Lammkeule


Das Zimmer war aufgeräumt und warm, die Vorhänge waren zugezogen, die beiden Tischlampen brannten – ihre und die vor dem leeren Sessel gegenüber. Zwei hohe Gläser, Whisky und Sodawasser auf dem Büfett hinter ihr. Frische Eiswürfel im Thermoskübel.

Mary Maloney wartete auf ihren Mann, der bald von der Arbeit nach Hause kommen musste.

Hin und wieder warf sie einen Blick auf die Uhr, aber ohne Ungeduld, nur um sich an dem Gedanken zu erfreuen, dass mit jeder Minute der Zeitpunkt seiner Heimkehr näher rückte. Eine heitere Gelassenheit ging von ihr aus und teilte sich allem mit, was sie tat. Die Art, wie sie den Kopf über ihre Näharbeit beugte, hatte etwas Beruhigendes. Sie war im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft, und ihre Haut wies eine wunderbare Transparenz auf, der Mund war weich, die Augen mit ihrem neuen zufriedenen Blick wirkten größer und dunkler als zuvor.

Um zehn Minuten vor fünf begann sie zu lauschen, und wenig später, pünktlich wie immer, knirschten draußen die Reifen auf dem Kies. Die Wagentür wurde zugeschlagen, vor dem Fenster erklangen Schritte, und dann drehte sich der Schlüssel im Schloss. Sie legte die Handarbeit beiseite, stand auf und ging zur Tür, um ihn mit einem Kuss zu begrüßen.

«Hallo, Liebling», sagte sie.

«Hallo», antwortete er.

Sie nahm seinen Mantel und hängte ihn in den Schrank. Dann machte sie am Büfett die Drinks zurecht – einen ziemlich starken für ihn und einen schwachen für sich –, und bald saßen sie in ihren Sesseln einander gegenüber, sie mit der Näharbeit, während er die Hände um das hohe Glas gelegt hatte und es behutsam hin und her bewegte, sodass die Eiswürfel leise klirrten.

Für sie war dies immer die glücklichste Zeit des Tages. Sie wusste, dass er nicht gern sprach, bevor er das erste Glas geleert hatte, und sie selbst genoss es, ruhig dazusitzen und sich nach den langen Stunden der Einsamkeit in seiner Nähe zu wissen. Sie liebte es, sich ganz auf die Gegenwart dieses Mannes zu konzentrieren und – wie man bei einem Sonnenbad die Sonne fühlt – jene warme männliche Ausstrahlung zu fühlen, die von ihm ausging, wenn sie beide allein waren. Sie liebte die Art, wie er sich lässig im Sessel zurücklehnte, die Art, wie er zur Tür hereinkam oder langsam mit großen Schritten das Zimmer durchquerte. Sie liebte den angespannten, gedankenverlorenen Blick, mit dem seine Augen oft auf ihr ruhten, die charakteristische Form seines Mundes und vor allem die Art, wie er über seine Müdigkeit schwieg und still dasaß, bis der Whisky ihn etwas aufgemuntert hatte.

«Müde, Liebling?»

«Ja», sagte er, «ich bin müde.» Und bei diesen Worten tat er etwas Ungewöhnliches. Er hob sein Glas und leerte es auf einen Zug, obgleich es noch halb voll, mindestens noch halb voll war. Sie sah es nicht, aber sie wusste, was er getan hatte, denn sie hörte die Eiswürfel auf den Boden des leeren Glases fallen, als er den Arm senkte. Er beugte sich im Sessel vor, zögerte einen Augenblick, stand dann auf und ging zum Büfett, um sich noch einen Whisky einzuschenken.

«Lass mich das doch machen!», rief sie und sprang hilfsbereit auf.

«Setz dich hin», sagte er.

Als er zurückkam, verriet ihr die dunkle Bernsteinfarbe des Drinks, dass er sehr viel Whisky und sehr wenig Wasser genommen hatte. «Liebling, soll ich dir deine Hausschuhe holen?»

«Nein.»

Sie beobachtete, wie er das tiefbraune Getränk schlürfte. Es war so stark, dass sich in der Flüssigkeit kleine ölige Wirbel bildeten.

«Eigentlich», meinte sie, «ist es doch eine Schande, dass ein Polizist, der so viele Dienstjahre hat wie du, noch immer den ganzen Tag auf den Beinen sein muss.»

