Der Angriff des Glühwurmdrachens Korgon

Mit dem Einbruch der Dunkelheit kroch nun der Dunst aus den Hügeln hernieder, legte sich wie verstohlene Finger um die Bäume und drang über die grünen Felder auf die Halle namens Hurot und die harrenden Krieger des Buliwyf vor. Hier gab es eine Unterbrechung der Arbeit; aus einem frischen Quell ward Wasser umgeleitet, den seichten Graben zu füllen, und da verstand ich den Sinn des Vorhabens, denn das Wasser verbarg die Pfähle und tieferen Löcher, und dergestalt war der Wassergraben trügerisch für jeden Eindringling. Des weiteren schleppten die Frauen von Rothgar Säcke aus Geißleder voller Wasser von einem Brunnen und begossen die Umzäunung und die Behausungen und das gesamte Äußere der Halle namens Hurot mit Wasser. Überdies tränkten die Krieger des Buliwyf sich in ihrer Rüstung mit Wasser von dem Quell. Die Nacht war klamm und kalt, und da ich dies als ein heidnisches Ritual erachtete, brachte ich Ausflüchte vor, doch ohne Nutzen: Herger begoß mich wie alle übrigen von Kopf bis Fuß. Tropfend und zitternd stand ich da: In Wahrheit schrie ich ob des jähen kalten Wasserschwalles laut auf und begehrte den Grund dafür zu erfahren. »Der Glühwurmdrache besitzt einen feurigen Odem«, sagte Herger zu mir.

Drauf bot er mir einen Becher Met, die Kälte zu lindern, und ich trank diesen Becher Met in einem Zuge und war froh darum. Nun herrschte vollends schwarze Nacht, und die Krieger des Buliwyf harrten der Ankunft des Drachens Korgon, Aller Augen waren auf die Hügel gerichtet, welche nun verloren lagen im Dunste der Nacht. Buliwyf selbst, sein großes Schwert Runding mit sich führend und leise Worte der Ermutigung zu seinen Kriegern sprechend, schritt nun sämtliche Befestigungen ab. Alle harrten schweigend, bis auf einen, den Unterführer Ecthgow. Dieser Ecthgow ist ein Meister mit der Handaxt; in einigem Abstand von sich hatte er einen stattlichen Pfahl aus Holz aufgestellt, und ein ums andere Mal warf er zur Übung mit seiner Handaxt auf diesen hölzernen Pfahl. Tatsächlich verfügte er über zahlreiche Handäxte; ich zählte fünf oder sechs, welche an seinem Gürtel hingen, und weitere in seinen Händen und rund um ihn auf dem Boden verstreut. In gleicher Weise spannte und erprobte Herger seinen Bogen und Pfeil, und ebenso Skeld, denn diese waren die Geschicktesten in der Kunstfertigkeit der nordischen Krieger. Die Pfeile der Nordmänner besitzen eiserne Spitzen und sind höchst auserlesen gefertigt, mit Schäften so gerade wie eine gespannte Schnur. In einem jeglichen Dorf oder Lager verfügen sie über einen Mann, welcher oftmals verkrüppelt ist oder lahm, und dieser ist bekannt als der almsmann; er fertigt die Pfeile und ebenso die Bogen für die Krieger in diesem Gebiete, und für diese almen wird er mit Gold oder Muscheln bezahlt oder, wie ich selbst gesehen habe, mit Speise und Fleisch. (Diese Passage ist offensichtlich die Quelle des aus dem Jahre 1869 stammenden Kommentars des gelehrten Rev Noel Harleigh, wonach »unter den barbarischen Wikingern Moralität so in ihr glattes Gegenteil verkehrt wurde, daß sie unter Almosen die den Waffenherstellern bezahlten Entgelder verstanden« Harleighs viktorianisches Selbstvertrauen übersteigt seine linguistischen Kenntnisse. Das nordische Wort alm bedeutet Ulme, den widerstandsfähigen Baum, aus welchem die Skandinavier Bogen und Pfeile herstellten Es ist reiner Zufall, daß sich das skandinavische »alm« im deutschen Wort Almosen oder im englischen alms wiederfindet, das die gleiche Bedeutung hat (Im allgemeinen nimmt man an, daß das englische »alms«, was ebenso wie das deutsche »Almosen« barmherzige Gaben bedeutet, vom griechischen eleos herrührt, was wiederum Mitleid heißt)

