Gelée Royale

«Ich mache mir Sorgen, Albert, schreckliche Sorgen.» Mrs. Taylor hielt die Augen auf das Baby gerichtet, das unbeweglich in ihrem linken Arm lag. «Ich weiß genau, da ist irgendwas nicht in Ordnung.»

Die Gesichtshaut des Säuglings war von einem durchsichtigen Weiß und spannte sich straff über die Knochen.

«Versuch’s nochmal», riet Albert Taylor.

«Es hilft nichts.»

«Du musst es immer wieder versuchen.»

Sie nahm die Flasche aus dem Topf mit heißem Wasser und prüfte die Temperatur der Milch, indem sie ein paar Tropfen auf die Innenseite ihres Handgelenks fallen ließ.

«Komm», flüsterte sie. «Komm, mein Liebes. Wach auf und trink noch ein bisschen.»

Die kleine Lampe, die neben ihr auf dem Tisch stand, hüllte sie in sanftes gelbes Licht.

«Bitte», flehte sie, «trink noch ein Schlückchen.»

Ihr Mann beobachtete sie über seine Zeitschrift hinweg. Er sah ihr an, dass sie halb tot vor Erschöpfung war. Ihr blasses ovales Gesicht, das für gewöhnlich so ernst und gelassen wirkte, hatte jetzt einen Ausdruck ratloser Verzweiflung. Aber trotz allem war eine eigenartige Anmut in ihrer Haltung, als sie sich über das Kind beugte.

«Siehst du», murmelte sie. «Es hilft nichts. Sie mag nicht.» Sie hob die Flasche gegen das Licht, damit sie die Maßstriche sehen konnte.

«Wieder nur eine Unze. Mehr hat sie nicht getrunken. Nein – noch nicht einmal so viel. Nur drei viertel. Davon kann sie doch nicht existieren. Wirklich nicht, Albert. Es quält mich zu Tode.»

«Ich weiß», antwortete er.

«Wenn sie wenigstens herausfinden würden, was ihr fehlt.»

«Nichts fehlt ihr, Mabel. Das ist alles nur eine Frage der Zeit.»

«Natürlich fehlt ihr was.»

«Dr. Robinson ist anderer Meinung.»

Sie stand auf. «Höre mal, du kannst mir nicht einreden, dass es normal ist, wenn ein sechs Wochen altes Kind weniger, sogar zwei ganze Pfund weniger wiegt als bei der Geburt. Sieh dir doch die Beine an. Nichts als Haut und Knochen!»

Schlaff und stumm lag das winzige Baby in ihrem Arm.

«Dr. Robinson hat gesagt, du solltest dir keine Sorgen machen, Mabel. Und der andere hat’s auch gesagt.»

«Ach», rief sie, «das ist ja großartig! Ich soll mir keine Sorgen machen!»

«Bitte, Mabel …»

«Was soll ich denn sonst tun? Das Ganze als Spaß betrachten?»

«Das hat er nicht gesagt.»

«Ich hasse die Ärzte! Alle hasse ich sie!» Mrs. Taylor wandte sich ab und ging mit ihrem Kind im Arm schnell aus dem Zimmer.

Albert Taylor blieb, wo er war, und versuchte nicht, sie zurückzuhalten.

Gleich darauf hörte er im Schlafzimmer, gerade über ihm, das Tap-tap-tap rascher, nervöser Schritte auf dem Linoleum. Er wusste: Wenn diese Laute verstummten, musste er zu ihr hinaufgehen, und dann würde sie wie üblich neben dem Kinderbettchen sitzen und still vor sich hin weinen, den Blick unverwandt auf das Baby gerichtet.

«Sie verhungert, Albert», würde sie sagen.

«Unsinn, sie denkt gar nicht daran.»

«Doch, sie verhungert, ich weiß es. Und – Albert …»

«Ja?»

«Ich glaube, du weißt es auch und willst es nur nicht zugeben. Habe ich recht?»

So ging es jetzt allnächtlich.

In der letzten Woche waren sie mit dem Baby im Krankenhaus gewesen. Der Arzt hatte die Kleine gründlich untersucht und dann erklärt, dass ihr nichts fehle.

«Wir haben neun Jahre gebraucht, dieses Kind zu bekommen, Herr Doktor», hatte Mabel gesagt. «Ich würde sterben, wenn ihm etwas passierte.»

Das war vor sechs Tagen gewesen, und inzwischen hatte das Kind wieder fünf Unzen abgenommen.

Aber es nützte ja nichts, sich Sorgen zu machen, stellte Albert Taylor nachdenklich fest. In solchen Fällen musste man sich einfach auf den Arzt verlassen. Er griff nach der Zeitschrift, die auf seinen Knien lag, und überflog das Inhaltsverzeichnis, um zu sehen, was ihm in dieser Woche geboten wurde.

Unsere Bienen im Mai Die Honigbereitung Der Bienenzüchter und der Bienenpharmazeut Hinweise zur Bekämpfung der Nosema Das Neueste über Gelée Royale Diese Woche im Bienenhaus Die Heilkraft von Propolis Das Ausschwärmen Das Jahresessen der britischen Bienenhalter Vereinsnachrichten

Albert Taylor hatte sich von jeher für alles begeistert, was mit Bienen zusammenhing. Als kleiner Junge hatte er sie oft mit bloßen Händen gefangen und war dann ins Haus gelaufen, um sie der Mutter zu zeigen; manchmal setzte er sie sich ins Gesicht, ließ sie über Wangen und Hals kriechen, und das Erstaunliche war, dass er nie gestochen wurde. Im Gegenteil, die Bienen fühlten sich anscheinend sehr wohl bei ihm. Nie versuchten sie fortzufliegen, und wenn er sie loswerden wollte, musste er sie behutsam mit den Fingern abstreifen. Selbst dann kehrten sie oft zurück und setzten sich wieder auf seine Hände, Arme oder Knie, überallhin, wo nackte Haut war.

Sein Vater, ein Maurer, behauptete, der Junge müsse einen Hexengestank haben, der aus seinen Poren dringe, und er fügte hinzu, bei solchem Insektenhypnotisieren komme bestimmt nichts Gutes heraus. Die Mutter dagegen meinte, so etwas sei eine Gabe Gottes, und sie ging so weit, Albert und die Bienen mit dem heiligen Franziskus und den Vögeln zu vergleichen.

Im Laufe der Zeit wurde aus Albert Taylors Vorliebe für Bienen eine Leidenschaft, und mit zwölf Jahren baute er seinen ersten Bienenstock. Dann fing er seinen ersten Schwarm. Mit vierzehn hatte er bereits fünf Bienenstöcke, die hübsch in einer Reihe am Zaun des väterlichen Hofes standen, und schon damals beschäftigte er sich nicht nur mit der normalen Honiggewinnung, sondern auch mit der schwierigen, äußerst komplizierten Aufgabe, Königinnen zu züchten, indem er Larven in künstliche Zellen setzte und sie genau nach Vorschrift versorgte.

Wenn er in einem Stock arbeitete, brauchte er weder Pfeife, Handschuhe noch Kopfschutz. Zwischen dem Jungen und den Bienen bestand offenbar eine seltsame Sympathie, und im Dorf, in den Läden und Kneipen sprach man mit einem gewissen Respekt von Albert Taylor. Immer öfter kamen Leute und kauften Honig bei ihm.

Mit achtzehn Jahren pachtete er einen Morgen Brachland, das neben einem Obstgarten mit Kirschbäumen lag und ungefähr eine Meile vom Dorf entfernt war. Dort hatte er sich darangemacht, ein eigenes Geschäft aufzubauen. Jetzt, elf Jahre später, saß er noch immer an derselben Stelle, hatte aber sechs Morgen Land statt des einen, zweihundertvierzig gut besetzte Bienenstöcke und ein selbstgebautes Häuschen. Er hatte schon als Zwanzigjähriger geheiratet, und abgesehen von den neun Jahren Wartezeit auf das Kind, war auch das ein Erfolg gewesen. Ja, Albert hatte stets Glück gehabt, bis dieses merkwürdige kleine Mädchen erschienen war, das die Eltern in tödliche Angst versetzte, weil es die Nahrungsaufnahme verweigerte und täglich an Gewicht verlor.

