Am Freitagmorgen nach meiner Rückkehr aus der Zukunft erwachte ich lange nach Sonnenaufgang aus einem tiefen und traumlosen Schlaf.
Ich stieg aus dem Bett und riß die Vorhänge zurück. Die Sonne begab sich an ihren üblichen langsamen Aufstieg über den Himmel, und ich erinnerte mich, wie die Sonne aus der Perspektive eines Zeitreisenden schier über den Himmel gesprungen war! Aber jetzt, so schien es, war ich wieder in der dahintröpfelnden Zeit eingefangen, wie ein Insekt in zähflüssigem Bernstein.
Die Geräusche eines ganz normalen Morgens in Richmond sammelten sich unter meinem Fenster: die klappernden Hufe von Pferden, das Rattern von Rädern auf dem Kopfsteinpflaster, das Zuschlagen von Türen. Eine Dampfstraßenbahn fuhr rauchspeiend und funkensprühend die Petersham Road entlang, und die möwenartigen Schreie von Hausierern schnitten durch die Luft. Meine Gedanken schweiften von den spannenden Abenteuern in der Zeit ab und begaben sich auf ein prosaischeres Niveau: Ich rekapitulierte den Inhalt der letzten Pall Mall Gazette und die Aktienkurse und überlegte, daß mit der Morgenpost vielleicht das aktuelle American Journal of Science kommen würde, das einige meiner Kommentare zu den Untersuchungen von A. Michelson und E. Morley bezüglich gewisser Eigenschaften des Lichts abdrucken würde, die bereits vor vier Jahren in diesem Journal veröffentlicht worden waren, im Jahre 1887…
Und so weiter! Die Alltagsdetails drängten sich in meinem Kopf, und im Kontrast hierzu erschienen mir meine Abenteuer in der Zukunft bald phantastisch — sogar absurd. Wenn ich jetzt so darüber nachdachte, kam es mir vor, als ob all diese Erfahrungen die Qualität einer Halluzination, ja sogar eines Traumes hätten: da war dieser Eindruck gewesen, kopfüber zu fallen, eine völlig verschwommene Wahrnehmung, und schließlich der Sturz in die alptraumhafte Welt des Jahres 802701 n. Chr. Es ist schon bemerkenswert, wie der Alltag unsere Vorstellungen dominiert — wie ich hier im Schlafanzug stand, überkam mich wieder etwas von der Unsicherheit, die mich bereits am letzten Abend ergriffen hatte, und ich begann sogar an der Existenz der Zeitmaschine zu zweifeln! — trotz der kristallklaren Erinnerung an die zwei Jahre meines Lebens, die ich in ihren Eingeweiden verbracht hatte, ganz zu schweigen von den davorliegenden zwei Jahrzehnten, in denen ich die Theorie der Zeitreise aus Anomalien entwickelt hatte, die mir an Forschungen zur optischen Physik aufgefallen waren.
Ich dachte an die Unterhaltung mit meinen Kollegen beim letzten Abendessen — irgendwie standen diese wenigen Stunden jetzt viel prägnanter in meiner Erinnerung als all die Tage, die ich in dieser Welt der Zukunft verbracht hatte — und ich erinnerte mich an die unterschiedlichen Kommentare zu meinem Bericht: man hatte allenthalben sein Wohlgefallen für eine gute Story kundgetan, das je nach individuellem Temperament von Sympathiebekundungen oder kaum verhohlenem Spott begleitet wurde — und, wie ich mich erinnere, mit einer fast grenzenlosen Skepsis. Nur ein guter Freund, den ich im folgenden als den Schriftsteller bezeichnen werde, schien meine Ausführungen mit einem Mindestmaß an Sympathie und Glauben verfolgt zu haben.
