»Dewaren?« wiederholte Tolpan verblüfft.
Der Wächter weigerte sich jedoch, nähere Angaben zu machen, und stieß Tolpan mit einem boshaften Schubs weiter. Tolpan stolperte, dann setzte er seinen Weg fort. Er grübelte. Dewaren, dachte er und versuchte sich zu erinnern, wo er das Wort schon gehört hatte. Plötzlich fiel ihm die Antwort ein. »Die Dunkelzwerge!« sagte er. »Natürlich! Ich erinnere mich! Sie haben für den Drachenfürsten gekämpft. Aber beim letzten Mal lebten sie nicht hier unten – beziehungsweise beim nächsten Mal —, als wir hier waren. Oder sie werden hierher kommen. Verdammt, was für ein Kuddelmuddel! Aber sie leben doch sicherlich nicht in Gefängniszellen. He«, Tolpan tippte wieder den Zwerg an, »was machen sie hier? Ich meine, warum sind sie ins Gefängnis gewandert?«
»Verräter!« schnappte der Zwerg. Er zog einen Schlüssel hervor, steckte ihn in das Schloß einer Zelle und drückte die Tür auf.
Als Tolpan hineinspähte, sah er ungefähr zwanzig oder dreißig Dewaren in der Zelle zusammengepfercht. Einige lagen apathisch auf dem Boden, andere lehnten an der Wand und schliefen.
Eine Gruppe, zusammengekauert in einer Ecke, unterhielt sich leise, als der Wächter erschien. Sie hörten mit dem Sprechen auf, sobald die Zellentür geöffnet wurde. In dieser Zelle waren keine Frauen oder Kinder, sondern nur Männer, und sie musterten Tolpan, den Gnom und den Wächter mit dunklen, haßerfüllten Augen.
»Nun, nun«, sagte Tolpan zu dem Wächter, »dieser Spaziergang war recht – äh – unterhaltsam. Wenn du uns jetzt bitte in unsere Zellen zurückbringen könntest, die, das muß ich wirklich sagen, sehr nette Zellen waren – so hell und luftig und geräumig —, kann ich dir hoch und heilig versprechen, daß mein Partner und ich keine weiteren unangemeldeten Ausflüge in deine Stadt unternehmen werden, auch wenn es ein äußerst interessanter Ort ist und ich gern mehr davon sehen würde. Ich...«
Aber der Zwerg schubste den Kender grob mit einer Hand in die Zelle, so daß er ausgestreckt auf den schmutzigen Boden fiel.
»Ich wünschte, du könntest dich mal entschließen«, schnappte Gnimsch gereizt. »Gehen wir rein oder raus?«
»Ich vermute, wir sind drin«, antwortete Tolpan kläglich, setzte sich auf und sah zweifelnd die Dewaren an, die ihn stumm anstarrten.
»Hallo«, sagte Tolpan und lächelte freundlich, bot aber keinem die Hand. »Ich heiße Tolpan Barfuß, und das ist mein Freund Gnimsch, und es sieht ganz so aus, als sollten wir Zellengenossen werden, nicht wahr? Also, wie heißt ihr?«
Er erhob sich und starrte auf einen Dewaren, der sich ihnen näherte.
Es war ein hochgewachsener Zwerg; sein Gesicht war fast nicht zu erkennen unter dem dichten, verfilzten Haar. Er grinste plötzlich. Stahl blitzte auf, und in seiner Hand erschien ein großes Messer. Er schlurfte auf den Kender zu, der so weit wie möglich in eine Ecke kroch, Gnimsch mit sich ziehend.
»Was sind das denn für Leute?« quiekte Gnimsch beunruhigt, der doch noch Notiz von ihrer bedrückenden Umgebung genommen hatte.
Bevor Tolpan antworten konnte, hatte ihn der Dewar am Hals gepackt und hielt das Messer an seine Kehle.
Das war es! dachte Tolpan mit Bedauern. Dieses Mal bin ich sicherlich tot.
Aber das Messer des Dewars ging um Haaresbreite an Tolpans Gesicht vorbei. Hinter seine Schulter greifend, schnitt der Dunkelzwerg fachmännisch die Gurte von Tolpans Beutel durch und ließ sie samt Inhalt auf den Boden fallen.