Er blickte von der Zeitschrift auf und dachte an sein Töchterchen.

Vorhin zum Beispiel hatte die Kleine zu Beginn der Mahlzeit die Augen aufgeschlagen, und da war ihm etwas aufgefallen, was ihn sehr beunruhigte – dieser leere, verschwommene Blick, als wären die Augen gar nicht mit dem Gehirn verbunden, sondern lägen wie kleine graue Murmeln in ihren Höhlen.

Ob die Ärzte eigentlich wussten, was sie sagten?

Er zog seinen Aschbecher heran und kratzte langsam mit einem Streichholz die Asche aus dem Pfeifenkopf.

Man konnte ja das Kind zur Vorsicht in einem anderen Krankenhaus untersuchen lassen, vielleicht in Oxford. Wenn er nachher hinaufging, wollte er Mabel das vorschlagen.

Er hörte noch immer ihre Schritte im Schlafzimmer, aber sie hatte wohl die Schuhe mit Pantoffeln vertauscht, denn das Geräusch war sehr leise.

Wieder richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Zeitschrift. Er las die «Hinweise zur Bekämpfung der Nosema», blätterte um und nahm den nächsten Artikel in Angriff: «Das Neueste über Gelée Royale». Allerdings bezweifelte er, dass Dinge darin stehen würden, die er noch nicht wusste.

Was ist diese wundervolle, Gelée Royale genannte Substanz?

Er griff nach der Tabaksdose, die neben ihm auf dem Tisch stand, und stopfte seine Pfeife, während er las.

Gelée Royale ist ein Drüsensekret der Ammenbienen, mit dem die Larven unmittelbar nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei gefüttert werden. Die Speicheldrüsen der Bienen produzieren diese Substanz auf ähnliche Art, wie die Brustdrüsen der weiblichen Säugetiere Milch produzieren. Diese Tatsache ist von großem biologischem Interesse, weil es in der Welt keine anderen Insekten gibt, die einen solchen Prozess entwickelt haben.

Weiß ich ja alles, dachte er, las aber weiter, denn er hatte nichts Besseres zu tun.

In den ersten drei Tagen nach dem Ausschlüpfen werden alle Bienenlarven mit Gelée Royale in konzentrierter Form gefüttert; danach wird für jene, die zu Drohnen oder Arbeiterinnen bestimmt sind, diese wertvolle Nahrung stark mit Honig und Blütenstaub verdünnt. Die Larven jedoch, die dazu bestimmt sind, Königinnen zu werden, erhalten ihre ganze Larvenzeit hindurch den konzentrierten Futtersaft, also reines Gelée Royale. Daher der Name.

Über ihm im Schlafzimmer waren keine Schritte mehr zu hören. Das Haus war still. Er zündete ein Streichholz an und hielt es an die Pfeife.

Gelée Royale muss eine ungeheuer nahrhafte Substanz sein, denn die Bienenlarven, die mit nichts anderem gefüttert werden, haben nach fünf Tagen das Fünfzehnhundertfache ihres ursprünglichen Gewichts erreicht.

Wird so ungefähr stimmen, dachte er, obwohl ihm noch nie eingefallen war, das Wachstum der Larven nach dem Gewicht zu bestimmen.

Das ist, als wäre ein Baby von siebeneinhalb Pfund im gleichen Zeitraum um fünf Tonnen schwerer geworden.

Albert Taylor stutzte und las den Satz noch einmal.

Er las ihn auch noch ein drittes Mal.

Das ist, als wäre ein Baby von siebeneinhalb Pfund … «

Mabel!», schrie er, von seinem Stuhl aufspringend. «Mabel! Komm her!»

Er ging hinaus, blieb an der Treppe stehen und rief von neuem nach seiner Frau.

Keine Antwort.

Er lief hinauf und knipste auf dem oberen Flur das Licht an. Die Schlafzimmertür war geschlossen. Er öffnete sie und blickte von der Schwelle in das dunkle Zimmer. «Mabel», sagte er, «sei so gut und komme einen Augenblick herunter. Ich habe eine großartige Idee. Es handelt sich um das Baby.»

Die Lampe hinter ihm warf einen schwachen Lichtschein über das Bett, und er konnte undeutlich sehen, dass Mabel auf dem Bauch lag, das Gesicht in die Kissen gepresst, die Arme von sich gestreckt. Sie weinte.

Er trat zu ihr und berührte ihre Schulter. «Mabel», bat er, «komm herunter. Vielleicht ist es wichtig.»

«Geh weg», sagte sie. «Las mich in Ruhe.»

«Möchtest du denn nicht hören, was mir eben eingefallen ist?»

«Ach, Albert», schluchzte sie. «Ich bin müde. So müde, dass ich nicht mehr weiß, was ich tue. Ich kann das nicht länger aushalten. Ich kann nicht, ich kann nicht …»

Eine Pause entstand. Albert Taylor wandte sich ab, ging langsam zu dem Bettchen hinüber, in dem die Kleine lag, und schaute hinein. In der Dunkelheit war das Gesicht des Kindes nicht zu erkennen, doch als er sich vorbeugte, hörte er die schnellen, schwachen Atemzüge.

«Wann bekommt sie wieder die Flasche?», fragte er.

«Um zwei.»

«Und dann die nächste?»

«Morgen früh um sechs.»

«Die beiden Mahlzeiten gebe ich ihr», sagte er. «Schlaf du dich nur aus.»

Sie antwortete nicht.

«Leg dich gleich richtig hin, Mabel, und schlaf sofort ein, hörst du? Und mach dir keine Gedanken mehr. Für die nächsten zwölf Stunden übernehme ich alles. Du musst dich ein wenig schonen, sonst brichst du völlig zusammen.»

«Ja, ich weiß», flüsterte sie.

«Das Würmchen und ich gehen jetzt mit dem Wecker ins Fremdenzimmer, und du legst dich schön bequem hin und denkst gar nicht an uns. Ja?» Er war schon dabei, das Bettchen aus der Tür zu schieben.

«Ach, Albert», schluchzte sie.

«Nicht aufregen, Mabel. Wird schon nichts passieren.»

«Albert …»

«Ja?»

«Ich liebe dich, Albert.»

«Ich dich auch, Mabel. Und nun schlaf.»

Bis zum nächsten Vormittag sah Albert Taylor seine Frau nicht wieder. Erst kurz vor elf Uhr kam sie in Morgenrock und Pantoffeln die Treppe heruntergeeilt.

«Du lieber Himmel!», rief sie. «Albert, sieh doch bloß auf die Uhr! Ich habe ja mindestens zwölf Stunden geschlafen! Ist alles in Ordnung? Wie war es?»

Er saß ruhig im Lehnstuhl, rauchte eine Pfeife und las die Morgenzeitung. Zu seinen Füßen schlief das Baby in einem Tragkörbchen.

«Hallo, Liebste», sagte er lächelnd.

Sie lief zu dem Körbchen und schaute hinein. «Hat sie etwas getrunken, Albert? Wie oft hast du ihr die Flasche gegeben? Um zehn hätte sie wieder trinken müssen, wusstest du das?»

Albert Taylor faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch. «Das erste Mal habe ich sie um zwei Uhr morgens gefüttert, und sie hat ungefähr eine halbe Unze getrunken, nicht mehr. Dann habe ich sie um sechs Uhr aufgenommen, und da war es schon etwas besser, zwei Unzen …»

«Zwei Unzen? Albert, das ist ja wunderbar!»

«Und vor zehn Minuten haben wir die letzte Mahlzeit beendet. Dort auf dem Kamin steht die Flasche. Eine Unze ist noch drin, und drei hat sie getrunken. Was sagst du dazu?» Sein breites Lächeln verriet, wie beglückt er über diesen Erfolg war.

Mrs. Taylor kniete sich rasch hin und betrachtete das Kind.

«Sieht sie nicht besser aus?», fragte ihr Mann eifrig. «Ich finde, das Gesicht ist runder geworden.»

«Vielleicht klingt es albern», antwortete sie, «aber ich glaube wirklich, sie hat sich erholt. Ach, Albert, du bist ein Wunder! Wie hast du das nur geschafft?»

«Sie ist über den Berg, das ist alles. Genau wie es der Doktor vorausgesagt hat.»

