Mann aus dem Süden

Die Bar des Hotels wurde um sechs Uhr abends geöffnet, und da es gleich so weit war, beschloss ich, mir ein Bier zu holen und es zum Schwimmbecken mitzunehmen, wo ich in einem Liegestuhl die Abendsonne genießen wollte.

Ich ging zur Bar, bekam das Bier und schlenderte mit der Flasche und einem Glas in der Hand durch den Garten zum Bassin.

Es war ein sehr schöner Garten mit Rasenflächen, Azaleenbeeten und hohen Kokospalmen. Der Wind fuhr durch die Wipfel der Palmen und ließ die Blätter zischen und knistern, als stünden sie in Flammen. Unter den Blättern sah ich die großen braunen Nüsse in Büscheln hängen.

Rings um das Schwimmbecken standen viele Liegestühle, weiße Tische und riesige bunte Gartenschirme. Braungebrannte Männer und Frauen im Badeanzug saßen teils in der Sonne, teils im Schatten.

Im Wasser tummelten sich drei oder vier Mädchen und etwa ein Dutzend junger Männer, die übermütig herumplanschten, viel Lärm machten und mit einem großen Gummiball spielten.

Ich blieb stehen und beobachtete sie. Die Mädchen waren Engländerinnen aus dem Hotel. Die Jungen kannte ich nicht, aber da sie wie Amerikaner sprachen, nahm ich an, sie seien Seekadetten von dem US-Schulschiff, das am Morgen den Hafen angelaufen hatte.

Nach einer Weile ging ich weiter. Ich steuerte auf einen gelben Schirm zu, unter dem vier leere Stühle standen, setzte mich, füllte mein Glas mit Bier, zündete mir eine Zigarette an und lehnte mich bequem zurück.

Es war sehr angenehm, mit einem Bier und einer Zigarette im Freien zu sitzen. Und es machte Spaß, den Badenden zuzuschauen, die sich in dem grünen Wasser vergnügten.

Die amerikanischen Jungen kamen sehr gut mit den englischen Mädchen zurecht. Sie waren schon so weit mit ihnen, dass sie tauchten und ihnen nach den Beinen griffen.

Mein Blick fiel auf einen kleinen, ältlichen Mann, der forsch und sehr schnell um das Becken herumging. Bei jedem seiner kurzen, hüpfenden Schritte federte er auf den Zehen hoch. Er trug einen makellos weißen Anzug und einen breitrandigen cremefarbenen Panamahut. Während er dicht am Rande des Bassins entlangtrippelte, musterte er die Leute und die Liegestühle.

Er machte neben mir halt und zeigte lächelnd zwei Reihen winziger, schiefstehender, leicht verfärbter Zähne. Ich lächelte zurück.

«Bittäh Entschuldigung, aber darf ich hier sitzen?»

«Gewiss», antwortete ich. «Ist ja alles frei.»

Er tänzelte auf einen Liegestuhl zu und prüfte ihn von allen Seiten auf seine Sicherheit. Dann ließ er sich nieder und schlug die kurzen Beine übereinander. In seine weißen Wildlederschuhe waren kleine Löcher gestanzt – wegen der Ventilation.

«Eine schöne Abend», sagte er. «Die Abende alle sind schön hier in Jamaica.» Ich kam nicht dahinter, ob er mit italienischem oder spanischem Akzent sprach, aber ich war sicher, dass er aus Südamerika stammte. Und dass er älter war, als er auf den ersten Blick wirkte. Achtundsechzig vielleicht, wenn nicht gar siebzig.

«Ja», sagte ich. «Es ist herrlich hier.»

«Und wer, darf ich fragen, sind diese Leute? Die sind nicht von Hotel.» Er wies auf die Badenden im Bassin.

«Ich glaube, es sind amerikanische Kadetten», erwiderte ich. «Amerikaner, die zu Marineoffizieren ausgebildet werden.»

«Natürlich es sind Amerikaner. Wer sonst auf Welt macht denn so viel Lärm? Aber Sie, Sie sind nicht Amerikaner, nein?»

«Nein, ich nicht.»

Plötzlich stand ein amerikanischer Kadett vor uns. Er kam geradewegs aus dem Wasser und triefte vor Nässe. Eine der jungen Engländerinnen war bei ihm.

