Während sich Pharaun in einen dunklen, ruhigen Raum zurückzog, um seine Folianten zu konsultieren und seine Zauber auszuwählen, trug der Rest der Gruppe die Ausrüstung zusammen und machte sich aufbruchsbereit. Für eine lange Reise an der Oberfläche waren sie gänzlich unvorbereitet, da vor allem Halisstra und Danifae keinerlei Vorräte bei sich führten. Die Gruppe aus Menzoberranzan war vor der Flucht aus Ched Nasad klug genug gewesen, ihr Gepäck wieder an sich zu nehmen, doch die lange Reise in die Stadt der schimmernden Netze hatte ihre Vorräte deutlich dezimiert.
Solange sie auf Pharaun warten mußten, betrachtete Halisstra die Ruinen genauer. Sie besaß eine gewisse wissenschaftliche Neigung, und sich gezielt mit dieser antiken Stadt zu befassen, war eine gute Methode, um sich von den letzten schrecklichen Stunden abzulenken. Die anderen beschäftigten sich mit der kleinen Aufgabe, das Lager abzubauen oder warteten geduldig in den finstersten Schatten, die sie finden konnten. Halisstra nahm ihre wenige Habe an sich, dann machte sie sich daran, den Hof zu verlassen. Dabei fiel ihr Blick auf Danifae, die sich im Schatten eines eingebrochenen Torbogens hingekniet hatte und zusah, wie sie nach draußen gehen wollte.
Halisstra hielt inne, dann rief sie: »Komm!«
Es behagte ihr nicht, ihre Dienerin mit den Reisenden aus Menzoberranzan allein zu lassen. Sie hatte ihr viele Jahre treu gedient, doch die Umstände waren nun andere.
Die Dienerin erhob sich und folgte ihr. Halisstra führte sie durch die im Zerfall begriffene Hülle des Palastes, die den Hof umgab, und gelangte auf einen breiten Boulevard, der genau durchs Herz der antiken Stadt verlief. Seit vor einer Stunde die Sonne aufgegangen war, hatte sich die Luft zwar spürbar erwärmt, doch es war noch immer bitterkalt, und das Strahlen des Tageslichts schien von dem kristallklaren Himmel noch weiter verstärkt zu werden. Beide Frauen standen geblendet im Sonnenschein.
»Das führt zu nichts«, murmelte Halisstra. »Ich muß die Augen so zusammenkneifen, daß ich nicht mal meine Hand vor Augen sehen kann.«
Selbst wenn es ihr gelang, die Augen zu öffnen, sah sie kaum mehr als grelle, schmerzhafte Lichtpunkte.
»Valas meint, man könne sich an das Tageslicht gewöhnen«, erklärte Danifae. »Ich muß sagen, daß ich mir das kaum vorstellen kann, nachdem ich es nun mit eigenen Augen gesehen habe. Es ist gut, daß wir bald ins Unterreich zurückkehren.« Halisstra hörte ein Geräusch, als würde etwas zerrissen, dann drückte Danifae ihr einen Streifen Stoff in die Hand. »Bindet Euch das vor die Augen, vielleicht hilft es.«
Halisstra schaffte es, den dunklen Stoff zu einem behelfsmäßigen Schleier zu falten und sich umzubinden. Tatsächlich half es, den grellen Schein der Sonne zu lindern.
»So ist es besser«, sagte Halisstra.
Danifae riß noch ein Stück ab und band es sich selbst um, während sich ihre Herrin den Ruinen widmete. Halisstra vermutete, daß der Palast, in dem sie Zuflucht gesucht hatten, einst eines der bedeutenderen Bauwerke der Stadt gewesen sein mußte, was eine durchaus begründete Annahme war. Schließlich waren magische Portale nicht leicht zu schaffen, und oft fand man sie an gut versteckten oder streng bewachten Orten. Ein Säulengang verlief entlang der Palastfront, auf der anderen Seite des Boulevards stand ein weiteres großes Gebäude – ein Tempel oder vielleicht irgendein Herrenhaus. Die Architektur der Gebäude hatte etwas Vertrautes an sich.
»Nesserisch«, sagte sie schließlich. »Siehst du die quadratischen Unterbauten der Säulen und die spitz zulaufenden Fensterbögen?«
»Ich dachte, die nesserischen Städte hätten in der Luft geschwebt und seien von irgendeinem magischen Kataklysmus vollständig vernichtet worden«, erwiderte Danifae. »Wie könnte dann noch so etwas existieren?«
»Es könnte einer der Nachfolgestaaten gewesen sein«, überlegte Halisstra, »der errichtet wurde, nachdem die großen Mythallare der alten nesserischen Städte untergegangen waren.«
»Dort oben steht etwas«, sagte Danifae und deutete auf die Fassade eines eingestürzten Gebäudes. »Da ... über den Sau-len.«
Halisstra folgte der Richtung, in die Danifae zeigte. »Ja«, erwiderte sie. »Das ist Nesserisch.«
»Ihr könnt es lesen?« fragte Danifae.
