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Die Armee des Fistandantilus überquerte die Straße von Schallmeer in einer baufälligen Flotte, die sich aus Fischerbooten, Segelschiffen, einfachen Flößen und Vergnügungsbooten zusammensetzte. Trotz der geringen Entfernung nahm es eine Woche in Anspruch, die Menschen, die Tiere und die Versorgungsgüter zu transportieren.

Als Caramon zur Überfahrt bereit war, hatte die Armee einen so starken Zuwachs erhalten, daß nicht genügend Boote vorhanden waren, um alle auf einmal auf die andere Seite zu befördern. Viele Schiffe mußten mehrere Male hin und her segeln. Die größten wurden für den Viehtransport eingesetzt. In schwimmende Ställe umgewandelt, gab es Boxen für die Pferde und die mageren Rinder und Pferche für die Schweine.

Obwohl eigentlich alles glatt verlief, bekam Caramon jede Nacht nur ungefähr drei Stunden Schlaf, so beschäftigt war er mit Problemen, von denen alle überzeugt waren, daß nur er sie lösen konnte – von seekranken Rindern bis hin zu einer mit Schwertern beladenen Kiste, die zufälligerweise über Bord fiel und wieder geborgen werden mußte. Als dann das Ende abzusehen war und fast alle das andere Ufer erreicht hatten, kam ein Sturm auf. Das Meerwasser zu Schaum aufpeitschend, brachte der Sturm zwei Boote zum Scheitern, die aus ihren Vertäuungen glitten. Zwei Tage lang war eine Überfahrt nicht möglich.

Aber schließlich schafften es alle in verhältnismäßig guter Verfassung. Es gab nur wenige Fälle von Seekrankheit, ein Kind fiel über Bord und wurde gerettet, ein Pferd brach sich ein Bein, als es in Panik seine Box niedertrat.

Bei der Landung an der Küste von Abanasinia traf die Armee auf den Häuptling der Menschen der Ebenen – die Barbaren, die die nördlichen Ebenen Abanasinias bewohnten, waren begierig, das fabelhafte Gold von Thorbadin zu gewinnen – und auf die Abgesandten der Hügelzwerge. Als Caramon den Vertreter der Hügelzwerge kennenlernte, erlebte er einen tiefen Schock, der ihn tagelang aus der Fassung brachte.

»Regar Feuerschmied und Begleitung«, verkündete Garik vom Zelteingang her. Er machte Platz und ließ eine Gruppe von drei Zwergen eintreten.

Caramon starrte den ersten Zwerg ungläubig an. Raistlins dünne Finger schlossen sich schmerzhaft um seinen Arm.

»Kein Wort!« flüsterte der Erzmagier.

»Aber er... er sieht aus... und der Name!« stammelte Caramon leise.

»Natürlich«, entgegnete Raistlin, als wäre das das Selbstverständlichste auf der Welt, »das ist Flints Großvater.«

Flints Großvater! Flint Feuerschmied – sein alter Freund. Der alte Zwerg, der in der Heimat der Götter in Tanis’ Armen gestorben war, der alte Zwerg, so mürrisch und jähzornig und dennoch so zartfühlend, der Zwerg, der auf Caramon uralt gewirkt hatte. Er war noch nicht einmal geboren! Das war sein Großvater.

Caramon wurde heiß, dann kalt. Flint war noch nicht geboren. Tanis existierte noch nicht, Tika existierte nicht. Er selbst existierte nicht! Nein! Das konnte nicht sein!

Das Zelt kippte vor Caramons Augen um. Er befürchtete, krank zu sein. Glücklicherweise sah Raistlin die Blässe im Gesicht seines Bruders. Indem er erkannte, was das Gehirn seines Bruders zu verarbeiten versuchte, erhob er sich, stellte sich vor seinen verwirrten Bruder und sprach die angemessenen Willkommensworte zu den Zwergen. Aber gleichzeitig warf er Caramon einen dunklen, durchdringenden Blick zu, ihn streng an seine Pflicht erinnernd.

