Feuer und Sterne



Da erschienen sie mit tanzenden Bären, Hunden und Ziegen, Affen und Murmeltieren, liefen auf dem Seil, schlugen Purzelbäume nach vorwärts und rückwärts, warfen Schwerter und Messer und stürzten sich unverletzt auf deren Spitzen und Schneiden, verschlangen Feuer und zerkauten Steine, übten Taschenspielerkünste unter Mantel und Hut, mit Zauberbechern und Ketten, ließen Puppen miteinander fechten, schmetterten wie die Nachtigall, schrien wie der Pfau, pfiffen wie das Reh, rangen und tanzten beim Klang der Doppelflöte.

Wilhelm Hertz, Spielmannsbuch



Der Tag verging langsam. Von Mo sah Meggie nur am Nachmittag etwas, als Elinor vom Einkaufen kam und ihnen eine halbe Stunde später Spaghetti mit irgendeiner Fertigsoße servierte. »Tut mir Leid, aber ich habe einfach keine Geduld für diese elende Kocherei«, sagte sie, als sie die Töpfe auf den Tisch stellte. »Kann unser Freund mit dem Pelztier vielleicht kochen?«

Staubfinger hob nur bedauernd die Schultern. »Nein, damit kann ich nicht dienen.«

»Mo kann es ganz gut«, sagte Meggie, während sie die wässrige Soße zwischen die Nudeln rührte.

»Der soll meine Bücher restaurieren und nicht kochen«, antwortete Elinor barsch. »Aber wie ist es mit dir?«

Meggie zuckte die Achseln. »Ich kann Pfannkuchen backen«, sagte sie. »Aber warum schaffen Sie sich nicht ein paar Kochbücher an? Sie haben doch sonst alle Sorten Bücher. Das hilft bestimmt.«

Elinor war dieser Vorschlag nicht mal eine Antwort wert.

»Ach, übrigens, noch eine Regel für die Nacht«, sagte sie, nachdem alle eine Weile schweigend vor sich hin gegessen hatten. »Ich dulde kein Kerzenlicht in meinem Haus. Feuer macht mich nervös. Es ernährt sich allzu gern von Papier.«

Meggie schluckte. Sie fühlte sich ertappt. Natürlich hatte sie ein paar Kerzen mitgebracht, sie lagen schon oben auf ihrem Nachttisch, bestimmt hatte Elinor sie gesehen.

Aber Elinor sah nicht Meggie, sondern Staubfinger an, der mit einer Streichholzschachtel spielte. »Ich hoffe, Sie beherzigen diese Regel auch«, sagte sie, »denn offenbar bleibt uns Ihre Gesellschaft noch eine weitere Nacht erhalten.«

»Wenn ich Ihre Gastfreundschaft noch etwas strapazieren darf. Morgen früh bin ich weg, das verspreche ich.« Staubfinger hielt die Streichhölzer immer noch in der Hand. Elinors missbilligender Blick schien ihn nicht weiter zu stören.

»Ich glaube, hier hat jemand ein ganz falsches Bild vom Feuer«, sagte er. »Ich gebe zu, es kann ein bissiges kleines Tier sein, aber man kann es zähmen.« Und mit diesen Worten zog er ein Streichholz aus der Schachtel, zündete es an und schob sich die Flamme in den offenen Mund.

Meggie hielt den Atem an, als seine Lippen sich um das brennende Hölzchen schlossen. Staubfinger öffnete den Mund wieder, zog das erloschene Streichholz heraus und legte es lächelnd auf seinen leeren Teller.

»Sehen Sie, Elinor?«, sagte er. »Es hat mich nicht gebissen. Man kann es leichter zähmen als ein Kätzchen.«

Elinor rümpfte nur die Nase, doch Meggie konnte vor Bewunderung kaum den Blick von Staubfingers Gesicht wenden.

Mo schien das kleine Feuerkunststück nicht überrascht zu haben, auf einen warnenden Blick von ihm ließ Staubfinger die Streichholzschachtel gehorsam in der Hosentasche verschwinden.