»Ich habe verschiedene Sprachen studiert – die Handelssprache der Welt an der Oberfläche, Hoch-Nesserisch, Illuskisch, sogar einige der Drachensprachen«, erwiderte Halisstra. »In unseren Bibliotheken finden sich faszinierende Geschichten, die in anderen Sprachen als der der Drow aufgezeichnet wurden. Ich entwickelte schon vor über hundert Jahren die Gewohnheit, mich mit solchen Dingen zu beschäftigen, als ich glaubte, ich könnte einen vergessenen Zauber oder ein Geheimnis entdecken, um damit einen Vorteil gegenüber meinen Rivalinnen zu erlangen. Zwar fand ich in dieser Hinsicht letztlich wenig, dafür aber stellte ich fest, wieviel Spaß das Lernen um seiner selbst willen macht.«
»Was besagen diese Worte?«
»Ich bin mir nicht bei allen Worten sicher, aber ich glaube, es heißt: ›Hohes Haus der Gerechtigkeit, Hlaungadath – Im Licht der Wahrheit hält sich keine Lüge‹.«
»Welch einfältiger Gedanke.«
Halisstra wies auf die Ruinen ringsum und sagte: »Du siehst, was es ihnen gebracht hat. Allerdings kenne ich den Namen ... Hlaungadath. Ich sah ihn auf Karten der Welt hier oben. Valas Hunes Einschätzung unserer Position war zutreffend.«
»Selbst ein Mann kann von Zeit zu Zeit recht haben«, meinte Danifae.
Halisstra lächelte, dann wandte sie sich ab und suchte in den Ruinen nach weiteren interessanten Entdeckungen.
Etwas Lohfarbenes, Schnelles huschte aus ihrem Blickfeld, noch ehe Halisstra es erkennen konnte. Sie erstarrte und betrachtete den Punkt, an dem sie die Bewegung ausgemacht hatte: ein Spalt in einer Mauer, die nicht weit von ihnen entfernt war. Nichts regte sich dort, aber aus einer anderen Richtung kam ein Geräusch, das verriet, daß der Schutt in Bewegung war. Ohne den Blick abzuwenden, berührte sie Danifaes Arm.
Wir sind hier nicht allein, bedeutete sie ihr. Zurück zu den anderen – schnell.
Gemeinsam zogen sie sich aus dem Gerichtshof zurück, wieder hinaus auf die Straße. Als sie kehrtmachten, um den Weg zurückzugehen, den sie gekommen waren, glitt etwas Langes, Flaches, das mit sandfarbenen Schuppen bedeckt war, auf den Boulevard heraus. Die Stummelflügel konnten das Geschöpf unmöglich in die Lüfte erheben, doch die kraftvollen Krallen und das weit aufgerissene Maul waren weitaus besser entwickelt. Der Drache hielt inne und hob den Kopf, um die beiden Drow besser betrachten zu können. Erfreut fauchte er. Von der Nase bis zur Schwanzspitze war die Kreatur gut fünfzehn Meter lang, und ihre Augen funkelten verschlagen und boshaft.
»Lolth bewahre uns!« keuchte Danifae.
Die beiden Frauen wichen in die andere Richtung zurück, die im rechten Winkel von dem Palast fortführte, in dem ihre Gefährten warteten. Der Drache folgte gemächlich und schlängelte sich auf der breiten Straße hin und her.
»Er treibt uns von den anderen fort«, zischte Halisstra.
Sie fühlte festes Gestein hinter sich und riskierte einen Blick über die Schulter. Sie waren an einem Gebäude angelangt und schoben sich an der Mauer entlang, während sie versuchten, den Abstand zu dem Monster zu wahren. Eine finstere Gasse klaffte nur ein paar Meter von ihnen entfernt. Einen Herzschlag lang zögerte Halisstra, dann packte sie Danifae am Handgelenk und schoß durch die Öffnung in der Mauer.
Vor ihnen im Schatten der Gasse lauerte etwas auf sie. Noch ehe Halisstra umkehren konnte, baute sich vor ihnen eine große goldene Kreatur auf, halb Löwe, halb Frau, schön und anmutig. Mit einem kühlen, grausamen Lächeln streckte die Löwenfrau die Hand aus und streichelte Halisstras Wange. Die Berührung war kühl und beruhigend, und augenblicklich spürte sie, wie ihre Angst, ihre Entschlossenheit, ihre ganze Willenskraft sanft fortgetragen wurden. Flüchtig versuchte sie, die Hand der Kreatur von ihrem Gesicht zu lösen.
»Keine Angst«, sagte das Geschöpf sanft. »Leg dich hin und ruhe dich aus. Du bist unter Freunden, dir wird nichts geschehen.«
Halisstra stand wie gelähmt da. Zwar war ihr bewußt, daß die Worte der Kreatur keinen Sinn ergaben, doch fehlte ihr die Willenskraft, um sich der Aufforderung zu widersetzen. Danifae packte sie, wirbelte sie herum und verpaßte ihr eine Ohrfeige.