«Ich hoffe zu Gott, dass du recht hast, Albert.»

«Natürlich habe ich recht. Pass auf, von jetzt an gedeiht sie.»

Seine Frau blickte das Baby liebevoll an.

«Du siehst auch besser aus, Mabel.»

«Ich fühle mich ausgezeichnet. Es tut mir leid wegen gestern.»

«Ich mach dir einen Vorschlag», sagte er. «In Zukunft werde ich ihr abends und nachts die Flasche geben, und du versorgst sie tagsüber.»

Sie hob den Kopf und sah mit gerunzelter Stirn zu ihm auf. «Nein, das kommt überhaupt nicht infrage.»

«Ich möchte nicht, dass du zusammenklappst, Mabel.»

«Tue ich auch nicht. Ich bin jetzt wieder ganz frisch.»

«Warum wollen wir uns die Arbeit nicht teilen?»

«Nein, Albert. Um das Kind kümmere ich mich, ich ganz allein. So etwas wie gestern passiert nicht nochmal.»

Eine Weile blieb es still. Albert Taylor untersuchte den Tabak im Kopf seiner Pfeife. «Schön», sagte er schließlich, «dann werde ich dir wenigstens den Kleinkram abnehmen, das Sterilisieren, das Mischen und die übrigen Vorbereitungen. Ein bisschen hilft dir das auch.»

Sie schaute ihn verwundert an und fragte sich, was plötzlich über ihn gekommen sei.

«Sieh mal, Mabel …»

«Ja, Liebster?»

«Mir ist klargeworden, dass ich bis zur vergangenen Nacht keinen Finger gerührt habe, um dir zu helfen.»

«Das ist nicht wahr.»

«Doch, doch. Und deshalb habe ich beschlossen, dich von nun an nach Möglichkeit zu entlasten. Ich werde die Milch mit Haferschleim mischen und die Flaschen sterilisieren. Einverstanden?»

«Das ist süß von dir, Liebster, aber ich glaube wirklich, es ist nicht nötig …»

«Sei vernünftig!», rief er. «Lass es dabei! Die letzten drei Male habe ich die Milch zurechtgemacht, und du siehst ja, was dabei herausgekommen ist. Wann gibst du ihr die nächste Mahlzeit? Um zwei, nicht wahr?»

«Ja.»

«Dafür steht schon alles bereit», verkündete er. «Fix und fertig zum Gebrauch. Wenn es so weit ist, gehst du einfach in die Speisekammer, nimmst das Fläschchen vom Gestell und wärmst es. Eine kleine Hilfe ist das doch, nicht wahr?»

Sie erhob sich von den Knien, trat zu ihm und küsste ihn auf die Wange. «Du bist so gut», sagte sie. «Mit jedem Tag, den ich dich kenne, liebe ich dich mehr.»

Als Albert nachmittags draußen im Sonnenschein an seinen Bienenkörben arbeitete, hörte er Mabel vom Hause her nach ihm rufen.

«Albert!», schrie sie. «Albert, wo bist du?» Sie kam durch die Butterblumen auf ihn zugerannt.

Er lief ihr entgegen und dachte, es sei ein Unglück geschehen.

«Oh, Albert! Rate mal!»

«Was ist denn los?»

«Eben habe ich ihr die Zweiuhrflasche gegeben, und sie hat alles ausgetrunken.»

«Nein!»

«Jeden Tropfen! Ach, ich bin so glücklich, Albert! Jetzt hat sie ’s überstanden. Wie du gesagt hast, sie ist über den Berg.» Sie fiel ihm um den Hals und drückte ihn an sich, während er ihr auf den Rücken klopfte und lachend sagte, was für eine wundervolle kleine Mutter sie sei.

«Willst du beim nächsten Mal hereinkommen und aufpassen, ob sie wieder so viel trinkt, Albert?»

Er versicherte, das werde er sich um keinen Preis entgehen lassen, und sie umarmte ihn noch einmal, drehte sich um und lief zurück zum Haus. Unterwegs hüpfte und sang sie in einem fort.

Natürlich lag eine gewisse Spannung in der Luft, als die Zeit der Sechsuhrflasche herankam. Schon um halb sechs saßen die Eltern im Wohnzimmer und warteten auf den großen Augenblick. Das fertige Fläschchen stand in einem Topf mit warmem Wasser auf dem Kamin. Das Baby schlief in seinem Körbchen auf dem Sofa.

Zwanzig Minuten vor sechs erwachte es und begann aus Leibeskräften zu schreien.

«Siehst du wohl!», rief Mrs. Taylor. «Sie will ihr Fläschchen. Nimm sie rasch auf, Albert, und bring sie mir her. Aber erst gib mir die Flasche.» Er holte die Flasche und legte dann seiner Frau das Kind in den Schoß. Vorsichtig berührte sie die Lippen des Babys mit dem Sauger. Die Kleine schnappte sofort danach und fing an, gierig zu trinken.

«Oh, Albert, ist das nicht herrlich?»

«Großartig ist es, Mabel.»

Nach sieben oder acht Minuten war der Inhalt der Flasche restlos in der Kehle des Kindes verschwunden.

«Ei, du tüchtiges Mädchen», lobte Mrs. Taylor. «Wieder vier Unzen.»

Albert Taylor beugte sich in seinem Stuhl vor und betrachtete prüfend das kleine Gesicht. «Weißt du was», sagte er, «mir scheint, sie hat schon ein bisschen zugenommen. Was meinst du?»

Die Mutter schaute auf das Kind hinab.

«Kommt sie dir nicht größer und dicker als gestern vor, Mabel?»

«Ich bin nicht sicher, Albert. Vielleicht hast du recht – obgleich in so kurzer Zeit von wirklichem Zunehmen nicht die Rede sein kann. Nun, das wichtigste ist, dass sie jetzt richtig trinkt.»

«Sie ist über den Berg», wiederholte Albert. «Ich glaube, du brauchst dir keine Sorgen mehr um sie zu machen.»

«Gewiss nicht.»

«Möchtest du, dass ich das Bettchen wieder in unser Schlafzimmer schaffe, Mabel?»

«Ja, bitte», erwiderte sie.

Albert ging hinauf und stellte das Bettchen an seinen alten Platz. Mrs. Taylor folgte ihm mit dem Kind, legte es, nachdem sie die Windeln gewechselt hatte, zum Schlafen nieder und deckte es sorgsam zu.

«Sieht sie nicht reizend aus, Albert?», flüsterte sie. «Ist unser Kind nicht das schönste Baby, das du in deinem ganzen Leben gesehen hast?»

«Komm jetzt, Mabel», sagte er. «Komm und koche uns etwas zu essen. Wir haben’s beide nötig.»

Nach Tisch setzten sich die Eltern im Wohnzimmer in ihre Sessel, Albert mit seiner Zeitschrift und seiner Pfeife, Mrs. Taylor mit ihrem Strickzeug. Diesmal aber war die Atmosphäre ganz anders als am Abend zuvor. Alle Spannungen hatten sich plötzlich in nichts aufgelöst. Mrs. Taylors hübsches ovales Gesicht strahlte vor Freude, ihre Wangen waren rosig, ihre Augen glänzten, und um den Mund lag ein kleines träumerisches Lächeln. Ab und zu sah sie von ihrer Handarbeit auf, um Albert einen liebevollen Blick zuzuwerfen. Gelegentlich verstummte das Klappern der Nadeln für einige Sekunden, und dann saß sie mäuschenstill, schaute zur Decke hinauf, lauschte, ob oben ein Schrei oder ein Wimmern ertönte. Doch nichts rührte sich im Schlafzimmer.

«Albert», begann sie nach einer Weile.

«Ja, Liebste?»

«Was wolltest du mir gestern Abend erzählen, als du ins Schlafzimmer gestürzt kamst? Du sagtest, du hättest eine Idee wegen des Babys.»

Albert Taylor ließ die Zeitschrift sinken und sah seine Frau verschmitzt an. «Habe ich das gesagt?»

«Ja.» Sie wartete, dass er weiterspräche, aber er schwieg.

«Warum grinst du so?», erkundigte sie sich dann. «Denkst du an etwas Komisches?»

«Komisch ist es, das stimmt», gab er zu.

