11

Ich kniete auf der langen, niedrigen Holzplattform, während sich ein Angehöriger der Kaste der Lederarbeiter mit einer langen Nadel meinem Gesicht näherte.

»Seht ihr«, sagte Targo zu den anderen Mädchen. »El-in-or ist mutig.« Ich schloß die Augen. Ein Betäubungsmittel wurde nicht benutzt, denn ich war ja nur eine Sklavin, aber die Prozedur war nicht sonderlich schmerzhaft. Zwei Stiche, gefolgt von einem unangenehmen Brennen. Dann richtete sich der Lederarbeiter auf. Meine Ohren waren durchstoßen worden. Der Mann befestigte kleine Stahldrähte darin, um die Löcher offenzuhalten. In vier Tagen sollten sie wieder entfernt werden.

Ich verließ die Plattform.

»Stell dich an die Wand, El-in-or«, sagte Targo, und ich gehorchte. Als nächste kam Ute auf die Plattform und ließ die Operation stoisch über sich ergehen. Rena aus Lydius warf sich nackt vor Targo hin. »Tu mir das nicht an! Du hast mich auf Kontrakt genommen. Mein Herr hätte sicher etwas dagegen!«

»Keine Widerrede!« sagte Targo.

Auch Inge und Lana, die als nächste an die Reihe kamen, begannen zu weinen und zu flehen — aber es half ihnen nichts.

Es war mir unverständlich, warum die anderen Mädchen sich so sehr dagegen wehrten, mit durchstochenen Ohren durchs Leben zu gehen. Ich selbst hatte mir das auf der Erde nicht mach? lassen — aber es war doch nichts Besonderes! Wie dumm Mädchen sich anstellten! Auf Gor entstammte diese Sitte, die nur bei Sklavenmädchen angewandt wurde, aus der Stadt Turia, die wegen ihres Reichtums und ihrer neun großen Tore bekannt war. Sie lag auf südlichen Ebenen Görs, tief unterhalb des Äquators, als Mittelpunkt eines komplizierten Netzes aus Handelsstraßen. Vor einigen Jahren war Turia den Barbaren in die Hände gefallen, nomadischen Kriegern, und viele Bürger waren nach Norden geflohen Sie hatten bestimmte Artikel, Techniken und Bräuche mitgebracht. Man erkannte einen Turianer etwa daran, daß er daß Neue Jahr mit der Sommersonnenwende feierte. Auch tranken diese Leute sehr süße, sirupähnliche Weine, die es inzwischen in vielen Städten gab. So hatte sich nun auch das Ohrendurchstechen, zum Anbringen von Ohrringen, verbreitet.

Wie ich gehört hatte, war Turia von den Barbaren nicht vernichtet worden. Es lag unzerstört in der Ebene, als beherrschend Stadt der südlichen Regionen, und ein großer Teil seiner Bewohner und seines Reichtums war inzwischen zurückgekehrt. Es war sicherlich für die goreanische Wirtschaft, besonders für die des Südens, ein Glück, daß die Stadt noch stand. Zahlreiche Felle und Horn- und Lederwaren, die in den Norden kamen, stammten aus Turia, dort erworben von den Wagenvölkern der baumlosen südlichen Ebenen, und viele Güter, die in den tiefen Süden kamen, wurden in Turia hergestellt oder dort umgeschlagen. Vielleicht hatten die Tuchuks, eines der wilden Wagenvölker, die Stadt gerade aus diesem Grund geschont, damit sie einen Lieferanten und Abnehmer für ihre Waren hatten, doch nach wie vor war es gefährlich, Karawanen nach Turia zu führen. Ich blickte in die Runde. Die anderen Mädchen saßen betrübt in meiner Nähe. Die Ehrlosigkeit durchstochener Ohren gefiel Ihnen nicht. Eben eilte das letzte Mädchen schluchzend von der Plattform. Ich hoffte, daß wir ein gutes Mittagessen bekamen. In den Privatgehegen Ko-ro-bas, in denen wir trainiert wurden, war das Essen besser als in den öffentlichen Anlagen, die zur freien Vermietung an durchreisende Sklavenhändler bestimmt waren und in denen wir nachts schliefen. In den öffentlichen Gehegen wurden Staatssklaven ebenso gehalten wie die Ware durchreisender Karawanen. Auch ein Mann aus der Stadt, der vorübergehend verreisen wollte, konnte sich in den öffentlichen Gehegen einmieten und seine Sklavinnen dort unterbringen. Die meisten Herren jedoch zogen die Privatgehege vor, wo das Essen und die zur Verfügung stehenden Einrichtungen besser waren. Ein weiterer Grund ist, daß Sklavinnen dort von erfahrenen Meistern und berühmten Vergnügungssklavinnen ausgebildet oder weiter trainiert werden können, um eine Wertsteigerung zu erfahren und ihre Herren mit neuen Künsten zu beglücken. Auch ohne den Anlaß einer Reise schickten deshalb manche wohlhabenden Herren ihre Mädchen in die Privatgehege, um sie dort fortbilden zu lassen. Den Mädchen selbst gefällt das Leben in den Gehegen weniger — dort wird ein ziemlich strenges Regiment geführt.

Wir trainierten während des Tages gewöhnlich in Privatgehegen, unter der Anleitung von Vergnügungssklavinnen, doch am Abend wurden wir in die langen Käfigreihen der öffentlichen Gehege gebracht. Diese Käfige sind gut abgesichert, und ihre Gitterstäbe stehen ziemlich weit auseinander, doch ohne daß man sich zwischen ihnen hindurchquetschen kann. Die Käfige sind widerstandsfähig genug, um auch für männliche Sklaven verwendet zu werden. Auf den Metallböden wurde Stroh ausgebreitet, und in jedem Käfig wohnten vier Mädchen. Ich teilte meine Behausung mit Ute, Inge und Lana. Wir waren angehalten, unseren Käfig selbst sauberzumachen, doch Lana und ich überließen Inge und Ute diese Arbeit.