»Es ist eine Lamia!« herrschte sie sie an. »Sie versucht, Euch zu betören!«
Die Lamia knurrte, das hübsche Gesicht hatte nun harte und grausame Züge angenommen.
»Widersetze dich nicht«, sagte sie mit bestimmenderem Tonfall.
Halisstra fühlte, wie sich der Zauber der Kreatur über sie legte, an ihrer Entschlossenheit saugte und versuchte, ihren Willen dem der Lamia zu unterwerfen. Sie wußte, wenn sie einlenkte, würde sie bewußt in den Tod gehen. Sie würde sich sogar hinlegen, um sich von der Lamia verspeisen zu lassen, wenn diese das von ihr verlangte. Doch der stechende Schmerz von Danifaes Schlag ins Gesicht hatte ihre Willenskraft wieder genug erstarken lassen, um sich gegen die süßlichen Worte der Lamia zur Wehr zu setzen.
»Wir sind Drow«, keuchte sie. »Unser Wille darf von solchen wie euch nicht gebrochen werden.«
Die Lamia bleckte wütend die Zähne und zog einen bronzenen Dolch, doch Halisstra und Danifae eilten bereits aus der im Schatten liegenden Gasse zurück in die Sonne.
Der Drache ist fort, signalisierte Danifae.
Halisstra schüttelte den Kopf und erwiderte: Eine Illusion. Wir wurden getäuscht.
Etwas schwebte noch immer in der Straßenmitte, ein schwach flackerndes Phantom, das von der Größe des Dings sein mochte, das sie zuvor gesehen hatten. Wie aus großer Entfernung war ein protestierendes Fauchen zu hören.
»Eine Illusion!« spie Danifae verächtlich.
Das Drachengespinst nagte am Rand ihres Verstands und erhielt Verstärkung durch anderes, beharrlicheres Murmeln und durch Schatten. Gebäude schienen zu schimmern und zu verschwinden, nur um durch Ruinen von anderem Erscheinungsbild ersetzt zu werden. Düstere, entsetzliche Dinge glitten durch den Schutt und versperrten den Rückweg. Geisterhafte Drow in funkelnden Gewändern nahmen Gestalt an, lächelten und riefen ihnen zu, sich zu ihnen zu gesellen und sich ihren glückseligen Lustbarkeiten anzuschließen, wenn sie sich zuerst ergaben.
Die Lamia trottete leichtfüßig hinter ihnen auf die Straße, den Dolch hinter dem Rücken.
»Ihr könnt euch unseren Verlockungen für eine Weile widersetzen«, schnurrte sie. »Aber früher oder später werdet ihr unterliegen.« Wieder streckte sie die Hand aus. »Wollt ihr nicht, daß ich euch von euren Sorgen befreie? Wollt ihr nicht wieder von mir berührt werden? Es wäre so viel leichter.«
Eine schnelle, elegante Bewegung lenkte Halisstras Aufmerksamkeit auf sich und ließ sie nach links sehen. Eine weitere Lamia – diesmal eine männliche – war auf die Mauer gesprungen, die ihnen bei ihrem Rückzug Schatten spendete. Die Lamia war sonnengebräunt und attraktiv, geschmeidig und lohfarben und lächelte die beiden grausam an.
»Eure Reise muß lang und anstrengend gewesen sein«, sagte die männliche Lamia mit güldener Stimme. »Wollt ihr mir nicht davon erzählen? Ich möchte alles darüber hören.«
Aus dem im Finsteren liegenden Eingang zum Gerichtsgebäude kam eine dritte Lamia zum Vorschein.
»Ja, erzählt es uns, erzählt uns alles«, schmachtete das Monster. »Welch schönere Weise gäbe es, den Tag zu verbringen? Ruht euch aus und überlaßt es uns, uns um euch zu kümmern.«
Die Lamia stützte sich auf einen großen Speer und lächelte glückstrahlend auf sie herab.
Halisstra und Danifae sahen einander nur kurz an, dann rannten sie um ihr Leben.
Gromph Baenre, Erzmagier von Menzoberranzan, war unzufrieden. Auch wenn der Sklavenaufstand ohne große Mühen hatte niedergeschlagen werden können, störte es ihn über alle Maßen, daß so viele männliche Drow gemeinsame Sache gegen die Muttermatronen gemacht hatten. Aber nicht nur das – sie hatten auch gemeinsame Sache mit den Sklavenvölkern gemacht, die sich gegen die Stadt erhoben hatten. Das sprach für eine Angst, die lange Zeit unterdrückt worden war, und für noch etwas anderes: Es ließ einen bisher unsichtbaren Feind vermuten, der einen Weg gefunden hatte, dieser Angst eine Stimme und eine Mission zu geben. Drow konnten untereinander nicht so problemlos kooperieren, als daß sie im geheimen eine Rebellion hätten organisieren können, die auf ein verabredetes Zeichen hin in Gang kam.
Die wachsame Ruhe, die sich nach der Niederschlagung der Revolte und dem Hinscheiden des Illithiden-Leichnams über die Stadt gelegt hatte, kam Gromph wie etwas Bösartiges und Verschlagenes vor.
