Dergestalt ward ich gehindert an der Fortführung meiner Reisen in das Königreich des Yiltawar, König der Saqaliba, und ich war daher nicht in der Lage, das Vertrauen des al-Muqtadir, Gebieter der Gläubigen und Kalif in der Stadt des Friedens, zu vergelten. Ich gab entsprechende Anweisungen, soweit ich vermochte, an Dadir al-Hurami und ebenso an den Gesandten Abdallah ibn-Bastu al-Hazari und ebenso an die Pagen Takin und Bars. Darauf nahm ich Abschied von ihnen, und wie es ihnen des weiteren erging, erfuhr ich niemals. Was mich anbetraf, so wähnte ich meinen Zustand kaum anders als den eines Toten. Ich befand mich an Bord eines Schiffes der Nordmänner und segelte die Wolga aufwärts mit zwölfen aus ihrer Gemeinschaft. Die anderen waren so benannt:
Buliwyf, der Häuptling; Ecthgow, sein Stellvertreter oder Hauptmann; Higlak, Skeld, Weath, Roneth, Halga, seine Fürsten und Edlen; Helfdane, Edgtho, Rethel, Haltaf und Herger, seine Krieger und Tapferen. (Wulfgar wurde zurückgelassen. Jensen führt an, daß die Nordmänner normalerweise einen Abgesandten als Geisel behielten, und dies sei auch der Grund, weshalb »als angemessene Abgesandte die Söhne von Königen oder hohen Edelleuten oder anderen Personen galten, welche in ihrer Gemeinschaft einige Wertschätzung genossen, was sie als Geiseln geeignet machte«. Olaf Jorgensen argumentiert, daß Wulfgar zurückgeblieben sei, weil er Angst vor der Rückkehr in sein Land gehabt habe.) Und überdies befand ich mich unter ihnen, unfähig, ihre Zunge zu sprechen oder ihre Sitten zu verstehen, denn mein Dolmetscher ward zurückgelassen. Nur einem gütigen Geschick und der Gnade Allahs war es zu verdanken, daß Herger, einer ihrer Krieger, sich als fähiger Mann erweisen sollte und etwas Latein kannte. Daher konnte ich durch Herger verstehen, was die Geschehnisse bedeuteten, welche sich zutrugen. Herger war ein junger Krieger und sehr fröhlich; er schien in jeglichem Spaß zu finden und vor allem in meiner eigenen Düsternis ob des Aufbruches. Diese Nordmänner sind nach eigener Einschätzung die besten Seefahrer auf der Welt, und in ihrem Gebaren erkannte ich große Liebe zum Ozean und Wasser. Zu dem Schiff gilt dieses: Es war so lang wie fünfundzwanzig Schritte und so breit wie acht und etwas darüber und von hervorragender Bauweise, aus Eichenholz. Seine Färbung war allüberall schwarz. Es war bestückt mit einem Vierecksegel aus Tuch und eingefaßt mit Tauen aus Seerobbenhaut.(Offenbar meinten früher einige Autoren, dies bedeute, daß das Segel mit Taue eingefaßt war; es gibt Zeichnungen aus dem achtzehnten Jahrhundert, welche von Tauen gesäumte Wikingersegel zeigen. Es gibt jedoch keinerlei Beweis, daß dem so war; Ibn Fadlan meinte, im nautischen Sinne »eingefaßt«, was bedeutet, betakelt zur besseren Ausnutzung des Windes, indem die Robbentaue als Falleinen benutzt wurden.) Der Steuermann stand auf einer kleinen Erhöhung nahe dem Heck und betätigte ein nach römischer Art seitlich am Fahrzeug angebrachtes Ruder. Das Schiff war mit Bänken für die Ruder bestückt, doch wurden die Ruder nie verwandt; vielmehr bewegten wir uns einzig mittels der Segel fort. Am Kopf des Schiffes befand sich das hölzerne Schnitzwerk eines grimmen Seeungeheuers, wie es dergestalt an einigen Booten der Nordmänner vorkommt; überdies befand sich am Heck ein Schweif. Im Wasser war dieses Schiff beständig und sehr angenehm zum Reisen, und der Frohsinn der Krieger belebte meine Geister.
Nahe dem Steuermann war auf einem Flechtwerk aus Tauen eine Bettstatt bereitet mit einer Bedeckung aus Häuten. Dies war die Bettstatt des Buliwyf; die anderen Krieger schliefen hier und dort auf dem Deck, schlugen Häute um sich, und ich tat desgleichen. Drei Tage reisten wir auf dem Flusse und fuhren vorbei an vielerlei kleinen Ansiedlungen am Rande des Wassers. An keiner von diesen hielten wir an. Dann gelangten wir zu einem großen Lager an einer Biegung des Wolgaflusses. Hier befanden sich Hunderte von Menschen und eine Stadt von beträchtlicher Größe, und in der Mitte der Stadt ein Kremelien oder Festungswerk mit Erdwällen und von eindrucksvollen Ausmaßen. Ich fragte Herger, um welchen Ort es sich hierbei handelte.
