Edward der Eroberer

Mit einem Geschirrtuch in der Hand trat Louisa aus der Küchentür an der Rückseite des Hauses in den kühlen Oktobersonnenschein hinaus.

«Edward!», rief sie. «Ed-ward! Das Essen ist fertig!» Sie wartete einen Augenblick und lauschte; dann überquerte sie, von einem kleinen Schatten begleitet, den Rasen. Als sie an dem Rosenbeet vorbeikam, strich sie leicht mit dem Finger über die Sonnenuhr. Für eine kleine, untersetzte Frau bewegte sie sich recht anmutig, schritt mit sanft schwingenden Schultern und Armen elastisch aus. Hinter dem Maulbeerbaum erreichte sie den gepflasterten Weg, auf dem sie weiterging, bis sie in die Senkung am Ende des großen Gartens hinabschauen konnte.

«Edward! Essen!»

Jetzt sah sie ihn dort unten am Waldrand, etwa achtzig Schritte entfernt – eine hochgewachsene, schmale Gestalt in Khakihosen und dunkelgrünem Sweater. Er stand neben einem lodernden Feuer und warf mit der Forke Brombeerranken hinein. Der milchige Rauch, der in Wolken aus den orangefarbenen Flammen quoll und über den Garten hinwegtrieb, verbreitete einen herrlichen Geruch nach Herbst und brennendem Laub.

Louisa lief den Abhang hinunter auf ihren Mann zu. Natürlich hätte sie nur noch einmal zu rufen brauchen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber das schöne Feuer zog sie an, lockte sie, dicht heranzutreten, damit sie die Hitze fühlen und das Knistern hören könnte.

«Das Essen ist fertig», sagte sie beim Näherkommen.

«Oh, hallo. Ja, gut – ich komme.»

«Das ist aber ein prächtiges Feuer.»

«Ich habe mir vorgenommen, hier gründlich Ordnung zu schaffen», erklärte der Mann. «Dieses Brombeergestrüpp ist eine schreckliche Plage.» Sein langes Gesicht war nass von Schweiß. An dem Schnurrbart hingen kleine Tropfen wie Tau, und zwei schmale Bäche rannen den Hals hinab auf den Rollkragen des Sweaters.

«Gib nur acht, dass du dich nicht überanstrengst, Edward.»

«Ich wollte, Louisa, du würdest mich nicht immer wie einen Achtzigjährigen behandeln. Ein bisschen Bewegung hat noch niemand geschadet.»

«Ja, Lieber, ich weiß. Ach, Edward, sieh mal – sieh!»

Der Mann drehte sich erstaunt nach Louisa um, die auf die andere Seite des Feuers deutete.

«Da drüben, Edward! Die Katze!»

Auf der Erde, so dicht am Feuer, dass die Flammen sie manchmal zu streifen schienen, saß eine große Katze von sehr ungewöhnlicher Farbe. Ganz still saß sie, den Kopf schräg gelegt, die Nase in der Luft, und beobachtete mit kühlen gelben Augen den Mann und die Frau.

«Sie wird sich verbrennen!» Louisa ließ das Geschirrtuch fallen, sprang rasch auf die Katze zu, packte sie mit beiden Händen, riss sie weg und setzte sie in sicherer Entfernung von den Flammen ins Gras.

«Was ist denn mit dir los, du närrisches Tier?», sagte sie, während sie sich die Hände abwischte.

«Katzen wissen, was sie tun», bemerkte der Mann. «Die tun nichts, was sie nicht wollen. Niemals.»

«Wem gehört sie? Hast du sie schon mal gesehen?»

«Bestimmt nicht. Hat eine eigenartige Farbe.»

Die Katze saß jetzt im Gras und schaute die beiden von der Seite an. Sie hatte einen verschleierten, nach innen gekehrten Ausdruck in den Augen, der ihr etwas seltsam Allwissendes und Nachdenkliches gab, und um die Nase lag ein kaum wahrnehmbarer verächtlicher Zug, als sei der Anblick dieser beiden Personen mittleren Alters – die eine klein, untersetzt und rosig, die andere mager und sehr verschwitzt – zwar einigermaßen überraschend, im Grunde aber sehr unwichtig. Für eine Katze war ihre Farbe tatsächlich recht eigenartig – ein reines Silbergrau ohne jede Spur von Blau –, und sie hatte überaus lange seidige Haare.

Louisa bückte sich und streichelte ihr den Kopf. «Du musst jetzt heimgehen», sagte sie. «Sei ein braves Tier, lauf zu deinem Frauchen.»

Die Eheleute stiegen den Abhang hinauf, um in ihr Haus zurückzukehren. Die Katze erhob sich und folgte ihnen. Anfangs hielt sie sich in einigem Abstand, allmählich aber kam sie näher und näher. Bald war sie neben den beiden, dann lief sie vor ihnen her über den Rasen, mit einem Gang, als gehöre ihr hier alles. Ihr Schwanz ragte wie ein Mast steil in die Luft.

«Fort mit dir», rief der Mann. «Los, verschwinde. Wir wollen dich nicht haben.»

Doch die Katze schlüpfte hinter ihnen ins Haus, und Louisa gab ihr in der Küche etwas Milch. Als das Essen aufgetragen war, sprang das Tier auf den freien Stuhl zwischen dem Ehepaar, blieb während der Mahlzeit dort sitzen, mit dem Kopf gerade in Tischhöhe, und beobachtete alles, was vorging, mit seinen dunkelgelben Augen, die es langsam von der Frau zu dem Mann und wieder zurück wandern ließ.

«Die Katze gefällt mir nicht», sagte Edward.

«Ach, ich finde sie wunderschön. Hoffentlich bleibt sie ein Weilchen bei uns.»

«Also hör mal, Louisa, hier bleiben kann das Tier unmöglich. Es gehört jemand anders. Es ist weggelaufen. Und wenn es sich nachmittags immer noch hier herumtreibt, bringst du es am besten zur Polizei. Dort wird man schon den Besitzer ermitteln.»