«Sind diese Stühle besetzt?», fragte er.

«Nein», antwortete ich.

«Gestatten Sie, dass ich mich setze?»

«Nur zu.»

«Danke», sagte der Junge. Er hatte ein zusammengerolltes Frottiertuch in der Hand, und als er saß, holte er daraus ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug hervor. Das Mädchen lehnte die Zigarette ab, die er ihr anbot; dann hielt er mir das Päckchen hin, und ich griff zu. Der kleine Mann sagte: «Danke, nein, aber ich werde rauchen Zigarre.»

Er nahm eine Zigarre aus einem krokodilledernen Etui, brachte ein Taschenmesser zum Vorschein, an dem sich auch eine kleine Schere befand, und knipste das Ende der Zigarre ab.

«Warten Sie, ich gebe Ihnen Feuer.» Der junge Amerikaner hob sein Feuerzeug.

«Das wird nicht gehen in diese Wind.»

«O doch. Es geht immer.»

Der kleine Mann nahm die unangezündete Zigarre aus dem Mund, legte den Kopf schräg und sah den Jungen an.

«Im-mer?», wiederholte er langsam.

«Gewiss. Es versagt nie. Jedenfalls nicht bei mir.»

Der kleine Mann hielt den Kopf noch immer zur Seite geneigt, und er sah noch immer den Jungen an. «Aha. Also Sie meinen, diese berühmte Feuerzeug versagt nie. So meinen Sie doch, ja?»

«Das meine ich nicht nur», antwortete der Junge. «Ich weiß es genau.» Er mochte neunzehn oder zwanzig Jahre alt sein, hatte ein langes, sommersprossiges Gesicht und eine ziemlich spitze, vogelähnliche Nase. Auf der Brust, die nicht sehr braungebrannt war, hatte er ebenfalls Sommersprossen und ein paar Büschel rötlicher Haare. Er hielt das Feuerzeug in der rechten Hand – bereit, das Rädchen anzureiben. «Es versagt nie», beteuerte er und lächelte jetzt, weil er seine kleine Prahlerei absichtlich auf die Spitze trieb. «Ich garantiere Ihnen, dass es nie versagt.»

«Eine Moment, bittäh!» Die Hand mit der Zigarre schoss hoch, Handfläche nach außen, als wollte sie den Verkehr anhalten. «Nur eine Moment.» Er hatte eine eigenartig leise, tonlose Stimme und blickte den Jungen unverwandt an. «Sollen wir vielleicht kleine Wette darum machen?», fragte er lächelnd. «Sollen wir kleine Wette machen, ob Ihre Feuerzeug brennt?»

«Aber ja», sagte der Junge. «Warum denn nicht?»

«Sie mögen gern wetten?»

«Klar. Ich wette immer.»

Der Mann betrachtete nachdenklich seine Zigarre. Ich kam zu dem Schluss, dass mir sein Benehmen ganz und gar nicht gefiel. Wenn mich nicht alles täuschte, wollte er an der Sache verdienen und den Jungen finanziell schädigen; gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass er mit viel Genuss ein kleines Privatgeheimnis hütete.

Nun hob er den Kopf und sagte langsam: «Ich mag auch gern wetten. Warum sollen wir nicht machen gute Wette darum? Gute dicke Wette.»

«Augenblick mal», fiel ihm der Junge ins Wort. «Das kann ich nicht. Aber ich wette mit Ihnen um einen Vierteldollar. Ich wette sogar um einen Dollar oder den entsprechenden Betrag in englischer Währung – ein paar Shilling, nehme ich an.»

Wieder schoss die Hand mit der Zigarre hoch. «Hören Sie zu. Wir werden haben viel Spaß. Zuerst wir machen Wette. Dann wir gehen hinauf in meine Zimmer hier in Hotel, wo kein Wind ist, und ich wette, Sie können nicht anzünden Ihre Feuerzeug zehnmal hintereinander, ohne dass einmal versagt.»

«Ich wette, dass ich es kann», beharrte der junge Mann.

«Schön. Gut. Wir machen Wette, ja?»

«Okay. Ich wette mit Ihnen um einen Dollar.»

