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Wie eine Heuschreckenplage hatte sich die wütende Welle des Krieges durch das kleine darranische Dorf Tallonwald gefressen und nichts als Zerstörung hinterlassen. So manches einst ertragreiche Feld lag nun nackt und ausgedorrt da. Das Salz aus den Minen, das die größte Einnahmequelle der Region gewesen war, hatte das gute Ackerland in unfruchtbare Erde verwandelt, die der Wind in alle Himmelsrichtungen verteilte – ein stummes Zeugnis der jahrhundertelangen Fehde zwischen Darran und seinem Nachbarn Reth.

Als Ortschaft, die Westholdt (so genannt, da es sich westlich der Salzminen befand) am nächsten lag, eine der Hauptfestungen in Ostdarran und Lord Karstens Familienstammsitz, war Tallonwald in der Vergangenheit so manches Mal vom Feind überrannt worden. Und so war das einst wohlhabende Städtchen inzwischen verarmt, selbst nach darranischem Standard. Nachdem Darran auch den letzten Krieg gegen Reth verloren hatte, hatten dieser Tage selbst die wohlhabendsten Bewohner Sorge, ihr täglich Brot auf den Tisch zu bringen. Im letzten Winter, der dem Vernehmen nach als ausgesprochen mild angesehen wurde, waren zwei Alte und drei Kleinkinder an Unterernährung gestorben.

Lord Karsten, der über Westholdt und einige die Feste umgebende Dörfer, Tallonwald eingeschlossen, herrschte, war einer der wenigen darranischen Lords, die selbst in dieser Zeit der Not das alte Gesetz nicht aufgehoben hatten, demzufolge es Bauern unter Todesstrafe verboten war, in den Wäldern zu jagen. Er sorgte sich darum, dass der Wildbestand zurückgehen könnte, wie es anderswo in Darran schon der Fall war. In seinen Augen zählte das Wohlergehen von Bauern nicht halb so viel wie seine persönliche Freizeitentspannung. Und seine Aufseher sorgten dafür, dass seinen Anweisungen auch entsprochen wurde.

Eines der wenigen Gebäude in Tallonwald, die wieder hergerichtet worden waren, gehörte Tris, einem außerordentlich begabten Heilkünstler. Sein Ruf reichte weit über die Grenzen des Dorfes hinaus, und die Adligen aus der Feste zogen ihn für die Behandlung ihrer Ziegen genauso zu Rate wie für Magenverstimmungen oder Furunkel. Diese Dienstleistungen ließ sich Tris allerdings fürstlich bezahlen.

Ohne den Heiler wäre es den Menschen von Tallonwald noch schlechter gegangen, als es im vergangenen Winter ohnehin der Fall gewesen war. Denn mit dem Geld und den Juwelen, die er den Reichen für seine Dienste abknöpfte, erwarb er Getreide aus den Kornspeichern von Westholdt wie auch Schlachtvieh für die Leute des Dorfs.

Als auch die Bestände auf Westholdt zur Neige gingen und man dem Burgvogt untersagte, weitere Vorräte an die Dörfler zu verkaufen, wagte es Tris sogar, sich den Zorn von Lord Karsten zuzuziehen und im umliegenden Forst zu jagen. Dank der Jahre, die er heimlich, still und leise in allen möglichen Wäldern umhergestreift war auf der Suche nach Kräutern und anderen für seine Kunst nützlichen Dingen, war er dabei auch sehr erfolgreich. Er allein vermochte sich auf diese Weise sowohl vor dem Wild als auch vor den zweibeinigen Kreaturen zu verbergen, die Karstens Aufseher angeheuert hatte, um das Volk daran zu hindern, sich selbst zu helfen.

Im Verkaufsraum seines Zweizimmerhäuschens wischte Tris soeben den Tresen sauber, der die Kinder seiner Kunden davon abhielt, in die verschiedenen Töpfe und Krüge zu langen, die er im Regal dahinter aufbewahrte. Der Lappen, den der Heiler dafür benutzte, war nicht annähernd so fleckig wie seine allmächtigen Hände, die gerade in einem interessanten Lila schimmerten. Er hatte auf seinem morgendlichen Spaziergang ein Beet mit wildem Avendar aufgespürt; ein Kraut, aus dem man sowohl Brandsalbe wie auch eine schöne dunkelviolette Farbe herstellen konnte.

Zu seiner großen Überraschung fühlte er sich in dem kleinen Weiler wohl. Ja, er hatte sogar sein bescheidenes Häuschen, das jenseits von Tallonwalds kleinem Hügel stand, liebgewonnen. Dieser Standort vermittelte ihm die Illusion von Abgeschiedenheit und Privatsphäre, und er hatte den Vorteil, dass er hier flussaufwärts wohnte und so nicht mit den Abwässern des Dorfs in Berührung kam.

Tris sah auf und rieb sich den Bart, als die Türglocke den Besuch der Mutter des Dorfvorstehers ankündigte. Die alte und verkrüppelte Trenna trat stets so würdevoll auf, dass ihr selbst der Lord mit allem gebotenen Respekt begegnete. Wäre sie an einem anderen Ort zur Welt gekommen, hätte man sie sicherlich zur Magierin ausgebildet. In Darran war sie indes nicht mehr als die Dorfweise und beriet die Älteren in Fragen wie, welche Ziege noch gut zu melken und welche zu schlachten sei. Oder wann in diesem Jahr der erste Schnee fallen würde.

So wie Tris wusste, dass die Genauigkeit ihrer Vorhersagen auf mehr als nur Beobachtung und Erfahrung fußte, so wusste Trenna, dass in den Tränken des Heilers mehr steckte als verschiedene Kräuterauszüge. Ihrer beider Magie unterschied sich voneinander, und doch war und blieb es Magie.

Es war Trenna gewesen, die Tris aufgestöbert hatte, als sie auf der Suche nach einer besonderen Pflanze gewesen war. Von seinen eigenen Leuten gefesselt und auf den Tod wartend hatte sie ihn im Wald vorgefunden. Ihre Magie ermöglichte es ihr bisweilen, auch künftige Ereignisse zu sehen, und so erblickte sie an jenem Tag zum einen Tris’ wahre Natur und zum anderen so etwas wie Hoffnung für ihr Dorf.

Sie schlug dem Unbekannten einen Handel vor. Wenn sie ihn befreite, musste er sich im Gegenzug dazu verpflichten, ihren Leuten für ein Jahr als Heiler zu dienen. Die Bedingungen waren alles andere als einfach: Die Menschen von Tallonwald hassten die Magie, also musste er seine Gabe, so gut es irgend ging, geheim halten.

Tris hatte geduldig auf den Tod gewartet. Und selbst wenn ihm die Flucht gelungen wäre, hätte man ihn für seine unüberlegte, wenngleich gutgemeinte Tat für immer aus seiner eigenen Gemeinschaft verstoßen. Der Tod hatte ihn nicht geschreckt – bis zu dem Tag, da man ihm die Gelegenheit für ein Weiterleben bot. Er ließ sich auf Trennas Vorschlag ein.

Die Fesseln, die ihn gehalten halten, waren dazu gemacht, jeglicher Magie zu widerstehen, nicht so jedoch dem einfachen Stahlmesser, das Trenna benutzte, um Pflanzen für ihre Tränke zu ernten. Nachdem sie seine Wunden mithilfe ihrer seltsamen Kräuterkunde geheilt hatte (ihm fiel es schwer, seine Heilmagie auf sich selbst anzuwenden), erzählte Trenna den Dorfältesten, Tris wäre ein Verwandter, ein Heiler, der seiner Reisen müde sei und sich gern niederlassen würde.

Die Ältesten kauften ihr diese Geschichte ab. Darüber hinaus war Trenna inzwischen auch schon zu gebrechlich, um die Aufgaben einer Heilerin zu erfüllen, umso praktischer also, dass da jemand zur Stelle war, der ihren Platz einnehmen konnte. Dankbar wurde Tris in Tallonwald willkommen geheißen, ja, das Dorf sah in seiner Verzweiflung sogar darüber hinweg, dass er ein gänzlich Fremder war.

Tris war sich nicht ganz sicher, ob Trenna wirklich in vollem Umfang verstanden hatte, was er wirklich war, aber sie hatte verstanden, dass er ihren Leuten nichts zuleide tun würde, und das allein zählte für sie. Das Jahr, zu dem er sich verpflichtet hatte, war längst vorüber, aber Tris war in Tallonwald geblieben. Er hätte auch gar nicht gewusst, wohin er sonst hätte gehen sollen.

»Meine Dame«, begrüßte er Trenna in seinem eigenartig gefärbten Darranisch. Er ergriff die geschwollene Hand, die sie ihm über den Tresen hinweg reichte und küsste sie formvollendet.

»Mein Herr.« Sie lächelte angesichts seiner Galanterie zu ihm auf. Er war größer als die meisten Männer im Dorf, und sie war eine zierliche Person. »Wie geht es Euch an diesem wunderschönen Frühlingsmorgen.«

»Außerordentlich gut. Komme gerade von einem Ausflug in den Wäldern zurück und hab dort eine neue Stelle mit Thymian entdeckt; das alte Feld war doch schon sehr abgegrast. Darf ich euch ein Mittel gegen Euer Rheuma zusammenstellen? Erst letzte Woche hab ich ein paar Tharmud-Wurzeln gefunden, wodurch die Mixtur gleich viel wirkungsvoller wird.«

»Ja, das wäre nett«, erwiderte sie. Als er sich umdrehte, um die Ingredienzien zusammenzumischen, beugte und streckte sie vorsichtig ihre Finger. Die Gelenke waren sichtlich weniger entzündet als vor jenem Tag, da er sie zum ersten Mal berührt hatte.

