube, daß Meta sich für diesen Posten am besten eignet.“
„Meta?“ fragte Kerk überrascht. „Sie hat wichtige Aufgaben als Raumpilotin und innerhalb unseres Verteidigungssystems zu erfüllen; in welcher Beziehung könnte sie Ihnen denn überhaupt behilflich sein?“
„In jeder. Sie ist bereits auf anderen Planeten gewesen und weiß, daß man gelegentlich seinen Standpunkt verändern muß wenigstens geringfügig. Und sie weiß ebenso viel über Pyrrus wie jeder andere Erwachsene, so daß sie meine Fragen beantworten kann.“ Jason lächelte. „Außerdem ist sie ein sehr hübsches Mädchen, deren Gesellschaft ich als angenehm empfinde.“
Kerk grinste ebenfalls. „Ich habe mich schon gefragt, ob Sie den letzten Punkt auslassen würden. Aber die anderen klingen wenigstens vernünftig, deshalb will ich mich nicht mit Ihnen streiten. Ich werde zusehen, daß ich einen Ersatz für sie finde, und Meta herschicken lassen. In der Stadt gibt es genügend hermetisch abgeschlossene Gebäude, die Sie benützen können.“
Nachdem er mit seinen Assistenten im Nebenraum gesprochen hatte, ließ Kerk sich über das Visiphon auf seinem Schreibtisch mit einigen anderen Männern verbinden. Die betreffenden Befehle wurden rasch erteilt und ebenso schnell bestätigt. Jason beobachtete die Vorgänge äußerst interessiert.
„Entschuldigen Sie eine dumme Frage“, sagte er dann. „Aber sind Sie der Diktator von Pyrrus? Wenn Sie nur mit den Fingern schnalzen, springen die anderen schon.“
„Wahrscheinlich sieht es so aus“, gab Kerk zu. „Aber das ist eine Illusion. Auf Pyrrus gibt es niemanden, der für alles verantwortlich ist, aber andererseits auch kein demokratisches System. Schließlich entspricht die gesamte Bevölkerung der Größe nach etwa einer Heeresdivision. Jeder übernimmt die Aufgaben, für die er am besten geeignet ist. Die verschiedenen Gebiete sind in Abteilungen zusammengefaßt, für die ein Leiter verantwortlich ist. Ich leite den Sektor Koordination und Versorgung, der am wenigsten straff organisiert ist. Wir übernehmen alles, was nicht in das Gebiet anderer Abteilungen fällt, und sorgen für den Nachschub von anderen Planeten.“
Meta betrat den Raum und wandte sich an Kerk. Sie ignorierte Jasons Anwesenheit völlig. „Ich bin abgelöst worden und sollte mich bei dir melden“, sagte sie. „Worum handelt es sich? Ist der Flugplan geändert worden?“
„So könnte man auch sagen“, meinte Kerk. „Ab sofort bist du von deinen bisherigen Aufgaben befreit und einer neuen Abteilung — Untersuchung und Forschung — zugeteilt. Der müde junge Mann dort drüben ist dein zukünftiger Chef.“
„Ein Sinn für Humor“, warf Jason ein. „Der einzige Pyrraner, der ihn andeutungsweise besitzt. Meinen Glückwunsch, vielleicht ist der Planet doch noch zu retten!“
Meta sah von einem zum anderen. „Ich verstehe das alles gar nicht. Was soll das überhaupt heißen? Ich meine, eine neue Abteilung — warum denn?“ Sie schien nervös und verwirrt zu sein.
„Tut mir leid“, sagte Kerk. „Ich wollte nicht verletzend sein, sondern dachte, daß du die Angelegenheit eher auf die leichte Schulter nehmen würdest. Was ich gesagt habe, ist wahr. Jason hat eine Entdeckung gemacht — oder vielleicht eine Entdeckung gemacht —, die sich für uns als äußerst wertvoll erweisen kann. Willst du ihm dabei helfen?“
Meta hatte ihre Beherrschung wiedergefunden. Und war jetzt fast wütend. „Muß ich denn? Ist das ein Befehl? Du weißt, daß ich wichtige Aufgaben habe. Ein Fremder kann sich gar nicht vorstellen, wie…“
„Halt, kein Wort mehr. Das Ganze ist ein ausdrücklicher Befehl.“ Aus Kerks Stimme war alle Freundlichkeit verschwunden. Meta wurde rot und sah zu Boden.