»Die Kerzenregel werde ich natürlich beachten«, sagte er schnell. »Kein Problem. Wirklich.«

Elinor nickte. »Gut«, sagte sie. »Aber da ist noch etwas: Sollten Sie heute Abend wieder verschwinden, sobald es dunkel wird, so wie Sie es gestern getan haben, dann kommen Sie besser nicht allzu spät zurück. Um Punkt neun Uhr dreißig schalte ich nämlich meine Alarmanlage ein.«

»Oh, da habe ich ja gestern Abend richtig Glück gehabt.« Staubfinger ließ ein paar Nudeln in der Tasche verschwinden, unbemerkt von Elinor, aber nicht von Meggie. »Ich gebe zu, ich gehe gern nachts spazieren. Die Welt ist dann mehr nach meinem Geschmack, still, fast menschenleer und wesentlich geheimnisvoller. Heute Nacht hatte ich allerdings nicht vor, spazieren zu gehen. Trotzdem müsste ich Sie bitten, diese fabelhafte Anlage etwas später einzuschalten.«

»Ach ja? Und wieso, wenn ich fragen darf?«

Staubfinger zwinkerte Meggie zu. »Nun, ich habe der jungen Dame da eine kleine Vorstellung versprochen. Beginn etwa eine Stunde vor Mitternacht.«

»Aha!« Elinor tupfte sich mit ihrer Serviette etwas Soße von den Lippen. »Eine Vorstellung. Wie wäre es, wenn Sie die auf den Tag legen würden, schließlich ist die junge Dame erst zwölf Jahre alt und sollte um acht im Bett liegen.«

Meggie kniff die Lippen zusammen. Seit ihrem fünften Geburtstag ging sie nicht mehr um acht ins Bett, aber sie gab sich nicht die Mühe, Elinor das zu erklären. Stattdessen bewunderte sie, wie gelassen Staubfinger auf Elinors feindselige Blicke reagierte.

»Tja, tagsüber würden die Kunststücke, die ich Meggie zeigen will, nicht die rechte Wirkung entfalten«, sagte er und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Dafür bedarf es leider des schwarzen Mantels der Nacht. Aber wie wäre es, wenn Sie auch zusehen? Dann werden Sie verstehen, weshalb das Ganze im Dunkeln stattfinden muss.«

»Nimm das Angebot an, Elinor!«, sagte Mo. »Seine Vorstellung wird dir gefallen. Vielleicht ist dir Feuer danach nicht mehr ganz so unheimlich.«

»Es ist mir nicht unheimlich. Ich mag es nur nicht!«, stellte Elinor mit unbewegtem Gesicht fest.

»Er kann auch jonglieren«, rutschte es Meggie heraus. »Mit acht Bällen.«

»Mit elf«, berichtigte Staubfinger sie. »Aber Jonglieren ist eher etwas für den Tag.«

Elinor zupfte eine Nudel von der Tischdecke und sah erst Meggie und dann Mo mit missmutigem Gesicht an. »Nun gut. Ich will keine Spielverderberin sein«, sagte sie. »Ich werde wie jeden Abend um halb zehn mit einem Buch im Bett liegen und vorher die Alarmanlage anstellen, aber wenn Meggie mir Bescheid sagt, bevor sie sich zu dieser Privatvorstellung begibt, schalte ich die Anlage für eine Stunde wieder aus. Reicht das?«

»Völlig«, sagte Staubfinger und verneigte sich so tief vor ihr, dass er sich die Nasenspitze am Rand seines Tellers stieß.

Meggie verkniff sich ein Lachen.

Es war fünf vor elf, als sie an die Tür von Elinors Schlafzimmer klopfte.

»Herein!«, hörte sie Elinor rufen, und als sie den Kopf durch die Tür steckte, sah sie sie in ihrem Bett sitzen, tief über einen telefonbuchdicken Katalog gebeugt. »Zu teuer, zu teuer, zu teuer!«, murmelte sie. »Merk dir meinen Rat: Lege dir nie eine Leidenschaft zu, für die dein Geld nicht reicht. Es zernagt einem das Herz wie ein Bücherwurm. Nimm dieses Buch hier zum Beispiel!« Elinor tippte mit dem Finger so heftig auf die linke Katalogseite, dass es Meggie nicht gewundert hätte, wenn sie ein Loch hineingebohrt hätte. »Was für eine Ausgabe, und in so gutem Zustand. Seit fünfzehn Jahren will ich sie kaufen, aber sie ist zu teuer, viel zu teuer.«