«Sag’s mir doch, Liebster.»

«Ich weiß nicht recht, ob ich’s tun soll», antwortete er. «Vielleicht hältst du mich für einen Schwindler.»

Selten hatte sie ihn so selbstzufrieden gesehen. Sie lächelte ihm aufmunternd zu.

«Ich bin bloß auf dein Gesicht gespannt, wenn du das hörst, Mabel.»

«Aber Albert, was ist denn los?»

Er war nicht gesonnen, sich hetzen zu lassen.

«Du findest doch, dass es der Kleinen bessergeht, nicht wahr?», fragte er.

«Natürlich finde ich das.»

«Du stimmst mit mir überein, dass sie auf einmal ausgezeichnet trinkt und kaum wiederzuerkennen ist?»

«Ja, Albert, gewiss.»

«Gut», sagte er, und sein Lächeln wurde noch breiter. «Und siehst du, das habe ich fertiggebracht.»

«Was hast du fertiggebracht?»

«Das Kind gesund zu machen.»

«Ja, Liebster, davon bin ich fest überzeugt.» Mrs. Taylor strickte emsig.

«Du glaubst mir nicht, wie?»

«Natürlich glaube ich dir, Albert. Du hast es geschafft, du ganz allein.»

«Und wie habe ich das angefangen?»

«Nun …» Sie überlegte einen Augenblick. «Wahrscheinlich hast du ein besonderes Geschick, die richtige Mischung von Milch und Haferflocken zu treffen. Denn seitdem du das Fläschchen zurechtmachst, ist sie wohler und wohler geworden.»

«Du meinst also, das Mischen sei eine Art Kunst?»

«Sieht jedenfalls so aus.» Still in sich hineinlächelnd strickte sie weiter. Männer sind doch große Kinder, dachte sie.

«Ich will dir ein Geheimnis verraten», sagte er. «Du hast völlig recht mit deiner Vermutung. Allerdings kommt es beim Mischen gar nicht so sehr auf das Wie an. Das wichtigste sind die Zutaten, Mabel, verstehst du?»

Mrs. Taylor sah ihren Mann scharf an. «Albert», sagte sie, «du willst doch nicht etwa behaupten, du hättest dem Kind irgendwas in die Milch gemischt?»

Er grinste.

«Hast du’s getan oder nicht?»

«Kann schon sein», antwortete er.

«Was soll das heißen?»

Das Lächeln, das seine Zähne entblößte, gab ihm ein merkwürdig grimmiges Aussehen.

«Albert», rief sie, «hör auf, dich über mich lustig zu machen.»

«Ja, mein Herz.»

«In Wirklichkeit hast du ihr nichts in die Milch gemischt, nicht wahr? Sag mir die Wahrheit, Albert. Bei einem so kleinen Kind könnte das schlimme Folgen haben.»

«Doch, Mabel, ich hab’s getan.»

«Albert Taylor! Wie konntest du?»

«Reg dich nicht auf», erwiderte er. «Wenn du willst, sollst du alles genau hören, aber um Himmels willen ruhig.»

«Bier war es! Ich weiß genau, es war Bier!»

«Bitte, Mabel, rede keinen Unsinn.»

«Was war es denn sonst?»

Vorsichtig legte Albert seine Pfeife auf den Tisch und lehnte sich im Sessel zurück. «Sag mal», begann er, «hast du schon mal was von Gelée Royale gehört?»

«Nein, nie.»

«Das ist eine großartige Sache», erklärte er. «Wirkt geradezu Wunder. Und gestern Abend fiel mir plötzlich ein, dass ich etwas davon in die Milch tun könnte …»

«Um Gottes willen!»

«Mabel, du weißt ja noch gar nicht, was es ist.»

«Das interessiert mich auch nicht», versetzte sie. «Man darf doch einem so zarten Kind nicht irgendwas in die Milch tun. Bist du denn verrückt geworden?»

«Gelée Royale ist absolut unschädlich, Mabel, sonst hätte ich’s der Kleinen nie gegeben. Es kommt von Bienen.»

«Das hätte ich mir denken können.»

«Und es ist so kostbar, dass es praktisch unerschwinglich ist. Wer es als Medizin nehmen will, muss sich jedes Mal mit einem winzigen Tropfen begnügen.»

«Und darf ich fragen, wie viel du unserem Kind gegeben hast?»

«Ah», sagte er, «das ist der springende Punkt. Jetzt kommen wir zur Sache. Ich schätze, dass unser Baby allein bei den letzten vier Mahlzeiten ungefähr fünfzigmal so viel Gelée Royale geschluckt hat wie sonst jemand auf der Welt. Was sagst du nun?»

«Bitte, Albert, mach keine Witze.»

«Ich kann’s beschwören», sagte er stolz.

Sie saß mit halboffenem Mund und gerunzelter Stirn im Sessel und starrte ihn an.

«Weißt du, was dieses Gelée Royale kostet, wenn du’s kaufen willst, Mabel? Neulich habe ich die Annonce einer amerikanischen Firma gelesen, und da wurde die Pfunddose zu einem Preis von rund fünfhundert Dollar angeboten. Fünfhundert Dollar! Das ist teurer als Gold, verstehst du!»

Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon er sprach.

«Ich kann’s dir beweisen!» Er sprang auf und ging zu dem großen Bücherschrank, in dem er seine Bienenliteratur verwahrte. Im obersten Fach waren sämtliche Nummern der Amerikanischen Bienenzeitschrift sauber neben denen der Britischen Bienenzeitschrift und anderen Fachblättern aufgeschichtet. Albert nahm das neueste Heft der Amerikanischen Bienenzeitschrift heraus und schlug eine Seite mit kleinen Anzeigen auf.

«Bitte sehr», rief er. «Genau, wie ich gesagt habe. ‹Wir verkaufen Gelée Royale zum Großhandelspreis von vierhundertachtzig Dollar je Pfunddose.›»

Er reichte ihr das Heft, damit sie sich selbst überzeugen konnte.

«Glaubst du mir nun? Das ist eine Firma in New York, Mabel. Steht alles wörtlich da.»

«Es steht aber nicht da, dass man es einem Baby in die Milch rühren darf», antwortete sie. «Ich weiß wirklich nicht, Albert, was du dir dabei gedacht hast.»

«Das Zeug hilft ihr doch, oder nicht?»

«So sicher bin ich da gar nicht mehr.»

«Sei nicht albern, Mabel. Du weißt, dass es hilft.»

«Dann müssten es andere Leute ihren Kindern ja auch geben.»

«Ich sage dir doch, dass es zu teuer ist», antwortete er. «Nur so zum Einnehmen kann sich kein Mensch in der Welt reines Gelée Royale leisten – höchstens vielleicht ein oder zwei Multimillionäre. Die Einzigen, die es kaufen, sind große Handelsgesellschaften, die Hautcreme und andere Schönheitsmittel für Frauen herstellen. Sie mischen ganz wenig davon in eine große Dose Creme, und das geht dann zu enormen Preisen ab wie warme Semmeln. Es soll die Runzeln glätten.»

«Und stimmt das?»

«Du lieber Himmel, wie soll ich das wissen, Mabel? Aber darauf» – er kehrte zu seinem Sessel zurück –, «darauf kommt es nicht an. Wichtig ist nur, dass dieses Gelée Royale unserer Kleinen in kürzester Zeit geholfen hat, und deshalb finde ich, wir sollten es ihr auch weiterhin geben. Nein, unterbrich mich nicht, Mabel. Lass mich ausreden. Ich habe draußen zweihundertvierzig Bienenkörbe, und wenn ich hundert davon auf die Produktion von Gelée Royale umstelle, dann können wir ihr so viel geben, wie sie braucht.»

«Albert Taylor», rief seine Frau und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, «hast du denn den Verstand verloren?»

«Hör mich doch erst einmal an.»

«Ich verbiete dir das», sagte sie energisch. «Von diesem schrecklichen Gelée bekommt mein Kind keinen Tropfen mehr, verstanden?»

«Aber Mabel …»

«Außerdem hatten wir letztes Jahr eine erbärmliche Honigernte, und wenn du jetzt mit deinen Bienenkörben Unsinn machst, ist gar nicht abzusehen, wohin das führt.»