Ich stand am Fenster und reckte mich — und schlagartig verschwanden die Zweifel hinsichtlich meines Gedächtnisses! Die Rückenschmerzen waren real genug — heftig und stechend — wie das Brennen in den Arm- und Beinmuskeln: ein Protest der Muskulatur eines nicht mehr jungen Mannes, die im untrainierten Zustand zu sportlicher Aktivität gezwungen wurden. »Nun gut«, sagte ich zu mir selbst, »wenn unsere Reise in die Zukunft wirklich nur ein Traum gewesen war; alles, einschließlich jener düsteren Nacht, als ich die Morlocks im Wald fand — woher kommt dann dieser Muskelkater? Sind wir vielleicht als Schlafwandler im Garten herumgestolpert?«
Und dann sah ich in einer Ecke des Zimmers einen kleinen Haufen achtlos hingeschmissener Kleidung: es waren die Sachen, die ich auf meinem Flug in die Zukunft verschlissen hatte und die jetzt nur noch gut für den Reißwolf waren. Ich erkannte Grasflecken und Brandspuren; die Taschen waren zerrissen, und ich erinnerte mich, wie Weena diese Lumpen als Vase zweckentfremdet hatte, um die bläßlichen Blumen der Zukunft darin unterzubringen. Meine Schuhe waren natürlich nicht mehr da — ich dachte mit einem merkwürdigen Anflug des Bedauerns an die bequemen, treuen alten Hausschuhe, die ich gedankenlos in die Zukunft mitgenommen hatte, bevor ich sie einem unvorstellbaren Schicksal überließ! — und dort, auf dem Teppich, lagen die schmutzigen, blutbefleckten Überreste meiner Socken.
Irgendwie waren es diese Socken — diese komischen, löchrigen alten Socken! — deren unästhetische Existenz mich davon überzeugte, daß ich noch nicht verrückt war, daß mein Flug in die Zukunft nicht nur ein Traum gewesen war.
Ich erkannte, daß ich wieder in die Zeit zurück mußte; ich mußte Beweismaterial dafür sammeln, daß mein Ausflug in die Zukunft genauso real gewesen war wie das Richmond des Jahres 1891, um sowohl meinen Freundeskreis als auch meine Wissenschaftlerkollegen zu überzeugen — und die letzten Spuren des Selbstzweifels zu beseitigen. Als ich diesen Entschluß faßte, sah ich plötzlich das liebliche, leere Gesicht von Weena, so lebendig, als ob sie direkt vor mir gestanden hätte. Traurigkeit und eine Woge des Schuldgefühls wegen meiner Unüberlegtheit fuhren durch mein Herz. Weena, die Kindfrau der Eloi, war mir zum Grünen Porzellanpalast gefolgt, durch die Tiefen des sich wieder ausbreitenden Waldes dieses weit in der Zukunft liegenden Themse-Tals, und galt seit der Verwirrung durch das anschließende Feuer und die hinterhältigen Angriffe der Morlocks als vermißt. Ich bin schon immer jemand gewesen, der erst handelt und dann den Verstand zuschaltet! In meiner Junggesellenzeit hatte diese Neigung niemanden in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht, außer mich selbst — aber jetzt, in meiner gedankenlosen und überstürzten Hetzjagd, hatte ich die arme und mir vertrauende Weena einem gräßlichen Tod in den Schatten jener dunklen Nacht der Morlocks überantwortet.
Es klebte Blut an meinen Händen, und nicht nur der Lebenssaft dieser verrotteten, degenerierten Untermenschen, der Morlocks.
Ich war entschlossen, auf jede mir nur mögliche Art Wiedergutmachung zu leisten für die verabscheuungswürdige Behandlung der armen, auf mich vertrauenden Weena. Ich war voller Entschlossenheit. Meine Abenteuer, körperlich und intellektuell, waren noch nicht vorbei!
Ich veranlaßte Mrs. Watchets, mir ein Bad einzulassen, und kletterte in die Wanne. Trotz meiner inneren Unruhe nahm ich mir die Zeit, mich um meine armen, zerschlagenen Knochen zu kümmern; mit Interesse registrierte ich die Blasen und Narben an den Füßen sowie die leichten Verbrennungen, die ich mir an den Händen zugezogen hatte.
Ich kleidete mich schnell an. Mrs. Watchets bereitete mir ein Frühstück. Bei den Eiern, Pilzen und Tomaten langte ich kräftig zu, aber den Schinken und die Würstchen bekam ich kaum hinunter; als ich in das dicke Fleisch biß, ließ sein salziger und öliger Saft eine leichte Übelkeit in mir aufkommen.
Ich mußte an die Morlocks denken und an das Fleisch, dessen Verzehr ich bei ihren widerwärtigen Mahlzeiten beobachtet hatte! Wie ich mich erinnerte, hatten diese Erfahrungen beim letzten Abendessen meinen Appetit auf Schaffleisch nicht beeinträchtigen können, aber da war mein Hunger auch viel größer gewesen. Konnte es sein, daß ein gewisser Schock und ein Unbehagen, das aus meinen unerfreulichen Erlebnissen herrührte, auch jetzt noch mein Bewußtsein beeinflußte?