Er stand vom Schreibtisch auf und ging in seinem Raum auf und ab, während er nachdachte. Kyorli, die Ratte, die ihm als Schutzgeist diente, betrachtete ihn kühl und distanziert, während sie an einer Scheibe Rothé-Käse knabberte.
Der Anblick der Ratte erinnerte den Erzmagier aus irgendeinem Grund daran, daß er schon länger nichts mehr von Pharaun gehört hatte. Zuletzt hatte das arrogante Plappermaul gemeldet, Ched Nasad versänke im Chaos. Vielleicht war es an der Zeit, nach ihm zu sehen.
Gromph trat durch einen Torbogen in einen offenen Schacht und ließ sich nach oben in den Raum schweben, der ihm als Kammer der Ausspähung diente. Zwangsläufig war das Zimmer nicht so gut geschützt wie andere Teile seines Eigentums, da er ein gewisses Maß an magischer Transparenz benötigte, um seinen Geist in die Welt jenseits seines Palastes vordringen zu lassen. In der Kammer setzte er sich im Schneidersitz vor einen niedrigen Tisch, auf dem eine große Kristallkugel lag.
Mit einer Bewegung seiner alten Hände murmelte er die Worte, die das Objekt aktivierten, und befahl: »Zeig mir Pharaun Mizzrym, diesen unverfrorenen Welpen, der glaubt, er könne eines Tages meine Nachfolge antreten.«
Letztere Bemerkung war unnötig gewesen, doch Gromph empfand es als hilfreich, seiner Verärgerung Ausdruck zu verleihen, ehe er zu spähen begann.
Die Kugel wurde grau und milchig, Nebel wirbelte in ihr auf, dann wurde sie von einem unerwarteten grellen Leuchten erfüllt. Gromph fluchte und mußte den Blick abwenden. Einen Moment lang glaubte er, Pharaun könnte einen neuen Zauber entwickelt haben, um seine Feinde daran zu hindern, ihm nachzuspionieren. Doch dann begann der Erzmagier zu verstehen, was es mit diesem Licht auf sich hatte.
Tageslicht.
Gromph wunderte sich, was der Meister Sorceres wohl an der Oberfläche tat, schirmte die Augen ab und sah wieder hin. Er entdeckte Pharaun, der im Schatten einer eingestürzten Mauer saß und Zauberbücher studierte. Keiner der anderen Drow, die ihn auf dieser Reise begleitet hatten, war zu sehen. Gromph sah einen Torbogen, der ein Stück weit von Pharaun entfernt auf einen schrecklich hellerleuchteten Hof führte.
Pharaun sah auf und runzelte die Stirn. Der Magier hatte Gromphs Beobachtung wahrgenommen, wie es bei jedem erfahrenen Zauberkundigen der Fall gewesen wäre. Pharaun beschrieb mit den Händen einige Gesten, dann verblaßte das Bild. Er hatte einen Zauber gewirkt, mit dem das Spähen blockiert wurde. Es war allerdings anzunehmen, daß er nicht wußte, von wem er beobachtet worden war.
»Du glaubst, du kannst mir entkommen?« murmelte Gromph und starrte auf das graue Bild.
Er legte die Fingerspitzen aneinander und wirkte einen Zauber, ein geistiges Signal, um eine Nachricht direkt an den reisenden Magier zu schicken.
Wo seid Ihr? Was ist in Ched Nasad los? Was werdet Ihr als nächstes tun?
Er sammelte sich, um Pharauns Antwort zu empfangen – ein Sendezauber übertrug binnen weniger Minuten die Antwort des Adressaten. Augenblicke verstrichen, während Gromph aus den hohen, schmalen Fenstern seiner Kammer sah und auf die Reaktion des jüngeren Magiers wartete.
Wie die Berührung einer Feder tauchten auf einmal Pharauns Worte in seinem Kopf auf. In der Anauroch. Ched Nasad ist durch Rebellion und Steinbrand zerstört. Lolths Schweigen herrschte auch dort. Wir suchen nun in der Hoffnung auf Antworten nach einem Priester von Vhaeraun.
Nach diesen Worten riß der Kontakt wieder ab. Dieser Zauber ließ keine ausführlichen Unterhaltungen zu, doch Pharaun hatte auf Gromphs Fragen mit ungewöhnlicher Präzision geantwortet.
»Ched Nasad zerstört?« flüsterte Gromph.
Damit mußte er sich näher beschäftigen. Er wandte sich wieder seiner Kristallkugel zu und wies sie an, ihm Ched Nasad zu zeigen. Es dauerte einen Moment, bis sich der Nebel lichtete, dann sah der Erzmagier das ganze Ausmaß der Zerstörung.
Wo sich Ched Nasad befunden hatte, waren nur noch Reste des Netzes übrig, die wie geschmolzenes Glas aus einer Glasbläserpfeife in den schwarzen Abgrund tropften. Von den düsteren Palästen und den Burgen, die sich an den Wänden festgeklammert hatten, war praktisch nichts mehr übrig.