Nach dem Essen ging Edward in den Garten zurück. Louisa beschloss, sich wie gewöhnlich ans Klavier zu setzen. Sie liebte Musik über alles, war eine ausgezeichnete Pianistin und verwendete fast täglich eine Stunde darauf, für sich allein zu spielen. Die Katze lag auf dem Sofa. Louisa blieb einen Augenblick bei ihr stehen und streichelte sie. Das Tier öffnete kurz die Augen, schloss sie dann wieder und schlief weiter. «Du bist eine sehr liebe Katze», sagte Louisa. «Und du hast eine so schöne Farbe. Ich wollte, ich könnte dich behalten.» Als sie über ihr Fell strich, fühlte sie am Kopf, dicht über dem rechten Auge, eine kleine Erhebung, eine Art Höcker. «Arme Katze», murmelte sie, «du hast ja Beulen auf deiner schönen Stirn. Jung scheinst du nicht mehr zu sein.»

Louisa setzte sich auf die lange Klavierbank, fing aber noch nicht an zu spielen: Es gehörte zu ihren besonderen Freuden, jeden Tag ein kleines Konzert zu veranstalten, mit einem sorgfältig ausgewählten Programm, das sie in allen Einzelheiten festlegte, bevor sie begann. Sie unterbrach nicht gern ihr Spiel, um zu überlegen, was nun folgen sollte. Wenn sie nach jedem Stück eine kleine Pause machte, dann nur, damit die Zuhörer begeistert applaudieren und nach mehr verlangen konnten. Ein imaginäres Publikum war viel angenehmer als ein wirkliches. Mitunter – an Glückstagen – verblasste das Zimmer, verschwamm in Dunkelheit, und dann sah sie nichts als Sitzreihen und ein Meer von weißen Gesichtern, die andächtig, hingerissen, bewundernd zu ihr aufblickten.

Manchmal spielte sie auswendig, manchmal nach Noten. Heute wollte sie auswendig spielen; ihr war gerade danach zumute. Und das Programm? Die Hände im Schoß gefaltet, saß sie vor dem Klavier, eine dralle, rosige kleine Person mit einem runden, noch immer hübschen Gesicht, das Haar in einem schlichten Knoten am Hinterkopf aufgesteckt. Wenn sie die Augen ein wenig nach rechts wandte, konnte sie die zusammengerollte, schlafende Katze sehen, deren silbergraues Fell sich wunderschön von dem purpurroten Bezug des Sofas abhob. Ob man mit Bach anfangen sollte? Nein, lieber mit Vivaldi. Bachs Orgelbearbeitung des Concerto grosso d-Moll. Ja, das zuerst. Dann vielleicht Schumann. Den Carnaval? Sehr schön. Und danach – nun, zur Abwechslung ein wenig Liszt. Eines der Petrarca-Sonette. Das zweite in E-Dur war das hübscheste. Dann noch einen Schumann, etwas von seinen fröhlichen Sachen – die Kinderszenen. Und zum Schluss, als Zugabe, einen Walzer von Brahms, vielleicht auch zwei, wenn sie dazu aufgelegt war.

Vivaldi, Schumann, Liszt, Schumann, Brahms. Ein sehr schönes Programm und eines, das sie auswendig spielen konnte. Sie rückte die Bank zurecht und wartete einen Moment, weil im Publikum – sie spürte schon, dass dies einer ihrer Glückstage war –, weil im Publikum noch gehustet wurde; dann hob sie mit jener lässigen Anmut, die fast allen ihren Bewegungen eigen war, die Hände zu den Tasten und fing an zu spielen.

In diesem Moment beachtete Louisa die Katze nicht – sie hatte das Tier sogar völlig vergessen –, doch als die ersten tiefen Töne des Vivaldikonzerts sanft erklangen, bemerkte sie aus dem Augenwinkel eine aufgeregte, blitzschnelle Bewegung auf dem Sofa zu ihrer Rechten. Sofort unterbrach sie ihr Spiel.

«Was ist?», fragte sie, zu der Katze gewandt. «Was hast du denn?»

Das Tier, das eben noch friedlich geschlafen hatte, saß jetzt kerzengerade, mit gestrafftem Körper und gespitzten Ohren. Seine weit aufgerissenen Augen starrten auf das Klavier.

«Habe ich dich erschreckt?», fragte Louisa freundlich. «Vielleicht hast du noch nie Musik gehört.»

Nein, sagte sie sich, ich glaube nicht, dass es daran liegt. Bei näherem Hinsehen schien die Haltung der Katze keine Furcht auszudrücken. Da war nichts Verkrampftes zu erkennen, keine Spur von ängstlichem Zurückweichen. Eher ein Sichvorlehnen, eine Art Begierde. Und das Gesicht – nun, das hatte einen sonderbaren Ausdruck, ein Mittelding zwischen Überraschung und Schock. Natürlich ist das Gesicht einer Katze klein und ziemlich ausdruckslos, aber wenn man genau auf das Zusammenspiel von Augen und Ohren achtet und vor allem auf die Stelle unter den Ohren und etwas seitlich davon, wo das Fell beweglich ist, dann kann man gelegentlich den Reflex sehr starker Erregungen wahrnehmen. Louisa behielt nun die Katze im Auge, und weil sie gespannt war, was beim zweiten Mal passieren würde, griff sie in die Tasten und begann von neuem, Vivaldi zu spielen.

Diesmal war die Katze vorbereitet, und anfangs war nur zu bemerken, dass sich ihr Körper ein wenig mehr straffte. Dann aber, als die Musik anschwoll und schneller wurde, als die erregende Einleitung zur Fuge erklang, zeigte sich auf dem Gesicht des Tieres ein seltsamer, fast ekstatischer Ausdruck. Die gespitzten Ohren erschlafften, sanken nach und nach zurück, die Augenlider schlossen sich, der Kopf neigte sich zur Seite, und in diesem Augenblick hätte Louisa schwören können, das Tier genieße die Musik.

