12

Wie schön es war, frei herumlaufen zu können! Im Gras stehend, im hellen Schein der Sonne, reckte ich mich und lachte. Ich trug einen neuen Kamisk und freute mich darüber.

Ich hatte ihn am ersten Tag der Reise im Wagen genäht. Mein altes Kleidungsstück war schon zu unansehnlich geworden.

Es war ein schöner Tag, im Frühsommer, am zweiten En’Var. Nach der Zeitrechnung Ars, der Stadt, die unser Ziel war, zählten wir das Jahr 10 121.

Ich spürte das Gras an den Beinen, die Sonne auf dem Gesicht; und an den Armen und Beinen und die frische, lockere Erde unter meinen bloßen Füßen.

Ich war glücklich.

Ich hob mein Gesicht und schloß die Augen und genoß die Wärme der Sonnenstrahlen.

Im nächsten Augenblick spürte ich einen Zug an meinem Hals und öffnete die Augen. Mit einer etwa drei Meter langen Lederschnur war Ute an mich gefesselt. Wir pflückten Beeren.

Elinor Brinton, das goreanische Sklavenmädchen, bückte sich emsig, zupfte Beeren von den Zweigen eines kleinen Busches und tat sie in ihren Ledereimer.

Ute hatte mir den Rücken zugewandt, ebenso der Wächter, der sich schläfrig auf seinen Speer stützte.

Wir waren etwa einen Pasang von der Karawane entfernt. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, konnte ich von dem Hügel aus, auf dem wir Beeren pflückten, die flachen Dächer der Wagen sehen, deren blau-gelbe Planen in der Sonne schimmerten.

Seit der Abfahrt aus Ko-ro-ba waren neun Tage vergangen. Es würde noch Wochen dauern, bis wir Ar erreichten, wo wir verkauft werden sollten.

Mich freute das schöne Wetter und der laue Wind. Wie schön es war, dem Gestank der Sklavengehege entronnen zu sein.

Ich bückte mich und rieb mir die Fußgelenke. Sie taten mir von der langen Fahrt weh. Die Sklavenkette während der Fahrt war nur etwa dreißig Zentimeter lang, und die Plane, die den harten Boden polsterte, war dünn. Aber jetzt war ich im Freien und konnte mich nach Belieben bewegen — nur war ich eben an Ute gefesselt.

Ich erinnerte mich an den Morgen, an dem wir Ko-ro-ba verließen. Es war noch dunkel, als man uns aus den Käfigen holte. Wir erhielten reichlich zu essen, weil wir erst gegen Abend wieder etwas bekommen sollten. Im Hof zwischen den Käfigen mußten wir uns den Gestank der Gehege von den Körpern waschen. Dann erst durften wir die Wagen betreten. Auf den Wagenflächen saßen wir, die Rücken nach außen, zu fünft auf jeder Seite; so wurden wir festgemacht; anschließend zog man die Plane herunter.

»Ho!« brüllte unser Fahrer, und langsam setzte sich der Wagen in Bewegung.

Die Karawane hielt auf Ko-ro-bas Straße des Feldtors zu, das südlichste Tor der Stadt.

Wir kamen nur langsam voran. Trotz der frühen Stunde herrschte ein lebhaftes Treiben in der Stadt. Wir spürten, daß eine Art Feiertagsstimmung in der Luft lag.

»Was ist los?« hatte ich Inge gefragt.

»Ich weiß nicht«, lautete die Antwort.

Wir hatten die Fahrer fluchen und in die Menge brüllen hören, doch wir blieben immer wieder stecken.

Wir merkten bald, daß auch andere Wagen in den Straßen feststeckten. Zentimeterweise fuhren wir weiter und erreichten schließlich die Straße des Feldtors.

In den Wagen lauschten wir auf das Lärmen der Menge, war inzwischen hell geworden, und Licht drang durch die Schutz plane des Wagens.

Die Mädchen waren aufgeregt, wußten aber nicht, was los war Wütend verfluchte ich die Planen.

Aus der Ferne ertönte Musik — Trompeten, Trommeln, Zimbeln. Wir sahen uns an, vermochten uns kaum noch zu beherrschen.

»Auf die Seite fahren und anhalten!« befahl in diesem Augenblick eine tiefe Stimme.

