19

An der Tür klopfte es leise. Tanis, der in seine Arbeit vertieft war, schreckte zusammen. »Ja, wer ist da?« rief er.

Die Tür wurde geöffnet. »Ich bin es, Charles, mein Fürst. Ihr hattet darum gebeten, daß ich während der Wachablösung zu Euch kommen soll.«

Tanis wandte den Kopf zum Fenster und sah hinaus. Er hatte es geöffnet, um Luft hereinzulassen. Aber die Frühlingsnacht war noch immer warm, und kein Windchen regte sich. Der Himmel war dunkel, außer wenn wieder die unheimlichen rosafarbenen Blitze von einer Wolke zur anderen zuckten. Jetzt, wo seine Aufmerksamkeit geweckt war, hörte er die Glocken läuten, die zur Nachtwache ertönten. Er konnte die Stimmen der Wachen hören, die gerade zum Dienst antraten, er konnte die Schritte jener hören, die sich zur Ruhe begaben.

Ihre Ruhe würde nur kurz sein.

»Danke, Charles«, sagte Tanis. »Komm herein, ja?«

»Gewiß, mein Fürst.«

Der Diener trat in das Zimmer und schloß die Tür leise hinter sich. Tanis starrte noch einen Augenblick auf den Bogen Papier auf seinem Schreibtisch. Dann zogen sich seine Lippen entschlossen zusammen, und er schrieb noch zwei weitere Zeilen in sicherer Elfenhandschrift. Er streute Sand zum Trocknen der Tinte darüber und las den Brief nochmals sorgfältig durch. Aber seine Augen trübten sich, und die Buchstaben verschwammen. Schließlich gab er auf, unterzeichnete mit seinem Namen, rollte den Pergamentbogen zusammen und saß mit der Rolle in seiner Hand stumm da.

»Herr«, sagte Charles, »geht es Euch nicht gut?«

»Charles...«, begann Tanis und drehte an einem Ring aus Stahl und Gold, den er an einem Finger trug. Seine Stimme brach ab.

»Mein Fürst?« hakte Charles nach.

»Das ist ein Brief an meine Frau, Charles«, fuhr Tanis mit leiser Stimme fort, ohne den Diener anzusehen. »Sie ist in Silvanesti. Er muß noch heute verschickt werden, bevor...«

»Ich verstehe, Herr«, unterbrach Charles, trat nach vorne und nahm den Brief an sich.

Tanis errötete vor Schuldgefühl. »Ich weiß, es gibt sehr viel wichtigere Dokumente, die verschickt werden müßten – Mitteilungen an die Ritter und dergleichen... aber...«

»Ich habe in diesem Fall aber auch einen Boten zur Stelle, mein Fürst. Es ist ein Elf, auch aus Silvanesti. Er ist loyal, aber um aufrichtig zu sein, Herr, er wird trotzdem mehr als erfreut sein, die Stadt wegen einer solch achtbaren Aufgabe zu verlassen.«

»Danke, Charles.« Tanis seufzte und fuhr mit der Hand durch sein Haar. »Wenn etwas passieren sollte, möchte ich, daß sie erfährt...«

»Natürlich, mein Fürst. Völlig verständlich. Macht Euch keine weiteren Gedanken. Vielleicht noch Euer Siegel?«

»O ja, sicherlich.« Tanis zog den Ring ab und drückte ihn in das heiße Wachs, das Charles bereits auf das Papier getröpfelt hatte. Das Bild eines Espenblattes prägte sich in das Siegelwachs.

»Fürst Gunther ist angekommen, mein Fürst. Er hat gerade eine Besprechung mit Sir Markham.«

»Fürst Gunther!« Tanis’ Braue glättete sich. »Hervorragend. Kann ich...«

»Sie haben darum gebeten, daß Ihr Euch zu ihnen gesellt, wenn es Euch paßt, mein Fürst«, unterbrach Charles gelassen.

»Oh, es paßt mir jetzt gut«, antwortete Tanis und erhob sich. »Vermutlich gibt es noch keine Zeichen von der Zita...«

»Noch nicht, mein Fürst. Ihr werdet die Herren im Sommerfrühstückssalon finden – offiziell jetzt das Kriegszimmer.«

»Danke, Charles«, sagte Tanis und staunte, daß es ihm schließlich doch noch gelungen war, einen Satz zu Ende zu bringen.

