Mit sechs Jahren war Lexington zu einem wunderschönen Jungen mit langem, goldblondem Haar und kornblumenblauen Augen herangewachsen. Er war gescheit und fröhlich und lernte bald, seiner alten Tante auf allerlei Weise in der Wirtschaft zu helfen. So sammelte er zum Beispiel im Hühnerstall die Eier ein, drehte die Kurbel des Butterfasses, grub im Gemüsegarten Kartoffeln aus und suchte am Berghang wilde Kräuter. Tante Glosspan sagte sich, dass sie allmählich an seinen Unterricht denken müsse.
Der Gedanke, ihn in ein Internat zu schicken, war ihr jedoch unerträglich. Sie liebte Lexington jetzt so sehr, dass selbst die kürzeste Trennung ihr Tod gewesen wäre. Natürlich gab es unten im Tal eine Dorfschule, aber die sah schrecklich aus, und sie wusste, dass man ihn dort von Anfang an zwingen würde, Fleisch zu essen.
«Weißt du was, mein Liebling?», sagte sie eines Tages zu ihm, als er in der Küche auf einem Schemel saß und zusah, wie sie Käse bereitete. «Eigentlich könnte ich dich doch sehr gut selbst unterrichten.»
Der Junge blickte mit seinen großen blauen Augen zu ihr auf und lächelte sie vertrauensvoll an. «Das wäre fein», antwortete er.
«Und als Allererstes werde ich dich kochen lehren.»
«Ich glaube, das würde mir Spaß machen, Tante Glosspan.»
«Spaß oder nicht, lernen musst du’s auf jeden Fall», erwiderte sie. «Wir Vegetarier haben nicht so viele Lebensmittel zur Verfügung wie andere Leute, und deswegen müssen wir mit dem, was wir haben, doppelt geschickt umgehen.»
«Tante Glosspan», fragte der Junge, «was essen denn andere Leute und wir nicht?»
«Tiere», sagte sie und schüttelte sich vor Ekel.
«Meinst du lebende Tiere?»
«Nein, tote.»
Der Junge dachte einen Augenblick nach. «Du meinst, die Leute essen die Tiere, wenn sie sterben, statt sie zu begraben?»
«Sie warten nicht, bis sie sterben, mein Schätzchen. Sie töten sie.»
«Wie machen sie das, Tante Glosspan?»
«Meistens schneiden sie ihnen mit einem Messer die Kehle durch.»
«Und was für Tiere töten sie?»
«Hauptsächlich Kühe und Schweine. Auch Schafe.»
«Kühe!», rief der Junge. «Meinst du solche wie Daisy und Schneeglöckchen und Lily?»
«Ganz recht, mein Liebling.»
«Aber wie essen sie sie denn, Tante Glosspan?»
«Sie zerschneiden sie und kochen die Stücke. Am liebsten haben sie es, wenn das Fleisch ganz rot und blutig ist und an den Knochen klebt. Klumpen von Kuhfleisch, aus denen noch das Blut sickert, essen sie besonders gern.»
«Schweine auch?»
«Sie schwärmen für Schweine.»
«Für Klumpen von blutigem Schweinefleisch», murmelte der Junge. «Stell dir das vor. Was essen sie sonst noch, Tante Glosspan?»
«Hühner.»
«Hühner?»
«Millionen davon.»
«Mit Federn und allem?»
«Nein, Liebling. Die Federn nicht. Aber nun lauf hinaus, mein Herzchen, und hole Tante Glosspan ein bisschen Schnittlauch, ja?»
Bald darauf begann der Unterricht. Er umfasste fünf Fächer – Lesen, Schreiben, Geographie, Rechnen und Kochen –, von denen das letzte bei Lehrerin und Schüler das weitaus beliebteste war. Wie sich nach kurzer Zeit herausstellte, wies Lexington in dieser Hinsicht eine wirklich große Begabung auf. Er war flink und geschickt, der geborene Koch. Seine Pfannen handhabte er wie ein Jongleur, und er konnte eine Kartoffel in zwanzig papierdünne Scheiben schneiden, bevor seine Tante eine andere geschält hatte. Sein Gaumen war außerordentlich fein entwickelt, und wenn in einer kräftigen Zwiebelsuppe ein einziges Blättchen Salbei war, dann schmeckte er das sogleich heraus. Bei einem so kleinen Jungen waren diese Fähigkeiten etwas verwirrend, und Tante Glosspan wusste offen gestanden nicht recht, was sie daraus machen sollte. Trotzdem war sie über die Maßen stolz auf das Kind und prophezeite ihm eine glänzende Zukunft.
«Was für ein Segen», sagte sie, «dass ich einen so entzückenden kleinen Gefährten habe, der mir in meinem hohen Alter zur Seite steht.»
Nach ein paar Jahren zog sie sich endgültig aus der Küche zurück und überließ Lexington die Sorge für sämtliche Mahlzeiten. Der Junge war nun zehn Jahre alt und Tante Glosspan fast achtzig.