Sofort brach in der Zelle ein Chaos aus, als die Dewaren sich darauf stürzten. Der Zwerg mit dem Messer ergriff, so viel er konnte. Im Nu war alles verschwunden.
Die Dewaren begannen die Habseligkeiten des Kenders zu durchwühlen. Dem Dunkelzwerg mit dem Messer war der reichste Fang geglückt. Seine Beute an die Brust drückend, ging er zu seinem Platz am Ende der Zelle, wo er und seine Freunde sofort den Inhalt der Beutel auf den Boden ausschütteten.
Vor Erleichterung aufseufzend, sank Tolpan auf den kalten Steinboden. Aber es war auch ein besorgter Seufzer, denn Tolpan malte sich aus, daß die Dewaren auf die glorreiche Idee kommen könnten, sie als nächstes zu durchsuchen, wenn die Beutel ihre Anziehung verloren hätten. »Und als Leichen sind wir sicherlich viel einfacher zu durchsuchen«, brummte er. Das führte ihn jedoch zu einem plötzlichen Gedanken. »Gnimsch!« flüsterte er. »Das magische Gerät! Wo ist es?«
Gnimsch klopfte blinzelnd auf eine Tasche seiner Lederschürze und schüttelte den Kopf. Er klopfte auf die andere und zog eine Reißschiene und ein Stück Kohle hervor. Diese untersuchte er sorgfältig; als er dann erkannte, daß es sich bei beiden Gegenständen nicht um das magische Gerät handelte, steckte er sie wieder zurück. Tolpan erwog ernsthaft, ihn zu erwürgen, als der Gnom mit einem triumphierenden Lächeln in seinen Stiefel griff und das magische Gerät herauszog.
Während ihrer letzten Einkerkerung war es Gnimsch gelungen, das Gerät zusammenzuklappen. Es war nicht mehr das ausgeklügelte, wunderschöne Zepter, an das es erinnerte, wenn es völlig ausgeklappt war, sondern es hatte wieder die Größe und die Form eines ziemlich gewöhnlichen, unscheinbaren Anhängers angenommen.
»Halt es versteckt!« warnte Tolpan. Nach den Dewaren blickend, sah er, daß sie in einen Kampf um den Inhalt seiner Beutel verwickelt waren. »Gnimsch«, flüsterte er, »dieses Ding hat funktioniert und uns aus der Hölle herausgeholt, und du hast gesagt, es wäre etwas, um direkt zu Caramon zu gelangen. Nun, ich will wirklich nicht, daß es uns wieder irgendwo in eine Zeit bringt, aber glaubst du nicht, es würde für, sagen wir mal, einen kurzen Hopser funktionieren? Wenn Caramon der General dieser Armee ist, kann er nicht weit entfernt sein.«
»Das ist eine großartige Idee!« Gnimsch bekam glänzende Augen. »Nur eine Minute, laß mich nachdenken...«
Aber es war zu spät. Tolpan spürte eine Berührung an seiner Schulter. Sein Herz hüpfte in seine Kehle, als er herumwirbelte mit dem, wie er hoffte, grimmigen Ausdruck eines Killers im Gesicht. Offensichtlich war es ihm gelungen, denn der Dewar, der ihn berührt hatte, taumelte entsetzt zurück.
Als Tolpan erkannte, daß es ein jüngerer Zwerg mit einem halbwegs normalen Ausdruck in den Augen war, seufzte er und entspannte sich, während der Dewar, der erkannte, daß der Kender ihn nicht lebendig verschlingen wollte, mit dem Zittern aufhörte und ihn hoffnungsvoll anblickte.
»Was ist los?« fragte Tolpan in der Zwergensprache. »Was willst du?«
»Komm. Du komm.« Der Dewar machte eine auffordernde Geste. Als er sah, daß Tolpan mißbilligend die Stirn runzelte, machte er wieder eine auffordernde Geste und wich zurück.