»Ist sonst noch irgend etwas, mein Fürst?«

»Nein, danke. Ich kenne den...«

»Sehr gut, mein Fürst.« Charles verbeugte sich mit dem Brief in der Hand, hielt die Tür für Tanis auf und schloß sie hinter ihm. Er wartete noch einen Moment ab, ob Tanis vielleicht doch noch einen Wunsch hatte, dann verbeugte er sich wieder und verschwand.

Mit seinen Gedanken immer noch bei dem Brief, stand Tanis allein da und genoß die schattige Stille des schwach beleuchteten Korridors. Dann holte er zitternd Luft und machte sich entschlossen auf die Suche nach dem Kriegszimmer.

Tanis legte seine Hand auf den Türgriff und wollte gerade den Raum betreten, als er aus den Augenwinkeln eine flüchtige Bewegung wahrnahm. Er wandte sich um und sah eine dunkle Gestalt, die aus dem Nichts aufgetaucht war.

»Dalamar?« fragte Tanis verblüfft, ließ die Tür zum Kriegszimmer ungeöffnet und ging in dem Korridor auf den Dunkelelfen zu. »Ich dachte...«

»Tanis. Du bist es, den ich suche.«

»Hast du Neuigkeiten?«

»Keine, die du gerne hören wirst«, erwiderte Dalamar schulterzuckend. »Ich kann nicht lange bleiben, unser Schicksal steht auf des Messers Schneide. Aber ich habe dir dies mitgebracht.« Er griff in einen schwarzen Samtbeutel, der an seiner Seite hing, holte ein silbernes Armband heraus und streckte es Tanis entgegen.

Tanis nahm das Armband und untersuchte es neugierig. Es war ungefähr zehn Zentimeter breit und aus solidem Silber. Aus der Breite und dem Gewicht schloß Tanis, daß es für das Handgelenk eines Mannes bestimmt war. Das Silber war leicht angelaufen und mit schwarzen Steinen besetzt, deren polierte Oberflächen im flackernden Fackellicht des Korridors glänzten. Und es kam vom Turm der Erzmagier.

Tanis hielt es vorsichtig hoch. »Ist es...« Er zögerte, nicht sicher, was er eigentlich wissen wollte.

»Magisch? Ja«, half Dalamar nach.

»Gehört es Raistlin?« Tanis runzelte die Stirn.

»Nein.« Dalamar lächelte spöttisch. »Der Meister benötigt solche magischen Verteidigungsgegenstände nicht. Es gehört zur Sammlung im Turm. Es ist sehr alt, zweifellos noch aus Humas Zeit.«

»Wozu ist es denn gut?« Tanis betrachtete voller Zweifel das Armband. Seine Stirn war immer noch gerunzelt.

»Es macht seinen Träger widerstandsfähig gegen Magie.«

Tanis hob seinen Kopf. »Gegen Lord Soths Magie?«

»Gegen jede Magie. Aber ja, es beschützt den Träger vor Worten der Macht des toten Ritters, wie ›Tod‹, ›Betäubung‹, ›Blindheit‹. Es hält den Träger ab, die Wirkungen jener Angst zu fühlen, die er erzeugt. Und es beschützt den Träger vor seinem Feuer- und Eiszauber.«

Tanis sah Dalamar nachdenklich an. »Das ist wahrhaftig ein wertvolles Geschenk! Damit haben wir eine Chance.«

»Der Träger kann mir danken, wenn und falls er lebend zurückkehrt!« Dalamar faltete seine Hände in seinen Ärmeln. »Selbst ohne seine Magie ist Lord Soth ein mächtiger Gegner, ganz zu schweigen von seinen Anhängern, die ihm den Dienst mit Eiden geschworen haben, die selbst der Tod nicht auslöschen konnte. Ja, Halb-Elf, danke mir, wenn du zurückkehrst.«

»Ich?« fragte Tanis erstaunt. »Aber... ich habe seit über zwei Jahren kein Schwert mehr geschwungen!« Er starrte Dalamar scharf an. Sein Argwohn regte sich plötzlich wieder. »Warum ich?«

Dalamars Lächeln wurde breiter. Die schrägen Augen funkelten belustigt. »Dann gib es einem der Ritter, Halb-Elf. Soll es einer von ihnen tragen. Du wirst später alles verstehen. Vergiß nicht – es kommt aus der Dunkelheit. Es kennt seinesgleichen.«

