Die Ereignisse in der Folge der ersten Schlacht

Wahrlich, das Volk der Nordlande betragt sich niemals wie menschliche Wesen von Vernunft und Verstand. Nach dem Angriff der Dunstungeheuer und ihrem Zurückschlagen durch Buliwyf und sein Gefolge, darunter auch ich, unternahmen die Mannen aus dem Königreich des Rothgar nichts. Es gab keinerlei Feierlichkeit, kein Gelage, kein Jubilieren oder Frohlocken. Von weit und fern kamen die Menschen des Königreiches, den herabbaumelnden Arm des Unholdes zu betrachten, welcher in der großen Halle hing, und dies begrüßten sie mit großem Erstaunen und Verwunderung. Doch Rothgar selbst, der halbblinde alte Mann, verriet keinerlei Freude und überreichte Buliwyf und seinem Gefolge keinerlei Geschenk, bereitete keinerlei Gelage, bedachte ihn mit keinerlei Sklaven, keinerlei Silber, keinerlei kostbaren Gewändern oder einem anderen Zeichen der Ehre. Anstatt seiner Freude Ausdruck zu verleihen, zog König Rothgar ein langes Gesicht und war ernst und schien furchtsamer denn zuvor. Ich selbst argwöhnte, obgleich ich es nicht laut aussprach, daß Rothgar dem früheren Zustande, bevor der schwarze Dunst geschlagen war, den Vorzug gab. Noch betrug sich Buliwyf in seinem Verhalten anders. Er forderte zu keinerlei Feierlichkeiten auf, keinem Gelage, keinem Trinken und Speisen. Die Edlen, welche in der nächtlichen Schlacht so wacker gestorben, wurden eilends in Gruben mit hölzernem Dach darüber gelegt und dort für die festgesetzten zehn Tage belassen. Diese Angelegenheit ward hastig ausgeführt.

Doch geschah es nun beim Hinbetten der toten Krieger, daß Buliwyf und seine Gefährten Heiterkeit zeigten oder sich ein Lächeln gestatteten. Nach einer weiteren Zeitspanne unter den Nordmännern erfuhr ich, daß sie angesichts eines jeglichen Toten in der Schlacht lächeln, denn dies wird als Ausdruck der Freude im Namen der Getöteten betrachtet, und nicht der Lebenden. Sie sind erfreut, wenn ein Mann den Schlachtentod stirbt. Überdies halten sie das Gegenteil für wahr; sie zeigen sich bekümmert, wenn ein Mann im Schlafe stirbt oder in einem Bett. Von einem solchen Manne sagen sie: »Er starb wie eine Kuh im Stroh.« Dies ist keine Beleidigung, sondern es ist ein Grund, den Toten zu beklagen.

Die Nordmänner glauben, daß die Art, wie ein Mann stirbt, über seinen Zustand im Leben nach dem Tode entscheidet, und den Tod als Krieger in der Schlacht schätzen sie über alles. Ein »Strohtod« ist schändlich. Von einem jeglichen Manne, welcher im Schlafe stirbt, heißt es, er sei durch die Maran oder Mahr der Nacht erdrosselt worden. Dieses Wesen ist eine Frau, wodurch ein solcher Tod als schändlich gilt, denn durch die Hände einer Frau zu sterben, das ist über alle Maßen erniedrigend. Überdies sagen sie, ohne Waffen zu sterben, ist erniedrigend, und ein Krieger der Nordmänner schläft stets mit seinen Waffen, damit er, wenn des Nachts die Maran kommt, seine Waffen zur Hand hat. Selten stirbt ein Krieger an einer Krankheit oder durch die Gebrechen des Alters. Ich hörte von einem König mit Namen Ane, welcher bis zu einem solchen Alter lebte, daß er einem Kinde gleich ward, zahnlos und von der Speise eines Kindes zehrend, und er verbrachte all seine Tage im Bett und trank Milch aus einem Horn. Doch ward mir dies als höchst ungewöhnlich im Nordlande berichtet. Mit eigenen Augen sah ich wenige alt gewordene Männer, womit ich alt geworden bis zu der Zeit meine, da der Bart nicht nur weiß ist, sondern an Kinn und Antlitz ausfällt. Viele ihrer Frauen leben bis zu einem hohen Alter, zumal solche wie das alte Weib, welches sie Engel des Todes nennen; diesen alten Frauen wird der Besitz magischer Kräfte zum Heilen von Wunden, Anwenden von Sprüchen, Bannen übler Einflüsse und Voraussagen künftiger Ereignisse nachgesagt.