Caramon riß sich zusammen und schaffte es, die beunruhigenden und verwirrenden Gedanken beiseite zu schieben und sich einzureden, daß er sich später in Ruhe damit auseinandersetzen würde. Das hatte er sich in letzter Zeit häufig vorgenommen. Unglücklicherweise schien niemals eine ruhige Zeit zu kommen...

Caramon stand auf. Es gelang ihm sogar, die Hand des untersetzten, graubärtigen Zwergs gelassen zu schütteln.

»Ich habe es nie für möglich gehalten«, erklärte Regar frei heraus, als er sich auf einen angebotenen Stuhl setzte und einen Krug Bier annahm, den er in einem Zug hinunterstürzte, »daß ich mich auf Verhandlungen mit Menschen und Zauberern einlasse, insbesondere, wenn es gegen mein eigen Fleisch und Blut geht.« Er warf einen finsteren Blick in den leeren Krug.

Caramon bedeutete dem Diener mit einer Geste, den Krug nachzufüllen.

Regar behielt seinen finsteren Blick bei, bis sich der Schaum gesetzt hatte. Dann hob er ihn seufzend zu Caramon, der zu seinem Stuhl zurückgekehrt war. »Seltsame Zeiten bringen seltsame Brüder zustande.«

»Das kannst du wohl laut sagen«, murmelte Caramon mit einem kurzen Blick zu Raistlin. Er hob sein Glas mit Wasser und trank es. Raistlin befeuchtete aus Höflichkeit seine Lippen an einem Glas Wein, dann stellte er es ab.

»Wir werden uns morgen früh treffen, um unsere Pläne zu erörtern«, sagte Caramon. »Der Häuptling der Barbaren wird dann auch dabei sein.« Regars finsterer Blick vertiefte sich, und Caramon seufzte innerlich auf; er sah Ärger voraus. Aber er fuhr in herzlichem Ton fort: »Heute abend werden wir gemeinsam speisen, um unser Bündnis zu besiegeln.«

Daraufhin erhob sich Regar. »Ich werde wohl mit den Barbaren kämpfen müssen«, knurrte er. »Aber beim Barte Reorx’, ich werde nicht mit ihnen speisen – und auch nicht mit dir!«

Caramon stand wieder auf. In seine zeremonielle Rüstung gekleidet, bot er einen eindrucksvollen Anblick.

Der Zwerg spähte zu dem Krieger hoch. »Du bist ganz schön groß, nicht wahr?« bemerkte er. Schnaufend schüttelte er den Kopf. »Aber ich glaube eher, daß du mehr Muskeln als Grips im Kopf hast.«

Caramon konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, obwohl sein Herz schmerzte. Es hörte sich so sehr nach Flint an!

Aber Raistlin lächelte nicht. »Mein Bruder hat für militärische Angelegenheiten eine außerordentliche Begabung«, sagte er kalt und unerwartet. »Als wir von Palanthas aufbrachen, waren wir lediglich drei. Es ist General Caramons Geschick und schnellem Denkvermögen zu verdanken, daß wir in der Lage waren, diese mächtige Armee zu deinen Ufern zu bringen. Du kannst also wohl seine Führerschaft akzeptieren.«

Regar schnaufte wieder und beäugte Raistlin scharf unter seinen buschigen, grauen, überhängenden Brauen hervor. Seine schwere Rüstung klirrte und rasselte um ihn, als er sich umdrehte und aus dem Zelt stapfen wollte, doch dann hielt er inne. »Drei von euch, aus Palanthas? Und jetzt – das?« Seine durchdringenden dunklen Augen glitten zu Caramon, seine Hand machte eine umfassende Bewegung, die das Zelt, die Ritter in ihren glänzenden Rüstungen, die draußen Wache hielten, die Hunderte von Männern, die er beim Entladen der Versorgungsgüter gesehen hatte, die anderen Männer, die Kampftechniken übten, die Reihen der Kochfeuer einbezog...

Überrascht von dem ungewohnten Lob seines Bruders, versagte Caramon die Stimme. Aber er schaffte ein Nicken.

Der Zwerg schnaufte wieder, aber diesmal lag mürrische Bewunderung in seinen Augen, als er sich klirrend aus dem Zelt bewegte. Plötzlich wandte er den Kopf ins Zelt zurück. »Ich komme zum Abendessen«, knurrte er ungnädig, dann stampfte er von dannen.