Tolpan erhob sich vorsichtig. »Bleib hier, Gnimsch«, sagte er. Aber der Gnom hörte nicht zu. Er war damit beschäftigt, an dem Gerät zu drehen.
Neugierig schlich Tolpan dem Dewar nach. Vielleicht hatte dieser Bursche einen Weg nach draußen entdeckt. Vielleicht hatte er einen Tunnel gegraben...
Der Dewar führte den Kender zur Mitte der Zelle. »Helfen?« fragte er hoffnungsvoll.
Tolpan sah nach unten, aber da war kein Tunnel. Was er sah, war ein Dewar, der auf einer Decke lag. Das Gesicht des Zwergs war schweißgebadet, sein Haar und sein Bart klatschnaß. Die Augen waren geschlossen, und sein Körper zuckte krampfhaft. Bei dem Anblick begann Tolpan zu zittern. Er sah sich in der Zelle um. Dann glitt sein Blick zu dem jungen Dewar zurück, und er schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein«, sagte er sanft. »Es tut mir leid. Da ist nichts, was ich tun kann. Es... es tut mir leid.« Er zuckte hilflos die Schultern.
Der Dewar schien zu verstehen, denn er sank zur Seite des kranken Zwergs nieder, und sein Kopf neigte sich untröstlich.
Tolpan kroch zu Gnimsch zurück. Er ließ sich in eine Ecke fallen und starrte in die dunkle Zelle. Er sah und hörte wildes, unzusammenhängendes Gerede, Schmerzensrufe, Schreie nach Wasser und hier und dort das schreckliche Schweigen jener, die ganz still dalagen. »Gnimsch«, sagte er leise, »diese Zwerge sind krank. Wirklich krank. Ich habe es in künftigen Zeiten gesehen. Diese Zwerge haben die Pest.«
Gnimsch riß die Augen auf. Er ließ beinahe das magische Gerät fallen.
»Gnimsch«, sagte Tolpan, »wir müssen hier schnellstens verschwinden! Die einzige Wahl, die wir hier unten haben, ist der Tod durch die Messerspitze – der zwar zweifellos interessant ist, aber auch seine Nachteile hat – oder der ziemlich langsame und langweilige Tod durch die Pest.«
»Ich glaube, es wird funktionieren«, sagte Gnimsch, während er zweifelnd das magische Gerät beäugte. »Natürlich könnte es uns auch zurück in die Hölle bringen...«
»Nicht wirklich ein schlechter Ort«, unterbrach ihn Tolpan, erhob sich und half dann Gnimsch beim Aufstehen. »Man braucht ein wenig Zeit, um sich daran zu gewöhnen, und ich vermute nicht, daß sie überaus glücklich sein werden, uns wiederzusehen, aber ich glaube, es ist einen Versuch wert.«
»Laß mich nur eine kleine Veränderung vornehmen...«
»Berühr es nicht!«
Die vertraute Stimme kam aus dem Schatten und war so streng und befehlend, daß Gnimsch erstarrte; seine Hand hielt das Gerät umklammert.
»Raistlin!« schrie Tolpan, sich verstört umsehend. »Raistlin! Wir sind hier! Wir sind hier!«
»Ich weiß, wo ihr seid«, erwiderte der Erzmagier kalt, bevor er sich in der rauchigen Luft materialisierte und vor ihnen in der Zelle stand.
Sein plötzliches Auftreten rief Schreie bei den Dewaren hervor. Der Zwerg mit dem Messer erhob sich in seiner Ecke und sprang nach vorne.
»Raistlin, paß auf!« kreischte Tolpan.
Raistlin drehte sich um. Er sagte nichts. Er hob nicht die Hand. Er starrte lediglich den Dunkelzwerg an. Das Gesicht des Dewars lief aschgrau an. Das Messer fiel aus seinen kraftlosen Fingern, er schrak zurück und versuchte, sich im Schatten zu verbergen. Raistlin warf einen Blick in die Zelle. Unverzüglich verstummten alle. Selbst jene im Delirium schwiegen. Zufrieden wandte sich Raistlin wieder Tolpan zu.