Herger sagte zu mir: »Dies ist die Stadt Bulgar vom Königreich der Saqaliba. Dort ist der Kremelien des Yiltawar, König der Saqaliba.«
Ich erwiderte: »Dies ist der nämliche König, den aufzusuchen ich ausgesandt ward von meinem Kalifen«, und unter vielerlei Flehen ersuchte ich darum, an das Gestade gebracht zu werden, um den Auftrag meines Kalifen auszuführen; darüber hinaus verlangte ich dies und verlieh meinem Ärgernis Ausdruck, soweit ich es wagte. Wahrlich, die Nordmänner schenkten mir keine Beachtung. Herger wollte auf mein Ersuchen und Verlangen nichts erwidern, und schließlich lachte er mir ins Angesicht und wandte seine Aufmerksamkeit dem Segeln des Schiffes zu. Dergestalt segelte das Fahrzeug der Nordmänner vorbei an der Stadt der Bulgaren und so nahe am Gestade, daß ich das Rufen der Kaufleute und das Blöken der Schafe vernahm, und doch war ich hilflos und konnte nichts tun denn den Anblick mit eigenen Augen wahrnehmen. Nach dem Verstreichen einer Stunde war mir selbst dieses verwehrt, denn die Bulgarenstadt liegt, wie ich gesagt habe, an der Biegung des Flusses und war bald außer Sicht. Dergestalt betrat und verließ ich Bulgarien.
Der Leser mag nun, was die Geographie angeht, hoffnungslos verwirrt sein. Das heutige Bulgarien ist einer der Balkanstaaten; es grenzt an Griechenland, das frühere Jugoslawien, Rumänien und die Türkei. Doch vom neunten bis zum fünfzehnten Jahrhundert gab es am Ufer der Wolga, knapp tausend Kilometer östlich des heutigen Moskau gelegen, ein anderes Bulgarien, und dorthin war Ibn Fadlan unterwegs. Bulgarien an der Wolga war ein lose vereintes Königreich von einiger Bedeutung, und seine Hauptstadt Bulgar war zur Zeit der mongolischen Eroberung im Jahre 1237 A. D. reich und berühmt. Man nimmt allgemein an, daß das Bulgarien an der Wolga und das Bulgarien auf dem Balkan von verwandten Gruppierungen von Einwanderern bevölkert wurden, welche zwischen den Jahren 400 und 600 A. D. aus einer Region rund um das Schwarze Meer auszogen; doch Genaueres weiß man nicht. Die alte Stadt Bulgar dürfte im Gebiet des heutigen Kasan gelegen haben.
Darauf verstrichen acht weitere Tage auf dem Schiffe, derweil wir noch immer den Wolgafluß bereisten, und das Land um das Flußtal war bergiger. Nun gelangten wir zu einer anderen Gabelung des Flusses, wo er von den Nordmännern Okerfluß genannt wird, und hier nahmen wir den am linkesten Arm und setzten unsere Fahrt für zehn weitere Tage fort. Die Luft war kühl und der Wind kräftig, und noch immer lag viel Schnee auf dem Boden. In diesem Gebiete gibt es überdies große Wälder, welche die Nordmänner Wada nennen.
Darauf gelangten wir zu einem Lager des nordischen Volkes, welches Massborg war. Dies war schwerlich eine Siedlung, sondern vielmehr ein Lager mit wenigen großen Holzhäusern, errichtet nach der nordischen Art; und diese Siedlung nährte sich vom Verkauf von Nahrungsmitteln an Händler, welche auf diesem Wege hin und her reisen. Zu Massborg verließen wir unser Fahrzeug und reisten auf Pferden achtzehn Tage über Land. Dies war ein beschwerliches, bergiges Gebiet und außerordentlich kalt, und ich war überaus erschöpft von den Unbilden der Reise. Diese Nordmenschen reisen nie des Nachts. Noch segeln sie häufig des Nachts, sondern ziehen es vor, jeden Abend ihr Schiff anzulanden und das Licht der Dämmerung abzuwarten, bevor sie weiterfahren. Doch trug sich dieses zu: Im Verlaufe unseres Reisens ward die Spanne der Nacht so kurz, daß man in dieser Zeit keinen Topf mit Fleisch kochen konnte. Wahrlich, es dünkte mich, daß ich, kaum hatte ich mich zum Schlafe niedergelegt, von den Nordmännern geweckt ward, welche sagten: »Komm, es ist Tag, wir müssen unsere Fahrt fortsetzen.« Noch war der Schlaf an diesen kalten Orten erquickend.