«Nein, nein. Ich mache Ihnen sehr gute Wette. Ich bin reich. Ich bin eine Sportsmann. Hören Sie zu. Vor Hotel steht mein Wagen. Ist sehr schöner Wagen. Amerikanischer Wagen aus Ihre Land. Cadillac …»

«Halt, halt.» Der Junge lehnte sich zurück und lachte. «So hoch kann ich nicht wetten. Das ist ja Irrsinn.»

«Kein Irrsinn, überhaupt nicht. Sie zünden Feuerzeug zehnmal hintereinander an, und Cadillac gehört Ihnen. Sie wollen doch haben diese Cadillac, ja?»

«Gewiss, einen Cadillac hätte ich schon ganz gern.» Der junge Amerikaner lächelte.

«Gut. Schön. Wir machen Wette, und ich setze meine Cadillac.»

«Und was setze ich dagegen?»

Der kleine Mann entfernte sorgfältig den roten Ring von seiner noch immer unangezündeten Zigarre. «Ich will nicht, dass Sie mehr setzen, als Sie sich können leisten. Sie verstehen?»

«Ja, aber was soll ich denn setzen?»

«Ich werde es machen sehr leicht für Sie, ja?»

«Okay. Machen Sie’s leicht.»

«Irgendeine Kleinigkeit, die Sie können entbehren, die Ihnen nicht zu sehr fehlt, wenn Sie verlieren. Recht?»

«Zum Beispiel?»

«Zum Beispiel … nun, vielleicht Ihr kleiner Finger von linke Hand.»

«Mein was?» Der Junge hörte auf zu lächeln.

«Ja. Warum nicht? Sie gewinnen, Sie nehmen Wagen. Sie verlieren, ich nehme Finger.»

«Ich verstehe Sie nicht. Was soll das heißen, Sie nehmen den Finger?»

«Ich hacke ab.»

«Heiliger Bimbam! Das ist ja eine verrückte Wette. Ich glaube, ich bleibe bei einem Dollar.»

Der kleine Mann streckte die flachen Hände vor und zuckte, kaum wahrnehmbar, verächtlich mit den Schultern. «Wirklich», sagte er, «ich wundere mich. Sie sagen, es brennt, aber Sie wollen nicht wetten. Gut, dann wir sprechen nicht mehr davon, ja?»

Der junge Amerikaner saß regungslos da und starrte auf die Badenden im Schwimmbecken. Plötzlich fiel ihm ein, dass er seine Zigarette noch nicht angezündet hatte. Er schob sie zwischen die Lippen, schloss die Hände um das Feuerzeug, rieb das Rädchen an, und schon brannte der Docht, ohne zu flackern, mit kleiner gelber Flamme. Die schützenden Hände hielten jeden Luftzug fern.

«Könnte ich auch Feuer haben?», bat ich.

«Ach herrje, das habe ich ganz vergessen. Entschuldigen Sie.»

Ich streckte die Hand nach dem Feuerzeug aus, aber er stand auf, kam zu mir und zündete es für mich an.

«Danke», sagte ich, und er ging zu seinem Stuhl zurück.

«Gefällt es Ihnen hier?», fragte ich.

«Prima», antwortete er. «Sehr schöne Gegend.»

Dann trat Schweigen ein. Ich merkte, dass es dem kleinen Mann gelungen war, den anderen mit seinem unsinnigen Vorschlag durcheinanderzubringen. Der Junge saß sehr still da, und ich spürte, wie sich eine kleine Spannung in ihm entwickelte. Nach einer Weile fing er an, unruhig zu werden. Er rutschte in seinem Stuhl hin und her, rieb sich die Brust, massierte sein Genick, legte schließlich die Hände auf die Knie und klopfte mit den Fingern gegen die Kniescheibe. Bald darauf klopfte er auch mit den Füßen auf den Boden.

«Lassen Sie mich die ganze Geschichte nochmal zusammenfassen», begann er plötzlich zu sprechen. «Sie sagten, wir gehen in Ihr Zimmer, und wenn dieses Feuerzeug zehnmal nacheinander zündet, gewinne ich einen Cadillac. Versagt es auch nur ein einziges Mal, dann verliere ich den kleinen Finger meiner linken Hand. Ist das richtig?»