Aber bei mir geht es nicht ohne ein handfestes Frühstück ab; ich glaube nämlich, daß eine ordentliche Dosis Pepton am Morgen in den Arterien sehr wichtig ist für das effiziente Funktionieren der menschlichen Maschinerie mit ihrem hohen Energieumsatz. Und heute könnte ein so anstrengender Tag wie noch kaum in meinem Leben werden. Deshalb schob ich mein Unbehagen beiseite und putzte die Platte, wobei ich mich resolut durch den Schinken kaute.
Nach dem Frühstück hüllte ich mich in einen leichten, aber praktischen Sommeranzug. Wie ich meinen Kollegen beim letzten Abendessen wohl erzählt hatte, war mir bei dem Sturz durch die Zeit aufgefallen, daß es in der Welt des Jahres 802701 keinen Winter mehr gab — ob aufgrund der natürlichen Evolution, geogonischer Planung oder Eingriffe in die Sonne selbst, konnte ich nicht sagen —, und so brauchte ich auch keinen Wintermantel oder Schal. Ich setzte einen Hut auf, um die Sonne von meinem blassen englischen Teint fernzuhalten und kramte meine robustesten Wanderstiefel hervor.
Ich nahm einen kleinen Rucksack und machte mich an eine Hausbegehung, wobei ich Schränke und Schubladen nach Utensilien durchsuchte, die ich für meine zweite Reise zu benötigen glaubte — wie ich befürchte, zur großen Beunruhigung der armen und geduldigen Mrs. Watchets, die meine geistige Gesundheit sicher schon längst ins Reich der Legende verbannt hatte! Wie es eben meine Art ist, wollte ich schnell weg, und dennoch wollte ich nicht so überstürzt vorgehen wie beim erstenmal, als ich achttausend Jahrhunderte mit nicht mehr als einem Paar Hausschuhen und einer einzigen Schachtel Streichhölzer bewältigt hatte.
Ich stopfte alle Streichholzschachteln, die ich im Haus finden konnte, in den Rucksack — und schickte Hillyer sogar zum Tabakwarenladen, um noch mehr zu besorgen. Ich packte Kampfer und Kerzen ein — und aufgrund einer Eingebung noch robuste Kordel, um mir neue Kerzen zu machen, falls ich irgendwo stranden sollte. (Ich hatte indessen wenig Ahnung von der Kerzenmanufaktur, aber im strahlenden Licht dieses optimistischen Morgens wollte ich mein Improvisationstalent nicht in Frage stellen.)
Ich packte Franzbranntwein ein, Salben, ein paar Chinintabletten und ein Verbandspäckchen. Eine Waffe hatte ich nicht — ich weiß auch nicht, ob ich eine hätte mitnehmen sollen, selbst wenn ich eine besessen hätte; denn was will ich mit einer Kanone, wenn mir die Munition ausgegangen ist? —, aber wenigstens steckte ich mir ein Taschenmesser ein. Ich packte einen Satz Werkzeuge ein — einen Schraubenzieher, unterschiedlich große Schraubenschlüssel, eine kleine Metallsäge mit Ersatzblatt — sowie ein Sortiment Schrauben und Nickel-, Messing- und Quarzstangen. Ich wollte vermeiden, daß ich bei einer trivialen Panne der Zeitmaschine in irgendeiner Zukunft liegenblieb, nur weil mir etwas Messing fehlte: trotz meines zeitweiligen Vorhabens, eine neue Zeitmaschine zu bauen, nachdem mir die erste im Jahre 802701 von den Morlocks geklaut worden war, hatte ich in dieser verrotteten Zukunftswelt keinen Hinweis auf Materialien gefunden, mit denen ich auch nur eine abgescherte Schraube hätte reparieren können. Natürlich verfügten die Morlocks noch über gewisse handwerkliche Fertigkeiten, aber die Aussicht, mit diesen degenerierten Würmern wegen ein paar Schrauben in Verhandlungen treten zu müssen, sagte mir absolut nicht zu.