Überdies erklärte mir Herger, daß in diesen nordischen Landen der Tag im Sommer lang ist und die Nacht im Winter lang ist, und selten sind sie gleich. Dann sagte er zu mir, ich sollte des Nachts ausschauen nach dem Himmelsvorhang; und eines Abends tat ich desgleichen, und ich sah am Himmel fahle Lichter in Grün und Gelb und mitunter Blau schimmern, welche wie ein Vorhang hoch am Firmament hingen. Ich war höchst erstaunt beim Anblick dieses Himmelsvorhanges, doch erachten die Nordmänner dergleichen nicht als seltsam. Nun reisten wir für fünf Tage von den Bergen in ein Gebiet aus Wäldern. Die Wälder der Nordlande sind kalt und dicht vor gewaltigen Bäumen. Es ist ein nasses und frostiges Land und mancherorts so grün, daß die Augen von der Helligkeit der Farbe schmerzen; doch andernorts ist es schwarz und düster und bedrohlich. Nun reisten wir fürderhin sieben Tage durch den Wald und erlebten viel Regen. Oftmals ist der Regen dergestalt, daß er mit einer solchen Dichte fällt, welche bedrückend sein kann; zur einen oder anderen Zeit dachte ich, ich würde ertrinken, so stark war die Luft von Wasser erfüllt. Zu ändern Zeitpunkten, wenn der Wind den Regen trieb, war er wie ein Sandsturm, und er stach ins Fleisch und brannte in den Augen und raubte die Sicht.
Ibn Fadlan, der aus einem Wüstengebiet stammte, war natürlich beeindruckt von dem üppigen Grün und dem reichlichen Regen.
Diese Nordmänner fürchteten keinerlei Räuber in den Wäldern, und wahrhaft sahen wir, ob aufgrund ihrer eigenen Stärke oder mangels Wegelagerern, keinen einzigen in den Wäldern. Die Nordlande weisen wenige Menschen jeglicher Art auf, so dünkte es mich während meines Verweilens dort. Oftmals reisten wir sieben Tage oder zehn, ohne eine Niederlassung oder ein Gehöft oder eine Behausung zu erblicken. Unsere Reise verlief dergestalt: Des Morgens erhoben wir uns und bestiegen bar jeglicher Waschungen unsere Pferde und ritten bis Tagesmitte. Darauf jagte dieser oder jener der Krieger etwas Wild, ein kleines Tier oder einen Vogel. So es regnete, ward diese Speise ohne Kochen verzehrt. Es regnete viele Tage, und beim ersten Male zog ich es vor, nichts von dem rohen Fleische zu verzehren, welches überdies nicht dabah (rituell geschlachtet) war, doch nach einer Zeit verzehrte ich es ebenso, wobei ich insgeheim »im Namen Gottes« sagte und auf Gott vertraute, daß er die Zwangslage verstünde. So es nicht regnete, ward mittels einer kleinen Glut, welche von der Schar mitgeführt, ein Feuer entfacht und die Speise gekocht. Überdies verzehrten wir Beeren und Gräser, von welchen ich die Namen nicht kenne. Darauf reisten wir den verbleibenden Teil eines jeden Tages, welcher beträchtlich war, bis zum Einbruch der Nacht, da wir erneut rasteten und speisten. Oftmals regnete es des Nachts, und wir suchten Zuflucht unter großen Bäumen, doch erhoben wir uns triefend, und unsere Schlafhäute trieften desgleichen. Die Nordmänner murrten nicht, denn sie sind allzeit fröhlich; ich allein murrte, und dies mächtig. Sie schenkten mir keine Beachtung. Schließlich sagte ich zu Herger: »Der Regen ist kalt.« Darauf lachte er. »Wie kann der Regen kalt sein?« sagte er. »Ihr seid kalt, und Ihr seid unglücklich. Der Regen ist nicht kalt oder unglücklich.«
Ich erkannte, daß er an diese Torheit glaubte und mich wahrhaft töricht wähnte, da ich anders dachte, und doch tat ich dies.