Den Brei und das Brot, das wir in den öffentlichen Gehegen erhielten, mochte ich nicht besonders, doch ich aß mit Heißhunger denn das Leben war anstrengend. In den Privatgehegen war Essen besser, mageres Fleisch und Gemüse und Früchte, und wenn wir uns gut führten, erhielten wir nach der Abendmahlzeit Süßigkeiten oder Kuchen und manchmal auch einen Schluck Ka-la-na-Wein. Einmal hatte Inge das Training weinend aufgegeben, und wir hatten auf unsere kleinen Köstlichkeiten verzichten müssen.

»El-in-or!« rief Targo, und es hörte sich an, als riefe er bereits zum zweitenmal.

Ich eilte zu ihm.

»Auf die Plattform«, sagte er.

Verständnislos gehorchte ich. Der Lederarbeiter griff in seinen Arbeitsbeutel. Wahrscheinlich wollte er meine durchstochenen Ohren überprüfen.

Ich kniete ungeduldig vor ihm nieder.

»Leg den Kopf zurück«, sagte er.

Ich sah ihn ängstlich an. In der Hand hielt er ein Gebilde, daß entfernt wie eine Zange aussah und dessen Backen extrem lang und spitz waren.

»Was ist das?« fragte ich.

»Eine Stanze«, sagte Targo.

»Kopf zurück!« befahl der Lederarbeiter.

»Nein!« wimmerte ich. »Was hast du vor?«

»Eines Tages will dir ein Herr vielleicht einen Nasenring anlegen — dann bist du bereit«, erklärte Targo.

»Nein!« kreischte ich. »Nein! Nein!«

Die anderen Mädchen blickten erstaunt auf.

Aber alle Gegenwehr half nichts. Ein Wächter trat hinter mich und hielt mich fest, während der Lederarbeiter mir ein kleines Loch durch die Nasenscheidewand stanzte. Es schmerzte zuerst sehr. Mir traten Tränen in die Augen, ich wurde ohnmächtig und wäre bestimmt gestürzt, hätte mich der Wächter nicht festgehalten.

Als ich geblendet vor Tränen die Augen wieder öffnete, sah ich, daß sich der Lederarbeiter mit einem kleinen Ring näherte, den er durch die Wunde zog. Ich begann vor Schmerz und Scham zu schluchzen. Der Wächter führte mich zur Wand zurück und stieß mich zu Boden. Ich ließ mich fallen, und Tränen liefen mir übers Gesicht.

Ute war als nächste an der Reihe, und als sie zurückkehrte, trug sie ebenfalls einen kleinen Stahlring in der Nase. Tränen standen in ihren Augen. »Es tut schrecklich weh«, sagte sie zu Inge.

Ich blickte Ute niedergeschlagen an. Sie kam herüber und legte die Arme um mich. »Nicht weinen, El-in-or«, sagte sie. Ich preßte mich an sie.

»Ich verstehe das nicht, El-in-or«, sagte sie. »Die schrecklichsten Dinge nimmst du gelassen hin. Du bist sehr mutig. Und dann weinst du wegen eines kleinen Nasenrings. Das ist doch nichts im Vergleich dazu, sich die Ohren durchstechen zu lassen.« »El-in-or ist ein Feigling«, sagte Rena aus Lydius. »Das Ohrendurchstechen ist viel schlimmer«, fuhr Ute fort. »Die Nasenringe sind nichts — sie sind sogar hübsch. Im Süden tragen selbst die freien Frauen der Wagenvölker solche Ringe. Außerdem kann man so einen Ring entfernen, und niemand weiß, daß du je einen getragen hast. Niemand kann das sehen. Aber nur Sklavenmädchen haben durchstochene Ohren.« Sie begann zu weinen. »Wie kann ich jetzt je eine freie Gefährtin werden? Kein Mann wird eine Frau mit durchstochenen Ohren haben wollen!«

Ich schüttelte den Kopf. Eine nach der anderen gingen die Mädchen auf die Plattform, um sich der Nasenoperation zu unterziehen. Hinterher erhielten wir unsere Mahlzeit. Wir knieten im Kreise und aßen Brei aus Holzschalen; dabei dienten uns die Finger als Besteck. Die Mädchen plauderten miteinander und schienen die Pein schon vergessen zu haben. Und wenn nicht, konnten sie wenig dagegen tun. Sie wußten auch, daß sie mit durchstochenen Ohren einen etwas besseren Preis erzielten. In letzter Zeit war das Tragen von Ohrringen, von Marlenus aus Ar angeregt, groß in Mode gekommen, und mancher Herr liebte es, seine Sklavinnen in dieser Weise zu schmücken. Ich hatte nichts gegen Ohrringe. Wenn ich ein schönes Paar fand, vermochte ich sie durchaus vorteilhaft zu tragen, um meinem Herrn zu gefallen und vielleicht seinen Willen in meinem Sinne zu beeinflussen. Wenn es mir gelang, seine Zuneigung zu gewinnen, hatte ich ihn in der Hand. Ich war gewillt, meine Anstrengungen darauf zu richten, und wenn ich mein Ziel erreichte, wickelte ich ihn um den kleinen Finger, auch wenn ich den Sklavenkragen trug. Wie sonst konnte eine Frau auf Gor kämpfen Sie ist nicht so stark wie ein Mann, und die ganze goreanische Kultur macht sie zum Untergebenen des anderen Geschlechts. Ich gab nicht auf. Ich würde mein Ziel erreichen und auf die Erde zurückkehren. Dazu war mir jedes Mittel recht, selbst die völlige Unterwerfung unter meinen Herrn. »Iß«, drängte Ute.

Ich hatte mein Essen kaum angerührt.

»Wir tragen die Nasenringe nur solange, bis unser Training beendet ist. Wenn wir von Ko-ro-ba abreisen, werden sie abgemacht.«

»Woher weißt du das?« fragte ich. Es schwirrten oft Gerücht« durch die Gehege und Käfige.

»Targo hat es einem Wächter gesagt«, flüsterte Ute und sah sich vorsichtig um.

»Gut«, erwiderte ich und griff in meine Schale. Niemand sollte erfahren, daß Elinor Brinton von der Erde einen Nasenring getragen hatte! Ich begann zu essen, und es war gut, daß ich mich doch noch dazu durchrang, denn das Training fiel an diesem Tag besonders anstrengend aus, wohl weil wir von den Ereignissen des Morgens abgelenkt werden sollten.

