10

Kharas tippte leicht auf den Gaststein der vor Dunkans Wohnhaus stand und wartete nervös auf die Antwort. Sie kam schnell. Die Tür öffnete sich, und im Rahmen stand sein König.

»Tritt ein und sei willkommen, Kharas«, grüßte Dunkan und zog den Zwerg hinein.

Vor Verlegenheit errötend trat Kharas in das Wohnhaus seines Königs. Ihn freundlich anlächelnd, um ihm seine Befangenheit zu nehmen, ging Dunkan voran zu seinem privaten Arbeitszimmer.

Tief unter der Erde im Herzen des Gebirgskönigreiches gebaut, war Dunkans Haus ein Labyrinth aus Räumen und Tunneln, die mit den schweren, dunklen und soliden Holzmöbeln ausgestattet waren, die die Zwerge so lieben. Obgleich größer und geräumiger als die meisten Häuser in Thorbadin, glich Dunkans Haus in jeder anderen Hinsicht den Behausungen der anderen Zwerge. Es wäre auch als die Höhe schlechten Geschmacks bewertet worden, wenn es anders gewesen wäre. Denn gerade weil Dunkan der König war, hatte er nicht das Recht zu Extravaganzen. Und aus diesem Grund hatte er zwar einen Stab von Dienern, öffnete aber selbst die Tür und bediente seine Gäste persönlich. Als Witwer lebte er in dem Haus mit seinen zwei jungen Söhnen (erst achtzig), die noch unverheiratet waren.

Das Arbeitszimmer, in das Kharas geführt wurde, war offensichtlich Dunkans Lieblingsraum. Kriegsäxte und Schilde schmückten die Wände sowie eine prächtige Sammlung erbeuteter Hobgoblin-Schwerter mit ihren Krummklingen, ein von einem entfernten Vorfahren erworbener Minotaurusdreizack und natürlich Hämmer, Meißel und anderes Steinmetzwerkzeug.

Dunkan bewirtete seinen Gast mit wahrer Zwergengastfreundschaft, bot ihm den besten Stuhl an, goß ihm Bier ein und schürte das Feuer.

Kharas war natürlich schon hier gewesen, in der Tat viele Male. Aber jetzt fühlte er sich unbehaglich und befangen, als ob er das Haus eines Freundes betreten hätte. Vielleicht lag es an Dunkan, der seinen Freund zwar mit seiner üblichen Liebenswürdigkeit behandelte, aber den bartlosen Zwerg gelegentlich mit einem merkwürdigen, durchdringenden Blick betrachtete.

Da er diesen ungewöhnlichen Blick in Dunkans Augen bemerkte, war es Kharas unmöglich, sich zu entspannen. So zappelte er unruhig auf seinem Stuhl herum, während er auf die Beendigung der Formalitäten wartete.

Das geschah schnell. Dunkan, der sich selbst einen Krug Bier eingeschenkt hatte, leerte ihn in einem Zug. Dann strich er sich über den Bart und starrte Kharas mit einem dunklen, trübsinnigen Ausdruck an. »Kharas«, sagte er schließlich, »du hast uns gesagt, der Zauberer sei tot.«

»Ja, Lehnsherr«, antwortete Kharas verblüfft. »Ich habe ihm einen tödlichen Hieb verpaßt. Kein Mensch hätte das überleben können...«

»Er hat«, entgegnete Dunkan kurz.

Kharas’ Blick verfinsterte sich. »Beschuldigst du mich der...«

Jetzt errötete Dunkan. »Nein, mein Freund! Ich bin mir sicher, daß du wahrhaftig geglaubt hast, ihn getötet zu haben.« Er seufzte tief. »Aber unsere Kundschafter berichten, sie hätten ihn im Lager gesehen. Er war offenbar verwundet. Zumindest konnte er nicht mehr reiten. Die Armee marschierte jedoch weiter auf Zaman zu und transportierte den Zauberer auf einem Karren.«

»Lehnsherr!« protestierte Kharas, sein Gesicht war vor Zorn rot. »Ich schwöre es dir! Sein Blut spritzte über meine Hände! Ich riß das Schwert aus seinem Körper. Bei Reorx, ich sah den Tod in seinen Augen!«

