Über den Verfasser

Ein Wort sollte auch zu Ibn Fadlan gesagt werden, dem Mann, der - trotz des Verstreichens von mehr als tausend Jahren und der Filterwirkung von Übertragungen und Übersetzungen aus zahlreichen linguistischen und kulturellen Traditionen - mit einer derart unverwechselbaren Stimme zu uns spricht. Wir wissen so gut wie nichts über ihn persönlich. Offensichtlich war er gebildet, und seinen Heldentaten nach zu schließen, konnte er nicht sehr alt gewesen sein. Er stellt explizit dar, daß er ein Vertrauter des Kalifen war, den er im übrigen nicht besonders schätzte. (Damit stand er nicht allein, denn Kalif al-Muqtadir wurde zweimal entthront und schließlich von einem seiner eigenen Offiziere gemeuchelt.) Von seinem gesellschaftlichen Umfeld wissen wir mehr. Im zehnten Jahrhundert war Bagdad, die Stadt des Friedens, die zivilisierteste Stadt auf der Welt. Mehr als eine Million Menschen lebten innerhalb der berühmten Ringmauern. Bagdad war der Brennpunkt des intellektuellen und kommerziellen Lebens inmitten eines von außerordentlicher Anmut, Eleganz und Pracht geprägten Ambiente. Hier gab es Duftgärten, kühle, schattige Lauben und die versammelten Reichtümer eines riesigen Imperiums. Die Araber von Bagdad waren Moslems und entschiedene Anhänger dieser Religion. Doch sie waren auch mit Menschen konfrontiert, die sich in Aussehen, Verhalten und Glauben von ihnen unterschieden. Tatsächlich waren die Araber zu jener Zeit die am wenigsten provinziellen Menschen der Welt, und dies machte sie zu vorzüglichen Beobachtern fremder Kulturen. Ibn Fadlan selbst ist unverkennbar ein intelligenter und aufmerksamer Mann. Er interessiert sich sowohl für die

Einzelheiten des Alltagslebens wie auch für den Glauben der Menschen, denen er begegnet. Vieles, was er beobachtet, dünkt ihn vulgär, obszön oder barbarisch, doch er vergeudet wenig Zeit mit Entrüstung; sobald er seine Mißbilligung kundtut, wendet er sich sofort wieder dem ungerührten Beobachten zu. Und er berichtet von dem, was er sieht, mit bemerkenswert wenig Herablassung. Seine Art des Berichtens mag nach westlichem Empfinden exzentrisch erscheinen; er erzählt eine Geschichte nicht so, wie wir sie zu hören gewohnt sind. Wir vergessen nur zu gerne, daß unser Sinn für Dramatik einer mündlichen Tradition entstammt - dem Auftritt eines Barden vor einem Publikum, das häufig unruhig oder ungeduldig war, oder auch schläfrig von einem schweren Mahl. Unsere ältesten Erzählungen, die Ilias, der Beowulf, das Rolandslied, waren ausnahmslos für den Vortrag durch Sänger bestimmt, deren hauptsächliche Funktion und vornehmliche Pflicht die Unterhaltung war.

Doch Ibn Fadlan war ein Schriftsteller, und sein oberstes Ziel war nicht die Unterhaltung. Ebenso wenig war es die Glorifizierung eines zuhörenden Gönners oder die Untermauerung von Mythen der Gesellschaft, in der er lebte. Er war im Gegenteil ein Gesandter, der einen Bericht erstattete; dem Tonfall nach ist er ein Steuerprüfer, kein Barde; ein Anthropologe, kein Dramatiker. Häufig vernachlässigt er sogar eher die spannendsten Elemente seiner Erzählung, als sich von ihnen in seinem klaren und ausgewogenen Bericht beeinträchtigen zu lassen.

Zeitweise ist diese Objektivität so irritierend, daß wir übersehen, welch ein außerordentlicher Beobachter er wirklich ist. Hunderte von Jahren nach Ibn Fadlan war es unter Reisenden noch durchaus üblich, hemmungslos spekulative und phantastische Aufzeichnungen von fremden Wunderdingen zu verfassen - sprechende Tiere, gefiederte Menschen, die fliegen konnten, Begegnungen mit Riesentieren und Einhörnern. Noch bis vor zweihundert Jahren füllten ansonsten nüchterne Europäer ihre Reisetagebücher mit Nonsens wie afrikanischen Pavianen, die Krieg gegen Bauern führten, und so weiter. Ibn Fadlan spekuliert niemals. Jedes Wort klingt wahr, und wann immer er vom Hörensagen berichtet, ist er so sorgfältig, dies auch anzugeben. Gleichermaßen sorgfältig weist er darauf hin, wann er Augenzeuge ist; deswegen gebraucht er ein ums andere Mal die Formulierung »Ich sah mit eigenen Augen«. Letztendlich ist es dieser Eindruck absoluter Wahrhaftigkeit, der seine Geschichte so erschreckend macht. Denn seine Begegnung mit den Nebelungeheuern, den »Verzehrern der Toten«, wird mit dem gleichen Augenmerk für Einzelheiten, der gleichen sorgfältigen Skepsis erzählt, die auch die anderen Teile des Manuskriptes kennzeichnen. Der Leser mag sich auf jeden Fall ein eigenes Urteil bilden.

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