6

Gracklstugh war wie Menzoberranzan eine Höhlenstadt. Doch anders als im Reich der Drow beherbergten die Stalagmiten große stinkende Schmelzhütten und Gießereien, nicht jedoch die eleganten Burgen adliger Familien. In der Luft hing ein ätzender Gestank, und der Lärm der Industrieanlagen schallte unablässig durch die Höhle – das Tosen der Feuer, das metallische Scheppern, wenn Eisen auf Eisen traf, dazu das Rauschen der verschmutzten Ströme, die die Abfälle der Duergar-Schmieden forttrugen. Anders als Menzoberranzan, wo völlige Dunkelheit herrschte – abgesehen vom sanften Feenfeuer, das dem Zweck diente, die Drow-Paläste in ein schmückendes Licht zu tauchen –, wurde Gracklstugh vom Schein der Feuer und von dem gelegentlichen gleißenden Aufflackern erhellt, das entstand, wenn das weißglühende Metall in Gußformen gekippt wurde. Es war ein ungewöhnlich reizloser Ort, ein Affront gegen jeden Drow adliger Herkunft. Halisstra fand, Gracklstugh wirke wie die Schmelzhütte der Höllen selbst.

Am östlichen Ende fiel der Boden der großen Höhle steil ab und stieß an den gewaltigen Dunkelsee, was Gracklstugh zur unterirdischen Hafenstadt machte, obgleich nur wenige Rassen des Unterreiches Gewässer wie den Dunkelsee als Handelsrouten nutzten. Folglich galten die Docks und die zum See hin gelegenen Lagerhäuser als eines der ärmsten, gefährlichsten Viertel der Stadt. Kohlenhauer vertäute sein Gefährt am Ende eines zerfallenden Steinkais, an dem bereits eine Handvoll Schiffe ähnlicher Bauart lag.

»Nehmt Eure Sachen und beeilt Euch«, fuhr der Zwerg sie an. »Je weniger man von Euch in den Straßen zu sehen bekommt, desto besser. Spinnenküsser in der Stadt der Klingen sind gut beraten, wenn sie sich rar machen, wenn Ihr versteht, was ich meine.«

Valas sah die anderen an und signalisierte: Niemand wird getötet! Das wird hier nicht toleriert werden!

Dann schulterte der Späher sein Gepäck und folgte dem Zwerg aufs Kai, während er seinen Piwafwi eng um sich legte, um das Schwert an seiner Hüfte zu verbergen.

Pharaun sah zu Jeggred auf und sagte: »Dir wird es hier nicht gefallen. Wie willst du bloß die Zeit herumkriegen, ohne daß du einen Hilflosen in Stücke reißen darfst?«

»Ich werde mir die Stunden vertreiben, indem ich darüber nachdenke, wie ich Euch töten könnte, Magier«, brummte Jeggred.

Dann stieß der Draegloth den Atem aus, zog sich seinen langen Mantel über seine weiße Mähne und stellte sich so gebeugt wie möglich hin, um nicht zu schnell aufzufallen. Der Rest der Gruppe folgte an Land, um sich den Weg durch die heruntergekommenen Straßen des Hafenviertels der Stadt zu bahnen, bis sie ein festungsgleiches Gasthaus erreichten, das einige Blocks von den Docks entfernt lag. Ein Schild, das in Zwergisch und der Handelssprache des Unterreiches geschrieben war, wies das Lokal als das Kalte Gießhaus aus. Das Gebäude war von einer Steinmauer umgeben, in deren Grenzen sich eine Reihe kleiner, alleinstehender Blockhäuser fanden. Die Gruppe machte unmittelbar vor dem Haupttor Halt, neben dem ein Stall stand, in dem riesige, übelriechende Packechsen angebunden waren.

»Kein vielversprechender Anblick«, kommentierte Pharaun. »Dennoch wird es bequemer sein als ein Stein auf dem Höhlenboden.«

Valas besprach sich kurz mit Kohlenhauer, dann wandte er sich den anderen Drow zu und sagte mit gedämpfter Stimme: »Kohlenhauer und ich werden uns darum kümmern, daß wir unbehelligt die Stadt durchqueren können und unsere Vorräte aufstocken. Vermutlich wird die eine oder andere Bestechung notwendig werden, um die nötigen Dokumente zu erhalten, was Zeit kosten wird. Wir sollten einplanen, einen vollen Tag, vielleicht sogar zwei Tage hierzubleiben.«

»Haben wir soviel Zeit?« fragte Ryld.

»Das muß Herrin Quenthel entscheiden«, erwiderte Valas Hune. »Aber der nächste Abschnitt unserer Reise könnte viel Zeit in Anspruch nehmen, und wir werden nichts erreichen, wenn wir nach ein paar Zehntagen verhungern.«

Quenthel betrachtete das freudlose Duergar-Gasthaus und traf ihre Entscheidung.

»Wir werden zwei Nächte bleiben, und übermorgen werden wir früh am Morgen aufbrechen«, sagte sie. »Ich würde länger bleiben, aber ich will kein unnötiges Risiko eingehen, was die Dauer der hiesigen Gastfreundschaft betrifft. Die Ereignisse schreiten zu schnell voran, als daß wir es uns leisten könnten, zu trödeln.«

Sie sah Valas und Kohlenhauer an, der neben ihm stand, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick auf die Straße gerichtet, um deutlich zu machen, daß er die Unterhaltung der Drow nicht belauschte.