Die Bogen der Nordmänner besitzen nahezu die Länge ihrer Körper und sind aus Birke gefertigt. Das Schießen erfolgt dergestalt: Der Pfeilschaft wird bis zum Ohr zurückgezogen, nicht zum Auge, und von dort losgelassen; und die Kraft ist derart, daß der Schaft sauber den Leib eines Mannes durchschlagen kann und nicht darin steckenbleibt; und ebenso kann der Schaft ein Stück Holz von der Stärke einer Mannerfaust durchdringen. Wahrlich, ich habe solche Kraft in einem Pfeile mit meinen eigenen Augen gesehen, und ich versuchte selbst, einen ihrer Bogen zu führen, doch stellte fest, daß er unhandlich war; denn er war zu groß und widerstrebend für mich.

Diese Nordmänner sind geschickt in allen Arten des Kriegswesens und Tötens mit vielerlei Waffen, welche sie schätzen. Sie sprechen im Kriegswesen von Linien, welches nicht im Sinne der Aufstellung von Kämpfern gemeint ist; denn für sie zählt allein der Kampf des einen Mannes gegen den anderen, welcher sein Feind ist. Die zwei Linien der Kriegsführung unterscheiden sie nach der Waffe. Zum Breitschwert, welches stets in einem Bogen geschwungen wird und nie zum Stechen verwandt, sagen sie: »Das Schwert sucht die Atemlinie«, was für sie den Hals bedeutet und somit das Abtrennen des Hauptes vom Leibe. Zu dem Speer, dem Pfeil, der Handaxt, dem Dolche und den anderen Gerätschaften zum Stechen sagen sie: »Diese Waffen suchen die Fettlinie.« (Linea adeps: wörtlich »Fettlinie«. Obgleich die in dieser Passage enthaltene anatomische Erkenntnis in den seither verstrichenen tausend Jahren von keinem Soldaten jemals bezweifelt worden ist - denn im mittleren Bereich des Körpers befinden sich die lebenswichtigsten Nerven und Blutgefäße -, ist die genaue Herkunft des Begriffes rätselhaft gewesen. In diesem Zusammenhang ist die Feststellung interessant, daß in einer der isländischen Sagas im Jahre 1030 ein verwundeter Krieger erwähnt wird, der einen Pfeil aus seiner Brust zieht und an der Spitze haftende Fettpartikel bemerkt; daraufhin sagt er, sein Herz sei noch immer von Fett umgeben. Die Mehrzahl der Gelehrten ist sich einig, daß es sich hierbei um die ironische Bemerkung eines Kriegers handelt, der genau weiß, daß er tödlich verwundet worden ist, und dies ergibt anatomisch durchaus Sinn.

Der amerikanische Historiker Robert Miller bezog sich im Jahre 1874 auf diese Passage des Ibn Fadlan, als er sagte: »Obgleich sie wilde Krieger waren, besaßen die Wikinger nur armselige Kenntnisse vom Körperbau. Ihre Männer wurden angewiesen, sich den vertikalen mittleren Bereich am Körper des Gegners auszusuchen, doch indem sie so verfuhren, verfehlten sie natürlich das Herz, das nun einmal in der linken Brustseite liegt.«

Die armseligen Kenntnisse müssen vielmehr Miller bescheinigt werden und nicht den Wikingern. Während der letzten paar hundert Jahre glaubte der herkömmliche Mensch westlicher Prägung, das Herz befinde sich in der linken Brustseite; Soldaten legen die Hand aufs Herz, wenn sie der Flagge den Treueid schwören; in unserer Folklore gibt es zuhauf Geschichten von Soldaten, die vom Tode errettet wurden, indem sie eine Bibel in der Brusttasche trugen, welche die tödliche Kugel abfing und so weiter. Tatsächlich befindet sich das Herz in der Körpermitte und erstreckt sich in unterschiedlich starkem Ausmaß in die linke Brustseite; doch eine Verletzung in der Mitte der Brust wird immer das Herz in Mitleidenschaft ziehen.) Mit diesen Worten beziehen sie sich auf den mittleren Teil des Leibes vom Haupte zu den Weichen; eine Wunde in diesem mittleren Bereich bedeutet für sie den sicheren Tod ihres Gegners. Ebenso glauben sie, daß es vorzuziehen sei, ob seiner Weichheit nach dem Bauche zu schlagen denn nach der Brust oder dem Haupte. Wahrlich, Buliwyf und sein Gefolge hielten aufmerksam Wacht in dieser Nacht, und ich mit ihnen. Große Mattigkeit überkam mich bei dieser Wache, und bald schon war ich so müde, als hätte ich eine Schlacht geschlagen, indes sich keine zugetragen. Die Nordmänner waren nicht ermattet, sondern zu jedem Augenblick bereit. Es trifft zu, daß sie die wachsamsten Wesen auf der gesamten Welt sind, stets auf jede Schlacht oder Gefahr vorbereitet; und sie fanden nichts ermüdend in dieser Stellung, welche für sie von Geburt an gewöhnlich ist. Allzeit sind sie umsichtig und wachsam.