Die Frauen des Nordvolkes kämpfen nicht untereinander, und oftmals sah ich sie vermitteln in einem sich anbahnenden Zank oder Zweikampf zweier Männer und den wachsenden Zorn ersticken. Dergestalt verfahren sie besonders dann, so die Krieger getrübt und langsam sind vom Trunke. Dies ist oftmals der Umstand. Nun tranken die Nordmänner, welche viel Alkohol zu sich nehmen und dies zu jeglicher Stunde des Tages und der Nacht, am Tag nach der Schlacht nichts. Selten bot das Volk des Rothgar ihnen einen Becher dar, und wenn dies geschah, so ward der Becher zurückgewiesen. Dies fand ich höchst verwunderlich und sprach schließlich Herger darauf an.

Herger bewegte in der Nordmänner Geste für Gleichgültigkeit oder Teilnahmslosigkeit seine Schultern. »Das ist so, weil sie wissen, daß der schwarze Dunst wiederkehren wird.« Nun räume ich ein, daß ich aufgeblasen war vor Dünkel und mich wie ein kampferprobter Mann betrug, obgleich ich in Wahrheit wußte, daß mir solch eine Haltung nicht zustand. Dennoch empfand ich Hochgefühl ob meines Überlebens, und das Volk des Rothgar behandelte mich wie einen Mann im Gefolge mächtiger Krieger. Keck sagte ich: »Wen kümmert das? Wenn sie wiederkommen, werden wir sie ein zweites Mal schlagen.« Tatsächlich war ich eitel wie ein junger Hahn, und heute schäme ich mich eingedenk meiner Prahlerei. Herger erwiderte: »Das Königreich des Rothgar besitzt keine kampferprobten Krieger oder Edle; sie sind alle seit langem tot, und wir allein müssen das Königreich verteidigen. Gestern waren wir dreizehn. Heute sind wir zehn, und von diesen zehn sind zwei verwundet und können nicht als ganze Männer kämpfen. Der schwarze Dunst ist gereizt, und er wird schreckliche Rache nehmen.« Ich sagte zu Herger, welcher in dem Gefecht einige leichte Wunden erlitten hatte - doch keine so heftige wie die Klauenspuren in meinem Antlitz, welche ich mit Stolz trug -, daß ich keinerlei Unterfangen der Dämonen fürchtete. Er antwortete kurzum, daß ich ein Araber sei und nichts von den Bräuchen der Nordlande verstünde, und er erzählte mir, daß die Rache des schwarzen Dunstes schrecklich und gründlich sein werde. Er sagte: »Sie werden als Korgon wiederkehren.«

Ich kannte den Sinn des Wortes nicht. »Was ist Korgon?« Er sagte zu mir: »Der Glühwurmdrache, welcher durch die Luft herabstößt.«

Dies schien nun allzu verstiegen, doch hatte ich bereits die Seeungeheuer erlebt, just als sie sagten, daß solche Bestien wirklich lebten, und überdies sah ich Hergers müde und erschöpfte Miene, und ich nahm an, daß er an den Glühwurmdrachen glaubte. Ich sagte: »Wann wird Korgon kommen?«

»Vielleicht schon heute nacht«, sagte Herger. Wahrlich, selbst als er sprach, sah ich, daß Buliwyf, obgleich er während der ganzen Nacht nicht geschlafen hatte und seine Augen rot und schwer waren vor Müdigkeit, neuerlich die Errichtung von Verteidigungswerken um die Halle namens Hurot leitete. Sämtliche Menschen des Königreiches arbeiteten, die Kinder und die Frauen und die alten Männer und die Sklaven ebenso, unter der Anweisung des Buliwyf und seines Stellvertreters Ecthgow. Dergestalt verfuhren sie: Ungefähr an der Grenze von Hurot und den angrenzenden Bauwerken, welche die Behausungen des Königs Rothgar und einiger seiner Edlen waren, und den ungeschlachten Hütten der Sklaven dieser Familien und des einen oder anderen unter den Landmännern, welche nächst der See lebten, rund um diesen ganzen Bereich ließ Buliwyf eine Art Zaun aus gekreuzten Lanzen und Pfählen mit scharfen Spitzen errichten. Dieser Zaun war nicht höher denn eines Mannes Schulter, und obzwar die Spitzen scharf und bedrohlich waren, vermochte ich den Wert dieses Verteidigungswerkes nicht zu erkennen, denn Männer konnten es mit Leichtigkeit erklimmen. Darob sprach ich zu Herger, welcher mich einen törichten Araber hieß. Herger befand sich in schlechter Stimmung. Nun ward ein weiteres Verteidigungswerk angelegt, ein Graben außerhalb des Pfahlzaunes, ein und einen halben Schritt davor. Dieser Graben war höchst befremdlich. Er war nicht tief, an keiner Stelle tiefer denn eines Mannes Knie und oftmals weniger. Er war ungleichmäßig ausgehoben, so daß er an einigen Stellen flach war und an anderen Stellen tiefer, mit kleinen Gruben. Und an manchen Stellen wurden kurze Lanzen mit aufwärts gerichteten Spitzen in die Erde getrieben.