Mit einem Seufzer klappte Elinor den Katalog zu, warf ihn auf den Teppich und schwang die Beine aus dem Bett. Zu Meggies Überraschung trug sie ein langes geblümtes Nachthemd. Jünger sah sie darin aus, fast wie ein Mädchen, das eines Morgens mit Falten im Gesicht aufgewacht war. »Nun ja, wahrscheinlich wirst du sowieso nie so verrückt wie ich!«, brummte sie, während sie sich ein paar dicke Socken über die nackten Füße zerrte. »Dein Vater neigt nicht zu Verrücktheiten und deine Mutter hat es auch nie getan. Im Gegenteil, ich habe nie jemanden mit einem kühleren Kopf kennen gelernt. Mein Vater dagegen war mindestens so verrückt wie ich. Mehr als die Hälfte meiner Bücher habe ich von ihm geerbt, und was hat er nun davon? Haben sie ihn vor dem Tod bewahrt? Im Gegenteil. Der Schlag hat ihn getroffen, bei einer Bücherauktion. Ist das nicht lächerlich?«

Meggie wusste beim besten Willen nicht, was sie darauf sagen sollte. »Meine Mutter?«, fragte sie stattdessen. »Haben Sie sie gut gekannt?«

Elinor schnaubte, als hätte sie ihr eine unzumutbare Frage gestellt. »Selbstverständlich habe ich das. Dein Vater hat sie hier kennen gelernt. Hat er dir das nie erzählt?«

Meggie schüttelte den Kopf. »Er redet nicht viel von ihr.«

»Nun, das ist vermutlich auch besser so. Warum in alten Wunden bohren? Und du erinnerst dich ja eh nicht an sie. Das Zeichen auf der Bibliothekstür, das hat sie gemalt. Aber jetzt komm. Sonst verpasst du noch deine Vorstellung.«

Meggie folgte Elinor den unbeleuchteten Flur hinunter. Für einen Augenblick hatte sie das verrückte Gefühl, ihre Mutter könnte aus einer der vielen Türen treten und sie anlächeln. Es brannte kaum ein Licht in dem ganzen riesigen Haus, und Meggie stieß sich ein paar Mal das Knie an einem Stuhl oder einem Tischchen, das sie in der Dunkelheit nicht gesehen hatte. »Warum ist es hier überall so dunkel?«, fragte sie, als Elinor in der Eingangshalle nach dem Lichtschalter tastete.

»Weil ich mein Geld lieber für Bücher statt für überflüssigen Strom ausgebe!«, antwortete Elinor und blinzelte so ärgerlich zu der aufflammenden Lampe hinauf, als wäre sie der Ansicht, das dumme Ding könne ruhig etwas sparsamer mit dem Strom umgehen. Dann schlurfte sie zu einem Metallkasten, der verborgen hinter einem dicken, staubigen Vorhang an der Wand neben der Eingangstür hing. »Ich hoffe, du hast dein Licht ausgemacht, bevor du zu mir kamst?«, fragte sie, während sie den Kasten aufschloss.

»Sicher«, sagte Meggie, auch wenn es nicht stimmte.

»Dreh dich um!«, befahl Elinor, bevor sie sich mit gerunzelter Stirn an der Alarmanlage zu schaffen machte. »Himmel, all diese Knöpfe, ich hoffe, ich habe nicht wieder irgendetwas falsch gemacht. Sag Bescheid, sobald die Vorstellung vorbei ist. Und komm nicht auf die Idee, die Gelegenheit zu nutzen, um in die Bibliothek zu schleichen und dir ein Buch zu holen. Denk dran, ich bin gleich nebenan, und meine Ohren sind besser als die einer Fledermaus.«

Meggie verkniff sich die Antwort, die sie auf den Lippen hatte. Elinor öffnete ihr die Eingangstür. Ohne ein Wort schob Meggie sich an ihr vorbei nach draußen. Es war eine milde Nacht, erfüllt von fremden Düften und Grillenstimmen. »Warst du zu meiner Mutter eigentlich auch immer so freundlich?«, fragte sie, als Elinor gerade die Tür hinter ihr schließen wollte.

Elinor sah sie einen Moment lang wie versteinert an. »Ich denke schon«, sagte sie. »Doch, bestimmt. Und sie war immer genauso frech wie du. Viel Spaß mit dem Streichholzfresser!« Dann schlug sie die Tür zu.

Als Meggie durch den dunklen Garten hinters Haus lief, hörte sie plötzlich Musik. Ganz unvermittelt erfüllte sie die Nacht, als hätte sie nur auf Meggies Schritte gewartet: fremdartig klingende Musik, ein närrisches Durcheinander von Schellen, Pfeifen und Trommeln, ausgelassen und traurig zugleich. Meggie hätte es nicht gewundert, wenn auf dem Rasen hinter Elinors Haus eine ganze Schar von Gauklern auf sie gewartet hätte, aber es war nur Staubfinger da.