Er antwortete nicht. Sie nähte mit gesenktem Kopf weiter, aber jedes Mal, wenn er das Glas an die Lippen hob, hörte sie die Eiswürfel klirren.

«Liebling», begann sie von neuem, «möchtest du etwas Käse essen? Ich habe heute nichts gekocht, weil Donnerstag ist.»

«Nein», sagte er.

«Wenn du zu müde zum Ausgehen bist», fuhr sie fort, «dann bleiben wir eben zu Hause. In der Kühltruhe ist eine Menge Fleisch und Gemüse, und wenn wir hier essen, brauchst du gar nicht aus deinem Sessel aufzustehen.»

Ihre Augen warteten auf eine Antwort, ein Lächeln, ein kleines Nicken, doch er reagierte nicht.

«Jedenfalls», sagte sie, «hole ich dir erst einmal etwas Käse und ein paar Kekse.»

«Ich will nichts.»

Sie rückte unruhig hin und her, die großen Augen forschend auf ihn gerichtet. «Aber du musst doch zu Abend essen. Ich kann uns schnell etwas braten. Wirklich, ich tu’s gern. Wie wär’s mit Koteletts? Vom Lamm oder vom Schwein, ganz nach Wunsch. Es ist alles da.»

«Ich habe keinen Hunger.»

«Aber Liebling, du musst essen! Ich mach einfach irgendwas zurecht, und dann kannst du es essen oder nicht, wie du willst.»

Sie stand auf und legte ihre Handarbeit auf den Tisch neben die Lampe.

«Setz dich hin», sagte er. «Setz dich noch einen Moment hin.»

Erst jetzt wurde ihr unheimlich zumute.

«Na los, setz dich hin», wiederholte er.

Sie ließ sich langsam in den Sessel sinken und blickte dabei ihren Mann mit großen, verwirrten Augen an. Er hatte seinen zweiten Whisky ausgetrunken und starrte finster in das Glas.

«Hör zu», murmelte er. «Ich muss dir etwas sagen.»

«Was hast du denn, Liebling? Was ist los?»

Er saß jetzt mit gesenktem Kopf da und rührte sich nicht. Das Licht der Lampe neben ihm fiel nur auf den oberen Teil seines Gesichts; Kinn und Mund blieben im Schatten. Sie sah einen kleinen Muskel an seinem linken Augenwinkel zucken.

«Dies wird ein ziemlicher Schlag für dich sein, fürchte ich», begann er. «Aber ich habe lange darüber nachgedacht, und meiner Ansicht nach ist es das einzig Richtige, dir alles offen zu sagen. Ich hoffe nur, dass du es nicht zu schwer nimmst.»

Und er sagte ihr alles. Es dauerte nicht lange, höchstens vier oder fünf Minuten. Sie hörte ihm zu, stumm, wie betäubt, von ungläubigem Entsetzen erfüllt, während er sich mit jedem Wort weiter von ihr entfernte.

«Das ist es also», schloss er. «Ich weiß, dass es nicht gerade die rechte Zeit ist, darüber zu sprechen, aber mir bleibt einfach keine andere Wahl. Natürlich werde ich dir Geld geben und dafür sorgen, dass du alles hast, was du brauchst. Aber ich möchte jedes Aufsehen vermeiden. Ist ja auch nicht nötig. Ich muss schließlich an meine Stellung denken, nicht wahr?»

Ihre erste Regung war, nichts davon zu glauben, es weit von sich zu weisen. Dann kam ihr der Gedanke, dass er möglicherweise gar nichts gesagt, dass sie sich das alles nur eingebildet hatte. Wenn sie jetzt an ihre Arbeit ging und so tat, als hätte sie nichts gehört, dann würde sie vielleicht später, beim Aufwachen sozusagen, entdecken, dass nie etwas Derartiges geschehen war.

«Ich werde das Essen machen», flüsterte sie schließlich, und diesmal hielt er sie nicht zurück.

Als sie das Zimmer verließ, fühlte sie nicht, dass ihre Füße den Boden berührten. Sie fühlte überhaupt nichts – bis auf ein leichtes Schwindelgefühl und einen Brechreiz. Alles lief jetzt automatisch ab. Die Kellertreppe, der Lichtschalter, die Tiefkühltruhe, die Hand, die in der Truhe den ersten besten Gegenstand ergriff. Sie nahm ihn heraus und betrachtete ihn. Er war in Papier gewickelt, also riss sie das Papier ab und betrachtete ihn von neuem.