Nach einer Weile schlief ich, und Herger weckte mich schroff und dergestalt; Ich verspürte einen gewaltigen Schlag und ein Pfeifen der Luft nahe meinem Haupt, und auf das Öffnen meiner Augen hin sah ich eine Haaresbreite vor meiner Nase einen Pfeil im Holze zittern. Diesen Pfeil hatte Herger abgeschossen, und er und all die anderen lachten mächtig ob meines Ungemachs. Zu mir sagte er: »Wenn Ihr schlaft, werdet Ihr die Schlacht verpassen.« Ich sagte zur Erwiderung, daß dies nach meiner Denkart keinerlei Unglück wäre. Nun nahm Herger seinen Pfeil wieder an sich und setzte sich, da er bemerkte, daß ich durch seinen Streich gekränkt war, neben mich und sprach auf freundschaftliche Weise. In dieser Nacht war Herger ausgesprochen scherzhaft und spaßig gestimmt. Er teilte mit mir einen Becher Met und sprach folgendes: »Skeld ist verhext.« Darob lachte er. Skeld war nicht weit weg, und Herger sprach lauthals, worauf ich erkannte, daß Skeld uns hören sollte; doch sprach Herger in Latein, was für Skeld unverständlich war; vielleicht also gab es einen anderen Grund, welchen ich nicht kenne. Skeld schärfte zu dieser Zeit die Spitzen seiner Pfeile und harrte der Schlacht. Zu Herger sagte ich »Warum ist er verhext?« Als Erwiderung sagte Herger: »Wenn er nicht verhext ist, verwandelt er sich vielleicht in einen Araber, denn er wäscht jeden Tag sein Unterzeug und ebenso seinen Leib. Habt Ihr das nicht wahrgenommen?« Ich antwortete, daß dies nicht der Fall sei. Herger, welcher viel lachte, sagte: »Skeld tut das für diese und jene freigeborene Frau, welche sein Augenmerk erweckt hat. Für sie wäscht er sich jeden Tag und beträgt sich wie ein empfindlicher und zimperlicher Narr. Habt Ihr das noch nicht wahrgenommen?«

Wiederum antwortete ich, daß dies nicht der Fall sei. Darauf sprach Herger: »Was seht Ihr statt dessen?« und lachte viel ob seines eigenen Witzes, welchen ich nicht teilte oder gar zu teilen vorgab, denn mir war nicht nach Lachen zumute. Nun sagt Herger: »Ihr Araber seid zu mürrisch. Ihr grollt die ganze Zeit. In euren Augen ist nichts lächerlich.«