«Meine Bienenkörbe sind in Ordnung, Mabel.»

«Du weißt genau, dass wir letztes Jahr nur die Hälfte einer normalen Ernte hatten.»

«Tu mir einen Gefallen», bat er. «Lass mich etwas von der wunderbaren Wirkung dieser Substanz erzählen.»

«Du hast überhaupt noch nicht gesagt, was für ein Zeug das ist.»

«Schön, Mabel, auch das sollst du erfahren. Willst du zuhören? Willst du mir erlauben, darüber zu sprechen?»

Seufzend griff sie nach ihrem Strickzeug. «Also rede dir’s von der Seele, Albert. Fang an.»

Er zögerte, denn er wusste nicht recht, wie er beginnen sollte. Es war nicht leicht, so etwas zu erklären, wenn der andere keine Ahnung von Bienenzucht hatte.

«Du weißt wohl», sagte er, «dass jeder Schwarm nur eine Königin hat?»

«Ja.»

«Und dass diese Königin alle Eier legt?»

«Ja, Lieber, so viel weiß ich.»

«Schön. Die Königin kann zwei Arten von Eiern legen. Das wird dir neu sein, aber sie kann es. Wir nennen das eines der Wunder des Bienenstocks. Sie legt Eier, aus denen Drohnen hervorgehen, und sie legt Eier, aus denen Arbeitsbienen schlüpfen. Wenn das kein Wunder ist, Mabel …»

«Ja, Albert, wird schon so sein.»

«Die Drohnen sind die Männchen. Um die brauchen wir uns nicht zu kümmern. Die Arbeitsbienen sind alle weiblich. Und auch die Königin ist natürlich ein Weibchen. Aber es gibt da einen wichtigen Unterschied. Die Arbeiterinnen sind verkümmerte Weibchen, wenn du verstehst, was ich meine. Ihre Geschlechtsorgane sind ganz unentwickelt, während die Königin erstaunlich fruchtbar ist. Sie kann an einem einzigen Tag ihr eigenes Gewicht in Eiern legen.»

Er hielt inne, um seine Gedanken zu ordnen.

«Nun ist es so. Die Königin kriecht auf der Wabe umher und legt ihre Eier in das, was wir Zellen nennen. Du kennst doch die Honigwaben mit den vielen kleinen Löchern, nicht wahr? Nun, eine Brutwabe sieht ebenso aus, nur enthalten die Zellen keinen Honig, sondern Eier. Die Königin legt in jede Zelle ein Ei, und nach drei Tagen schlüpft aus jedem dieser Eier eine kleine Larve. Sobald das geschehen ist, wimmeln die Ammenbienen – das sind junge Arbeiterinnen – um die Larven herum und fangen wie wild an, sie zu füttern. Und weißt du, womit?»

«Mit Gelée Royale», antwortete Mabel geduldig.

«Richtig!», rief er. «Sie produzieren diesen sogenannten Futtersaft in einer Speicheldrüse und pumpen ihn in die Zelle, um die Larve damit zu ernähren. Und was geschieht dann?»

Er machte eine dramatische Pause, und seine kleinen hellgrauen Augen blinzelten vielsagend. Dann drehte er sich langsam um und griff nach der Zeitschrift, die er am Abend zuvor gelesen hatte.

«Möchtest du wissen, was dann geschieht?» Er feuchtete sich die Lippen an.

«Ich kann’s kaum erwarten.»

«‹Gelée Royale›», las er vor, «‹muss eine ungeheuer nahrhafte Substanz sein, denn die Bienenlarven, die mit nichts anderem gefüttert werden, haben nach fünf Tagen das Fünfzehnhundertfache ihres ursprünglichen Gewichtes erreicht.›»

«Wie viel?»

«Das Fünfzehnhundertfache, Mabel. Und weißt du, was das bedeutet, wenn man das Gewicht eines Menschen zugrunde legt? Es bedeutet» – er senkte die Stimme, beugte sich vor und blickte sie mit seinen kleinen hellen Augen an –, «es bedeutet, dass ein Baby von siebeneinhalb Pfund nach fünf Tagen fünf Tonnen wiegt!»

Zum zweiten Mal hörte Mrs. Taylor auf zu stricken.

«Du darfst das natürlich nicht wörtlich nehmen, Mabel.»

«Warum nicht?»

«Weil es bloß eine wissenschaftliche Ausdrucksweise ist.»

«Gut, Albert. Weiter.»

«Aber das ist nur die halbe Geschichte», fuhr er fort. «Die Hauptsache kommt erst. Das Erstaunlichste über Gelée Royale habe ich dir noch gar nicht erzählt. Ich werde dir jetzt erklären, wie diese Substanz eine gewöhnliche, unscheinbare kleine Arbeitsbiene, die praktisch keine Geschlechtsorgane hat, in eine schöne, starke, fruchtbare Königin verwandeln kann.»

«Willst du damit sagen, dass unser Baby unscheinbar und gewöhnlich ist?», fragte sie scharf.

«Dreh mir bitte nicht die Worte im Mund um, Mabel. Hör lieber zu. Weißt du, dass die Bienenkönigin und die Arbeiterinnen, obwohl sie in ausgewachsenem Zustand völlig verschieden voneinander sind, aus genau der gleichen Art von Ei schlüpfen?»

«Das glaube ich nicht», antwortete sie.

«Es ist so wahr, wie ich hier sitze, Mabel. Die Bienen können es jederzeit so einrichten, dass sich statt einer Arbeiterin eine Königin aus der Larve entwickelt.»

«Wie denn?»

«Ah», sagte er und hob seinen dicken Zeigefinger, «darauf wollte ich gerade kommen. Das ist das Geheimnis. Nun, Mabel, rate mal, was dieses Wunder bewirkt.»

«Gelée Royale», erwiderte sie. «Davon redest du ja schon die ganze Zeit.»

«Jawohl, Gelée Royale!» Er klatschte in die Hände und rutschte aufgeregt im Sessel hin und her. Sein dickes, rundes Gesicht glühte, und auf den Backenknochen brannten zwei dunkelrote Flecke. «Die Sache ist folgendermaßen. Ich will’s dir so einfach wie möglich erklären. Die Bienen wollen eine neue Königin. Also bauen sie eine besonders große Zelle, Königinnenzelle nennen wir sie, und bringen die alte Königin dazu, eines ihrer Eier hineinzulegen. Die anderen eintausendneunhundertneunundneunzig Eier legt sie in gewöhnliche Zellen. Sobald die Larven ausgeschlüpft sind, fangen die Ammenbienen an, Gelée Royale in sie hineinzupumpen. Damit werden alle gefüttert, die Arbeiterinnenlarven ebenso wie die künftige Königin. Aber nun hör gut zu, Mabel, denn jetzt kommt der Unterschied. Die Arbeiterinnenlarven erhalten diese wunderbare Nahrung nur an den ersten drei Tagen ihres Larvenlebens. Dann folgt eine ganz andere Ernährung. Man könnte sagen, dass sie entwöhnt werden, obwohl dieser plötzliche Wechsel natürlich keine richtige Entwöhnung ist. Nach drei Tagen werden sie ganz einfach auf die übliche Bienennahrung gesetzt, also auf eine Mischung von Honig und Blütenstaub, und etwa zwei Wochen später kriechen sie als Arbeiterinnen aus den Zellen. Die Larve in der Königinnenzelle dagegen bekommt ihr ganzes Larvenleben hindurch Gelée Royale. Die Ammenbienen füllen so viel davon in die Zelle, dass die kleine Larve buchstäblich in dem Saft schwimmt. Und dadurch wird eine Königin aus ihr.»

«Beweisen kannst du das aber nicht», warf Mrs. Taylor ein.

«Bitte, Mabel, rede nicht so dumm daher. Tausende haben es wieder und wieder bewiesen, berühmte Gelehrte in allen Ländern der Erde. Man braucht nur eine Larve aus einer gewöhnlichen Zelle in eine Königinnenzelle zu tun, und schon wächst sie sich im Eiltempo zu einer Königin aus, vorausgesetzt, dass die Ammenbienen sie gut mit Gelée Royale versorgen. Was die Sache noch wunderbarer macht, ist der enorme Unterschied zwischen der Königin und der Arbeitsbiene, wenn sie ausgewachsen sind. Der Hinterleib ist anders gestaltet. Der Stachel ist anders. Die Beine sind anders. Der …»

«Worin unterscheiden sich denn die Beine?», fragte sie, um ihn auf die Probe zu stellen.