Eine Lammkeule.

Nun gut, dann würde es Lamm zum Abendessen geben. Sie umfasste das dünne Knochenende mit beiden Händen und trug die Keule nach oben. Als sie durch das Wohnzimmer ging, sah sie ihn mit dem Rücken zu ihr am Fenster stehen. Sie machte halt.

«Um Gottes willen», sagte er, ohne sich umzudrehen, «koch bloß kein Essen für mich. Ich gehe aus.»

In diesem Augenblick trat Mary Maloney einfach hinter ihn, schwang, ohne sich zu besinnen, die große gefrorene Lammkeule hoch in die Luft und ließ sie mit aller Kraft auf seinen Hinterkopf niedersausen.

Ebenso gut hätte sie mit einer eisernen Keule zuschlagen können.

Sie wich einen Schritt zurück und wartete. Seltsamerweise blieb er noch mindestens vier, fünf Sekunden leicht schwankend stehen. Dann stürzte er auf den Teppich.

Der krachende Aufprall, der Lärm, mit dem der kleine Tisch umfiel – diese Geräusche halfen ihr, den Schock zu überwinden. Sie kehrte langsam in die Wirklichkeit zurück, empfand aber nichts als Kälte und Überraschung, während sie mit zusammengekniffenen Augen den leblosen Körper anstarrte. Ihre Hände umklammerten noch immer die idiotische Fleischkeule.

Na schön, sagte sie sich. Ich habe ihn also getötet.

Erstaunlich, wie klar ihr Gehirn auf einmal arbeitete. Die Gedanken überstürzten sich fast. Als Frau eines Polizeibeamten wusste sie genau, welche Strafe sie erwartete. Gut, in Ordnung. Ihr machte das gar nichts aus. Es würde sogar eine Erlösung sein. Aber das Kind? Wie verfuhr das Gesetz mit Mörderinnen, die ungeborene Kinder trugen? Tötete man beide – Mutter und Kind? Oder wartete man bis nach der Geburt? Was geschah mit den Kindern?

Mary Maloney wusste es nicht. Und sie war keineswegs gewillt, ein Risiko einzugehen.

Sie brachte das Fleisch in die Küche, legte es in eine Bratpfanne und schob es in den eingeschalteten Ofen. Dann wusch sie sich die Hände und lief nach oben ins Schlafzimmer. Sie setzte sich vor den Spiegel, , ordnete ihr Haar und frischte das Make-up auf. Sie versuchte ein Lächeln. Es fiel recht sonderbar aus. Auch der zweite Versuch missglückte.

«Hallo, Sam», sagte sie laut und munter.

Die Stimme klang viel zu gezwungen.

«Ich hätte gern Kartoffeln, Sam. Ja, und vielleicht eine Dose Erbsen.» Das war besser. Sowohl die Stimme als auch das Lächeln wirkten jetzt natürlicher. Sie probierte es wieder und wieder, bis sie zufrieden war. Dann eilte sie nach unten, schlüpfte in ihren Mantel, öffnete die Hintertür und ging durch den Garten auf die Straße.

Es war erst kurz vor sechs, und beim Kaufmann brannte noch Licht.

«Hallo, Sam», sagte sie munter und lächelte dem Mann hinter dem Ladentisch zu.

«Ach, guten Abend, Mrs. Maloney. Wie geht’s denn?»

«Ich hätte gern Kartoffeln, Sam. Ja, und vielleicht eine Dose Erbsen.» Der Kaufmann drehte sich um und nahm eine Büchse vom Regal.

«Patrick ist heute so müde, dass er keine Lust hat, sich ins Restaurant zu setzen», erklärte sie. «Wir essen sonst donnerstags immer auswärts, wissen Sie, und jetzt habe ich kein Gemüse im Haus.»

«Und was ist mit Fleisch, Mrs. Maloney?»

«Fleisch habe ich, danke. Eine schöne Lammkeule aus der Kühltruhe.»

«Aha.»

«Eigentlich lasse ich ja das Fleisch lieber erst auftauen, bevor ich’s brate, aber es wird wohl auch so gehen. Meinen Sie nicht, Sam?»