Was sie sah (oder zu sehen vermeinte), war etwas, was sie oft an Menschen beobachtet hatte, die einem Musikstück mit Hingabe lauschen. Wenn sie von den Klängen gepackt und überwältigt werden, bekommen sie einen eigenartig verzückten Blick, der so leicht zu erkennen ist wie ein Lächeln. Soweit Louisa feststellen konnte, hatte die Katze jetzt genau diesen Gesichtsausdruck.

Louisa beendete die Fuge, ging zur Siciliana über und ließ dabei die Katze nicht aus den Augen. Der entscheidende Beweis, dass das Tier zuhörte, war für Louisa sein Verhalten, als die Musik verstummte. Die Katze blinzelte, bewegte sich ein wenig, streckte ein Bein aus, legte sich bequem zurecht, schaute sich rasch im Zimmer um und sah dann erwartungsvoll zu ihr hin. Genauso benimmt sich ein Konzertbesucher in der kurzen Pause zwischen zwei Sätzen einer Symphonie. Diese durchaus menschliche Reaktion rief bei Louisa eine merkwürdige Erregung hervor.

«Hat’s dir gefallen?», fragte sie. «Magst du Vivaldi?»

Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da kam sie sich lächerlich vor, wenn auch – und das war ihr etwas unheimlich – nicht ganz so lächerlich, wie sie wusste, dass sie sich hätte vorkommen müssen.

Nun, sie konnte nichts anderes tun, als zu der nächsten Nummer ihres Programms übergehen, zu Schumanns Carnaval. Bei den ersten Tönen fuhr die Katze hoch und saß wie erstarrt; dann schien sie ganz in der Melodie aufzugehen, sank langsam und selig in eine seltsam hingegebene Ekstase, die an Traum oder Verklärung denken ließ. Es war wirklich ein ungewöhnlicher Anblick – und dazu ein sehr drolliger –, diese silberhaarige Katze so verzückt auf dem Sofa sitzen zu sehen. Und das erstaunlichste, dachte Louisa, ist die Tatsache, dass diese Musik, die dem Tier offenbar so sehr gefällt, überaus schwierig, überaus klassisch und somit für die meisten Menschen viel zu hoch ist.

Aber vielleicht, dachte sie weiter, genießt das Tier die Musik gar nicht. Möglicherweise handelt es sich um eine Art hypnotischer Reaktion, wie bei Schlangen. Man kann eine Schlange mit Musik bezaubern, warum also nicht auch eine Katze? Allerdings hören Millionen von Katzen ihr Leben lang täglich Musik – durch Radio, Grammophon und Klavier –, und doch hat sich, soviel man weiß, noch nie eine so benommen wie diese. Sie scheint jede einzelne Note zu verfolgen. Phantastisch ist das.

Ja, es war phantastisch, das reinste Wunder. Wenn sich Louisa nicht sehr täuschte, war die Katze eines von jenen Wundertieren, die alle hundert Jahre nur einmal vorkommen.

«Ich habe dir angesehen, wie sehr du dieses Stück liebst», sagte sie, als die Musik verklungen war. «Ich fürchte nur, dass ich es heute nicht besonders gut gespielt habe. Wer gefällt dir besser – Vivaldi oder Schumann?»

Die Katze gab keine Antwort. Um die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörerin nicht zu verlieren, ging Louisa sofort zur nächsten Nummer des Programms über, zu Liszts Petrarca-Sonett.

Und nun geschah etwas Erstaunliches. Kaum hatte sie drei oder vier Takte gespielt, als die Barthaare des Tieres zu zucken begannen. Langsam reckte es sich hoch, neigte den Kopf erst auf die eine Seite, dann auf die andere und sah starr vor sich hin, mit einem grüblerischen, konzentrierten Blick, der zu sagen schien: Was ist das? Nein, verrate es nicht. Ich kenne das Stück ganz genau, kann es nur im Moment nicht unterbringen. Louisa war fasziniert. Lächelnd, mit halb geöffnetem Mund spielte sie weiter und wartete, was wohl passieren würde.

Die Katze erhob sich, ging auf dem Sofa entlang, setzte sich in die Ecke, lauschte ein Weilchen, sprang dann plötzlich auf den Boden und von dort auf die Klavierbank, wo sie sitzen blieb. Sie hörte sich das schöne Sonett an, diesmal nicht träumerisch, sondern sehr aufmerksam, die großen gelben Augen auf Louisas Finger gerichtet.

«Ach», sagte Louisa, als sie den letzten Akkord anschlug, «du hast dich also neben mich gesetzt? Gefällt’s dir hier besser als auf dem Sofa? Na schön, wenn du artig bist und nicht herumspringst, darfst du hierbleiben.» Sie strich der Katze sanft über den Rücken, vom Kopf bis zum Schwanz. «Das war Liszt», fuhr sie fort. «Manchmal, weißt du, kann er entsetzlich vulgär sein, aber in solchen Sachen ist er wirklich bezaubernd.»

Diese seltsame Tierpantomime machte ihr Spaß, und so begann sie sogleich mit der vierten Programmnummer, mit Schumanns Kinderszenen. Nachdem sie ein oder zwei Minuten gespielt hatte, bemerkte sie, dass die Katze auf ihren Sofaplatz zurückgekehrt war. Louisa hatte inzwischen auf ihre Hände geachtet, und deswegen war ihr wohl das Verschwinden der Katze entgangen. Trotzdem musste es eine äußerst schnelle und leise Bewegung gewesen sein. Das Tier schaute noch immer zu ihr hinüber, horchte noch immer auf die Musik, doch zweifellos nicht mehr mit der gleichen hingerissenen Begeisterung wie bei dem Stück von Liszt. Schon der Umstand, dass es die Klavierbank verlassen hatte, schien ein kleines, aber deutliches Zeichen von Enttäuschung zu sein.

«Was ist denn los?», fragte Louisa, als sie fertig war. «Magst du Schumann nicht? Was ist eigentlich so Wunderbares an Liszt?» Die Katze sah sie unverwandt mit ihren gelben Augen an, in deren Zentrum kleine pechschwarze Striche lagen.

Jetzt wird die Sache wirklich interessant, sagte sich Louisa – sogar etwas unheimlich, wenn man’s recht bedenkt. Doch sie beruhigte sich rasch, als sie einen Blick auf die Katze warf, die sehr aufmerksam, sehr interessiert in der Sofaecke kauerte und offensichtlich auf weitere Darbietungen wartete.