Der Kender klatschte in die Hände. »O Raistlin! Es ist so gut, dich zu sehen! Du siehst auch wirklich gut aus. Besonders nachdem ein... äh... Schwert dich niedergestochen... Nun ja, mach dir keine Gedanken. Und du bist gekommen, uns zu befreien, nicht wahr? Das ist herrlich! Ich...«
»Genug geplappert!« unterbrach ihn Raistlin kalt. Er ergriff Tolpan mit einer Hand und zog ihn zu sich.
»Jetzt erzähl mir – woher kommst du?«
Tolpan starrte in Raistlins Augen. »Ich... ich bin mir nicht sicher, ob du mir glaubst. Niemand glaubt mir. Aber es ist die Wahrheit. Ich schwöre es!«
»Dann sag es einfach!« fauchte Raistlin; seine Hand legte sich um Tolpans Hals.
»In Ordnung!« Tolpan schluckte und wand sich. »Es hilft, wenn du mich gelegentlich atmen läßt. Jetzt laß uns mal sehen. Ich habe versucht, die Umwälzung aufzuhalten, und dabei ist das Gerät zerstört worden. Ich... ich bin sicher, das war nicht deine Absicht«, stammelte Tolpan, »aber du hast mir anscheinend die falschen Anweisungen gegeben...«
»Habe ich. Es war meine Absicht«, unterbrach ihn Raistlin grimmig. »Fahr fort.«
»Möchte ich ja, aber es ist so schwierig ohne Luft...«
Raistlin lockerte leicht seinen Griff um Tolpans Hals.
Tolpan holte tief Luft. »Gut! Wo war ich? Oh, ich folgte Crysania nach unten, ganz tief nach unten bis zum tiefsten Teil des Tempels in Istar, als er auseinanderfiel, weißt du? Und ich sah sie in dieses Zimmer laufen, und ich wußte, sie mußte auf dem Weg zu dir sein, weil sie deinen Namen sagte, und ich hoffte, du würdest das Gerät reparieren...«
»Mach schnell!«
Tolpan beeilte sich, so gut er konnte. »Und dann schlug hinter mir etwas auf, und es war Caramon, nur hat er mich nicht gesehen, und alles wurde dunkel, und als ich wach wurde, wart ihr verschwunden, und ich blickte rechtzeitig auf, um die Götter zu sehen, die das feurige Gebirge herabschleuderten...« Er holte Atem. »Nun, das war ein Ding. Würdest du gern davon hören? Nein? Gut, ein anderes Mal. Ich... ich vermute, daß ich wieder eingeschlafen bin, weil ich wieder wach wurde und alles ganz ruhig war. Ich dachte, ich sei tot, aber ich war es nicht. Ich war in der Hölle, wohin der Tempel nach der Umwälzung transportiert wurde.«
»Die Hölle!« Raistlin keuchte. Seine Hand zitterte.
»Kein netter Ort«, erklärte Tolpan feierlich. »Trotz allem, was ich vorher gesagt habe. Ich lernte die Königin kennen...« Der Kender erschauerte. »Ich... ich glaube nicht, daß ich jetzt darüber reden möchte.« Er streckte eine zitternde Hand aus. »Aber hier ist ihr Zeichen, diese fünf kleinen weißen Male... Sie sagte, ich müsse für ewig da unten bleiben, weil... weil sie jetzt die Geschichte verändern und den Krieg gewinnen könne. Und ich hatte nicht die Absicht... Ich wollte doch nur Caramon helfen. Aber dann, in der Hölle, fand ich Gnimsch...«
»Der Gnom«, sagte Raistlin. Seine Augen gingen zu Gnimsch, der jetzt den Zauberkundigen anstarrte und sich nicht zu rühren wagte.
»Ja.« Tolpan wandte den Kopf, um seinen Freund anzulächeln. »Er hatte ein Zeitreisegerät gebaut, das funktionierte – stell dir vor! Und zisch! Hier sind wir!«
»Du bist aus der Hölle entkommen?« Raistlin richtete seinen spiegelgleichen Blick wieder auf den Kender.
Tolpan wand sich unbehaglich. Jene letzten Augenblicke suchten ihn immer noch in seinen Träumen heim, und Kender träumen normalerweise sehr selten. »Sicher«, sagte er und lächelte den Erzmagier an.