«Wenn Sie mich fragen», sagte der Gemüsehändler, «ich finde, dass es gar keinen Unterschied macht. Wollen Sie die Idaho-Kartoffeln?»

«O ja, die sind gut: Zwei Tüten bitte.»

«Sonst noch etwas?» Er neigte den Kopf zur Seite und sah sie wohlgefällig an. «Na, und der Nachtisch? Was wollen Sie ihm zum Nachtisch geben?»

«Hm … Wozu würden Sie mir denn raten, Sam?»

Der Mann schaute sich im Laden um. «Wie wär’s mit einem schönen großen Stück Käsekuchen? Den isst er doch gern, nicht wahr?»

«Ja, , das ist ein guter Gedanke. Auf Käsekuchen ist er ganz versessen.»

Als alles eingewickelt war und sie bezahlt hatte, verabschiedete sie sich mit ihrem freundlichsten Lächeln. «Vielen Dank, Sam. Auf Wiedersehen.»

«Auf Wiedersehen, Mrs. Maloney. Ich habe zu danken.»

Und jetzt, sagte sie sich auf dem Heimweg, jetzt kehrte sie zu ihrem Mann zurück, der auf sein Abendessen wartete. Und sie musste es gut kochen, so schmackhaft wie möglich, denn der arme Kerl war müde. Und wenn sie beim Betreten des Hauses etwas Ungewöhnliches vorfinden sollte, etwas Unheimliches oder Schreckliches, dann würde es natürlich ein Schock für sie sein. Verrückt würde sie werden vor Schmerz und Entsetzen. Wohlgemerkt, sie erwartete nicht, etwas Derartiges vorzufinden. Sie ging nur mit ihren Einkäufen nach Hause. Mrs. Patrick Maloney ging am Donnerstagabend mit ihren Einkäufen nach Hause, um das Abendessen zu kochen.

So ist es recht, ermunterte sie sich. Benimm dich natürlich, genauso wie immer. Lass alles ganz natürlich an dich herankommen, dann brauchst du nicht zu heucheln.

So summte sie denn ein Liedchen vor sich hin und lächelte, als sie durch die Hintertür in die Küche trat.

«Patrick!», rief sie. «Ich bin wieder da, Liebling.»

Sie legte das Paket auf den Tisch und ging ins Wohnzimmer. Und als sie ihn dort sah, auf dem Boden zusammengekrümmt, einen Arm unter dem Körper, da war es wirklich ein Schock. Die Liebe und das Verlangen nach ihm wurden von neuem wach, und sie lief zu ihm hin, kniete neben ihm nieder und weinte bittere Tränen. Es war nicht schwer. Sie brauchte nicht zu heucheln.

Ein paar Minuten später stand sie auf und ging zum Telefon. Die Nummer der Polizeistation wusste sie auswendig. Als sich der Wachtmeister vom Dienst meldete, rief sie: «Schnell! Kommen Sie schnell! Patrick ist tot!»

«Wer spricht denn da?»

«Mrs. Maloney. Mrs. Patrick Maloney.»

«Sie sagen, Patrick Maloney ist tot?»

«Ich glaube, ja», schluchzte sie. «Er liegt auf dem Boden, und ich glaube, er ist tot.»

«Wir kommen sofort», sagte der Mann.

Der Wagen fuhr gleich darauf vor. Sie öffnete die Haustür, und zwei Polizisten traten ein. Beide waren ihr bekannt – wie fast alle Beamten des Reviers –, und sie fiel hysterisch weinend in Jack Noonans Arme. Er setzte sie sanft in einen Sessel und ging dann zu seinem Kollegen O’Malley hinüber, der neben dem Leichnam kniete.

«Ist er tot?», flüsterte sie.

«Ich fürchte, ja. Was ist geschehen?»

Sie erzählte kurz ihre Geschichte – wie sie zum Kaufmann gegangen war und Patrick bei der Rückkehr leblos auf dem Boden gefunden hatte. Während sie sprach, weinte und sprach, entdeckte Noonan etwas geronnenes Blut am Hinterkopf des Toten. Er zeigte es O’Malley, und der stürzte sofort zum Telefon.