«Gut», sagte sie, «weißt du was? Ich werde mein Programm ändern, eigens für dich. Du scheinst Liszt besonders zu lieben und sollst noch mehr von ihm hören.»

Sie zögerte einen Moment, suchte in ihrem Gedächtnis und entschloss sich für den Weihnachtsbaum. Sie spielte leise das erste der zwölf kleinen Stücke und beobachtete dabei die Katze genau. Sie stellte fest, dass die Barthaare wieder zu zucken begannen. Das Tier sprang auf den Teppich, blieb einen Augenblick stehen, zitternd vor Erregung und mit gesenktem Kopf, ging dann langsam um das Klavier herum, war mit einem Satz auf der Bank und setzte sich neben Louisa.

So weit waren sie, als Edward hereinkam.

«Edward!», rief Louisa und lief ihm entgegen. «Edward, Liebling, stell dir vor, was passiert ist!»

«Was ist denn los?», knurrte er. «Ich möchte Tee haben.» Sein schmales, scharfnasiges und leicht gerötetes Gesicht glänzte von Schweiß und erinnerte an eine lange, nasse Traube.

«Es handelt sich um die Katze!» Louisa deutete auf das Tier, das ruhig sitzen geblieben war. «Du wirst staunen, wenn du hörst, was geschehen ist!»

«Habe ich nicht gesagt, du sollst sie zur Polizei bringen?»

«Aber Edward, hör doch zu. Es ist schrecklich aufregend. Dies ist eine musikalische Katze.»

«Ja?»

«Sie liebt Musik und versteht sie auch.»

«Red keinen Unsinn, Louisa, und kümmere dich gefälligst um den Tee. Ich bin todmüde, nachdem ich all die Brombeersträucher ausgerissen und verbrannt habe.» Er setzte sich in einen Sessel, nahm aus der Dose neben ihm eine Zigarette und zündete sie mit einem großen Feuerzeug an, das auf dem Tisch bereitlag.

«Bitte, begreife doch», sagte Louisa, «während du im Garten warst, hat sich hier in unserem Haus etwas unglaublich Aufregendes ereignet, etwas, was sogar … nun … folgenschwer sein könnte.»

«Aha.»

«Edward, bitte

Louisa stand neben dem Klavier, ihr kleines rosiges Gesicht war rosiger denn je, mit einem purpurroten Fleck auf jeder Wange. «Wenn du es wissen möchtest», fuhr sie fort, «will ich dir sagen, was ich denke.»

«Ich höre, meine Liebe.»

«Wir befinden uns in diesem Augenblick – jedenfalls halte ich das für durchaus möglich – in Gegenwart von …» Sie verstummte, als wäre sie sich auf einmal der Absurdität ihres Gedankens bewusst geworden.

«Nun?»

«Du wirst mich vielleicht für verrückt halten, Edward, aber ich bin fest davon überzeugt …»

«In Gegenwart von wem, zum Donnerwetter?»

«Von Franz Liszt persönlich!»

Edward zog kräftig an seiner Zigarette und blies den Rauch zur Decke hinauf. Er hatte hohle Wangen mit straffer Haut, wie ein Mann sie hat, der seit Jahren ein künstliches Gebiss trägt, und sooft er den Rauch inhalierte, fielen die Wangen noch mehr ein, und die Knochen stachen hervor wie bei einem Gerippe. «Was soll das heißen?», erkundigte er sich.

«Hör zu, Edward. Nach dem, was ich heute Nachmittag mit eigenen Augen gesehen habe, scheint es sich tatsächlich um eine Art Wiedergeburt zu handeln.»

«Meinst du etwa die lausige Katze?»

«Lieber, bitte, sprich nicht so.»

«Du bist doch nicht krank, Louisa, wie?»

«Danke schön, mir geht’s ausgezeichnet. Gewiss, ich bin ein wenig durcheinander, aber wer wäre das nicht nach dem, was geschehen ist? Edward, ich schwöre dir …»

«Was ist denn geschehen, wenn ich fragen darf?»

Louisa erklärte es ihm. Während sie sprach, lag ihr Mann im Sessel, beide Beine lang ausgestreckt, zog an der Zigarette und blies den Rauch zur Decke hinauf. Um seinen Mund spielte ein kleines zynisches Lächeln.

«Ich sehe an alledem nichts Ungewöhnliches», sagte er, als sie ihren Bericht beendet hatte. «Eine dressierte Katze. Irgendjemand hat sie abgerichtet, das ist alles.»

«Unsinn, Edward. Immer wenn ich Liszt spiele, wird sie maßlos aufgeregt, kommt angelaufen und setzt sich zu mir auf die Klavierbank. Aber nur bei Liszt, und niemand kann eine Katze den Unterschied zwischen Liszt und Schumann lehren. Den kennst ja nicht einmal du. Aber sie weiß genau Bescheid, sogar bei ganz unbekannten Sachen von Liszt. Jedes Mal.»

«Zweimal», warf der Mann ein. «Sie hat’s nur zweimal so gemacht.»

«Zweimal genügt.»

«Los, versuch’s gleich nochmal.»

«Nein», widersprach Louisa. «Auf keinen Fall. Denn wenn es Liszt ist, wie ich glaube, oder jedenfalls Listzs Seele oder was sonst wiederkommt, dann ist es gewiss unrecht und taktlos, eine Menge alberner Versuche mit ihm anzustellen.»

«Meine Liebe, das hier ist eine Katze – eine ziemlich dumme graue Katze, die sich vorhin im Garten beinahe das Fell am Feuer versengt hätte. Und überhaupt, was weißt du von Reinkarnation?»

«Wenn seine Seele hier ist, genügt mir das», antwortete Louisa energisch. «Das ist alles, worauf es ankommt.»

«Dann soll er’s vormachen, dieser Herr Liszt. Lass ihn zeigen, dass er zwischen seinen und anderen Werken unterscheiden kann.»