Hierauf sagte ich, daß er falscher Meinung sei. Er verlangte, ich sollte eine lustige Geschichte erzählen, und ich berichtete ihm vom Vortrag eines berühmten Predigers. Ihr kennt sie wohl. Ein berühmter Prediger steht auf der Kanzel der Moschee, und aus dem ganzen Umkreis haben sich Männer und Frauen versammelt, seine edlen Worte zu hören. Ein Mann namens Hamit legt Umhang und Schleier an und setzt sich unter die Frauen. Der berühmte Prediger sagt: »Gemäß den Gesetzen des Islam ist es erstrebenswert, daß man sein Schamhaar nicht zu lang wachsen läßt.« Ein Zuhörer fragt: »Wie lang ist zu lang, o Prediger?« Jedermann kennt diese Geschichte; es handelt sich in der Tat um einen derben Scherz. Der Prediger erwidert: »Es sollte nicht länger denn ein Gerstenhalm sein.« Nun fragt Hamid die Frau neben ihm: »Schwester, bitte seht nach und sagt mir, ob mein Schamhaar länger ist denn ein Gerstenhalm.« Die Frau greift unter Hamids Umhang und tastet nach seinem Schamhaar, worauf ihre Hand sein Glied berührt. In ihrer Überraschung stößt sie einen Schrei aus. Der Prediger vernimmt diesen und ist hocherfreut. Zu seinen Zuhörern sagt er: »Ihr solltet alle die Kunst lernen, einer Predigt dergestalt beizuwohnen wie diese Dame, denn ihr könnt erkennen, wie sehr sie dies im Herzen rührt.« Und die Frau, welche noch immer erschrocken, wartet mit dieser Erwiderung auf: »Es hat mich nicht im Herzen gerührt, es hat meine Hand berührt.« Herger lauschte all meinen Worten mit ausdrucksloser Miene. Niemals lächelte er oder lachte gar. Als ich geendet hatte, sagte er: »Was ist ein Prediger?« Darauf sagte ich, er sei ein dummer Nordmann, welcher nichts von der Weite der Welt wisse. Und auf dieses hin lachte er, wohingegen er ob der Geschichte nicht lachte. Nun stieß Skeld einen Schrei aus, und sämtliche Krieger des Buliwyf, darunter ich, wandten den Blick den Hügeln hinter der Decke aus Dunst zu. Hier folgt, was ich sah: hoch in der Luft und weit entfernt ein feurig glühender Lichtpunkt, wie ein gleißender Stern. Sämtliche Krieger sahen ihn, und es gab allerlei Gemurmel und Ausrufe unter ihnen.

Bald tauchte ein zweiter Lichtpunkt auf und noch ein anderer und ein weiterer. Ich zählte über ein Dutzend, und darauf zählte ich nicht weiter. Diese glühenden Feuerpunkte tauchten in einer Reihe auf, welche sich wand wie eine Schlange, oder, wahrlich, wie der sich windende Leib eines Drachens. »Seid nun bereit«, sagte Herger zu mir und überdies die Redensart der Nordmänner: »Glück in der Schlacht.« Diesen Wunsch erwiderte ich ihm mit den nämlichen Worten, und er zog von dannen.

Die glühenden Feuerpunkte waren noch immer weit entfernt, doch sie rückten näher. Nun vernahm ich ein Geräusch, welches ich für Donner hielt. Dieses war ein tiefes, fernes Grollen, welches in der dunstigen Luft anschwoll, wie dies im Dunste alle Töne tun. Denn wahrlich, es trifft zu, daß eines Mannes Flüstern im Dunste einhundert Schritt entfernt so deutlich vernommen werden kann, als ob er einem ins eigene Ohr flüstert. Nun hielt ich Ausschau und lauschte, und sämtliche Krieger des Buliwyf ergriffen ihre Waffen und hielten Ausschau und lauschten gleichermaßen, und der Glühwurmdrache namens Korgon stieß herab auf uns mit Donner und Flamme. Ein jeglicher gleißender Punkt ward größer und unheilvoll rot und zuckend und züngelnd; der Leib des Drachens war lang und glitzernd, ein Anblick höchst grimmer Art, und doch empfand ich keine Angst, denn ich entschied nun, daß es sich um Reiter mit Fackeln handeln müßte, und dies erwies sich als wahr. Sodann drangen bald die Reiter aus dem Dunst hervor, schwarze Gestalten mit erhobenen Fackeln, schwarze Rösser in schnaubendem Ansturm, und die Schlacht ward handgemein. Augenblicklich war die Nachtluft erfüllt von grausigem Brüllen und Schmerzensschreien, denn der erste Ansturm der Reiter war auf den Graben gestoßen, und viele Tiere strauchelten und stürzten und entledigten sich ihrer Reiter, und die Fackeln verzischten im Wasser. Andere Pferde suchten den Zaun zu überspringen und wurden gepfählt von den spitzen Stangen. Ein Stück des Zaunes fing Feuer. Krieger rannten in alle Richtungen.