»Lolth steh uns bei«, murmelte Gromph, dem bei dem Anblick übel wurde.
Er hatte nicht besonders viel für die Stadt der schimmernden Netze übrig, doch was immer sie heimgesucht hatte, konnte auch Menzoberranzan treffen. Ched Nasad war fast so groß und so mächtig wie Menzoberranzan gewesen, doch Gromph konnte mit eigenen Augen seinen vollständigen Untergang sehen. Wenn eines von zwanzig Gebäuden diese Zerstörung unbeschadet überstanden hatte, würde ihn das schon sehr wundern.
Gromph veränderte den Blickwinkel der Kugel, um nach Anzeichen für Überlebende Ausschau zu halten, doch in der Haupthöhle schien niemand zu sein. Inmitten des schwelenden Schutts konnte er zwar eine ganze Reihe verbrannter Leichen entdecken, aber jeder Drow, der das überlebt hatte, war zweifellos in die angrenzenden Höhlen geflüchtet. Sie konnte er mit seinem Objekt zur Ausspähung nicht aufspüren, so daß er seine Bemühungen nach einer Weile als sinnlos erachtete und die Kristallkugel matt werden ließ. Eine Weile saß er da und starrte gedankenverloren in das finstere Rund.
»Muß ich dieses Wissen jetzt mit Triel teilen?« fragte er sich, als er sich aus seinen Überlegungen riß.
Er wußte etwas, das den Muttermatronen vermutlich noch nicht bekannt war, und so etwas eröffnete Möglichkeiten. Das Problem bestand darin, daß Gromph keine Ahnung hatte, welchen Nutzen er daraus ziehen sollte, die Erkenntnis für sich zu behalten. Welche Risiken damit verbunden waren, die Neuigkeit nicht weiterzugeben, war ihm dagegen nur allzu klar. Da ihm nun bekannt war, daß sich Lolths Schweigen über Menzoberranzan hinaus erstreckte, konnte er die Priesterinnen ohne Umschweife herausfordern – sofern er den Wunsch verspürte –, aber selbst wenn er die vereinte Kraft Sorceres gegen die herrschenden Häuser der Stadt stellte, was würde ihm bei einem Sieg verbleiben? Die qualmenden Ruinen Ched Nasads dürften das Ergebnis einer solchen Handlung sein. Wahrscheinlich würde aber bereits die Loyalität der Meister der Magierschule zu ihren Häusern einen solchen Unsinn im Keim ersticken.
Nein, entschied Gromph. Ich bin kein Revolutionär, der um jeden Preis die bestehende Ordnung aus dem Weg räumen will ... jedenfalls noch nicht.
Abgesehen davon war die Ursache für all diese Unruhen ohnehin wahrscheinlich nichts weiter als ein Werk Lolths selbst. Gromph wollte nicht ausschließen, daß die Spinnenkönigin bewußt in absolutes, unerklärliches Schweigen verfiel, um festzustellen, wer aus dem Dunkel treten würde, um die momentane »Schwäche« ihrer Priesterinnen auszunutzen. Das bedeutete auch, daß Lolth ihres Spiels bald überdrüssig werden und ihren Klerikerinnen wieder ihre Gunst erweisen würde. Wenn das geschah, dann wehe jedem, der dumm genug gewesen war, unter Beweis zu stellen, wie oberflächlich seine Treue gegenüber der bestehenden Ordnung war. Nein, am klügsten war es, Triel mitzuteilen, was er herausgefunden hatte, und dafür zu sorgen, daß die Muttermatronin nicht ihrerseits dieses Wissen für sich behielt. Pharauns wenige Worte vermittelten das Bild einer sehr ernsten Gefahr für Menzoberranzan, und Gromph wollte nicht als der Erzmagier in Erinnerung bleiben, der zugelassen hatte, daß seine Stadt ausgelöscht wurde.
Seufzend stand er auf und ließ sich im Schacht nach unten sinken. Er hoffte nur, daß Triel mit irgend etwas schwierigem befaßt war, damit ihm wenigstens das kleine Vergnügen vergönnt war, sie mit einer Nachricht zu unterbrechen, die nicht warten konnte.
»Die Frage ist nicht, wohin wir gehen sollten«, stellte Pharaun mit ironischem Unterton fest. »Die Frage ist, wie wir lebend aus Hlaungadath herauskommen.« Der Meister Sorceres war erschöpft. Staub klebte auf seinem blutigen, verschwitzten Gesicht, und er war so ausgelaugt, daß er sich nur noch in den Schatten der langen, teilweise eingestürzten Mauer werfen konnte. Längst hatte er alle Kampfzauber eingesetzt, und jetzt hatte er nur noch einen dünnen schwarzen Eisenstab, aus dem er Blitze schießen ließ. Pharaun sah zum Himmel auf, als wolle er feststellen, wie lange sie noch dem Tageslicht ausgesetzt sein würden, und wandte den Blick erschrocken wieder ab. »Geht denn diese verfluchte Sonne nie unter?«
»Steht auf, forderte Quenthel. »Wenn wir ruhen, sterben wir.« Auch sie zitterte vor Erschöpfung, doch sie hielt sich krampfhaft aufrecht. Die lange, mit Blut bedeckte Peitsche mit den Schlangenköpfen, die sie trug, wand sich und zischelte bedrohlich, doch noch immer floß Blut aus einem tiefen Schnitt gleich über ihrem linken Auge. Zwei Furchen zerschlagener und verdrehter Glieder in ihrem Kettenhemd waren ein deutlicher Beweis dafür, wie knapp sie dem Tod durch die Klauen einer ungeschlachten Monstrosität mit grauer Haut und spinnengleichen Augen entronnen war.