«Nein, Edward. Ich habe dir schon gesagt, dass ich mich weigere, irgendwelche Tests mit ihm zu veranstalten. Für einen Tag hat er davon reichlich genug gehabt. Aber eines werde ich tun. Ich werde ihm noch eine seiner eigenen Kompositionen vorspielen.»

«Als ob das etwas beweisen könnte!»

«Pass nur auf. Ich versichere dir, wenn er die Musik erkennt, wird er sich nicht von der Bank rühren, auf der er jetzt sitzt.»

Louisa ging zum Notenschrank, zog einen Band Liszt heraus, blätterte ihn rasch durch und wählte eine seiner schönsten Schöpfungen, die Sonate b-Moll. Eigentlich hatte sie nur den ersten Satz spielen wollen, aber als sie die Katze sah, die buchstäblich vor Wonne zitterte und ihre Hände wieder mit jenem hingerissenen und dabei konzentrierten Blick beobachtete, da brachte sie es nicht übers Herz, aufzuhören. Sie spielte die Sonate zu Ende und schaute dann lächelnd ihren Mann an. «Bitte sehr», sagte sie, «du kannst nicht leugnen, dass er es über alle Maßen genossen hat.»

«Ach was, das Tier liebt den Lärm, das ist alles.»

«Nicht den Lärm, sondern die Musik. Habe ich nicht recht, Liebling?», fragte sie und nahm die Katze auf den Arm. «Ach, wenn er doch nur reden könnte. Stell dir vor, Edward – in seiner Jugend hat er Beethoven gekannt. Und Schubert und Mendelssohn und Schumann und Berlioz und Grieg und Delacroix und Ingres und Heine und Balzac. Und … ja, warte … er war Wagners Schwiegervater! Mein Gott, ich halte Wagners Schwiegervater in meinen Armen!»

«Louisa!», sagte der Mann scharf und richtete sich kerzengerade auf. «Nimm dich zusammen.» Seine Stimme hatte plötzlich einen anderen Klang, und er sprach ungewöhnlich laut.

Louisa warf ihm einen raschen Blick zu. «Edward, ich glaube, du bist eifersüchtig.»

«Auf eine lausige graue Katze? Dass ich nicht lache!»

«Dann sei gefälligst nicht so mürrisch und zynisch. Wenn du dich so benehmen willst, geh lieber an deine Gartenarbeit zurück und lass uns beide in Frieden. Das wäre für uns alle das Beste, nicht wahr, Liebling?», sagte sie zu der Katze und streichelte ihr den Kopf. «Und heute Abend werden du und ich noch ein wenig musizieren, natürlich aus deinen eigenen Werken. Ach ja» – sie küsste das Tier mehrmals auf den Nacken –, «vielleicht spielen wir dann auch etwas von Chopin. Du brauchst mir gar nichts zu sagen – ich weiß, dass du Chopin gern hast. Du warst sehr befreundet mit ihm, nicht wahr, Herzchen? Wenn ich mich recht erinnere, bist du sogar in Chopins Wohnung der großen Liebe deines Lebens, dieser Madame Soundso, begegnet. Drei uneheliche Kinder hatte sie von dir, wie? Jawohl, so war es, du unartiges Ding, versuche nur nicht, es abzustreiten. Nun, du sollst nachher ein bisschen Chopin hören», schloss sie und küsste die Katze von neuem. «Das wird vermutlich allerlei schöne Erinnerungen in dir wecken.»

«Louisa, jetzt ist aber Schluss!»

«Reg dich doch nicht auf, Edward.»

«Du benimmst dich absolut idiotisch. Außerdem vergisst du, dass wir heute unseren Canasta-Abend bei Bill und Betty haben.»

«Nein, heute kann ich unmöglich ausgehen. Das ist ganz ausgeschlossen.»

Edward erhob sich langsam aus seinem Sessel, beugte sich vor und stieß die Zigarette hart in den Aschenbecher. «Sag mal», fragte er ruhig, «glaubst du das wirklich – diesen Quatsch, den du da redest?»

«Aber natürlich. Da kann’s doch gar keinen Zweifel mehr geben. Und ich finde, es lädt uns eine enorme Verantwortung auf, Edward – uns beiden. Dir ebenso wie mir.»

«Und weißt du, was ich finde?», versetzte er. «Ich finde, du solltest zum Doktor gehen, und zwar schleunigst.»

Wütend drehte er sich um und stapfte durch die Verandatür in den Garten hinaus.

Louisa sah ihm nach, während er über den Rasen zu seinem Feuer und seinem Brombeergestrüpp ging. Sie wartete, bis er außer Sicht war, machte dann kehrt und lief, noch immer mit der Katze im Arm, zur Haustür.

Gleich darauf saß sie im Wagen und fuhr in die Stadt.

Sie parkte vor der Bibliothek, schloss die Katze im Wagen ein, eilte die Stufen zu dem Gebäude hinauf und steuerte geradewegs auf das Katalogzimmer zu. Dort suchte sie im Schlagwortkatalog nach Büchern über zwei Themen: Seelenwanderung und Liszt.

Unter Seelenwanderung fand sie ein Werk mit dem Titel Wiederkehr des Erdenlebens – Wie und Warum, das von einem Mann namens F. Milton Willis verfasst und im Jahre 1921 erschienen war. Unter Liszt waren zwei Biographien aufgeführt. Sie entlieh alle drei Bände, kehrte zu ihrem Wagen zurück und fuhr nach Hause.

Daheim setzte sie sich mit den drei Büchern und der Katze aufs Sofa, fest entschlossen, ernsthafte Studien zu betreiben. Als Erstes wollte sie das Buch von Mr. F. Milton Willis vornehmen. Der Band war dünn und etwas beschmutzt, aber er lag gewichtig in ihrer Hand, und der Name des Verfassers klang irgendwie vertrauenerweckend.