Dann fand ich noch meine Kodak und kramte die Blitzvorrichtung hervor. Die Kamera war neu geladen, mit hundert Negativrahmen auf einer Papierrolle. Ich weiß noch, wie verdammt teuer mir das Ding vorgekommen war, als ich es gekauft hatte — ich hatte es für nicht weniger als fünfundzwanzig Dollar auf einem Ausflug nach New York erworben —, wenn ich jedoch mit Aufnahmen aus der Zukunft zurückkehren sollte, würde jeder dieser Zwei-Zoll-Rahmen wertvoller sein als das renommierteste Gemälde.
Hatte ich jetzt alles? Ich fragte noch die arme Mrs. Watchets um Rat, obwohl ich ihr natürlich nicht verriet, wohin die Reise gehen sollte. Die gute Frau — unerschütterlich, mollig, erstaunlich matronenhaft und dennoch mit einem treuen und warmen Herzen — warf einen Blick in meinen vollgestopften Rucksack und hob eine buschige Augenbraue. Dann ging sie in mein Zimmer und kam mit Socken und Unterwäsche zurück, sowie — hier hätte ich ihr einen Kuß geben mögen! — mit meiner Pfeife, Reinigern und der Tabaksdose aus meinem Mantel.
So machte ich mich mit meiner üblichen Mischung aus fieberhafter Ungeduld — und einem grenzenlosen Vertrauen auf den guten Willen und gesunden Menschenverstand der anderen — auf den Weg zurück in die Zukunft.
Mit dem Rucksack unter dem einen Arm und der Kodak unter dem anderen ging ich in mein Laboratorium, wo die Zeitmaschine wartete. Als ich ins Raucherzimmer kam, stellte ich mit gewissem Unbehagen fest, daß ich einen Besucher hatte: einer meiner Gäste vom Vorabend und vielleicht mein bester Freund — es war der Schriftsteller, den ich schon erwähnt hatte. Er stand mitten im Raum, in einen schlecht sitzenden Anzug gekleidet und mit einer denkbar schlampig gebundenen Krawatte dekoriert; die Hände baumelten verlegen an seiner Seite. Ich erinnerte mich wieder, wie ich meinen Freundes- und Bekanntenkreis eingeladen hatte, um ihm einen ersten Bericht meiner Erlebnisse zu geben und daß es dieser junge Mann gewesen war, der mit der größten Intensität zugehört hatte, wobei sein Schweigen Sympathie und Faszination ausstrahlte.
Der Schriftsteller gehörte quasi zur Familie und konnte ohne große Formalitäten bei mir ein- und ausgehen. Ich verspürte ungewohnte Freude bei seinem Anblick und war dankbar für sein Kommen — daß er mich nicht als Exzentriker links liegen ließ, was nach meinem Auftritt am Abend zuvor durchaus vorstellbar gewesen wäre. Ich lachte und streckte, beladen mit Rucksack und Kamera, einen Ellbogen aus; er ergriff das Gelenk und schüttelte es feierlich. »Ich bin bis über beide Ohren beschäftigt«, erklärte ich, »mit dem Ding hier drin.«
Er musterte mich; ich meinte, in seinen hellblauen Augen das verzweifelte Bemühen zu erkennen, mir zu glauben. »Aber ist das nicht nur ein Schwindel? Kannst du denn wirklich durch die Zeit reisen?«
»Ich kann das voll und ganz«, antwortete ich und hielt seinem Blick solange wie möglich stand, denn ich wollte, daß er überzeugt war.
Er war ein kleiner, vierschrötiger Mann mit vorspringender Unterlippe, breiter Stirn, gelockten Koteletten und ziemlich häßlichen Ohren. Er war jung — zirka fünfundzwanzig, glaube ich, und damit zwei Jahrzehnte jünger als ich — und doch fiel sein glattes Haar bereits aus. Sein Gang wirkte irgendwie sprunghaft, und er hatte etwas Energisches an sich — nervös, wie ein plumper Vogel —, aber er sah immer kränklich aus: wie ich weiß, litt er von Zeit zu Zeit an inneren Blutungen. Die hatte er sich während eines Fußballspiels durch einen Tritt in die Nieren zugezogen, als er noch Lehrer in irgendeiner gottvergessenen Privatschule in Wales gewesen war. Und heute stand in seinen blauen, obschon müden Augen wie immer Intelligenz und Sympathie für mich.