Bald erschienen noch mehr Männer. Zuerst ein Arzt, dann zwei Detektive – den einen kannte sie dem Namen nach. Später kam ein Polizeifotograf und machte Aufnahmen; auch ein Experte für Fingerabdrücke traf ein. Es wurde viel geflüstert und gemurmelt neben dem Toten, und die Detektive stellten ihr Fragen über Fragen. Aber sie behandelten sie sehr freundlich. Sie erzählte wieder ihre Geschichte, diesmal von Anfang an: Patrick war nach Hause gekommen, und sie hatte genäht, und er war müde, so müde, dass er nicht zum Abendessen ausgehen wollte. Sie berichtete, wie sie das Fleisch in den Ofen geschoben hatte – «es ist immer noch drin» –, wie sie wegen der Kartoffeln und der Erbsen zum Kaufmann gelaufen war und wie sie Patrick bei der Rückkehr leblos auf dem Boden gefunden hatte.

«Welcher Kaufmann?», fragte einer der Detektive.

Sie sagte es ihm. Er drehte sich schnell um und flüsterte dem anderen Detektiv etwas zu. Der Mann verließ sofort das Haus.

Nach einer Viertelstunde kam er mit einer Seite Notizen zurück. Wieder wurde leise verhandelt, und durch ihr Schluchzen hindurch drangen ein paar Satzfetzen an ihr Ohr: «… hat sich völlig normal benommen … sehr vergnügt … wollte ihm ein gutes Abendessen machen … Erbsen … Käsekuchen … unmöglich, dass sie …»

Kurz darauf verabschiedeten sich der Fotograf und der Arzt; zwei Männer traten ein und trugen die Leiche auf einer Bahre fort. Dann ging auch der Experte für Fingerabdrücke. Die beiden Detektive aber blieben da, die beiden Polizisten ebenfalls. Sie waren ausgesprochen freundlich zu ihr. Jack Noonan erkundigte sich, ob sie nicht lieber anderswo hingehen wolle, vielleicht zu ihrer Schwester oder zu seiner Frau, die sich gern um sie kümmern und sie für die Nacht unterbringen werde.

Nein, sagte sie. Im Augenblick sei sie einfach nicht fähig, auch nur einen Schritt zu tun. Hätten sie etwas dagegen, wenn sie hier bliebe, bis sie sich besser fühlte? Wirklich, im Augenblick könne sie sich zu nichts aufraffen.

Dann solle sie sich doch ein Weilchen hinlegen, schlug Jack Noonan vor.

Nein, sagte sie. In diesem Sessel sei sie am besten aufgehoben. Später vielleicht, wenn es ihr etwas besser ginge …

Sie blieb also sitzen, während die Männer das Haus durchsuchten. Gelegentlich stellte einer der Detektive ihr eine Frage. Manchmal sprach Jack Noonan ihr sanft zu, wenn er vorbeikam. Von ihm erfuhr sie auch, dass ihr Mann durch einen Schlag auf den Hinterkopf getötet worden war, durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand, höchstwahrscheinlich einem großen Stück Metall. Sie suchten die Waffe. Der Mörder, sagte Jack, habe sie vermutlich mitgenommen; er könne sie aber ebenso gut im Garten oder im Hause versteckt haben.

«Es ist die alte Geschichte», schloss er. «Wenn man die Waffe hat, hat man auch den Täter.»

Später kam einer der Detektive und setzte sich neben sie. Vielleicht habe irgendein Gegenstand im Hause als Waffe gedient, meinte er. Würde sie wohl so freundlich sein und nachsehen, ob etwas fehlte – ein sehr großer Schraubenschlüssel zum Beispiel oder eine schwere Metallvase.

Metallvasen hätten sie nicht, antwortete sie.

«Aber einen großen Schraubenschlüssel?»

Nein, auch keinen großen Schraubenschlüssel. Höchstens in der Garage.

Die Suche ging weiter. Sie wusste, dass draußen im Garten noch mehr Polizisten waren, denn sie hörte ihre Schritte auf dem Kies, und manchmal sah sie durch einen Spalt zwischen den Vorhängen das Aufblitzen einer Taschenlampe. Es war schon ziemlich spät, fast neun, wie ihr ein Blick auf die Uhr zeigte. Die vier Männer, die die Zimmer durchsuchten, machten einen müden, leicht gereizten Eindruck.

«Jack», sagte sie, als Wachtmeister Noonan wieder einmal vorbeikam. «Würden Sie mir wohl etwas zu trinken geben?»