‹Die Lehre von der Seelenwanderung›, las sie, ‹weist nach, dass sich geistige Seelen von Mal zu Mal in höheren Tierformen verkörpern. Ein Mensch kann zum Beispiel ebenso wenig als Tier wiedergeboren werden wie ein Erwachsener wieder zum Kind werden.›

Sie las den letzten Satz noch einmal. Woher wusste er das? So etwas konnte doch niemand mit Gewissheit behaupten. Trotz ihrer Skepsis nahm ihr jedoch diese Feststellung ziemlich viel Wind aus den Segeln.

‹Um unser Bewusstseinszentrum herum befinden sich vier Körper, wobei der feste äußere Körper nicht mitgerechnet ist. Sie sind für unser fleischliches Auge unsichtbar, jedoch vollständig sichtbar für alle diejenigen, deren Fähigkeit, übernatürliche Dinge wahrzunehmen, angemessen entwickelt ist …›

Damit konnte Louisa nichts anfangen, aber sie las weiter und kam bald an eine interessante Stelle, die davon handelte, wie lange eine Seele im Allgemeinen von der Erde entfernt blieb, bevor sie in einen anderen Körper zurückkehrte. Dieses Zwischenstadium war je nach dem Typus kürzer oder länger, und Mr. Willis gab folgende Übersicht:


Trunkenbolde und Taugenichtse

40 – 50 Jahre

Ungelernte Arbeiter

60 – 100 Jahre

Facharbeiter

100 – 200 Jahre

Die Bourgeoisie

200 – 300 Jahre

Der gehobene Mittelstand

500 Jahre

Die oberste Klasse der Gutsbesitzer

600 – 1000 Jahre

Die auf dem Wege zur Erkenntnis Befindlichen

1500 – 2000 Jahre

Rasch griff Louisa nach einem der anderen Bücher, um festzustellen, wann Liszt das Zeitliche gesegnet hatte. Sie erfuhr, dass er 1886 in Bayreuth gestorben war. Vor 67 Jahren. Nach Mr. Willis musste er also ungelernter Arbeiter gewesen sein, sonst wäre er nicht so schnell wiedergekommen. Das schien gar nicht zu passen. Louisa hielt überhaupt nicht viel von der Einstufungsmethode des Verfassers. Ihm zufolge umfasste ‹die oberste Klasse der Gutsbesitzer› so ungefähr die höchststehenden Bewohner der Erde. Rote Fräcke, Steigbügeltrunk und das blutige, sadistische Morden von Füchsen … Nein, dachte sie, das kann nicht stimmen. Sie freute sich, dass ihr Zweifel an Mr. Willis kamen.

Weiter hinten im Buch fand sie eine Liste der berühmtesten Wiederverkörperungen. Epiktet, so behauptete Mr. Willis, war als Ralph Waldo Emerson auf die Erde zurückgekehrt, Cicero als Gladstone, Alfred der Große als Königin Viktoria, Wilhelm der Eroberer als Lord Kitchener, Ashoka Vardhana, König von Indien (272 v. Chr.), als Oberst Henry Steel Olcott, ein angesehener amerikanischer Jurist. Pythagoras war als Master Koot Hoomi zurückgekehrt, also als der Herr, der gemeinsam mit Madame Blavatsky und Oberst H. S. Olcott (dem angesehenen amerikanischen Juristen, alias Ashoka Vardhana, König von Indien) die Theosophische Gesellschaft gegründet hatte. Wessen Seele in Madame Blavatsky wiederverkörpert war, stand nicht da. Aber von Theodore Roosevelt hieß es: ‹Er hat in vielen Inkarnationen eine bedeutende Führerrolle gespielt … Von ihm stammte das Königsgeschlecht des alten Chaldäa ab, denn er wurde um 30 000 v. Chr. zum Herrscher über Chaldäa ausersehen, und zwar von dem Ego, das wir als Cäsar kennen und das damals König von Persien war … Roosevelt und Cäsar sind immer wieder als militärische Führer und Regenten zusammengetroffen, und einmal, vor vielen Jahrtausenden, waren sie Mann und Frau …›

Das reichte Louisa. Mr. F. Milton Willis war offensichtlich ein Phantast. Seine dogmatischen Behauptungen beeindruckten sie nicht im Geringsten. Vielleicht befand sich der Bursche auf der richtigen Spur, aber seine Thesen waren viel zu verstiegen, um glaubhaft zu sein, besonders jene erste über die Tiere. Louisa hoffte, es werde ihr bald gelingen, die ganze Theosophische Gesellschaft durch den Nachweis zu verwirren, dass ein Mensch tatsächlich als niederes Tier wiedergeboren werden konnte und dass man kein ungelernter Arbeiter zu sein brauchte, um innerhalb von hundert Jahren zurückzukehren.

Sie schlug nun eine der Biographien von Liszt auf, und während sie darin blätterte, kam ihr Mann ins Zimmer.

«Was machst du denn da?», fragte er.

«Ach, ich suche nur so ein bisschen herum. Hör mal, Lieber, hast du gewusst, dass Theodore Roosevelt einmal Cäsars Frau war?»

«Louisa», sagte er, «was soll denn dieser Unsinn? Du benimmst dich ausgesprochen närrisch, und das gefällt mir gar nicht. Gib mir die verwünschte Katze, ich bringe sie selbst zur Polizei.»

Louisa antwortete nicht. Sie starrte mit offenem Mund auf ein Bild von Liszt, das sie in dem Buch gefunden hatte.

«Mein Gott!», rief sie. «Edward, sieh nur!»

«Was?»

«Da! Die Warzen! Die hatte ich ganz vergessen. Er hatte große Warzen im Gesicht und war dafür berühmt. Seine Schüler ließen sich sogar kleine Haarbüschel an den gleichen Stellen stehen, um ihm zu ähneln.»

«Was haben die damit zu tun?»

«Nichts. Ich meine, die Schüler haben nichts damit zu tun. Aber die Warzen.»

«O Himmel», stöhnte der Mann. «O du allmächtiger Gott.»

«Die Katze hat sie auch! Warte, ich zeige sie dir.» Sie nahm das Tier auf den Schoß und fing an, sein Gesicht zu untersuchen. «Hier! Hier ist eine! Und da noch eine! Augenblick mal, ich glaube, sie sitzen an den gleichen Stellen! Wo ist das Bild?»