Unser Wagen fuhr an den Rand der breiten Straße, und wir merkten, daß sich draußen viele Menschen drängten. Die Musik kam näher. »Der Fang des Marlenus!« rief ein Mann.

Mein Herz machte einen Sprung.

Ich drehte mich um, kniete nieder, verdrehte meine Fußkette und fuhr mit den Fingern unter den Rand der Regenplane.

Die Musik war nun schon ziemlich nahe. Ich hob die Plane an und blinzelte hindurch.

Ein Jagdmeister, auf einem riesigen Tharlarion sitzend, führte mit einem Stab, an dem Pantherhaar flatterte, den Zug an. Eine Maske aus der Kopfhaut eines Waldpanthers bedeckte zur Hälfte sein Gesicht. Um den Hals trug er eine doppelte Halskette aus Pantherklauen. Auf seinem Rücken wippte ein Köcher mit Pfeilen, ein Bogen war an seinem Sattel befestigt. Er trug Felle, zumeist von Sleen und Waldpanthern.

Hinter ihm kamen die Musiker mit ihren Trompeten und Zimbeln und Trommeln. Auch sie waren jagdmäßig gekleidet.

Auf Fahrgestellen, von kleinen gehörnten Tharlarion gezogen schlössen sich Holzkäfige und Pfosten mit allerlei Jagdtrophäen an. In einigen Käfigen schnaubten und fauchten Waldsleen oder die sandfarbenen Panther der nördlichen Wälder. An den Masten hingen die Felle und Köpfe zahlreicher Tiere, zumeist Panther und Sleen. In einem Käfig ringelte sich Görs gefürchtete Riesenschlange, die nur in bestimmten Waldgegenden zu finden ist, Marlenus’ Jagdgesellschaft mußte große Entfernungen zurückgelegt haben. Zwischen den Wagen schritten gefesselte männliche Sklaven. Sie trugen kurze Wollkleidung und schwere Eisenringe um den Hals. Sie hatten langes, verfilztes schwarzes Haar. Einige trugen große Körbe mit Früchten oder Nüssen auf den Rücken, andere Körbe mit Blumen oder buntgefiederte Waldvögel am Gürtel. Die anderen Mädchen schauten nun ebenfalls aufgeregt hinaus; sie waren auf unsere Seite herübergekommen, hatten sich zwischen uns geschoben und starrten in die Helligkeit. »Sind die Sklaven nicht aufregend?« fragte eine. »Schamlos!« tadelte ich.

»Paß auf, daß du nicht mit einem zusammengetan wirst!« Ich schlug wütend nach ihr. Mir war der Gedanke noch nicht gekommen — aber so konnte es kommen. Wenn es meinem Herrn gefiel, mußte ich es mit jedem Sklaven treiben, den er für mich aussuchte, zu seinem Vergnügen und um Nachkommen für die Sklavenmärkte zu zeugen.

In diesem Augenblick bemerkte uns einer der vorbeireitenden Jäger, ein großer, dunkelhäutiger Bursche. Er grinste herüber.

»Ich wünschte, ein solcher Mann würde mich jagen!« sagte Lana. Weitere Wagen rollten vorbei, gefolgt von Jägern und Sklaven. Wie stolz und furchtlos diese Männer wirkten! Sie trugen keine Lasten. Sie führten andere, die sich für sie abschleppten. »Ute«, sagte Inge, »wie würde dir so ein Herr gefallen?« »Ich bin Sklavin«, sagte Ute, »ich würde ihm zu dienen versuchen.«

»Ach, Ute«, sagte ich, »ich verachte diese Männer.« »Auch du bist nur eine Sklavin«, sagte Inge herausfordernd, »du müßtest ihm auch gehorchen.«

Ich versuchte, nach ihr zu schlagen, doch sie griff mir ins Haar und zerrte meinen Kopf herab. Ich vermochte ihren Griff nicht zu lösen und war hilflos. Gepeinigt wand ich mich hin und her.

»Wer ist die niedrigste Sklavin hier im Wagen?« fragte Inge herausfordernd.

Ich versuchte vergeblich, ihre Finger aus meinem Haar zu lösen. Doch Inge wiederholte ihre Frage und zerrte noch heftiger. Mir traten vor Wut und Schmerz die Tränen in die Augen. »El-in-or«, flüsterte ich zähneknirschend.