Ich fand, daß ich mich recht geschickt anstellte. Manchmal ärgerte mich unsere Lehrerin, eine Vergnügungssklavin, wenn sie mich besonders herausstellte. »Seht«, sagte sie öfter zu den anderen Mädchen. »So wird es gemacht! So bewegt sich der Körper einer wahren Sklavin!« Dabei lernte ich diese Dinge nur, um meine Lage auf Gor zu verbessern. Wie ein Krieger sich in den Waffenkünsten übt, so kümmerte ich mich um die Künste der Sklavin. Ich lernte Dinge, von denen ich mir nie hätte träumen lassen. Da unser Training auf wenige Wochen beschränkt war, blieben allerdings viele Elemente eines vollen Trainings unberücksichtigt. So lernte ich nicht zu kochen und zu waschen und erwarb keine Kenntnisse über goreanische Musikinstrumente. Auch von Dekorationen und Blumenarrangements hatte ich keine Ahnung — Dinge, die jede goreanische Sklavin und jede freie Frau weiß. Und ich merkte, daß das Training seine Auswirkung hatte — besonders an den begehrlichen Blicken der Männer, was mir nicht wenig gefiel.

Müde legten wir uns an jenem Abend schlafen. Ich war froh, daß wir den verhaßten Nasenring loswurden, ehe wir Ko-ro-ba verließen. Ich rollte mich auf den Rücken und schloß die Augen. Ko-ro-ba. Die Stadt wird manchmal auch die Türme des Morgens genannt, ein Name, der vielleicht seine Berechtigung hat. Aber die Sklavengehege Ko-ro-bas waren nicht sehr angenehm.

Vier Tage nachdem uns die Ohren durchstochen worden waren, tauchte der Lederarbeiter wieder auf und entfernte die Drahtstückchen aus den Wunden. Zurück blieben die winzigen, fast unsichtbaren Löcher in den Ohrläppchen. Die Nasenringe sollten uns erst am Tag vor unserer Abreise abgenommen werden.

Unsere Lektionen wurden länger und komplizierter. Ich mußte mich sehr auf die immer feineren und subtileren Künste der Sklavin konzentrieren. Wenn wir versagten, erhielten wir Strafpunkte oder sogar Schläge. Aber ich bemerkte die Veränderung zum Positiven, die mit den anderen Mädchen vorging. Wir lernten. Sogar Inge machte Fortschritte. Ich beobachtete sie, wie sie im Sand der Arena tanzte. Und auch Ute paßte sich vorzüglich an. Sie würde eines Tages einen hohen Preis erbringen. Ich war erstaunt, welche Wirkung das Training auf die vornehme Rena aus Lydius hatte. Sie wußte, daß sie bereits verkauft worden war, kannte ihren Herrn aber noch nicht — sie gab sich daher besondere Mühe, ihn nicht zu enttäuschen.

Lana und ich gehörten nach Ansicht unserer Lehrmeister zu den vielversprechendsten Sklavinnen der Gruppe, wobei mir Lana immer einen Schritt voraus war. So sehr ich mich auch bemühte, ich vermochte sie nicht zu übertreffen.

Dabei dachte ich kaum noch darüber nach, was inzwischen aus mir geworden war. Eines Abends lag ich im Stroh und blickte zum Himmel auf und überlegte, daß ich allen inneren Einwänden zum Trotz doch eine Sklavin war. Zwar eine schlaue Sklavin, die ihren Vorteil zu wahren wußte, aber eben doch eine Sklavin.

Ich rollte mich auf den Bauch, nahm einen Strohhalm zur Hand und stocherte damit herum.

Seltsam, was in so kurzer Zeit aus der arroganten Elinor Brinton geworden war. Ich hatte innerlich die Hoffnung verloren, jemals wieder zur Erde zurückzukehren. Die Männer in dem silbernen Schiff stammten zweifellos von einer anderen Welt und nicht von diesem Planeten. Außerdem mochten sie noch unangenehmer sein als die Besatzung des schwarzen Schiffs. Ich hatte nicht die Absicht, mich mit ihnen einzulassen. Zu sehr erschreckte mich auch die Erinnerung an das riesige goldene Wesen, das in ihrer Begleitung gewesen war. Solche Männer und ein solches Geschöpf würden mich bestimmt nicht zur Erde zurückbringen, das ahnte ich. Ich hatte ihre Macht gesehen, als sie das schwarze Schiff vernichteten. Und selbst wenn mich die Männer aus dem schwarzen Rundschiff wiederfanden, würden sie mich nicht zur Erde bringen. Ich hatte gelernt, daß sich mit ihnen nicht schachern ließ In der Hütte hatte ich erfahren, was ich in ihren Augen war eine unbedeutende Sklavin, die herumkommandiert und geschlagen werden durfte. Und selbst wenn ich ihnen diente, wer gab mir die Gewähr, daß ich anschließend nicht umgebracht wurde, um nicht dem Gegner in die Hände zu fallen und ihre Pläne zu verraten? Und wenn ich ihnen diente und sie mir großzügig das Leben ließen, war ich für sie doch nur ein Sklavenmädchen, das behandelt wurde wie viele tausend andere auch.

Ich freute mich, daß ich ihnen im Wald entwischt war. Sie würden mich bestimmt nicht so leicht wiederfinden. Die Annahme daß ich zu Targo zurückgekehrt war, mußte ihnen unwahrscheinlich vorkommen. Eher war anzunehmen, daß ich allein und wehrlos im Wald an Hunger gestorben oder Panthern oder Sleen zum Opfer gefallen war.

Meine Gedanken kehrten zu jener schrecklichen Nacht zurück, da ich aus der Hütte in die Dunkelheit stürzte und das entsetzliche Pelzwesen zurückließ, das sich an dem toten Sleen gütlich tat Ich erschauderte.