«Ganz richtig. Genauso ist Wette. Ich glaube aber, Sie haben Angst.»

«Wie wird das, wenn ich verliere? Muss ich meinen Finger ausstrecken, damit Sie ihn abhacken können?»

«O nein! Das ist nicht gut. Wer weiß, vielleicht Sie kommen in Versuchung, ihn nicht auszustrecken. Ich mache so: Zuerst ich binde Ihre linke Hand an Tisch, und dann wir fangen an. Ich stehe bereit mit Messer, und ich hacke zu die Moment, wo Ihre Feuerzeug versagt.»

«Welches Baujahr ist Ihr Cadillac?», fragte der Junge.

«Bittäh Entschuldigung. Wie meinen?»

«Welches Baujahr – wie alt ist der Cadillac?»

«Ah! Wie alt? Ja. Ist von letzte Jahr. Ganz neu. Aber ich sehe, Sie haben keine Mut zu wetten. Amerikaner nie haben Mut.»

Der Junge zögerte kurz. Er sah erst das englische Mädchen, dann mich an, bevor er in scharfem Ton sagte: «Einverstanden. Die Wette gilt.»

«Gut!» Der kleine Mann klatschte in die Hände, nur einmal und sehr leise. «Schön, wir machen es gleich. Und Sie, Sir –» und damit war ich gemeint –, «würden Sie vielleicht haben die Güte, zu – wie nennen Sie das? – zu schiedsrichtern.» Er hatte blasse, fast farblose Augen mit winzigen schwarzen Pupillen.

«Wissen Sie», sagte ich, «das ist eine blödsinnige Wette. Mir gefällt sie gar nicht.»

«Mir auch nicht», ließ sich das englische Mädchen vernehmen. Es waren die ersten Worte, die sie sprach. «Ich finde, es ist eine absolut idiotische Wette.»

«Ist das Ihr Ernst, dass Sie ihm den Finger abhacken wollen, wenn er verliert?», fragte ich.

«Natürlich. Und auch, dass ich ihm Cadillac geben will, wenn er gewinnt. Kommen Sie jetzt. Wir gehen in meine Zimmer.»

Er stand auf. «Sie möchten vielleicht etwas anziehen?», erkundigte er sich.

«Nein», antwortete der Junge. «Ist nicht nötig.» Dann wandte er sich an mich. «Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie als Schiedsrichter mitkämen.»

«Meinetwegen», stimmte ich zu. «Aber ich kann nicht behaupten, dass mir die Wette gefällt.»

«Du kommst auch mit», sagte er zu dem Mädchen. «Du kommst mit und siehst zu.»

Der kleine Mann ging mit uns durch den Garten zum Hotel. Er war freudig erregt, und seine gehobene Stimmung schien zu bewirken, dass er mehr denn je auf den Zehen federte.

«Ich wohne in Nebengebäude», erklärte er. «Sie wollen erst Wagen sehen? Ist gerade hier.»

Er führte uns zur Vorderseite des Hotels und deutete auf einen schnittigen hellgrünen Cadillac, der dort parkte.

«Das ist er. Der grüne. Sie mögen?»

«Donnerwetter, das ist aber ein schicker Wagen», rief der Junge.

«Gut. Nun gehen wir zu mir und sehen, ob Sie ihn können gewinnen.»

Wir folgten ihm in das Nebengebäude. Im ersten Stock schloss er eine Tür auf, und wir traten in ein geräumiges, komfortables Doppelzimmer. über dem Fußende des einen Bettes hing der Morgenrock einer Frau.

«Zuerst», sagte er, «wir wollen uns stärken mit eine kleine Martini.»

Die Getränke standen auf einem Tischchen in der Fensterecke. Auch ein Shaker, ein Behälter mit Eiswürfeln und Gläser waren vorhanden. Bevor er sich mit den Martinis befasste, drückte er auf den Klingelknopf, und nach kurzer Zeit erschien ein farbiges Stubenmädchen.