Es war offensichtlich verschwendete Mühe. Raistlin, in Gedanken versunken, musterte den Gnom kalt. »Du hast gesagt, das Gerät sei zerbrochen?« fragte er leise.
»Ja.« Tolpan schluckte. Er spürte, daß Raistlins Griff lockerer wurde. Zu seiner Überraschung ließ Raistlin ihn so plötzlich los, daß er fast nach hinten purzelte.
»Das Gerät war zerbrochen«, murmelte Raistlin. Plötzlich starrte er Tolpan aufmerksam an. »Und – wer hat es repariert?«
Tolpan wich langsam von Raistlin zurück. »Ich... ich hoffe, die Magier werden nicht böse sein. Gnimsch hat es eigentlich nicht repariert. Das wirst du doch Par-Salian sagen, nicht wahr, Raistlin? Ich wollte nicht in Schwierigkeiten geraten – nun, nicht in weitere Schwierigkeiten mit ihm, als ich ohnehin schon bin. Wir haben mit dem Gerät nichts angestellt. Gnimsch hat es lediglich wieder zusammengesteckt – so wie es vorher war, damit es funktionierte.«
»Er hat es wieder zusammengebaut?« beharrte Raistlin mit dem gleichen seltsamen Ausdruck in den Augen.
»Ja.« Mit einem schwachen Grinsen ging Tolpan zurück und stieß Gnimsch in die Rippen, gerade als der Gnom sprechen wollte. »Wieder zusammengebaut.«
»Aber, Tolpan...«, begann Gnimsch laut. »Weißt du nicht mehr, was geschehen ist? Ich...«
»Halt den Mund!« flüsterte Tolpan. »Und überlaß mir das Reden. Wir sind hier in großen Schwierigkeiten! Magiern gefällt es nicht, wenn man an ihren Geräten herumpfuscht, auch wenn man sie verbessert! Ich bin sicher, daß ich Par-Salian das verständlich machen kann, wenn ich ihn wiedersehe. Er wird zweifellos erfreut sein, daß du es repariert hast. Immerhin muß es für sie schon sehr lästig gewesen sein, daß man mit dem Gerät immer nur eine Person transportieren kann. Ich bin sicher, Par-Salian wird das verstehen, aber ich erzähle ihm das lieber selber – wenn du verstehst, was ich meine. Raistlin ist irgendwie... nun ja, nervös bei solchen Sachen. Ich glaube nicht, daß er es versteht, und außerdem ist jetzt nicht die Zeit zu Erklärungsversuchen.«
Gnimsch, zweifelnd auf Raistlin blickend, erbebte und rückte näher zu Tolpan. »Er sieht mich an, als ob er mich umstülpen wollte!« murmelte er.
»So sieht er jeden an«, flüsterte Tolpan zurück. »Du wirst dich schon daran gewöhnen.«
Niemand sprach. In der überfüllten Zelle stöhnte einer der kranken Zwerge auf und schrie im Delirium. Tolpan sah unbehaglich nach ihnen, dann nach Raistlin. Der Zauberer starrte wieder den Gnom an, der seltsame, bittere, gedankenverlorene Ausdruck lag immer noch auf seinem blassen Gesicht.
»Das ist wirklich alles, was ich dir jetzt erzählen kann, Raistlin«, sagte Tolpan laut. »Können wir jetzt gehen? Wirst du uns hier wegzischen, so wie du es mit mir in Istar gemacht hast? Das hat sehr viel Spaß gemacht und...«
»Gib mir das Gerät«, befahl Raistlin.
Aus irgendeinem Grund – vielleicht lag es an dem Blick des Magiers, oder vielleicht war es die kalte Feuchtigkeit in den unterirdischen Verliesen – begann Tolpan zu zittern. Gnimsch, der das Gerät in der Hand hielt, sah Tolpan fragend an.
»Würde es dich stören, wenn wir es noch eine Weile aufbewahren?« begann Tolpan. »Ich werde es bestimmt nicht verlieren...«
»Gib mir das Gerät.« Raistlins Stimme war sanft.