Tris war immer sehr darauf bedacht, dass die Dörfler nichts von seiner Kunst mitbekamen, das sie nicht mitbekommen sollten. Trenna gegenüber konnte er sich jedoch so theatralisch aufführen, wie er wollte – sie genoss das ganze Brimborium fast genauso wie er.

»So, das hätten wir«, sagte er und reichte ihr die Medizin. Nicht vergessen: morgens und abends eine Dosis davon. Falls nötig, könnt Ihr auch am Tage eine weitere Portion einnehmen. Falls das immer noch nicht ausreicht, kommt noch einmal zu mir zurück. Gebt das Pulver in heißes Wasser und haltet so lange wie möglich die Luft an, bevor ihr es trinkt.«

Sie lächelte ihn an, und für einen Moment erlaubte sie ihm einen Blick auf die Schönheit, die sie in jungen Jahren gewesen war. Sie griff nach dem Beutel mit dem Pulver, doch als sich dabei ihre Finger berührten, ließ sie das Säckchen achtlos zu Boden fallen und umklammerte mit beiden Händen seine Arme mit einer Festigkeit, die ihre Gebrechlichkeit Lügen strafte. Er spürte ihre Magie förmlich durch seine Haut pulsieren.

Ihr ganzer Körper schien zu vibrieren, als sie mit angespannter Stimme zu sprechen begann: »Zwei kommen von Sianim … ein Mann und … eine Tänzerin. Ihr müsst ihnen helfen, sich der Flut des Katzengottes entgegenzustellen … Habt Acht vor den Kreaturen, die er aus dem Sumpf heraufbeschwört.« Sie schluckte und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Schweißtropfen glitzerten auf ihrer Stirn, und sie lockerte den Griff um seine Unterarme, während sie plötzlich einige Worte in seiner Muttersprache sprach.

Dann verließ die Magie sie wieder, und sie zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen. Bevor sie zu Boden sinken konnte, war Tris schon über die Verkaufstheke gesprungen und hatte dabei die kleine Pflanze heruntergerissen, die darauf stand. Im letzten Moment bekam er Trenna zu fassen und ließ sie sanft auf die gepolsterte Eichenbank sinken, die auf der gegenüberliegenden Seite stand. Er setzte sich neben sie und legte seinen Arm um sie, bis sie zu zittern aufhörte.

»Entschuldigt«, sagte sie, als sie wieder sprechen konnte.

Er schüttelte entschieden den Kopf. »Aber nein, Lady, ich danke Euch für den Rat – es gibt nichts, wofür Ihr Euch entschuldigen müsst. Erinnert Ihr Euch an Eure Worte?«

»Nein«, sagte sie. »Manchmal kann ich es, oder mir fällt zumindest das letzte Bild ein, das ich sah, aber, wartet … Ich habe viele, viele rote und grüne Edelsteine gesehen … Nein, ich glaube, das waren Augen.« Nun schüttelte sie den Kopf. »Das ist alles. Ich hoffe, die Botschaft wird Euch von Nutzen sein.«

Wieder ergriff er ihre Hand und küsste sie. »Das, meine Gute, kann allein die Zeit zeigen. Darf ich Euch nach Hause begleiten?«

Sie lächelte wieder und erhob sich langsam von der Bank. »Nein, aus irgendeinem Grund fühle ich mich schon wieder viel besser. Wenn Ihr mir das Säckchen mit dem Pulver reichen könntet, werde ich Euch bezahlen und dann heimgehen.«

Tris übergab ihr die Medizin, doch schüttelte den Kopf, als sie ihm einige Kupfermünzen zustecken wollte. »Nein, schickt mir lieber Euren Enkel rüber, wenn Ihr wollt. Es gibt da eine Stelle am Dach, die vor dem nächsten Regen neu gedeckt werden müsste. Er ist unter Edgars Anleitung zu einem ordentlichen Handwerker geworden.« Sie beide wussten, dass er Trennas Enkel für die Dienstleistung dennoch bezahlen würde, aber nach einer Weile nickte sie und verließ Tris’ Haus.

Tris sah ihr nach, dann wiederholte er mit leiser Stimme die Worte, die Trenna während ihrer Vision in seiner Muttersprache von sich gegeben hatte: Es waren die ersten Zeilen des Bindungsrituals. Verdammt, er war schon zu lange allein … Würde all dies denn niemals ein Ende finden?

Nach einer Weile der besinnlichen Stille schnappte er sich den Besen und kehrte die Überreste des Pflanzgefäßes zusammen. Er würde den Setzling später neu eintopfen.

Der Bankettsaal in Lord Karstens Landsitz war so groß, dass gut und gern sechshundert Menschen darin Platz finden konnten, doch nur einer der sieben alten, robusten Holztische wurde ständig benutzt. Dieser Raum stand stellvertretend für all die Erneuerungen, die Lord Karsten auf Westholdt hatte vornehmen lassen.

Viele der schweren Dachbalken, welche die Decke stützten, waren offensichtlich erneuert worden. Ein runder Kamin mit Abzug dominierte nun das Zentrum des Saals und hatte die in dieser Gegend weit verbreitete offene Feuergrube ersetzt. Die hässlichen Öffnungen in der Außenwand, die zu ihrem Betrieb ehemals nötig gewesen waren, zierten jetzt farbiges Glas, das in der Umgebung der Feste weithin sichtbar leuchtete.

Schweigend stand Rialla neben dem Platz, den Laeth am Tisch eingenommen hatte, den Blick zu Boden gerichtet wie eine wohlerzogene Sklavin. Sie hatte kaum Schwierigkeiten gehabt, sich wieder in diese Position einzufinden, was ihr nur zugute kam. Als sie erst einmal in ihre neue Rolle geschlüpft war, war die Nervosität rasch von ihr abgefallen, und sie hatte das falsche Spiel fast ein wenig genossen. Ja, sie fühlte sich so sicher, dass sie allmählich das erste Problem zu spüren bekam, das mit dem Sklavendasein unweigerlich einherging: Langeweile.

Darran war noch immer so, wie sie es in Erinnerung hatte, obwohl sie in der Vergangenheit niemals so hautnah mit dem höfischen Leben zu tun gehabt hatte. Zu ihrer Zeit hatte sie sich zumeist in einem privaten Etablissement aufgehalten, in dem sich die reichen Männer des Landes abseits aller Konventionen verlustieren konnten.

Rialla schnaubte bei der Erinnerung leise auf. Selbst derartigen Ausschweifungen pflegten sich die Darraner auf eine höchst zivilisierte Art hinzugeben, und so gab es selbstverständlich auch einen offiziellen Verhaltenskodex für das Brechen gesellschaftlicher Konventionen.

Sie und Laeth weilten nun schon seit über einer Woche auf Westholdt, doch Rialla hatte hier nichts über die politische Lage in Erfahrung gebracht, was Ren vermutlich nicht sowieso schon wusste. Hätte es nicht einen gewissen Unterhaltungswert gehabt zuzusehen, wie die wohlanständigen darranische Adligen auf Laeth reagierten, wäre dieser Aufenthalt richtig langweilig gewesen.

Als Bruder des Lords hatte Laeth gute Beziehungen, und niemand wollte ihm gegenüber respektlos erscheinen, doch andererseits konnte man nicht ignorieren, dass er nichts, aber auch gar nichts auf die Etikette gab. Ein Adliger wurden nun mal nicht Söldner, und wenn sich doch einer für diesen Werdegang entschied, so hatte er darüber zu schweigen.

Nicht so Laeth. Er genoss es, seine Zuhörer beständig mit Geschichten zu schockieren, von denen Rialla vermutete, dass er sie aus dem Stand erfand. Zugegeben, der Zweite Divisionsgeneral Tyborn hatte den Kopf eines gefallenen Gegners zurück nach Sianim gebracht, aber er hatte ihn nicht über seinem Esstisch aufgehängt – jedenfalls nicht, soweit Rialla davon wusste.

Laeth war darauf bedacht, dass Rialla erfuhr, welcher der Gäste wer war, indem er die Leute stets mit ihrem vollen Namen begrüßte. Sie wiederum strengte sich sehr an, sich Herkunft, Rang wie auch die Fraktionszugehörigkeit all dieser Personen einzuprägen. Allerdings war es kein großes Kunststück herauszufinden, wem die jeweiligen Sympathien der Gäste galten, denn die meisten, die zum einwöchigen Fest von Lord Karsten angereist waren, zählten zu seinen ergebenen Unterstützern.

Bei dem Gedanken an Laeths Bruder musste Rialla ein Grinsen unterdrücken. Wer hätte gedacht, dass ein Rebell wie Laeth einen wie den stocksteifen Lord Karsten zum Bruder hatte?

Gut, sie sahen einander ähnlich, aber aus Riallas Sicht traf das irgendwie auf die meisten Darraner zu. Ja, sie hatten sogar gewisse Charaktereigenschaften gemeinsam. Lord Karsten war ein eloquenter und intelligenter Mann, wenngleich er sich den gesellschaftlichen Regeln noch mehr unterwarf, als es die meisten Darraner ohnehin schon taten – etwas, das Rialla bis vor kurzem noch für undenkbar gehalten hätte. Auch war er so charmant, dass es schwerfiel, ihn nicht zu mögen, vorausgesetzt, man war kein Sklave oder Bauer. Stets war er selbst dem niedrigsten aus seinem Gesinde gegenüber höflich, doch Karsten war sich auch darüber bewusst, dass sein Aufseher die Diener, Bauern und Sklaven regelmäßig misshandelte und quälte. Allein, es kümmerte ihn nicht.