Ist dieser Ort sicher? signalisierte sie. Wird der Zwerg uns hintergehen?

Es ist ausreichend sicher, erwiderte Valas. Laßt niemanden Jeggred sehen. Der Rest sollte unbehelligt bleiben, solange Ihr Auseinandersetzungen aus dem Weg geht. Er sah kurz zu Kohlenhauer und fügte an: Der Zwerg weiß, daß wir ihn für seine Dienste gut bezahlen werden, aber wenn er das Gefühl bekommt, daß wir ihn töten könnten, anstatt ihn zu bezahlen, dann wird er sicherlich Mittel und Wege finden, um uns festnehmen zu lassen. Er weiß, daß wir keine Kaufleute sind, aber es kümmert ihn nicht, warum wir unterwegs sind, solange er seine Bezahlung erhält.

Sollen wir ihn aus dem Weg räumen? fragte Ryld.

Das ist jetzt zu gefährlich, signalisierte Valas. Solange wir hier sind, werde ich ihn gut im Auge behalten.

»Nehmt Ryld mit, nur für alle Fälle«, sagte Quenthel.

Ryld nickte und zog an seinem Rucksack, damit er besser zwischen den Schulterblättern saß.

»Ich bin bereit«, sagte er dann.

»Ich kann nicht sagen, daß mir die Gesellschaft unwillkommen wäre, falls sich Ärger einstellt«, erwiderte Valas. »Nun sollten wir Meister Kohlenhauer nicht länger warten lassen. Wenn Ihr bis morgen mittag nichts von uns gehört habt, solltet Ihr vom Schlimmsten ausgehen und die Stadt so schnell wie möglich verlassen.«

Der Späher eilte davon, gefolgt von Ryld. Zusammen mit Kohlenhauer machten sie sich daran, tiefer in die Stadt vorzudringen.

»Was wir an dir so lieben, Valas Hune, ist deine unerschütterlich gute Laune«, meinte Pharaun, während er dem Späher nachsah. »Ich muß auch einiges erledigen. Ich werde an diesem düsteren Ort nach einem Händler für arkane Reagenzien Ausschau halten, um meine Zauberkomponenten zu ergänzen.«

»Laßt Euch nicht zuviel Zeit«, mahnte Quenthel, dann sah sie zu Halisstra und Danifae. »Was ist? Kommt Ihr nicht?«

»Noch nicht«, sagte Halisstra. »Ich glaube, wenn wir schon mal hier sind, werde ich die Gelegenheit nutzen, Danifae mit Waffen und einer Rüstung auszustatten. Wir kehren zurück, wenn sie angemessen ausgerüstet ist.«

»Ich dachte, Ihr würdet Eurer Kriegsgefangenen nicht gestatten, für Euch zu kämpfen«, sagte Quenthel und kniff die Augen zusammen, während sie überlegte, was Halisstra vorhaben mochte.

»Ich bin zu der Ansicht gelangt, daß Danifae ein Problem darstellt, solange sie weder Waffen noch Rüstung trägt. Ich will nicht, daß mein Eigentum zu Schaden kommt.«

Halisstra konnte Quenthels Mißtrauen fast greifen, so groß war es. Die Baenre strich wortlos über das Heft ihrer Peitsche, während sie Halisstra und Danifae nachdenklich betrachtete.

Gut, dachte Halisstra. Soll sie glauben, ich hätte genügend Macht über Danifae, um es mir leisten zu können, sie zu bewaffnen. Eine gewisse Unsicherheit könnte hilfreich sein, was ihr Urteil über unseren Nutzen angeht.

»Geht nicht zu weit fort und bringt Euch nicht in Schwierigkeiten«, sagte Quenthel. »Wenn die Umstände es erfordern, werde ich auch ohne Euch weiterziehen.«

Sie gab Jeggred ein Zeichen und ging auf das Kalte Gießhaus zu, wobei sie beide Frauen aus ihren Gedanken verbannte.

Halisstra konnte sich eines zufriedenen Lächelns nicht erwehren, als Quenthel außer Sichtweite geriet und Jeggred ihr folgte. Sie und Danifae sahen einander kurz an, dann begaben sie sich in die Stadt.

Auch wenn Kohlenhauer beteuert hatte, die Stadt sei für Angehörige aller Rassen offen, vorausgesetzt, sie führten Gold bei sich, konnte Halisstra nicht glauben, daß zwei Drow in Gracklstugh tatsächlich keinen Gefahren ausgesetzt waren. Die kleinen, stämmigen Grauzwerge, die die Straßen bevölkerten, gingen ihren Geschäften mit einer mürrischen Zielstrebigkeit nach, die Halisstra gar nicht gefiel. Keiner von ihnen lachte, tat sich wichtig oder putzte sich heraus. Nicht einmal versteckte Drohungen wurden ausgetauscht. Statt dessen warfen sie jedem einen finsteren Blick zu, den sie passierten, selbst wenn er einer von ihnen war. Sie stapften durch die Straßen, trugen schwere Kettenhemden, und die Hände ruhten auf den Griffen massiver Äxte und Hämmer, die sie unter den breiten Gürtel geschoben hatten. Erst nachdem Halisstra und Danifae in den Straßen mindestens ein halbes Dutzend anderer Rassen entdeckt hatten, wurde sie etwas ruhiger.

Halisstra blieb zwischen zwei hochragenden Schmelzöfen stehen und sah sich um.