»Ich zweifle nicht an dir!« sagte Dunkan aufrichtig und klopfte dem jungen Helden auf die Schulter. »Ich habe noch nie gehört, daß jemand eine Wunde überlebt hat, wie du sie beschrieben hast – außer in den alten Zeiten natürlich, als die Kleriker durch das Land gingen.«

Wie alle wahren Kleriker waren auch die Zwergenkleriker vor der Umwälzung verschwunden. Ungleich anderen Rassen auf Krynn hatten die Zwerge jedoch ihren Glauben an ihren uralten Gott Reorx, den Schmied der Welt, niemals aufgegeben. Die Zwerge waren zwar aufgebracht über Reorx, weil er die Umwälzung herbeigeführt habe, aber ihr Glaube war zu tief verwurzelt und stellte einen zu großen Teil ihrer Kultur dar, als daß sie ihn nach einem geringfügigen Verstoß des Gottes aufgegeben hätten. Sie waren jedoch aufgebracht genug, ihn nicht mehr offen zu verehren.

»Hast du irgendeine Idee, wie das passiert sein könnte?« fragte Dunkan stirnrunzelnd.

»Nein, Lehnsherr«, antwortete Kharas undeutlich. »Aber ich frage mich, warum wir von Caramon keine Antwort erhalten haben.« Er grübelte. »Wurden die zwei Gefangenen verhört, die wir mitgebracht haben? Sie könnten etwas wissen.«

»Ein Kender und ein Gnom?« schnaufte Dunkan. »Pah! Was sollen die schon wissen? Außerdem besteht keine Notwendigkeit, sie zu verhören. An diesem Zauberer bin ich nicht mehr sonderlich interessiert. In der Tat habe ich dich aus einem anderen Grund hierher gebeten. Ich bestehe nämlich darauf, Kharas, daß du endlich dieses Gerede über Frieden vergißt und dich auf den Krieg konzentrierst.«

»In diesen zwei stecken mehr als Bärte«, murmelte Kharas, ein altes Sprichwort zitierend. »Ich denke, du solltest...«

»Ich weiß, was du denkst«, unterbrach Dunkan grimmig. »Geister, von dem Zauberer herbeigerufen. Und ich sage dir, das ist lächerlich! Welcher sich selbst achtende Zauberer würde einen Kender herbeirufen? Nein, es waren Diener oder etwas Ähnliches. Im Zelt war es dunkel und alles durcheinander. Das hast du selbst gesagt.«

»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte Kharas leise. »Du hättest das Gesicht des Magiers sehen sollen, als er sie ansah! Es war das Gesicht eines, der in den Ebenen spaziert und plötzlich eine Truhe mit Gold und Juwelen im Sand vor seinen Füßen liegen sieht. Gib mir die Erlaubnis«, sagte er eifrig, »laß sie mich vor dich bringen. Sprich mit ihnen, um mehr bitte ich nicht!«

Dunkan stieß einen langen Seufzer aus, dann funkelte er Kharas düster an. »Na schön«, schnappte er. »Vermutlich kann das nicht schaden. Aber«, er musterte Kharas scharf, »wenn sich das Verhör als nutzlos erweist, mußt du mir versprechen, diesen wahnsinnigen Plan aufzugeben und dich auf den Krieg zu konzentrieren. Es wird ein harter Kampf«, fügte er sanfter hinzu, als er den Ausdruck wahren Kummers auf dem bartlosen Gesicht des jungen Helden sah.

»Wir brauchen dich, Kharas.«

»Ja, Lehnsherr«, sagte Kharas ruhig. »Ich bin einverstanden. Wenn es sich als nutzlos erweist.«

Mit einem mürrischen Nicken rief Dunkan nach seinen Wachen und stapfte aus dem Haus, gefolgt von einem nachdenklichen Kharas.

Sie gingen durch das unterirdische Zwergenkönigreich, gingen Straßen hinab und andere Straßen hinauf und fuhren mit einem Boot über den Urkansee, bis sie schließlich die erste Ebene der Verliese erreichten. Hier wurden Gefangene gehalten, die geringfügige Verstöße begangen hatten – Schuldner, ein junger Zwerg, der respektlos zu einem Älteren gesprochen hatte, Wilderer und mehrere Betrunkene, die ihren Rausch ausschliefen. Und hier wurden auch der Kender und der Gnom festgehalten.

Zumindest war das der Fall gewesen – in der Nacht zuvor.