Der Wert dieses dürftigen Grabens erschloß sich mir nicht mehr denn der des Zaunes, doch erkundigte ich mich, bereits um seinen Unmut wissend, nicht bei Herger. Statt dessen half ich nach besten Kräften bei dem Werke, wobei ich nur einmal innehielt, um nach der Nordmänner Art meinen Umgang mit einer Sklavin zu haben, denn durch die Aufregung der nächtlichen Schlacht und der Vorbereitungen des Tages war ich voller Tatendrang. Nun hatte mir Herger während meiner Reise mit Buliwyf und seinen Kriegern die Wolga hinauf erzählt, daß unbekannten Frauen, zumal wenn sie bezaubernd und verführerisch, nicht zu trauen sei. Herger sagte zu mir, daß in den, Wäldern und wilden Stätten der Nordlande Frauen leben, welche Waldfrauen genannt werden. Diese Waldfrauen locken Männer mittels ihrer Schönheit und sanften Worte, doch wenn ein Mann ihnen naht, so stellt er fest, daß sie an der Rückseite hohl sind und Erscheinungen. Darauf sprechen die Waldfrauen einen Bann über den verführten Mann aus, und er wird ihr Gefangener. Nun hatte mich Herger dergestalt gewarnt, und wahrlich, es trifft zu, daß ich mich dieser Sklavin mit Beklommenheit näherte, da ich sie nicht kannte. Und ich befühlte mit der Hand ihren Rücken, und sie lachte; denn sie kannte den Grund der Berührung: mich zu versichern, daß sie kein Waldgeist war. Zu jener Zeit fühlte ich mich wie ein Narr und verfluchte mich, weil ich einem heidnischen Aberglauben Vertrauen geschenkt. Doch habe ich entdeckt, daß man, wenn alle um einen herum an etwas Bestimmtes glauben, bald versucht ist, diesen Glauben zu teilen, und so geschah es mit mir.

Die Frauen des nördlichen Volkes sind so bleich wie die Männer und ebenso groß von Gestalt; der größere Teil von ihnen blickt auf meinen Kopf herab. Die Frauen besitzen blaue Augen und tragen ihr Haar sehr lang, doch ist das Haar fein und leicht zerzaust. Daher raffen sie es über dem Hals und auf dem Kopfe zusammen; zur Unterstützung dessen haben sie für sich allerlei Arten von Klammern und Nadeln aus verziertem Silber oder Holz gefertigt. Diese stellen ihren vornehmlichen Schmuck dar. Überdies trägt das Weib eines reichen Mannes, wie ich bereits früher gesagt habe, Ketten aus Gold und Silber; zudem schätzen die Frauen Armreifen aus Silber in der Gestalt von Drachen und Schlangen, und diese tragen sie am Arm zwischen Ellenbogen und Schulter. Die Muster des Nordvolkes sind verwebt und verschlungen, als ob sie das Flechtwerk von Baumzweigen oder die Windungen von Schlangen darstellen wollen; diese Muster sind überaus schön. (Diese Ansicht ist gerade für einen Araber bezeichnend, denn die religiöse Kunst des Islam tendiert zum Nichtgegenständlichen und ähnelt m ihrer Machart durchaus der skandinavischen Kunst, die oftmals reine Ziermuster zu bevorzugen scheint Allerdings hatten die Normannen keinerlei Einwände gegen die Darstellung von Göttern und taten dies auch häufig.) Die Menschen des Nordens betrachten sich als kundige Kenner der Schönheit bei Frauen. Doch in Wahrheit schienen all ihre Frauen in meinen Augen ausgemergelt und ihre Leiber kantig und von klobigem Knochenbau; ebenso sind ihre Gesichter knochig und die Wangen hochliegend. Diese Eigenheiten schätzen und preisen die Nordmänner, obzwar eine solche Frau in der Stadt des Friedens keinerlei Blick anlocken und nicht höher eingeschätzt würde als ein halb verhungerter Hund mit hervorstehenden Rippen. Die Nordfrauen besitzen Rippen, welche just in nämlicher Weise hervorstehen.