»Da! Ich kann nicht viel Zwergisch, aber ich glaube, diese Schilder werben für Waffenschmiede.«

Sie bogen in die Straße ein, die kaum mehr war als ein Trampelpfad, der sich zwischen den burgenähnlichen Stalagmiten hindurchwand. Nachdem sie die hohen Steinsäulen hinter sich gelassen hatten, gelangten sie auf eine Art Stadtplatz, eine weite, freie Fläche, die von niedrigen, festungsgleichen Gebäuden aus mit Mörtel verbundenem Stein umgeben war. Sie entdeckten ein Schaufenster, in dem Dutzende von Waffen und Rüstungen auslagen, darüber hing das Schild eines Händlers.

»Das sieht vielversprechend aus«, erklärte Halisstra und duckte sich durch die niedrige Tür. Danifae war dicht hinter ihr.

Das Geschäft war vollgepackt mit dem unterschiedlichsten Kampfzubehör, zum größten Teil zwergischer Machart, doch einige Stücke stammten auch von anderen Rassen – schwere eiserne Klingen aus Orog-Fertigung, Kuo-Toa-Rüstungen, die aus den Schuppen einer großen, blassen Fischart bestanden, ein schwarzes Mithral-Kettenhemd aus Drow-Herstellung. Zwei bestens bewaffnete Duergar waren damit beschäftigt, an einer Werkbank gleich neben der Tür eine Rüstung zusammenzusetzen. Sie bedachten Halisstra und Danifae mit mißtrauischen Blicken, als sie die beiden Drow hereinkommen sahen, und sahen wachsam zu, wie die Priesterin und ihre Dienerin das Angebot studierten.

»Herrin Melarn«, rief Danifae.

Halisstra wandte sich um und sah, wie die junge Frau eine gut gearbeitete Kettenrüstung aus Drow-Herstellung betrachtete, in die das Emblem eines unbedeutenderen Hauses eingearbeitet war, dessen Name ihr unbekannt war. Ein passender Rundschild und ein Morgenstern aus schwarzem Stahl hingen gleich daneben. Der Kopf der Waffe war in der Form einer dämonischen Fratze mit gedrehten, dornengleichen Hörnern gearbeitet. Halisstra murmelte unauffällig einen Ortungszauber und lächelte, als sie das Ergebnis sah. Die Waffen waren magisch, zwar nicht überragend gut, aber sie konnte sich nicht vorstellen, anderswo in der Stadt etwas gleichwertiges oder sogar besseres zu finden.

»Was könnt Ihr mir über diese Drow-Waffen sagen?« fragte sie die Ladenbesitzer.

Die Duergar unterbrachen ihre Arbeit. Halisstra bemerkte, daß die zwei einander so ähnlich sahen, daß sie sie kaum auseinanderzuhalten vermochte.

»Trophäe«, krächzte einer der beiden. »Ein Hauptmann im Dienst Fürst Thrazgads hat sie vor ein paar Monaten verkauft. Weiß nicht, woher er sie hatte.«

»Sie sind verzaubert«, sagte der andere. »Sind nicht billig.«

Halisstra ging zur Theke, zog aus ihrer Halsberge einen kleinen Beutel, durchsuchte den Inhalt und wählte einige Smaragde, die sie auf die Theke legte.

»Sind wir uns einig?«

Der Grauzwerg stand auf und kam näher, um die Edelsteine zu begutachten.

Er schnitt eine Grimasse und sagte: »Viel mehr.«

Halisstra hielt seinem Blick stand. Sie hatte nicht viel retten können, als ihr Haus unterging, und konnte das wenige, was sie besaß, nicht einem habgierigen Grauzwerg in den Rachen werfen, vor allem nicht, wenn sich noch andere Wege boten.

»Danifae, sieh dir das Kettenhemd noch einmal an«, sagte sie über die Schulter. »Du sollst dir sicher sein, daß es wirklich das ist, was du haben willst.«

Danifae verstand auf Anhieb und nahm prüfend den Morgenstern in die Hand. Wie von Halisstra erhofft, wurde der zweite Duergar sofort nervös, als er sah, wie ein Drow eine so kostbare Ware einfach in die Hand nahm. Er ließ seine Arbeit liegen und kam näher, um besser sehen zu können, wobei er darauf achtete, daß er Danifae den Weg zum Ausgang versperrte. Die machte sofort eine ganze Reihe von Äußerungen über die Waffe, sprach bewundernd über das Kettenhemd und bezweifelte die Wirksamkeit der Zauber, um den Zwerg in eine Unterhaltung zu verwickeln.

»Das Fünffache des Gewichts dieser Edelsteine ist nötig«, erklärte der Duergar hinter der Theke, »und es müssen gute Steine sein.«

»Gut denn«, sagte Halisstra.

Sie nahm eine Ledertasche vom Rücken und legte sie auf den Tresen. Sie holte vorsichtig ihre Leier heraus, ein kleines, geschwungenes Instrument aus Drachenknochen, bespannt mit Mithral-Draht und mit Mithral-Filigran ziseliert.

»Wie Ihr sehen könnt, ist es ein exquisites Stück«, erläuterte sie.

Sie nahm es zur Hand und spielte es, als wolle sie seine Eigenschaften vorführen, doch gleichzeitig stimmte sie leise ein Bae’qeshel-Lied an. Der Zwerg sah sie erschrocken an und wollte zurückweichen, als ihm klar wurde, daß sie einen Zauber wirkte. Ehe er eine Warnung rufen konnte, hatte ihn die Magie des Liedes bereits umgarnt.