Nun sah ich einen der Berittenen durch das brennende Stück des Zaunes hindurchjagen, und zum ersten Male konnte ich deutlich diesen Wendol erkennen, und wahrlich, ich sah dies: Auf einem schwarzen Rosse ritt eine menschliche Gestalt von schwarzer Färbung, doch ihr Haupt war das Haupt eines Bären. Eine Zeitlang ward ich von einem höchst entsetzlichen Schreck befallen, und ich fürchtete, ich würde einzig aus Furcht sterben, denn niemals zuvor hatte ich einen solch alptraumhaften Anblick erlebt; doch im nämlichen Augenblicke war die Handaxt des Ecthgow tief in den Rücken des Reiters gegraben, welcher umstürzte und fiel, und des Bären Haupt rollte von seinem Leib, und ich sah, daß er darunter das Haupt eines Mannes besaß.

Flink wie ein Blitzstrahl sprang Ecthgow auf das gefallene Wesen, stach ihm tief in die Brust, drehte den Leichnam um und löste die Handaxt aus dem Rücken und stürmte erneut in die Schlacht. Ich geriet ebenso in die Schlacht, denn durch den Hieb mit einer Lanze ward ich jählings von den Beinen gerissen. Viele Reiter mit lodernden Fackeln befanden sich nun innerhalb des Zaunes; manche trugen die Häupter von Bären und manche wiederum nicht; im Kreise ritten sie um die Bauten und die Hurot-Halle und suchten sie in Brand zu stecken. Wacker fochten Buliwyf und seine Krieger wider dies an.

Ich kam auf die Beine, als eines der Dunstwesen mit rasendem Rosse just auf mich einstürmte. Wahrlich, ich tat dies: Ich stand festen Fußes am Boden und hielt die Lanze aufwärts, und ich dachte, der Aufprall würde mich zerschmettern. Doch die Lanze drang durch den Leib des Reiters, und er schrie höchst erschreckend auf, doch fiel er nicht von seinem Tiere und ritt weiter. Keuchend vor Schmerzen in meinem Bauche, sank ich nieder, doch war ich, bis auf einen kurzen Augenblick, nicht wirklich verletzt.

Im Verlaufe dieser Schlacht schossen Herger und Skeld ihre zahllosen Pfeile ab, und die Luft war erfüllt von ihrem Pfeifen, und sie erzielten zahllose Treffer. Ich sah den Pfeil des Skeld durch den Hals eines Reiters dringen und dort steckenbleiben; dann wiederum sah ich Skeld und Herger zugleich einem Manne die Brust durchbohren, und so flink hatten sie wiederum den Bogen gespannt, daß der nämliche Reiter bald vier in seinen Leib gegrabene Schäfte aufwies, und sein Geschrei war höchst grausig, indes er dahinritt. Doch ich erfuhr, daß diese Tat von Herger und Skeld als schlechtes Streiten betrachtet ward, denn die Nordmänner glauben, daß Tieren nichts Heiliges innewohnt; daher besteht für sie die wahre Aufgabe der Pfeile darin, Pferde zu töten, um die Reiter zu stürzen. Sie sagen dazu: »Ein Mann ohne sein Pferd ist ein halber Mann und doppelt leicht zu töten.« Dergestalt verfahren sie ohne jegliches Zögern. Nun sah ich ebenso dieses: Ein Reiter, tief über sein galoppierendes schwarzes Pferd gebeugt, stürmte in das Lager und ergriff den Leib des Ungeheuers, welches Ecthgow erschlagen, warf ihn über seines Pferdes Hals und ritt davon, denn wie ich gesagt habe, hinterlassen diese Dunstwesen keinerlei Tote im Morgenlicht. Eine beträchtliche Zeitspanne tobte die Schlacht im Lichte der durch den Dunst lodernden Feuer. Ich sah Herger in mörderischem Gefecht mit einem der Unholde; ich ergriff eine frische Lanze und trieb sie tief in des Wesens Rücken. Bluttriefend hob Herger zum Danke den Arm und stürzte sich zurück ins Gefecht. Hierauf empfand ich großen Stolz. Nun suchte ich meine Lanze herauszuziehen, und derweil ich dies tat, ward ich von einem vorbeistürmenden Reiter beiseite geschleudert, und von diesem Zeitpunkte an erinnere ich mich wahrhaftig wenig. Ich sah, daß eine der Behausungen der Edlen des Rothgar mit gierig züngelnder Flamme brannte, doch daß die getränkte Hurot-Halle noch immer unangetastet war, und ich war froh, als ob ich selbst ein Nordmann wäre, und dergestalt waren meine letzten Gedanken.