Als Inge mich freiließ, wich ich zurück. Ich hatte keine Lust mehr, gegen sie zu kämpfen. Triumph stand in ihren Augen. Ich erkannte, daß sie lange auf eine Gelegenheit gewartet hatte, sich mit mir anzulegen. Sie wußte, daß sie kräftiger war als ich. Ich konnte sie nicht mehr ärgern. »Komm, kämpfen wir«, sagte sie herausfordernd.

Doch ich schüttelte nur den Kopf.

Ich hatte mir immer eingebildet, stärker als Inge zu sein, das war ein Irrtum. Mit einer entschlossenen Handbewegung hatte sie mich ausgeschaltet. Ich senkte den Blick und hatte plötzlich Angst vor ihr. Ich hatte gedacht, daß ich sie im Notfall bezwingen konnte, doch das war nicht der Fall. Augenblicklich spürte ich die Machtverschiebung, die im Wagen vorgegangen war. Mein Ansehen bei den Mädchen war gesunken, und Inge genoß plötzlich neuen Respekt.

Das machte mich wütend.

Wieder tönte Musik von draußen herein; eine zweite Kapelle die den Schluß des Zuges bilden mochte, kam näher.

Ein Mädchen von der anderen Seite des Wagens drängte sich zwischen Ute und mich.

»Zurück!« befahl ich.

»Ach, halt doch den Mund«, sagte sie nur.

In diesem Augenblick schrie die Menge draußen auf.

Ich drängte mich dichter an die Öffnung.

Ein großer Wagen kam vorbei, von Jägern und Sklaven flankiert. Auf dem Wagen befand sich eine waagerechte Stange, von zwei überkreuz festgezurrten Balken gehalten. Es handelte sich um einen Trophäenmast, aus geraden Holzstämmen gezimmert, wie die anderen Stangen, an denen die Häute erlegter Tiere gehangen hatten. Nur stand unter dieser Stange die nackte Gestalt eines Panthermädchens. Ihr langes Haar war um die Stange gewunden, die Hände waren ihr auf dem Rücken gefesselt. Die Waffen lagen ihr zerbrochen zu Füßen. Ich erkannte sie als eine der Mädchen aus Vernas Gruppe.

Ein Freudenschrei kam über meine Lippen.

Vier solcher Wagen folgten. Auf jedem stand ein Panthermädchen, verhöhnt und verspottet von der Menge.

Trompeten und Trommeln erschallten. Die Männer schrien. Frauen kreischten ihren Haß auf die Panthermädchen hinaus. Kinder warfen mit Kieselsteinen, Sklavenmädchen eilten aus der Menge, umringten die Wagen und stachen mit Stöcken nach den Gefangenen und schlugen mit Ruten zu oder spuckten aus. Die Panthermädchen waren verhaßt. Auch ich wäre am liebsten vom Wagen gestürzt und hätte mich an der Aktion beteiligt. Von Zeit zu Zeit sprangen Jäger herbei und trieben zu eifrige Sklavinnen fort, damit der Zug vorankam, aber schnell drängten sich die Mädchen wieder nach vorn und umringten den folgenden Wagen, bis sie auch dort wieder zurückgetrieben wurden.

»Sklaven sind ja so grausam«, sagte Ute.

Ein Wagen nach dem anderen fuhr vorbei.

»Seht!« rief Inge.

Nun kam ein Jäger die Straße entlang, fünf Leinen in der Hand, an deren Enden er fünf Panthermädchen hinter sich herzog. Die Handgelenke waren ihnen vor den Körpern zusammengebunden, eine Fessel, die an ihrem Hals endete. Ihnen folgte ein weiterer Jäger, der die Mädchen mit einer Peitsche immer wieder antrieb. Ich sah, wie das Leder auf den Rücken des blonden Mädchens klatschte, das mich im Wald an der Leine geführt hatte. Ich hörte sie aufschreien und empfand Genugtuung über diese ausgleichende Gerechtigkeit.

Hinter der ersten Gruppe Panthermädchen folgte eine zweite — offenbar waren alle fünfzehn Mädchen gefangen worden.

Nun wurde das Lärmen der Menge noch lauter, und ich rückte ein Stück vor. Plötzlich verstummten die Gespräche ringsum.

Ein letzter Wagen näherte sich. Ich hörte seine Räder quietschen. Es war Verna — die herrliche, barbarische Verna.