»Wenn Ihr erschöpft seid, seid Ihr für die Suggestionen und Illusionen der Lamien weitaus empfänglicher«, sagte Halisstra. »Es ist besser, im Kampf zu sterben, als unter die Herrschaft einer solchen Kreatur zu geraten.«
Sie befand sich in keiner besseren Verfassung als die anderen. Nachdem sie und Danifae die erste Begegnung mit den Monstern überlebt hatten, war es zu einer stundenlangen Verfolgungsjagd durch die Straßen und verlassenen Gebäude gekommen. Zunächst hatte eine große Meute Lamien versucht, die Gruppe mit ihren betörenden Kräften zu überwältigen, doch Drow, die solchen magischen Tricks wachsam gegenüberstanden, stellten alles andere als eine leichte Beute dar. Halisstra und die anderen hatten sich auf einen Kampf mit den löwengleichen Ungeheuern gefaßt gemacht, doch die Lamien – die von Natur aus verschlagen und feige waren – zogen sich aus der Auseinandersetzung zurück und hatten statt dessen ihre Helfershelfer eine Angriffswelle nach der anderen gegen die Drow starten lassen. Lamien mochte es am Mut für einen Kampf fehlen, doch das galt in keiner Weise für die Mantikore, Asabis, Gargylen und andere ausgewählte Geschöpfe, die ihrer Kontrolle unterstanden.
»Keine dieser Möglichkeiten gefällt mir«, knurrte Quenthel. Sie drehte sich um und suchte die Mauern und Gebäude ringsum nach einem Fluchtweg ab. »Da. Unmittelbar hinter den Bauten dort drüben sehe ich die Wüste. Vielleicht geben sie die Verfolgung auf, wenn wir die Stadt verlassen.«
»Unklug, Herrin«, erwiderte Valas. Er kauerte an einem Torbogen, der zu ihrer momentanen Zufluchtsstätte führte und von wo aus er nach der nächsten Angriffswelle Ausschau hielt. »Wenn wir den Schutz dieser Mauern verlassen, werden sie ganz genau wissen, wo wir sind. Wir wären kilometerweit zu sehen, auch mit unseren Piwafwis. Sie wurden nicht dafür geschaffen, uns am hellichten Tage in einer völlig freien Umgebung zu schützen. Tarnung ist derzeit unsere beste Waffe.«
Ryld nickte. Er stand an einem anderen Eingang, sein Zwei-händer ruhte an seiner Schulter.
»Sie würden uns einkreisen und uns da draußen niederringen«, sagte der Meister Melee-Magtheres. »Das beste ist, wenn wir uns ständig innerhalb der Ruinen bewegen und darauf hoffen, daß die Lamien ... oh verdammt, wir bekommen wieder Gesellschaft.«
Irgendwo in dem Irrgarten aus eingestürzten Wänden außerhalb ihrer Zuflucht geriet Schutt ins Rutschen, als sich etwas Großes vorwärtsbewegte.
»Achtet auf Illusionen«, ermahnte Halisstra sie.
Sie hielt den Streitkolben in der Hand und zog an ihrem Schild, um sicher zu sein, daß er fest an ihrem Arm saß. Hinter ihr lauerte Danifae, einen langen Dolch in der Hand. Halisstra war unglücklich darüber, ihre Kriegsgefangene bewaffnen zu müssen, doch im Moment konnten sie jede Verstärkung gebrauchen, die sich ihnen bot, und zudem war es in Danifaes Interesse, ihren Beitrag zu leisten, damit sie nicht alle den Bewohnern von Hlaungadath zum Opfer fielen.
Die Lamien versuchten unterdessen eine neue Taktik. Sie ließen gegen ein Loch in der Mauer eine Angriffswelle von echsenartigen Asabis anrennen, wilden Kreaturen, die wütend fauchten, während sie mit Säbeln und Krummschwertern in ihren schuppigen Händen gegen den Draegloth anstürmten. Drei weitere ihrer Art hielten Valas auf Trab, während ein Paar Gargylen über die Mauern geschossen kam und hinter Ryld mitten in der Ruine landeten. Mit ihren weiten schwarzen Schwingen wirbelten sie bei jeder Bewegung gewaltige Staubwolken auf.
Fluchend wirbelte der Waffenmeister herum, um sich der neuen Bedrohung zu stellen.