Ich weiß nicht, weshalb die Frauen so dünn sind, denn sie essen mit Genuß und ebensoviel wie die Männer, doch an ihren Leibern erlangen sie kein Fleisch. Überdies zeigen die Frauen keinerlei Ehrerbietung oder vornehmes Betragen; sie sind nie verschleiert, und sie erleichtern sich an öffentlichen Orten, wie es ihrem Drang zupasse kommt. Desgleichen machen sie einem jeglichen Manne, welcher ihr Wohlgefallen findet, kecke Anträge, als ob sie selbst Männer wären; und die Krieger tadeln sie darob nie. Selbst wenn es sich bei der Frau um eine Sklavin handelt, ist dies der Fall, denn wie ich gesagt habe, sind die Nordmänner höchst freundlich und nachsichtig zu ihren Sklaven, besonders zu den weiblichen Sklaven. Mit dem Fortschreiten des Tages erkannte ich deutlich, daß die Verteidigungswerke des Buliwyf bis zum Anbruch der Nacht nicht vollendet würden, weder der Pfahlzaun noch der seichte Graben. Buliwyf erkannte dies ebenso und rief nach König Rothgar, welcher das alte Weib herbeibefahl. Dieses alte Weib, welches verdorrt war und den Bart eines Mannes besaß, tötete ein Schaf und breitete die Eingeweide (wörtlich Adern Die arabische Formulierung hat zu manchem Irrtum unter Gelehrten geführt. So hat zum Beispiel E D Graham geschrieben, daß »die Wikinger die Zukunft voraussagten, indem sie die Adern von Tieren herausschnitten und auf dem Boden ausbreiteten« Dies ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch; die arabische Formulierung für das Töten eines Tieres lautet »die Adern durchtrennen«, und Ibn Fadlan bezog sich hier auf die weitverbreitete Praxis der Weissagung mittels Ausbreitens der Eingeweide Linguisten, die ständig mit volkstümlichen Formulierungen zu tun haben, mögen derart widersprüchliche Bedeutungen ganz besonders, eines von Halsteads Lieblingsbeispielen ist die Bedeutung des Warnrufes »Obacht!«, der im allgemeinen das Gegenteil bedeutet daß man schleunigst in Deckung gehen sollte) auf dem Boden aus. Darauf stimmte sie eine Vielzahl von geheiligten Gesängen an, welche eine längere Zeit währten, und mancherlei Fürbitten an den Himmel. Ob seines Unmutes fragte ich Herger noch immer nicht dessentwegen. Statt dessen beobachtete ich die anderen Krieger des Buliwyf, welche auf die See blickten. Der Ozean war grau und rauh, doch blies ein starker Wind zum Lande hin. Dies erfüllte die Krieger mit Zufriedenheit, und ich erriet den Grund; da ein Wind vom Ozean zum Lande hin verhinderte, daß sich der Dunst aus den Hügeln herabsenkte. Dies traf zu.

Bei Anbruch der Nacht ward die Arbeit an den Verteidigungswerken eingestellt, und zu meinem Erstaunen hielt Rothgar ein weiteres Gelage von prächtigen Ausmaßen; und derweil ich an diesem Abend zusah, tranken Buliwyf und Herger und all die anderen Krieger viel Met und feierten, als gebräche es ihnen an jeglichem weltlichen Arg, und ergötzten sich mit Sklavinnen, und darauf sanken alle müßig und betäubt in Schlaf.

Nun erfuhr ich zudem dieses: daß ein jeglicher der Krieger des Buliwyf unter den Sklavinnen eine auserkoren hatte, welche er besonders schätzte, obzwar dies andere nicht ausschloß. Im Rausche sagte Herger über die Frau, welche er schätzte, zu mir: »Sie wird mit mir sterben, wenn es die Not gebietet.« Diesem entnahm ich die Bedeutung, daß ein jeglicher der Krieger des Buliwyf eine Frau auserkoren hatte, welche für ihn auf dem Scheiterhaufen sterben sollte, und diese Frau mit mehr Höflichkeit und Beachtung behandelte denn die anderen; denn sie waren Gäste in diesem Land und besaßen keinerlei eigene Sklavinnen, welchen von ihrer Sippe befohlen werden konnte, ihrer Pflicht zu genügen.