Man hatte sie nicht entkleidet wie die anderen. Sie trug noch ihr kurzes Fell und am Hals und an den Armen den goldenen Schmuck. Aber sie war in einen Käfig gesperrt.

Ihr Gefängnis bestand nicht aus Holz, wie bei den Sleen und Panthern, sondern aus Stahl. Es war kreisförmig, etwa zwei Meter hoch, mit flachem Boden und geschwungenem Dach. Sein Durchmesser betrug nur knapp einen Meter.

Und sie war angekettet.

Die Handgelenke hatte man ihr auf dem Rücken zusammengekettet wie bei einem Mann. Das stimmte mich ärgerlich. Eine Sklavenfessel wäre besser für sie gewesen!

Wie sehr ich dieses Weib haßte! Die Menschenmenge beiderseits der Straße schien die gleichen Gefühle für sie zu hegen, denn wieder wurden wild Stöcke geschwungen.

»Schlagt sie!« kreischte ich.

»Ja, schlagt sie!« fiel Inge ein.

Die Sklavenmädchen schwärmten mit Stöcken und Ästen dem Wagen entgegen und begannen zwischen den Gitterstäben hindurch auf die Gefangene einzustechen.

Ich sah, daß sich oberhalb des runden Käfigdaches ein Ring befand, damit der Käfig an einem Baum oder Pfahl aufgehängt werden konnte. Zweifellos hatte Marlenus Befehl gegeben, seine Gefangene in verschiedenen Städten und Dörfern entlang des Weges aufzustellen, damit die bekannte Gesetzesbrecherin seinen Ruhm noch vermehre. Wahrscheinlich sollte sie erst in Ar versklavt werden, und dann vermutlich sogar von Marlenus’ eigener Hand. Die Sklavenmädchen umschwärmten den Käfig und stachen mit ihren Stöcken zu. Stoisch ließ Verna das Geschehen über sich ergehen. Sie schien ihre Umwelt gar nicht wahrzunehmen. Das erregte die Menge noch mehr, die ihre Anstrengungen verdoppelte Verna zuckte ab und zu vor Schmerz zusammen, und die Mißhandlungen begannen blutige Spuren zu hinterlassen, aber sie senkte nicht den Blick, kümmerte sich nicht um das, was mit ihr geschah.

Die Menge stieß einen Wutschrei aus, als nun einige Jäger auf den Wagen sprangen und die erregten Sklavinnen mit Peitschen zurückdrängten. Schreiend blieben die Mädchen zurück, ließen den Wagen weiterfahren. Verna stand hoch aufgerichtet in ihrem Käfig und schien zu träumen.

Ich haßte sie und ihre Stärke!

In diesem Augenblick wurde ein Speerschaft gegen den Wagen gestoßen, und wir zuckten erschrocken zurück. Ein Wächter band die Plane wieder fest, und wir waren wieder allein.

Der Klang der Trompeten und Trommeln erstarb in der Ferne »Von jetzt an«, sagte Inge, »wird El-in-or uns mit Herrin anreden.« Ich starrte sie wütend an.

»Nein«, sagte Ute. »Das ist zu grausam.«

»Wir behandeln El-in-or so, wie sie es verdient«, sagte Inge. Die anderen Mädchen außer Ute und Lana, die vielleicht eine ähnliche Behandlung fürchteten, stimmten zu.

»Und du bist natürlich einverstanden, nicht wahr?« wandte sich Inge an mich.

»Ja«, flüsterte ich.

»Ja, was?« fragte Inge und ballte die Hände zu Fäusten, um auf mich einzuschlagen.

»Ja — Herrin«, sagte ich tonlos.

Die anderen Mädchen lachten.

Gleich darauf setzte sich unser Wagen wieder in Bewegung. Unsere Reise nahm ihren Fortgang.

Aber ich war wütend über meine unverhoffte Niederlage — und über meine Schwäche.

Zwischen den Büschen, einen Pasang von den Wagen entfernt, las ich Beeren, zerrte sie von den Zweigen und warf sie in den Eimer. Die Sonne und das Gras waren bestimmt so angenehm wie zuvor, aber ich war nicht mehr in der Stimmung, meine Freude daran zu haben. Ich erinnerte mich mit Befriedigung an den Triumphzug Marlenus’, der das Panthermädchen Verna gefangen hatte. Weniger befriedigt dachte ich an die Ereignisse im Sklavenwagen, wo Inge mich durch ihren feigen Angriff mühelos besiegt und mein Ansehen bei den Mädchen zerstört hatte. So war ich nun gezwungen, die anderen — außer Ute und Lana, die es ablehnten — mit ›Herrin‹ anzureden, und immer mehr Mädchen von anderen Wagen verlangten dasselbe!