Nun geschah es, daß ich eines Nachts, derweil wir speisten, über meiner Speise sagte: »Im Namen Gottes«, und Buliwyf von Herger zu wissen begehrte, was ich gesagt. Ich teilte Herger mit, daß ich glaubte, eine Speise müsse geweiht werden, und gemäß meinem Glauben verfuhr. Buliwyf sagte zu mir: »Ist dies die Sitte der Araber?« Herger war der Übersetzer. Ich brachte diese Erwiderung vor: »Nein, denn in Wahrheit muß der, welcher die Speise tötet, die Weihe vornehmen. Ich spreche diese Worte, auf daß ich nicht nachlässig bin.« (Dies ist ein typisch moslemisches Empfinden. Anders als im Christentum, einer Religion, welcher er in vielen Aspekten ähnelt, glaubt man im Islam nicht ausdrücklich an die vom Sündenfall des Menschen herrührende Erbsünde. Für einen Moslem bedeutet Sünde Nachlässigkeit in der Ausführung der täglich vorgeschriebenen religiösen Rituale. Infolgedessen ist es ein ernsthafterer Verstoß, das tägliche Ritual völlig zu vergessen, als wenn man zwar an das Ritual denkt, es aber aufgrund gegebener Umstände oder persönlicher Einschränkungen nicht ausführen kann. Daher will Ibn Fadlan letztlich ausdrücken, daß er den vorgeschriebenen Vollzug durchaus beachtet, auch wenn er sich nicht dementsprechend verhält; dies sei besser als nichts.)
Dies befanden die Nordmänner als einen Grund zur Belustigung. Sie lachten aus vollem Herzen. Darauf sagte Buliwyf zu mir: »Könnt Ihr Töne zeichnen?« Ich verstand nicht, was er meinte, und erkundigte mich bei Herger, und es gab manches Gerede hin und her, und schließlich verstand ich, daß er schreiben meinte. Die Nordmänner nennen die Sprache der Araber Geräusch oder Ton. Ich erwiderte dem Buliwyf, daß ich schreiben könne und lesen ebenso.
Er sagte, daß ich für ihn auf die Erde schreiben solle. Im Lichte des abendlichen Feuers ergriff ich einen Stock und schrieb: »Gepriesen sei Gott.« Sämtliche Nordmänner blickten auf das Geschriebene. Man befahl mir auszusprechen, was da stand, und dies tat ich. Nun starrte Buliwyf eine lange Zeit auf das Geschriebene, und er hatte das Haupt auf die Brust gesenkt. Herger sagte zu mir: »Welchen Gott preist Ihr?« Ich antwortete, daß ich den einen Gott preise, dessen Name Allah sei.
Herger sagte: »Ein Gott kann nicht genügen.« Nun reisten wir einen weiteren Tag und ließen eine weitere Nacht verstreichen und darauf einen weiteren Tag. Und am folgenden Abend ergriff Buliwyf einen Stock und zeichnete auf die Erde, was ich zuvor gezeichnet hatte, und befahl mir vorzulesen. Laut sprach ich die Worte aus: »Gepriesen sei Gott.« Darob war Buliwyf zufrieden, und ich erkannte, daß er mich einer Prüfung unterzogen hatte, indem er sich die Zeichen ins Gedächtnis eingeprägt hatte, um sie mir erneut vorzuzeigen. Nun sprach Ecthgow, der Stellvertreter oder Hauptmann des Buliwyf und ein weniger heiterer Krieger denn die anderen, ein gestrenger Mann, zu mir mittels des Dolmetschers Herger. Herger sagte: »Ecthgow begehrt zu wissen, ob Ihr den Ton seines Namens zeichnen könnt.« Ich sagte, dies könne ich, und ich ergriff einen Stock und hob an, auf der Erde zu zeichnen. Mit einem Male sprang Ecthgow auf, schleuderte den Stock fort und stampfte mein Schriftwerk aus. Er sprach wütende Worte. Herger sagte zur mir: »Ecthgow wünscht nicht, daß Ihr jemals seinen Namen zeichnet, und dies müßt Ihr geloben.« Hierauf war ich verblüfft, und ich erkannte, daß Ecthgow bis zum äußersten wütend auf mich war. Und desgleichen starrten mich die anderen mit Betroffenheit und Zorn an. Ich gelobte Herger, daß ich den Namen des Ecthgow nicht zeichnen würde, noch den eines der anderen. Darob waren sie alle erleichtert. Danach ward nicht länger über mein Schreiben gesprochen, doch Buliwyf erteilte gewisse Anweisungen, und wann immer es regnete, ward ich stets zum größten Baume gewiesen, und ich erhielt mehr Speise denn zuvor. Nicht immer schliefen wir in den Wäldern, noch ritten wir immer durch die Wälder. Am Rande eines Waldes pflegten Buliwyf und seine