Es war ein berühmtes Altersporträt des Musikers, auf dem das schöne, bedeutende Antlitz zu sehen war, umrahmt von einer Flut grauer Haare, die über die Ohren fielen und bis in den Nacken reichten. Auf dem Gesicht war jede große Warze getreulich wiedergegeben; insgesamt waren es fünf.

«Also auf dem Bild ist eine über der rechten Augenbraue.» Sie sah über der rechten Augenbraue der Katze nach. «Ja! Da ist sie! Stimmt ganz genau! Und eine links an der Nasenspitze … Die ist auch da! Und eine gerade darunter auf der Wange … Und zwei dicht nebeneinander rechts unter dem Kinn … Edward! Edward! Sieh dir das an! Es ist genau das Gleiche.»

«Das beweist gar nichts.»

Sie blickte zu ihrem Mann auf, der in seinem grünen Sweater und den Khakihosen mitten im Zimmer stand und noch immer heftig schwitzte. «Du hast Angst, Edward, nicht wahr? Du hast Angst, deine kostbare Würde zu verlieren und zum Gespött der Leute zu werden.»

«Ich weigere mich nur, wegen einer Katze hysterisch zu werden, sonst nichts.»

Louisa wandte sich wieder ihrem Buch zu. «Das ist interessant», sagte sie. «Hier steht, dass Liszt alle Werke von Chopin geliebt hat, nur eines nicht – das Scherzo b-Moll. Das hat er gehasst. Er nannte es das ‹Gouvernanten-Scherzo› und sagte, es sei nur für Damen bestimmt, die diesen Beruf ausübten.»

«Na und?»

«Ich will dir was sagen, Edward. Da du dich darauf versteifst, so grässlich zu sein und mir kein Wort zu glauben, werde ich jetzt dieses Scherzo spielen, und du kannst dabeistehen und sehen, was geschieht.»

«Und dann wirst du vielleicht geruhen, dich um unser Abendbrot zu kümmern.»

Louisa erhob sich und holte einen großen grünen Band, der Chopins sämtliche Werke enthielt. «Da ist es. O ja, ich erinnere mich. Ich hab’s auch immer scheußlich gefunden. So, nun hör zu – oder vielmehr beobachte. Beobachte, was er tut.»

Sie stellte die Noten aufs Klavier und nahm Platz. Ihr Mann blieb stehen, die Hände in den Taschen, eine Zigarette im Mund, und beobachtete widerwillig die Katze, die auf dem Sofa schlummerte. Louisa schlug die ersten Töne an. Die Wirkung war äußerst dramatisch. Das Tier fuhr hoch, wie von der Tarantel gestochen, und verharrte mindestens eine Minute lang regungslos, mit gespitzten Ohren, am ganzen Körper zitternd. Dann fing es an, auf dem Sofa hin- und herzugehen. Schließlich sprang es auf den Fußboden und verließ langsam und majestätisch das Zimmer, Nase und Schwanz stolz erhoben.

«Da!», rief Louisa und lief dem Tier nach. «Das genügt! Jetzt haben wir den Beweis!» Sie kam mit der Katze im Arm zurück und setzte sie wieder auf das Sofa. Ihr Gesicht glühte vor Erregung, die Knöchel ihrer geballten Hände waren weiß, der kleine Haarknoten am Hinterkopf hatte sich gelockert und rutschte auf die Seite. «Was sagst du nun, Edward? Was meinst du?» Sie begleitete ihre Worte mit einem nervösen Lachen.

«War ganz amüsant, finde ich.»

«Amüsant! Mein lieber Edward! Das ist das größte Wunder aller Zeiten! O Himmel!», rief sie, nahm die Katze auf und presste sie an sich. «Ist es nicht ein herrlicher Gedanke, dass Franz Liszt bei uns wohnt?»

«Na, Louisa, wir wollen doch nicht hysterisch werden.»

«Ich kann nicht anders, wirklich nicht. Und sich vorzustellen, dass er für immer in unserem Haus leben wird!»

«Wie bitte?»

«Ach Edward! Ich kann vor Aufregung kaum sprechen. Und weißt du, was ich als Nächstes tun werde? Natürlich wird jeder Musiker in der ganzen Welt mit ihm zusammentreffen wollen, um ihn nach den großen Komponisten zu fragen, die er gekannt hat – nach Beethoven und Chopin und Schubert …»

«Sie werden nur keine Antwort kriegen», warf der Mann ein.

«Ja – richtig. Aber sie werden alle herkommen wollen, um ihn zu sehen, ihn anzufassen und ihm ihre eigenen Kompositionen vorzuspielen, moderne Musik, die er noch nie gehört hat.»

«So bedeutend war Liszt doch gar nicht. Ja, wenn es Bach wäre oder Beethoven …»

«Bitte, unterbrich mich nicht, Edward. Ich werde also alle bekannten lebenden Komponisten benachrichtigen. Das ist meine Pflicht. Ich werde ihnen mitteilen, dass Liszt hier ist und dass sie ihn besuchen können. Pass auf, wie sie dann von allen Ecken der Welt herbeieilen.»

«Um eine graue Katze zu sehen?»

«Liebling, das ist doch dasselbe. Die Katze ist er. Wen kümmert’s denn, wie er aussieht? Ach Edward, das wird die größte Sensation, die es je gegeben hat!»

«Sie werden dich für verrückt halten.»

«Warte nur ab.» Sie hielt die Katze in den Armen und streichelte sie zärtlich, schaute aber dabei zu ihrem Mann hinüber, der zur Verandatür gegangen war und in den Garten hinausblickte. Es wurde Abend, das Grün des Rasens färbte sich nach und nach schwarz, und in der Ferne sah Edward den Rauch seines Feuers als weiße Säule in die Luft steigen.

«Nein», sagte er, ohne sich umzuwenden, «das will ich nicht haben. Nicht in meinem Haus. Wir beide würden ja als komplette Narren dastehen.»

«Wie meinst du das, Edward?»