Ich wollte in Ar verkauft werden, ich wollte fort von meinen Peinigern. Ich wollte eine beneidete Sklavin werden, der ihr Herr aus der Hand fraß. Das hatte ich mir zum Ziel gesetzt.

Ich wandte mich an Ute. »Wann sind wir in Ar?« fragte ich. »Oh, das dauert noch viele Tage«, sagte sie. »Wir haben ja noch nicht einmal den Vosk erreicht.«

Der Vosk ist ein großer Fluß, der die nördliche Grenze der Gemarkungen Ars bildet.

Ute wandte sich wieder dem Beerenpflücken zu. Als weder sie noch der Wächter aufpaßten, stibitzte ich ihr einige Beeren aus dem Eimer. Ich hob den Kopf. Der Himmel war klar und blau, und nur einige weiße Wolken trieben im frischen Wind rasch dahin. So schlecht ging es mir eigentlich gar nicht. Außerdem hatte ich doch noch eine Möglichkeit gefunden, mich an Verna zu rächen, wie ich es mir gewünscht hatte. Es geschah am fünften Tag unserer Reise nach Ar.

Die Kaufleute haben in den letzten Jahren an bestimmten Handelsstraßen zwischen Ko-ro-ba und Ar und zwischen Tor und Ar befestigte, von Palisaden eingefaßte Lagerplätze errichtet. Sie liegen etwa einen Karawanen-Tagesmarsch auseinander und sind den Kaufleuten wie den Sklavenhändlern sehr willkommen. Auch einfache Reisende benutzen sie. Die Städte stellen durch ihre Kaufmannskasten Land für solche Lagerplätze zur Verfügung und versorgen diese gegen festgesetzte Gebühren mit Vorräten.

Die Lager unterliegen den Kaufmannsgesetzen, wie sie auf den Sardar-Jahrmärkten beschlossen und durchgesetzt werden. Die Palisadenwände sind doppelt verstärkt, wobei die innere Mauer höher ist, und der ganze Lagerplatz ist mit Tarnnetzen überspannt. Diese Forts unterscheiden sich bis auf die Größe kaum von den gewöhnlichen Grenzforts, wie sie manchmal von den Städten an den Grenzen ihrer Einflußgebiete unterhalten werden. In solchen Grenzbefestigungen ist natürlich wenig Platz für die Waren der Kaufleute und Sklavenhändler, für ihre Wagen und dergleichen; hier reicht der Platz gewöhnlich nur für die Besatzungen und ihre Sklaven aus. Ich hoffte inständig, nie in ein entlegenes Grenzfort verkauft zu werden. Ich wollte lieber in einer reichen Stadt leben und deren Vorteil genießen.

Am fünften Tag unserer Fahrt von Ko-ro-ba nach Ar rasteten wir in einer solchen Kaufmannsfestung.

Im Innenbereich dürfen sich die Sklavenmädchen frei bewegen, da sie ohnehin nicht fliehen können. So gewährte auch Targo den verschiedenen Wagengruppen eine gewisse Freizeit. Wir tobten uns tüchtig aus, bis ich plötzlich an einem Ende der Palisade Marlenus’ Jagdgruppe entdeckte. Sie hatte Ko-ro-ba nach uns verlassen, war aber schneller vorangekommen.

Lana und ich und einige andere Mädchen liefen hinüber, um uns die Käfige mit Sleen und die Trophäen anzusehen. Neugierig betrachteten wir die Sklaven, die Pantherfelle, die Lasten mit Früchten und Nüssen und Vernas fünfzehn Mädchen.

Am interessantesten fand ich natürlich Vernas Käfig, der von einem Jäger bewacht wurde.

»Sei gegrüßt, Verna!« sagte ich kühn.

Sie blickte auf mich herab, ohne etwas zu sagen.

»Vielleicht erinnerst du dich an mich?« fragte ich.

Doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos.