Krieger vorauszupreschen und im Galopp durch die dichten Bäume zu reiten, ohne Obacht oder einen Gedanken an Furcht. Und in anderen Wäldern hielt er an und verharrte, und die Krieger saßen ab und entfachten ein Feuer und boten Speise dar oder ein paar Laibe harten Brotes oder einen Fetzen Tuches, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Und darauf ritten sie am Rande des Waldes entlang und drangen niemals in seine Tiefen vor. Ich erkundigte mich bei Herger, warum dies geschah. Er sagte, daß manche Wälder sicher seien und manche nicht, doch erklärte er sich nicht weiter. Ich fragte ihn: »Was ist in den dergestalt eingeschätzten Wäldern nicht sicher?« Er brachte diese Erwiderung vor: »Es gibt Dinge, die kein Mensch besiegen kann und kein Schwert töten und kein Feuer verbrennen, und solche Dinge sind in den Wäldern.« Ich sagte: »Wie kann man darum wissen?« Darauf lachte er und sagte: »Ihr Araber wünscht stets einen Grund für alles zu haben. Eure Herzen sind große, überquellende Beutel aus Gründen.« Ich sagte: »Und Ihr kümmert Euch nicht um Gründe?« »Es verhilft einem zu nichts. Wir sagen: Ein Mann sollte halbwegs weise sein, doch nicht mehr, auf daß er sein Schicksal nicht im voraus kennt. Der Mann, dessen Sinnen bar jeglicher Sorge ist, kennt sein Schicksal nicht im voraus.«
Nun erkannte ich, daß ich mich mit dieser Antwort bescheiden mußte. Denn es traf zu, daß ich bei der einen oder anderen Gelegenheit dergestalt Wissen zu erheischen suchte und Herger zu erwidern pflegte, und so ich seine Antwort nicht verstand, fragte ich weiter, und er antwortete. Doch wenn ich erneut von ihm eine Antwort begehrte, so erwiderte er in aller Kürze, als ob die Frage ohne Gewicht wäre. Und darauf ward ich von ihm mit nichts weiterem bedacht denn mit einem Schütteln des Hauptes. Nun reisten wir weiter. Wahrlich, ich kann sagen, daß manche der Wälder im wilden Nordlande ein Gefühl der Furcht hervorrufen, welches ich nicht zu erklären vermag. Des Nachts saßen die Nordmänner um das Feuer und erzählten Geschichten von Drachen und grimmigen Bestien und ebenso von ihren Ahnen, welche diese Wesen erschlagen hätten.
Diese, so sagten sie, seien der Quell meiner Furcht. Doch sie erzählten die Geschichten bar eines Zeichens von Furcht, und von solchen Bestien sah ich nichts mit eigenen Augen. Eines Nachts vernahm ich ein Grollen, welches ich für Donner hinnahm, doch sie sagten, es sei das Knurren eines Drachens in dem Walde. Ich weiß nicht, was die Wahrheit ist, und berichte nur, was man mir gesagt. Die Nordlande sind kalt und feucht, und die Sonne ist selten zu sehen, denn der Himmel ist den ganzen Tag grau vor dichten Wolken. Die Menschen dieses Gebietes sind bleich wie Linnen, und ihr Haar ist sehr hell. Nach so vielen Tagen des Reisens sah ich keinerlei dunkle Menschen, und aufgrund meiner Haut und des dunklen Haares ward ich von den Bewohnern dieses Gebietes in der Tat bestaunt. Oftmals traten ein Landmann oder sein Weib oder seine Tochter vor, mich zu berühren mit streichelnder Geste; Herger lachte und sagte, sie suchten die Farbe fortzuwischen, mit welcher sie mein Fleisch bemalt wähnten. Sie sind unwissende Menschen bar jeder Kenntnis um die Weite der Welt. Oftmals fürchteten sie mich und wollten mir nicht nahe treten. An einem Orte - ich weiß den Namen nicht - schrie ein Kind vor Schrecken auf und rannte, sich an seine Mutter zu klammern, als es mich sah.
Darob lachten die Krieger des Buliwyf mit großer Belustigung. Doch nun beobachtete ich dies: Im Verlaufe der Tage ließen die Krieger des Buliwyf vom Lachen ab und verfielen jeden Tag mehr in eine üble Laune. Herger sagte zu mir, daß sie ans Trinken dachten, welches sie seit vielen Tagen entbehrten. Bei jeglichem Gehöft oder jeglicher Behausung baten Buliwyf und seine Krieger um einen Trank, doch gab es an diesen armseligen Orten oftmals kein geistiges Getränk, und sie waren bitterlich enttäuscht, bis am Ende keine Spur Frohsinn mehr an ihnen war.