»Auch ich muß aufbrechen, mein Bruder«, sagte Raistlin geistesabwesend, als er sich erhob und zum Zelteingang ging. Er schien in Gedanken verloren, als er eine Berührung auf seinem Arm wahrnahm. Über diese Störung verärgert, sah er seinen Bruder an. »Nun?«

»Ich... ich wollte nur sagen... ich danke dir.« Caramon schluckte, dann fuhr er heiser fort: »Für das, was du gesagt hast. Du... du hast niemals gesagt... so etwas Ähnliches über mich gesagt... zuvor.«

Raistlin lächelte. Sein dünnlippiges Lächeln spiegelte sich nicht in seinen Augen, aber Caramon war zu verlegen und erfreut, um das zu bemerken.

»Es ist die schlichte Wahrheit, mein Bruder«, erwiderte Raistlin achselzuckend. »Und es half, unser Ziel zu erreichen, da wir diese Zwerge als Verbündete brauchen. Ich habe dir schon oft gesagt, daß du Qualitäten hast, wenn du nur die Zeit und die Mühe auf dich nehmen würdest, sie zu entwickeln. Immerhin sind wir Zwillinge«, fügte er hinzu. »Ich glaube nicht, daß wir uns so unähnlich sein können, wie du dir immer einredest.« Er wollte seinen Weg fortsetzen, als er noch einmal die Hand seines Bruders an seinem Arm fühlte. Einen ungeduldigen Seufzer unterdrückend, wandte er sich um.

»Ich wollte dich damals in Istar töten, Raistlin...« Caramon stockte, befeuchtete seine Lippen. »Und ich glaube, daß ich Grund dazu hatte. Zumindest nach dem, was ich da erfahren habe. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.« Er seufzte, sah auf seine Füße, hob dann seinen roten Kopf. »Mir... gefällt der Gedanke, daß du dies getan hast – daß du die Magier in eine Situation gebracht hast, daß sie mich in die Vergangenheit zurückgeschickt haben – um mir zu helfen, diese Lektion zu lernen. Das war wohl nicht der Grund«, fügte Caramon eilig hinzu, als er sah, wie sich die Lippen seines Bruders zusammenzogen und seine kalten Augen noch kälter wurden, »und ich bin sicher, daß es zumindest nicht alles ist. Du tust das für dich selbst, das habe ich jetzt erkannt. Aber ich glaube, irgendwo nimmt ein Stück von dir Anteil, wenigstens ein bißchen. Ein Teil von dir hat mich in Schwierigkeiten gesehen, und du wolltest helfen.«

Raistlin musterte amüsiert seinen Bruder. Dann zuckte er wieder die Achseln. »Na schön, Caramon. Wenn deine romantische Vorstellung dir hilft, besser zu kämpfen, wenn sie deinem Denken hilft und wenn sie mich vor allem aus diesem Zelt führt und zurück zu meiner Arbeit, dann halte auf alle Fälle daran fest. Für mich hat es wenig Bedeutung.« Er entzog sich dem Griff seines Bruders und ging zum Zelteingang. Dort angekommen, zögerte er. Er wandte den Kopf halb um und sagte mit leiser, aber aufgebrachter Stimme, in die sich ein Hauch von Traurigkeit mischte: »Du hast mich nie verstanden, Caramon.« Dann verschwand er; seine schwarzen Roben raschelten um seine Knöchel.

Das Festessen an jenem Abend wurde im Freien abgehalten. Der Anfang war nicht gerade erfolgversprechend.

Speisen und Getränke waren auf langen Holztischen aufgestellt, die eilig aus den für die Überfahrt verwendeten Flößen gebaut worden waren. Regar erschien mit einer ungefähr vierzig Zwerge starken Eskorte. Schattennacht, Häuptling der Barbaren, dessen grimmiges Gesicht, hoher Wuchs und stolzes Auftreten Caramon unweigerlich an Flußwind erinnerten, brachte vierzig Krieger mit. Caramon wiederum hatte vierzig seiner Männer ausgewählt, von denen er wußte oder zumindest hoffte, daß er ihnen vertrauen konnte und sie sich mit dem Schnaps zurückhielten.