Bei Tagesanbruch ward ich geweckt durch eine Art Abwaschung meiner Gesichtshaut und war erfreut ob der zarten Berührung. Bald darauf erkannte ich, daß ich die Zuwendung eines leckenden Hundes empfing, und fühlte mich sehr wie ein trunkener Tor und war beschämt, wie man sich wohl vorstellen kann. (Die Mehrzahl der frühen Übersetzer von Ibn Fadlans Manuskript waren Christen ohne jede Kenntnis der arabischen Kultur, und ihre Übertragungen dieser Passage spiegeln diese Unwissenheit wider In einer sehr freien Übersetzung formuliert der Italiener Lacalla (1847) »Am Morgen erwachte ich aus meiner trunkenen Starre wie ein gewöhnlicher Hund und war wegen meines Zustandes sehr beschämt « Und Skovmand schließt in seinem Kommentar aus dem Jahre 1919 kurzerhand, daß »man Ibn Fadlans Geschichten keinen Glauben schenken kann, da er während der Schlachten betrunken war und dies auch eingesteht«. Wohlmeinender war da Du Chatellier, ein gestandener Wikingophile, der 1908 meinte: »Der Araber erlag bald schon dem Rausche der Schlacht, welcher die Grundessenz nordischen Heldenmutes darstellt.« Ich bin dem Sufi-Gelehrten Massud Farzan zu Dank verpflichtet, daß es mir die Anspielung erklärte, die Ibn Fadlan hier macht. Tatsächlich vergleicht er sich mit einer Gestalt aus einem sehr alten arabischen Scherz:

Ein betrunkener Mann fallt am Straßenrand in sein eigenes Erbrochenes. Ein Hund kommt des Weges und leckt ihm das Gesicht ab. Der Betrunkene nimmt an, ein freundlicher Mensch reinige ihm das Gesicht, und sagt dankbar: »Möge Allah deine Kinder gehorsam machen.« Dann hebt der Hund das Bein und uriniert auf den Betrunkenen, welcher erwidert: »Und möge Gott dich schützen, Bruder, daß du warmes Wasser gebracht hast, mein Gesicht zu waschen.« Im Arabischen beinhaltet dieser Scherz das übliche Verbot der Trunkenheit, aber auch den subtilen Hinweis, daß Alkohol khmer ist oder Schmutz, genauso wie Urin. Wahrscheinlich erwartet Ibn Fadlan vom Leser keineswegs, daß er annimmt, er sei jemals betrunken gewesen, sondern vielmehr, daß es ihm glücklicherweise erspart blieb, von einem Hund bepinkelt zu werden, so wie er zuvor dem Tod in der Schlacht entrann; es handelt sich, mit anderen Worten, um eine Anspielung darauf, daß er ein weiteres Mal um Haaresbreite davongekommen war.) Nun sah ich, daß ich in dem Graben lag, wo das Wasser rot war wie das eigene Blut; ich erhob mich und schritt durch das rauchende Lager, vorbei an Tod und Zerstörung in jedweder Gestalt. Ich sah, daß die Erde mit Blut getränkt war wie von einem Regen, mit zahllosen Pfützen. Ich sah die Leiber der erschlagenen Edlen und toten Frauen und Kinder desgleichen. Überdies sah ich drei oder vier, deren Leiber verkohlt und verkrustet waren vom Feuer. All diese Leiber lagen überall auf der Erde, und ich war gezwungen, die Augen gesenkt zu halten, wollte ich nicht auf sie treten, so dicht lagen sie hingebreitet.