Er wartete an derselben Stelle, an der Meggie ihn am Nachmittag gefunden hatte. Die Musik kam aus einem Kassettenrecorder, der neben dem Liegestuhl im Gras stand. Für seine Zuschauerin hatte Staubfinger eine Gartenbank an den Rand des Rasens gestellt. Links und rechts von ihr steckten brennende Fackeln in der Erde. Auch auf dem Rasen brannten zwei, sie zeichneten zitternde Schatten in die Nacht, die über das Gras tanzten wie Diener, die Staubfinger sich aus einer dunklen Welt für diesen Anlass hergerufen hatte.

Er selbst stand mit nacktem Oberkörper da, die Haut blass wie der Mond, der genau über Elinors Haus hing, als wäre auch er eigens für Staubfingers Vorstellung vorbeigekommen.

Als Meggie aus der Dunkelheit auftauchte, verbeugte Staubfinger sich vor ihr. »Bitte Platz zu nehmen, schönes Fräulein!«, rief er in die Musik hinein. »Alles hat nur auf dich gewartet.«

Meggie setzte sich verlegen auf die Bank und sah sich um. Auf dem Liegestuhl standen die zwei Flaschen aus dunklem Glas, die sie in Staubfingers Tasche gesehen hatte. In der linken schimmerte es weißlich, als hätte Staubfinger sich etwas Mondlicht abgefüllt. Zwischen den Holzsprossen des Stuhls steckte ein Dutzend Fackeln mit watteweißen Köpfen, und neben dem Kassettenrecorder standen ein Eimer und eine große, bauchige Vase, die, wenn Meggie sich recht erinnerte, aus Elinors Eingangshalle stammte.

Für einen kurzen Moment ließ sie den Blick hinauf zu den Fenstern des Hauses wandern. In Mos Zimmer brannte kein Licht, wahrscheinlich arbeitete er noch, doch ein Stockwerk tiefer sah Meggie Elinor hinter ihrem erleuchteten Fenster stehen. Sobald Meggie in ihre Richtung sah, zog sie den Vorhang zu, als hätte sie ihren Blick bemerkt, aber ihr Schatten zeichnete sich weiter dunkel auf dem blassgelben Vorhang ab.

»Hörst du, wie still es ist?« Staubfinger schaltete den Recorder aus. Die nächtliche Stille legte sich wie Watte auf Meggies Ohren. Kein Blatt regte sich, nur das Knistern der Fackeln war zu hören und das Zirpen der Grillen.

Staubfinger schaltete die Musik wieder ein. »Ich habe eigens mit dem Wind gesprochen«, sagte er. »Denn eins musst du wissen: Wenn der Wind sich in den Kopf setzt, mit dem Feuer zu spielen, dann kann selbst ich es nicht zähmen. Aber er hat mir sein Ehrenwort gegeben, dass er sich heute Nacht ruhig verhalten und uns den Spaß nicht verderben wird.«

Mit diesen Worten griff er nach einer der Fackeln, die in Elinors Liegestuhl steckten. Er nahm einen Schluck aus der Flasche mit dem eingesperrten Mondlicht und spuckte etwas Weißliches in die große Vase. Danach tauchte er die Fackel, die er in der Hand hielt, in den Eimer, zog sie wieder heraus und hielt ihren tropfenden, watteumwickelten Kopf an eine ihrer brennenden Schwestern. Das Feuer loderte so plötzlich auf, dass Meggie zusammenfuhr. Staubfinger aber setzte die zweite Flasche an die Lippen und füllte sich den Mund, bis seine narbigen Backen prall waren. Dann holte er tief, tief Luft, spannte den Körper wie einen Bogen und spuckte, was immer da in seinem Mund war, über der brennenden Fackel in die Luft.