«Die Beine? Nun, die Arbeiterinnen haben sogenannte Körbchen an den Beinen, in denen sie den Blütenstaub transportieren. Die Königin hat keine. Und noch etwas. Die Königin hat vollständig entwickelte Geschlechtsorgane. Bei den Arbeiterinnen sind sie verkümmert. Das verblüffendste aber ist, dass die Königin durchschnittlich vier bis sechs Jahre lebt, während es eine Arbeitsbiene kaum auf ebenso viele Monate bringt. Und das alles nur, weil die eine Gelée Royale bekommen hat und die andere nicht.»

«Schwer zu glauben, dass allein die Ernährung so etwas bewirken kann», sagte sie.

«Natürlich ist es schwer zu glauben. Auch das ist eines der Wunder des Bienenstocks. Sogar das größte von allen. Ein so großes Wunder ist es, dass die Gelehrten jahrhundertelang daran herumgerätselt haben. Warte einen Augenblick. Bleib sitzen. Rühre dich nicht vom Fleck.»

Wieder sprang er auf, ging zum Bücherschrank und wühlte in den aufgeschichteten Heften.

«Ich will dir ein paar Berichte heraussuchen. Hier ist schon einer. Hör mal zu.» Er fing an, aus einer Nummer der Amerikanischen Bienenzeitschrift vorzulesen: «Als Leiter eines ausgezeichneten Forschungslaboratoriums in Toronto, das die Bevölkerung von Kanada ihm, dem Entdecker des Insulins, in Anerkennung seiner großen Verdienste um die Menschheit geschenkt hat, wollte Dr. Frederick A. Banting Näheres über Gelée Royale erfahren und beauftragte seinen Mitarbeiterstab, eine grundlegende Analyse vorzunehmen …»

Albert hielt inne.

«Nun, ich brauche dir nicht alles vorzulesen, aber hier steht jedenfalls, dass Dr. Banting und seine Mitarbeiter Gelée Royale aus Königinnenzellen nahmen, in denen sich zwei Tage alte Larven befanden. Und die Analyse ergab – na, was glaubst du wohl? Sie ergab», fuhr er fort, «dass Gelée Royale Karbolsäuren enthält, Glyzeride, Dextrose und – jetzt pass auf – und achtzig bis fünfundachtzig Prozent unidentifizierte Säuren!»

Mit der Zeitschrift in der Hand stand er neben dem Bücherschrank. Um seine Lippen spielte ein verstohlenes Triumphlächeln, und Mrs. Taylor beobachtete ihn verwirrt.

Er war nicht groß. Sein derber, breiter, fleischiger Körper ruhte auf zu kurz geratenen Beinen, die leicht gebogen waren. Der runde, massige Schädel war mit kurzgeschnittenem borstigem Haar bedeckt. Auf Kinn und Wangen wucherte gelblich brauner Flaum, der etwa einen Zoll lang war, da Albert neuerdings auf das Rasieren verzichtete. Er sah ziemlich grotesk aus, das ließ sich nicht leugnen.

«Achtzig bis fünfundachtzig Prozent unidentifizierte Säuren», wiederholte er. «Ist das nicht phantastisch?» Er wandte sich von neuem dem Schrank zu und suchte andere Zeitschriften durch.

«Was sind denn unidentifizierte Säuren?»

«Das ist es ja gerade! Niemand weiß es. Nicht einmal Banting hat sie bestimmen können. Hast du mal was von Banting gehört?»

«Nein.»

«Er ist so ungefähr der berühmteste lebende Arzt der Welt, weiter nichts.»

Mrs. Taylor sah ihn mit seinem borstigen Kopf, dem haarigen Gesicht und dem plumpen gedrungenen Körper vor dem Bücherschrank hocken, sie hörte seine summende Stimme, und plötzlich fiel ihr auf, dass er irgendwie an eine Biene erinnerte. Sie hatte schon oft festgestellt, dass Frauen mit der Zeit anfingen, ihren Reitpferden zu gleichen, und dass Leute, die Vögel, Bullterrier oder Spitze züchteten, eine gewisse Ähnlichkeit mit den Tieren ihrer Wähl hatten. Nie zuvor aber hatte sie bemerkt, dass ihr Mann wie eine Biene aussah, und so war diese Entdeckung ein gelinder Schock für sie.

«Hat dieser Banting jemals versucht, Gelée Royale zu essen?», erkundigte sie sich.

«Gegessen hat er’s natürlich nicht, Mabel. Er hatte ja nur ganz wenig davon. Es ist zu kostbar.»

«Weißt du was?» Sie betrachtete ihn mit einem leichten Lächeln. «Du siehst neuerdings ein bisschen wie eine Biene aus. Ist dir das schon mal aufgefallen?»

Er drehte sich um und blickte sie erstaunt an.

«Es wird wohl hauptsächlich am Bart liegen», fügte sie hinzu. «Ich wollte, du nähmst ihn dir ab. Sogar die Farbe ist bienenähnlich, findest du nicht?»

«Zum Teufel, was redest du da, Mabel?»

«Aber Albert, sei doch nicht so unbeherrscht.»

«Möchtest du noch mehr hören oder nicht?»

«Ja, Liebster. Entschuldige bitte. War nur ein Scherz. Sprich weiter.»

Er zog eine Zeitschrift heraus und blätterte eine Weile darin. «Hier, Mabel, dies zum Beispiel. ‹Im Jahre neunzehnhundertneununddreißig experimentierte Heyl mit einundzwanzig Tage alten Ratten, denen er Gelée Royale in verschiedenen Mengen injizierte. Als Ergebnis fand er eine vorzeitig follikulare Entwicklung der Ovarien, die in direktem Verhältnis zu der injizierten Dosis Gelée Royale stand.›»

«Siehst du!», rief sie. «Das wusste ich!»

«Was?»

«Ich wusste, dass etwas Schreckliches dabei herauskommen würde.»

«Unsinn. Was ist denn daran so schrecklich? Jetzt hör dir mal das an, Mabel. ‹Still und Burdett stellten fest, dass eine bisher nicht fortpflanzungsfähige männliche Ratte zahlreiche Junge zeugte, nachdem sie täglich eine geringe Dosis Gelée Royale bekommen hatte.»

«Albert», unterbrach sie ihn, «das Zeug ist viel zu stark für ein Baby. Mir gefällt das ganz und gar nicht.»

«Unsinn, Mabel.»

«Dann sag mir, warum sie es nur an Ratten ausprobieren. Warum haben diese berühmten Gelehrten das Zeug nicht selbst eingenommen? Weil sie zu schlau sind. Glaubst du, Dr. Banting will riskieren, dass er – na, wie war’s doch? – dass er vorzeitige Ovarien bekommt? Der nicht.»

«Aber sie haben es ja Menschen gegeben, Mabel. Hier ist ein langer Artikel darüber.» Er schlug die Seite um und begann von neuem aus der Zeitschrift vorzulesen. «‹Im Jahre neunzehnhundertdreiundfünfzig ging eine Gruppe mexikanischer Ärzte dazu über, gegen Leiden wie zerebrale Neuritis, Arthritis, Diabetes, Nikotinvergiftung, männliche Impotenz, Asthma, Krupp und Gicht kleinste Mengen von Gelée Royale zu verordnen … Zahlreiche beglaubigte Zuschriften über Heilerfolge liegen vor … Ein bekannter Effektenmakler in Mexico City litt an einer besonders hartnäckigen Hautflechte. Er wurde physisch abstoßend, verlor viele Kunden, und sein Geschäft ging dem Ruin entgegen. In seiner Verzweiflung griff er zu Gelée Royale – ein Tropfen zu jeder Mahlzeit – und siehe da, in vierzehn Tagen war er geheilt. Ein Kellner im Café Jena, ebenfalls in Mexico City, berichtete, dass sein Vater, nachdem er von dieser Wundersubstanz geringe Quantitäten in Kapseln genommen hatte, mit neunzig Jahren Vater eines gesunden Knaben wurde. Ein Stierkampfunternehmer in Acapulco, dem ein Stier zu träge erschien, injizierte dem Tier, bevor man es in die Arena ließ, ein Gramm Gelée Royale (eine ungewöhnlich große Dosis). Daraufhin wurde der Stier so feurig und wild, dass er sofort zwei Picaderos, drei Pferde sowie einen Matador tötete und schließlich …»

«Horch!», rief Mrs. Taylor. «Ich glaube, das Kind weint.»