Er sprach von Veränderungen und der Notwendigkeit von Reformen und arbeitete für diese Ziele mit der Hingabe eines Eiferers. Sicher, die Neuerungen, die Lord Karsten in Bezug auf Darrans Gesetzgebung vorgenommen hatte, würden viel Gutes für die Bauern und die Bürger von Darran bringen, doch seine eigenen Leibeigenen hungerten.

Alles in allem zog Rialla den jüngeren Bruder vor, der die Dinge des Lebens viel klarer sah und sich nicht irgendeinem gesellschaftlichen Diktat unterwarf.

Laeth indessen war wieder in die Rolle des verwöhnten und verschwenderischen Sohns geschlüpft und machte sich mit dem darranischen Adel in gleicher Weise gemein, wie er es mit Sianims Söldner getan hatte. Selbst als er neben der Frau seines Bruders, Marri, zu sitzen kam, verlor er nichts von seinem unbekümmerten Charme. Allein Rialla wusste, wie sie in den heimlichen nächtlichen Gesprächen mit Laeth erfahren hatte, dass sich an seinen Gefühlen für Marri nichts geändert hatte.

Im Bankettsaal hielten sich inzwischen über hundert Menschen auf. Laeth hatte Rialla erzählt, dass sich diese Zahl bis morgen Abend verdreifacht haben würde und dass am großen Ball in zwei Tagen über hundert Personen teilnehmen sollten. Am Tag nach dem großen Fest würden sie und Laeth wieder nach Sianim zurückkehren – falls alles gut lief, ohne einen Zwischenfall, aber möglicherweise auch ohne Informationen.

Als Laeth mit dem Essen fertig war und Rialla mit einer Handbewegung vom Tisch entließ, nahm sie eine Position neben einem Fenster ein, wo ihr der Durchzug ein wenig frische Luft verschaffte.

Sie war die einzige Sklavin im Saal. Es galt als vulgär und war mithin ungewöhnlich, dass man Sklaven zu solchen Anlässen mitbrachte, doch Laeth tat Einwände in dieser Richtung achselzuckend ab und meinte, er hätte die Sklavin erst kürzlich erworben und müsse sie noch eine Weile im Auge behalten. Da jeder sehen konnte, dass sie eine kostspielige Anschaffung gewesen war (die Tätowierung wies Rialla als hochausgebildete Tänzerin aus und zeigte auch, wer ihr Erzieher gewesen war), regte sich niemand deswegen auf.

Laeth war ins Gespräch mit einer kleinen Gruppe vertieft, bestehend aus Lord Karsten, dem gewieften fuchsgesichtigen Lord Jarroh, Karstens ständiger Begleiter, und Lady Marri, deren Hand den Arm ihres Gatten tätschelte und die dabei starr zu Boden blickte. Kurz fragte sich Rialla, was wohl das Thema war. Laeths Miene zeigte das sardonische Lächeln, das er immer dann aufsetzte, wenn er seine Gefühle zu verbergen trachtete, während Karsten unter seiner dunklen Haut erblasst zu sein schien.

Mit wachsender Neugier stellte Rialla fest, wie sich der Schweiß auf Karstens Stirn sammelte und dann an seinen Schläfen herabtropfte. Jetzt sagte er etwas zu den Anwesenden und verbeugte sich knapp, um sich zu entschuldigen. Bevor er sich zum Gehen wandte, berührte er kurz die Schulter seiner Frau und übergab sodann ihre besitzergreifende Hand dem Arm von Lord Jarroh.

Als er sich umwandte, um davonzugehen, brach Karsten plötzlich zusammen und fiel auf die Knie. Laeth war nur einen Moment vor Lord Jarroh, der durch Lady Marris Griff ein wenig in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war, an der Seite seines Bruders. Laeth schaffte es, eine Schulter unter Karstens Achsel zu schieben, um ihn dann zu einem dick gepolsterten Sofa zu tragen.

Ihre sprunghafte Empathiefähigkeit erwählte sich just diesen Moment, um zum Leben zu erwachen, und Rialla krümmte sich fast körperlich angesichts des Schmerzes, den Karsten erlitt. Gleichzeitig war das Sofa nah genug, um mitzubekommen, dass dem Lord dabei kein Laut über die Lippen kam. Fest ergriff er Laeths Hand und schloss die Augen.

Da Laeth am Fuß des Sofas kniete, blieb Marri nichts anderes übrig, als sich eine kleine Bank heranzuziehen und sich am Fußende darauf niederzulassen.

Mit gebieterischer Geste rief Lord Jarroh einen Diener herbei, der ein Tablett mit leeren Gläsern trug. Seine schneidende Stimme trug weit, und so vernahm Rialla, wie er sagte: »Schicke einen der Burschen hinunter ins Dorf. Und mach es dringend, denn Lord Karsten ist erkrankt.« Seine Worte hatten so viel Biss, dass der Diener auf der Stelle hinausrannte, ungeachtet der leeren Gläser, die dabei zu Boden fielen und zersprangen.

Da fiel Lord Jarrohs Blick auf Rialla, die er nun ebenfalls herbeizitierte. »Geh in die Küche und lass eines der Mädchen saubere Tücher und heißes und kaltes Wasser herbeibringen. Suche auch einen Hausdiener, der ein paar Decken besorgen soll.« Wäre da nicht der nervöse Muskel gewesen, der in seinem Gesicht auf und nieder zuckte, Rialla hätte ihn für ebenso ungerührt gehalten, wie er nach außen hin wirkte.

Geradeso schnell wie der Diener zuvor verließ sie den Saal, um Lord Jarrohs Auftrag auszuführen. Dessen Name besaß die gleiche Strahlkraft wie seine Stimme: Rialla musste nur erwähnen, wer sie geschickt hatte, und das Personal aus Haus und Küche überschlug sich förmlich in dem Wunsch, zu Diensten zu sein. Als sie wieder zum Bankettsaal zurückkehrte, bemerkte sie einen Fremden in Dienstbotenkleidung, der aus dem Speisezimmer schlüpfte.

Es hätte sie nicht weiter gekümmert, da Lord Jarroh den Bankettsaal gerade von unerwünschten Zuschauern räumen ließ, doch das Gesicht des Mannes sagte ihr nichts. Dabei war sich Rialla sicher, inzwischen sämtliche Dienstboten von Westholdt zu kennen, zumindest vom Sehen. Diesem Mann war sie hingegen nie zuvor begegnet, und doch bewegte er sich durch die Halle, als wäre er hier zu Hause.

Rialla sah sich kurz um, aber außer ihnen war niemand hier, also setzte sie dem Fremden unauffällig nach. In den breiten Korridoren im Erdgeschoss der Feste war es schwierig, sich ungesehen fortzubewegen, doch der Diener schien sie nicht zu bemerken. Fast gemütlich schlenderte er zu einer reich verzierten Tür aus Messing und Holz und verschwand dann nach draußen.

Vor der Feste schlug er ohne besondere Eile den Weg zu dem Gelände mit den Ställen ein, auf dem sich auch das burgeigene Vieh befand. Rialla zögerte, ihm zu folgen; es gab nicht viele Gründe, warum eine Sklavin sich bei den Ställen herumtreiben sollte. Man könnte sie zur Rede stellen, und sie wusste nicht, ob sie es riskieren sollte, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Immer noch unschlüssig, was sie tun sollte, sah sie, wie der Diener aus den Stallungen zurückkehrte. Er saß nun auf einem edlen Vollblut, das bereits fertig gesattelt auf ihn gewartet haben musste.

Gemächlich ritt der Fremde zum Außentor. Als er hindurchtrabte, preschte ein anderer Reiter auf einem schäumenden Gaul an ihm vorbei und in den Innenhof. Zu Riallas Überraschung kam er direkt neben ihr vor der protzigen Tür zum Stehen. Nur kurz konnte sie einen Blick auf das bärtige Gesicht des Mannes werfen, der sich jetzt aus dem Sattel schwang, ihr die Zügel zuwarf und dann die Satteltaschen von dem Pferd hob.

»Führ ihn in die Ställe und sorg dafür, dass man ihn versorgt«, befahl er ihr, und verschwand dann ohne eine Antwort abzuwarten durch die Tür im Innern der Feste.

Sie rieb dem verschwitzten Wallach über den Kopf, um ihn zu beruhigen. Er war ein kräftiges Tier und in guter Verfassung, und doch stammte er aus keiner besonderen Zucht, war also keinesfalls ein Pferd, das ein Adliger reiten würde.

Der Fremde, der soeben angekommen war, hatte trotz seines selbstbewussten Auftretens nicht die Kleider eines Edelmanns getragen. Rialla nahm daher an, dass dies der Heiler gewesen war, nach dem Lord Jarroh hatte schicken lassen; ein Bote hätte es in der inzwischen verstrichenen Zeit gut und gern zum Dorf und wieder zurück geschafft.

Das Pferd stupste sie ungeduldig mit der Schnauze an, und so machte sie sich auf den Weg zu den Ställen. Selbst wenn der Mann, den sie verfolgt hatte, längst über alle Berge war, konnte sie sich dort nach ihm erkundigen. Etwas an der Art, wie er in all dem Trubel um Lord Karstens Zusammenbruch so ruhig geblieben war, machte sie neugierig.

