Epilog

Die ersten Tage waren die schlimmsten, denn ich war hier ganz ohne Werkzeug angekommen.

Anfangs mußte ich bei den Eloi leben. Ich labte mich an den Früchten, die ihnen von den Morlocks bereitgestellt wurden, und ich teilte mit ihnen die teilrestaurierten Ruinen, die sie als Schlafstätten nutzten.

Als Neumond war und die nächste Phase der Dunklen Nächte eintrat, wurde ich von der Dreistigkeit überrascht, mit der die Morlocks aus ihren Kavernen hervorkrochen und ihr menschliches Vieh angriffen! Mit Eisenstücken und Steinen bewaffnet bezog ich Posten am Eingang eines Schlafhauses, und auf diese Art konnte ich kämpfen; aber ich konnte sie nicht alle abwehren — die Morlocks schwärmen wie Ungeziefer aus, anstatt wie die Menschen auf organisierte Art zu kämpfen — und außerdem konnte ich nur ein Schlafhaus von hunderten verteidigen, die im Themsetal verstreut waren.

Diese dunklen Stunden der Angst und des unbeschreiblichen Elends für die schutzlosen Eloi gehören zu den düstersten meiner Erinnerung. Und doch, mit dem Anbruch des nächsten Tages, verschwand diese Bedrückung wieder von den kleinen Seelen der Eloi, und sie spielten und lachten wieder so unbeschwert, als ob die Morlocks überhaupt nicht existierten.

Ich war entschlossen, diesen Vorgängen ein Ende zu bereiten: denn das war — neben Weenas Errettung — schließlich die Motivation für meine Rückkehr in diese Welt gewesen.

Ich führte weitere Erkundungen der Umgebung durch. Ich muß wohl ein schönes Bild abgegeben haben, wie ich die Hügel erklomm, mit meinem wilden Vollbart, dem sonnenverbrannten Kopf und meinem in bunter Eloi-Kleidung steckenden, kräftigen Körper! Es gibt natürlich keine Transportmittel und auch keine Tragtiere, die mich befördern könnten, nur die Überreste der Stiefel aus dem Jahre 1944, von denen die Füße geschützt werden. Aber ich war bis Hounslow und Staines im Westen, Barnet im Norden sowie Epsom und Leatherhead im Süden gekommen; und im Osten bin ich dem neuen Verlauf der Themse bis Woolwich gefolgt.

Überall hat sich mir der gleiche uniforme Anblick geboten: die grüne Landschaft mit den verstreuten Ruinen, die Hallen und Häuser der Eloi — und alles mit den gräßlichen Schächten der Morlocks durchsetzt. Es kann sein, daß sich in Frankreich oder Schottland ein ganz anderes Bild bietet! — aber ich glaube es eigentlich nicht. Das ganze Land und noch mehr ist von den Morlocks und ihren unterirdischen Kavernen verseucht.

Also mußte ich meinen ersten, vagen Plan aufgeben, der vorgesehen hatte, die Eloi aus dem Aktionsradius der Morlocks zu evakuieren: denn die Eloi können nicht ohne die Morlocks existieren — und auch nicht umgekehrt, denn die Abhängigkeit der Morlocks von den Eloi wirkt sich, auch wenn sie in meinen Augen nicht so degoutant ist, doch gravierend auf die seelische Verfassung dieser nachtaktiven Untermenschen aus.


Unter der Hand begann ich nach anderen Lebensmöglichkeiten zu suchen.