Nun wollten sich mir, in Anbetracht der Dunkelheit meiner Haut und Haare, die Nordfrauen während der ersten Spanne meiner Zeit unter den Venden nicht nähern, doch ' gab es viele Blicke und Geflüster in meine Richtung und Kichern untereinander. Ich sah, daß diese unverschleierten Frauen nichtsdestoweniger mit ihren Händen von Zeit zu Zeit einen Schleier formten, und zumal dann, wenn sie lachten. Darauf hatte ich mich bei Herger erkundigt. »Warum tun sie das?«, denn ich wollte mich nicht wider die nordischen Sitten betragen.

Herger brachte diese Erwiderung vor: »Die Frauen glauben, daß die Araber Hengste sind, denn dies haben sie als Gerücht vernommen.« Dies wiederum rief aus folgenden Grunde kein Erstaunen bei mir hervor: In sämtlichen Ländern, welche ich bereist, und ebenso innerhalb der Ringmauern der Stadt des Friedens, wahrlich an jedem Orte, da Männer sich treffen und die Geselligkeit pflegen, habe ich erfahren, daß diese Dinge zutreffen. Erstens, daß die Menschen eines bestimmten Landes ihre Bräuche für passender und anständiger und besser als alle anderen halten. Zweitens, daß ein jeglicher Fremdling, ein Mann oder also eine Frau, in jedweder Weise als minderwertig betrachtet wird, außer angelegentlich der Zeugung. Dergestalt halten die Türken die Perser für kundige Liebhaber; die Perser hegen Ehrfurcht vor den schwarzhäutigen Menschen; und die wiederum vor manch anderen; und so setzt sich dies fort, manchmal aufgrund des Ausmaßes der Geschlechtsteile, manchmal aufgrund der Ausdauer beim Umgange, manchmal aufgrund besonderer Fertigkeiten oder Stellungen. Ich weiß nicht zu sagen, ob die Nordfrauen wahrhaft glauben, was Herger sprach, doch wahrlich, ich entdeckte, daß sie höchst erstaunt waren ob meines Eingriffes, (Beschneidung) dessen Durchführung unter ihnen unbekannt ist, da sie schmutzige Heiden sind. Angelegentlich ihres Hingebens sind diese Frauen lärmend und ungebärdig und von solch einem Gestank, daß ich genötigt ward, während des Verweilens mit ihnen meinen Atem anzuhalten; überdies neigen sie zum Bocken und Winden und Kratzen und Beißen, so daß ein Mann durchaus in vollem Ritte abgeworfen werden kann, wie die Nordmänner dies bezeichnen. Was mich angeht, so erachtete ich die ganze Betätigung eher als Pein denn als Vergnügen. Die Nordmänner sagen zum Beiwohnen: »Ich focht es mit dieser oder einer anderen Frau aus«, und zeigen ihren Gefährten stolz ihre blauen Male und Abschürfungen, als ob dies wahrhaft Wunden vom Kriege wären. Die Männer indessen verletzten, soweit ich dies zu erkennen vermochte, niemals eine Frau.

Diese Nacht nun war ich, derweil all die Krieger des Buliwyf schliefen, zu bange zum Trinken oder Lachen; ich fürchtete die Rückkehr der Wendol. Doch kehrten sie nicht zurück, und schließlich schlief auch ich, doch unruhig.

Nun herrschte am folgenden Tag kein Wind, und sämtliche Menschen aus dem Königreich des Rothgar arbeiteten mit Hingabe und Furcht; allüberall gab es Gerede ob des Korgon und der Gewißheit, daß er bei Nacht angreifen werde. Die Wunden der Klauenmale in meinem Antlitz peinigten mich nun, denn sie kniffen beim Verheilen und schmerzten, wann immer ich den Mund zum Essen oder Sprechen bewegte. Überdies trifft es zu, daß mein Kampfeseifer mich verlassen hatte. Einmal mehr war mir bange, und ich arbeitete schweigend inmitten der Frauen und alten Männer. Um die mittlere Stunde des Tages ward ich von einem alten und zahnlosen Edlen aufgesucht, mit welchem ich in der Festhalle gesprochen. Dieser alte Edle spürte mich auf und sagte in Latein folgendes: »Ich möchte ein Wort mit Euch wechseln.« Er geleitete mich ein paar Schritte fort von den Arbeitern an den Verteidigungswerken. Nun untersuchte er mit viel Aufhebens meine Wunden, welche in Wahrheit nicht ernst waren, und derweil er diese Risse untersuchte, sagte er: »Ich überbringe eine Warnung für Eure Schar. Es herrscht Unrast im Herzen des Rothgar.« Dies sprach er in Latein. »Was ist der Grund?« fragte ich.