„Vielleicht kann ich es ihr erklären“, warf Jason ein. „Schließlich handelt es sich dabei um meinen Vorschlag. Aber zuerst muß ich dich um etwas bitten, Meta. Nimmst du das Magazin aus deiner Pistole und gibst es Kerk?“
Meta starrte ihn erschrocken an, aber Kerk nickte zustimmend. „Nur für ein paar Minuten, Meta. Keine Angst, ich habe ja noch meine Waffe. Du begibst dich also keineswegs in Gefahr. Ich glaube zu wissen, was Jason vorhat, deshalb ist seine Vorsichtsmaßnahme nur verständlich.“
Meta entlud zögernd ihre Pistole und schob Kerk das gefüllte Magazin über den Schreibtisch. Erst dann begann Jason mit seiner Erklärung.
„Ich habe mir eine Theorie über das Leben auf Pyrrus zurechtgelegt, die vermutlich einige deiner Illusionen zerstören wird. Zu Anfang steht die Tatsache, daß die Menschen hier einen aussichtslosen Krieg führen, den sie früher oder später verlieren werden…“
Bevor er den Satz beenden konnte, zielte Metas Pistole bereits auf seine Stirn. Das Mädchen betätigte mehrmals den Abzug, bis ihr einfiel, daß die Waffe entladen war. Ihr Gesichtsausdruck verriet grenzenlosen Haß und Abscheu. Dieser Gedanke schien ihr schrecklicher als jeder andere zu sein — daß der Krieg bereits verloren sein könnte, dem sie ihr ganzes bisheriges Leben gewidmet hatte.
Kerk faßte sie an den Schultern und drückte sie auf einen Stuhl nieder, bevor sie sich auf Jason stürzen konnte. Sie brauchte einige Minuten, bevor sie sich wieder so weit beruhigt hatte, daß er mit seiner Erklärung fortfahren konnte. Sicher war es ein schwerer Schlag für sie, alle bisherigen Ideale zerstört zu sehen. Nur die Tatsache, daß sie andere Planeten kennengelernt hatte, auf denen das Leben in anderen Bahnen verlief, machte sie überhaupt für seinen Vorschlag empfänglich.
Sie starrte ihn noch immer ungläubig an, als er berichtet hatte, was vorher zwischen ihm und Kerk diskutiert worden war. Sie saß sprungbereit auf ihrem Stuhl und schien sich jeden Augenblick auf Jason stürzen zu wollen. Wahrscheinlich hätte sie es auch getan, wenn Kerk sie nicht festgehalten hätte.
„Vielleicht war das etwas zuviel auf einmal“, meinte Jason. „Ich werde es einfacher ausdrücken. Ich glaube, daß ich… daß wir die Ursache dieses unablässigen Hasses gegenüber allen Menschen herausbekommen können. Vielleicht besitzen wir einfach nicht den richtigen Körpergeruch. Vielleicht entdecken wir eine Pflanze, mit deren Saft wir uns einreiben müssen, um sofort gegen alles immun zu sein. Ich habe wie gesagt keine Ahnung, was dabei herauskommen kann. Trotzdem ist die Sache eine Untersuchung wert. Kerk ist meiner Auffassung.“
Meta sah zu Kerk hinüber, der zustimmend nickte. Sie zuckte unsicher mit den Schultern und wandte sich wieder an Jason.
„Ich… bin noch nicht überzeugt und begreife auch gar nicht alles, was du gesagt hast. Aber ich werde dir helfen, so gut ich kann. Weil Kerk glaubt, daß du recht hast.“
„Das klingt schon besser“, meinte Kerk zufrieden. „Willst du jetzt dein Pistolenmagazin zurück? Versprichst du mir, daß du nicht auf Jason schießt?“
„Das war eine Dummheit“, erwiderte sie mit kalter Stimme, während sie ihre Waffe lud. „Dazu brauche ich keine Pistole. Wenn ich ihn umbringen will, kann ich es auch mit bloßen Händen tun.“
„Ich liebe dich auch“, sagte Jason lächelnd. „Können wir jetzt gehen?“
„Selbstverständlich.“ Meta strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Zunächst müssen wir ein Gebäude finden, in dem du ungestört leben kannst. Dafür werde ich sorgen, aber von dann ab bist du für die Arbeit der neuen Abteilung verantwortlich.“