Die Ställe lagen dunkel und kühl da. Es roch nach Pferd und frischem Stroh – nirgendwo der verräterische Geruch nach Vernachlässigung. Rialla spürte, wie sie sich in der vertrauten Umgebung entspannte.

Das Pferd, das sie mit sich führte, wieherte erregt auf, als es den unbekannten Geruch der anderen Tiere witterte. Aus einem der Verschläge trat ein Stalljunge. Er schenkte Rialla ein freundliches Lächeln und nahm ihr die Zügel ab. »Die Mähre des Heilers, was? Also gut, ich verschaff ihm ein bisschen Kühlung und such ihm hier ein ruhiges Plätzchen.«

Rialla nickte und fragte: »Hast du vielleicht eben diesen Mann gesehen, der sich eine kastanienbraune Stute genommen hat?« Kein anständiger Sklave würde ein Gespräch mit jemanden beginnen, der kein Sklave war, doch den Stallburschen schien das nicht zu stören.

Der Junge sah sich vorsichtig um – ein Stallbursche wurde fürs Arbeiten bezahlt, nicht fürs Plaudern mit Sklaven. Zufrieden, dass alle anderen beschäftigt wirkten, antwortete er: »Ja, war ein Mann von Lord Winterseine. Er heißt Tamas. Treibt sich oft hier rum. Wenn ich an deiner Stelle wär, würd ich ihm aus dem Weg gehen.«

»Wem? Winterseine oder Tamas?«, fragte Rialla.

»Tamas. Winterseine ist in Ordnung. Tamas dagegen ist ziemlich schnell mit Peitsche oder Faust bei der Hand.« Der Junge sah sie vielsagend an. »Er mag’s hart, wenn du verstehst, was ich meine. Dadurch fühlt er sich wohl mächtig. Also komm ihm nicht in die Quere, es sei denn, dir gefällt so was auch.« Sprach’s und führte das Pferd des Heilers durch den Gang davon, um es abzureiben.

Gedankenverloren kehrte Rialla in die Feste zurück und schlüpfte in den Bankettsaal, um sich wieder zu Laeth zu gesellen. Zumindest war das ihr Plan gewesen, denn er fing sie gleich hinter der Tür ab und fuhr sie so laut an, dass es alle mitbekamen: »Wo warst du, Mädchen? Es wird ja wohl nicht so lange gedauert haben, Lord Jarrohs Befehle auszuführen?«

Riallas Blick ging durch den Raum. Ihr fragmentarisches Talent nahm eine Atmosphäre von Misstrauen wahr, das gegen Laeth gerichtet war. Demütig neigte sie das Haupt und sagte laut und vernehmlich: »Meister, Ihr hattet heute Morgen erwähnt, dass Ihr eine Anstecknadel vermisst. Und als eben der Stallbursche erwähnte wurde, fiel mir ein, dass Ihr sie gestern noch bei der Jagd getragen habt. Daher dachte ich, Ihr wärt vielleicht mit der Dienstmagd im Stall gewesen …« Sie zuckte nervös zusammen, als dämmerte ihr gerade erst, dass sie im Begriff stand, Unerhörtes auszuplaudern.

Jemand lachte und machte eine anzügliche Bemerkung. Mit dem Dienstpersonal zu schlafen war nichts Ungewöhnliches, aber darüber sprach man nicht, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Laeth schlug ihr kraftvoll mit dem Handrücken ins Gesicht und schickte sie damit zu Boden. Es wirkte eindrucksvoller, als es war. Sein Schlag war nicht heftiger als die, die sie sich gegenseitig auf dem Übungsgelände in Sianim verpasst hatten. Ganz Sklavin, krümmte sich Rialla am Boden zusammen und wimmerte. Ein jeder Abhängige lernte rasch, dass vorgetäuschte große Schmerzen oft einen weiteren Schlag verhinderten.

Zu ihrer Überraschung berührte sie nun eine große, freundliche Hand an der Schulter und half ihr wieder auf die Beine. »Sie war bei den Ställen und hat sich meines Pferdes angenommen, als ich eintraf. Ihr solltet keine Befehle ausgeben, wenn Ihr deren Ausführung nicht wünscht, mein Lord.«

Rialla musste ein erschrockenes Keuchen unterdrücken, als sie die Stimme des Heilers vernahm. Kein Bürgerlicher sprach in einem solchen Ton zu einem Edelmann – nicht, wenn er den nächsten Morgen noch erleben wollte.

Söldner oder nicht, Laeths Erziehung zum darranischen Adligen hatte zur Folge, dass seine Augen vor Zorn zu funkeln begannen. Doch der Heiler ließ ihm keine Zeit für eine Antwort, denn schon wandte er sich an Lord Jarroh und fuhr fort: »Es ist mir gelungen, das Gift in Lord Karstens Körper zu neutralisieren. Er ist zwar noch schwach, sollte aber in etwa einer Stunde wieder halbwegs genesen sein. Ich werde wie üblich meine Rechnung dem Angestellten übergeben.« Nicht minder würdevoll als jeder Edelmann im Raum rauschte der Heiler aus dem Bankettsaal.

Geflissentlich reagierte Laeth seinen Zorn nicht weniger unbeherrscht ab, als es die meisten Angehörigen seiner Klasse unter diesen Umständen tun würden. Erneut schlug er Rialla ins Gesicht und damit nieder; wieder war es ein Hieb ohne viel Substanz.

»Warte in meinem Zimmer auf mich«, schnarrte er sie an.

Dankbar entfernte sich Rialla, wobei sie sich das Gesicht hielt, und machte sich auf den Weg zu Laeths Gemach, während sich dieser im Bankettsaal lautstark über schlecht erzogene Sklaven ausließ.

Als sie im großen Gang der Feste um die erste Ecke bog, wurde sie durch eine Hand an ihrem Arm am Weitergehen gehindert. Erstaunt sah sie auf und blickte in das Gesicht des Heilers. Bevor sie den Kopf wegdrehen konnte, berührte er ihre unversehrte Wange mit den Fingern. Er hob eine Augenbraue, bewegte ihren Kopf zur Seite, sodass er ihr Gesicht im Fackellicht besser sehen konnte.

»Seine Schläge haben gar keine Spuren hinterlassen.« Eine in sanftem, wenngleich bestimmtem Ton geäußerte Bemerkung. Ganz sicher würde er nicht ohne Antwort gehen.

Rialla sah sich erschrocken um und stellte erleichtert fest, dass niemand in der Nähe war. Sie ergriff den Mann am Ärmel und zog ihn in die nächstbeste Kammer. Sie wusste, dass es sich hierbei um ein unbenutztes Schreibzimmer handelte, das gerade renoviert wurde. Hier gab kein Fenster, und so war es in dem kleinen Raum dunkel wie in einer Höhle, nachdem sie die Tür hinter ihnen zugezogen hatte.

Frustriert stieß sie die Luft aus. »Wartet«, sagte sie ganz sklavenuntypisch. »Ich suche einen Feuerstein …« Es polterte, als sie über etwas fiel, das in der Mitte des Raums stand, dann stieß sie mit dem Kopf gegen etwas anderes.

»Das wäre sinnvoll, ja.« Bei diesen Worten des Heilers flammte ein Licht im Raum auf, und eine Kerze flackerte in seiner Hand. Seine Stimme war bar jeden Humors, und doch lag in seinem Gesicht etwas Schalkhaftes. Argwöhnisch blickte Rialla ihn an, bevor ihr wieder einfiel, dass sie ja die Sklavin zu spielen hatte.

Zum ersten Mal erhielt sie die Gelegenheit, ihn eingehender zu betrachten, und da erkannte sie, was sie zuvor schon beunruhigt hatte. Der Heiler war genauso wenig darranisch wie sie. Nicht nur war er größer und schwerer, beinahe athletisch gebaut, auch die Hautfarbe stimmte nicht. Sein Haar war fast blond, wiewohl der kurzgetrimmte Bart von dunklerer Farbe war. Seine Augen schimmerten haselnussbraun und waren damit weit entfernt von dem Grün ihrer Augen, doch sie entdeckte auch kleine lichte Tupfer darin, die mit dem flackernden Kerzenlicht kamen und gingen.

Ihren prüfenden Blick ignorierend, sagte er: »Würdest du mir nun freundlicherweise erklären, wie man nach einem Schlag zu Boden gehen kann, ohne auch nur eine rote Stelle im Gesicht davonzutragen?«

Leichtfüßig und mit der Grazie einer Tänzerin sprang Rialla wieder auf die Beine und klopfte sich den Staub aus den Kleidern, um Zeit zu schinden. Schließlich sagte sie: »Lord Laeth muss in der Öffentlichkeit das Gesicht wahren, aber es widerstrebt ihm, seinem Eigentum Schaden zuzufügen. Der Schlag war mehr Warnung denn Bestrafung. Er diszipliniert mich auf andere Weise.« Eine bessere Erklärung fiel ihr im Moment nicht ein, und sie wusste, sie war nicht gut.

»Das war Lord Laeth?«, fragte der Heiler erstaunt. »Auf Besuch aus Sianim?«

Misstrauisch angesichts des plötzlichen Interesses in seiner Stimme nickte Rialla.

Erneut hob der Heiler eine Augenbraue und berührte unvermittelt ihr Gesicht, wobei er einige Worte murmelte. Als hätte er sich verbrannt, zog er jäh wieder die Hand zurück, und dann lag in seinem Gesicht plötzlich ein merkwürdig intensiver Ausdruck, den Rialla nicht zu deuten vermochte.