»Das kommt alles nur so«, sagte Tolpan Barfuß, während die Zwergenwache ihn vorantrieb, »wenn man keine Karte hat.«

»Ich dachte, du hast gesagt, du wärst hier zuvor gewesen«, brummte Gnimsch übellaunig.

»Nicht zuvor«, verbesserte Tolpan. »Nachher. Oder vielleicht wäre ›später‹ ein besseres Wort. Ungefähr zweihundert Jahre später, so weit ich rechnen kann. Es ist in der Tat eine faszinierende Geschichte. Ich kam mit einigen Freunden hierher. Laß mal sehen... Das war nach der Hochzeit von Goldmond und Flußwind und bevor wir nach Tarsis weiterzogen. Oder sind wir erst in Tarsis gewesen?« Tolpan grübelte. »Nein, das kann nicht sein, weil in Tarsis das Gebäude auf mich gefallen ist und...«

»Ich habe diese Geschichte schon gehört!« rief Gnimsch. Seine dünne Gnomenstimme hallte in der unterirdischen Kammer, und er wurde von mehreren Passanten streng angefunkelt. Mit grimmigen Gesichtern trieben die Zwergenwachen ihre wiederergriffenen Gefangenen weiter.

»Oh«, machte Tolpan geknickt. Dann wurde er wieder froh. »Aber der König noch nicht, und wir werden jetzt zu ihm gebracht. Er wird wahrscheinlich recht interessiert sein...«

»Du hast aber gesagt, wir sollen überhaupt nichts über die Zukunft sagen«, erinnerte ihn Gnimsch flüsternd. »Wir sollen so tun, als ob wir hierher gehören, weißt du nicht mehr?«

»Da hatte ich gedacht, alles würde gut gehen«, erklärte Tolpan mit einem Seufzer. »Und alles ging gut. Das Gerät hat funktioniert, wir sind aus der Hölle entkommen...«

»Sie ließen uns entkommen«, warf Gnimsch ein.

»Nun, jedenfalls sind wir herausgekommen, darauf kommt es an. Und das magische Gerät hat funktioniert, wie du gesagt hast, und wir fanden Caramon. Aber dann«, Tolpan kaute nervös am Ende seines Haarzopfes, »ging alles irgendwie schief. Raistlin wird niedergestochen und ist vielleicht tot. Die Zwerge zerren uns mit, ohne mir Gelegenheit zu geben, ihnen zu sagen, daß sie einen großen Fehler begehen.« Der Kender trottete weiter. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich habe über alles nachgedacht, Gnimsch. Ich weiß, es ist eine Verzweiflungstat und eine, auf die ich normalerweise nicht zurückgreifen würde, aber ich glaube nicht, daß uns etwas anderes übrigbleibt. Die Situation ist uns gänzlich entglitten.« Er stieß einen feierlichen Seufzer aus. »Ich glaube, wir sollten die Wahrheit sagen.«

Gnimsch wirkte darüber so beunruhigt, daß er über seine Schürze stolperte und zu Boden fiel. Die Wachen zerrten den Gnom auf die Füße und zogen ihn den restlichen Weg mit sich, bis sie schließlich vor einer großen Holztür stehen blieben. Hier standen andere Wachen, die den Kender und den Gnom mit Abscheu beäugten.

»Oh, hier war ich schon einmal!« sagte Tolpan plötzlich. »Jetzt weiß ich, wo wir sind.«

»Das ist fürwahr eine große Hufe«, brummte Gnimsch.

»Der Empfangssaal«, setzte Tolpan fort. »Als wir das letzte Mal hier waren, wurde Tanis übel. Er ist ein Elf, weißt du. Nun ja, ein halber Elf, und er haßt das Leben im Untergrund.« Er seufzte wieder. »Ich wünschte, Tanis wäre jetzt hier. Er würde wissen, was zu tun ist. Ich wünschte, irgendein Kluger wäre jetzt hier.«

Die Wachen stießen sie in die riesige Halle hinein. »Zumindest«, sagte Tolpan leise zu Gnimsch, »sind wir nicht allein. Zumindest haben wir uns beide.«

»Tolpan Barfuß«, stellte sich der Kender vor und verbeugte sich vor dem König der Zwerge, dann vor den Lehnsmännern, die auf den Steinsitzen hinter und eine Stufe tiefer als Dunkans Thron saßen. »Und das ist...«

Der Gnom schob sich eifrig nach vorne. »Gnimschmari...«

»Gnimsch!« sagte Tolpan laut und trat auf den Fuß des Gnoms. »Überlaß mir das Reden!« schimpfte er in einem hörbaren Flüstern.