Mein Freund war Lehrer — zu dieser Zeit im Fernunterricht —, aber er war auch ein Träumer. Auf unseren geselligen Donnerstagabend-Dinnerparties in Richmond pflegte er immer mit Spekulationen über die Zukunft und die Vergangenheit aufzuwarten und uns seine neuesten Kommentare zur Bedeutung von Darwins nüchterner, gottloser Analytik und was sonst nicht noch allem zu präsentieren. Er träumte von der Perfektion der menschlichen Rasse — ich wußte, daß er genau der Typ war, der sich von ganzem Herzen wünschte, daß meine Geschichten über die Zeitreise der Wahrheit entsprachen!
Ich nenne ihn wohl aus altem Wohlwollen heraus ›Schriftsteller‹, denn soweit ich weiß, hatte er nur diverse unausgegorene Spekulationen in College-Journals und dergleichen veröffentlicht; aber ich hatte keine Zweifel, daß sein agiler Verstand ihm eine wie auch immer geartete Nische in der Welt des Wortes sichern würde — und, was noch wichtiger war, er hegte auch keine diesbezüglichen Zweifel.
Obwohl ich dringend weg wollte, blieb ich für einen Moment stehen. Vielleicht konnte der Schriftsteller auf dieser neuen Reise mein Zeuge sein — und tatsächlich, so überlegte ich, könnte er ja schon planen, meine früheren Abenteuer als Unterhaltungsroman zu veröffentlichen.
Na gut, meinen Segen hatte er!
»Ich brauche nur eine halbe Stunde«, sagte ich und machte mir dabei bewußt, daß ich durch eine bloße Bewegung der Hebel meiner Maschine exakt zu dieser Raumzeit zurückkehren konnte, egal, wie lange ich in der Zukunft oder Vergangenheit bleiben wollte. »Ich weiß, warum du gekommen bist, und du hast das absolut Richtige getan. Hier liegen ein paar Zeitschriften herum. Wenn du bis zum Mittagessen hierbleibst, werde ich dir den Nachweis der Zeitreise haarklein erbringen, mit Proben und so weiter. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest?«
Er akzeptierte. Ich nickte ihm zu und ging dann ohne weitere Worte den Korridor zu meinem Laboratorium entlang.
So nahm ich meinen Abschied von der Welt des Jahres 1891. Ich ließ keine Familie zurück und habe auch keinen Sinn für sentimentale Verabschiedungen; hätte ich jedoch gewußt, daß ich den Schriftsteller nie wiedersehen würde — zumindest nicht in körperlicher Gestalt — dann hätte ich meinen Abgang wohl doch etwas zeremonieller gestaltet!
Ich betrat mein Laboratorium. Es ähnelte irgendwie einer Mühle. An der Decke war eine Dampfmaschine angebracht, die über Lederriemen diverse Drehbänke antrieb; auf anderen Werkbänken waren kleinere Maschinen befestigt, eine Blechpresse, sonstige Pressen, Schweißgeräte, Schraubstöcke und dergleichen. Auf der Drehbank lagen Metallteile und Zeichnungen verstreut, und verworfene Ergebnisse meiner Bemühungen lagen im Staub des Fußbodens, denn im Grunde bin ich kein ordentlicher Mensch; so fand ich nun zum Beispiel zu meinen Füßen den Nickelbolzen, der mich vor meinem ersten Abstecher in die Zeit aufgehalten hatte — dieser Bolzen, von dem sich herausstellte, daß er eine Länge von genau einem Zoll aufwies und den ich daher nachfertigen mußte.
Ich überlegte, daß ich zwei Jahrzehnte meines Lebens fast nur in diesem Raum verbracht hatte. Der Ort war ein ehemaliges Observatorium und hatte Zugang zu einem Garten. Das Laboratorium saß auf einem Gerüst aus schlanken, weiß angestrichenen Eisenstreben und hatte früher Aussicht auf den Fluß geboten; aber ich hatte schon vor langer Zeit die Fenster mit Brettern zugenagelt, um konstante Lichtverhältnisse zu haben und die neugierigen Blicke meiner Nachbarn fernzuhalten. Meine diversen Werkzeuge und Aggregate stachen trübe aus dieser öligen Dunkelheit hervor, und nun erinnerten sie mich an die großen Maschinen in den Kavernen der Morlocks. Ich fragte mich, ob ich nicht vielleicht selbst eine morbide Ader der Morlocks in mir hatte! Wenn ich zurückkehrte, so schwor ich mir, würde ich die Bretter abreißen, die Fenster putzen und den Ort zu einer Stätte des Lichts der Eloi machen, statt eines Platzes der Düsternis der Morlock.