»Was ist los?« rief der andere Duergar.

»Sag deinem Freund, es sei alles in Ordnung«, flüsterte Halisstra. »Ihr wollt die Leier nicht.«

»Alles in Ordnung«, rief der Angesprochene. »Sie bietet eine Leier an, die wir nicht wollen.«

»Natürlich nicht«, murmelte der andere. »Seht Ihr hier vielleicht Musikinstrumente?« Dann konzentrierte er sich wieder auf Danifae, die wissen wollte, wie man an feuchten Orten am besten ein Kettenhemd pflegte.

»Nun«, sagte Halisstra zu dem Zwerg, den sie eingelullt hatte, »wir sind im Moment noch recht weit voneinander entfernt, aber ich bin sicher, wir werden uns einig. Ihr werdet uns die Waffen verkaufen, die meine Zofe begutachtet. Würdet Ihr die Smaragde als Anzahlung nehmen? Ich werde in einigen Tagen wiederkehren, um mit einer beträchtlichen Summe meine noch ausstehende Schuld zu begleichen.«

»Die Steine würden als Anzahlung reichen«, lenkte der Kaufmann ein. »Aber mein Kompagnon wird darüber nicht erfreut sein. Er wird glauben, Ihr würdet nicht zurückkommen.«

»Laßt ihn denken, ich hätte voll bezahlt. Dann wird er Euch in Ruhe lassen«, sagte Halisstra.

Sie überlegte einen Moment, dann beugte sie sich vor und sah dem Zwerg tief in die Augen.

»Wißt Ihr«, sprach sie leise, »wenn Eurem Kompagnon etwas zustieße, dann könntet Ihr Euer Geschäft so führen, wie es Euch zusagt, nicht wahr? Ihr könntet alle Gewinne für Euch allein behalten, nicht?«

Ein habgieriges Funkeln leuchtete in den Augen des Kaufmanns.

»Da habt Ihr recht«, sagte er. »Daß ich nicht schon längst darauf gekommen bin!«

»Geduld«, riet ihm Halisstra. »Es muß nicht sofort sein, es genügt im Lauf des Tages. Noch etwas: Es wäre mir sehr genehm, wenn Ihr niemandem sagen würdet, daß meine Freundin und ich heute bei Euch waren. Wir sollten das für uns behalten.«


Nimor verließ Menzoberranzan – für den Fall, daß es nötig wurde, seinen Aufenthalt in der Stadt zu rechtfertigen – mit einer Reihe von Zahlungen und Belegen, die zeigten, daß Reethk Vaszune sich auf eine Vereinbarung eingelassen hatte, die die Magier von Agrach Dyrr mit bestimmten Zauberreagenzien und Komponenten versorgte. Die Einzelheiten, die die von ihm ausgehandelten eigentlichen Abmachungen betrafen, fanden sich dagegen einzig in seinem Kopf. Die Gesalbte Klinge der Jaezred Chaulssin war mit den Ergebnissen ihrer Arbeit sehr zufrieden. Auch wenn er Agrach Dyrr nicht unbedingt für das brauchte, was ihm vorschwebte, würde die Vereinbarung, die er mit dem alten Meister des Hauses getroffen hatte, die vor ihm liegende Arbeit spürbar vereinfachen.

Nimor wechselte von Qu’ellarz’orl in eine kleine Seitenhöhle, die hinaus in das Dunkle Reich führte. In den letzten Monaten hatte er sich mit dem Irrgarten aus gefährlichen Passagen rings um die große Stadt vertraut gemacht, so daß er rasch eine ruhige, dunkle Ecke fand, die von den Verteidigern der Stadt nicht eingesehen werden konnte. Die Gesalbte Klinge streckte eine Hand nach der Wand aus. Der Ring der Schatten leuchtete in seiner linken Hand, ein kleiner Kreis aus pechschwarzer Finsternis, der mehr wie ein kleines Loch in der Welt wirkte, weniger wie ein Schmuckstück. Neben seinen anderen Fähigkeiten erlaubte der Ring es ihm, sich auf der Ebene der Schatten zu bewegen, so daß er von vielen Einschränkungen und Hindernissen befreit war, die eine Reise zu Fuß mit sich gebracht hätte.

Er machte einen Schritt auf die Wand zu und verschwand in der Randzone der Schatten. Sein Ziel war nur ein paar hundert Kilometer von Menzoberranzan entfernt. Er hatte diese Reise bereits einige Male unternommen und benötigte selten mehr als eine Stunde. Kein Sohn Chaulssins mußte sich fürchten, wenn er sich inmitten der Schatten bewegte, deshalb konzentrierte sich Nimor darauf, den Wert seiner Allianz mit Agrach Dyrr zu beurteilen und sich zu fragen, ob er dem alten Hexenmeister, dem heimlichen Herrscher über das Haus, wirklich so vertrauen konnte, wie der behauptete.