Ich war einfach losgelaufen, zwischen die dunklen Bäume, stolpernd, stürzend, Purzelbäume schlagend. Manchmal lief ich zwischen den großen Turstämmen dahin, auf einem Laubteppich manchmal drängte ich mich zwischen dichter stehenden Bäume hindurch, durch Dickichte aus Lianen und verfilzten Zweigen. Schließlich stieß ich auf die Lichtung, auf der die Panthermädchen getanzt hatten. Niemand war zu sehen, und ich eilte weiter. Ab und zu blieb ich stehen und lauschte auf etwaige Verfolger, aber es war nichts zu hören. Der Mann, der das Ungeheuer in seine Blutrausch offenbar ebenso fürchtete wie ich, war Hals über Kopf geflohen. Nun hatte ich vor allem Angst, daß mir das Pelzwesen gefolgt war, aber ich ahnte, daß es sich so schnell von seiner Beute nicht lösen würde. Wahrscheinlich hatte es mein Verschwinden noch gar nicht bemerkt. Wahrscheinlich würde es fressen, bis es, nicht mehr konnte, und dann womöglich schlafen. Einmal stieß ich auf einen Sleen, der sich über einen toten Tabuk beugte, ein schlankes, antilopenartiges Geschöpf der Dickichte und Wälder. Der Sleen hob seinen langen; dreieckigen Kopf und begann drohend zu fauchen. Ich sah das Mondlicht auf den drei Reihen weißer, nadelscharfer Zähne blitzen.

Angstvoll schrie ich auf und ergriff die Flucht, und der Sleen wandte sich wieder seiner Beute zu. Im Laufen scheuchte ich zuweilen kleine Tiere auf oder hörte eine Tabukherde im Wald. Ich versuchte beim Mondlicht die Richtung zu halten und einen Weg aus dem Wald zu finden. Ich hatte Angst davor, im Kreise zu laufen. Die vorherrschenden Nordwinde jedoch, die Regen und Feuchtigkeit brachten, hatten die Nordflanken der hohen Bäume mit senkrechten Moosstreifen versehen, die sich bis zu zehn Meter hoch an den Stämmen hochzogen. Ich achtete darauf und versuchte auf diese Weise eine südliche Richtung beizubehalten. Ich hoffte einen Fluß zu finden, dem ich zum Laurius folgen konnte. Plötzlich sah ich vor mir vier leuchtende Augenpaare — eine Gruppe Waldpanther. Ich tat, als hätte ich nichts bemerkt, und wandte mich zur Seite, während mir das Herz bis zum Hals schlug. Um die Zeit waren diese Tiere bestimmt auf der Jagd. Der Waldpanther ist ein stolzes Tier und läßt sich ungern bei der Jagd stören. Da wir eine direkte Konfrontation vermieden hatten, blieb mir nur die Hoffnung, daß nicht ich die ausersehene Beute war. Die geschmeidigen Gestalten verschwanden, und ich verlor vor Erleichterung fast das Bewußtsein, so hilflos kam ich mir vor. Zu meiner Freude merkte ich, daß es anfing zu regnen. Der Regen würde meine Spur verwischen. Vielleicht entkam ich dem haarigen Monstrum! Ich bezweifelte, daß selbst ein Sleen, der beste Jäger Gors, meiner Spur noch folgen konnte. Ich lachte und versteckte mich schließlich irgendwo im Unterholz, um Schutz vor dem Unwetter zu suchen.

Nach etwa zwei Stunden hörte es so plötzlich zu regnen auf wie es begonnen hatte, und ich kroch aus dem Gebüsch und setzte meinen Weg nach Süden fort.

Nun hatte ich zwar keine Angst mehr vor einem Verfolger, war mir jedoch meiner Hilflosigkeit mehr bewußt. Ich versuchte die Fessel durchzuscheuern, die meine Handgelenke umschlang, und schabte sie an einem umgestürzten Baum hin und her, doch ich vermochte nichts auszurichten. Goreanische Fesseln sind nicht leicht zu durchtrennen. Kurz vor Mittag stieß ich auf einen kleinen Wasserlauf, der nur zum Laurius führen konnte. Ich warf mich am Ufer zu Boden und stillte meinen Durst mit dem frischen Wasser. Dann watete ich mit der Strömung dahin. So vermied ich, eine weitere Spur zu hinterlassen. Schließlich mündete der Bach in ein Flüßchen, den ich weiter folgte. Während ich so durch das Wasser stapfte, überlegte ich, ob ich mich wirklich zum Laurius durchschlagen und von dort nach Laura wandern sollte. Dort würde ich zwar zu essen bekommen, aber auch wieder versklavt werden. War es nicht besser, so überlegte ich, zunächst irgendwo im Wald Schutz zu suchen? Und ich durfte die Panthermädchen nicht vergessen.

Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Aber die Entscheidung wurde mir Sekunden später abgenommen. In Gedanken versunken übersah ich den Mann, der im Unterholz am Ufer stand. Plötzlich legte sich eine Lederschlaufe um meinen Hals und zog sich zu.

Ich wurde ans Ufer gezerrt. Ich weiß nicht, ob die Angst, der Hunger oder die Erschöpfung daran schuld waren — jedenfalls wurde mir plötzlich schwarz vor Augen, und ich verlor das Bewußtsein. Einige Zeit später erwachte ich. Ich lag in den Armen eines Mannes, der mich trug. Ich hatte sein Hemd an, das länger war als eine normale Sklaventunika. Meine Handgelenke waren nicht länger grausam zusammengeschnürt, sondern steckten in Sklavenfesseln.

»Du bist wach, El-in-or?« fragte er.

Er gehörte zu Targos Wächtern, der Mann, der mich zum Arzt gebracht hatte.

»Ja, Herr«, sagte ich.

»Wir dachten, wir hätten dich verloren.«

»Ich wurde von den Panthermädchen gestohlen«, sagte ich. »Sie verkauften mich an den Mann mit dem Monstrum. Er floh und ich bin entwischt.«

Ich mochte den Griff seiner kräftigen Arme, und das erschreckte mich. »Ich bin noch immer von weißer Seide«, sagte ich hastig. »Ich weiß.«

Ich errötete.

»Dein Glück«, fuhr er fort und senkte den Blick.

Plötzlich ließ er mich fallen.

»Du bist wach, du kannst laufen.«

Im Gras sitzend, starrte ich mißmutig zu ihm empor. »Nein, ich kann nicht laufen«, sagte ich. »Ich kann nicht mal stehen.«

Wortlos drehte er sich um und begann einen Ast von einem Busch zu schneiden, mit dem er mich züchtigen wollte.