»Wer hätte das gedacht?«, sagte er und lächelte. »Und ich dachte, Sianim missbilligt die Sklaverei.«

Plötzlich hatte Rialla das Gefühl, große Teile des Gesprächs verpasst zu haben, und sie rang nach Worten. »Mein Meister hat ihnen erzählt, dass ich seine Dienerin bin, und sie haben es vorgezogen, ihm zu glauben.« Es war die Erklärung, die sie und Laeth sich für den Fall der Fälle zurechtgelegt hatten, doch nun klang sie fadenscheinig in ihren Ohren.

Er schüttelte den Kopf, dann zuckte er die Achseln. »Spielt wahrscheinlich keine Rolle, wie deine wahre Geschichte auch immer lautet. Ich heiße Tris. Falls du mich mal brauchst, kann dir jeder in Tallonwald sagen, wo du mich findest.« Mit dieser seltsamen Botschaft blies er die Kerze aus und verließ die Kammer.

Rialla sah ihm nach wie ein Schaf. Heiler, so nahm sie an, waren wohl alle ein bisschen überspannt, aber dieser hier wollte es mit der Exzentrik offenbar bis zum Äußersten treiben.

Vorsichtig öffnete sie die Tür und spähte hinaus in die Halle. Als niemand zu sehen war, stieg sie die Stufen zu den Gemächern hinauf, die sie mit Laeth teilte.

Es war schon spät, als Laeth endlich in seine Räume zurückkehrte. Er war blass und wirkte bestürzt angesichts des Mordversuchs an seinem Bruder.

Schweigend half ihm Rialla dabei, die unpraktische enge Jacke seiner Abendgarderobe abzulegen, hängte sie auf und bot ihm, ebenfalls schweigend, ein Glas warmen Branntweins an. Dann setzte sie sich auf einen der wackligen Tische, ignorierte den ganzen Nippes, der überall darauf stand, und wartete darauf, dass er das Wort ergriff.

Gerade als er Mund öffnen wollte, wurde die Stille von einem ungeduldigen Klopfen an der Tür unterbrochen. Rialla ließ sich vom Tisch heruntergleiten und stellte sich diskret und ganz »folgsame Sklavin« neben der Wand auf – nicht dass die Frau, die nun eintrat, nachdem Laeth geöffnet hatte, auch nur das geringste Interesse an Rialla zeigte.

»Laeth, du musst die Feste sofort verlassen! Sie glauben, dass du versucht hast, Karsten zu ermorden. Man behauptet, dass du am meisten von seinem Tode profitierst.« Marri war eine darranische Dame durch und durch. Sie erinnerte Rialla an einen wütenden Schmetterling: wunderschön und nutzlos.

Laeth sah Marri an, und nicht einmal Rialla konnte in seinem Gesicht lesen, dann schüttelte er langsam den Kopf: »Es gibt so viele Menschen, die einen Nutzen aus Karstens Tod ziehen würden, Lady. Zuallererst steht da doch das Vorhaben im Raum, Darran mit einem gar grässlichen Land zu vereinen. Dann steht für die Bergleute im Osten zu befürchten, dass Karsten gewisse Minen an Reth zurückgeben könnte. Auch die Sklaventreiber sind besorgt, dass er ihnen ihre Lebensgrundlage entzieht. Vorausgesetzt also, man sah Euch nicht mein Zimmer betreten, kann doch niemand ernsthaft behaupten, ich hätte ein gewichtigeres Motiv, meinen Bruder umzubringen, als jeder andere auch.«

Fassungslos schüttelte Marri den Kopf; ihre Augen funkelten vor Zorn. »Verdammt, Laeth. Komm mir jetzt nicht mit diesem Aristokratengetue. Das passt nicht zu dir. Niemand hat mich herkommen sehen.«

Laeth verbeugte sich leicht und sagte höflich: »Entschuldigt bitte, meine Dame. Fühlt Euch bitte nicht genötigt zu bleiben, wenn mein Aristokratengetue Euch beleidigt haben sollte.«

Marri schloss die Augen und holte tief Luft. Weiß malten sich ihre edlen Wangenknochen unter der dunklen Haut ab. »Würdest du mir jetzt bitte mal zuhören, du störrischer Esel?«

Rialla unterdrückte ein Grinsen und dachte, dass sie Marri trotz allem mögen könnte.

»Glaubst du«, fuhr sie mit schneidender Stimme fort, »ich hätte riskiert hierherzukommen, wenn keine wirkliche Gefahr für dich bestehen würde? Stell dich nicht dümmer als nötig. Es gibt hier jemanden, der ganz bewusst dafür sorgt, dass man sich auf dich als Karstens Mörder kapriziert. Es kann gar nicht anders sein, betrachtet man das außerordentlich starke Misstrauen dir gegenüber.«

Marris Stimme wurde weicher. »Karsten weiß, dass ihm jemand nach dem Leben trachtet, und wir haben jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme gegen einen möglichen Anschlag ergriffen. Du wirst hier nicht gebraucht. Er mag vielleicht glauben, dass du wegen seines Geburtstags gekommen bist, aber ich weiß es besser. Nichts Geringeres als der Angriff auf sein Leben im letzten Monat hätte dich dazu bewegen können, nach Westholdt zurückzukehren.«

Laeth hob die Augenbrauen und ließ sich zurück auf die Bettkante sinken. Dort zog er sich einen Stiefel aus. »Jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme? Das hat ihm heute Abend aber nicht viel genützt, oder?«

»Du aber auch nicht!«, erwiderte sie hitzig.

Rialla bemerkte einen feuchten Schimmer in ihren Augen.

»Ich könnte es nicht ertragen, mich um euch beide sorgen zu müssen!«

»Tränen, Marri?«, fragte Laeth bissig.

»Ja, verdammt sollst du sein.« Rasch rieb sie sich die Augen. »Es tut mir leid, was passiert ist. Aber es war nicht allein mein Fehler. Du hast mich ein ganzes Jahr lang sitzen lassen, ohne mir mitzuteilen, wie ich dich erreichen kann. Meine Eltern waren verschuldet, und es bestand die Gefahr, dass sie das Herrenhaus verlieren, da machte mir dein Bruder den Antrag. Ich habe einen kleinen Bruder und drei jüngere Schwestern. Glaubst du, es wäre besser gewesen, sie dem Elend zu überlassen, wo ich es doch verhindern konnte? Hätte ich meiner Familie denn sagen sollen, ich kann Karsten nicht heiraten, weil sein Bruder mir mal schöne Augen gemacht hat?«

Während sie gesprochen hatte, schien Laeths distanzierte Art von ihm abgefallen zu sein. Stattdessen ballte er die Hände zu Fäusten und starrte zu Boden. Als er das Wort ergriff, war es kaum mehr als ein Flüstern: »Es war mehr, als dass ich dir nur schöne Augen gemacht hätte, Marri.«

Ihre Wut verrauchte abrupt; plötzlich war nur mehr Traurigkeit in ihrem Blick. »Ich weiß, aber wie hätte ich das meinem Vater erklären sollen? Und ehrlich gesagt, war ich mir deiner zum Schluss wirklich nicht mehr sicher. Als du gingst, hast du mir nicht gesagt, wohin oder warum.«

»Du wusstest, dass ich eines Tages zu dir zurückkehren würde.«

»Wusste ich das?«, fragte sie und seufzte. »Ja, ich glaube, das tat ich, aber du hast es mir eben nie gesagt

Sie durchschritt den Raum, ignorierte dabei Rialla vollkommen. Nach einer Weile fuhr sie fort: »Mir liegt wirklich viel an ihm, weißt du? Und die Chance, dass er überlebt, bis die Prinzessin König Myr ehelicht, sind sehr gering. Er hat es mir erklärt, als spräche er zu einem kleinen Kind, tätschelte mir sodann den Kopf und meinte, dass du nach seinem Tod schon für mich sorgen würdest.« Sie neigte den Kopf und umschlang sich selbst. »Bei den Göttern«, seufzte sie niedergeschlagen.

Das war zu viel für Laeth. Ohne seinen Schild der Kälte konnte er ihr Leiden nicht mehr länger ertragen. Er sprang vom Bett auf – er trug noch immer einen seiner Stiefel –, kam auf Marri zu und nahm sie fest in seine Arme. »Mir wird nichts geschehen, und ich werde alles daransetzen, dass auch Karsten nichts geschieht. Damit wirst du dich zufriedengeben müssen.«

Laeth liebkoste sie, legte dann sein Kinn auf ihren Kopf und starrte mit leerem Blick die Wand an. Marri lehnte sich für einen Moment an ihn, dann flüsterte sie: »Ich sollte nun gehen, bevor meine Kammerjungfer anfängt, sich Sorgen zu machen. Sie ist mir sehr verbunden, aber man sollte sein Schicksal nicht herausfordern.«

Laeth ließ zu, dass sie sich von ihm zurückzog »Es tut mir leid, Marri«, sagte er. »Es tut mir leid, dass ich nicht mit deinem Vater gesprochen habe, und, dass du dir Sorgen gemacht hast.« Er lächelte sie schwach an, dann senkte er die Stimme. »Es tut mir sogar leid, dass ich ein störrischer Esel bin. Karsten ist ein guter Mann, selbst wenn er mein Bruder ist.«

Er nahm formvollendet ihren Arm und geleitete sie zur Tür. »Danke, dass Ihr mich gewarnt habt, Lady. Ich werde es nicht vergessen. Falls Ihr herausfindet, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, dass ich meinem Bruder nach dem Leben trachte, würde ich seinen Namen gern erfahren – doch schickt mir einen Diener mit der Nachricht.«

Er legte eine Hand auf die Klinke, und Rialla versuchte beiläufig mithilfe ihres Talents in Erfahrung zu bringen, ob jemand im Flur herumlungerte. Doch sie vermutete, dass sie es gar nicht würde erspüren können – umso erstaunter war sie, als sie etwas da draußen fand.