«Natürlich, Mrs. Maloney. Von dem Whisky hier?»

«Ja, bitte. Aber nur ganz wenig. Vielleicht wird mir davon besser.» Er reichte ihr das Glas.

«Warum trinken Sie nicht auch einen Schluck?», fragte sie. «Bitte, bedienen Sie sich doch. Sie müssen schrecklich müde sein, und Sie haben sich so rührend um mich gekümmert.»

«Hm …» Er zögerte. «Eigentlich ist es ja nicht erlaubt, aber einen kleinen Tropfen zur Stärkung könnte ich ganz gut brauchen.»

Nach und nach fanden sich auch die anderen ein, und jeder wurde überredet, einen Schluck Whisky zu trinken. Sie standen recht verlegen mit ihren Gläsern herum, fühlten sich etwas unbehaglich in Gegenwart der Witwe und suchten krampfhaft nach tröstenden Worten. Wachtmeister Noonan ging aus irgendeinem Grund in die Küche, kam sofort zurück und sagte: «Hören Sie, Mrs. Maloney, Ihr Ofen ist noch an, und das Fleisch ist noch drin.»

«Ach herrje», rief sie. «Das hatte ich ganz vergessen.»

«Am besten drehe ich ihn wohl aus, was?»

«Ja, Jack, das wäre sehr nett von Ihnen. Herzlichen Dank.»

Als der Sergeant zum zweiten Mal zurückkam, sah sie ihn mit ihren großen, dunklen, tränenfeuchten Augen an. «Jack Noonan», begann sie zaghaft.

«Ja?»

«Würden Sie mir einen kleinen Gefallen tun – Sie und die anderen?»

«Wir wollen’s versuchen, Mrs. Maloney.»

«Nun», fuhr sie fort, «Sie alle sind doch gute Freunde meines lieben Patrick gewesen, und jetzt bemühen Sie sich, den Mann zu fangen, der ihn umgebracht hat. Inzwischen werden Sie wohl schon schrecklichen Hunger haben, denn Ihre Essenszeit ist ja längst vorbei. Ich weiß, dass Patrick – Gott sei seiner Seele gnädig! – mir nie verzeihen würde, wenn ich Sie in seinem Haus nicht anständig bewirtete. Wollen Sie nicht den Lammbraten essen, der im Ofen ist? Ich denke, er wird gar sein.»

«Kommt überhaupt nicht in Frage», wehrte Jack Noonan bescheiden ab.

«Bitte», sagte sie flehentlich. «Bitte, essen Sie das Fleisch. Ich könnte keinen Bissen davon anrühren, weil es für Patrick bestimmt war, verstehen Sie? Aber für Sie ist das etwas anderes. Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie alles aufäßen. Hinterher können Sie ja weiterarbeiten.»

Die vier Polizisten widersprachen zwar, doch sie waren tatsächlich sehr hungrig, und nach einigem Hin und Her willigten sie ein, in die Küche zu gehen und sich zu bedienen. Die Frau blieb in ihrem Sessel sitzen. Durch die offene Tür konnte sie hören, wie sich die Männer unterhielten. Ihre Stimmen klangen dumpf, wie verschleiert, da sie den Mund voller Fleisch hatten.

«Noch ein Stück, Charlie?»

«Nein. Wir wollen lieber nicht alles aufessen.»

«Aber sie will, dass wir’s aufessen. Wir tun ihr einen Gefallen damit, hat sie gesagt.»

«Na gut. Dann gib mir noch was.»

«Muss eine verdammt dicke Keule gewesen sein, mit der dieser Kerl den armen Patrick erschlagen hat», bemerkte einer der Polizisten. «Der Doktor sagt, sein Schädel ist völlig zertrümmert. Wie von einem Schmiedehammer.»

«Na, dann dürfte es nicht schwer sein, die Mordwaffe zu finden.»

«Ganz meine Meinung.»

«Wer’s auch getan hat – er wird so ein Ding nicht länger als nötig mit sich herumschleppen.»

Einer von ihnen rülpste.

«Also ich glaube ja, dass es noch hier im Haus oder im Garten ist.»

«Wahrscheinlich genau vor unserer Nase, was, Jack?»

Und im Wohnzimmer begann Mary Maloney zu kichern.

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