Endlich erreichten wir eine Ortschaft, und dort fanden die Krieger zu trinken, und sämtliche Nordmänner wurden in einem Augenblicke berauscht, indem sie auf rohe Weise tranken, ungeachtet dessen, daß sich der Trank in ihrer Hast über ihr Kinn und ihre Bekleidung ergoß. Wahrhaft, einer aus der Gruppe, der ehrwürdige Krieger Ecthgow, war so verblödet vom Alkohol, daß er noch auf seinem Pferde trunken war und beim Versuche abzusitzen stürzte. Nun trat ihm das Pferd an das Haupt, und ich fürchtete um sein Leben, doch Ecthgow lachte und trat wiederum das Pferd.
Für den Zeitraum von zwei Tagen verweilten wir in dieser Ortschaft, Ich war höchst erstaunt, denn zuvor hatten die Krieger große Eile und Entschlossenheit auf ihrer Reise gezeigt, doch nun fiel alles dem Trunke und besinnungslosem Schlummer anheim. Am dritten Tage dann gebot Buliwyf, daß wir Weiterreisen sollten, und die Krieger zogen fort, und ich unter ihnen, und sie erachteten den Verlust zweier Tage als nicht bemerkenswert. Wie viele weitere Tage wir reisten, kann ich nicht mit Gewißheit sagen. Ich weiß, daß wir fünfmal die Pferde gegen frische Tiere auswechselten und für diese in den Ortschaften mit Gold und mit den kleinen grünen Muschelschalen bezahlten, welche die Nordmänner höher schätzen denn jeden anderen Gegenstand auf der Welt, Und endlich gelangten wir zu einer Ortschaft mit dem Namen Lenneborg, welche am Meer gelegen ist. Das Meer war grau und desgleichen der Himmel, und die Luft war kalt und bitterlich. Hier nahmen wir ein weiteres Schiff. Dieses Schiff war vom Äußeren her ähnlich dem vorherigen, doch größer. Es wurde von den Nordmännern Hosbokun genannt, was »Seegeiß« bedeutet, und zwar aus dem Grunde, da dieses Schiff bockend gegen die Wellen stößt, so wie die Geiß bockend stößt. Und überdies aus dem Grunde, da dieses Schiff hurtig war, denn unter diesen Menschen ist die Geiß ein Tier, dessen Name für sie Hurtigkeit bedeutet.
Ich hatte Angst davor, mich auf dieses Meer zu begeben, denn das Wasser war rauh und sehr kalt; steckte man eines Mannes Hand in dieses Meer, so war sie augenblicklich bar jeden Gefühles, so gräßlich kalt war es. Und doch waren die Nordmänner fröhlich und scherzten und tranken einen Abend lang in dieser am Meer gelegenen Ortschaft Lenneborg und ergötzten sich an vielerlei Weibern und Sklavinnen. Dies, so erfuhr ich, ist der Nordmänner Brauch vor einer Seereise, denn kein Mann weiß, ob er die Reise überleben wird, und daher bricht er unter ausschweifendem Gelage auf. Allerorten wurden wir mit großer Gastfreundschaft empfangen, denn diese wird von diesen Menschen als eine Tugend geachtet. Der ärmste Bauer setzte uns alles vor, worüber er verfügte, und dies ohne Furcht, daß wir ihn töteten oder beraubten, sondern nur aus Gnädigkeit und Güte. Diese Nordmänner, so erfuhr ich, dulden keine Räuber oder Mörder von ihrer eigenen Rasse und verfahren grausam mit solchen Männern. Diesem Gebote sind sie trotz der angelegentlichen Wahrheit verhaftet, welche da lautet, daß sie fortwährend trunken sind und zänkisch wie vernunftlose Tiere und einander in hitzigem Zweikampfe töten. Doch betrachten sie dies nicht als Mord, und ein jeglicher Mann, welcher mordet, wird daselbst getötet. In nämlicher Weise behandeln sie ihre Sklaven mit großer Freundlichkeit, was für mich ein Wunder war.(Andere Augenzeugenberichte stimmen bezüglich der Behandlung von Sklaven und des Ehebruchs nicht mit Ibn Fadlans Beschreibung überein, und daher bezweifeln manche Experten seine Zuverlässigkeit als Beobachter gesellschaftlicher Gepflogenheiten. In Wahrheit gab es vermutlich von Stamm zu Stamm erhebliche lokale Abweichungen, was den üblichen Umgang mit Sklaven und untreuen Ehefrauen angeht.) Wird ein Sklave krank oder stirbt durch ein Mißgeschick, so wird dies nicht als großer Verlust erachtet; und Frauen, welche Sklavinnen sind, müssen zu jeder Zeit bereit sein für das Beiwohnen eines Mannes, sei es öffentlich oder heimlich, des Tags oder des Nachts. Es gibt keinerlei Zuneigung zu den Sklaven, und doch gibt es auch keinerlei Gewalttätigkeit gegen sie, und sie werden von ihren Herren stets genährt und gekleidet.