Von den Verteidigungswerken war eine Vielzahl der Zaunpfähle hinfort gebrannt. Auf anderen Stücken lagen Pferde kalt und gepfählt. Fackeln waren hier und dort verstreut. Ich erblickte keinen der Krieger des Buliwyf. Keinerlei Schreie oder Klagen erhoben sich im Königreich des Rothgar, denn die Menschen des Nordens beweinen keine Toten, sondern es lag, im Gegenteil, eine ungewöhnliche Stille in der Luft. Ich vernahm das Krähen eines Hahnes und das Bellen eines Hundes, doch keinerlei menschliche Stimmen im Tageslicht. Darauf betrat ich die große Halle namens Hurot, und hier fand ich zwei Leiber auf Stroh gebettet, mit den Helmen auf ihrer Brust. Da war Skeld, ein Edler des Buliwyf; da war Helfdane, zuvor verwundet und nun kalt und bleich. Beide waren tot. Überdies war da Rethel, der jüngste der Krieger, welcher aufrecht in einer Ecke saß und von Sklavinnen umsorgt ward. Rethel war zuvor schon verletzt, doch er hatte eine frische Wunde im Bauche, und es floß viel Blut; sicherlich peinigte sie ihn heftig, und doch zeigte er nur Fröhlichkeit, und er lächelte und neckte die Sklavinnen, indem er sie in ihre Brüste und Hinterbacken kniff, und oftmals schalten sie ihn darob, daß er sie ablenkte, derweil sie seine Wunden zu verbinden suchten. Hier ist die Art der Behandlung von Wunden gemäß ihres Wesens. So ein Krieger an den Gliedmaßen verwundet wird, entweder der Arm oder das Bein, wird ein Verband um diese Gliedmaßen gebunden, und in Wasser gekochte Tücher werden zum Abdecken über die Wunde gelegt. Überdies, so erklärte man mir, können Spinnenweben oder kleine Stücken Lammwolle in die Wunde geführt werden, um das Blut zu verdicken und seinen Fluß zu unterbinden; dieses beobachtete ich indes nie.

So ein Krieger am Haupt oder am Hals verwundet wird, wird seine Verletzung sauber gebadet und von den Sklavinnen untersucht. So die Haut aufgerissen ist, doch die weißen Knochen heil, dann sagen sie von einer solchen Wunde: »Es ist nichts von Gewicht.« Doch so die Knochen geborsten sind oder auf gewisse Art aufgebrochen, dann sagen sie: »Sein Leben strömt aus und verrinnt bald.« So ein Krieger an der Brust verwundet wird, befühlen sie seine Hände und Füße, und so diese warm sind, sagen sie von einer solchen Wunde: »Es ist nichts von Gewicht.« Doch so der Krieger hustet oder Blut erbricht, sagen sie! »Er spricht in Blut«, und sie betrachten dies als höchst ernsthaft. Ein Mann kann an diesem blutsprechenden Leiden sterben oder nicht, wie es sein Schicksal bestimmt. So ein Krieger am Unterleib verwundet ist, nähren sie ihn mit einer Suppe aus Zwiebeln und Kräutern; darauf riechen die Frauen an seinen Wunden, und so sie Zwiebeln riechen, sagen sie: »Er hat das Suppenleiden«, und sie wissen, daß er sterben wird.

Ich sah mit eigenen Augen die Frauen eine Suppe aus Zwiebeln für Rethel bereiten, welcher einen gut Teil davon trank; und die Sklavinnen rochen an seiner Wunde, und sie rochen den Duft der Zwiebeln. Darauf lachte Rethel und scherzte auf derbe Weise und verlangte nach Met, welcher ihm gebracht ward, und er zeigte keine Spur von Kümmernis.

Nun besprachen sich Buliwyf, der Anführer, und seine sämtlichen Krieger an einem anderen Ort in der großen Halle. Ich schloß mich ihrer Runde an, doch ward mir keine Begrüßung entboten. Herger, dessen Leben ich gerettet, schenkte mir keinerlei Augenmerk, denn die Krieger befanden sich vertieft in eine ernsthafte Besprechung. Ich hatte einige Brocken der nordischen Sprache gelernt, doch nicht ausreichend, um ihren leisen und rasch gesprochenen Worten zu folgen, und so begab ich mich zu einem anderen Orte und trank etwas Met und spürte die Gebrechen meines Leibes. Darauf kam eine Sklavin, meine Wunden zu baden. Diese bestanden aus einem Schnitt in der Wade und einem weiteren an meiner Brust. Für diese Verletzungen war ich unempfänglich gewesen bis zu der Zeit, da sie mir ihre Zuwendung schenkte. Die Nordmänner baden ihre Wunden mit Meerwasser aus dem Ozean, da sie glauben, daß dieses Wasser mehr Heilkräfte besitze denn Quellwasser. Solches Baden mit Meerwasser ist nicht angenehm für die Wunde. In Wahrheit stöhnte ich, und auf dieses hin lachte Rethel und sprach zu einer Sklavin: »Er ist noch immer ein Araber.« Hierauf war ich beschämt.