»Laeth, halt«, zischte sie eindringlich. Sie gab ihren Platz neben der Wand auf, hetzte zur Tür und hielt sie zu. »Da draußen … ist jemand. Warte.« Sie holte tief Luft, presste die Stirn gegen das weiche Holz der Tür. Die Person jenseits der Pforte war außer sich vor Wut; allein die Intensität der Emotionen hatte es ihr erlaubt, ihn oder sie aufzuspüren. Sie begann zu schwitzen, versuchte mehr herauszufinden …

Der Zorn, den sie empfing, war äußerst stark und gegen … die Katze gerichtet. Die leidige, scharfkrallige und flinke Tigerkatze, die mit dem leckeren Stück Fleisch davongerannt war, das er oder sie für später beiseitegeschafft hatte. Rialla merkte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Er oder sie, das war nicht mehr als einer der Schlosshunde. Den Jagdhunden des Hauses war es gestattet, sich frei in der Feste zu bewegen – eine von Karstens kleinen Überspanntheiten.

Der Geist von Tieren war schon immer viel einfacher aufzugreifen als der von Menschen. Ihre Gedanken waren einfacher, zielgerichteter und direkt mit ihren Emotionen verknüpft. Einen von ihnen zu empfangen war fast genauso leicht, wie ihre Gefühle zu berühren.

Sie war schon im Begriff, sich umzudrehen und zu erklären, warum sie Marri am Gehen gehindert hatte, als sie den letzten Rest eines Gedankens empfing … den Nachklang eines tiefsitzenden Grolls, ausgehend vom anderen Ende der Leine, die den Hund von der Katze fernhielt. Wieder versuchte sie, erfolglos, die Person jenseits der Tür zu erfassen, doch allein den Hund nahm sie klar und deutlich wahr.

Sie bekam Kopfschmerzen unter der Anstrengung, die alten Narben zu dehnen, die ihre Empathie einschnürten, doch sie ignorierte die Pein. Unfähig, die Person zu erfassen, berührte sie mittels ihrer Gabe abermals das Tier, das diese begleitete, noch forschender nun. Und dann, hörbar für alle, begann der Wachhund draußen zu bellen.

Laeth sah sie aus zusammengekniffenen Augen an, winkte jedoch Marri von der Tür fort und rief dann mit lauter Stimme: »Mädchen! Sieh mal draußen nach, was mit dem Hund los ist und bring das Biest zum Schweigen!« Er ging zum Bett, ließ sich darauf nieder und begann, sich den anderen kniehohen Stiefel auszuziehen.

»Ja, Meister«, erwiderte Rialla folgsam und löste das Haar aus ihrem Pferdeschwanz. Dann biss sie sich auf die Lippen, als wäre sie gerade heftig geküsst worden, und öffnete den obersten Knopf ihrer Tunika.

Sie schlüpfte aus dem Zimmer, nicht ohne dem Mann vor der Tür einen ausgiebigen Blick auf Laeth, der noch immer mit seinem Stiefel kämpfte, zu gewähren. Sie erkannte den Kerl mit dem Hund nicht, aber das war keine Überraschung. Er trug die Uniform der Wachen, und diese hielten sich zumeist in den Außenanlagen und nur sehr selten in der eigentlichen Feste auf. Rialla selbst kannte nur die Hausbediensteten.

Der Mann sah sie lange an, ließ dabei dem hechelnden Hund unwillkürlich noch ein paar Zentimeter mehr Leine.

Sie grub ihre Zähne in die Unterlippe und lehnte sich so lasziv gegen das Türblatt, wie es nur eine ausgebildete Tänzerin konnte. »Was hat er denn?«, fragte sie mit rauer Stimme.

Der Mund des Mannes öffnete sich, doch es kam kein Wort heraus.

In dem Moment drang Laeths Stimme durch die Tür. »Sieh zu, dass der Köter endlich Ruhe gibt!«

Rialla quietschte erschrocken auf, rannte zirpend auf den Hund zu. »Sschscht, Hündchen, sei ein guter Junge …«

Endlich riss sich der Wachmann von ihrem Ausschnitt los. »Nicht!«, rief er. »Das ist ein ausgebildeter Wachhund … Er wird dich … in Stücke reißen.« Die letzten Worte kamen dünn und verzagt, denn in diesem Moment rollte sich der Hund verzückt auf den Rücken, bevor Rialla ihm den Bauch kraulte.

Mit ihren großen grünen Augen sah sie zu dem Wachmann auf und sagte: »Mit Hunden hab ich mich schon immer gut verstanden. Ob er wohl wieder anfängt zu bellen, wenn ich ihn nicht mehr streichle? Mein Meister ist furchtbar jähzornig, und wenn er hört, dass das Tier wieder Lärm macht, wird er ihm bestimmt den Hals umdrehen.« Sie schwieg einige Sekunden, dann fügte sie flüsternd hinzu: »Und Euch wohl auch.«

Jeder in der Feste wusste, dass Laeth in den letzten zwei Jahren in Sianim zum Söldner ausgebildet worden war. Und es ging das Gerücht, dass Laeths Temperament sogar noch beachtlicher war als seine Zügellosigkeit.

Der große Wachmann schluckte und packte den Hund am Halsband. Dabei berührte Rialla kurz seine Hand und erhaschte einen flüchtigen Gedanken: … kann ich das Geld, das ich für diese Aufgabe kriege, als Leiche nicht mehr ausgeben …

Er war also fürs Rumschnüffeln bezahlt worden. Aber von wem? Rialla sah zu, wie der Wachmann den Hund den Gang entlangzerrte und mit dem Tier um die Ecke bog. Hätte sie seine Gedanken doch nur ein wenig länger gelesen! Frustriert schlug sie auf den Fußboden und sprang auf die Füße.

Als sie die Tür zu Laeths Gemächern öffnete, rief sie: »Die Luft ist rein.«

Marri huschte hinaus und warf Rialla einen durchdringenden Blick zu, bevor sie, die andere Richtung als der Wachmann einschlagend, durch den Flur davoneilte. Rialla kehrte in das Schlafgemach zurück und schloss sanft die Tür hinter sich.

»Also gut, Ria«, meinte Laeth, »wie hast du gewusst, dass jemand da draußen war.« Er hatte sich auf dem farbenprächtigen Überwurf seines Bettes ausgestreckt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Beine leicht übereinandergeschlagen.

Rialla lehnte sich gegen den Türrahmen und erwiderte: »Würdest du mir glauben, wenn ich behauptete, dass ich die beiden gehört habe?«

»Nachdem der Hund zu bellen anfing, sicher«, erwiderte Laeth. »Aber ich bezweifle, dass du durch die dicke Holztür gehört haben willst, wie sie den Flur entlangkamen.«

»Hmmm«, meinte Rialla neckisch und berührte nachdenklich ihr Kinn. »Und was wäre mit –«

»Der Wahrheit!«, unterbrach Laeth sie bestimmt.

»Aber die wird dir nicht gefallen, und du würdest sie mir vermutlich ohnehin nicht glauben.« Rialla schlenderte zu dem kleinen Tisch, auf dem sie zuvor gesessen hatte, und drehte die abscheuliche violette Glasvase in ihren Händen.

»Ria.« Seine Stimme klang ungeduldig.

Sie stellte die Vase wieder an ihren Platz zurück. »Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Nun gut … Ich bin so eine Art … Empathin, weißt du.«

»Eine was?«, fragte Laeth ungläubig.

»Eine Empathin. Also, ich weiß, was du … fühlst. Ich kenne deine Gedanken.« Ohne es zu wollen, hatte ihre Stimme einen sonoren, leicht finsteren Unterton angenommen, aber sie riss sich zusammen, als sie fortfuhr: »Wie diese Gedankenleser vom Wanderzirkus.«

Er setzte sich kerzengerade auf dem Bett auf. »Du kannst anderer Leute Gedanken lesen?«

»Na ja, einst konnte ich das, aber heutzutage klappt es nicht mehr so gut.« Sie nahm eine kleine Statuette vom Tisch und fuhr fort: »Bei Tieren geht es leichter. Emotionen kann ich recht klar erfassen, sofern sie stark genug sind, und gelegentlich auch die Gedanken, die damit einhergehen. Marri jedenfalls findet dich so anziehend wie eh und je, so viel ist klar.« Sie nickte bestätigend, als er sie verblüfft ansah.

»Du hast Marris Gedanken gelesen?« Diesmal lag eine gehörige Portion Verärgerung in seiner Stimme.

»Das war nun nichts, was nicht auch jeder aufmerksame Beobachter ihrem Gesichtsausdruck hätte entnehmen können«, erwiderte sie unverbindlich und platzierte die Figurine neben der Vase. Sie merkte, wie sie in die Defensive geriet. Irgendwie war es in Sklavenkleidung schwieriger, sich auf Augenhöhe mit ihm auseinanderzusetzen.

»Verdammt, Rialla, das wird ja immer schlimmer. Du bist Marri damit eindeutig zu nahe getreten!« Er stand auf, und sie sah, wie sich im Zorn seine Armmuskeln anspannten. Ihr Herzschlag beschleunigte, als er auf sie zukam.