»Warte!« Als Tanis sah, daß der Dunkelelf schon wieder aufbrechen wollte, hielt er ihn am Ärmel fest. »Warte noch eine Sekunde. Du hast gesagt, du hättest Neuigkeiten...«

»Das ist nicht deine Sorge.«

»Sag es mir.«

Dalamar hielt inne, und seine Augen zogen sich verärgert über diese Verzögerung zusammen. Tanis spürte, daß sich der Arm des jungen Elfen anspannte. Er hat Angst, dachte er. Aber noch während dieser Gedanke in ihm aufblitzte, hatte Dalamar die Beherrschung wiedererlangt. Seine Gesichtszüge wurden ruhig und ausdruckslos.

»Die Klerikerin Crysania wurde tödlich verwundet. Es gelang ihr jedoch, Raistlin zu beschützen. Er ist unverletzt und auf der Suche nach der Königin. So hat es mir Ihre Dunkle Majestät berichtet.«

Tanis spürte einen Druck in seiner Brust. »Was ist mit Crysania?« fragte er barsch. »Hat er sie einfach zum Sterben zurückgelassen?«

»Natürlich.« Dalamar schien leicht überrascht über diese Frage. »Sie kann ihm jetzt nicht mehr nützen.«

Tanis sah auf das Armband in seiner Hand und spürte den dringlichen Wunsch, es in die glänzenden Zähne des Dunkelelfen zu schleudern. Er erinnerte sich aber noch rechtzeitig, daß er sich den Luxus eines Zornausbruchs nicht erlauben konnte. Was für eine wahnsinnige, verzerrte Situation! Dann fiel ihm außerdem noch ein, daß Elistan zum Turm gegangen war, um dem Erzmagier zu helfen...

Tanis drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte wütend von dannen. Aber das Armband hielt er fest in seiner Hand.

»Seine Magie beginnt zu wirken, sobald du es anlegst«, schwebte Dalamars weiche Stimme durch Tanis’ Zornesnebel. Er hätte schwören können, daß der Dunkelelf lachte.

»Was ist los, Tanis?« fragte Fürst Gunther, als der Halb-Elf das Kriegszimmer betrat. »Mein lieber Junge, du bist blaß wie der Tod...«

»Nichts. Ich... ich habe nur beunruhigende Nachrichten gehört. Mir geht es bald wieder gut.« Tanis holte tief Luft, dann sah er die Ritter an. »Ihr seht auch nicht gerade gut aus.«

»Noch ein Trinkspruch?« Sir Markham hob sein Glas.

Fürst Gunther warf ihm einen strengen, mißbilligenden Blick zu, den der junge Ritter jedoch ignorierte, während er lässig das Glas in einem Zug leerte.

»Die Zitadelle wurde gesichtet. Sie hat das Gebirge überquert. In der Morgendämmerung wird sie hier sein.«

Tanis nickte. »Wie ich vermutet habe.« Er kratzte sich am Bart, dann rieb er sich erschöpft die Augen. Er warf einen Blick auf die Brandyflasche, dann schüttelte er den Kopf. Nein, dann würde er wahrscheinlich sofort einschlafen.

»Was hast du denn da in der Hand?« fragte Gunther und griff mit einer Hand nach dem Armband. »Irgendeinen Glückszauber der Elfen?«

»Ich würde es nicht berühren...«, begann Tanis.

»Verdammt!« keuchte Gunther und zog seine Hand zurück. Das Armband fiel zu Boden und landete auf einem Teppich. Der Ritter bewegte voll Schmerz seine Hand.

Tanis bückte sich und hob das Armband auf. Gunther beobachtete ihn mit ungläubigen Augen. Sir Markham hielt mühsam das Lachen zurück.

»Der Magier Dalamar hat es uns gebracht. Es stammt vom Turm der Erzmagier«, erklärte Tanis, ohne auf Fürst Gunthers finsteren Blick zu achten. »Es beschützt seinen Träger vor den Wirkungen der Magie – dadurch wird es einem von uns überhaupt möglich, in die Nähe von Lord Soth zu kommen.«

»Einem von uns!« wiederholte Gunther. Er starrte auf seine Hand. An den Stellen, wo er das Armband berührt hatte, war sie verbrannt. »Nicht nur das, es hat einen Schock durch mich gejagt, der fast mein Herz zum Stillstand gebracht hätte! Wer im Namen der Hölle kann so ein Ding denn tragen?«

»Ich beispielsweise«, gab Tanis zurück. »Es hat wohl etwas mit euch Rittern und euren heiligen Schwüren zu Paladin zu tun«, murmelte er und merkte, daß er errötete.