Ich ergriff einen Stock, warf in ihrem Käfig den Wasserbehälter um und begann mir eine Larmafrucht herauszuangeln, die man der Gefangenen hingelegt hatte. Lana und ich teilten uns die Frucht.

Verna beobachtete uns, ohne sich zu rühren.

Plötzlich schlug ich mit dem Stock zu, und sie zuckte zusammen. Ich wurde wütend und begann ihren Käfig, der an einem Pfahl hing, wild hin und her zu schaukeln. Doch so sehr wir uns auch bemühten, Verna machte uns nicht die Freude, auf unsere Mißhandlungen zu reagieren. Sie ließ es sogar über sich ergehen daß wir sie anspuckten. Da hörten wir, wie ein Wächter Targos nach uns rief. Es wurde Zeit, zu den Wagen zurückzukehren, damit eine andere Gruppe Mädchen freigelassen werden konnte.

Mit einem letzten giftigen Blick auf die stolze Gefangene wandten wir uns ab.


Ich warf wieder einige Beeren in meinen Eimer und wandte mich an Ute. »Bitte sprich doch mal mit Inge«, sagte ich. »Sie soll nicht mehr so grausam zu mir sein.«

»Warum sagst du ihr’s nicht selber?«

»Sie mag mich nicht und würde mich schlagen. Du kannst sie sicher überreden. Ich will die anderen Mädchen nicht Herrin nennen. Es sind doch bloß Sklaven.«

»Wir sind alle Sklavinnen«, sagte Ute. »Aber na gut, ich werde mit ihr reden.«

Dann wandte sie sich ab und setzte ihre Arbeit fort. Es war inzwischen später Nachmittag geworden. Es war bald Zeit für die Abendmahlzeit. Ich sah mich um, um festzustellen, ob der Wächter auf uns achtete. Doch er hatte den Kopf abgewandt.

Ute hatte ihren Eimer stehen lassen und pflückte etwa einen Meter entfernt; sie hatte mir den Rücken zugewandt. Sie war wirklich ein Dummerchen. Ich machte einige vorsichtige Schritte und schaufelte zwei Händevoll Beeren aus ihrem in meinen Eimer.

Da glaubte ich ein Geräusch wahrzunehmen und hob den Kopf. Auch Ute und der Wächter hatten etwas gehört. Der Mann stieß einen wütenden Schrei aus und begann zu den Wagen zu-rückzulaufen. Ute sah die Erscheinung, bevor sie mir auffiel. Ich hatte bisher nur ein vages Geräusch in der Ferne gehört, ein vielfaches Schnappen und schrille Schreie, die der Wind zu uns herübertrug.

»Schau!« rief Ute. »Tarns!«

Aus der Ferne näherte sich in vierfacher V-Formation eine gewaltige Kavalkade Tarnkämpfer. Das erste V flog am niedrigsten und vor den anderen drei, die gestaffelt heranrasten. Tarntrommeln waren nicht zu hören — es handelte sich also nicht um eine militärische Formation. »Ein Überfall!« rief Ute.

Ich war wie gelähmt. Was mir am unverständlichsten vorkam, war die Tatsache, daß uns der Wächter im Stich gelassen hatte. Er war zu den Wagen gerannt.

»Es müssen über hundert sein!« rief Ute. »Leg dich hin!« Und sie zerrte mich ins Gebüsch.

Aus der Ferne beobachteten wir den Angriff auf die Karawane, sahen, wie die Tarns in vier Wellen heranflogen, herumgezogen wurden und die Reiter ihre Pfeile abschössen.

Die Bosks wurden losgeschnitten und stürmten in wilder Flucht davon. Niemand machte den Versuch, die Wagen zu einem Verteidigungsring zusammenzufahren — er nützt ohnehin nur wenig wenn der Angriff aus der Luft kommt. Die Männer bemühten sich aber, die Wagen eng zusammenzuschieben, damit sie sich unter den Fahrzeugen bewegen konnten.

In vielen Wagen saßen noch angekettet die Mädchen, die zu schreien begannen. Ein paar Männer zerrten die blau-gelben Planen zur Seite, damit die Sklavinnen von den Angreifern gesehen wurden. So dienten sie den Verteidigern als Schutz, denn die Räuber hatten es auf die Mädchen abgesehen. Wenn sie also ihre Beute nicht vernichten wollten, durften sie nicht blindlings drauflos schießen.