«Ah!» Er stellte die Ginflasche hin, zog seine Brieftasche heraus und entnahm ihr eine Pfundnote. «Sie werden etwas für mich tun, bittäh», sagte er und gab dem Mädchen das Geld. «Das ist für Sie. Wir wollen jetzt eine Spielchen spielen, und ich möchte, dass Sie mir bringen zwei – nein, drei Sachen. Ich brauche ein paar Nägel; ich brauche eine Hammer, und ich brauche eine Hackbeil, eine Schlachterbeil, die Sie aus Küche leihen können. Das lässt sich machen, ja?»

«Ein Hackbeil!» Das Mädchen starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und faltete unwillkürlich die Hände. «Sie meinen ein richtiges Hackbeil?»

«Gewiss, gewiss. Sie können diese Sachen doch holen für mich?»

«Ja, Sir, ich will’s versuchen. Natürlich versuche ich, sie zu bekommen.» Damit ging sie hinaus.

Der kleine Mann reichte die Drinks herum. Wir standen da und kosteten den Martini – der Junge mit dem langen, sommersprossigen Gesicht und der spitzen Nase, nackt bis auf eine ausgeblichene braune Badehose; die Engländerin, ein grobknochiges blondes Mädchen in einem hellblauen Badeanzug, die den Jungen über den Rand des Glases unverwandt ansah; der kleine Mann in makellosem Weiß, der seinen Martini trank und die blassen Augen auf das Mädchen in dem hellblauen Badeanzug gerichtet hielt. Ich wusste nicht, was ich aus alledem machen sollte. Der Mann schien es mit der Wette ernst zu meinen, und er schien auch die Sache mit dem Finger ernst zu meinen. Aber verflixt, was sollte werden, wenn der Junge verlor? Dann mussten wir ihn so schnell wie möglich in dem Cadillac, den er nicht gewonnen hatte, ins Krankenhaus bringen. Das wäre eine schöne Geschichte. Na, wäre das nicht wirklich eine schöne Geschichte? Jawohl, und noch dazu eine verdammt sinnlose Geschichte.

«Finden Sie diese Wette nicht ziemlich albern?», fragte ich.

«Ich finde die Wette prima», erklärte der Junge. Er hatte seinen Martini bereits ausgetrunken.

«Und ich finde sie ausgesprochen idiotisch», sagte das Mädchen. «Albern und idiotisch. Was geschieht, wenn du verlierst?»

«Das macht gar nichts. Weißt du, ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals im Leben den kleinen Finger meiner linken Hand gebraucht hätte. Hier – «er spreizte den Finger ab und hielt ihn fest – «hier ist er, ein völlig unnützes Ding. Warum sollte ich ihn also nicht verwetten? Ich finde, es ist eine prima Wette.»

Der kleine Mann lächelte, nahm den Shaker und füllte unsere Gläser nach.

«Bevor wir anfangen», sagte er, «will ich dem … dem Schiedsrichter geben Wagenschlüssel.» Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und überreichte ihn mir. «Die Papiere», fügte er hinzu, «die Wagenpapiere und Versicherung sind in Handschuhkasten von Cadillac.»

Das farbige Stubenmädchen kam wieder herein. In der einen Hand trug sie ein kleines Hackbeil, wie es die Fleischer gebrauchen, um Knochen zu zerkleinern, und in der anderen einen Hammer und eine Tüte mit Nägeln.

«Gut! Sie haben alles. Danke, danke. Jetzt Sie können gehen.» Er wartete, bis das Mädchen die Tür geschlossen hatte. Dann legte er das Werkzeug auf eines der Betten und sagte: «Nun wir machen uns fertig, ja?» Und zu dem Jungen: «Helfen Sie mir, bittäh, mit diese Tisch. Wir rücken ihn etwas nach vorn.»

Es war einer der üblichen Hotelschreibtische, ein einfacher rechteckiger Tisch mit einer Unterlage aus Löschpapier, einem Tintenfass, Federhaltern und Briefbogen. Die beiden trugen ihn in die Mitte des Zimmers und nahmen die Schreibsachen fort.

«Und nun eine Stuhl.» Der kleine Mann ergriff einen Stuhl und stellte ihn neben den Tisch. Er war sehr munter, sehr aufgekratzt, wie jemand, der bei einer Kindergesellschaft Spiele organisiert. «Und nun die Nägel. Ich muss einschlagen die Nägel.» Er holte die Tüte und den Hammer vom Bett.