»Vergrab es!« knurrte Fürst Gunther. »Wir brauchen keine Hilfsmittel von den Schwarzen Roben!«

»Mir scheint aber, wir können jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können, mein Fürst«, gab Tanis heftig zurück. »Ich möchte dich auch daran erinnern, merkwürdig wie es sein mag, daß wir alle auf der gleichen Seite stehen! Und jetzt, Sir Markham, wie sieht es mit den Plänen für die Verteidigung der Stadt aus?«

Tanis ließ das Armband in einen Beutel gleiten, gab vor, Fürst Gunthers finsteren Blick nicht zu bemerken, und wandte sich an Sir Markham, der zwar etwas verblüfft über diese plötzliche Anrede wirkte, aber schnell mit seinem Bericht begann.

Die Ritter von Solamnia waren vom Turm des Oberklerikers abmarschiert. Es würde aber Tage dauern, bis sie Palanthas erreichten. Er hatte einen Boten ausgeschickt, um die guten Drachen zu mobilisieren, aber ihre rechtzeitige Ankunft in Palanthas schien unwahrscheinlich.

Die Stadt selbst befand sich in Alarmbereitschaft. In einer kurzen, knappen Ansprache hatte Herrscher Amothud den Bürgern mitgeteilt, was ihnen bevorstand. Es war jedoch keine Panik ausgebrochen, eine Tatsache, die Gunther nur schwer hatte glauben können. Oh, einige reiche Bürger hatten versucht, Schiffskapitäne zu bestechen, aber angesichts dieser unheilverkündenden Gewitterwolken hatten die Kapitäne sich alle geweigert, aufs Meer zu segeln. Die Tore der Altstadt waren geöffnet. Jenen, die aus der Stadt fliehen wollten und das Risiko auf sich nahmen, in die Wildnis zu gehen, wurde es natürlich erlaubt. Aber nicht viele hatten von dieser Gelegenheit Gebrauch gemacht. Innerhalb von Palanthas boten zumindest die Stadtmauern und die Ritter Schutz.

Insgeheim dachte Tanis, daß die Bürger von dieser Gelegenheit Gebrauch machen würden, wenn sie wirklich von dem Entsetzen wüßten, das ihnen bevorstand. So aber hatten die Frauen ihre prächtigen Kleider abgelegt und begonnen, jeden verfügbaren Behälter mit Wasser zu füllen, um Feuer zu löschen. Die Bewohner der Neustadt, die nicht von Mauern umgeben war, hatten sich in die Altstadt zurückgezogen, da deren Mauern in der kurzen Zeit, so gut es ging, befestigt worden waren. Kinder waren in Weinkellern und Schutzräumen untergebracht. Die Händler hielten ihre Geschäfte geöffnet und teilten die notwendigen Vorräte aus. Waffenmeister verteilten Waffen, und alle Schmiede arbeiteten spät in der Nacht immer noch, um Schwerter, Schilde und Rüstungen instand zu setzen.

Als Tanis über die Stadt schaute, sah er Lichter in den meisten Häusern – die Menschen bereiteten sich auf einen Morgen vor, von dem er aus Erfahrung wußte, daß man sich darauf nicht vorbereiten konnte.

Mit einem Seufzer dachte er an seinen Brief an Laurana und fällte eine bittere Entscheidung. Er wußte schon, daß Einwände folgen würden. Aber erst mußte er das Fundament legen. Er unterbrach Markham. »Was vermutest du, wie sieht ihr Angriffsplan aus?« fragte er Fürst Gunther.

»Ich denke, der ist recht einfach.« Gunther zupfte an seinem Schnurrbart. »Sie machen es so wie in Kalaman. Bringen die Zitadelle so dicht wie möglich heran. In Kalaman konnten sie nicht nah genug kommen. Die Drachen hielten sie zurück. Aber« – er zuckte die Achsem – »wir verfügen nicht annähernd über die Anzahl der Drachen wie sie damals. Wenn die Zitadelle erst über den Mauern ist, werden die Drakonier abspringen und versuchen, die Stadt von innen einzunehmen. Die bösen Drachen werden angreifen...«

»...und Lord Soth wird durch die Tore fegen«, beendete Tanis den Satz.