»Es ist der Herold, und also der Sohn Wiglif, welcher dem König im Ohr liegt«, versetzte der alte Edelmann. »Und ebenso der Freund des Wiglif. Wiglif redet dem Rothgar ein, daß Buliwyf und sein Gefolge den König zu töten und über das Königreich zu herrschen gedenken.« »Dies entspricht nicht der Wahrheit«, sagte ich, obzwar ich dies nicht wußte. Aufrichtig gesprochen, hatte ich von Zeit zu Zeit über diese Angelegenheit nachgedacht; Buliwyf war jung und kraftvoll, und Rothgar war alt und schwach, und obgleich es zutrifft, daß die Sitten der Nordmänner merkwürdig sind, trifft es doch ebenso zu, daß alle Männer nämlich sind.

»Der Herold und Wiglif sind neidisch auf Buliwyf«, sprach der alte Edelmann zu mir. »Sie vergiften die Luft im Ohre des Königs. All dies bestelle ich Euch, auf daß Ihr den anderen auftragt, wachsam zu sein, denn dies ist ein Fall für einen Basilisken.« Und darauf verkündete er, meine Wunden seien minderschwer und wandte sich ab.

Darauf kehrte der Edle noch einmal zurück. Er sagte: »Der Freund des Wiglif ist Ragnar«, und er ging ein zweites Mal von dannen und bedachte mich keines weiteren Blickes. In großer Bestürzung grub und arbeitete ich an den Verteidigungswerken, bis ich mich nahe Herger befand. Die Stimmung des Herger war noch immer so grimmig, wie sie des Tags zuvor gewesen. Er begrüßte mich mit diesen Worten: »Ich möchte die Fragen eines Narren nicht hören.« Ich sagte zu ihm, daß ich keinerlei Fragen hätte, und ich berichtete ihm, was der alte Edelmann zu mir gesprochen; überdies teilte ich ihm mit, daß es ein Fall für einen Basilisken (Ibn Fadlan beschreibt den Basilisken nicht, da er offenbar annimmt, daß seine Leser mit diesem sagenhaften Wesen vertraut sind, welches schon früh in der Vorstellungswelt nahezu aller westlichen Kulturen auftritt. Der Basilisk, im Englischen deswegen auch »Cockatrice« genannt, ist eine Art Hahn mit dem Schwanz einer Schlange und acht Beinen und besitzt manchmal Schuppen statt der Federn. Immer aber gilt der Anblick eines Basilisken als tödlich, ebenso wie der Anblick einer Gorgone; besonders tödlich soll auch das Gift des Basilisken sein. Manchen Berichten zufolge kann ein Mensch, der einen Basilisken ersticht, zusehen, wie das Gift am Schwert emporsteigt und auf seine Hand übergeht. Worauf dieser Mensch gezwungen ist, sich selbst die Hand abzuschlagen, um sein Leben zu retten.

Wahrscheinlich wird der Basilisk an dieser Stelle sinnbildlich für die von ihm ausgehende Gefahr erwähnt. Der alte Edelmann will Ibn Fadlan mitteilen, daß durch eine direkte Auseinandersetzung mit den Unruhestiftern das Problem nicht gelöst wird. Interessanterweise besteht eine der Möglichkeiten, sich eines Basilisken zu entledigen, darin, daß man ihm sein eigenes Abbild in einem Spiegel vorhält; er wird dann von seinem eigenen Anblick getötet.) sei. Bei meiner Rede furchte Herger die Stirn und schwor Flüche und stampfte mit seinem Fuße auf und bat mich, ihn zu Buliwyf zu begleiten. Buliwyf gebot über die Arbeit am Graben auf der anderen Seite des Lagers; Herger zog ihn beiseite und sprach hastig ' in nordischer Zunge, mit Gesten in meine Richtung. Buliwyf furchte die Stirn und schwor Flüche und stampfte ebenso mit dem Fuße auf wie Herger, und dann stellt er eine Frage. Herger sagte zu mir: »Buliwyf fragt, wer der Freund des Wiglif ist? Hat der alte Mann Euch mitgeteilt, wer der Freund des Wiglif ist?«