Ich beschloß, einen dauerhaften Wohnsitz im Grünen Porzellanpalast zu beziehen. Mit diesem Gedanken hatte ich mich auch schon bei meinem letzten Besuch hier getragen, denn ungeachtet der Anzeichen von Morlockaktivitäten in der Umgebung hatte sich mir dieses alte Museum mit seinen großen Hallen und starken Mauern als Stützpunkt angeboten, der sich ideal gegen die hinterhältigen und gewandten Angriffe der Morlocks verteidigen ließ. Und ich hegte die Hoffnung, daß mir viele der hier eingelagerten Artefakte und Relikte bei meinen zukünftigen Aktionen hilfreich sein konnten. Zudem hatte irgend etwas an diesem verfallenen Monument des Geistes, mit seinen zurückgelassenen Fossilien und zerfallenen Bibliotheken, meine Aufmerksamkeit erregt! Es war wie ein großes Schiff aus der Vergangenheit, dessen Rumpf an der Klippe der Zeit zerschellt war; und auch ich war ein Gestrandeter aus jener Zeit, ein Robinson Crusoe der Antike.

Ich wiederholte und intensivierte meine Erkundung der großen Hallen und Kammern des Palastes. Ich richtete mir in dieser Halle der Mineralogie, die ich schon bei meinem ersten Besuch gefunden hatte, eine Basis ein. Sie verfügte über einen guterhaltenen, aber wertlosen Bestand an Mineralien, und das in einer Vielfalt, wie ich es noch nie gesehen hatte. Diese Kammer ist etwas kleiner als die meisten anderen und konnte daher um so leichter gesichert werden. Und als ich überall den Staub entfernt und ein Feuer angezündet hatte, wirkte sie fast heimelig auf mich. In der Zwischenzeit hatte ich die ramponierten Türen repariert und die Breschen in den alten Mauern gestopft und meinen Stützpunkt auf einige angrenzende Hallen erweitert. Als ich die Galerie der Paläontologie mit ihrem großen und nutzlosen Skelett eines Brontosaurus besichtigte, stieß ich auf einen Haufen Knochen, die offensichtlich von den verspielten Eloi umgeworfen und auf dem Boden verstreut worden waren. Zunächst sagten mir diese Knochen nichts; als ich dann jedoch die Skelette grob zusammensetzte, vermutete ich, daß sie von einem Pferd, einer Kuh und wahrscheinlich von einem Fuchs stammten — kurz gesagt, hierbei handelte es sich um die letzten Relikte der Tiere meines eigenen, untergegangenen Englands. Aber die Knochen waren zu verstreut und zerbrochen und meine Anatomiekenntnisse zu schlecht, als daß ich eine sichere Identifikation hätte durchführen können.

Ebenfalls habe ich wieder diese schwach beleuchtete und abschüssige Galerie mit den dräuenden Leibern großer Maschinen aufgesucht, denn von hier bezog ich improvisierte Werkzeuge aller Art — und nicht nur Waffen, wie ich es anfangs getan hatte. Ich verbrachte einige Zeit mit der Maschine, die wie ein elektrischer Dynamo aussah, denn ihr Zustand war nicht so desolat, daß man sie nur hätte anschauen können, und ich phantasierte schon davon, sie wieder zu aktivieren und Strom für die zerbrochenen Lampen zu erzeugen, die an der Decke dieser Kammer hingen. Ich überlegte, daß dieses Auflodern elektrischen Lichts und das Geräusch des Dynamos den Morlocks das Wiederkommen wohl gründlich verleiden würde! — aber ich hatte weder Treib- noch Schmierstoffe zur Verfügung, und außerdem sind die kleinen Teile der Maschine festgefressen und korrodiert, und so legte ich dieses Projekt ad acta.

Im Verlauf meiner Erkundung des Palastes stieß ich auf ein neues Exponat, das meine Neugier weckte. Es befand sich in der Nähe der Galerie mit dem Modell einer Zinnmine, das ich mir zuvor angeschaut hatte, und es wirkte wie das Modell einer Stadt. Dieses Ausstellungsstück war sehr detailliert und so groß, daß es fast die ganze Fläche der Kammer bedeckte, und das ganze Arrangement war durch eine gläserne Pyramide geschützt, von der ich den Staub von Jahrhunderten wegwischen mußte, um überhaupt etwas sehen zu können.