Gemäß Caramons Plan sollten die einzelnen Gruppen für sich sitzen, also Zwerge und Barbaren voneinander getrennt. So würden sie sich nicht in Gespräche einlassen können. Als alle Gruppen erschienen waren, standen sie da und starrten sich in grimmigem Schweigen an. Die Zwerge hatten sich um ihren Führer geschart, die Barbaren um ihren, während sich Caramons Männer unsicher umschauten.

Caramon trat vor die zwei Gruppen. Er hatte sich sorgfältig angezogen, trug seine goldene Rüstung und den Helm von den Gladiatorenspielen sowie neue, zusammenpassende Teile. Mit seiner bronzenen Haut, seinem unvergleichlichen Körperbau bot er eine imponierende Erscheinung, so daß selbst die mürrischen Zwerge Blicke widerwilliger Anerkennung austauschten.

Caramon hob die Hände. »Ich begrüße meine Gäste!« rief er mit seiner lauten Baritonstimme. »Willkommen! Dies ist ein Festessen der Kameradschaft...«

Spöttisches Gemurmel und höhnisches Schnaufen war die Antwort. Einer der Zwerge spuckte auf den Boden; dies brachte mehrere Barbaren dazu, ihre Bogen zu ergreifen und einen Schritt nach vorn zu treten, da das Ausspucken als schlimme Beleidigung bei den Menschen der Ebene angesehen wurde. Ihr Häuptling hielt sie zurück, und die Unterbrechung kühl ignorierend, fuhr Caramon fort: »Wir werden gemeinsam kämpfen, vielleicht auch gemeinsam sterben. Laßt uns darum unseren ersten Abend gemeinsam verbringen und Essen und Trinken wie Brüder teilen. Ich weiß, daß es euch nicht behagt, von euren Verwandten und Freunden getrennt zu sein, aber ich will, daß ihr neue Freundschaften schließt. Und aus diesem Grund habe ich mich zu einem kleinen Spiel entschieden.«

Die Zwerge rissen die Augen auf, Bärte wackelten, und leises Murren rumorte durch die Luft. Kein erwachsener Zwerg gab sich jemals mit Spielen ab! (Gewisse Freizeitaktivitäten wie »Steintreffen« und »Hammerwerfen« waren als sportliche Leistungen anerkannt.) Schattennacht und seine Männer jedoch freuten sich; die Barbaren liebten Spiele und Wettkämpfe, diese wurden genauso als Vergnügen betrachtet wie das Kriegführen gegen benachbarte Stämme.

Caramon wies auf ein neues, riesiges, kegelförmiges Zelt, das hinter den Tischen stand und Gegenstand vieler neugieriger, argwöhnischer Blicke der Zwerge und Barbaren gewesen war. Es war über sechs Meter hoch und wurde von Caramons Flagge gekrönt. Die Seidenflagge mit dem neunzackigen Stern flatterte im Abendwind, angestrahlt von den Lagerfeuern, die in der Nähe brannten.

Als alle Blicke auf das Zelt gerichtet waren, streckte Caramon seine Hand aus, und mit einem Ruck zog er an einem Seil. Sofort fielen die Zeltwände zu Boden, und auf ein Signal von Caramon wurden sie von mehreren Jungen weggezogen.

»Was ist das für ein Unsinn?« knurrte Regar, an seiner Axt fummelnd.

Ein einzelner, schwerer Pfahl erhob sich aus einem See schwarzen Schlammes. Der Schaft des Pfahls war glattgehobelt und glänzte im Schein des Feuers. Dicht unter der Spitze des Pfahls befand sich eine runde Plattform aus solidem Holz, in die jedoch einige unregelmäßige Löcher geschnitten waren.

Aber es war nicht der Anblick des Pfahls oder der Plattform und des Schlammes, der plötzliche Ausrufe des Erstaunens und der Aufregung von Zwergen und Menschen hervorrief. Es war der Anblick, der sich ganz oben an der Pfahlspitze bot. Im Feuerschein glänzten ein Schwert und eine Streitaxt. Aber es handelte sich nicht um die primitiven Eisenwaffen, die die meisten trugen. Diese waren aus dem feinsten geschmiedeten Stahl, ihre hervorragende Handarbeit war für jene sichtbar, die sie aus fast zehn Meter Entfernung anstarrten.