Wir standen mit unseren Martinis hinter ihm und sahen zu, wie er zwei Nägel in den Tisch schlug, etwa fünfzehn Zentimeter voneinander entfernt. Er schlug sie nicht ganz ein, sondern ließ sie etwas herausstehen. Dann prüfte er sie auf ihre Festigkeit.

Ich möchte schwören, dass der Kerl das nicht zum ersten Mal macht, sagte ich mir. Bei ihm gibt’s kein Zögern, kein Überlegen, Tisch, Nägel, Hammer, Hackbeil. Er weiß genau, was er braucht, und wie alles geordnet werden muss.

«Und jetzt», verkündete er, «jetzt fehlt nur noch Schnur.» Auch ein Stück Schnur fand sich. «Gut, endlich wir sind fertig. Wollen Sie, bittäh, hier an Tisch Platz nehmen?», wandte er sich an den Jungen.

Der Junge stellte sein Glas ab und setzte sich.

«Nun, bittäh, linke Hand zwischen diese zwei Nägel. Die Nägel sind nur, dass ich festbinden kann Ihre Hand. Gut, schön. Jetzt ich binde Ihre Hand fest an Tisch – so.»

Er knüpfte die Schnur um das Handgelenk des Jungen, wickelte sie mehrmals um den breiten Teil der Hand und befestigte sie dann an den Nägeln. Er machte das sehr geschickt, und als er den letzten Knoten geschlungen hatte, war es dem Jungen unmöglich, die Hand wegzuziehen. Aber er konnte die Finger bewegen.

«Nun, bittäh, Sie schließen alle Finger bis auf die kleine zu Faust. Die kleine Finger muss ganz gerade auf Tisch liegen … Aus-gezeichnet! Aus–gezeichnet! Jetzt wir sind fertig. Mit Ihre rechte Hand Sie bedienen Feuerzeug. Aber eine Moment bittäh.»

Er lief zum Bett, ergriff das Hackbeil, kam zurück und stellte sich mit dem Beil in der Hand neben den Tisch.

«Wir sind alle bereit?», erkundigte er sich. «Herr Schiedsrichter, Sie müssen sagen zu beginnen.»

Die Engländerin in ihrem hellblauen Badeanzug stand hinter dem Stuhl des Jungen. Sie stand da und sprach kein Wort. Der Junge saß sehr still, hielt das Feuerzeug in der rechten Hand und blickte auf das Hackbeil. Der kleine Mann blickte auf mich.

«Sind Sie bereit?», fragte ich den Jungen.

«Ich bin bereit.»

«Und Sie?», wandte ich mich an den kleinen Mann.

«Ganz bereit», sagte er und hob das Beil in die Luft, sodass es etwa sechzig Zentimeter über dem Finger des Jungen schwebte. Der Junge betrachtete es mit kühler Gelassenheit. Nicht einmal seine Lippen bewegten sich. Er zog nur die Augenbrauen hoch und runzelte die Stirn.

«In Ordnung», sagte ich. «Fangen Sie an.»

«Würden Sie wohl laut mitzählen, wenn ich zünde?», bat der Junge.

«Ja», erwiderte ich. «Selbstverständlich.»

Mit dem Daumen der rechten Hand öffnete er die Verschlusskappe des Feuerzeugs. Dann rieb er, ebenfalls mit dem Daumen, das Rädchen scharf an. Aus dem Feuerstein sprühte ein Funken, der Docht fing Feuer und brannte mit kleiner gelber Flamme.

«Eins!», rief ich.

Er blies die Flamme nicht aus; er drückte die Kappe des Feuerzeugs herunter und wartete ungefähr fünf Sekunden, bevor er sie zum zweiten Mal öffnete.

Wieder rieb er das Rädchen scharf an, und wieder brannte der Docht mit kleiner Flamme.

«Zwei!» Ich zählte; die anderen schwiegen. Der Junge blickte starr auf das Feuerzeug. Der kleine Mann hielt das Hackbeil in der erhobenen Hand und blickte ebenfalls auf das Feuerzeug.

«Drei!»

«Vier!»

«Fünf!»

«Sechs!»