Diese Stadt war offensichtlich weit in meiner eigenen Zukunft entworfen worden, doch das Modell war seinerseits schon wieder so alt, daß seine einst leuchtenden Farben vom staubgefilterten Sonnenlicht dieses sonnigen Zeitalters ausgebleicht worden waren. Ich stellte mir vor, daß dieses Modell ein zukünftiges London zeigte, denn ich sah, daß das charakteristische Profil der Themse durch ein gläsernes Band symbolisiert wurde, das sich durch den Mittelpunkt des Exponats schlängelte. Aber es war ein London, das sich stark von der Stadt meiner Zeit unterschied. Es wurde von sieben oder acht großen Glaspalästen dominiert — wenn Sie sich den Kristallpalast deutlich vergrößert und mehrmals kopiert vorstellen, kommt das dem Bild ziemlich nahe —, und diese Paläste wurden durch eine Art gläserner Haut verbunden, die sich über die ganze Stadt spannte. Der Anblick hatte nichts von der düsteren Londoner Kuppel des Jahres 1938 an sich, denn dieses riesige Dach hatte offensichtlich den Zweck, das Sonnenlicht einzufangen und zu verstärken, und Bänder elektrischer Lampen zogen sich über die Stadt — obwohl keine dieser stecknadelkopfgroßen Glühbirnen dieses Modells mehr funktionierte. Das Dach wurde von einem Wald riesiger Windmühlen bestanden — die Flügel drehten sich jedoch nicht mehr — und große Plattformen waren hier und da über das Dach verteilt, über denen Spielzeugversionen von Flugmaschinen schwebten. Diese Maschinen vermittelten irgendwie den Eindruck von großen Libellen, über denen große, gestaffelte Segel mit darunter aufgehängten Gondeln schwebten, in denen mehrere Reihen von Spielzeugfiguren saßen.

Ja — Menschen! — Frauen und Männer, die mir nicht unähnlich waren. Denn diese Stadt hatte sich offenbar in einer Zeit befunden, die von meiner eigenen noch nicht so weit entfernt war, daß die unerbittliche Hand der Evolution die Menschheit bereits umgeformt hätte.

Breite Straßen durchzogen die Landschaft und verbanden dieses zukünftige London mit anderen Städten des Landes — oder so stellte ich es mir jedenfalls vor. Diese Straßen wurden von großen Mechanismen belebt: Einräder, von denen jedes viele Menschen beförderte, große Lieferwagen, die keinen Fahrer zu haben schienen und deswegen mechanisch gesteuert werden mußten; usw. Die Landschaft neben den Straßen wies jedoch keine Einzelheiten auf, sondern nur eine nichtssagende, graue Oberfläche.

Das ganze Ensemble war so riesig — es war wie ein großes Gebäude —, daß ich mir vorstellte, dort hätten zwanzig oder dreißig Millionen Menschen leben können, im Gegensatz zu den mageren vier Millionen des Londons meiner Zeit. Bei dem Exponat handelte es sich um ein Schnittmodell, und ich konnte die Bevölkerung in Gestalt kleiner Spielzeugfiguren sehen, die sich über die vielen Dutzend Stockwerke der Stadt verteilten. Die Bewohner der oberen Ebenen trugen variantenreiche und farbenfrohe Kleidung mit purpurnen Capes, Hüten so spektakulär und unpraktisch wie ein Hahnenkamm, etc. Diese oberen Schichten schienen mir ein Ort von großem Luxus und des Wohllebens zu sein und stellten ein in viele Ebenen gegliedertes Mosaik aus Geschäften, Parks, Bibliotheken, herrschaftlichen Häusern usw. dar.

Doch an der Basis der Stadt — quasi im Erdgeschoß und Keller — lagen die Dinge etwas anders. Dort arbeiteten träge Maschinen, und zehn bis zwanzig Fuß durchmessende Rohrleitungen und Kabel (im Originalmaßstab) schlängelten sich unter den Decken entlang. Auch hier waren Figuren plaziert, aber diese waren alle mit einer blauen Einheitsuniform bekleidet, und ihr gesellschaftliches Leben spielte sich in großen kommunalen Speise- und Schlafsälen ab; und es hatte den Anschein, daß diese Arbeiter aufgrund der hierarchischen Ordnung kaum jemals das Licht erblicken konnten, in dem sich die oberen Klassen sonnten.