Ein Feuerball hing über Elinors Rasen, ein gleißend heller Feuerball. Wie etwas Lebendiges fraß er an der Dunkelheit. Und groß war er, so groß, dass Meggie sicher war, dass alles um ihn her im nächsten Augenblick in Flammen aufgehen würde, alles, das Gras, der Stuhl und Staubfinger selbst. Der aber drehte sich um sich selbst, ausgelassen wie ein tanzendes Kind, und spuckte noch einmal Feuer. Hoch in den Himmel ließ er es steigen, als wollte er die Sterne in Brand setzen. Dann entzündete er eine zweite Fackel und strich sich mit der Flamme über die nackten Arme. Glücklich wie ein Kind sah er aus, das mit seinem Lieblingstier spielt. Das Feuer leckte an seiner Haut wie etwas Lebendiges, ein züngelndes brennendes Wesen, das er sich zum Freund gemacht hatte, das ihn liebkoste und für ihn tanzte und die Nacht vertrieb. Hoch in die Luft warf er die Fackel, dorthin, wo gerade noch der Feuerball geglüht hatte, fing sie wieder auf, entzündete andere, jonglierte mit drei, vier, fünf Fackeln. Ihr Feuer wirbelte um ihn herum, tanzte mit ihm, ohne ihn zu beißen: Staubfinger, der Flammenbändiger, Funkenspucker, Feuerfreund. Er ließ die Fackeln verschwinden, als hätte die Dunkelheit sie gefressen, und verbeugte sich lächelnd vor der sprachlosen Meggie.

Wie verzaubert saß sie da, auf der harten Bank, und konnte sich nicht satt sehen, als er erneut die Flasche an den Mund setzte und der Nacht wieder und wieder das Feuer ins schwarze Gesicht spuckte.

Meggie wusste später nie zu sagen, was ihren Blick weggelockt hatte von den wirbelnden Fackeln und sprühenden Funken, hin zum Haus und seinen Fenstern. Vielleicht spürt man die Anwesenheit von Bosheit auf der Haut wie plötzliche Hitze oder Kälte ... vielleicht hatte aber auch nur das Licht ihre Augen eingefangen, das plötzlich durch die Fensterläden der Bibliothek sickerte, auf die Rhododendronbüsche, die ihre Blätter gegen das Holz pressten. Vielleicht.

Sie glaubte Stimmen zu hören, lauter als Staubfingers Musik, Männerstimmen, und eine furchtbare Angst machte sich in ihr breit, genauso schwarz und fremd wie in der Nacht, in der Staubfinger draußen auf dem Hof gestanden hatte.

Als sie aufsprang, entglitt Staubfinger eine brennende Fackel und fiel ins Gras. Schnell trat er das Feuer aus, bevor es sich weiterfraß, dann folgte er Meggies Blick und sah wie sie zum Haus hinüber, ohne ein Wort.

Meggie aber lief los. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, als sie auf das Haus zurannte. Die Tür stand einen Spalt weit auf, in der Eingangshalle brannte kein Licht, aber Meggie hörte laute Stimmen den Flur hinunterschallen, der zur Bibliothek führte. »Mo?«, rief sie, und da war die Angst wieder, schlug den krummen Schnabel in ihr Herz.

Auch die Tür der Bibliothek stand offen. Meggie wollte gerade hinein, als zwei kräftige Hände sie an den Schultern packten.

»Still!«, zischte Elinor und zog sie in ihr Schlafzimmer. Meggie sah, dass ihre Finger zitterten, als sie die Tür abschloss.

»Lass das!« Meggie zerrte Elinors Hand weg, versuchte den Schlüssel wieder herumzudrehen, wollte sie anschreien, dass sie ihrem Vater helfen musste, aber Elinor presste ihr die Hand auf den Mund und zerrte sie von der Tür weg, so heftig Meggie auch um sich schlug und trat. Elinor war stark, viel stärker als Meggie.

»Es sind zu viele!«, zischte sie, während Meggie versuchte, ihr in die Finger zu beißen. »Vier oder fünf große Kerle, und sie sind bewaffnet.« Sie zog die strampelnde Meggie mit sich zu der Wand neben dem Bett. »Schon hundertmal hab ich mir vorgenommen, mir so einen verdammten Revolver zu kaufen!«, flüsterte sie, während sie das Ohr gegen die Wand presste. »Ach was, tausendmal.«

»Natürlich ist es hier!« Meggie hörte die Stimme, auch ohne dass sie an der Wand lauschen musste. Rau war sie, wie eine Katzenzunge. »Sollen wir dein Töchterchen aus dem Garten holen, damit sie es uns zeigt? Oder willst du das vielleicht doch besser selbst übernehmen?«

Meggie versuchte noch einmal, Elinors Hand von ihrem Mund zu zerren. »Gib endlich Ruhe!«, zischte Elinor ihr ins Ohr. »Du bringst ihn nur in Gefahr. Hörst du?«

»Meine Tochter? Was wisst ihr von meiner Tochter?« Das war Mos Stimme.