Albert blickte von der Zeitschrift auf. Tatsächlich, aus dem Schlafzimmer drang lautes, kräftiges Geschrei.

«Sie wird Hunger haben», meinte er.

Seine Frau sah auf die Uhr und sprang erschrocken auf. «Du lieber Himmel, es ist ja schon über ihre Zeit. Mach rasch die Milch fertig, Albert, ich hole sie inzwischen herunter. Beeil dich, wir dürfen sie nicht warten lassen …» Eine halbe Minute später kam Mrs. Taylor mit dem brüllenden Kind zurück. Sie zitterte vor Aufregung, denn sie war noch nicht an den schrecklichen ununterbrochenen Lärm gewöhnt, den ein gesunder Säugling macht, wenn er nach seiner Nahrung verlangt. «Schnell, Albert!», rief sie, setzte sich in den Sessel und legte das Kind auf ihrem Schoß zurecht. «Bitte, beeil dich!»

Albert brachte ihr aus der Küche die Flasche mit warmer Milch. «Die Temperatur ist gerade richtig», sagte er. «Du brauchst nicht zu probieren.»

Sie rückte das Kinderköpfchen in ihrem Arm etwas höher und schob den Gummipfropfen in den weit offenen schreienden Mund. Sofort verstummte das Gebrüll, und das Baby begann gierig zu saugen. Mrs. Taylor atmete auf.

«Ach, Albert, ist sie nicht süß?»

«Unbeschreiblich süß, Mabel – dank Gelée Royale.»

«Nein, Liebster, ich will nichts mehr von dem grässlichen Zeug hören. Ich ängstige mich zu Tode, wenn ich nur daran denke.»

«Du machst da einen großen Fehler», sagte er.

«Das wird sich ja zeigen.»

Die Kleine sog unentwegt an der Flasche.

«Ich glaube, sie trinkt wieder alles aus, Albert.»

«Bestimmt.»

Bald darauf war die Flasche leer.

«Ach, was bist du für ein gutes Kind!», rief Mrs. Taylor und wollte behutsam den Sauger herausziehen. Das Baby erriet, was sie im Schilde führte, und sog stärker, weil es die Flasche nicht hergeben mochte. Mrs. Taylor aber ließ nicht locker, und flupp war der Sauger draußen.

«Waa! Waa! Waa! Waa!», schrie das Baby.

«Ja, die dumme Luft», sagte Mrs. Taylor, legte das Kind an ihre Schulter und klopfte es auf den Rücken, bis es zweimal nacheinander aufstieß.

«Siehst du, mein Herzchen, nun ist alles in Ordnung.»

Nach einer Pause von wenigen Sekunden fing das Geschrei von neuem an.

«Lass sie nochmal aufstoßen», riet Albert. «Sie hat zu schnell getrunken.»

Wieder legte seine Frau das Kind an die Schulter. Sie rieb sein Rückgrat. Sie nahm es von der einen Schulter an die andere. Sie bettete es mit dem Gesicht nach unten in ihren Schoß. Sie setzte es auf ihr Knie. Aber statt aufzustoßen, schrie das Würmchen immer lauter und eindringlicher.

«Gut für die Lungen», meinte Albert grinsend. «Auf diese Weise üben sie ihre Lungen. Wusstest du das, Mabel?»

«So, so, so», sagte die Frau und bedeckte das Gesicht des Kindes mit Küssen. «So, so, so.»

Sie wartete weitere fünf Minuten, aber das Geschrei verstummte keinen Augenblick.

«Du solltest sie neu wickeln», schlug Albert vor. «Sie hat sich nass gemacht, das ist alles.» Er holte eine Windel aus der Küche, und Mrs. Taylor legte das Baby trocken.

Es half gar nichts.

«Waa! Waa! Waa! Waa! Waa!», brüllte das Kind.

«Du hast ihr doch nicht die Sicherheitsnadel durch die Haut gestochen, Mabel?»

«Natürlich nicht», antwortete sie und fühlte vorsichtshalber unter der Windel nach.

Die Eltern saßen einander gegenüber in ihren Sesseln, betrachteten nervös lächelnd das Kind auf dem Schoß der Mutter und warteten, dass es müde würde und mit dem Geschrei aufhörte.

«Weißt du was?», sagte Albert Taylor schließlich.

«Ja?»

«Ich wette, sie hat noch Hunger. Bestimmt fehlt ihr nichts weiter als ein ordentlicher Schluck aus der Flasche. Soll ich ihr was holen?»

«Ich glaube nicht, dass wir das tun sollten, Albert.»

«Wird ihr bestimmt nichts schaden», versicherte er und stand auf. «Ich wärme ihr eine zweite Portion.»

Er ging in die Küche und kam nach einigen Minuten mit einer bis zum Rand gefüllten Flasche zurück.

«Ich habe die doppelte Menge genommen», erklärte er. «Acht Unzen. Für alle Fälle.»

«Bist du verrückt, Albert? Weißt du nicht, dass zu viel ebenso schädlich ist wie zu wenig?»

«Du brauchst ihr ja nicht alles zu geben, Mabel. Wenn du denkst, dass sie genug hat, hörst du eben auf. Na los, gib ihr zu trinken.»

Mrs. Taylor kitzelte die Oberlippe des Babys mit der Spitze des Saugers. Wie eine Falle schloss sich der kleine Mund um den Gummipfropfen, und plötzlich herrschte Stille im Zimmer. Der Körper des Kindes entspannte sich, und das Gesicht bekam einen Ausdruck höchster Seligkeit.

«Na bitte, Mabel, was habe ich dir gesagt?»

Mrs. Taylor schwieg.

«Sie ist heißhungrig, sonst nichts. Sieh nur, wie sie saugt.»

Mrs. Taylor beobachtete den Flüssigkeitsspiegel in der Flasche. Er sank schnell, und bald waren von den acht Unzen drei oder vier verschwunden.

«So», sagte sie, «das genügt.»

«Jetzt kannst du nicht plötzlich aufhören, Mabel.»

«Doch, Liebster, ich muss.»

«Ach wo. Gib ihr den Rest und mach dir keine Gedanken.»

«Aber Albert …»

«Siehst du denn nicht, dass sie ausgehungert ist? Nur zu, mein Herzchen, trink weiter.»

«Das ist unvernünftig», widersprach seine Frau, zog aber die Flasche nicht weg.

«Sie holt nach, Mabel, und sie hat’s nötig.»

Fünf Minuten später war die Flasche leer. Diesmal protestierte das Kind nicht. Still und friedlich lag es in den Armen der Mutter, seine Augen strahlten vor Zufriedenheit, der Mund stand halb offen, die Lippen waren mit Milch beschmiert.

«Zwölf ganze Unzen, Mabel!», sagte Albert Taylor. «Das Dreifache der normalen Menge. Ist das nicht fabelhaft?»

Seine Frau blickte auf das Baby. Langsam veränderte sich ihr Gesichtsausdruck: Die ängstliche Besorgnis der ratlosen Mutter ergriff wieder von ihr Besitz.

«Was hast du denn?», fragte Albert. «Das ist doch wirklich kein Grund zur Aufregung. Wenn sie sich erholen soll, braucht sie eben mehr als schäbige vier Unzen. Mach dich nicht lächerlich.»

«Komm her, Albert», flüsterte sie.

«Warum?»

«Ich habe gesagt, komm her.»

Er gehorchte und stellte sich neben sie.

«Sieh hin und sag, ob dir irgendwas auffällt.»

Er beugte sich über das Baby. «Sie ist dicker geworden, Mabel, wenn du das meinst. Dicker und größer.»

«Heb sie hoch», befahl Mrs. Taylor. «Komm, nimm sie auf.»

Er griff zu. «Mein Gott, sie wiegt ja mindestens eine Tonne!»