Dieses Modell war alt und alles andere als in einem perfekten Zustand — an einer Ecke war die Pyramidenabdeckung eingebrochen und hatte das Modell bis zu Unkenntlichkeit zertrümmert; und auch an anderen Stellen waren die kleinen Figuren und Maschinen umgeworfen oder durch den Zahn der Zeit zernagt worden; und an einer Stelle waren die blaugekleideten Figuren in kleinen Kreisen und sonstigen Formationen aufgestellt worden, als ob die verspielten Eloi hier am Werk gewesen wären — aber trotzdem war die Spielzeugstadt ein konstanter Quell der Faszination für mich, denn ihre Einwohner und Einrichtungsgegenstände waren denen aus meiner Zeit so ähnlich, daß ich lange Stunden damit verbrachte, neue Details in dieser Konstruktion zu entdecken.

Ich hatte den Eindruck, daß diese Vision der Zukunft ein gewisses Zwischenspiel in der gräßlichen Entwicklung der Dinge darstellte, die ich erlebt hatte. Hier war ein Punkt in der Zeit erreicht, an dem die Trennung der Menschheit in Oben und Unten im Grundsatz noch ein soziales Phänomen gewesen war und noch nicht begonnen hatte, die Evolution der Spezies selbst zu determinieren. Die Stadt war eine schöne und großartige Struktur, aber — wenn sie zu dieser Welt der Morlocks und Eloi führte — stellte sie in meinen Augen ein Monument der größten Dummheit der Menschheit überhaupt dar!


Der Palast befindet sich auf einem hohen, trockenen Hügel, aber in der Nähe gab es Wiesen mit ausreichendem Wasserzufluß. Ich demontierte meine Zeitmaschine und durchsuchte den Palast nach Material, aus dem ich einfache Hacken und Rechen fertigte. Ich grub die Wiesen um meinen Palast um und pflanzte Samen der Morlockfrüchte in das Erdreich.

Es gelang mir, einige Eloi für diese Tätigkeiten zu engagieren. Zunächst waren sie auch motiviert — sie hielten es wohl für ein neues Spiel — als ich sie jedoch längere Zeit für diese monotonen Verrichtungen einspannte, verflog ihr Elan; und ich fühlte mich richtig schuldig, als ich sah, wie ihre feinen Kutten mit Erde verschmiert wurden und Tränen der Frustration über diese schönen ovalen Gesichter kullerten. Aber ich gab ihnen keinen Dispens, und als es wirklich gar zu monoton wurde, animierte ich sie mit Spielen und Tänzen sowie stümperhaften Interpretationen von The Land of the Leal und den Fragmenten der ›Swing‹-Musik von 1944, an die ich mich noch erinnern konnte — die mochten sie besonders —, und bald hatten sie sich wieder mit der Situation arrangiert.

Hier in diesem Zeitalter ohne Jahreszeiten waren die Wachstumszyklen völlig unberechenbar, und ich mußte nur ein paar Monate warten, bis die ersten Pflanzen Früchte trugen. Als ich sie den Eloi präsentierte, rief meine Freude nur einen verwirrten Ausdruck in ihren kleinen Gesichtern hervor, denn meine ersten kümmerlichen Erträge konnten hinsichtlich Qualität und Quantität nicht mit den Lieferungen der Morlocks konkurrieren — aber ich konnte die über Größe und Geschmack hinausgehende Bedeutung dieser Früchte durchaus erkennen: denn mit dieser ersten Ernte hatte die langsame Emanzipation der Eloi von den Morlocks begonnen.

Ich konnte genügend arbeitswillige Eloi rekrutieren und im Themsetal eine Reihe kleiner Farmen anlegen. Jetzt gibt es also zum erstenmal seit ungezählten Jahrtausenden Gruppen von Eloi, die unabhängig von den Morlocks überleben können.