Sie konnte zurückschlagen oder sich wegducken. Letzteres wäre gewiss klüger, doch dann wäre sie tatsächlich nichts weiter als die Sklavin, deren Verkleidung sie derzeit trug.

»Ihr Darraner und euer übertriebener Sinn für Anstand«, sagte sie ruhig und nicht ohne Bitterkeit in der Stimme. Er hielt inne. »Ich kenne die Regeln, nach denen ihr euer Leben ausrichtet. Nehmen wir nur den feinen und absolut tadellosen Lord Jarroh, deines Bruders bester Freund und treuester Verbündeter. Er kam oft in das kleine Etablissement, in dem ich tanzte, weißt du? Verschüttete nie einen Tropfen des einzigen Glases Wein, das er sich dort für gewöhnlich genehmigte. Man hat sich auch unter dem Einfluss von Alkohol stets im Griff zu haben, so heißt es doch. Der Kellner bekam immer ein angemessenes Trinkgeld von ihm. Dann ging er nach oben aufs Zimmer und schlug das kleine Sklavenmädchen, das er sich dort hielt. Manchmal nahm er dazu eine Peitsche, manchmal seine Fäuste. Verkrüppelt, wie mein Talent schon damals war, reichte es doch aus, jedes Mal die unsagbare Pein zu spüren, die sie durchlitt.« Sie lächelte Laeth freudlos an. »Diese Sklavin hat nur zwölf Sommer erlebt, bevor sie starb.«

Sie sah, dass Laeths Zorn verflogen war, aber nun, da sie so richtig in Fahrt war, konnte sie einfach nicht mehr aufhören. »Der Sklavenerzieher, der auch mein Häscher war, hat mit mir noch dreiundzwanzig andere aus meinem Clan gefangengenommen. Zwanzig von ihnen hat er bis aufs Blut gequält und ermordet. Ich habe jeden dieser Tode mit durchlebt. Und aufgrund dieser Ereignisse kann ich meine Gabe nicht mehr so kontrollieren wie zuvor. Ich höre, was ich höre.« Sie hob die Augenbrauen und fügte spöttisch hinzu. »Es tut mir also leid, wenn dadurch dein darranisches Anstandsgefühl verletzt worden ist.«

Laeths Blick war ausdruckslos. Nach einer Weile berührte er ihre Wange mit seiner Hand. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie weinte und vor ihm zurückgewichen war, obwohl sie dies unter keinen Umständen hatte tun wollen. Hart drückte der Türrahmen ihr in den Rücken.

»Entschuldige«, sagte er leise. »Ich wollte dir keine Angst machen.« Er ging zurück zum Bett und legte sich wieder darauf, schloss die Augen. Mit derselben weichen Stimme fragte er: »Was hatte denn der Wachmann draußen in den Fluren zu suchen, wo er doch die Burgmauern bewachen soll?«

»Manchmal, wenn ich körperlichen Kontakt zu einer Person aufnehme, kann ich einige ihrer verstreuten Gedanken aufschnappen. Ich denke, jemand hat ihn dafür bezahlt, in die Feste zu kommen, aber ich konnte nicht mehr herausfinden, wen zu beobachten er beauftragt wurde. Es könnte sich um dich handeln, oder um Marri, oder um jeden anderen der fünfzehn Menschen, die in diesem Flügel untergebracht sind.«

»Falls er auf Marri angesetzt worden ist«, fuhr sie fort, »dann ist er ihr wahrscheinlich schon von ihrem Zimmer aus hierher gefolgt. In diesem Fall wüsste er, dass sie in deinem Gemach verschwunden ist. Wenn er deinetwegen im Flur patrouilliert hat, dann hat er sie vielleicht gar nicht in diesem Teil der Feste gesehen. Und falls er wegen einer gänzlich anderen Person hier herumgeschnüffelt hat, müssen wir uns vermutlich keine allzu großen Sorgen machen.«

»Gut, du konntest also nicht mehr feststellen, nach wem er gesucht hat. Hast du vielleicht rausgefunden, wer ihn bezahlt hat?« Laeth sprach immer noch überaus freundlich, weshalb sie wusste, dass ihre Miene noch nicht halb so ausdrucksleer war, wie sie es sich wünschte. Sie riss sich noch ein bisschen mehr zusammen.

»Nein«, erwiderte sie. Das Metall des Türknaufs war kalt an ihrer Hand. »Aber ich spürte, dass es jemand sein muss, vor dem der Wachmann keine Furcht empfand, und es heute nicht das erste Mal war, dass ihm ein solcher Auftrag erteilt wurde. Der Mann hatte keinerlei Bedenken, seinen Posten zu verlassen, also ist er von einer Person geschickt worden, die einiges an Autorität besitzt, sodass er wegen seines unerlaubten Ausflugs keine Konsequenzen zu fürchten hat. Dein Bruder kann es nicht gewesen sein, denn der hätte den Wachmann ja gar nicht dafür bezahlen müssen. Ich denke, du wirst am besten wissen, wer als Auftraggeber in Frage kommt.«

»Lord Jarroh?«, fragte Laeth zweifelnd.

Rialla riss die Augen auf und schüttelte den Kopf. »Nein. Das gesamte Personal hat eine Scheißangst vor ihm, und ich denke, die Wachleute bilden da keine Ausnahme. Außerdem ist dergleichen nicht seine Art. Er würde niemals eine Person zum Spionieren abstellen, so was schickt sich einfach nicht für einen Edelmann …«

»Die einzige andere Person außer Lord Jarroh, meinem Bruder und mir, welche die Bestrafung eines Wachmanns aufgrund von Pflichtverletzung verhindern könnte, wäre mein Onkel, Lord Winterseine. Aber der ist ja noch nicht mal hier eingetroffen.«

»Was ist mit dem Aufseher?«, fragte Rialla.

Laeth schüttelte den Kopf. »Drams Anweisungen würden nicht in Frage gestellt. Er müsste ebenfalls keinen der Männer dafür bezahlen, durch die Feste zu patrouillieren, anstatt an der Mauer Dienst zu tun. Davon abgesehen fürchten die Wachleute ihn.«

Rialla überlegte einen Moment, dann sagte sie: »Lord Winterseines Diener Tamas war übrigens heute Abend hier.«

Laeth nickte. »Ich weiß. Hab ihn im Bankettsaal gesehen und mich deswegen danach erkundigt. Er traf mit dem Gepäck meines Onkels ein, wie er es immer tut. War er es, dem du nach dem Anschlag auf meinen Bruder nachgegangen bist? Hatte mich schon gefragt, wo du bleibst. Vermutlich hat er meinem Onkel unverzüglich davon berichten wollen, dass Karsten vergiftet worden ist.«

»Hätte er nicht eine der Wachen bestechen können, damit diese in seinem Auftrag jemanden auf Westholdt beobachtet?«, fragte Rialla.

»Ja, das wäre möglich«, sagte Laeth. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Onkel so etwas Ungehöriges einfädelt. In solchen Dingen ist er sogar noch ehrenhafter als Karsten.«

»Kann es vielleicht sein, dass der Wachmann geschickt wurde, um jemanden zu beschützen?«, warf Rialla nun in den Raum. »Wie auch immer, ich glaube nicht, dass es uns weiterbringt, wenn wir die ganze Nacht über diesem Problem grübeln. Ich denke, ich werde heute in den Sklavenquartieren schlafen. Manchmal schnappt man dort was Nützliches auf.«

Bevor Laeth etwas einwenden konnte, war sie durch die Tür nach draußen geschlüpft und eins geworden mit den Schatten in den dunklen Gängen der Feste.

Die Sklavenquartiere befanden sich im Untergeschoss der Feste, gleich neben dem Weinkeller. Rialla nahm an, dass man die Sklaven hier untergebracht hatte, um nicht kostbaren Platz auf den oberen Etagen dafür zu opfern und gleichzeitig kurze Wege zu den jeweiligen Besitzern zu garantieren. Was immer der Grund für die Ortswahl gewesen sein mochte, das Ergebnis war, dass die Sklavenquartiere behaglicher waren als die gesamte restliche Feste. Im Winter zog es unter der Erde nicht durch irgendwelche Ritzen, und im Sommer herrschte hier eine angenehme Kühle, während es oben in der Burg wie im Backofen war. Insofern war die einzige Decke, die am Fuß jeder Bettstatt lag, mehr als ausreichend.

In Darran wurden Sklaven hauptsächlich für das persönliche Vergnügen und weniger für die harte Arbeit gehalten, daher waren die meisten von ihnen weiblich. Die wenigen männlichen Sklaven arbeiteten in Freudenhäusern, wodurch ihren wohlhabenden Besitzern das gesellschaftliche Stigma gleichgeschlechtlicher Vorlieben erspart blieb. Die Frauen von Darran besaßen keine Sklaven. Nachdem für eine Trennung der Geschlechter also wenig Anlass bestand, war die Sklavenunterkunft von Westholdt nicht mehr als ein einziges großes Gewölbe.

Rialla erwartete nicht wirklich, hier unten etwas Brauchbares herauszufinden, aber sie konnte auch nicht entspannen oder schlafen. Vielleicht lag es an ihrer Gabe oder einfach an ihrem Instinkt, aber sie hielt inne, bevor sie den Schlafsaal betrat.

»… schläfst hier. Du bleibst hier unten, bis ich dich morgen wieder abhole. Hast du verstanden?«

Die Stimme des Mannes war sanft und freundlich. Dennoch drehte sich allein bei ihrem Klang Riallas Magen um, und ihre Hände begannen zu zittern.