»Beim Barte Reorx’!« Regar holte tief Luft. »Ich würde für diese Waffe fünfzig Jahre meines Lebens eintauschen!«

»Diese Waffen gehören euch!« verkündete Caramon.

Schattennacht und Regar starrten ihn an, ihre Gesichter drückten sprachlose Verwunderung aus.

»Wenn«, fuhr Caramon fort, »ihr sie herunterholen könnt!«

Ein Stimmengewirr brach unter den Zwergen und Menschen aus. Sofort stürzte jeder zu der Grube.

Caramon schrie über den Tumult hinweg: »Regar und Schattennacht, jeder von euch kann neun Krieger zur Hilfe auswählen! Der erste, der die Prämien erreicht, gewinnt sie für sich!«

Schattennacht brauchte nicht gedrängt zu werden. Ohne sich um Hilfe zu scheren, sprang er in den Schlamm und begann, auf den Pfahl zuzuwaten. Aber der Schlamm wurde tiefer und tiefer, je näher er dem Ziel kam. Als er den Pfahl erreicht hatte, war er bis über seine Knie in die schleimige Masse eingesunken.

Regar nahm sich die Zeit, seinen Gegner zu beobachten. Der Zwergenführer rief neun seiner kräftigsten Männer zusammen und trat mit ihnen in den Schlamm. Die gesamte Gruppe verschwand unverzüglich, ihre schweren Rüstungen ließen sie fast sofort versinken. Ihre Gefährten halfen, sie herauszuziehen. Der letzte, der auftauchte, war Regar.

Flüche ausstoßend wischte der Zwerg den Schlamm aus seinem Bart, dann zog er mit finsterem Blick seine Rüstung aus. Seine Axt hoch über den Kopf haltend, watete er aufs neue in den Schlamm, ohne auf seine Eskorte zu warten.

Schattennacht hatte den Pfahl erreicht. An dieser Stelle war der Schlamm nicht so tief – darunter war fester Boden. Der Häuptling umklammerte den Pfahl mit beiden Armen, zog sich aus dem Schlamm hoch und wickelte seine Beine um den Pfahl. Er kletterte ungefähr einen Meter nach oben und grinste seine Stammesbrüder breit an. Dann plötzlich begann er herunterzurutschen. Er biß die Zähne zusammen, versuchte verzweifelt, nicht loszulassen, aber es war sinnlos. Schließlich rutschte der große Häuptling unter dem Gejohl zwergischen Hohns zu Boden. Im Schlamm sitzend, funkelte er grimmig den Pfahl an. Er war mit Tierfett eingeschmiert.

Eher schwimmend als laufend erreichte Regar schließlich den Pfahl. Er steckte inzwischen bis zur Taille im Schlamm, aber sein enormer Ehrgeiz hielt ihn aufrecht.

»Tritt beiseite«, knurrte er den Barbaren an. »Benutze dein Gehirn! Wenn wir nicht hochkommen, dann holen wir eben den Preis herunter!«

Mit einem triumphierenden Grinsen auf seinem schlammverspritzten, bärtigen Gesicht holte Regar seine Axt hervor und führte einen gewaltigen Schlag gegen den Pfahl.

Heimlich grinsend krümmte sich Caramon vor Vorfreude.

Ein ohrenbetäubendes Geräusch ertönte. Die Axt des Zwergs prallte vom Pfahl zurück, als ob sie in ein Gebirge eingeschlagen hätte – der Pfahl war aus dem dicken Stamm eines Eisenholzbaumes gehauen worden. Als die zurückprallende Axt aus den klebrigen Händen des Zwergen flog, wurde Regar durch die Wucht des Aufschlags rücklings in den Schlamm geworfen. Jetzt waren die Barbaren mit dem Lachen an der Reihe – und kein anderer war lauter als ihr schlammüberzogener Häuptling.