Meggie schluchzte auf. Sofort hatte sie Elinors Finger wieder auf dem Gesicht. »Ich habe versucht, die Polizei anzurufen!«, wisperte sie ihr ins Ohr. »Aber die Leitungen sind tot.«

»Oh, wir wissen alles, was wir wissen müssen.« Das war wieder die andere Stimme. »Also, wo ist das Buch?«

»Ich gebe es euch!« Mos Stimme klang müde. »Aber ich komme mit euch, denn ich will das Buch zurückhaben, sobald Capricorn es nicht mehr braucht.«

Ich komme mit ... Was meinte er damit? Er konnte doch nicht einfach weggehen. Meggie wollte wieder zur Tür, aber Elinor hielt sie fest. Meggie wollte sie wegstoßen, doch Elinor umschlang sie mit ihren kräftigen Armen und presste ihr wieder die Finger auf die Lippen.

»Umso besser. Wir sollten dich sowieso mitbringen«, sagte eine zweite Stimme. Sie klang breit und grob. »Du glaubst gar nicht, wie sehr Capricorn sich danach verzehrt, deine Stimme zu hören. Er hat großes Vertrauen in deine Fähigkeiten.«

»Ja, der Ersatz, den Capricorn für dich gefunden hat, ist ein fürchterlicher Stümper.« Das war wieder die Katzenstimme. »Sieh dir Cockerell an.« Meggie hörte das Scharren von Füßen. »Er humpelt, und Flachnases Gesicht sah auch schon besser aus. Obwohl er noch nie eine Schönheit war.«

»Rede nicht lange herum, wir haben nicht ewig Zeit, Basta. Wie sieht's aus, nehmen wir seine Tochter auch gleich mit?« Noch eine Stimme. Sie klang, als drückte jemand dem Sprecher die Nase zu.

»Nein!«, fuhr Mo ihn an. »Meine Tochter bleibt hier, oder ich werde euch das Buch nicht geben!«

Einer der Männer lachte. »O doch, Zauberzunge, das würdest du, aber sei unbesorgt. Es war keine Rede davon, sie mitzubringen. Ein Kind würde uns nur aufhalten, und Capricorn wartet schon viel zu lange auf dich. Also, wo ist das Buch?«

Meggie presste ihr Ohr so fest gegen die Wand, dass es schmerzte. Sie hörte Schritte und dann ein Schaben, als würde etwas zur Seite geschoben.

Elinor neben ihr hielt den Atem an.

»Kein schlechtes Versteck!«, sagte die Katzenstimme. »Cockerell, pack es ein. Und pass gut darauf auf. Nach dir, Zauberzunge. Los.«

Sie gingen. Meggie versuchte verzweifelt, sich aus Elinors Arm zu winden. Sie hörte, wie die Tür der Bibliothek zufiel, wie die Schritte sich entfernten, leiser und leiser wurden. Dann war es still. Und Elinor ließ sie endlich los.

Meggie stürzte zur Tür, schloss schluchzend auf, lief über den Flur in die Bibliothek.

Sie war leer. Kein Mo.

Die Bücher standen wohl geordnet auf ihren Regalen, nur an einer Stelle klaffte eine Lücke, breit und dunkel. Meggie glaubte zwischen den Büchern, gut verborgen, eine Klappe zu sehen, die offen stand.

»Unglaublich!«, hörte sie Elinor hinter sich sagen. »Sie haben tatsächlich nur das eine Buch gesucht.« Meggie stieß sie zur Seite und rannte den Flur hinunter.

»Meggie!«, rief Elinor ihr hinterher. »Warte!«

Aber worauf sollte sie warten? Darauf, dass die Fremden mit ihrem Vater fortfuhren? Sie hörte, wie Elinor ihr nachrannte. Ihre Arme waren vielleicht stärker, aber Meggies Beine waren schneller.

In der Eingangshalle brannte immer noch kein Licht. Die Haustür stand sperrangelweit offen und ein kühler Wind wehte Meggie entgegen, als sie atemlos in die Nacht hinausstolperte.

»Mo!«, schrie sie.

Sie glaubte Autolichter aufflammen zu sehen, hinten, wo der Weg sich zwischen den Bäumen verlor, ein Motor sprang an. Meggie rannte darauf zu. Sie stolperte auf dem taufeuchten Kies und schlug sich das Knie auf. Warm lief ihr das Blut am Schienbein hinunter, aber sie achtete nicht darauf. Sie lief weiter, hinkend und schluchzend, bis sie unten vor dem großen Eisentor stand.

Aber die Straße dahinter war leer.

Und Mo war fort.



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