Panisch flog sie zu der verschlossenen Tür des Weinkellers herum. Händler lehrten ihre Kinder das Schlossknacken und den Taschendiebstahl, sobald diese groß genug waren, um eine Klinke zu erreichen. Das Schloss des Weinkellers hatte nie mehr als einfache Hausangestellte davon abhalten sollen, sich unerlaubterweise zu bedienen, und so bereitete es Rialla wenig Probleme.

Leise zog sie die Tür des Vorratskellers wieder hinter sich zu. Im Dunkeln eng an das Holz gepresst, vernahm sie des Mannes harte Schritte auf dem Steinfußboden. Kurz hielt er vor der Tür des Weinkellers an, als ob er etwas gehört hätte, doch dann stieg er die Treppen ins Erdgeschoss der Burg hinauf.

Rialla schlang die Arme um ihre Knie und lauschte dem Hämmern ihres Herzens. Was um alles in der Welt tat ihr ehemaliger Besitzer auf Lord Karstens Feste? »Ein Edelmann würde zu offiziellen Anlässen einen Sklavenabrichter genauso wenig einladen wie einen Schweinehirten«, hatte Laeth gesagt.

Sieben Jahre lang war sie seine Sklavin gewesen, doch die meiste Zeit davon hatte sie in dem kleinen Lokal in Kentar, Darrans Hauptstadt, zugebracht. War sie nicht dort, musste sie ihm in dem kleinen Herrenhaus im Süden zu Diensten sein. Sie wurde unruhig, als sie an die kleinen Anzeichen dachte, die darauf schließen ließen, dass er mehr war als ein einfacher Sklavenabrichter: an die Diener, die ihn mit »Lord« ansprachen, die Atmosphäre von Tradition und Noblesse, die in dem Haus geherrscht hatte.

Wenn er tatsächlich zu den höheren Kreisen zählte, würde er auch an gesellschaftlichen Ereignissen teilnehmen, solange seine Tätigkeit als Sklavenabrichter geheim gehalten werden konnte. Laeth, das wusste sie, hatte am Sklavenhandel nie Interesse gehabt. Es war daher möglich, dass er ihren ehemaligen Besitzer kannte, aber nicht wusste, dass er ein Sklavenschinder war.

Sie wusste, sie hätte zurück in Laeths Gemächer kehren sollen, um ihm mitzuteilen, dass ihr ehemaliger Peiniger auf Westholdt war, doch sie fühlte sich sicher in dem dunklen, alkoholgeschwängerten Raum. Sie rollte sich in einer Ecke zusammen, legte ihre Wange gegen ein Holzfass und ließ es zu, dass die raue Oberfläche sich in ihre Haut drückte.

Sie verabscheute sich für die Feigheit, die sie überkommen hatte, obwohl sie vor Grauen am ganzen Körper zitterte. Wenn ihr Vater sie so sehen könnte, würde er sich für sie schämen. So hart hatte sie daran gearbeitet, das unterwürfige, kleinmütige Sklavenverhalten wieder abzulegen, und alles, was es brauchte, um es wieder zum Vorschein zu bringen, waren Laeths Wut oder die Stimme ihres ehemaligen Meisters.

Stumm verfluchte sie sich, trieb die Fingernägel in ihre Handflächen, sagte sich, dass es höchst unwahrscheinlich war, dass er heute noch einmal die Sklavenquartiere aufsuchte. Seufzend kam sie schließlich wieder auf die Beine und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Wie die meisten Händler konnte sie in der Nacht ausgezeichnet sehen, doch in dem fensterlosen Keller herrschte totale Dunkelheit. Und so brauchte es eine Weile, bis sie die Türklinke fand.

Sie holte tief Luft und verließ den Weinkeller, verschloss sorgsam die Tür hinter sich und ging ohne erkennbare Eile in Richtung der Sklavenquartiere. Falls eines der Mädchen bemerken sollte, dass sie geweint hatte, würde doch keines ein Wort darüber verlieren – Kummer, das war nun mal der Unfreien Los. Leise betrat sie den großen Raum.

Hier und da erhellten Fackeln den Saal, und Rialla stellte fest, dass nur etwa zwanzig der Stockbetten belegt waren. Das bedeutete, dass die restlichen Sklaven entweder arbeiteten oder in den Zimmern ihrer Besitzer weilten. Niemand war mehr wach, daher ging Rialla leise zu einer der unbenutzten Doppelkojen, die weitab der Tür lagen. Sie kletterte in das obere Bett und streckte sich darauf aus. Nur ein unerfahrener Sklave würde sich für die untere Koje entscheiden. Selbst unter Unfreien gab es so etwas wie eine Rangordnung. Gelegentlich brachen in den Quartieren sogar Kämpfe aus, wenn es darum ging, sich Respekt zu verschaffen. Insofern bot die obere Koje auch eine Art Schutz gegen unvermittelt hervorbrechende Aggressionen. Sie hatte die Augen gerade geschlossen, als aus der unteren Koje des Stockbettes neben ihr ein Geräusch an ihre Ohren drang. Sie lehnte sich über den Rand ihrer Matratze und blickte hinab auf das Mädchen, das dort lag.

Als Händlerin und spätere Pferdeausbilderin Sianims hatte sie schon alle möglichen Hautfarben gesehen – angefangen bei ihrem eigenen hellen Elfenbeinbeige bis hin zum tiefbronzefarbenen Teint der Ynstrah –, aber die Haut dieser Sklavin war nahezu schwarz. Weiches dunkles Haar, das bei Tageslicht vielleicht braun oder kupferrot schimmern mochte, fiel ihr in leichten Wellen bis über die Schultern. Sie hatte das Gesicht in der dünnen Matratze verborgen, und ihr Körper wurde von einem stummen Weinkrampf geschüttelt.

Rialla wollte eine Hand nach ihr ausstrecken, hielt sich aber im letzten Moment zurück. Sie würde alles daransetzen, die Sklaverei in Darran zu beenden, aber sie konnte derzeit nichts für dieses arme Mädchen tun.

In dieser Nacht träumte Rialla von einem fernen Land, in dem die Menschen alle so aussahen wie das seltsame Sklavenmädchen. Auch redete man hier in einer Sprache, die sie noch nie zuvor gehört hatte, die sie aber dennoch verstand, weil ihre empathischen Fähigkeiten sie, wie früher, dazu in die Lage versetzten. Es war ein grässlicher Albtraum mit fieberwahnartigen Bildern, die sie ohne Vorwarnung überfielen und dann wieder verschwanden.

Von kaltem Schweiß bedeckt und mit einem bohrenden Schmerz in der Brust erwachte sie. Rasch sprang sie aus der Koje auf den Boden. Schon wollte sie sich dem fremden Mädchen im benachbarten Stockbett zuwenden, doch es war zu spät. Von irgendwoher hatte es sich ein Essbesteckmesser besorgt und es sich wieder und wieder in die Brust gerammt.

Rialla sog scharf die Luft ein angesichts der Schmerzen, welche die junge Sklavin litt. Es war, als ob etwas die Barriere niedergerissen hätte, die so lange zwischen ihr und ihrer Gabe gestanden hatte. Die stumpfe Klinge des Messers und die Tatsache, dass das Mädchen nicht gewusst hatte, wie man sich möglichst kurz und schmerzlos erstach, machten Riallas Qual nur noch schlimmer. Und doch hatten seine unbeholfenen Versuche nach einer Weile zum Erfolg geführt. Und wie Rialla auf den geschundenen Körper herabschaute, tat das Mädchen seinen letzten Atemzug und lächelte, als es starb.

Rialla starrte auf den Leichnam der Sklavin, die sie nun fast so gut kannte wie sich selbst. Das junge Mädchen war eine starke Empathin gewesen und hatte seine eigene Seelenqual an Riallas mentalen Narben vorbei bis in ihre Träume hineingeleitet.

Rialla kannte den Namen der Sklavin, wusste, dass sie fünfzehn Sommer alt gewesen war und dass irgendwo in einem fernen Land die Ihren dachten, sie diene den Göttern – eine höchst ehrenvolle Stellung. Traurig hatte man sie ziehen lassen, aber sie war frohen Herzens gegangen, so wie es der Diener Altis’ von ihr verlangt hatte.

Sie konnte das Echo des Grauens und der Abscheu spüren, die das Mädchen empfunden hatte, als es schließlich herausfand, was seine wahren Pflichten sein würden. Ohne nachzusehen wusste sie, dass der Rücken des Mädchens übersät war mit frischen Peitschenstriemen und dass die Innenseite seiner Schenkel so blutunterlaufen waren, dass man die Prellungen selbst auf der schwarzen Haut noch gut erkennen konnte.

Rialla biss die Zähne zusammen und umrundete vorsichtig die Blutlachen, die über den Boden verteilt waren. Jeder Sklave versuchte unerwünschte Aufmerksamkeit zu vermeiden. Wenn man den toten Körper endlich entdeckte, würde sich schon längst niemand mehr in den Quartieren aufhalten, und keiner würde zugeben, dass er die Nacht dort verbracht hatte. Nur das Wissen darum, dass der Sklavenschinder vermutlich noch schlief, ließ Rialla die Stufen in den Haupttrakt der Feste hinaufeilen.

Leise betrat sie Laeths Schlafkammer, ohne ihn zu wecken. Sie setzte sich auf das harte Sofa neben seinem Bett, starrte in die Dunkelheit und wartete darauf, dass der Morgen anbrach.

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