Als er fertig war, stand ich längst auf den Füßen. »Gut«, sagte er nur und warf den Ast fort. Wir gingen weiter.

»Wärst du bei uns geblieben«, sagte er, »hättest du Marlenus aus Ar sehen können.«

Mir stockte der Atem. Ich hatte von dem großen Ubar gehört. »In Laura?« fragte ich ungläubig.

»Er kommt manchmal mit einigen hundert Tarnkämpfern nach Norden, um in den Wäldern zu jagen.« »Was jagt er denn?«

»Sleen, Panther und Frauen«, sagte der Wächter. »Oh.«

»Er jagt etwa eine oder zwei Wochen lang und kehrt dann nach Ar zurück.« Er schob mich vor sich her, weil ich unwillkürlich langsamer gegangen war. »Ein Ubar hat viele Pflichten«, fuhr er fort, »und Marlenus freut sich immer sehr auf seine Jagd. Ist er fertig, bringt er seine Beute mit einer Karawane zurück.« »Hat er es auf etwas Besonderes abgesehen?« fragte ich. »Ja«, sagte der Mann, »auf eine Gesetzesbrecherin, eine gewisse Verna.«

Ich blieb stehen. »Verna und ihre Mädchen haben mich gefangengenommen.«

»Es heißt, sie soll sehr schön sein«, sagte der Mann. »Stimmt das?« »Frag doch die Männer im Lager, die sie überfallen hat.« Seine Hand grub sich in meine Haare, zog mir den Kopf zurück. »Ja«, sagte ich hastig. »Sie ist schön, sehr schön.«

»Marlenus wird sie fangen«, versicherte er, »und sie in einem Käfig nach Ar schicken.«

»Erst muß er sie aufspüren«, warf ich spöttisch ein. »Und in seinen Vergnügungsgärten wird sie ihm aus der Hand fressen.«

»Du scheinst zu glauben, daß sich jede Frau zähmen läßt.« »Ja.« Es freute mich, daß Marlenus Verna und ihre Mädchen jagte. Ich wünschte ihm Erfolg, denn ich hatte nichts dagegen, auch Verna einmal als Sklavin zu sehen.

Am späten Nachmittag rasteten wir, und mein Wächter gab mir aus seinem Beutel zu essen. Auf seinen Befehl hin erhob ich mich wieder, und wir setzten unseren Weg fort.

An diesem Abend war ich glücklich. Wir fuhren in einer Holzbarke über den Fluß und erreichten Targos Lager. Ute und Inge waren da und die anderen Mädchen, die ich kannte. Targo freute sich sehr über meine Rückkehr. In dieser Nacht schlief ich zufrieden auf der Plane im Sklavenwagen.

Wir machten uns auf den Weg nach Ko-ro-ba, wo wir trainiert werden sollten und von wo aus unsere Reise in südöstlicher Richtung weitergehen sollte nach Ar.

»Woran denkst du, El-in-or?« fragte Ute.

Ich lag auf dem Bauch im Stroh, im Käfig des ko-ro-banischen Geheges, und stocherte mit einem Strohhalm herum.

»An nichts«, sagte ich. Aber ich dachte an den Mann in der Hütte. Er und sein sprechendes Monstrum hatten mir nach dem Regen nicht mehr folgen können. Wahrscheinlich nahmen sie an daß ich umgekommen war. Bei Targo würden sie mich zuletzt suchen. Außerdem hatte dieser Laura bereits verlassen, ehe ich die Stadt erreichen konnte. Wenn der Mann und sein Pelzwesen überhaupt nach mir suchten, dann bestimmt in der Nähe Lauras oder weiter nördlich, im Wald.

Ich war in Sicherheit — als Sklavenmädchen in den Gehegen Ko-ro-bas. Ich hatte keine Hoffnung mehr, zur Erde zurückzukehren, und begann mich damit abzufinden, ein Sklavinnendasein zu führen, Ich faßte den Entschluß, das Beste daraus zu machen.

In diesem Augenblick hörte ich einen Wächter. Ich erkannte die einzelnen Männer an ihrem Schritt, und vor diesem Mann hatte ich Angst. Ich neigte den Kopf und tat, als ob ich schliefe. Er ging vorbei. Er war bestimmt nicht der letzte Goreaner, den ich täuschen würde. Einige Tage vor unserer Abreise nach Ar verbreitete sich eine Nachricht wie ein Lauffeuer in den Sklavengehegen Ko-ro-bas.

»Das Panthermädchen Verna!« rief jemand. »Sie ist von Marlenus gefangengenommen worden!«

Ich eilte an die Gitterwand meines Käfigs. Wie sehr ich die stolze Frau und ihre Mädchen haßte! Ja, sie sollten erfahren, wie es war, ein Sklavendasein zu führen! Sie sollten Angst haben vor der Peitsche! »Arme Verna«, sagte Ute.

»Soll sie doch eine Sklavin sein wie wir!« rief ich. Doch Ute und Inge sahen mich nur schweigend an. »Marlenus wird sie zähmen. Sie wird ihm in seinen Vergnügungsgärten aus der Hand fressen müssen!« Zwei weitere Neuigkeiten drangen in diesen Tagen in die abgeschlossene Welt der Gehege. Zum einen befand sich Haakon aus Skjern in Ko-ro-ba, jener Mann, von dem Targo seine hundert nordischen Schönheiten erworben hatte, deren Training gerade zu Ende ging.

Aus unerfindlichen Gründen schien Targo diese Nachricht wenig zu gefallen.

Und die andere Neuigkeit hatte mit den kühnen Überfällen Rasks aus Treve zu tun.

Ganz Ko-ro-ba schien sich darüber aufzuregen. Vier Karawanen waren den kühn angreifenden Tarnkämpfern aus Treve zum Opfer gefallen. Und Rasks Männer hatten Dutzende von Feldern angesteckt und die Sa-Tarna-Ernte vernichtet. Der Rauch von zwei Feldern war sogar von den hohen Brücken Ko-ro-bas aus zu sehen gewesen.