Nimor folgte für eine unermeßliche Zeitspanne dem finsteren Pfad, den der Ring ihm durch die Randzone bahnte, und schließlich wand sich der Weg zurück in die Welt der Sterblichen. Es war in der Randzone fast unmöglich zu sagen, wieviel Zeit verstrichen war, doch es war auch nicht von Bedeutung, weil die Magie des Zaubers so ausgerichtet war, daß der geschaffene Pfad ihn in jedem Fall zum gewünschten Zielort führte. Der Assassine legte die Hand um das Heft seines Rapiers und erreichte die letzte Phase seiner Reise, für die er einen Schleier aus Düsternis durchschritt und in eine große, gewölbeartige Kammer gelangte, die aus sorgfältig zusammengefügten Steinblöcken erbaut war. Nur eine Tür führte aus diesem Raum, ein großes Eisentor, das mit Zaubern verstärkt war. Nimor zog unter dem Kettenhemd einen großen Bronzeschlüssel hervor und steckte ihn ins Schloß. Fast augenblicklich öffnete sich die Tür mit einem rostigen Knarren.

Auf der anderen Seite der Tür lag ein großer, düsterer Saal, der von rotglühenden Kohlen in Rosten schwach erhellt wurde. Wie das Gewölbe war auch dieser aus behauenem Stein gebaut. Es fehlte an jedweden Dekorationen oder Verzierungen. Nimor spürte die Präsenz mehrerer Wächter, doch keiner von ihnen wollte sich zeigen.

»Ich bin es, Nimor«, sagte er. »Laßt den Kronprinzen wissen, daß ich hier bin.«

Neben ihm nahmen mehrere Duergar-Wachen Gestalt an, die bis gerade eben noch unsichtbar gewesen waren. Die Duergar waren einen Kopf kleiner als der Drow, doch sie waren breitschultrig und hatten einen langen Torso, dazu kurze, aber kräftige Beine und muskulöse Arme. Sie trugen schwarze Rüstungen, in den Händen hielten sie Streitäxte und Schilde, auf denen das Symbol Gracklstughs prangte. Eine Duergar-Frau, auf deren Dienstgrad nur ein einzelner Streifen Goldfiligran auf ihrem Helm hinwies, beobachtete ihn aufmerksam.

»Der Kronprinz hat Anweisung gegeben, Euch ins Gästequartier des Palastes zu bringen. Er wird sich in Kürze melden.«

Sie ließ die höfliche Mitteilung wie einen Befehl klingen.

Der Assassine verschränkte die Arme und ließ sich von zwei Steinwachen der Leibgarde des Prinzen abführen. Die Duergar betrachteten ihn mit Unbehagen, als erwarteten sie von Nimor etwas Bösartiges. Auch wenn Menzoberranzan und Gracklstugh seit Jahrtausenden Nachbarn waren, herrschte zwischen Duergar und Drow keine Freundschaft. Duergar und Dunkelelfen hatten mehr als einmal erbittert um die Kontrolle über die sich gut hundertfünfzig Kilometer erstreckenden Höhlen und Felsspalten zwischen den beiden Städten gekämpft. Die Tatsache, daß es seit über einem Jahrhundert nicht mehr zum Krieg gekommen war, hing nur mit einer widerwilligen Anerkenntnis der Kraft des jeweils anderen zusammen, nicht etwa damit, daß sich an der Feindschaft irgend etwas gebessert hätte.

Die Wachen führten ihn durch die labyrinthartigen Korridore des Palastes und brachten ihn in eine große Suite in einem nicht benutzten Teil der Festung. Die Einrichtung war einfach, zweckmäßig und entsprach dem Geschmack der Duergar. Nimor ließ sich nieder, um zu warten, und trat schließlich ans Fenster, das nur wenig mehr war als ein schmaler Schlitz, um einen Blick auf die graue Zwergenstadt unterhalb des Palastes zu werfen. Die zeigte sich reizlos wie immer und präsentierte sich als stinkender Hexenkessel aus Rauch und Lärm.

Nach einer Weile hörte Nimor Schritte, und als er sich umdrehte, betrat soeben Horgar Stahlschatten die Suite, begleitet von einem Paar Steinwachen.

»Ah«, sagte der Drow und deutete mit dem Kopf eine Verbeugung an. »Ich grüße Euch, mein Fürst. Wie laufen die Geschäfte?«

»Ich bezweifle, daß Euch das interessiert«, gab Horgar zurück. Für den Herrscher einer so mächtigen Stadt war der Kronprinz in vieler Hinsicht unscheinbar. Mit seinem mürrischen Blick und seinem kahlen Schädel sah er den anderen Duergar im Raum verblüffend ähnlich. Er trug ein Zepter, aber keine Rüstung, das einzige Merkmal, das ihn von seinen Leibwächtern unterschied. Den Wachen bedeutete er, an der Tür zu warten, dann durchquerte er den Raum, um sich leise mit Nimor zu unterhalten. »Welche Neuigkeiten bringt Ihr?«

»Ich glaube, ich habe die Verbündeten gefunden, nach denen ich in Menzoberranzan gesucht hatte, werter Prinz. Ein starkes Haus, das gewillt ist, die Ordnung der Dinge auf den Kopf gestellt zu sehen, dessen Loyalität dort aber nicht angezweifelt wird. Die Stunde des Sieges naht.«

»Ha! Haus Zauvirr war sehr erpicht darauf, unsere Söldner in Ched Nasad einzusetzen, aber nur verdammt wenige von Khorrl Xornbanes Stamm sind zurückgekehrt. Ich bin sicher, daß Ihr oder dieser Zammzt die gleichen Worte in Khorrls Ohr geflüstert habt, als Ihr seine Männer in Euren Dienst nahmt.«

»Xornbanes Verluste sind bedauerlich, doch ehrlich gesagt hatten wir nicht erwartet, daß Eure Steinbrandbomben in Ched Nasad so durchschlagende Wirkung zeigen würden. Wäre es nicht so weit gekommen, hätte Khorrl zusammen mit Haus Zauvirr die Stadt eingenommen.«

Der Duergar-Prinz warf ihm einen finsteren Blick zu, sein Bart ragte vor wie eine Flaschenbürste.