«Genau wie ich es sage. Ich verbiete dir ein für alle Mal, mit einer so verrückten Geschichte Staub aufzuwirbeln. Du hast zufällig eine dressierte Katze gefunden. Okay – schön und gut. Wenn’s dir Spaß macht, behalte sie. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber weiter darfst du nicht gehen, Louisa, verstanden?»

«Weiter als was?»

«Ich will nichts mehr von diesem blöden Geschwätz hören. Du benimmst dich, als ob du irrsinnig wärst.»

Langsam setzte Louisa die Katze auf das Sofa. Dann richtete sich die kleine Person langsam zu ihrer vollen Höhe auf und machte einen Schritt vorwärts. «Verdammt nochmal, Edward!», schrie sie und stampfte mit dem Fuß auf. «Zum ersten Male in unserem Leben passiert etwas wirklich Aufregendes, und du willst nichts damit zu tun haben! Du zitterst vor Angst, dass jemand über dich lachen könnte! So ist es doch, nicht wahr? Kannst du das leugnen?»

«Louisa», sagte der Mann, «jetzt ist aber Schluss. Reiß dich zusammen und höre sofort mit dem dummen Gerede auf.» Er nahm eine Zigarette aus der Dose auf dem Tisch und zündete sie mit dem großen Feuerzeug an. Seine Frau stand daneben; unter ihren Lidern quollen Tränen hervor, die in zwei Bächen über die gepuderten Wangen liefen und schmale glänzende Streifen hinterließen.

«Solche Szenen haben wir in letzter Zeit mehr als genug gehabt, Louisa», fuhr Edward fort. «Nein, nein, unterbrich mich nicht. Ich will gern zugeben, dass gerade dieser Abschnitt deines Lebens nicht leicht für dich ist und dass …»

«O mein Gott! Du Idiot! Du riesengroßer Idiot! Begreifst du denn nicht, dass es sich um etwas ganz anderes handelt – um etwas Wunderbares? Sieh das doch endlich ein!»

Er trat auf sie zu und packte sie fest an den Schultern. Die frisch angezündete Zigarette hing zwischen seinen Lippen, und seine Haut war fleckig von getrocknetem Schweiß. «Hör mal», sagte er, «ich bin hungrig. Ich habe heute auf mein Golfspiel verzichtet und dafür den ganzen Tag im Garten geschuftet, ich bin müde und hungrig und möchte essen. Du wirst auch Hunger haben. Geh also in die Küche und mach uns etwas Gutes zurecht.»

Louisa zuckte zusammen und presste beide Hände auf den Mund. «Du lieber Himmel!», rief sie. «Das habe ich ganz vergessen. Er muss ja völlig ausgehungert sein. Bis auf die Milch hat er seit seiner Ankunft nichts zu essen bekommen.»

«Wer?»

«Na, er natürlich. Ich muss ihm sofort etwas recht Leckeres kochen. Wenn ich nur wüsste, was seine Leibgerichte waren! Kannst du mir nicht einen Rat geben, Edward?»

«Himmeldonnerwetter, Louisa …»

«Bitte, Edward, mäßige dich! Jetzt werde ich einmal tun, was ich will. Du bleibst hier», sagte sie zu der Katze und strich ihr sanft über das Fell. «Es dauert nicht lange.»

Louisa ging in die Küche, wo sie einen Augenblick stehen blieb und überlegte, was für ein Gericht sie zubereiten sollte. Vielleicht ein Soufflé? Ein gutes Käsesoufflé? Ja, das war etwas Vortreffliches. Edward liebte es allerdings nicht sehr, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen.

Kochen war Louisas schwache Seite, und sie wusste nie, ob ein Soufflé geraten würde oder nicht, aber diesmal gab sie sich besondere Mühe und achtete darauf, dass der Ofen genau die richtige Temperatur hatte. Während das Soufflé buk, suchte sie nach einer passenden Zuspeise. Plötzlich fiel ihr ein, dass Liszt vermutlich noch nie Avocadobirnen oder Grapefruit gekostet hatte, und sie entschloss sich, ihm beides zusammen als Salat vorzusetzen. Ich bin gespannt, wie er darauf reagiert, dachte sie. Sehr gespannt, wirklich.

Als alles fertig war, brachte sie die Schüsseln auf einem Tablett ins Wohnzimmer. Beim Eintreten sah sie, dass ihr Mann durch die Verandatür aus dem Garten hereinkam.

«Hier ist das Essen», sagte sie, stellte das Tablett auf den Tisch und wandte sich zum Sofa. «Wo ist er?»

Ihr Mann schloss die Tür hinter sich, ging durch das Zimmer und nahm eine Zigarette aus der Dose.

«Edward, wo ist er?»

«Wer?»

«Du weißt genau, wen ich meine.»

«Ach ja. Richtig. Nun … hm … die Sache ist so …»

Er beugte sich vor, um die Zigarette anzuzünden, und seine Hände umfassten das große Feuerzeug. Als er den Kopf hob, bemerkte er, dass Louisa ihn musterte – sie betrachtete seine Schuhe und die Hosenbeine, die feucht waren vom Gehen im hohen Gras.

«Ich war eben mal draußen, um nach dem Feuer zu sehen», erklärte er.

Ihr Blick glitt langsam höher und blieb an seinen Händen haften.

«Es brennt noch gut», fuhr er fort. «Ich glaube, es wird die ganze Nacht brennen.»

Die Art, wie sie ihn anstarrte, bereitete ihm allmählich Unbehagen.

«Was ist denn?», fragte er, ließ das Feuerzeug sinken und schaute an sich hinab. Erst jetzt sah er, dass ein langer, dünner Kratzer diagonal über den Rücken seiner einen Hand lief, vom Fingerknöchel bis zum Handgelenk.

«Edward!»

«Ja», sagte er, «ich weiß. Diese Brombeerranken sind grässlich. Sie reißen einen geradezu in Stücke. Nanu, Louisa, sachte, sachte. Was ist denn los?»

«Edward!»

«Um Himmels willen, Frau, setz dich hin und sei ruhig. Du hast überhaupt keinen Grund, dich aufzuregen. Louisa! Louisa, setz dich hin

Загрузка...