Mit finsterem Blick verfiel Gnimsch in ein verletztes Schweigen.

»Woher kommst du, Kender?« knurrte Dunkan.

»Aus Solace«, sagte Tolpan. »Oh, mach dir keine Gedanken, wenn du noch nie davon gehört hast. Es existiert noch nicht. In Istar hatten sie auch noch nicht davon gehört, aber das spielt keine so große Rolle, weil sich in Istar niemand um etwas gekümmert hat, was nicht da ist. In Istar, meine ich. Solace liegt nördlich von Haven, das jetzt auch noch nicht da ist, aber früher da sein wird als Solace, wenn du verstehst, was ich meine.«

Dunkan beugte sich vor und funkelte Tolpan unter seinen dicken Augenbrauen hervor beunruhigend an. »Du lügst.«

»Ich lüge nicht!« erwiderte Tolpan empört. »Wir sind mit einem magischen Gerät hier gelandet, das ich von einem Freund ausgeborgt habe. Es funktionierte gut, als ich es hatte, aber dann habe ich es zufällig zerstört. Nun, eigentlich war das nicht mein Fehler. Aber das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall habe ich die Umwälzung überlebt und endete in der Hölle. Kein netter Ort. Egal, dort in der Hölle lernte ich Gnimsch kennen, und er hat das Gerät repariert. Er ist wirklich ein wundervoller Bursche«, fuhr er fort und klopfte Gnimsch auf die Schulter. »Er ist ein Gnom, das stimmt, aber seine Erfindungen funktionieren.«

»So, du bist also aus der Hölle!« stellte Kharas streng fest. »Du gibst es zu! Geister aus dem Reich der Finsternis! Der schwarzgekleidete Zauberer hat euch herbeigerufen, und ihr seid auf seinen Befehl hin aufgetaucht.«

Diese verblüffende Anschuldigung versetzte den Kender in Sprachlosigkeit. Er stotterte zunächst zusammenhanglos, dann fand er seine Stimme wieder. »So wurde ich noch niemals beleidigt! Aber Raistlin gehörte gewiß zu den interessantesten Leuten, die ich je kennengelernt habe.«

»Der Zauberer ist nicht tot, wie du nur zu genau weißt, Geist!« knurrte Dunkan.

»Ich bin kein Geist... Nicht tot?« Tolpan strahlte. »Obwohl du ihn niedergestochen hast und das ganze Blut und alles und... Oh! Ich weiß, warum! Crysania! Natürlich! Crysania!«

»Ah, die Hexe!« sagte Kharas leise, fast zu sich selbst, als die Lehnsherren untereinander zu murmeln begannen.

»Nun, sie ist zuweilen ein wenig kalt und unpersönlich«, sagte Tolpan schockiert, »aber ich bin überzeugt, das gibt dir nicht das Recht, sie mit Schimpfnamen zu belegen. Sie ist immerhin eine Klerikerin Paladins.«

»Klerikerin!« Die Lehnsherren begannen zu grölen.

»Ich bitte euch«, bettelte Tolpan, »laßt mich gehen! Ich muß zu Caramon!«

Das löste eine Reaktion aus. Die Lehnsherren verstummten.

»Du kennst General Caramon?« fragte Kharas zweifelnd.

»General?« wiederholte Tolpan. »Wäre Tanis nicht überrascht, das zu hören? General Caramon! Tika würde lachen... Natürlich kenne ich Cara... General Caramon«, fuhr Tolpan hastig fort, als er sah, wie Dunkans Augenbrauen sich verengten. »Er ist mein bester Freund. Und wenn du nur einmal anhören würdest, was ich dir klarzumachen versuche, daß nämlich Gnimsch und ich mit dem magischen Gerät hierherkamen, um Caramon zu finden und mit nach Hause zu nehmen! Er will nämlich nicht hier sein, da bin ich mir sicher. Verstehst du, Gnimsch hat das Gerät so repariert, daß es eine weitere Person transportieren kann...«

»Ihn nach Hause nehmen wohin?« knurrte Dunkan. »In die Hölle? Vielleicht hat der Zauberer ihn auch herbeigerufen!«