Die ko-ro-banischen Tarnkämpfer waren ständig unterwegs, sogar des Nachts, wenn die Signalfeuer auf den hohen Mauern brannten. Sie flogen Patrouillen und setzten auch manchen Überraschungsflug an — aber es gelang ihnen nicht, die heimtückische Bande des schrecklichen Rask aus Treve aufzuspüren.

Ich kannte diesen Namen — Rask aus Treve —, und auch Targo hatte allen Grund, sich dieses Mannes mit Schrecken zu entsinnen. Er war es gewesen, der Targos Sklavenkarawane überfiel, ehe ich versklavt wurde. Er war es gewesen, der Targo und seine Leute in das Dickicht getrieben hatte, wo sie mit Mühe einen Wagen und neunzehn Mädchen hatten retten können.

Ansonsten war wenig bekannt über diesen Rask aus Treve, wie überhaupt die Stadt Treve von vielen Gerüchten und Sagen umwoben war. Sie lag irgendwo in den unzugänglichen Schluchten der schroffen Voltaiberge und war angeblich nur auf dem Rücken eines Tarn zu erreichen. Frauen konnten nur als Sklavinnen in die Stadt gebracht werden, quer auf dem Sattel eines Tarn. Sogar Händlern und Kaufleuten wurde eine Annäherung an die Stadt nur in Begleitung Einheimischer gestattet — und mit verbundenen Augen. Offenbar durfte die Lage der Stadt nur ihren Bürgern bekannt sein. Und war man erst einmal in Treve, beschränkte sich der Ausblick von ihren steilen Mauern auf schroffe Abhänge der Voltaiberge und auf tiefe Abgründe und den Befestigungen, die eine Flucht unmöglich machten.

Von Rask aus Treve wurde erzählt, daß er jung, kühn und rücksichtslos sei, daß er sich brutal und mutig gebe, daß er klug ausweichend und ein Meister der Verkleidung und der Täuschung sei. Es hieß, er sehe sich zuweilen in Verkleidung Frauen an, um festzustellen, ob er sie später besitzen wolle — er, ein gutaussehender, wilder, langhaariger Mann, ein Tarnreiter, ein Krieger reinsten Wassers, einer der großen goreanischen Meister mit dem Schwert. Die Krieger fürchteten seine Waffe, und die Frauen fürchteten den Stahl seiner Sklavenkragen.

Frauen, so ging das Gerücht, hatten besonderen Grund, Rask aus Treve zu fürchten. Angeblich verachtete er das schwache Geschlecht und gebrauchte jede Frau nur einmal, als habe er ihr Möglichkeiten mit dem einen Beisammensein erschöpft, als hab, er ihr alles genommen, was sie ihm geben konnte. Kein Mann auf Gor, so hieß es, konnte eine Frau so erniedrigen wie Rask aus Treve. Und doch gab es nur wenige Frauen, die sich nicht für diesen Krieger interessierten.

Es hieß, daß Rask aus Treve noch niemals eine Frau gekauft habe. Er pflegte sie zu erobern, sie mit Gewalt zu nehmen. Rask aus Treve zog wie viele goreanische Krieger die freien Frauen vor, die er sich Untertan machte, aber auch gegen Sklavinnen hatte er nichts.

Ich jedenfalls hatte keine Angst vor ihm. Mein Training und meine Intelligenz machten mich zu einem Gegner, mit dem jeder Mann rechnen mußte — auch die seltsam anziehenden mächtiger Männer dieses Planeten!

Unser Training nahm seinen Fortgang.

Einmal kam ein Besucher in die Gehege, ein großer Fremder der sein Gesicht unter einer Kapuze verbarg, in blau-gelbe Seidenhosen gekleidet, wie ein Sklavenhändler. Über dem linken Auge trug er einen Lederstreifen, der sich um seinen Kopf zog, Targo führte ihn durch unsere Sektion der Sklavengehege. »Dies ist Soron aus Ar«, sagte Targo und blieb vor unserem; Käfig stehen. Dann sagte er: »El-in-or.«

Ich war nervös. Ich wollte nicht verkauft werden, solange wir noch nicht in Ar waren. Ich wollte mich auf dem großen Block im Curuleum dieser Stadt präsentieren können, denn dort kamen die reichsten Käufer Gors zusammen.

»El-in-or!« befahl Targo in scharfem Tonfall.

Ich ging zum Gitter und kniete nieder.

»Versteht sich das Mädchen nicht darzubieten?« fragte der Mann. Targo war wütend und starrte mich funkelnd an.

Ich bekam Angst, neigte den Kopf und sagte die traditionelle Formel: »Kaufe mich, Herr.«

»Nein«, sagte der Fremde knapp und wandte sich ab.

Wütend sprang ich auf und wich zurück. Er hätte sich nicht so brutal äußern sollen. Ich hatte mich gut dargeboten, doch er hatte nicht das geringste Interesse gezeigt.

»Kaufe mich, Herr«, sagte Inge, die nun auf ein Zeichen Targos ans Gitter getreten war.

Es gefiel mir nicht, wie Inge das ›mich‹ betonte, als wollte sie sich von mir und meinem Versagen abheben. Hielt sie sich etwa für überlegen? Hielt sie sich für attraktiver?

Der Mann betrachtete sie anerkennend von Kopf bis Fuß, wie ein Herr, der eine wirklich gute Ware taxiert.

»Hast du mal den Schriftgelehrten angehört?« fragte er schließlich. »Ja«, sagte Inge verblüfft.

»Ich hab’s an deinem Akzent gemerkt«, sagte er.

»Danke, Herr«, erwiderte Inge und senkte den Kopf.

»Ausgezeichnete Ware«, sagte der Fremde zu Targo. »Sie sollte an einen Schriftgelehrten verkauft werden.«

Targo breitete die Hände aus und lächelte. »Wer am meisten bezahlt.« »Du kannst an deinen Platz zurückkehren«, sagte der Fremde. Leichtfüßig wie eine Katze kehrte Inge auf das Strohlager zurück. In diesem Augenblick haßte ich sie.

»Kaufe mich, Herr«, sagte Ute, die nun an der Reihe war, wurde jedoch zurückgeschickt; Lana erging es nicht anders.