«So ist es.»

«Wie herrlich!», rief er begeistert. «Ich wette, sie hat schon ihr normales Gewicht erreicht.»

«Mir ist das unheimlich, Albert. Es geht zu schnell.»

«Unsinn.»

«Das liegt nur an diesem widerlichen Gelée», sagte sie. «Ich hasse das Zeug.»

«Gelée Royale ist nicht widerlich», antwortete er empört.

«Du weißt nicht, was du redest, Albert. Glaubst du, es ist normal, wenn ein Kind so schnell zunimmt?»

«Du bist aber auch nie zufrieden!», rief er. «Erst stirbst du vor Angst, weil sie abnimmt, und jetzt regst du dich auf, weil sie zunimmt. Was ist eigentlich mit dir los, Mabel?»

Sie stand auf und ging mit dem Baby im Arm zur Tür. «Ich kann nur sagen», erklärte sie, «es ist ein Segen, dass ich hier bin, um aufzupassen. Du wirst ihr nichts mehr davon geben, so viel ist sicher.»

Albert sah ihr durch die offene Tür nach, wie sie die Diele überquerte und anfing, die Treppe hinaufzusteigen. Als sie die dritte oder vierte Stufe erreicht hatte, blieb sie plötzlich ein paar Sekunden regungslos stehen. Sie schien nachzudenken. Dann machte sie kehrt und kam mit schnellen Schritten ins Zimmer zurück.

«Albert», sagte sie.

«Ja?»

«Ich nehme an, in der letzten Flasche, die wir ihr gegeben haben, war kein Gelée Royale.»

«Ich wüsste nicht, warum du das annehmen solltest, Mabel.»

«Albert!»

«Was ist denn?», fragte er unschuldig und sanft.

«Wie kannst du es wagen!»

Albert Taylors rundes, bärtiges Gesicht nahm einen gekränkten und verwirrten Ausdruck an. «Ich finde, du solltest sehr froh sein, dass sie nochmal eine große Dosis bekommen hat», sagte er. «Wirklich, das finde ich. Und glaub mir, Mabel, es war eine sehr große Dosis.»

Seine Frau presste das schlafende Kind an sich und sah ihren Mann mit weit aufgerissenen Augen an. Wie erstarrt vor Zorn stand sie in der Tür, hoch aufgerichtet, das Gesicht blasser, der Mund schmaler als sonst.

«Warte nur ab», fügte Albert hinzu, «deine Tochter wird so prächtig gedeihen, dass sie auf jeder Baby-Ausstellung im ganzen Land den ersten Preis kriegt. Warum legst du sie nicht gleich mal auf die Waage, um zu sehen, wie viel sie wiegt. Soll ich die Waage holen, damit du’s feststellen kannst?»

Seine Frau ging zu dem großen Tisch in der Mitte des Zimmers, legte das Kind darauf und fing an, es zu entkleiden. «Ja», antwortete sie kurz, «hol die Waage.» Das Babyjäckchen und das Hemdchen flogen beiseite, die Windel folgte, und schon lag das Kind nackt auf dem Tisch.

«Mabel!», rief Albert. «Das ist ja ein Wunder! Rund wie eine Kugel ist sie!»

Tatsächlich, das Kind hatte seit dem vorigen Tage eine erstaunliche Menge Fleisch angesetzt. Der schmale eingefallene Brustkorb mit den vorspringenden Rippen war jetzt dick und rund wie ein Fässchen, und der Bauch wölbte sich weit vor. Arme und Beine dagegen hatten mit diesem Wachstum merkwürdigerweise nicht Schritt gehalten. Sie waren kurz und mager geblieben und erinnerten an Stäbchen, die man in einen Fettkloß gespießt hat.

«Schau», sagte Albert, «sie bekommt sogar einen Pelz auf dem Bauch, der sie warm hält!» Er streckte die Hand aus, um mit den Fingerspitzen über den seidigen gelblichen Flaum zu streichen, der sich von einem Tag zum anderen gebildet hatte.

«Rühr sie nicht an!», schrie seine Frau, fuhr herum und stand mit flammenden Augen vor ihm. Sie sah plötzlich aus wie ein kleiner Kampfhahn. Ihr Hals vor vorgereckt, als wollte sie ihm ins Gesicht fliegen und ihm die Augen aushacken.

«Reg dich nicht auf», sagte er begütigend und wich ein wenig zurück.

«Du musst verrückt sein!», rief sie.

«Reg dich nicht auf, Mabel, bitte. Wenn du immer noch glaubst, es sei eine gefährliche Substanz … Das glaubst du doch, nicht wahr? Also gut, dann höre jetzt mal genau zu. Ich werde dir ein für alle Mal beweisen, dass Gelée Royale absolut unschädlich für Menschen ist, auch in großen Mengen. Zum Beispiel – was meinst du wohl, warum wir im vorigen Sommer nur die Hälfte unserer gewöhnlichen Honigernte gehabt haben? Sag mir das.» Er hatte sich inzwischen drei oder vier Schritte von ihr entfernt, und das schien ihm ein Gefühl der Sicherheit zu geben.

«Wir hatten im vorigen Sommer nur deswegen halb so viel Honig wie sonst», fuhr er langsam und leise fort, «weil ich hundert von meinen Bienenkörben auf die Produktion von Gelée Royale umgestellt habe.»

«Was hast du …?»

«Ah», flüsterte er, «das überrascht dich wohl ein wenig? Und ich hab’s die ganze Zeit direkt vor deiner Nase getan.» Seine Augen glänzten, und ein listiges Lächeln zog langsam seinen Mund in die Breite. «Den Grund wirst du nie erraten», sprach er weiter. «Ich wollte eigentlich nicht darüber reden, weil ich fürchtete, es würde dich … na ja … irgendwie stören.» Albert machte eine kleine Pause. Er hielt die Hände in Brusthöhe vor sich und rieb sie aneinander, sodass ein schabendes Geräusch entstand.

«Erinnerst du dich, was ich dir aus der Zeitschrift vorgelesen habe? Die Stelle über die Ratte meine ich. Wie heißt es doch da? ‹Still und Burdett stellten fest, dass eine bisher nicht fortpflanzungsfähige männliche Ratte …›» Er zögerte, und sein Lächeln wurde noch breiter. «Hast du verstanden, Mabel?»

Sie stand unbeweglich und sah ihn an.

«Als ich den Satz zum allerersten Mal las, sprang ich sofort vom Stuhl auf und sagte mir, wenn das auf eine lausige Ratte so wirkt, dann sehe ich wirklich keinen Grund, warum es nicht auch auf Albert Taylor wirken sollte.»

Er hielt wiederum inne, streckte den Kopf vor und wandte das eine Ohr seiner Frau zu, in der Hoffnung, sie werde etwas sagen. Aber sie schwieg.

«Und das ist noch nicht alles», fuhr er schließlich fort. «Ich fühle mich so ausgezeichnet, Mabel, so ganz anders als vorher, und deswegen habe ich es weiter genommen, auch nachdem du mir die gute Nachricht mitgeteilt hattest. Eimerweise muss ich das Zeug in den letzten zwölf Monaten geschluckt haben.»

Der angstvolle Blick der Frau glitt über Gesicht und Hals ihres Mannes. Am Hals war kein Stückchen Haut zu sehen, nicht einmal unter den Ohren. Bis zu der Stelle, wo der Hals im Hemdkragen verschwand, war rundherum alles mit seidigen gelblich braunen Haaren bedeckt.

«Bedenke», sagte Albert, während er zärtlich das Baby betrachtete, «auf ein kleines Kind wirkt es natürlich viel besser als auf einen ausgewachsenen Mann wie mich. Du brauchst sie ja nur anzuschauen, dann siehst du’s, nicht wahr?»

Langsam wandten sich die Augen der Frau dem Kind zu. Es lag nackt auf dem Tisch, weiß, fett und verschlafen, wie eine gigantische Made, die sich dem Ende ihres Larvenlebens nähert und bald mit fertig ausgebildeten Mundwerkzeugen und Flügeln zum Vorschein kommen wird.

«Warum deckst du sie nicht zu, Mabel?», sagte er. «Wir wollen doch nicht, dass sich unsere kleine Königin erkältet.»

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