»Ich warnte Khorrl, daß Drow die Gewohnheit haben, Söldner und ganz besonders Zwerge sehr schlecht zu entlohnen. Ich möchte keine weitere unserer Söldnertruppen in eine solche Gefahr schicken. Xornbane machte ein Achtel der Streitmacht dieser Stadt aus.«

»Ich benötige keine weitere Eurer Söldnertruppen, Prinz, ganz gleich, wie groß und kampflustig sie auch ist«, versicherte Nimor ihm. »Ich brauche Eure ganze Armee. Marschiert mit Eurer Streitmacht ein, und Ihr müßt Euch über eine Niederlage keine Gedanken machen.«

»Das riecht immer noch nach einer heimtückischen Falle der Drow.«

Nimor runzelte die Stirn. »Prinz Horgar, wenn Ihr zögert, ein Risiko einzugehen, werden Ihr auch nur selten gewinnen können, wenn die Würfel fallen. Euch bietet sich die Gelegenheit, etwas Großes zu erreichen, aber ich kann Euch keine Erfolgsgarantie geben und Euch auch nicht vormachen, unser Unternehmen sei frei von Risiken.«

»Wir reden hier nicht über eine Handvoll Münzen, die bei einem albernen Spiel verloren werden können«, konterte der Prinz. »Wir reden hier über meinen Thron, den ich für einen Krieg riskiere, dessen Ausgang durch viele Faktoren gänzlich ungewiß ist. Versucht nicht, meine Entschlossenheit durch hohle Phrasen über Risiko und Belohnung zu unterwandern.«

»Gut, dann werde ich das nicht tun. Aber ich werde darauf hinweisen, daß Ihr bei unserer letzten Begegnung sagtet, Ihr würdet auf einer einzigen Sache bestehen, ehe Ihr Eure Armee gegen Menzoberranzan führt: einen wichtigen Verbündeten in der Stadt selbst. Diesen Verbündeten habe ich Euch gebracht. Wann wird sich eine bessere Gelegenheit ergeben, gegen die Bedrohung vorzugehen, die ein starkes Menzoberranzan für Euer Königreich darstellt? Die Priesterinnen sind machtlos, sie haben einen verlustreichen Sklavenaufstand hinter sich, und nun gebe ich Euch ein Haus, das bereit ist, Euch in Euren Be-mühungen zu unterstützen. Was fehlt uns noch, Prinz?«

Der Duergar schnitt eine Grimasse und blickte auf Gracklstugh. Eine Weile stand er einfach da und dachte angestrengt nach. Nimor sah, daß er unschlüssig wurde, und entschied, es sei an der Zeit, den Köder auszuwerfen.

Er kam näher und sagte leise: »Was wäre besser, um Euren Thron gegen jene aufrührerischen Gutsherren zu festigen, vor denen Ihr Euch fürchtet, als sie mit einem Feldzug jenseits der Grenzen dieses Reiches abzulenken? Selbst wenn es Euch nicht gelänge, Menzoberranzan einzunehmen, würde eine geschickte Planung doch dafür sorgen können, daß die Streitkräfte der bedrohlichsten Gutsherren in die tödlichsten Kämpfe der Schlacht verwickelt werden. Wenn Ihr meine Meinung hören wollt, so glaube ich, daß Ihr es in der Hand habt, einen großen Sieg über Menzoberranzan zu erringen und zugleich Eure aufsässigsten Adligen massiv zu schwächen.«

Der Duergar brummte und sah Nimor an.

»Ihr erwartet viel, Drow«, sagte Horgar. »Was hofft Ihr zu erreichen, wenn Menzoberranzan fällt? Warum wollt Ihr mich zu dieser Vorgehensweise drängen?«

Der Assassine grinste und klopfte dem Duergar auf die Schulter. Die Steinwachen im Raum bewegten sich nervös, da ihnen der Körperkontakt nicht behagte.

»Lieber Prinz, die Antwort ist einfach«, sagte Nimor. »Rache. Eure Armee ist das Instrument meiner Rache. Natürlich will ich nicht, daß Ihr Menzoberranzan einfach nur in Schutt und Asche legt, weil ich es Euch sage. Darum beruht ein gewichtiger Teil meines Plans darauf, Euch die nötige Motivation zu geben, damit Ihr tut, was ich wünsche. Ich habe lange und hart daran gearbeitet, die Umstände so zu arrangieren, daß die Armee von Gracklstugh auf die Stadt losmarschieren kann, die ich so sehr hasse. Ich sollte vielleicht darauf hinweisen, daß ich Euch bei dem winzigen Problem der rücksichtslosen Langlebigkeit Eures Vaters geholfen habe. Wie soll ich meine Absichten noch deutlicher machen?«

»Ich habe Euch für diese Hilfe mit Hunderten von Steinbrandbomben gedankt«, erwiderte der Duergar aufgebracht. »Sprecht ja nie wieder von Vaters ... Tod. Wenn ich zu der Ansicht gelangen sollte, daß Ihr mit dieser Geschichte auf mein Handeln Einfluß nehmen wollt, dann würde ich dafür sorgen müssen, daß keine der Informationen, über die Ihr verfügt, jemals an den Tag kommt. Versteht Ihr?«

»Oh, das hatte ich damit nicht sagen wollen, Horgar. Ich wollte nur klarmachen, daß ich Euch zuvor von Nutzen gewesen bin und daß ich für Euch wieder von Nutzen sein könnte. Kann ich nun auf die Armee Gracklstughs zählen?«

Horgar Stahlschatten, Kronprinz von Gracklstugh, nickte.