Tolpan schluckte wieder. Er hatte einen komischen Geschmack im Mund. »Du... du gibst es ihm lieber, Gnimsch.«
Der Gnom, der verwirrt blinzelte und offensichtlich bemüht war herauszufinden, was eigentlich vor sich ging, starrte Tolpan fragend an.
»Es wird alles gut werden«, sagte Tolpan und versuchte zu lächeln, obgleich sein Gesicht plötzlich ganz steif wurde. »Raistlin ist ein Freund von mir, verstehst du? Er wird es sicher aufbewahren...«
Achselzuckend drehte sich Gnimsch um und tat ein paar schlurfende Schritte nach vorn; er hielt das Gerät in seiner Handfläche. Der Anhänger sah im düsteren Fackellicht uninteressant aus.
Raistlin streckte die Hand aus und ergriff das Gerät. Er musterte es scharf, dann ließ er es in eine Geheimtasche seiner schwarzen Roben gleiten. »Komm zu mir, Tolpan«, sagte er freundlich und winkte ihn zu sich.
Gnimsch stand immer noch vor Raistlin und starrte untröstlich auf die Tasche, in der das Gerät verschwunden war. Tolpan ergriff den Gnom an den Bändern seiner Lederschürze und zog ihn von dem Magier weg. Dann umklammerte er die Hand von Gnimsch und sah auf.
»Wir sind bereit, Raistlin«, sagte er strahlend. »Zisch uns weg! Donnerwetter, Caramon wird überrascht sein...«
»Ich sagte, komm her, Tolpan«, wiederholte Raistlin mit sanfter Stimme. Seine Augen waren auf den Gnom gerichtet.
»O Raistlin, du wirst ihn doch nicht hier lassen?« jammerte Tolpan. Er ließ die Hand des Gnoms fallen und tat einen Schritt.
»Wenn du das nämlich tust, bleibe ich auch hier. Ich meine, er kommt hier niemals allein heraus. Und er hat eine so wunderbare Idee für einen mechanischen Aufzug...«
Raistlins Hand packte Tolpan am Arm und zog ihn an seine Seite. »Nein, ich werde ihn hier nicht zurücklassen, Tolpan.«
»Siehst du? Er wird uns zu Caramon zischen. Diese Magie macht wahnsinnig viel Spaß«, begann Tolpan, drehte sich zu Gnimsch um und versuchte zu grinsen, obwohl die kräftigen Finger des Magiers ihm weh taten. Aber beim Anblick von Gnimsch schwand Tolpans Grinsen.
Der Gnom stand jetzt allein da. Er sah völlig verwirrt und bemitleidenswert aus und hielt immer noch Tolpans Taschentuch in einer Hand.
Tolpan wand sich. »Gnimsch, bitte, es wird alles gut werden. Ich sagte dir doch, Raistlin ist mein Freund.«
Mit einer Hand Tolpan am Kragen festhaltend, erhob der Erzmagier die andere, zeigte auf den Gnom und begann leise zu singen: »Ast kiranann kair...«
Entsetzen packte Tolpan. Er hatte diese magischen Worte schon früher gehört. »Nein!« kreischte er. Er wirbelte herum und sah in Raistlins Augen. »Nein!« kreischte er wieder und schlug mit seinen kleinen Händen auf den Magier ein.
»Gardurm Sotharn/Suh kali Jalaran!« beendete Raistlin seinen Sang.
Tolpan, dessen Hände immer noch Raistlins schwarze Roben umklammert hielten, hörte, wie es in der Luft zu zischen begann. Er beobachtete, wie Flammenblitze aus den Fingern des Magiers direkt auf Gnimsch zuschossen. Die Blitze schlugen in die Brust des Gnoms. Die schreckliche Energie hob seinen kleinen Körper hoch und schleuderte ihn zurück, ließ ihn gegen eine Steinwand prallen.
Gnimsch fiel, ohne einen Laut von sich zu geben, auf den Boden. Rauch stieg aus seiner Lederschürze empor. Es roch süßlich nach verbranntem Fleisch. Die Hand hielt immer noch das Taschentuch des Kenders, sie zuckte kurz auf, und dann lag sie still.