Zuweilen möchte ich schier verzagen und glaube, daß ich nicht so sehr ein Ausbilder bin, sondern vielmehr ein Dressierer intelligenter Tiere; aber zumindest ist es ein Anfang. Und ich arbeite mit den aufnahmefähigeren Eloi an einer Erweiterung ihres Wortschatzes und der Verstärkung ihrer Neugier — wie Sie sehen, reaktiviere ich ihre Intelligenz!

Aber ich wußte, daß es mit einer derartigen Motivation und Ausbildung der Eloi allein nicht getan war; denn die Eloi waren ja nicht die einzigen Bewohner dieser Erde. Und wenn meine Reformierung des Lebens der Eloi weitergeht, wird das, wenn auch ungesunde, Gleichgewicht zwischen Eloi und Morlocks zerstört werden. Und die Morlocks werden unweigerlich reagieren.

Ich erkannte, daß sich ein neuer Krieg zwischen diesen posthumanen Spezies zu einem Desaster auswachsen würde, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß meine zaghaften landwirtschaftlichen Initiativen einen massiven Angriff der Morlocks überstehen würden. Und deshalb mußte ich alle antiquierten Begriffe von Loyalität gegenüber der einen oder anderen Seite aus meiner Vorstellung streichen! Als Kind meiner Zeit gelten meine Sympathien natürlich den Eloi, denn sie wirken menschlicher, und meine Arbeit mit ihnen ist erfreulich und produktiv gewesen. Es verhält sich vielmehr so: der Gedanke fällt mir schwer, daß diese kleinen Leute keine Menschen sind — ich glaube, wenn ich jetzt einen Menschen meines eigenen Jahrhunderts gesehen hätte, wäre ich von seiner Größe, Statur und Tapsigkeit überrascht gewesen!

Aber weder Eloi noch Morlocks sind menschlich — sie sind beide post-human — ungeachtet meiner antiken Vorurteile. Und ich kann die Gleichung dieser degenerierten Geschichte nicht lösen, ohne beide Seiten zu berücksichtigen:

Das heißt, ich muß mich der Dunkelheit stellen. Ich muß mit den Morlocks zusammenarbeiten.

Ich habe beschlossen, wieder in den unterirdischen Komplex der Morlocks einzufahren. Ich muß einen Weg finden, mit dieser unterirdischen Rasse zu verhandeln — mit ihnen zu kooperieren, wie ich das auch mit den Eloi tue. Ich habe keinen Anlaß zu der Annahme, daß es unmöglich ist. Ich weiß, daß die Morlocks über eine gewisse Intelligenz verfügen: Ich habe ihre großen unterirdischen Maschinen gesehen, und ich erinnere mich, daß sie, als ich mich in ihrer Gefangenschaft befand, die Zeitmaschine zerlegt, gereinigt und sogar geölt hatten! Es kann gut sein, daß sich unter der äußerlichen Häßlichkeit der Morlocks ein Instinkt verbirgt, der dem handwerklichen Können meiner Zeit näher ist als die Lethargie der schafsähnlichen Eloi.

Ich wußte sehr wohl — Nebogipfel hatte es mir gesagt! —, daß meine Furcht vor den Morlocks überwiegend instinktgesteuert ist und einem Komplex aus Erfahrungen, Alpträumen und Ängsten meiner eigenen Seele entspringt, der an diesem Ort völlig irrelevant ist. Ich hatte mich schon als Kind vor der Dunkelheit und unterirdischen Orten gefürchtet; dann diese Angst vor dem Körper und seiner Beschädigung, die Nebogipfel diagnostiziert hatte — eine Angst, die ich wohl mit vielen Menschen meiner Zeit teile. Und außerdem bin ich so ehrlich einzugestehen, daß ich ein ausgeprägtes Klassenbewußtsein besitze und infolgedessen kaum etwas mit den Werktätigen meiner Zeit zu schaffen hatte, und in meiner Ignoranz hatte ich leider eine gewisse Verachtung und Furcht entwickelt. Und all diese alptraumhaften Fragmente werden hundertfach in meinen Reaktionen auf die Morlocks verstärkt! — Aber eine derart primitive Geisteshaltung ist weder meiner noch meines Volkes würdig und auch nicht Nebogipfels Angedenken. Ich bin entschlossen, diese innere Dunkelheit abzustreifen und die Morlocks nicht als Monster oder Untermenschen, sondern als potentielle Nebogipfel zu betrachten.