»Die Ritter sollten trotzdem rechtzeitig hier sein, um ihn abzuhalten, die Leichen zu plündern«, bemerkte Sir Markham, der schon wieder einen Schwenker leerte.

»Und Kitiara«, überlegte Tanis, »wird versuchen, den Turm der Erzmagier zu erreichen. Laut Dalamar kann kein Lebewesen den Eichenwald von Shoikan passieren, aber er sagte auch, daß Kitiara von Raistlin einen Zauber erhalten hat. Sie kann auf Soth warten, bevor sie geht. Denn sie kann davon ausgehen, daß er ihr behilflich ist.«

»Wenn der Turm ihr Ziel ist«, sagte Gunther. Es war offensichtlich, daß er die Berichte über Raistlin immer noch nicht glaubte. »Meine Vermutung geht dahin, daß sie die Schlacht als Deckung benutzt, um mit ihrem Drachen über die Mauern zu fliegen und dann so dicht wie möglich am Turm zu landen. Vielleicht können wir Ritter um den Wald postieren, die sie aufhalten...«

»Sie können nicht dicht genug herankommen«, unterbrach Sir Markham und fügte ein verspätetes »mein Fürst« hinzu. »Der Eichenwald hat auf Meilen im Umkreis eine zermürbende Wirkung auf jeden, der sich ihm nähert.«

»Außerdem brauchen wir die Ritter, um mit Soths Kriegern fertigzuwerden«, sagte Tanis. Er holte tief Luft. »... ich habe einen Plan. Wenn ich den jetzt vorlegen dürfte?«

»Auf jeden Fall, Halb-Elf.«

»Du glaubst, daß die Zitadelle von oben angreifen wird und daß Lord Soth durch die Haupttore kommt und für Ablenkung sorgen will, so daß Kitiara ihre Chance erhält, den Turm zu erreichen. Stimmt das?«

Gunther nickte.

»Nun, dann sollten so viele Ritter wie möglich auf den bronzenen Drachen reiten. Gib mir Feuerblitz. Da mir das Armband den besten Schutz gegen Soth verleiht, werde ich mich um den kümmern. Die anderen Ritter können sich auf seine Anhänger konzentrieren. Ich habe sowieso eine private Rechnung mit Soth zu begleichen«, fügte Tanis hinzu, weil Gunther bereits seinen Kopf schüttelte.

»Absolut nein. Du hast dich im letzten Krieg sehr bewährt, aber du hast niemals eine Ausbildung genossen! Gegen einen Ritter von Solamnia anzutreten...«

»Selbst gegen einen toten Ritter von Solamnia!« mischte sich Sir Markham mit einem betrunkenen Kichern ein.

Gunthers Schnurrbart zitterte vor Zorn, aber er riß sich zusammen und fuhr kalt fort: »... einen ausgebildeten Ritter wie Soth, da kannst du nur versagen – Armband oder nicht.«

»Ohne Armband jedoch, mein Fürst, wird die Ausbildung in der Schwertkunst auch nichts ausrichten«, gab Sir Markham zu bedenken. »Ein Bursche, der nur auf dich zu zeigen und ›Tod‹ zu sagen braucht, genießt einen entschiedenen Vorteil.«

»Bitte, Herr«, setzte Tanis erneut an, »ich gebe zu, daß meine formale Ausbildung begrenzt ist, aber die Jahre, in denen ich ein Schwert getragen habe, übertreffen deine, mein Fürst, im Verhältnis von ungefähr zwei zu eins. Mein Elfenblut...«

»Zur Hölle mit deinem Elfenblut«, brummte Gunther und funkelte Sir Markham an, der entschlossen die Blicke seines Vorgesetzten ignorierte und schon wieder zur Brandyflasche griff.

»Ich werde mich, falls ich dazu gezwungen bin, auf meinen Rang beziehen, mein Fürst«, erklärte Tanis ruhig.

Gunthers Gesicht lief rot an. »Verdammt, der wurde doch ehrenhalber verliehen!«

Tanis lächelte. »Der Kodex kennt diese Unterscheidung nicht. Ehrenhalber oder nicht, ich bin ein Ritter der Rose, und mein Alter – nun gut über hundert, mein Fürst – gibt mir Vorrang.«

Sir Markham lachte. »Oh, um der Götter willen, Gunther, gib ihm die Erlaubnis zu sterben. Was macht das überhaupt für einen Unterschied?«

»Er ist betrunken«, murmelte Gunther und warf einen vernichtenden Blick auf Sir Markham.