Überdies baden die Nordmänner Wunden im erhitzten Harn von Kühen. Dies lehnte ich ab, als es mir angeboten ward. Die Menschen des Nordens betrachten Kuhharn als einen wunderbaren Stoff und bewahren ihn in hölzernen Behältnissen auf. Für gewöhnlich kochen sie ihn, bis er dick ist und in der Nase brennt, und dann gebrauchen sie diese widerliche Flüssigkeit zum Waschen, zuvorderst von groben weißen Gewändern. (Urin enthält einen hohen Anteil an Ammoniak, ein hervorragendes Reinigungsmittel.)

Überdies ward mir erzählt, daß die Menschen des Nordens sich zur einen oder anderen Zeit auf einer langen Seereise befinden können und keine Vorräte an frischem Wasser zur Hand haben, und daher trinkt ein jeglicher Mann seinen eigenen Harn, und auf diese Weise können sie überleben, bis sie das Gestade erreichen. Dies ward mir erzählt, doch dank der Gnade Allahs sah ich es nie. Nun kam Herger zu mir, denn die Besprechung der Krieger war am Ende angelangt. Die Sklavin, welche mich umsorgt, hatte meine Wunden höchst beunruhigend zum Brennen gebracht; doch war ich entschlossen, nach der Nordmänner Art eine große Fröhlichkeit kundzutun. Ich sagte zu Herger: »Welch unbedeutende Angelegenheit wollen wir danach unternehmen?« Herger blickte auf meine Wunden und sagte zu mir: »Ihr könnt gut genug reiten.« Ich fragte, wohin wir reiten wollten, und in Wahrheit verlor ich mit einem Male jegliche Fröhlichkeit, denn ich verspürte große Ermüdung und keine Kraft zu nichts denn Ruhe. Herger sagte; »Heute nacht wird der Glühwurmdrache wiederum angreifen. Doch wir sind nun zu schwach und unsere Mannen zu gering. Unsere Verteidigungswerke sind niedergebrannt und zerstört. Der Glühwurmdrache wird uns alle töten.«

Diese Worte sprach er ruhig. Ich sah dies und sagte zu Herger: »Wohin reiten wir denn?« Ich vermeinte, daß Buliwyf und sein Gefolge aufgrund ihrer schweren Verluste das Königreich des Rothgar verlassen könnten. Darin erfuhr ich keinen Widerspruch.

Herger sagte zu mir: »Ein Wolf, welcher in seinem Bau liegt, gewinnt niemals Fleisch, oder ein schlafender Mann einen Sieg.« Dies ist ein Sprichwort der Nordmänner, und daraus entnahm ich ein anderweitiges Vorhaben: daß wir die Dunstungeheuer zu Pferde anzugreifen gedachten, wo sie lagerten, in den Bergen oder den Hügeln. Ohne große Beherztheit erkundigte ich mich bei Herger, wann dies geschehen sollte, und Herger teilte mir mit, zur mittleren Stunde des Tages.

Nun sah ich außerdem, daß ein Kind die Halle betrat und in seinen Händen einen Gegenstand aus Stein trug. Dieser ward von Herger untersucht, und es war ein weiteres kopfloses Steinbildnis einer schwangeren Frau, aufgedunsen und häßlich. Herger schrie einen Fluch und ließ den Stein aus seinen bebenden Händen fallen. Er rief nach der Sklavin, welche den Stein nahm und ihn ins Feuer legte, wo ihn die Hitze der Flammen bersten und in Trümmer zersplittern ließ. Diese Trümmer wurden darauf in die See geworfen, oder jedenfalls erzählte Herger mir dies. Ich fragte, was die Bedeutung des behauenen Steines sei, und er sagte zu mir: »Dies ist das Abbild der Mutter der Verzehrer der Toten, derjenigen, welche über sie herrscht und sie im Verzehren anweist.« Nun sah ich, daß Buliwyf, welcher in der Mitte der großen Halle stand, zum Arm des einen der Unholde blickte, welcher noch immer vom Sparren hing. Dann blickte er auf die zwei Leiber seiner erschlagenen Gefährten und den verbleichenden Rethel, und seine Schultern sanken, und sein Kinn fiel auf die Brust. Und darauf schritt er an ihnen vorbei und aus der Tür hinaus, und ich sah ihn seinen Panzer anlegen und sein Schwert ergreifen und sich aufs neue für die Schlacht vorbereiten.

Загрузка...