Dies ist eine reiche Welt, und es besteht kein Grund für die Nachfahren der Menschheit, sich in dieser garstigen Weise, die sie kultiviert haben, gegenseitig aufzufressen. Das Licht der Intelligenz glimmt nur noch trübe in dieser Historie: aber es ist noch nicht ganz erloschen. Die Eloi bewahren ihre Fragmente der menschlichen Sprache, und die Morlocks ihr evidentes technisches Verständnis.

Ich träume davon, noch vor meinem Tod ein neues Feuer der Rationalität in diesem Zunder zu entfachen.

Ich weiß, daß ich kein Messias bin — wenn mich die schlichten Eloi auch vielleicht für einen gehalten hatten, als ich in einem Hagelsturm zum erstenmal hier erschienen war! Es bedurfte großer Anstrengungen und des Ablegens alter Vorstellungsmuster, das Wesen der Dinge in dieser Welt auch nur zu begreifen; und als es mir schließlich gelungen war, bestand meine erste Reaktion in selbstsüchtiger, panischer Angst. Und ich bin nicht so vermessen zu glauben, daß ich an einem Tag das Schicksal zweier Spezies ändern könnte. Die ganze wissenschaftliche Ausbildung, die ich genossen hatte — dieses jahrtausendelange Lernen und Studieren, das hinter mir lag —, hatte mir damals nichts Nützlicheres als eine Schachtel Streichhölzer bereitgestellt!

Nichtsdestoweniger träume ich davon, mit meinen Handlungen und Unterweisungen jetzt ein neues Streichholz anzuzünden — daß ich wieder das helle Licht des Bewußtseins in den verdunkelten Köpfen dieser feindlichen Völker zum Leuchten bringe. Ich träume davon, daß die Bewohner dieser Erde sich regenerieren und eine Zukunft schaffen, die sich an Noblesse mit allen Zweigen der in der Multiplizität verstreuten Menschheit messen kann.

Ja! — das ist ein nobler Traum — und ein edles Vermächtnis.


Ich habe diese Papiere bei der Erkundung einer Gruft tief unter dem Grünen Porzellanpalast gefunden. Die Seiten waren vakuumverpackt konserviert worden. Es war ziemlich einfach für mich, aus Metallteilen eine Feder und aus Pflanzensäften Tinte herzustellen. Zum Schreiben gehe ich immer zu meiner Bank aus gelbem Metall, die sich auf dem Grat von Richmond Hill befindet, keine Meile von meinem Zuhause entfernt. Und dabei genieße ich die Gesellschaft des Themsetals: dieses liebliche Land, dessen Evolution ich über ganze Erdzeitalter mitverfolgt habe.

Der Zeitreise habe ich entsagt — schon seit langem —, vielmehr, wie bereits erwähnt, habe ich meine Maschine abgewrackt und aus ihren Komponenten Hacken und andere Utensilien gefertigt, die sinnvoller sind als eine Zeitmaschine. (Die beiden Steuerungshebel habe ich indessen behalten — sie liegen neben mir auf der Bank, jetzt, während ich dies schreibe.) Ich bin wohl ganz zufrieden mit meinen hiesigen Projekten; aber die Tatsache, daß ich keine Möglichkeit habe, meinen Zeitgenossen des ausgehenden 19. Jahrhunderts von meinen Entdeckungen und Beobachtungen sowie den anderen Abenteuer zu berichten — vielleicht ist das auch nur meine Eitelkeit! — wurmt mich. Aber jetzt geben mir diese Seiten ja die Gelegenheit, das zu korrigieren.