Ich erwiderte, das habe er, und der Freund führe den Namen Ragnar. Bei diesem Bericht sprachen Herger und Buliwyf fürderhin miteinander und stritten kurz, und darauf wandte Buliwyf sich ab und ließ mich mit Herger zurück. »Es ist entschieden«, sagte Herger. »Was ist entschieden?« erkundigte ich mich. »Haltet Eure Zähne beisammen«, sagte Herger, was ein nordischer Ausdruck ist, mit der Bedeutung »rede nicht«, Daher kehrte ich zu meinem Werk zurück und verstand nicht mehr als zu Anfang der Angelegenheit. Einmal mehr hielt ich diese Nordmänner für höchst eigenartige und widersinnige Männer auf dem Antlitz der Erde, denn zu keinem Anlasse betragen sie sich so, wie man das von verständigen Wesen erwarten würde. Doch ich arbeitete an ihrem albernen Zaun und ihrem seichten Graben, und ich sah mich um und wartete. Zur Stunde des Nachmittagsgebetes beobachtete ich, daß Herger einen Arbeitsplatz nahe einem strammen riesigen Jugendlichen eingenommen hatte. Herger und dieser Jugendliche plagten sich eine Weile Seite an Seite im Graben ab, und dem Augenschein nach dünkte es mich, daß Herger darum bemüht war, Erde in das Gesicht des Jugendlichen zu schleudern, welcher in Wahrheit einen Kopf größer denn Herger war und jünger obendrein.

Der Jugendliche beklagte sich, und Herger entschuldigte sich, doch bald ward wieder Erde geschleudert. Wiederum entschuldigte sich Herger; nun war der Jugendliche wütend, und sein Gesicht war rot. Nicht mehr denn eine kurze Spanne verstrich, bevor Herger wiederum Erde schleuderte, und der Jugendliche schimpfte und spie und war aufs äußerste wütend. Er schrie Herger an, welcher mir später die Worte ihrer Unterredung berichtete, obzwar die Bedeutung zu diesem Zeitpunkt nur zu offenkundig war. Der Jugendliche sprach: »Du gräbst wie ein Hund.« Zur Antwort sprach Herger: »Heißt du mich einen Hund?« Darob sagte der Jugendliche: »Nein, ich sagte, daß du gräbst wie ein Hund und achtlos mit Dreck schleuderst[1] wie ein Tier.«

Herger sprach: »So heißt du mich also ein Tier?« Der Jugendliche erwiderte: »Du mißverstehst meine Worte.« Nun sagte Herger: »In der Tat, denn deine Worte sind verdreht und verzagt wie ein gebrechliches altes Weib.« »Dies alte Weib wird sehen, wie dir der Tod mundet«, sagte der Jugendliche und zückte sein Schwert. Darauf hielt Herger das seine gezückt, denn der Jugendliche war der nämliche Ragnar, der Freund des Wiglif, und dergestalt sah ich die Absicht des Buliwyf in dieser Angelegenheit offenbart. Diese Nordmänner sind höchst empfindlich und heikel ob ihrer Ehre. Zweikämpfe stellen sich in ihrer Gesellschaft so häufig ein wie der Drang zum Harnen, und ein Kampf auf Leben und Tod wird als gewöhnlich erachtet. Ein solcher kann bei einer Beleidigung auf der Stelle stattfinden, oder er wird in aller Form ausgetragen, zu welchem Behufe sich die Kämpfenden an der Vereinigung dreier Straßen begegnen. Dergestalt geschah es, daß Ragnar den Herger zum Kampfe forderte. Nun ist dies der Brauch der Nordmänner: Zur vereinbarten Zeit versammeln sich die Freunde und Sippschaft der Zweikämpfer an der Stätte des Kampfes und spannen eine Haut am Boden aus. Diese befestigen sie mit vier Lorbeerpfählen. Der Kampf muß auf dieser Haut ausgetragen werden, wobei jeder Mann allzeit einen Fuß oder beide auf der Haut behalten muß; auf diese Weise bleiben sie dicht beieinander. Ein jeder der beiden Kämpfer stellt sich mit einem Schwert und drei Schilden ein. So alle drei Schilde eines Mannes geborsten sind, muß er ohne Schutz weiterkämpfen, und der Kampf geht auf Leben und Tod. Dergestalt waren die Regeln, verkündet von dem alten Weib, dem Engel des Todes, an der Stätte der gespannten Haut im Angesicht all der rundum versammelten Menschen des Buliwyf und der Menschen aus dem Königreich des Rothgar. Ich selbst war dort, nicht allzuweit im Vordergrund, und ich war verwundert, daß diese Menschen die Bedrohung durch den Korgon vergessen könnten, welcher sie zuvor so entsetzt; niemand sorgte sich um etwas anderes denn den Zweikampf. Dies war der Verlauf des Zweikampfes zwischen Ragnar und Herger. Herger brachte den ersten Hieb an, nachdem er gefordert war, und sein Schwert schallte mächtig auf dem Schilde des Ragnar. Ich selbst empfand Furcht um Herger, nachdem dieser Jugendliche so viel größer und stärker denn er war, und in der Tat schmetterte Ragnars erster Hieb Hergers Schild aus dessen Hand, und Herger verlangte nach seinem zweiten Schild. Darauf ward der Kampf grimmig und handgemein. Ich blickte einmal zu Buliwyf, dessen Gesicht bar jeden Ausdrucks war; und zu Wiglif und dem Herold auf der gegenüberliegenden Seite, welche oftmals zu Buliwyf blickten, derweil der Kampf tobte.