»Nein!« rief Tolpan, der langsam die Geduld verlor. »Natürlich nach Solace. Und Raistlin auch, falls er möchte. Ich kann mir in der Tat nicht vorstellen, was sie hier eigentlich suchen. Raistlin konnte Thorbadin das letzte Mal nicht ertragen, als wir hier waren, was ungefähr in zweihundert Jahren der Fall sein wird. Die ganze Zeit hat er nur gehustet und sich über die Feuchtigkeit beschwert. Flint sagte – Flint Feuerschmied – ein alter freund von mir...«

»Feuerschmied!« Dunkan sprang von seinem Thron auf und funkelte den Kender an. »Du bist ein Freund von Feuerschmied?«

»Nun, du brauchst dich nicht so aufzuregen«, entgegnete Tolpan etwas verblüfft. »Flint hat natürlich auch seine Fehler – immer nur murren und Leute beschuldigen, Dinge zu stehlen, obwohl ich wirklich vorhatte, das Armband zurückzubringen, als ich es fand. Aber das heißt nicht, daß du...«

»Feuerschmied«, sagte Dunkan grimmig, »ist der Anführer unserer Feinde. Oder hast du das etwa nicht gewußt?«

»Nein«, antwortete Tolpan interessiert. »Hab’ ich nicht. Aber ich bin sicher, es kann nicht der gleiche Feuerschmied sein«, fügte er nach einigem Grübeln hinzu. »Flint wird erst in ungefähr fünfzig Jahren geboren. Vielleicht ist er sein Vater. Raistlin sagt...«

»Raistlin? Wer ist überhaupt dieser Raistlin?« herrschte Dunkan ihn an.

Tolpan fixierte den Zwerg mit einem strengen Blick. »Du paßt überhaupt nicht auf. Raistlin ist der Zauberer. Derjenige, den du getötet hast – äh, derjenige, den du nicht getötet hast. Derjenige, von dem du dachtest, ihn getötet zu haben, der aber nicht gestorben ist.«

»Sein Name ist nicht Raistlin, sondern Fistandantilus!« schnaufte Dunkan. Dann nahm er mit grimmigem Gesicht wieder seinen Platz ein. »So«, sagte er, während er den Kender unter seinen buschigen Augenbrauen musterte, »du planst also, diesen Zauberer, der von einer Klerikerin geheilt wurde, obgleich es auf dieser Welt keine Kleriker gibt, und einen General, von dem du behauptest, er sei dein bester Freund, zurück zu einem Ort zu bringen, der nicht existiert, um unserem Feind entgegenzutreten, der noch nicht geboren ist, und das alles mit Hilfe eines von einem Gnom gebauten Gerätes?«

»Richtig!« schrie Tolpan triumphierend. »Du verstehst also! Da siehst du mal, was du alles lernen kannst, wenn du einfach zuhörst!«

Gnimsch nickte zustimmend.

»Wachen! Schafft sie fort!« knurrte Dunkan. Er drehte sich auf dem Absatz um und sah Kharas kalt an. »Du hast mir dein Wort gegeben. Ich erwarte dich in zehn Minuten im Kriegsrat.«

»Aber Lehnsherr! Wenn er wirklich General Caramon kennt...«

»Genug!« Dunkan bekam einen Tobsuchtsanfall. »Der Krieg kommt über uns, Kharas. Deine ganze Ehre und all dein ehrenhaftes Gejammer über das Umbringen von Verwandten wird ihn nicht aufhalten können! Und du kannst entweder in die Schlacht gehen oder dein Gesicht nehmen, das uns alle beschämt, und es in den Verliesen bei den anderen Verrätern unseres Volkes, den Dewaren, verstecken! Wie wirst du dich entscheiden?«

»Ich diene dir natürlich, Lehnsherr«, antwortete Kharas mit starrem Gesicht. »Ich habe dir mein Leben verpfändet.«

»Sieh zu, daß du dich daran erinnerst«, schnappte Dunkan. »Und darum befehle ich dir, daß du dich ausschließlich in deinen Quartieren aufhältst, abgesehen von den Kriegsratssitzungen, denen du beiwohnen wirst. Und weiterhin werden diese zwei«, er wies auf Tolpan und Gnimsch, »gefangengehalten, und ihr Verbleib wird bis zum Kriegsende geheimgehalten. Der Tod wird den ereilen, der diesem Befehl zuwiderhandelt.«

Die Lehnsherren sahen sich an und nickten zustimmend, obwohl einer murmelte, es sei zu spät. Die Wachen ergriffen Gnimsch und Tolpan.