Der Zwerg und der Mensch funkelten sich an, strafften sich. Das Gelächter erstarb, wurde durch wütendes Gemurmel ersetzt. Caramon hielt den Atem an. Dann glitten Regars Augen zu der eingekerbten Axt, die langsam im Schlamm versank. Er sah zu der wunderschönen Axt hin, deren Stahl im Feuerschein aufblitzte, und mit einem finsteren Blick wandte er sich zu seinen Männern.

Regars Männer hatten sich ebenfalls ihrer Rüstungen entledigt und inzwischen ihren Anführer erreicht. Schreiend und fuchtelnd gab Regar ihnen zu verstehen, sie sollten sich neben dem klebrigen Pfahl aufstellen. Dann begannen die Zwerge, eine Pyramide zu bilden. Drei standen unten, zwei kletterten auf ihre Rücken, dann ein weiterer oben drauf. Die unterste Reihe versank bis zur Taille im Schlamm, aber schließlich fanden sie festen Boden und standen sicher.

Schattennacht beobachtete den Aufbau in grimmigem Schweigen, dann rief er neun seiner Krieger zu sich. Innerhalb von Sekunden bauten die Menschen ihre eigene Pyramide. Da die Zwerge kleiner waren, waren sie gezwungen, ihre Pyramide am Boden zu verkleinern, um die Spitze zu erreichen. Regar selbst machte den letzten Aufstieg. Schwankend auf der Spitze stehend, während die Zwerge unter ihm stöhnten, streckte er seine Arme der Plattform entgegen, aber nicht weit genug.

Schattennacht, der über die Rücken seiner Männer kletterte, erreichte mühelos die Unterseite der Plattform. Über das schlammverschmierte Gesicht Regars lachend, versuchte der Häuptling, sich durch eine der merkwürdig geformten Öffnungen zu hangeln. Er paßte nicht durch.

Fluchen und Luftanhalten erwiesen sich als nutzlos. Der Mensch konnte seinen drahtigen Körper nicht durch das kleine Loch zwingen. In diesem Augenblick setzte Regar zu einem Sprung auf die Plattform an – und verfehlte sie.

Der Zwerg segelte durch die Luft und landete mit einem Plumps in dem Schlamm, während die Wucht seines Sprungs die gesamte Pyramide zum Einstürzen brachte und die Zwerge in alle Richtungen schleuderte.

Dieses Mal jedoch lachten die Menschen nicht. Schattennacht starrte auf Regar hinab und sprang plötzlich in den Schlamm. Er landete neben dem Zwerg, bekam ihn zu fassen und zog ihn aus dem Schlamm.

Jetzt waren beide fast nicht mehr zu erkennen, von Kopf bis Fuß mit schwarzem Schlamm überzogen. Sie standen da und starrten einander an.

»Du weißt genau«, sagte Regar, sich den Schlamm aus den Augen wischend, »daß ich der einzige bin, der durch das Loch paßt.«

»Und du weißt genau«, erwiderte Schattennacht mit zusammengebissenen Zähnen, »daß ich der einzige bin, der dich dort hochbringen kann.«

Der Zwerg ergriff die Hand des Barbaren. Die zwei bewegten sich schnell über die Menschenpyramide. Schattennacht kletterte zuerst, schuf die Verbindung zur Spitze. Alle jubelten, als Regar auf die Schultern des Mannes kletterte und sich durch das Loch quetschte.

Auf die Plattform kriechend, ergriff der Zwerg den Knauf des Schwertes und den Griff der Axt und hob sie triumphierend über seinen Kopf. Die Menge verstummte. Wieder sahen sich Mensch und Zwerg argwöhnisch an.

Das ist es, dachte Caramon. Wieviel von Flint habe ich in dir erkannt, Regar? Wieviel von Flußwind in dir, Schattennacht? Es hängt so viel davon ab!

Regar spähte durch das Loch auf das strenge Gesicht des Barbaren herab. »Diese Axt, die von Reorx selbst geschmiedet sein muß, verdanke ich dir, Barbar. Es wird für mich eine Ehre sein, an deiner Seite zu kämpfen. Und wenn du mit mir kämpfen willst, brauchst du eine anständige Waffe!« Unter dem Jubel des gesamten Lagers überreichte er Schattennacht das großartige, glänzende Schwert.

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