»Wir werden da sein«, sagte er. »Nun erklärt mir, wer genau in Menzoberranzan auf unserer Seite sein und wie man uns helfen wird.«


Ryld spürte haßerfüllte Blicke, die auf seinem Rücken ruhten, während er Valas und Kohlenhauer durch die Straßen der Duergar-Stadt folgte. Er war sich nur allzu deutlich der Tatsache bewußt, daß er hier nicht in seinem Element war. Er überragte jeden der Grauzwerge um gut und gerne fünfzig Zentimeter, und seine kohlrabenschwarze Haut und sein pechschwarzer Piwafwi taten ihr übriges, daß er sich von der Menge abhob. Die drei bahnten sich ihren Weg durch ein Viertel, in dem die Schwertschmiede zu Hause waren, eine schmale Gasse, die zu beiden Seiten von offenen Schmieden gesäumt wurde, in denen Duergar mit Lederschürzen unermüdlich rotglühendes Metall bearbeiteten. Ryld war damit vertraut, was guten Stahl ausmachte, und sah auf den ersten Blick, daß diese Zwerge ihr Handwerk verstanden.

Der Waffenmeister beschleunigte seine Schritte und holte zu Valas auf.

»Wohin gehen wir?« fragte er so leise, wie das angesichts der schlagenden Hämmer ringsum möglich war. »Ich dachte, wir müßten erst im Besitz einer offiziellen Lizenz sein, um passieren zu können. Sollten wir uns dafür nicht zu irgendeinem Amt begeben?«

»Wenn wir eine königliche Lizenz wollten, dann schon«, antwortete Kohlenhauer. »Aber das würde Euch Monate und ein Vermögen kosten. Nein, ich bringe Euch zum Haushalt des Clansherrn Muzgardt. Er wird Euch einen Passierschein geben, mit dem Ihr überallhin könnt.«

Ryld nickte. Hier ging es doch nicht so anders zu als in Menzoberranzan.

»Wie weit wird Muzgardts Schein uns bringen?« wollte Valas wissen. »Werden wir damit Gracklstugh verlassen können?«

»Muzgardts Clan besteht aus Kaufleuten. Sie handeln im gesamten Tiefenkönigreich mit Bier und Likören, und manchmal bringen sie auch Gebräu von draußen in die Stadt – Drow-Wein, Svirfneblin-Branntwein, manchmal sogar Wein von der Welt an der Oberfläche, wie ich gehört habe. Seine Leute treiben sich im gesamten Reich herum.« Kohlenhauer lachte gehässig und fügte an: »Natürlich verkauft Muzgardt auch denen, die sie brauchen, Passierscheine. Er mag Gold.«

Ryld lächelte. Kohlenhauer war wie viele seiner Art ein habgieriger Zeitgenosse. Da er Muzgardts Habgier ausdrücklich betonte, mußte sie schon bemerkenswert ausgeprägt sein.

Sie erreichten das Ende der Straße der Schwertschmiede und fanden sich erneut in der Nähe des Dunkelsees wieder, allerdings ein Stück weiter nördlich. Vor ihnen stand eine große, windschiefe Brauerei, die aus lose aufeinandergestapelten Steinen bestand, die zwischen den gehärteten Stämmen eines kleinen Waldes aus Riesenpilzen Wände bildeten. Im Inneren der Brauerei standen große Kupferbottiche, aus denen Dampf austrat, der die Luft mit einem schweren Hefeduft erfüllte. Dutzende kleiner Kupferfässer standen nicht weit entfernt, und stämmige Grauzwerge schwärmten umher, zerdrückten Pilze, rührten gärende Massen an und füllten das frischgebraute Bier in die Fässer.

»Die zweite große Liebe eines Zwergs«, erklärte Kohlenhauer mit schiefem Grinsen. »Muzgardts Leute leisten gute Arbeit, sage ich Euch.«

Der Zwerg führte Ryld und Valas in das Brauhaus und ging mit ihnen an den riesigen Bottichen vorbei zu einem kleinen Verschlag im rückwärtigen Bereich des Gebäudes. Ein paar Duergar in schwerer Rüstung standen da, bedrohlich aussehende Äxte lagen in Reichweite. Die Wachen warfen den Drow wütende Blicke zu und griffen nach ihren Waffen.

»Was wollt Ihr?« knurrte einer der Wachmänner.

»Thummud«, erwiderte Kohlenhauer. »Ich habe ihm ein Angebot zu machen.«

»Bleibt hier«, sagte die erste Wache.

Der Zwerg duckte sich durch einen zerfetzten Vorhang im Türrahmen und kehrte Augenblicke später wieder zurück.

»Thummud erwartet dich. Aber die Drow müssen ihre Waffen ablegen. Er traut ihnen nicht.«

Ryld sah zu Valas Hune und signalisierte: Müssen wir besorgt sein, daß man uns angreift?