Ich ging zur Zeitmaschine hinüber.
Dieses klobige, windschiefe Gerät saß in der nordwestlichen Ecke des Laboratoriums — wo die Morlocks es bei ihren Bemühungen hingeschleppt hatten, mich im Podest der Weißen Sphinx einzuschließen. Ich zerrte die Maschine in die südwestliche Ecke des Laboratoriums zurück, wo ich sie gebaut hatte. Nach getaner Arbeit beugte ich mich nach vorn und machte im Zwielicht die vier chronometrischen Rundinstrumente aus, welche die Reisedauer der Zeitmaschine in Tagen zählten; jetzt standen die Zeiger natürlich alle auf Null, denn die Maschine befand sich ja wieder in ihrer Ausgangszeit. Neben dieser Uhrenreihe waren zwei Hebel, welche die Maschine aktivierten, einer für die Zukunft, der andere für die Vergangenheit.
Ich streckte eine Hand aus und berührte aus einem Impuls heraus den Hebel für die Option ›Zukunft‹. Die klobige, aus einem Metall- und Elfenbeinkonglomerat bestehende Kiste erzitterte wie ein lebendiges Wesen. Ich lächelte. Die Maschine erinnerte mich daran, daß sie nicht mehr von dieser Welt, von dieser Raumzeit war! Von allen Objekten des Universums, abgesehen von denen, die ich am Leib getragen hatte, war diese Maschine das einzige, die acht Tage älter war als ihre Herkunftswelt: ich hatte nämlich eine Woche in der Epoche der Morlocks verbracht, war dann aber wieder in meine Ausgangszeit zurückgekehrt.
Ich setzte den Rucksack und die Kamera auf dem Boden des Laboratoriums ab und hängte den Hut an den Haken an der Tür. Eingedenk der Tatsache, daß die Morlocks an der Zeitmaschine herummanipuliert hatten, begab ich mich an eine Inspektion. Ich machte mir dabei nicht die Mühe, diverse braune Flecken sowie Gras- und Moosreste zu entfernen, die immer noch an den Kufen der Maschine klebten; bei mir muß nicht immer alles blitzeblank sein. Aber eine Kufe war verbogen, und das richtete ich. Dann überprüfte ich die Schrauben und ölte die Quarzstangen ein.
Bei der Arbeit erinnerte ich mich an die peinliche Panik, mit der ich das Verschwinden der Zeitmaschine bemerkt hatte, und mich durchlief eine Woge immenser Zuneigung für das häßliche Gerät. Die Maschine war ein offener Käfig aus Nickel, Messing und Quarz, Ebenholz und Elfenbein; recht komplex — vergleichbar dem Werk einer Kirchturmuhr — und mit einem Fahrradsattel, der unmotiviert irgendwo in der Mitte der Anordnung saß. Der mit Plattnerit dotierte Rahmen aus Quarz und Felskristall glitzerte und verlieh dem Ganzen eine unwirkliche und verzerrte Aura.
Natürlich wäre die Konstruktion dieser Zeitmaschine nicht möglich gewesen ohne die Eigenschaften der seltsamen Materie, die ich ›Plattnerit‹ genannt habe. Ich erinnerte mich daran, wie ich durch Zufall in den Besitz einer Probe dieses Materials gelangt war: in jener Nacht vor zwei Jahrzehnten, als ein Fremder die Treppe zu meiner Haustür hochkam und mir ein Paket mit dem Zeug überreichte. Er hatte sich selbst als ›Plattner‹ vorgestellt — ein massiger Kerl, einige Jahre älter als ich, mit einem komischen, breiten grauhaarigen Kopf, der in einem Tarnanzug steckte. Er wies mich an, das Wundermittel, das er mir gegeben hatte, in einem Reagenzglas zu untersuchen. Nun, das Zeug hatte dann über ein Jahr unbeachtet im Laboratorium auf einem Regal gestanden, während ich mit wichtigeren Arbeiten befaßt war. Doch dann, an einem trüben Sonntagnachmittag, hatte ich das Glas vom Regal genommen…
Und was dann dabei herauskam, war — dieses!