Tolpan konnte sich nicht bewegen. Seine Hände hielten immer noch Raistlins Roben fest.
»Komm mit, Tolpan«, sagte Raistlin.
Tolpan drehte sich um und sah zu Raistlin auf. »Nein«, flüsterte er und versuchte, sich von Raistlins festem Griff zu lösen. Dann schrie er gequält auf: »Du hast ihn umgebracht! Warum? Er war mein Freund!«
»Meine Gründe behalte ich für mich«, antwortete Raistlin, während er den Kender festhielt. »Jetzt kommst du mit mir.«
»Nein, werde ich nicht!« schrie Tolpan. »Du bist nicht interessant oder aufregend – du bist böse wie die Hölle! Ich gehe nirgendwohin mit dir! Niemals! Laß mich los!« Von Tränen blind, tretend und wild um sich fuchtelnd, schlug er auf Raistlin ein.
Die Dewaren begannen vor Panik zu schreien und erregten die Aufmerksamkeit der Zwerge in den anderen Zellen. Kreischend drängten sich diese an die Gitterstangen und versuchten zu sehen, was vor sich ging.
Mit kaltem Gesicht legte Raistlin eine Hand auf Tolpans Stirn und sprach schnell einige Worte. Der Körper des Kenders entspannte sich sofort. Bevor er zu Boden fiel, sprach Raistlin wieder, und die zwei waren auf einmal verschwunden. Die verblüfften Dewaren starrten mit offenen Mündern auf den leeren Platz und den Leichnam des Gnoms, der in der Ecke lag.
Eine Stunde später ging Kharas zu dem Zellenblock, wo die Dewaren gefangengehalten wurden, nachdem er mühelos seiner eigenen Gefangenschaft entronnen war. Grimmig schritt er durch die Gänge.
»Was ist los?« fragte er einen Wächter. »Es ist so still hier.«
»Ah, es gab vorhin eine Art Aufstand«, brummte der Wächter. »Wir konnten aber nicht herausfinden, was der Grund war.«
Kharas sah sich scharf um. Die Dewaren starrten zurück, aber nicht mit Haß, sondern mit Argwohn und sogar mit Angst.
Seine Sorge wuchs, denn er spürte, daß etwas Entsetzliches geschehen sein mußte, und er beschleunigte seinen Schritt. Als er die letzte Zelle erreichte, spähte er hinein.
Beim Anblick von Kharas sprangen die Dewaren, die sich bewegen konnten, auf die Füße und wichen in die entlegenste Ecke zurück. Dort kauerten sie sich zusammen, murmelten und zeigten zur vordersten Ecke der Zelle.
Als Kharas dorthin sah, verfinsterte sich sein Blick. Der Gnom lag schlaff auf dem Boden.
Kharas warf dem verblüfften Wächter einen zornigen Blick zu und wandte sich dann an die Dewaren. »Wer hat das getan?« herrschte er sie an. »Und wo ist der Kender?«
Zu Kharas’ Verwunderung kamen die Dewaren herbei und schwatzten alle auf einmal. Mit einer wütenden Handbewegung brachte Kharas sie zum Schweigen. »Du dort«, er zeigte auf den Dewar, der immer noch Tolpans Beutel festhielt, »woher hast du diese Beutel? Was ist geschehen? Wo ist der Kender?«
Als der Dewar nach vorne schlurfte, sah Kharas in seine Augen und bemerkte zu seinem Entsetzen, daß jegliche geistige Gesundheit, die der Dunkelzwerg einmal besessen hatte, inzwischen völlig verschwunden war.
»Ich sah ihn«, sagte der Dewar grinsend. »Ich sah ihn in seinen schwarzen Roben. Er kam wegen des Gnoms. Und er kam wegen des Kenders. Und als nächste sind wir dran!« Er lachte entsetzlich. »Wir sind die nächsten!« wiederholte er.
»Wer?« fragte Kharas streng. »Wen hast du gesehen? Wer kam wegen des Kenders?«
»Nun, er selbst!« flüsterte der Dewar.