Ferner erfuhr ich dies: daß jeder Mann sich an einer Sklavin ergötzen darf, doch daß auch noch des niedersten Bauern Weib geachtet wird von den Edlen der Nordmänner, wie sie auch die Weiber eines jeglichen von ihnen achten. Hingabe von einer frei geborenen Frau zu erzwingen, welche keine Sklavin ist, gilt als Verbrechen, und man teilte mir mit, daß ein Mann dafür gehängt wird, obzwar ich dergleichen nie sah. Keuschheit gilt unter Frauen als große Tugend, doch sah ich sie selten gewahrt, denn Ehebruch wird nicht als gewichtige Angelegenheit erachtet, und wenn das Weib eines Mannes, ob hoch oder nieder, lüstern ist, so wird das Ergebnis nicht für bemerkenswert gehalten. In solchen Angelegenheiten sind die Menschen sehr freizügig, und die Männer des Nordens sagen, daß Frauen verschlagen sind und man ihnen nicht trauen darf; mit diesem scheinen sie sich abzufinden und sprechen darob mit ihrem üblichen fröhlichen Gehabe.
Ich erkundigte mich bei Herger, ob er verheiratet sei, und er sagte, daß er ein Weib habe. Ich erkundigte mich mit aller Zurückhaltung, ob sie keusch sei, und er lachte mir ins Gesicht und sagte zu mir: »Ich befahre die Meere, und vielleicht komme ich nie zurück, oder ich bin viele Jahre in der Fremde. Mein Weib ist nicht tot.« Diesem entnahm ich die Bedeutung, daß sie ihm ungetreu war und es ihn nicht bekümmerte. Die Nordmänner betrachten einen Sprößling nicht als Bastard, wenn die Mutter nur ein Eheweib ist. Die Kinder von Sklavinnen sind mitunter Sklaven und mitunter Freie; wie dies entschieden wird, weiß ich nicht zu sagen.
In manchen Gebieten werden Sklaven durch ein Stutzen des Ohres gezeichnet. In anderen Gebieten tragen Sklaven einen Halsreif aus Eisen, welcher ihren Stand anzeigt. In anderen Gebieten verfügen Sklaven über keinerlei Kennzeichen, denn dergestalt ist das örtliche Brauchtum. Knabenliebe ist unter den Nordmännern nicht bekannt, obzwar sie sagen, daß andere Völker sie ausüben; sie selbst schenken derlei keine Beachtung, und nachdem sie unter ihnen nicht vorkommt, haben sie keine Bestrafung dafür. All dies und mehr erfuhr ich durch meine Gespräche mit Herger und durch Augenzeugnis auf den Reisen unserer Schar. Ferner sah ich an jedem Orte, da wir rasteten, daß die Menschen von Buliwyf zu wissen begehrten, welche Mannespflicht er auf sich genommen, und wenn sie von deren Wesen - welches ich noch nicht verstand -erfuhren, ward uns höchste Achtung gewährt, indem uns ihre Gebete und Opfer und Zeichen des Wohlwollens zuteil wurden. Auf See werden die Nordmänner, wie ich gesagt habe, heiter und frohlockend, obzwar der Ozean für meine Denkweise rau und abschreckend war, und für meinen Magen überdies, welcher äußerst empfindlich und gereizt war. Tatsächlich erleichterte ich mich und fragte darauf Herger, warum seine Gefährten so heiter seien. Herger sagte: »Dies ist so, da wir bald in der Heimat des Buliwyf sein werden, einem Yatlam genannten Ort, wo sein Vater und seine Mutter und alle seine Anverwandten leben, und er hat sie seit vielen langen Jahren nicht gesehen.«
Darauf sagte ich: »Fahren wir nicht zu Wulfgars Land?« Herger erwiderte: »Ja, doch geziemt es sich, daß Buliwyf seinem Vater und also seiner Mutter Ehre erweist.« An ihrem Antlitz erkannte ich, daß all die anderen Fürsten, Edlen und Krieger ebenso heiter wie Buliwyf waren. Ich fragte Herger, warum dies so sei. »Buliwyf ist unser Häuptling, und wir sind mit ihm heiter, wie auch wegen der Macht, über welche er bald verfügen wird.«
Ich begehrte zu wissen, worum es sich bei dieser Macht handelte, von welcher er sprach. »Die Macht von Runding«, antwortete mir Herger. »Welche Macht ist das?« begehrte ich zu wissen, worauf er diese Erwiderung vorbrachte: »Die Macht der Ahnen, die Macht der Riesen.« Die Nordmänner glauben, daß die Welt zu vergangenen Zeitaltern von einer Rasse riesiger Menschen bevölkert war, welche seither verschwunden sind. Die Nordmänner betrachten sich nicht als Abkömmlinge dieser Riesen, doch wurde ihnen auf eine Weise, welche ich nicht recht verstehe, einige Macht dieser uralten Riesen zuteil. Diese Heiden glauben überdies an vielerlei Götter, welche ebenso Riesen sind und welche ebenso über Macht verfügen. Doch die Riesen, von welchen Herger sprach, waren riesige Menschen und keine Götter, so jedenfalls dünkte es mich. In dieser Nacht landeten wir an einem felsigen Gestade aus Steinen von der Größe einer Männerfaust, und dort lagerte Buliwyf mit seinen Mannen, und sie tranken bis tief in die Nacht und sangen an dem Feuer. Herger schloß sich den Feierlichkeiten an und besaß keine große Geduld, mir die Bedeutung der Gesänge zu erklären, und so weiß ich nicht, was sie sangen, doch waren sie heiter. Am morgigen Tage wollten sie in die Heimat des Buliwyf gelangen, in das Land namens Yatlam.