Es war Plattnerit, in Quarzstäben eingeschlossen, das als Betriebsmittel für die Zeitmaschine diente und ihren Einsatz überhaupt erst ermöglichte. Aber ich will nicht verhehlen, daß es schon meiner Kombination von Analyse und Phantasie bedurfte, die Eigenschaften dieser bemerkenswerten Substanz zu erkennen und nutzbar zu machen, wo jemand mit geringerer Kompetenz vielleicht gescheitert wäre.
Ich nahm mir vor, gleich nachdem ich mit Proben und Photographien zurückgekehrt war, meine Forschungsergebnisse an die Philosophical Transactions weiterzuleiten; es würde einen würdigen Nachtrag zu den siebzehn Beiträgen darstellen, die ich bereits zur Physik des Lichts dort plaziert hatte. In Anbetracht der esoterischen Materie hatte ich Bedenken, meine Arbeit ohne experimentelle Verifikation zu veröffentlichen. Ich dachte mir, daß es sicherlich amüsant wäre, meinen Beitrag mit einem dezidiert trockenen Titel wie ›Einige Betrachtungen zu den Anomalen Chronologischen Eigenschaften des Minerals,Plattnerit'‹ zu versehen und dann im nachfolgenden Inhalt die Bombe der Existenz der Zeitreise zu zünden!
Schließlich hatte ich es geschafft. Ich stülpte mir wieder den Hut über den Kopf, hob den Rucksack und die Kamera auf und verstaute sie unter dem Sattel. Dann ging ich wie durch eine Eingebung zum Kamin des Laboratoriums und nahm den dort stehenden Schürhaken an mich. Ich wog seine beachtliche Masse in der Hand — vielleicht könnte er mir noch mal von Nutzen sein! — und klemmte ihn in den Rahmen der Maschine.
Dann setzte ich mich auf den Sattel und legte die Hände auf die weißen Starthebel. Die Maschine erzitterte, wie ein Tier der Zeit, zu dem es geworden war.
Ich schaute mich in meinem Laboratorium um, betrachtete seine irdische Realität und registrierte erstaunt, wie deplaziert wir beide hier jetzt wirkten — ich in meiner Outdoor-Kluft, und die Maschine mit ihrer Strangeness und den Flecken und Kratzern aus der Zukunft — obwohl wir dennoch irgendwie Kinder dieses Ortes waren. Ich war versucht, die Sache zu verschieben. Was könnte es schon schaden, noch einen Tag, eine Woche, ein Jahr hier zu verbringen, eingebettet in meinem eigenen, gemütlichen Jahrhundert? Ich konnte neue Energien tanken und meine Wunden heilen: stürzte ich mich schon wieder übereilt in dieses neue Abenteuer?
Ich hörte Schritte auf dem Korridor vom Haus, und eine Hand legte sich auf die Türklinke. Es mußte der Schriftsteller sein, der ins Laboratorium wollte.
Urplötzlich war die Sache klar. Mein Mut würde durchaus nicht zunehmen, wenn ich mich noch länger in dieser düsteren, muffigen Zeit des neunzehnten Jahrhunderts aufhielt; und außerdem hatte ich mich schon von jedem verabschiedet, der mir am Herzen lag.
Ich schob den Hebel bis zum Anschlag vor. Ich hatte dieses seltsame, statische Gefühl der Rotation, das sich am Anfang einer Zeitreise immer einstellt und das dann noch durch dieses hilflose Gefühl des Kopfüberfallens ergänzt wird. Ich glaube, daß ich bei der Wiederkehr dieser unangenehmen Wahrnehmung einen Schrei ausgestoßen habe. Ich meinte, das Klirren von Glas zu hören: eine Fensterscheibe vielleicht, die durch das entstehende Vakuum eingedrückt wurde. Und für einen Sekundenbruchteil sah ich ihn auf dem Flur stehen: den Schriftsteller, eine geisterhafte, verschwommene Gestalt, mit einer auf mich zeigenden Hand — gefangen in der Zeit!
Dann war er verschwunden, durch meinen Abflug in die Unsichtbarkeit gestürzt. Die Wände des Laboratoriums verschwammen um mich herum, und erneut umfingen mich die großen Schwingen von Tag und Nacht.