Jeggred heulte zornig auf und machte einen Satz nach vorn, um sich dem Ansturm der Asabis in den Weg zu stellen, wobei er aufblitzende Klingen und schnappende Mäuler zur Seite schlug, während er selbst mit seinen großen Krallen nach den Echsenkriegern ausholte. Der weißhaarige Dämon setzte alle vier Arme ein, um ein schreckliches Blutbad anzurichten, doch selbst Jeggred ermüdete. Schläge, denen er mit seiner schier übernatürlichen Kraft hätte ausweichen müssen, trafen ihr Ziel. Mit dem äußeren linken Arm konnte er zwar einen Schlag mit einem Säbel abblocken, tat das aber so unglücklich, daß er selbst eine klaffende Wunde davontrug, die vom Ellbogen bis zum Handgelenk reichte. Eine weitere Klinge traf seinen Rumpf und hinterließ eine rote Spur auf dem weißen Brustfell. Der Draegloth schrie vor Wut und verdoppelte seine Anstrengungen.
Ryld schlug nach den Gargylen, während Halisstra und Quenthel zu ihm eilten. Quenthel schlug mit ihrer Peitsche nach einem von ihnen, und die Schlangenköpfe wanden sich um eines der klauenbewehrten Beine der Kreatur, um dann ihre Fangzähne tief in steinhartes Fleisch zu bohren. Doch die Gargyle stieg mit aller Macht auf und hob die Prinzessin hoch, bis sie den Boden unter den Füßen verlor. Pharaun hob seinen Stab, um die Monster mit tödlichen Blitzen zu bombardieren, wirbelte aber herum und fiel hin, da sich ein Armbrustbolzen in seinen rechten Unterarm gebohrt hatte. Der Stab flog ihm aus der Hand.
»Die Dächer!« rief Pharaun.
Halisstra wich vor den Gargylen zurück und blinzelte in den grellen Himmel, um nach weiteren Angreifern zu suchen. Loh-farbene Schemen hockten auf einer hohen Mauer, die vielleicht vierzig oder fünfzig Schritt entfernt war – eine Handvoll Lamien mit schweren Armbrüsten, deren hübsche Gesichter von einem boshaften Grinsen verzerrt waren und die darauf warteten, daß sich eine Gelegenheit gab, um auf die Gruppe zu feuern. Noch während Halisstra zu ihnen sah, zielte eine der Lamien auf Ryld. Der Bolzen jagte am Kopf des Waffenmeisters vorbei und riß ein Stück aus der lockeren Steinwand hinter ihm. Ryld zuckte zusammen und tauchte zur Seite weg.
»Jemand muß sich um die Scharfschützen kümmern!« rief er, während er auf die Gargylen einschlug.
Eine Sekunde später rasten zwei weitere Bolzen auf Ryld zu. Einer prallte vom Brustpanzer ab, der andere traf ihn an der rechten Seite, da er beide Arme gehoben hatte, um zuzuschlagen. Der Bolzen blieb in der Armöffnung seiner Rüstung stekken, woraufhin Ryld zwei Schritte zurücktaumelte und in den Staub fiel.
Halisstra bückte sich und hob Pharauns Zauberstab auf.
»Hilf Quenthel«, wies sie Danifae an.
Sie richtete den Stab auf die Lamien auf der Mauer. Daß sie etwas über den Umgang mit solchen Objekten wußte, war eine Sache, die sie normalerweise nicht hätte offenbaren wollen. Aber dieser Kampf befand sich in einer verzweifelten Phase. Sie sprach ein arkanes Wort, dann jagte ein purpurfarbener Blitz auf die erste Lamia zu und schleuderte die Kreatur in einem Regen aus zerschmetterten Steinen von der Mauer. Donner hallte in der Ruine nach. Sie zielte auf die nächste Lamia, doch die Geschöpfe waren nicht dumm, sondern gaben sofort ihren ungeschützten Platz auf und brachten sich hinter der Mauer in Sicherheit.
Aus dem Schatten an der Rückwand kehrte Pharaun in den Kampf zurück, bewaffnet mit einem weiteren Stab. Dieser ließ einen Feuerball entstehen, den der Magier auf die Gargylen über ihnen schleuderte. Schmerzensschreie ausstoßend flatterten die Kreaturen davon, nur die eine, die bereits das Gift von Quenthels Peitsche in sich trug, kam nicht weit, als auf einmal die Flügel ihren Dienst versagten. Das Geschöpf stürzte ein Stück entfernt auf ein Dach.
Valas entledigte sich seines letzten Angreifers mit einem beidhändigen Schlag, der die Kreatur fast in zwei Hälften zerteilte, während Jeggred angestrengt atmend inmitten eines regelrechten Haufens aus Asabi-Leichen stand. Der Magier sah sich um und entdeckte Ryld am Boden.
»Verdammt«, murmelte er.