Der Fremde und Targo machten Anstalten, zum nächsten Käfig zu gehen.

Ich stand in der hinteren Ecke unseres Käfigs auf dem Stroh und schaute durch die Stäbe hinaus. Der Mann hatte sich umgedreht und betrachtete mich. Ich warf den Kopf hoch und schaute ärgerlich in eine andere Richtung. Doch ich konnte nicht anders —

nach einigen Sekunden mußte ich noch einmal hinschauen, um zu sehen, ob er mich noch anblickte.

Und sein Blick war noch immer auf mich gerichtet.

Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Ich bekam Angst Doch schon hatte er sich mit Targo abgewandt und stand vor dem nächsten Käfig. Ich hörte, wie sich dort ein Mädchen im Stroh bewegte und sich den Stäben näherte. Ich sah mich um. Unser Käfig war so massiv — an eine Flucht war nicht zu denken, Ich kam mir hilflos vor.

An diesem Abend gelang es mir, Ute beim Essen einen Keks zu stehlen. Sie merkte nicht einmal, daß ihr jemand das Stück aus der Schale nahm. Unser Training in den Gehegen Ko-ro-bas ging seinem Ende entgegen. Unsere Körper, bis in die letzten Feinheiten mit den stilisierten Bewegungen des Sklaventums vertraut gemacht, waren nun unmißverständlich die Körper von rechtlosen Frauen. Viele angedeutete Bewegungen gehörten zum Ritual, zu der Verbindung zwischen Herr und Sklavin. Wir lernten diese Dinge, Kleinigkeiten, wie Hand-, Finger- oder Hüftbewegungen. Wir lernten aber auch die Bewegungen der Männer zu verstehen, ihr Interesse und ihre Wünsche aus solchen Dingen abzulesen. Es ist im Grunde kein Geheimnis, daß die goreanische Sklavin die Stimmungen und Wünsche ihres Herrn vorauszuahnen scheint. Die Männer zahlten höhere Preise für ausgebildete Sklavenmädchen ohne selbst zuweilen genau zu wissen, was dieses Training ausmacht — die Fähigkeit, Wünsche zu erkennen, ohne daß sie ausgesprochen werden müssen. Ich gedachte meine erworbenen Fähigkeiten dazu zu benutzen, mir meinen Herrn Untertan zu machen und ich hatte kaum Zweifel, daß mir das gelingen würde, Und dann hatte ich ein leichtes Leben — auch wenn ich den Sklavenkragen trug, würde ich die Herrin sein!

Wenn ich nachts im Stroh des Käfigs lag und nicht einschlafen konnte, dachte ich manchmal an Verna, die nun gefangen war und lachte leise vor mich hin. Ich wünschte mir eine Gelegenheit; ihr zu zeigen, wie wenig ich sie fürchtete, wie sehr ich diese Frau verachtete. In diesen letzten Tagen in Ko-ro-ba wurden Haakon aus Skjern und Rask aus Treve wieder etwas in den Hintergrund meiner Gedanken gedrängt. Es hieß, daß Rask endlich aus der Nähe der Stadt Ko-ro-ba vertrieben worden sei. Gewisse Tarnkämpfer der Stadt rühmten sich, sie hätten den gefürchteten Piraten aus dem Gebiet Ko-ro-bas vertrieben, doch andere schwiegen dazu, wie ich von unseren Wächtern erfuhr. Jedenfalls schien Rask aus Treve mit seiner Räuberbande die Ländereien der Türme des Morgens, wie Ko-ro-ba auch genannt wurde, verlassen zu haben. Sa-Tarna-Felder reiften in gelber Schönheit heran, und Karawanen hatten wieder Sicherheit. Die Himmel waren frei vom Flattern und Kreischen der Tarns aus Treve und dem wilden Kriegsgebrüll ihrer speerschleudernden Krieger. Offenbar suchte Rask aus Treve nun in anderen Gebieten nach Gold und Frauen. Haakon aus Skjern dagegen schien länger in Ko-ro-ba zu bleiben. Skjern ist eine Insel im Thassa, ziemlich weit von Ko-ro-ba entfernt. Sie liegt westlich des kahlen, felsigen Torvaldsland, sogar nördlicher als der gewaltige grüne Gürtel der Wälder. Die Männer Skjerns ließen sich selten so weit südlich oder so weit im Binnenland sehen. Haakon war offenbar mit seinen Tarnkämpfern in friedlicher Absicht hier. Sie zahlten für ihren Eintritt in die Stadt und behaupteten, sie müßten Vorräte für ihre Handelsgeschäfte kaufen. Da es sich um eine ziemlich große Gruppe fremder Krieger handelte, mußten sie ihre Waffen am großen Tor abgeben, wo sie sie bei ihrem Abflug wieder abholen konnten. In Ko-ro-ba waren die Waffenscheiden dieser Männer leer. Was war also von einem Haakon aus Skjern zu befürchten, der keine Waffe am Gürtel trug? Ich verstand die Unruhe Targos und einiger seiner Männer nicht. Haakon hatte mit ihm Geschäfte gemacht und mochte daran interessiert sein, im nächsten Frühjahr wieder einen Abschluß zu tätigen. Vielleicht wußte er nicht einmal, daß wir ebenfalls in Ko-ro-ba waren. Außerdem liefen Gerüchte um, daß er noch einige Tage länger in der Stadt bleiben wollte als wir, um dann wieder in den Norden nach Laura zu fliegen. Außerdem hatte Targo in Ko-ro-ba zusätzliche Mädchen gekauft und weitere Wächter eingestellt, und seine Karawane nach Ar würde so groß ausfallen, daß sie bestimmt nicht von vierzig oder fünfzig Tarnkämpfern aufgebracht werden konnte. Auch schien die Art und Weise, wie Haakon seine Tage in Ko-ro-ba verbrachte, nichts Bedrohliches zu haben. Er kaufte offenbar wirklich Vorräte ein, und seine Männer spielten und tranken in den Tavernen der Stadt und verbrachten ihre Zeit damit, sich mit anderen Männern, anderen Tarnkämpfern aus fremden Städten anzufreunden, die sich zufällig ebenfalls in den Mauern der Stadt aufhielten. Von Haakon aus Skjern und seinen Leuten war also nichts zu befürchten.