Kohlenhauer weiß, daß unsere Gruppe noch fünf Personen umfaßt, erwiderte der Späher. Darunter ein fähiger Magier und ein Draegloth. Ich glaube nicht, daß er uns in eine Falle locken will, aber paß dennoch auf.

»Schluß mit dem Fingergerede«, fauchte der Wachmann. »Wenn Ihr etwas zu sagen habt, dann sagt es so, daß wir alle es hören können.«

»Immer«, sagte Ryld gut verständlich zu Valas.

Dann warf er dem Duergar einen stechenden Blick zu, nahm Splitter vom Rücken und lehnte den Zweihänder an die Wand. Er zog auch sein Kurzschwert aus der Scheide und stellte es neben Splitter.

»Auf der Klinge lastet ein Fluch«, erklärte er. »Ihr würdet nicht gerne erleben, wie er sich äußert.«

Valas legte Bogen und Pfeile ab, dann ließ er seine Kukris fallen. Die Duergar-Wachen durchsuchten die beiden Dunkelelfen nach verborgenen Warfen, dann drängten sie sie in den düsteren Schuppen. Dabei handelte es sich um eine Art Büro, in dem überall Kontenbücher und Aufzeichnungen lagen. An einem großen Stehpult stand einer der fettesten Duergar, die Ryld je zu Gesicht bekommen hatte, ein rundlicher Kerl mit dicken Armen und breiten Schultern. Duergar neigten trotz ihrer kleinen, aber kraftvollen Statur zu einem hageren, breitschultrigen Körperbau, doch Braumeister Thummud war genauso rund wie die Fässer, mit denen er handelte.

»Kohlenhauer«, sagte er statt einer Begrüßung. »Was kannst du für mich tun?«

»Ich habe hier eine Gruppe Drow, die einen Passierschein von Muzgardt braucht«, antwortete Kohlenhauer. »Sie möchten nicht gern auf eine königliche Erlaubnis warten.«

»Womit handeln sie?«

»Vorwiegend mit Edelsteinen«, sagte Valas. »Wir sind bemüht, neue Transportwege durch das Tiefenkönigreich einzurichten. Wir müssen viel reisen und mit vielen Leuten reden, und wie Kohlenhauer gerade sagte, wollen wir nicht monatelang auf eine königliche Lizenz warten.«

»Dann seid Ihr entweder dumm, oder Ihr lügt. Um von unserem Clansherrn einen Passierschein zu bekommen, müßt Ihr zehnmal so viel zahlen wie für eine königliche Lizenz. Ich kenne kaum einen Kaufmann, der so etwas täte.«

Valas Hune sah zu Ryld, dann wieder zu Thummud. »Nun gut, wir haben zu Hause einige Rivalen, die hier gute Geschäfte machen, und wir wollen uns zu ihren Lieferanten begeben, um zu sehen, ob wir sie nicht dazu bewegen können, an uns zu verkaufen. Eine königliche Lizenz würde dafür sicher nicht genügen.«

Thummud schnaubte. »Ich schätze nicht.«

»Könnt Ihr meinen Kunden helfen oder nicht?« drängte Kohlenhauer. »Oder muß ich mich an Eisenkopf oder Amboßsehne wenden?«

»Clan Muzgardt kann Euch womöglich helfen«, sagte Thummud nach langer Pause. »Wir bekommen 200 Goldstücke pro Namen auf dem Passierschein. Aber den Schein gibt es nicht heute.«

Kohlenhauer sah zu den Drow. Ryld nickte.

»Sie werden die Gebühr des Fürsten bezahlen«, erklärte der Duergar-Seemann. »Aber sie wollen das schnell erledigt wissen.«

»Mir egal, was Eure Kunden wollen«, meinte Thummud. »Ich muß das erst mit dem Clansherrn besprechen.«

»Das mußtet Ihr noch nie!«

Der fette Zwerg verschränkte die Arme und schob den Unterkiefer vor.

»Sei dem, wie es sei, die Soldaten des Kronprinzen sehen sich in letzter Zeit unsere Dokumente und Pässe viel zu gründlich an. Horgar hat erklärt, er wolle wissen, wer sich warum in seinem Königreich aufhält, und er verläßt sich darauf, daß die Clansherren sich zurückhalten. Wir werden Euren Kunden schon geben, was sie brauchen, aber ich muß mir erst Muzgardts Segen holen. Kommt morgen wieder. Oder übermorgen.«

Kohlenhauer murmelte etwas, machte sich aber nicht die Mühe, länger zu diskutieren. Er wandte sich ab und führte Ryld und Valas Hune nach draußen. Die Drow nahmen ihre Waffen an sich, und wenige Minuten später hatten sie die Brauerei wieder verlassen.

»Was machen wir nun?« wollte Valas wissen. »Kennt Ihr noch einen anderen Clan, der uns helfen könnte?«

»Kann sein. Aber wenn sich Horgar auf inoffizielle Pässe und dergleichen konzentriert, werdet Ihr überall auf Schwierigkeiten stoßen.« Der Zwerg kratzte sich am Bart. »Ich werde ein paar Fragen stellen müssen, aber ich glaube, es wäre besser, wenn ich das allein tue.«

Ryld sah zu Valas, der lange nachdachte, ehe er einwilligte. Aber selbst dann hatte der Waffenmeister nicht das Gefühl, daß sein Gefährte allzu großes Vertrauen in die Loyalität ihres Führers setzte.

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