«Sieben!»

Offensichtlich war es eines jener Feuerzeuge, die immer funktionieren. Der Feuerstein zündete mit einem großen Funken, und der Docht hatte die richtige Länge. Ich beobachtete, wie der Daumen die Verschlusskappe auf die Flamme schnellen ließ. Dann eine Pause. Dann hob der Daumen von neuem die Kappe. Bei diesem Feuerzeug machte der Daumen alles. Ich holte Luft und bereitete mich darauf vor, acht zu sagen. Der Daumen rieb das Rädchen an. Der Feuerstein sprühte Funken. Die kleine Flamme erschien.

«Acht!», rief ich, und im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür. Wir alle drehten uns um und sahen, dass eine Frau auf der Schwelle stand, eine kleine, schwarzhaarige, ziemlich alte Frau. Sie blieb etwa zwei Sekunden wie erstarrt stehen, dann schrie sie: «Carlos! Carlos!» und stürzte auf den kleinen Mann zu. Sie umklammerte sein Handgelenk, entriss ihm das Beil, warf es auf das Bett, packte ihn an den Aufschlägen seines weißen Jacketts und schüttelte ihn sehr heftig, während sie in einer spanisch klingenden Sprache laut und zornig auf ihn einredete. Sie schüttelte ihn so stark, dass man ihn gar nicht mehr sehen konnte. Seine Umrisse verschwammen nebelhaft wie die Speichen eines kreisenden Rades.

Schließlich beruhigte sie sich, und der kleine Mann wurde wieder sichtbar. Sie zerrte ihn durch das Zimmer und beförderte ihn mit einem Stoß auf eines der Betten. Dort hockte er nun, blinzelte verstört, betastete seinen Kopf und überzeugte sich, dass er ihn noch bewegen konnte.

«Es tut mir so leid», sagte die Frau. «Es tut mir so schrecklich leid, dass dies passieren musste.» Sie sprach ein fast akzentfreies Englisch.

«Ich mache mir solche Vorwürfe», fuhr sie fort. «Wenn ich nicht zum Friseur gegangen wäre … Nur für zehn Minuten, um mir das Haar waschen zu lassen, und kaum habe ich den Rücken gekehrt, da ist er schon wieder dabei.» Sie war sichtlich bekümmert, und ihre Stimme klang sehr verzweifelt.

Der Junge band seine Hand vom Tisch los. Das englische Mädchen und ich standen neben ihm und schwiegen.

«Er ist eine öffentliche Gefahr», erklärte die Frau. «Dort, wo wir wohnen, hat er allen möglichen Leuten insgesamt siebenundvierzig Finger abgenommen, und er hat elf Wagen verloren. Schließlich drohte man, ihn in eine Anstalt zu bringen. Deswegen bin ich mit ihm hierhergekommen.»

«Wir haben nur kleine Wette gemacht», murmelte der Mann vom Bett her.

«Hat er Ihnen einen Wagen versprochen?», fragte die Frau.

«Ja», antwortete der Junge. «Einen Cadillac.»

«Er hat keinen Wagen. Der Cadillac gehört mir. Und das ist ja das Schlimmste», fügte sie hinzu, «dass er mit Ihnen wettet, obgleich er gar nichts zum Wetten hat. Ich schäme mich, und es tut mir so schrecklich leid.» Sie schien eine sehr nette Frau zu sein.

«Nun ja», sagte ich, «hier ist dann also Ihr Wagenschlüssel.» Ich legte ihn auf den Tisch.

«Wir haben nur kleine Wette gemacht», murmelte der Mann.

«Er hat überhaupt nichts zum Wetten», wiederholte die Frau. «Er hat nichts mehr auf der Welt. Gar nichts. Weil ich ihm nämlich schon längst alles abgewonnen habe. Es dauerte lange, sehr lange, und es war ein hartes Stück Arbeit, aber schließlich habe ich ihm alles abgewonnen.» Sie blickte den Jungen an und lächelte – ein leises trauriges Lächeln. Dann kam sie näher und streckte die Hand aus, um den Schlüssel vom Tisch zu nehmen.

Ich sehe sie jetzt noch vor mir, diese Hand; sie hatte nur einen Finger und den Daumen.

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