Die letzte Formation der Tarnkämpfer schlug zu und zog sich wieder zurück.

»Der Angriff ist vorbei«, sagte ich.

»Sie werden jetzt Feuer werfen«, sagte Ute.

Ich beobachtete entsetzt, wie sich der Himmel einige Sekunden später wieder mit Tarns füllte und flammende Pfeile geflogen kamen. Die Wagen begannen zu brennen.

Ich sah, wie die Verteidiger überstürzt kreischende Mädchen losketteten. Einer Sklavin brannten die Haare. Grob wurde ihr der Kopf in den Sand gestoßen, damit die Flammen erlöschten Die ersten Tarnkämpfer landeten, sprangen von ihren Tier und eilten zwischen den brennenden Wagen hindurch. Leise klang das Geräusch klirrender Schwerter herüber.

»Mach mich los!« rief Ute.

Wir waren mit einer breiten Lederschnur aneinandergefesselt deren Knoten nicht einfach zu lösen war. Meine Finger hantierten daran herum. In meiner Aufregung machte ich kaum Fortschritte. Ungeduldig stieß mich Ute zur Seite und begann verzweifelt auf dem Lederband zu kauen. Nicht alle Tarnkämpfer waren gelandet, einige wirbelten noch in engen Kreisen am Himmel. Ich sah Zweikämpfe bei den Wagen, sah einige Männer fallen.

Einer der Tarnkämpfer, der noch auf seinem Tier saß, nahm den Helm ab und wischte sich die Stirn. Er war der Anführer, den ich sogar auf diese Entfernung erkannte.

»Es ist Haakon!« rief ich. »Haakon aus Skjern!«

»Natürlich ist das Haakon aus Skjern!« rief Ute und setzte ihre Bemühungen fort.

Mehrere Wagen standen nun in Flammen. Ich sah Männer herumlaufen. Zwei Mädchen eilten über die Steppe davon.

Haakon mußte an die hundert Leute bei sich haben. Als er nach Ko-ro-ba kam, war seine Truppe nur vierzig Mann stark gewesen: er mußte also weitere Söldner angeworben haben!

Schwertgeklirr klang herüber. Ich war außer mir.

Unter den brennenden Wagen lief plötzlich ein Dutzend Mädchen hervor, verstreuten sich in alle Richtungen.

»Er treibt die Mädchen davon!« rief Ute wütend und zerrte an dem Leder, das sie nicht durchbeißen konnte. Sie sah mich wütend an. »Sie haben uns noch nicht gesehen. Wir müssen fliehen!«

Ich schüttelte den Kopf. Wohin sollten wir uns wenden?

»Du kommst mit, oder ich bringe dich um!« schrie Ute.

»Ich komme ja!« willigte ich ein.

Ich sah, daß die Tarnkämpfer von den brennenden Wagen abließen und zu ihren Tarns zurückkehrten. An den Wagen und den Vorräten darin hatten sie kein Interesse, solange der eigentliche Schatz entkam. Targo hatte sich entschlossen, die Mädchen freizulassen, um sich damit die Angreifer vom Halse zu schaffen. Es war eine Verzweiflungsmaßnahme, zu der er nur in höchster Not gegriffen hatte — aber er und seine Männer waren hoffnungslos in der Minderheit. »Komm, El-in-or!« rief Ute. »Komm!«

Sie zerrte mit beiden Händen an der Leine, die uns miteinander verband, und ächzend setzte ich mich in Bewegung.

Als wir uns einmal umsahen, sahen wir fliegende Tarnkämpfer, die einzelne Mädchen jagten. Sie lenkten ihre Tiere nur wenige Zentimeter über dem Boden dahin, und oft packte der Tarn sein Opfer mit den Krallen und riß es in die Luft. Anschließend landete der Tarnkämpfer und zog das Mädchen zu sich in den Sattel. Einige hatten bereits hysterisch schluchzende Mädchen vor sich liegen. Verschiedene Angreifer stießen den rennenden Mädchen die Lanzenschäfte in den Rücken, so daß sie ins Gras stürzten. Wieder andere fingen die fliehenden Sklavinnen mit de Lasso ein und mußten dazu nicht einmal absteigen.

Es war ein entsetzlicher Anblick, und ich geriet ins Stolpern. »Beeil dich!« rief Ute.

Ich rappelte mich wieder auf und folgte ihr ins Ungewisse.

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