Der Kender protestierte heftig, als sie ihn abführten. »Ich habe die Wahrheit gesagt«, plärrte er. »Du wirst mir noch glauben müssen!«

Tolpan hätte es nicht für möglich gehalten, daß man so tief unter die Oberfläche der Erde hinabsteigen könnte. Er erinnerte sich, daß Flint ihm einmal erzählt hatte, daß Reorx hier unten lebe und die Welt mit seinem gigantischen Hammer schmiede. »Eine nette, lustige Person muß er sein«, brummte er. Er zitterte in der Kälte, bis seine Zähne klapperten. »Wenn Reorx die Welt schmiedet, könnte man eigentlich denken, daß es wärmer wäre.«

»Verlaß dich auf Zwerge«, brummte Gnimsch.

Tolpan antwortete nicht, da er zu sehr mit anderen Problemen beschäftigt war – wie kommen wir hier heraus, wohin gehen wir, falls wir hier herauskommen, und wann gibt es wohl Abendessen? Da er keine Antworten auf diese Fragen erhielt, verfiel der Kender in ein düsteres Schweigen.

Aber er erlebte einen ziemlich aufregenden Augenblick – als sie in einen engen Felstunnel hinabgelassen wurden, der durch das Gebirge gebohrt worden war. Das Gerät, mit dem Leute in den Tunnel hinuntergelassen wurden, bezeichneten die Gnome als »Aufzug«, wie er von Gnimsch aufgeklärt wurde.

Da es keine sofortige Lösung für ihre Probleme gab, beschloß Tolpan, seine Zeit nicht zu verschwenden und an diesem interessanten Ort nicht mit einer Jammermiene herumzulaufen. Er genoß also die Fahrt im Aufzug durch und durch, obwohl sie teilweise recht ungemütlich verlief, als das wackelige Holzgerät – das von muskulösen Zwergen bedient wurde, die an unendlich langen Seilen zogen – während der Fahrt gegen eine Seite des felsigen Tunnels stieß, die Fahrgäste durchschüttelte und ihnen so zahlreiche Schnittwunden und Prellungen zufügte.

Das Ganze erwies sich als höchst unterhaltsam, insbesondere als die Zwergenwachen, die Tolpan und Gnimsch begleiteten, die Fäuste schüttelten und dem Bedienungspersonal in der Zwergensprache derbe Flüche zuschrien.

Was den Gnom betraf, so wurde Gnimsch in einen unglaublichen Zustand der Aufregung versetzt.

Ein Kohlestück zückend und sich von Tolpan ein Taschentuch ausleihend, ließ er sich auf den Boden des Aufzugs fallen und begann sofort, Pläne für einen neuen verbesserten Aufzug zu zeichnen.

Als sie schließlich die unterste Ebene erreichten, versuchte Tolpan vorsichtig nach dem Weg Ausschau zu halten, damit sie auch ohne Karte verschwinden konnten, aber Gnimsch hing an ihm, zeigte auf seine Skizze und erklärte ihm jede Einzelheit.

Während die Wachen sie vorwärts stießen, seufzte Tolpan. Dieser Ort war nicht nur genauso langweilig wie die Hölle, er hatte sogar den zusätzlichen Nachteil, daß es hier noch schlimmer stank. Eine Reihe von riesigen Gefängniszellen säumte die Felswände. Erleuchtet von Fackeln, die in der schlechten, dünnen Luft brannten, wimmelten die Zellen von Zwergen.

Tolpan sah sie mit wachsender Verwirrung an, als sie durch den schmalen Gang zwischen den Zellen gingen. Diese Zwerge sahen nicht wie Kriminelle aus. Es waren Männer, Frauen, sogar Kinder, die sich in den Zellen zwängten. Zusammengekauert auf schmuddeligen Decken und auf beschädigten Schemeln hockend, starrten sie bedrückt zwischen den Gittern heraus.

»He!« sagte Tolpan und zog am Ärmel eines Wächters. Der Kender verstand ein wenig die Zwergensprache, da er einiges von Flint aufgeschnappt hatte. »Was ist das hier alles?« fragte er und wedelte mit einer Hand. »Warum sind diese Leute hier?«

Aber der Wächter blickte ihn finster an und antwortete nur: »Dewaren.«

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