»Er ist jung«, lächelte Tanis. »Nun, mein Fürst?«

Fürst Gunthers Augen blitzten vor Zorn auf. Als er den Halb-Elf anfunkelte, lagen ihm scharfe Worte der Mißbilligung auf den Lippen. Aber sie wurden niemals ausgesprochen. Gunther wußte – keiner besser als er —, daß derjenige, der Soth gegenübertrat, sich selbst übergroßer Gefahr aussetzte zu sterben – ob mit magischem Armband oder ohne es. Er hatte zuerst angenommen, daß Tanis entweder zu naiv oder zu dumm war, um das zu erkennen. Aber als er in die dunklen Augen des Halb-Elfen sah, begriff er wieder einmal, daß er ihn falsch beurteilt hatte.

Fürst Gunther schluckte seine Worte mit einem mürrischen Husten hinunter und machte eine Handbewegung zu Sir Markham. »Sieh zu, daß du ihn wieder ausnüchtern kannst, Halb-Elf. Und dann solltest du dich selbst aufpolieren. Die Ritter werden auf euch warten.«

»Danke, mein Fürst«, murmelte Tanis.

»Und mögen die Götter bei dir sein«, fügte Gunther mit leiser, erstickter Stimme hinzu. Er ergriff Tanis’ Hand, dann drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Tanis sah kurz zu Sir Markham hinüber, der mit einem sarkastischen Lächeln aufmerksam auf die leere Brandyflasche starrte. Er ist nicht so betrunken, wie er vorgibt, fand Tanis, oder wie er es gerne wäre.

Der Halb-Elf wandte sich von dem jungen Ritter ab und ging zum Fenster. Er sah hinaus und wartete auf die Dämmerung.


»Laurana, meine geliebte Frau, als wir uns vor einer Woche trennten, hatten wir keine Ahnung, daß es eine Trennung für eine lange, lange Zeit sein könnte.

Wir wurden die meiste Zeit unseres Lebens voneinander getrennt. Aber zugegeben, ich kann nicht trauern, daß wir jetzt getrennt sind. Es tröstet mich, zu wissen, daß du dich in Sicherheit befindest, auch wenn ich fürchten muß, daß es auf Krynn nirgendwo mehr einen sicheren Hafen gibt, falls Raistlin mit seinen Plänen erfolgreich ist.

Ich muß aufrichtig sein, Liebste.

Ich sehe wenig Hoffnung, daß überhaupt jemand überlebt. Ich stehe ohne Angst dem Wissen gegenüber, daß ich wahrscheinlich sterben werde – ich glaube, das kann ich dir aufrichtig mitteilen. Aber ich kann diesem Schicksal nicht ohne bitteren Zorn gegenüberstellen. Im letzten Krieg konnte ich mir Mut erlauben. Da ich nichts hatte, konnte ich auch nichts verlieren. Aber niemals wollte ich so sehr leben wie jetzt. Ich bin wie ein Geizhals, gierig nach der Freude und dem Glück, das wir gefunden haben. Ich bin einer, der das nur widerwillig aufgibt. Ich denke an unsere Pläne, die Kinder, auf die wir hofften. Ich denke an dich, meine Geliebte, und welche Trauer mein Tod dir bringen muß.

Ich kann dich nur bitten, nimm es als Trost auf, so wie es mein Trost ist – diese Trennung wird unsere letzte sein. Die Welt wird uns niemals wieder trennen können.

Ich werde auf dich warten, Laurana, in dem Reich, wo selbst die Zeit stirbt.

Und eines Abends, in jenem Reich des ewigen Frühlings, des ewigen Zwielichts, werde ich auf den Weg schauen und dich sehen, wie du auf mich zukommst. Ich kann dich so deutlich sehen, Geliebte.

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne glänzen auf deinem goldenen Haar, deine Augen strahlen in der Liebe, die mein Herz erfüllt.

Du wirst zu mir kommen.

Ich werde dich in meinen Armen halten.

Wir werden die Augen schließen und anfangen, unseren immerwährenden Traum zu träumen.«

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