Um dieses empfindliche Papier vor dem Zerfall zu bewahren, werde ich es wieder in der Originalverpackung versiegeln und das Ganze dann in einem Behälter deponieren, den ich aus den mit Plattnerit angereicherten Komponenten der Zeitmaschine gefertigt habe. Danach werde ich den Behälter so tief wie möglich vergraben.

Ich verfüge über keine sichere Möglichkeit, meinen Bericht entweder in die Zukunft oder in die Vergangenheit zu transferieren — ganz zu schweigen von einer anderen Historie — und deswegen kann es gut sein, daß diese Aufzeichnungen im Boden vermodern werden. Aber ich glaube, daß mein Paket wegen der Plattnerit-Umhüllung sehr gute Aussichten hat, von einem eventuellen Zeitreisenden aus der Multiplizität entdeckt zu werden. Außerdem könnte es auch sein, daß mein Bericht aufgrund einer zufälligen Strömung des Zeitflusses sogar den Weg zurück in mein eigenes Jahrhundert findet.

Auf jeden Fall ist es das Beste, was ich tun kann! — und nun, da ich diesen Kurs eingeschlagen habe, stellt sich bei mir ein Zustand der Zufriedenheit ein.

Ich werde diesen Bericht vor meinem Abstieg in die Unterwelt abschließen und versiegeln, denn ich weiß, daß meine Morlock-Mission nicht ohne Gefahren ist — eine Mission, von der ich vielleicht nicht zurückkehren werde. Aber es ist ein Auftrag, den ich nicht viel länger hinauszögern kann; ich bin bereits über fünfzig Jahre alt, und bald werde ich dieser Kletterei in den dunklen Schächten nicht mehr gewachsen sein!

Ich erkläre hiermit, daß nach meiner Rückkehr eine Zusammenfassung meiner unterirdischen Abenteuer als Anhang zu dieser Monographie erfolgen wird.


Später. Ich bin bereit zum Einfahren unter Tage.

Wie spricht der Dichter? — »Wenn die Türen der Wahrnehmung gereinigt sind, wird sich den Menschen alles so erschließen, wie es ist, unendlich« — oder zumindest ist dies die sinngemäße Aussage: Ich bitte, mir etwaige Fehler beim Zitieren nachzusehen, denn ich habe die Quellen nicht verfügbar… Ich habe die Unendlichkeit geschaut und die Ewigkeit. Ich habe niemals die Vision jener benachbarten Universen vergessen, die in dieser sonnenbeschienenen Landschaft lagen, dichter beisammen als die Seiten eines Buches; und genauso wenig habe ich den Sternenschein der Optimalen Historie vergessen, die wohl für immer in meiner Seele weiterleben wird.

Aber keine dieser erhabenen Visionen zählt auch nur halb so viel für mich wie diese flüchtigen Momente der Zärtlichkeit, welche die Dunkelheit meines einsamen Lebens erhellt haben. Ich habe die Loyalität und Geduld von Nebogipfel genossen, die Freundschaft von Moses und die menschliche Wärme von Hilary Bond; und keine meiner Leistungen oder Abenteuer — nicht die Visionen der Zeit, nicht die Sterne der Unendlichkeit — werden so lange in meinem Herzen leben wie der Augenblick an diesem ersten, hellen Morgen nach meiner Rückkehr hierher, als ich am Fluß saß und Weenas Gesicht wusch, und ihre Brust sich hob und sie hustete, und ihre schönen Augen sich zaghaft öffneten, und ich sah, daß sie am Leben war; und als sie mich erkannte, öffnete sich ihr Mund zu einem frohen Lächeln…


(Anmerkung des Herausgebers: Hier endet der Bericht. Ein weiterer Anhang wurde nicht gefunden.)

Загрузка...