»Sklaven raus«, sagte der Wächter und drehte den Schlüssel unseres Käfigs um.

Nach wenigen Minuten kniete ich auf der hölzernen Plattform in den öffentlichen Sklavengehegen Ko-ro-bas. Diesmal braucht mich niemand festzuhalten; ich legte freiwillig den Kopf in de Nacken. Der Lederarbeiter weitete den Ring, den ich in der Nase trug und entfernte ihn vorsichtig. Erleichtert sprang ich von der Plattform und eilte zur Wand. Ich betastete mein Gesicht und lachte. Endlich war ich den verhaßten Ring los!

»El-in-or«, sagte Targo. »Du bist schön, wenn du glücklich bist«, sagte er.

Ich errötete und senkte den Kopf. »Danke, Herr«, sagte ich. In diesem Augenblick kam Ute, auch sie war ihren Nasenring los. Ich war so überschwenglicher Stimmung, daß ich sie am liebsten umarmt hätte. »Ute, ich bin so glücklich«, sagte ich.

»Gut«, erwiderte sie und wandte sich ab.

Ich war gekränkt und wandte mich Inge zu, die nun von der Plattform kam. Aber auch sie hatte unsere früheren Differenzen nicht vergessen. Ich kam mir plötzlich sehr einsam vor.

Als Lana zur Mauer kam, näherte ich mich ihr schüchtern. »Ich möchte deine Freundin sein«, sagte ich leise.

»Stell mal fest, wann wir Ar verlassen«, sagte Lana. »Frag Targo, er mag dich.«

»Bitte, Lana!« flehte ich, doch sie wandte nur den Kopf. Zitternd näherte ich mich Targo, kniete neben ihm nieder. »Darf ich sprechen?« fragte ich.

»Ja.«

»Wann«, flüsterte ich, »wann reisen wir nach Ar, Herr?«

Nach kurzem Schweigen sagte er streng: »Neugier steht einer Sklavin nicht.«

Ich stöhnte auf und wandte mich ab.

»El-in-or«, sagte Targo hinter meinem Rücken.

Ich blickte auf.

»Morgen früh«, sagte Targo, »bekommen die Sklavinnen vor dem Morgengrauen zu essen. Und wenn es hell wird, verlassen wir Ko-ro-ba in Richtung Ar.«

»Danke, Herr«, sagte ich und eilte zu Lana zurück.

»Wir fahren morgen früh«, sagte ich aufgeregt zu Lana und umfaßte ihren Arm. »Ich möchte deine Freundin sein.«

»Na gut«, sagte Lana.

»Du bist die einzige Freundin, die ich habe.«

»Das stimmt«, sagte Lana kühl. »Aber daran bist du selbst schuld mit deinem arroganten Gehabe. Wie du dich wegen jedes Vorteils anbiederst, ist widerlich.«

Am Abend vor unserer Abfahrt konnte ich nicht einschlafen. Ute, Inge und Lana waren längst entschlummert, während ich noch im Stroh lag und zur Käfigdecke emporstarrte.

Ich haßte Ute, dieses selbstgefällige kleine Scheusal. Und auch Inge und Lana. Ich hoffte, daß ich einen besseren Preis erzielte als die drei zusammen — das war dann die richtige Rache!

Ich erhob mich auf die Knie und beobachtete meinen Schatten an der rückwärtigen Käfigwand, vom Licht der Laterne scharf gezeichnet. Ich reckte mich und fragte mich zum tausendstenmal, wieviel ein Mann wohl für mich bezahlen würde.

Unwillkürlich mußte ich an das Panthermädchen Verna denken. Sie hatte mich gefangen und für hundert Pfeilspitzen verkauft! Vielleicht würde Marlenus sie auf den Auktionsblock bringen. Vielleicht bezahlte man für sie auch nur hundert Pfeilspitzen! Ich erinnerte mich, wie Verna und ihre Mädchen auf der Lichtung getanzt hatten, unfähig, sich zu beherrschen — auch die stolze, arrogante Verna!

Sie waren ja alle so schwach, während ich stark und entschlossen war. Befriedigt legte ich mich zurück und versuchte zu schlafen. Doch nun wanderten meine Gedanken zu Soron aus Ar, der in Targos Begleitung durch das Gehege gewandert war.

»Kaufe mich, Herr«, hatte ich zu ihm gesagt, doch er hatte mit einem ›Nein‹ reagiert.

Er hatte überhaupt kein Mädchen gekauft, was mir seltsam erschien, doch nur mir hatte er mit einem klaren ›Nein‹ geantwortet. Warum regte ich mich darüber so auf — mir war doch nur lieb, daß er mich nicht gekauft hatte! Aber er hatte mich später noch einmal abschätzend angesehen, sein Blick hatte auf mir geruht, und ich war mir dabei seltsam hilflos vorgekommen. Und das ließ mich jetzt nicht einschlafen. Als ich schließlich doch in einen unruhigen Schlummer fiel, hatte ich einen seltsamen Traum. Ich träumte, mir wäre die Flucht gelungen, und ich liefe frei durch das hohe Gras der goreanischen Steppe. Wie sehr ich mich über meine Freiheit freute!

Und dann drehte ich mich plötzlich um und sah dicht hinter mir, das Gesicht halb hinter seiner großen Kapuze verborgen Soron aus Ar. Ich floh, aber plötzlich stand er wieder vor mir, und als ich eine andere Richtung einschlug, tauchte er erneut vor mir auf. Es kein Entkommen. Ich erwachte in Schweiß gebadet.

»Still!« rief Lana und schüttelte mich. »Sei endlich still!« Ich mußte im Schlaf geschrien haben. Auch Ute und Inge hatten sich schläfrig aufgerichtet und starrten zu mir herüber. Ich eilte zu Ute und schmiegte mich an sie.

»O Ute, ich habe solche Angst«, sagte ich schluchzend.

»Es ist doch nur ein Traum«, sagte sie. »Wir bleiben ein Weilchen wach, und dann schlafen wir weiter, ja?«

Ich hielt Utes Hand und schlief nach einer Weile wieder ein.

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