Wir brachen beim ersten Tageslicht auf, und es war so kalt, daß meine Knochen schmerzten, und mein Körper war wund vom felsigen Boden, und wir stießen hinaus in die tobende See und den tosenden Wind. Den ganzen Morgen über segelten wir, und während dieser Zeitspanne wuchs die Erregung der Männer zunehmend, bis sie wie Kinder oder Frauen wurden. Für mich war es ein Wunder, diese mächtigen, kraftvollen Krieger kichern und lachen zu sehen wie der Harem des Kalifen, und doch sahen sie darin nichts Unmännliches. Eine Landspitze war zu erkennen, ein hoher felsiger Aufwurf aus grauem Stein über der grauen See, und hinter dieser Spitze, so teilte Herger mir mit, liege die Stadt Yatlam. Als der Nordmänner Schiff die Klippe umfuhr, mühte ich mich, die sagenhafte Heimat des Buliwyf zu erblicken. Die Krieger lachten und gröhlten lauter, und ich nahm an, sie gäben sich vielerlei derben Scherzen hin und Gedanken an Vergnügungen mit Frauen, sobald sie gelandet.
Und dann lag der Geruch von Rauch auf dem Meer, und wir sahen Rauch, und alle Männer verfielen in Schweigen. Da wir um die Spitze fuhren, sah ich mit eigenen Augen, daß die Stadt in schwelenden Flammen und qualmendem Rauch stand. Es gab keinerlei Anzeichen von Leben. Buliwyf und seine Krieger landeten und schritten durch die Stadt Yatlam. Dort lagen die toten Leiber von Männern und Frauen und Kindern, manche von Flammen verzehrt, manche von Schwertern zerhauen -eine Vielzahl von Leichen. Buliwyf und die Krieger sprachen nicht, und doch gab es selbst hier keine Trauer, kein Weinen und keine Kümmernis. Niemals habe ich eine Rasse gesehen, welche den Tod so hinnimmt wie diese Nordmänner. Mir selbst war bei diesen Anblicken oftmals übel, und ihnen erging es niemals dergleichen.
Schließlich sagte ich zu Herger: »Wer hat dies getan?« Herger deutete in das Land hinein, zu den fernab des grauen Ozeans liegenden Wäldern und Hügeln. Dort hing Dunst über den Wäldern. Er deutete hin und sprach nicht. Ich sagte zu ihm: »Ist es der Dunst?« Er sagte zu mir: »Fragt nicht weiter. Ihr werdet es früher wissen, als Ihr wünscht.«
Nun geschah dies: Buliwyf betrat ein schwelendes, abgebranntes Haus und kehrte mit einem Schwert zu unserer Gruppe zurück. Dieses Schwert war sehr groß und schwer und so vom Feuer erhitzt, daß er es mit einem um den Knauf geschlungenen Tuche trug. Wahrlich, ich sah, daß es das größte Schwert war, das ich jemals erblickt. Es war so lange wie mein eigener Leib, und die Klinge war flach und so breit wie die Flächen zweier nebeneinander gelegter Männerhände. Es war so groß und schwer, daß selbst Buliwyf unter seiner Last ächzte. Ich fragte Herger, welch ein Schwert dies sei, und er sagte: »Das ist Runding«, und dann befahl Buliwyf seine gesamte Schar zu dem Boot, und wieder stießen wir in See. Keiner der Krieger blickte zurück auf die brennende Stadt Yatlam; ich allein tat dies, und ich sah die rauchenden Überreste und den Dunst in den Hügeln dahinter.