Hergers zweiter Schild war desgleichen geborsten, und er verlangte nach seinem dritten und letzten Schild. Herger war sehr ermattet, und sein Gesicht war feucht und rot vor Anstrengung; der junge Ragnar wirkte leicht im Kampfe, mit wenig Anstrengung.

Dann war der dritte Schild geborsten, und Herger befand sich in höchster Not, so schien es einen flüchtigen Augenblick lang. Herger stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden, niedergebeugt und nach Luft schnappend und höchst gräßlich ermattet. Diesen Zeitpunkt wählte Ragnar, über ihn herzufallen. Darauf wich Herger flink wie der Schlag einer Vogelschwinge zur Seite, und der junge Ragnar hieb mit seinem Schwerte durch die leere Luft. Darauf warf Herger sein eigen Schwert von der einen Hand in die andere, denn diese Nordmänner vermögen mit jeder Hand ebensogut zu fechten und gleichermaßen stark. Und hurtig drehte sich Herger und trennte mit einem einzigen Hieb seines Schwertes Ragnars Haupt von hinten ab. Wahrlich, ich sah das Blut aus dem Halse des Ragnar sprudeln und das Haupt durch die Luft in die Zuschauer fliegen, und ich sah mit eigenen Augen, daß das Haupt zu Boden schlug, bevor der Leib ebenso zu Boden schlug. Nun trat Herger beiseite, und darauf nahm ich an, daß der Kampf eine List gewesen war, denn Herger keuchte und hechelte nicht länger, sondern stand ohne ein Anzeichen der Ermattung und ohne Heben seiner Brust, und er hielt sein Schwert leichthin, und er sah aus, als ob er solche Männer im Dutzend töten könnte. Und er blickte zu Wiglif und sagte: »Ehre deinen Freund«, womit er sich ums Begräbnis kümmern meinte.

Herger sagte zu mir, als wir die Kampfstätte verließen, daß er zur List gegriffen habe, damit Wiglif erfahren sollte, daß die Mannen des Buliwyf nicht nur starke und tapfere Krieger seien, sondern verschlagen obendrein. »Dies wird ihm mehr Furcht bereiten«, sagte Herger, »und er wird nicht wagen, das Wort wider uns zu erheben.« Ich bezweifelte, daß sein Vorhaben sich dergestalt auswirken sollte, doch trifft es zu, daß die Nordmänner Täuschung höher einschätzen denn der täuschungskundigste Hazar, sogar höher denn der verlogenste Händler von Bahrein, für den Täuschung eine Art der Kunst bedeutet. Klugheit im Kampfe und in männlichen Dingen wird als eine höhere Tugend erachtet denn schiere Kraft im Kriegertum. Doch Herger war nicht wohlgemut, und ich nahm an, daß Buliwyf ebenso nicht wohlgemut war. Als der Abend nahte, bildeten sich in den hohen Hügeln des Inlandes die ersten Schleier des Dunstes. Ich glaubte, daß sie des toten Ragnar gedachten, welcher jung und stark und tapfer war und welcher in der bevorstehenden Schlacht von Nutzen gewesen wäre. Herger sagte dergleichen zu mir: »Ein toter Mann ist für niemanden von Nutzen.«

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