Er kniete neben dem Waffenmeister nieder und drehte ihn um. Ryld lag im Sterben. Blut strömte aus der Wunde, in der der Bolzen steckte, er konnte mit Mühe atmen, und seine grauen Lippen war blutbeschmiert. Pharaun verzog sein Gesicht zu einer finsteren Miene, dann sah er zu Quenthel.
»Tut etwas«, sagte er. »Wir brauchen ihn.«
Quenthel verschränkte die Arme und sagte kühl: »Leider gewährt mir Lolth im Moment nicht die Gunst von Heilzaubern, und die übrige Heilmagie, die ich auf unsere Reise mitgenommen hatte, ist schon fast verbraucht. Ich kann wenig für ihn tun.«
Halisstra kniff die Augen zusammen und dachte nach. Wieder gefiel ihr der Gedanke an das, was sie gleich tun würde, nicht, aber es konnte helfen, wenn sie ihr Geheimnis offenbarte: Wenn sie der Gruppe aus Menzoberranzan zeigte, was sie konnte, würde man sich ihrer nicht so schnell entledigen.
Außerdem, dachte sie, werden sie es vermutlich ohnehin längst wissen.
»Macht Platz«, sagte sie. »Ich kann helfen.«
Quenthel und Pharaun sahen auf.
»Wie?« wollte Quenthel wissen. »Wollt Ihr behaupten, Lolth erweise Euch immer noch ihre Gunst?«
»Nein«, erwiderte Halisstra. Sie kniete sich neben Ryld und untersuchte ihn. Sie mußte sich beeilen. Wenn er starb, konnte er ihr nicht mehr von Nutzen sein. »Lolth hat mir wie Quenthel und vermutlich auch jeder anderen Priesterin unseres Volks jeglichen Zauber verwehrt. Ich kann aber auf andere Weise heilen.«
Damit begann sie zu singen. Ihr Lied war eine sonderbare, wehklagende Threnodie, so düster und unheimlich, daß sie die Bewunderung der Drow für Schönheit, Ehrgeiz und meisterlich vollbrachte düstere Taten ansprach. Halisstra formte den Klang ihrer Stimme und der uralten Worte dieses Liedes, beschwor die Magie ihres Klagelieds, während sie den Bolzen packte und ihn aus der Wunde zog.
Ryld zuckte zusammen, die Augen weit aufgerissen, und Blut strömte über Halisstras Hände – doch die Wunde verschloß sich sofort zu einer Narbe, und der Waffenmeister hustete sich selbst wach.
»Was ist passiert?« stöhnte er.
»Das wüßte ich auch gern«, erwiderte Quenthel und betrachtete Halisstra mißtrauisch. »War es das, was ich glaube?«
Halisstra nickte und stand auf, während sie sich Blut von den Händen wischte.
»Es ist eine Tradition meines Hauses, daß Frauen, die dafür geeignet sind, die Kunst der Bae’qeshel erlernen dürfen, der finsteren Minnesänger. Wie Ihr seht, liegt im Lied eine Macht, etwas, womit sich nur wenige von unserer Art überhaupt befassen wollen. Ich bin in der Geschichte der Minnesänger ausgebildet worden.«
Ryld setzte sich auf, betrachtete seinen Brustpanzer und den blutigen Bolzen, der im Staub lag, und sah dann Halisstra an.
»Ihr habt mich geheilt?« fragte er.
Halisstra hielt ihm die Hand hin und half ihm beim Aufstehen.
»Wie Pharaun bereits bemerkte, brauchen wir Euch viel zu sehr, als daß wir uns mit Eurem Tod belasten möchten.«
Ryld sah ihr in die Augen und überlegte unübersehbar, was er sagen sollte. Dankbarkeit war ein Gefühl, mit dem nur wenige Drow etwas anfangen konnten. Der Waffenmeister fragte sich vielleicht, was Halisstra damit anfangen konnte, wenn er ihr seine Dankbarkeit zeigte. Sie ersparte ihm aber jede weitere Überlegung, indem sie sich wieder Pharaun widmete und ihm den eisernen Stab zurückgab.
»Hier«, sagte sie. »Das habt Ihr verloren.«
Pharaun verbeugte sich und erwiderte: »Ich gebe zu, ich war überrascht zu sehen, wie Ihr ihn handhabtet. Aber ich habe Euch schon in Ched Nasad singen hören. Schande über mich, daß ich nicht eins und eins zusammenzählte.«
»Laßt mich Euren Arm sehen«, gab Halisstra zurück.
Abermals sang sie das heilende Lied und ließ Pharauns Verletzung verschwinden.
Sie hätte auch die anderen untersucht und ihnen geholfen, wenn sie nicht von Quenthel unterbrochen worden wäre.
»Sonst ist hier niemand dem Tode nah«, erklärte diese. »Wir müssen von hier fort, sonst werden unsere Gegner uns zweifellos erneut angreifen. Valas, Ihr geht vor. Begebt Euch in eine Richtung, die zu den äußeren Mauern führt, damit wir in die Wüste entkommen können, sollten wir uns zur Flucht entschließen.«
»Jawohl, Herrin«, willigte der Späher ein. »Es sei, wie Ihr es sagt.«